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Die Treppenstufen, die ich hochkeuchte, wurden schlechter und heruntergekommener mit jedem Schritt. Über das Wort „heruntergekommen“ auf dem Weg nach oben mußte ich innerlich schmunzeln. Vielleicht erging es ja meinem großen Unbekannten so: heruntergekommen auf dem Weg nach oben.
Direkt vor der Eingangstür, die irgendwie zerzaust aussah, so abgesplittert war das Holz, war auch die letzte Treppenstufe völlig lädiert, sie knarrte so bedenklich als wollte sie jeden Moment unter mir nachgeben.

Tapfer drückte ich auf einen Klingelknopf, der angegraut neben einem leeren, sprich: namenlosen Schild hing. Jetzt gab es kein zurück: es würde schnell gehen, denn hinter der Tür verbarg sich lediglich eine Wohnstatt von 23 Quadratmetern. Aber es ging nicht schnell und auch nicht langsam, es tat sich gar nichts. Ich klingelte nur aus Prinzip ein bißchen Sturm, aber ohne daß meine Erwartungshaltung noch bestanden hätte. Maßlos enttäuscht klemmte ich meine Ledertasche wieder fester unter den Arm und trat den Weg nach unten an. Zurück auf die lärmende Straße und um eine Erfahrung ärmer.
Aus der nächsten Telefonzelle rief ich Sanne im Büro an: „Wagner Verlag, Susanne Luft, guten Tag“. „Ja, Frau Luftikus, hier ist Ina, Dein Herr Rübermann hat mich versetzt, ist das die Möglichkeit.“ „He, Ina, ja, siehst Du, ich habe ganz generell nichts Gutes prophezeit, was soll ich denn jetzt tun? Ich mache gerade die letzten Unterlagen fertig, in zwanzig Minuten ist Besprechung und Du weißt ja die Buchmesse rollt wie ein Panzer auf uns zu...“ „Ja, ja, okay, sorry,“ sagte ich schnell, „ich versuche Dich heute abend zu erreichen, zu hause, okay.“ Kurzes Sanne - Okay, kurzes zweifaches Tschüs, ich legte auf.

Sanne hatte vor vier Wochen eine Kontaktanzeige aufgegeben, die wir uns an einem weinlauschigen Abend zusammen ausgedacht hatten. Sanne hatte ein „Problem“: Im Grunde stand sie auf Männer, die gemeinhin als Versager galten,
Künstler, erfolglose Philosophen, verkrachte Existenzen. In ihrer Studienzeit konnte sie sich leicht mit diesen „Taugenichtsen“ umgeben, die in den Tag lebten, die Wirklichkeit phantasievoll oder beißend nebendichteten. Seit Sanne aber, für sie selbst überraschend, relativ schnell eine relativ steile Karriere gemacht hatte, rannten ihre Lieblingsmänner vor ihr weg. Nach einer kuscheligen Nacht vielleicht, die Sanne wie betäubt hinterließ, verkrochen sie sich wieder in ihre schmuddeligen Zimmer in Studentenwohnheimen, dem gemeinnützigen Wohnungsbau oder gar noch: bei der Mutter, häufig verliebten sie sich dann sofort in irgendeine „kleine Freundin“, wie es der französische Film vielleicht nennen würde. Irgendein liebes, junges, ambitionsloses, nichtssagendes Mädchen am Wegesrand. Und ein probates Schutzschild gegen die Frau Verlagsmanagerin in ihrem Werbungswahn.

Ich hingegen heiße Ina Angelika Friedberg, bin 34 und Journalistin. Die Journalistin lasse ich mir immer noch auf der Zunge zergehen, um zu schmecken, wie es so recht nicht schmeckt. Klingt très schick und auch ein bißchen geschmacklos, je nachdem. Natürlich sind es die Frauen, die Freundinnen, die mich unterstützen und mir den winzigen Stolz größer backen wollen. Und natürlich sind es die Männer - ich kann ja nichts dafür - die mich ständig ärgern wollen, wegen und in meinem Beruf. Ich habe es bei den linken Blättchen versucht, das Wichtige richtig zu schreiben; ich kann nur schreiben und denken und sprechen und die restliche Zeit Sehnsüchten nachhängen, von denen ich vielleicht insgeheim hoffe, daß sie für immer unerfüllt bleiben. Daß man von dem ganz, ganz wenigen Geld, das man so verdient nicht leben kann, ist sicher das eine Damoklesschwert gewesen, daß aber die linken Herrn Chefredakteure, gerne aus gutbürgerlichem Hause, mir jeden Satz, fast jedes Komma, vor allem aber grundsätzliche Textform und politische Diktion vierzigmal hintereinander zum Überarbeiten gaben, wurde irgendwann zur unerträglichen Quälerei. Jetzt arbeite ich für zwei sogenannte Szeneblättchen, schäme mich immer noch ein bißchen dafür, würde am liebsten meinen Kopf im Mantelkragen verschwinden lassen, wenn ich den alten linken Oberansagern irgendwo begegne und ärgere mich darüber natürlich erst recht. Immerhin verdiene ich mein Geld.

Mit den Sehnsüchten ist das so eine Sache. Ich kann mir ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen, ein Leben ohne Rotwein allerdings auch schon fast nicht mehr und das gilt ja als ein bißchen gefährlich. Da es Sanne genauso geht, mit den Sehnsüchten, dem Rioja und der Welt, haben wir also eines Abend versucht, unsere Probleme anzugehen: Da mir mein Problem wie immer nicht klar war, entweder weil es den Spitznamen „viele“ trägt oder weil ich einfach nicht lösungsorientiert bin, nahmen wir uns also erst mal Sannes kleine Partnermalaise vor. Wortgewandt wie wir nun mal beide sind, so geschmeidig, daß uns beisweilen die vielen Worte die Schuhe zertanzen, die auf dem Boden der Realität stehen sollten, wollten wir das Problem sprachmagisch lösen: Ergo, eben: eine Kontaktanzeige. „Verträumtes Selbstbewußtsein flotter Frau sucht den wunderbaren Taugenichts, der sich augenzwinkernd durchs Leben schleppen läßt.“ stand nach ewigem Hin und Her, Kicherkrämpfen und Durchhalteparolen auf dem Papier. „So bleibt es jetzt“, sagte ich und zog einen breiten energischen Schlußstrich drunter. „Du könntest gut und gerne auch Werbetexterin sein“ sagte Sanne. „Entweder das nimmst Du jetzt sofort und auf der Stelle zurück“, antwortete ich „oder ich nehme die zweite Flasche Leckerwein sofort mit nach Hause.“ war meine Antwort. Natürlich lenkte Sanne brav ein und wir machten, ich fürchte mit Rotweinflecken, die Anzeige noch am gleichen Tag postfertig. Allen erstes mußten wir noch über die Briefmarke diskutieren, denn Sanne fand eine Briefmarke zum internationalen Tag des Kindes auf einer Sendung mit Kontaktanzeige absolut zweifelhaft und von bestürzend falscher Signalwirkung. Ich mußte ihr tatsächlich auseinandersetzen, daß die Briefmarke in der Anzeige nicht mit abgedruckt würde.

Es kamen keine Berge von Post, wie die eine Befürchtung war und auch nicht rein gar nichts, wie die andere. Wobei gerade Sanne selbst letzteres immer weniger als Beinbruch gesehen hätte, denn mit jedem der wenigen Tage des Wartens wurde sie ein wenig verschämter, verfluchte den schuldigen Rioja, mit dem sie gleichzeitig wiederum ihre Zweifel herunterspülte und ich meine Ungeduld. Sanne nörgelte schon im Vorfeld, sie käme sich wie ein Versuchskanninchen vor, dabei ist sie eher schon eine dieser trägen, langsam sich wendenden Schlangen, wie sie ganz plötzlich mit einem smarten langen Zahn entweder das Gift der Erkenntnis, die strahlende Marter, oder auch nur den ganz trüben Sud des Grolls versprüht. In die anderen einsprüht und sich dann schnell wieder zusammenräkelt und -rollt und so behäbig schaut, als wäre nichts gewesen. Jedenfalls schaffte sie es wohl mit ihrem Genörgel, meiner Über-Ich-übersteuerten Person ein schlechtes Gewissen zu implantieren, das dann schließlich mit dazu geführt haben mag, daß die ganze Geschichte so anders verlief, als anfangs gedacht. Als verantwortungslose Voyeurin stand ich plötzlich da und dabei hielt ich doch, zumindest rhetorisch, an meiner Auffassung fest,
daß von Verantwortung noch lange keine Rede war, wir hatten uns nur auf relativ billige Weise einen Haufen interessanter Post bestellt.
Als der Haufen (und kein Berg) dann vor uns lag, wurde die Stimmung beider Beteiligter wieder besser, Neugier siegt, gerade bei Frauen, wenn das mal nicht oft genug ihr Verderben ist, da sie oft genug diese gerade auf Männer verwenden.

Jetzt stand dann also doch ich völlig bibbernd in der Telefonzelle, weil natürlich ich mich letztendlich mit einer einzigen Zuschrift verabreden wollte, ja nun eben: Wer hat sich schon mal mit einer Zuschrift verabredet, nichts lügt schöner besser, bunter und lebendiger als die Sprache daselbst, weil wir doch alles glauben, was in ganzen Sätzen daherkommt, und wenn´s schön gesprochen oder schwungvoll geschrieben ist, dann gerade erst recht. Und die Zuschrift hat mich versetzt! Ich war tatsächlich mehr auf die Zuschrift sauer, den verknitterten Brief in meiner Handtasche als auf den komischen Herrn Rübermann, den kannte ich ja nicht, ergo: ich war sauer darauf, daß so jemand wie dieser Rübermann schreiben können darf und ich lesen können muß usw.
Die letzten Tage noch hatte die Sonne ihr letztes gegeben, so schien es jetzt, es war noch einmal fast hochsommerlich und ganz unnatürlich warm gewesen. Jetzt schien sie verstorben, so wie man ja sagt, daß vor dem Tode noch mal eine Energiefanfare losbricht, um alle zu foppen. Ein Blick in den Kalender hätte genügt, um als moderner Mensch den Zeigefinger zu schwingen, wissend, und gewappnet zu sein. Ich war es natürlich nicht und hatte mir für diesen Idioten ein dekolletiertes schwarzes T-Shirt und nur ein leichtes Jäckchen obendrüber gegönnt. Oh jeh, oh jeh, eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Erkältung kroch in mir hoch. Wenigstens erwischte ich noch die U-Bahn, in der ich in irgendeinem Zustand zwischen völlig behämmert und vergrippt zum plötzlich schwitzenden Sitzen kam und nix wie heim, bis fast vor die Haustür und direkt ins wohlige Erkältungsbad.

Ich war schon süßlich weggedämmert, als das Telefon klingelte. Na klar Sanne, war wohl dem Panzer gerade noch ausgewichen oder hatte ihn geschickt bombadiert. Jetzt könnte ich sie klingeln lassen, geschähe ihr recht. Ich versuchte mich in den Zustand lähmenden Suffs zu versetzen, aber es gelang nicht. Ich hatte nichts zu mir genommen als ätherische Öle und die über die Nase in der Badewanne. Also bewegte ich erst mich und dann meinen Arm und nahm den Hörer ab. “Hallo“, sagte ich sehr, sehr forsch und bereute es, devot wie ich erstens bei Männern und zweitens, wenn es im weitesten Sinne um meinen Beruf geht, bin, sofort. „Ja, auch hallo“ meldete sich eine männliche Stomme. „Hier ist Pit Rübermann und ich kann mich ja wohl nur entschuldigen“. „Moment, woher...“stammelte ich. „Woher ich ihre Telefonnummer habe? Die steht im Telefonbuch, ganz normal. Sie haben ihren Presseausweis vor meiner Haustür verloren, und da dachte ich...“ Ach du dickes Ei mit Mayonnaise drauf! Das mit der Presse hätte er jetzt nicht direkt..., aber er würde ja nicht gleich… Okay, Fassung. Da ich gerade noch meine sieben von frischen Viren bevölkerten Zwetschgen beisammen bekam, fiel mir auf, daß er dachte, ich hätte die Karte mit Absicht fallen lassen. Na soll er doch, dachte ich trotzig, hatte aber auf das ganze Spiel jetzt genauso wenig Lust wie Sanne vor 14 Tagen auf ihrer Couch.

Da fiel mir mein Kontoauszug ein und ich riß mich zusammen. „Ja, gut, jetzt können Sie mich also anrufen.... Aber wo haben sie gesteckt?“, brach es etwas plump aus mir heraus. „Es tut mir furchtbar leid“, sagte er, und ich fand seine Stimme nicht unsympathisch, wie man so sagt, aber irgendwie auch nicht ....aufregend. „Ausgerechnet heute mußte ich dringend weg, zu meiner Mutter, sie hatte einen Herzanfall, das passiert einmal im Jahr und dann, wenn Sie vorbeikommen wollen! Können wir das Ganze wiederholen, oder sind sie mittlerweile abgeschreckt?“ Kontoauszug! „Mhm, nein, nein, nur etwas erkältet.“
„Ach, das tut mir leid“, sagte er mit ziemlich ehrlicher Wärme, “meinen Sie denn, sie sind jetzt erst einmal außer Gefecht gesetzt, das wäre schade, ich hatte mich so gefreut... Morgen bin ich garantiert Zuhause, und meine Mutter bekommt auch kein plötzliches Leiden mehr. Das war heute schon gespielt, ihre Freundin ist nach Mallorca geflogen und sie hat sich wohl fürchterlich gelangweilt“. Er lachte ein Lachen, das ich jetzt doch plötzlich...ganz gut fand. „Na gut“, sagte ich, „ich brauche auch meinen Ausweis sehr dringend, stimmte!, stimmte verdammt genau, außerdem war das jetzt bestimmt raffiniert in der vierten Potenz. „Okay“, er klang ehrlich erleichtert. „Können Sie um 15 Uhr? Es gibt Zwetschgenkuchen, ich backe welchen“. Na rührend, das klang viel zu rührend und plötzlich schämte ich mich gegenüber meiner Abgefeimtheit, denn im Kern war ich ja falsch bis in die Knochen, die in meinem fröstelnden Körper auch so schmerzten, als wollten sie genau dies dokumentieren. „Ja 15 Uhr ist okay“, sagte ich schnell, „das schaffe ich, ein zweiter Versuch, okay.“

Oh Mannomann, man kommt sich ja immer kühner vor, als man es ist. Manchmal Billionarden kühner… Ich hatte mir vorgenommen, mich mit einem Unbekannten zu treffen, um eine Reportage über heutige Liebessehnsüchte und Kontaktaufnahmen zu schreiben. (Kontoauszug). Nicht der Superrenner, aber eines der Szeneblättchen würde mir das aus der Hand reißen, das war so das Niveau. Und als sich Sanne geweigert hatte, auch nur auf einen einzigen Brief zu beantworten, hatte ich mich über völlig verschwendete Ressourcen empört. Und nun kommt einer mit einer Mutter, die Herzattacken hat, der Zwetschgenkuchen backen will, und offensichtlich den ganzen Aufriß ernst nimmt. Rechts und links hätte ich mich ohrfeigen können: Wieso sollte er es nicht ernst nehmen? Nur weil wir lustige Spielchen machen, um es nicht gleich eine sehr grenzwertige Flunkerei zu nennen. Ich fühlte mich sehr überfordert. Und doch fast schon wieder schlagartig gesund. Neugier siegt bei den ladies, aber das hatten wir ja schon.

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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2009

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