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So, jetzt hatte er endlich die Nebenstraße erreicht, wo er bei der Nr. 17 klingeln sollte. Mit Zufriedenheit sah er an der Ecke ein kleines, gemütliches Café, sehr gut, so was braucht der Mensch ja neben dem Hauseingang. Und auch die verwitterte, aber wohnliche Atmosphäre hier gefiel ihm. Mark war viel zu fröstelig zumute, als daß er noch lange gezögert hätte. Er mußte sein Feuerzeug rauskramen, um bei Nr. 17 das Klingelschild zu finden, dann drückte er entschlossen den schwarzen Knopf neben dem Namen Schneider. Er sah, wie in dem Altbautreppenhaus das Licht anging, hörte eilige Schritte ganz von oben runter. Dann öffnete sich die Tür und ein nicht allzu großer Mann mit zerzausten dunklen Haaren stand vor ihm, schaute ihn fragend an. „Hi, ähm, ich bin Mark Cantor, ich komme wegen der Wohnung, also mehr dem Zimmer in der Wohnung.“ Der andere war völlig verdutzt. „Woher weißt Du…?“ fragte er. „Hat Dir Clemens nicht gesagt, daß er mich vermittelt hat? Clemens Weiler, der an der Uni mit Dir zusammenarbeitet.“

Moritz zog es fast die Schuhe aus. Clemens Weiler, dieser aufgeblasene Idiot, den er im ganzen Kolloquium am meisten hasste. Sicher hatte er beim Bier mal erwähnt, daß er aus einem dauerhaften finanziellen Engpaß heraus würde ein Zimmer vermieten müssen. Aber seine Entscheidung, ob und wie hatte er noch gar nicht getroffen. Ganz nebenbei hatte er auch noch kein Zimmer freigeräumt. Und seit Professor Dünkermann seine statistische Erhebung so hervorragend fand und ihm einen Job an der Uni in Aussicht gestellt hatte, war dieser blöde Clemens erstens scheißfreundlich zu ihm und zweitens hatte sich aber die Vermieterperspektive schon fast zerschlagen. „Nein hat er nicht“, antwortete Moritz verdutzt. Dann fiel ihm aber gerade noch ein, den ungebetenen Gast hereinzubitten. Er hatte von der ersten Sekunde an etwas gegen ihn, allein schon weil er offensichtlich ein Bekannter von dieser Ekelperson war.

Sie gingen schweigend die Treppe hintereinander hoch, da können vier Stockwerke ganz schön lange werden. Oben angekommen erschien auf einmal ein nervöses Flackern auf Moritz Gesicht, noch nervöser als ohnehin schon, er kramte fieberhaft in den Taschen seiner Jeans, wusste, weiteres Kramen hat auch keinen Sinn mehr. „Ja, prima, jetzt hab ich mich auch noch ausgesperrt.“ stieß er zornig hervor. „Wieso?“ gab Mark zu Bedenken. „Du hast mir doch eben unten aufgeschlossen!“ „Ja, aber das war nur der Haustürschlüssel. Ich habe die Schlüsselbunde getrennt, weil ich, wenn ich Besuch erwarte, einfach den Schlüssel runterwerfe. Hier im Haus gibt´s nämlich fast nur Paranoiker und deswegen ist tags wie nachts unten abgeschlossen.“ Moritz war total genervt. Vor zehn Sekunden noch hatte er vorgehabt, den Besuch so schnell wie möglich abzufertigen, um sich wieder seinem PC zuzuwenden. Schließlich hatte er heute Abend auch der Versuchung widerstanden, zu einem Chansonabend im Mousonturm zu gehen, was er liebend gerne getan hätte. Er mußte, um morgen das Kolloquium zufrieden zu stellen, noch unbedingt die Passage über „Geschlechtsspezifische Differenzen in der Bewertung sozialer Sicherungssysteme“ fertigstellen.

Moritz knurrte die Haustür an und meinte dabei mindestens ebenso den fremden Störenfried und natürlich Clemens Weiler und überhaupt. Knurrte: “Na, und jetzt?“ Mark war zwar auch mittlerweile etwas irritiert, gab aber locker zu Bedenken: “Hat noch jemand einen Schlüssel? Ich meine, wo Du mal anrufen kannst.“ „Ja, Monika, das ist eine Ex von mir“, warum erzählte er das? “aber die kommt erst morgen nachmittag aus Holland zurück, da brauch ich jetzt nicht anzurufen.“ „Also gut“, sagte Mark, “es tut mir wirklich leid, dass das jetzt passiert ist, aber laß uns doch einfach da vorne in das Café gehen und erst mal quatschen, schließlich wohnen wir vielleicht bald zusammen.“ Ach Du grüne Neune, Moritz war von der Entwicklung weder erbaut noch in der Lage, ihr zu widersprechen. „Ich denke, Du meinst das Filou, da vorne an der Ecke, bringt mich zwar jetzt auch nicht weiter, aber von mir aus.“

Und so trabten sie los, Moritz zitternd, in seinem Baumwollhemd ohne Jacke drüber, Mark ohnehin forschen Schrittes. Sie öffneten die schwingende Eichentür zum Filou und traten in eine jetzt um sechs noch leere Kneipe. Hier machte man anscheinend auf Spanisch, die Inneneinrichtung und die an der Tafel angeschlagenen Speisenangebote waren danach. Mark steuerte unverdrossen einen kleinen Tisch an. Er hatte die Perspektive eines Umzugs zu diesem mißgelaunten Menschen schon aufgegeben, irgendwie war die Stimmung völlig daneben. Aber Sternzeichen Löwe, das er war, beschloß er gerade erst recht, jetzt um ein Zimmer zu kämpfen, das er noch nicht einmal gesehen hatte. Unlogisch, wie die meisten impulsgebenden Momente in seinem Leben. Moritz setzte sich hin und sein Blick war noch frostiger als das Gefühl in seinen Knochen. Der Kellner kam. Mark orderte schnell:“ Zwei Milchkaffee zum Aufwärmen für den Körper und zwei Rioja für die Seele.“ Er grinste.
Moritz hatte Milchkaffe noch nie leiden gemocht, und doch mochte er plötzlich fast die Situation. Unter Männern! Ja, unter Männern bestellte man einfach irgendetwas, ohne lang zu fackeln, kein Theater über Weiß- oder Rotwein, na gut, Schatz, dann ein Rosé, wie immer mit Monika. Nein man trank was der andere trank, dann noch mal das gleiche, und danach vielleicht was anderes.

Als der Kellner gegangen war, war es jetzt aber doch an der Zeit, die Situation offiziell zu eröffnen. Wie beim Schach. „Woher kennst Du Clemens“, entfuhr es Moritz. Mark zögerte. Er brauchte eine Bleibe. War es jetzt an der Zeit, ihm zu sagen, daß er Clemens noch aus der Zeit der unsäglichen Yuppie-WG kannte, ihn ziemlich abstoßend fand und nur zufällig auf der Zeil getroffen hatte? „Ich kenne ihn eigentlich nur flüchtig“, sagte er diplomatisch. „Hm, aber meine Adresse hat er Dir gegeben?“ „Ja sicher, die wußte er aus dem Kopf, und er hat gesagt, Du wärest sicher froh, wenn ich mich melde. Übrigens wie heißt Du eigentlich? Außer M Punkt. Mehr wurde mir nicht verraten.“ „Moritz“, er lächelte schwach. „Fast wie bei Wilhelm Busch“, sagte der andere, „ich wollte immer viel lieber Max als Mark heißen und neulich hat auch noch ein Mädchen in der Nachhilfestunde mich gefragt, ob ich jetzt Euro heiße.“ Moritz mußte lachen, das rieselnde Gefühl der Kaffe-Rotwein-Mischung war angenehm, aber Professor Dünkermann und die sozialen Sicherungssystme bekam er nicht aus dem Kopf. Je netter er die Situation fand, umso eher mußte er Einiges klarstellen: „Also, erstens ist Clemens Weiler alles andere als mein Freund, sondern ein Idiot, zweitens mischt er sich ein, denn ich habe mich noch gar nicht wirklich entschieden, ein Zimmer zu vermieten und drittens habe ich keine Ahnung wo ich jetzt heute nacht schlafe.“ Die erste Aussage beruhigte Mark, die zweite beunruhigte ihn und auf die dritte hatte er eine Antwort. „Naja, wenn Du magst, jetzt habe ich ja noch eine Bleibe, im Gallus, und eine Mitbewohnerin ist gerade in Guatemala. Du kannst in ihrem Zimmer pennen.“


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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2009

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