Das Schiff lag schon seit gestern auf dem Slip. Ich hatte mir da nicht so große Gedanken gemacht, warum es da lag, warum auch, es war ja nicht mein Schiff. Neu war es. So auf den ersten Blick schien auch nichts damit zu sein. Bolleck lief gerade vorbei und neugierig fragte ich ihn, warum das Schiff auf dem Trockenen lag, schließlich war es bis zum Winterlager noch lange hin.
»Taufe, Die Schiff taufe wollen.«
»Ach so, meinst du, es gibt Freibier?« Bolleck zuckte mit seinen Schultern.
»Nix wisse, Freibier. Groß Fest, Freibier?« Er lief weiter und ich schaute mir das Schiff noch mal an. Da gibt es bestimmt Freibier oder so ein Gläschen Blubberwasser oder sogar zwei. Ich lief weiter und kümmerte mich um meine eigenen Sachen.
Am nächsten Morgen, sehr früh am Morgen, es musste so kurz vor vier gewesen sein, tauchte die Frau des Jachtbesitzers auf. Wie ich später herausfinden würde, hieß sie Charlotte, natürlich war sie blond und vollbusig. Ob die Dinger, genau wie ihre Haare, echt waren, konnte man so nicht sagen. Stolz wie ein Pfau stieg sie aus ihrem Wagen. Ein Porsche, was sonst. Sie stolzierte mit ihren hohen Absätzen auf das Schiff zu, Ihr Schiff, um genau zu sein. Wie sie mit diesen Absätzen hier auf dem Gelände überhaupt laufen konnte, war uns allen ein Rätsel. Ihr Gesicht zeigte ein strahlendes Lächeln. Sie kam dem Schiff immer näher und knöpfte während dessen, lässig ihren Schal auf. Sie schüttelte ihre Haare. Langsam und bedacht lief sie um das Schiff herum. Ihr Blick verhärtete sich plötzlich, als er auf die Wasserlinie fiel, die, wie die meisten von uns wissen, weiß gestrichen ist. So auch hier. Nur dort, wo Charlotte hinschaute, war es grüngrau, oder graugrün. Vorsichtig näherte sie sich der Stelle und versuchte, den Fleck mit ihrem Tuch wegzuwischen. Sie wischte leicht darüber.
»Ihhh«, quiekte sie laut. Das freundliche Lächeln war abrupt verschwunden und eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Eine Zweite folgte, als sie noch mehr Flecken entdeckte.
Verzweifelt drehte sie sich ein paar Mal hin und her. Keine Ahnung, sie suchte etwas. Plötzlich lief sie mit resoluten Schritten Richtung Toiletten. Diese waren nicht nach Charlottes Geschmack. Vor einiger Zeit hatte sie einmal dieses zur Kneipe gehörende Örtchen benutzen müssen.
Es wurde gemunkelt, dass sie den Sitz mit mindestens vier Lagen dreilagigem Toilettenpapier abgedeckt hatte. Ein paar waren der Meinung, dass es sogar fünf Lagen gewesen waren. Willie, der Wirt, wusste nur soviel, dass er die Tage danach viel Zeit damit verbracht hatte, erst mal die Toiletten von der Verstopfung frei zu machen.
Charlotte holte tief Luft, als sie angewidert die Tür öffnete. Sie rannte hinein und griff schnell den Eimer und zwei Rollen Toilettenpapier, ließ heißes Wasser in den Eimer laufen, während sie selber draußen wartete und durch das Fenster zuschaute, wie der Eimer voll lief. Erneut holte sie Luft, rannte hinein und griff den vollen Eimer. Schnell lief sie zurück zum Schiff.
Es war kurz nach vier. Bis zur Taufe um zwölf war noch genügend Zeit. Zügig machte Charlotte sich daran, den Dreck vom weißen Wasserpass am Schiff weg zu wischen.
Kurz vor neun tauchte Albert, ihr Mann auf. Verwundert schaute er seine Frau an, die ziemlich ramponiert in ihrem Wagen saß.
»Schatz, was ist passiert?«, fragte er verwundert.
»Nichts, ich fahre kurz nach Hause, mache mich nur noch ein wenig frisch und dann bin ich gleich wieder da.«
»Wir fangen aber pünktlich an«, sagte Albert, der gerade das Catering Fahrzeug erblickte.
»Entschuldigung Schatz. Das Catering, ich muss sie einweisen.« Charlotte winkte nur, als sie mit durchdrehenden Reifen und einer Staubwolke vom Hof fuhr.
Bolleck kam auch gerade angelaufen und lief mit Albert mit, Richtung Cateringwagen.
»Herr van Daalen, ich habe fertig Schiff.«
»Moin, moin Bolleck«, sprach Albert und nahm Bollecks Hand und schüttelte sie herzlich, »wie geht es dir, ja danke, ich werde mich erkenntlich zeigen, aber du musst mich nun entschuldigen, ich hab noch viel zu tun.« Er ließ Bolleck stehen und lief weiter Richtung Cateringwagen. Bolleck blieb verwundert stehen und schüttelte seinen Kopf.
Ein älterer Herr kam vorbei und sprach Bolleck sofort an. Beide liefen in Richtung Bootsstege und verschwanden auf einem von diesen. Albert begrüßt nun endlich das Cateringteam und zeigte ihnen, wo sie aufbauen konnten. Er schaute kurz zu und begab sich dann in die Kneipe.
»Moin Willie, alles klar für den großen Tag?«
»Was für ein großer Tag, für mich ist das hier wie jeder andere Tag«, erwiderte Willie und reichte seine Hand über den Tresen. »Wie viele Gäste denkst du, werden so kommen?«
»Genug, mach dir da mal keine Sorgen.« Willie machte sich keine Sorgen. Warum auch. Das Essen war da. Julia und Inge kamen auch gleich und nur Getränke verkaufen und kein Essen zu machen, das war fast wie Urlaub für ihn.
»Ist Jockel da?«
»Du weißt doch Albert, unserer Hafenmeister ist nie da, wenn man ihn braucht, aber wenn es Freibier gibt ... Der taucht schon rechtzeitig auf. Sonnst hole ich ihn ab. Versprochen.«
»Naja, wenn du meinst. Ach da ist er ja schon.« Albert verschwand zügig nach draußen und rief Jockel. Der schien wohl schon auf den Weg zu ihm zu sein.
»Gibt es schon was?«, fragte er Albert und lugte über seine Schultern Richtung Kneipe.
»Ja gleich. Alles klar?«
»Was soll klar sein?«
»Na mit dem Slip. Das Schiff kann doch heute ins Wasser, oder?«
»Ja klar, wann gibt es dann was?«
»So um zwölf, wenn alle Gäste da sind.« Resigniert machte Jockel sich auf den Weg in sein Hafenbüro.
Stolz wie ein Pfau lief nun Albert um sein Schiff. Es war ein prachtvolles Schiff. Das sollte es auch, schließlich hatte ihn das gute Stück eine ziemliche Stange Geld gekostet. Aber was tut man nicht alles, um seine Frau glücklich zu machen. Vorsichtig strich er mit seiner Hand über den Rumpf. Was hatte Bolleck noch mal gesagt. Vierundzwanzig Stunden, bis die Farbe hart war. Er hatte das nicht so verstanden, aber schließlich musste er das auch nicht. Komisch dachte er sich, als er weiter mit seiner Hand über den Rumpf strich. Es schien wohl trocken zu sein.
Die Gäste kamen auch langsam und alle bewunderten das Schiff. Viele waren erstaunt über die Größe des Schiffes. Albert musste den meisten erklären, dass später, wenn das Schiff im Wasser lag, der Großteil daran nicht mehr zu sehen war, weil er unter Wasser war.
»Nur alles über dieser weißen Linie ist zu sehen.« Ein paar schienen es verstanden zu haben, andere wiederum immer noch nicht. Albert schaute nervös auf seine Uhr. Wo Charlotte nun wohl blieb? Gerade wollte er sie anrufen, als er das Röhren eines Motors hörte. Erleichtert schaute er zu, wie seine Frau aus ihrem Sportwagen glitt. Sofort begrüßt sie alle Gäste und kümmerte sich um jeden und alles.
»Ist es nicht ein prachtvolles Schiff«, sagte sie jedem, der es hören wollte. Bolleck schlich auch wieder herum und versuchte, die Aufmerksamkeit von Albert zu bekommen. Nachdem er ein paar Mal hinter ihm hergelaufen war, gelang dies auch.
»Herr van Daalen, ich hab Problem.« Albert schaute Bolleck an und war etwas verwundert, er wusste nicht, warum Bolleck zu ihm kam und von seinem Problem erzählen wollte.
»Ich weiß nicht, ob ich dir da helfen kann, Bolleck.«
»Ich gestern viel zu tun, jede was wollen. Spät fertig mit streichen fauling.«
»Antifouling, Bolleck. Antifouling.«
»Sag ich doch, spat fertig andi Fauling.«
»Aber, aber Bolleck, ist doch alles gut. Es ist trocken. Komm schau es dir selber an.« Beide Männer liefen zum Schiff und begutachteten den Rumpf. Albert strich vorsichtig mit seiner Hand über den Rumpf.
»Siehst du, es, klebt nicht mehr, somit muss es trocken sein. Wann ist es eigentlich ausgehärtet?« Bolleck strich nun auch vorsichtig über den Rumpf. Misstrauisch strich er sogar noch ein zweites und anschließend ein drittes Mal herüber.
»Komisch«, sagte er.
»Albert, was für ein prächtiges Schiff«, sagte eine Person, die mit ausgestreckten Händen auf Albert zulief,
»Niclas, wie schön dich zu sehen.« Er drehte sich kurz noch zur Bollleck,
»Scheint alles in Ordnung zu sein. Danke Bolleck.« Bolleck strich noch mal über den Rumpf. Er zuckte mit seinen Schultern und begab sich zur Bierausgabe. Er genehmigte sich dort gleich eins.
»Bolleck, alles klar zum Slippen.« Es war Jockel, der Hafenmeister. Jockel griff gleich das Bier aus Bollecks Händen.
»Kein Bier bei der Arbeit, schau lieber mal nach, ob alles in Ordnung ist mit der Winde.« Bolleck wollte protestieren.
»Wir können uns kein Malheur erlauben, jedenfalls nicht mit so einem Schiff drauf. Na los, geh hin und schmier irgendetwas. Hauptsache du schaust beschäftigt aus.« Jockel scheuchte Bolleck weg. Resigniert schlich Bolleck zur Winde. Jockel kippte schnell das Glas Bier in seinen Rachen, wischte den Schaum ab und folgte Bolleck zur Winde. Beide tuschelten miteinander und Jockel schien plötzlich aufgeregt zu sein. Irgend etwas hat die beiden gestochen. Schnell liefen sie zum Slip und schauten sich den Rumpf genau an. Langsam und bedacht umrundeten sie das Schiff und blieben Achtern stehen. Erneut tuschelten die beiden aufgeregt miteinander. Albert hatte den ganzen Vorgang aus dem Augenwinkel betrachtet und war nun neugierig geworden. Auch er lief nach Achtern, ließ zwei Gäste stehen und grüßte noch schnell einen Neuankömmling, den er aber dezent Richtung Catering bugsierte.
»Was habt ihr beiden?«, fragte er neugierig. Jockel stieß Bolleck seinen Ellenbogen zwischen die Rippen.
»Umpf, ja … Herr van Daalen. Ich nicht verstehen, aber andi faul.« «Antifouling.« »Ja Andi Fauling, weg, nix da.« Bolleck zeigte mit seinen Fingern auf den Rumpf. Albert verstand nur Bahnhof. »Noch mal. Aber jetzt du Jockel.« Jockel schien nach den richtigen Worten zu fischen und hatte seine Hände auf dem Rücken verschränkt. Mit einem Fuß malte er im Sand einen Kreis.
»Jockel? Was ist mit dem Antifouling?«
»Wir wissen es nicht, aber es ist über Nacht verschwunden, mehr kann ich auch nicht sagen, soll ich die Polizei rufen?«
»Polizei?« Albert schüttelte verwirrt seinen Kopf. »Was soll die denn jetzt hier machen?« Darüber hatte Jockel noch nicht nachgedacht.
»So, nun noch mal für mich, zum mitschreiben. Du«, er zeigte dabei auf Bolleck, »hast doch das Antifouling gestern drauf gestrichen, oder?« Bolleck nickte, Jockel auch.
»Und nun ist das Antifouling weg?« Beide nickten erneut. Albert strich über den Rumpf. Er beugte sich vor und schaute den Rumpf nun genau an.
»Ihr beiden meint, es sei nicht ausgehärtet.« Beide schüttelten ihre Köpfe. Er konnte sich diesen Vorfall nicht erklären. »Wisst ihr, was das gekostet hat? Bolleck, du hast doch das Zeug richtig zusammengemischt?«
»Ja, ich hab das Ganze genau so gemischt, wie es auf der Packung stand«, sagte Jockel.
»Gut es war schon spät, aber es sollte bis neun trocken und hart sein.« Albert legte seine Hand erneut auf den Rumpf und lief langsam nach vorne. Vorne angekommen wechselte er seine Hand und lief wieder nach Achtern. Die beiden Hafenangestellten folgten ihm auf Schritt und Tritt.
»Das versteh ich nicht. Davon ist nichts mehr von da.«
»Ich doch sage«, murmelte Bolleck.
Albert schaute auf seine Uhr. Es war kurz vor zwölf. Gleich sollte er eine Ansprache halten und das Schiff sollte mit einem Schampussegen zu Wasser gelassen werden.
»Was mach ich nun?«, fragte er die beiden. Beide zuckten mit ihren Schultern.
»Soll ich nicht doch lieber die Polizei rufen?«, fragte Jockel erneut. Albert wollte gerade noch etwas sagen, als Charlotte auf die Drei zu kam.
»Albert wollen wir nicht anfangen. Ich glaube, die Gäste warten schon.« Verzweifelt schaute Albert Jockel an. Der winkte panisch ab.
»Ja, Schatz du hast recht. Ich wollte gerade anfangen, ich muss nur noch die letzten Details mit Jockel besprechen. Wir wollen doch nicht das etwas daneben geht, oder?« Charlotte schwenkte ihr Sektglas den Herren zu.
»Das stimmt, aber beeil dich. Dokter Nolte hat noch einen Termin und muss dringend weg.«
»Ja gleich, trommel sie schon mal alle zusammen und sage der Technik, dass ich sofort komme.« Er drehte sich zurück zu den beiden.
»Keine Polizei, wir lassen das Schiff heute zu Wasser und holen es, wieder aus dem Wasser, wenn alle wieder weg sind. Dann überlegen wir weiter.«
»Das geht nicht, Ingo muss heute noch mit seinem Schiff raus. Er hat irgendwo ein Leck, das muss geflickt werden.«
»Wie lange braucht der?«
»Keine Ahnung?« Albert erhob seine Hände Richtung Jockels Hals, als wollte er ihn erwürgen.
»Albert, wir sind soweit«, rief Charlotte ihm zu.
»Gut wir sprechen morgen noch mal darüber.«
Albert begab sich zu einem kleinen Podest, das ein paar Meter vor dem Schiff aufgebaut war, stieg hinauf und klopfte auf das Mikrofon.
»Verehrte Gäste, liebe Freunde. …«
Albert war nicht so bei seinem Text, aber gekonnt sagte er die Sätze auf. Schließlich war er geübt im Reden halten. Nein, seine Gedanken waren immer noch bei dem Antifouling. Wo war es? Wer hatte es abgemacht, war es wirklich drauf gewesen, so wie die beiden gesagt hatten. Diese Fragen brannten ihm auf der Seele.
»Und hier mit, wenn ich bitten darf,« er winkte Charlotte heran. »Taufen wir das Schiff auf den Namen Blue Daale.« Charlotte zog an einer Kordel und löste einen Mechanismus aus. Eine Schampusflasche schlug gegen den Rumpf, zersprang und der Champagner floss am Rumpf hinunter.
Albert hob seine Hand und winkte Jockel zu. Dieser gab wiederum Bolleck Bescheid und dieser ließ die Winde an.
Langsam aber sicher bewegte sich das Schiff auf sein Element, das Wasser zu. Leute applaudierten und beglückwünschten die beiden. Nachdem das Schiff sicher vertäut am Steg lag und auch die meisten Gäste nun weg waren, machten Jockel und Bolleck sich auf den Weg zu den beiden Schiffseignern.
»Gratulation Herr und Frau von Daalen«, beglückwünschte Jockel und hatte dabei sogar seine Mütze abgenommen, als er Charlotte die Hand reichen wollte.
»Danke Jockel«, sagte sie und griff gleich kräftiger den Arm ihres Mannes und schmiegte sich an seine Schulter.
»Ist es nicht ein prachtvolles Schiff?«
»Ja«, kam es aus drei Mündern.
»Du weißt ja, dass ich ziemlich aufgeregt war, nicht wahr Schatz?« Es stimmte, Albert war die Ruhe in Person, Charlotte dagegen rannte schon Tage vorher wie ein aufgescheuchtes Huhn herum. Gut, sie hatte sich um fast alles gekümmert. Das Catering, die Gästeliste. Das Podest, Champagner und, und, und. Dies alles war Albert nicht entgangen.
»Ja, das hast du toll arrangiert, mein Schatz.« Er küsste sie auf ihre Stirn.
»Gut, dass ich heute Morgen so früh wach geworden bin und noch mal nach dem rechten gesehen habe.«
»Warum?«, fragte Albert neugierig seine Frau.
»Das Schiff war so schmutzig. Da waren so Flecken, auf dieser weißen Linie um das Schiff herum, verstehst du?« Albert kam nicht ganz mit und wunderte sich.
»Wann warst du denn hier?«
»Um vier. Da habe ich Putzzeug besorgt und versucht die Flecken weg zu kriegen. Dabei habe ich gleich dieses eklige Schmierzeug, was auf dem Rumpf war, weg gewischt.«
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2013
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Danke an Gunda für die Korrektur und ihr Geduld.