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Kostprobe

Er packt mich fest und zerrt mich eng an sich heran. Unsere Oberkörper berühren sich und ich weiß genau, er wird sich holen, was er verlangt.

„Ich will dich, Jonas. Jetzt und hier.“ Seine Stimme ist so warm, so gierig. Gierig nach meinem Körper. Leise stöhne ich auf und schlinge meine Arme um seinen Hals. Sein verführerisches Lächeln gilt nur mir und als sich sein Mund auf meinen drückt, empfange ich seine feuchte Zunge nur zu gern. Ich fühle, wie er meine Hose öffnet und darauf ohne Zurückhaltung fordernd meine empordrängende Erregung umgreift. Auf und ab reibt seine kräftige Hand meine intime Haut und wir beide wissen, dass es dabei nicht bleiben wird. Ich will endlich ihm gehören!

„Marius, dürfen wir das?“, frage ich flüsternd, doch eine ehrliche Antwort will ich nicht. Mein Atem fügt sich hechelnd in meine Worte ein. Warm spüre ich seine Nähe und das anfangs sanfte Pulsieren in meinem Schritt nimmt an Dringlichkeit stetig zu. Da höre ich ein leises Klopfen im Hintergrund, doch ich ignoriere es. Er ist wichtiger. Mit seiner freien Hand streift er sich das helle T-Shirt vom Körper und sofort drängen meine Lippen an seine imposanten Muskeln. Dieser verführerische Leib, die helle Haut. Wie ein verbotener und in Marmor verewigter Wunsch, männliche Perfektion. Ewig schon lockt er mich und …

Wieder ein Klopfen, lauter, und ich höre jemanden meinen Namen rufen.

„Jetzt mach schon, Jonas! Wir warten auf dich!“

Entnervt raune ich auf und nehme meine Hände von mir. Nun kann ich es auch vergessen! Ich öffne die Augen und liege wieder in meinem Zimmer, in meinem Bett. Allein. Ich blicke an mir herunter und erkenne bereits, wie meine Erregung schwindet. Verdammter Mist!

„Jetzt hör schon auf, an Titten zu denken, und beeil dich!“ Meine Schwester klingt gereizt. Aber so redet sie eigentlich immer mit mir. Sie ist fast fünf Jahre älter als ich und manchmal benimmt sie sich, als wäre sie etwas Besseres. Ich verdränge die Bilder in meinem Kopf und versuche, nicht weiter an ihn zu denken. Obwohl es mir schwerfällt, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ist ja gut! Ich komme runter!“

„Aber heute noch! Wir wollen essen!“

Ich höre, wie sie endlich die Treppen nach unten geht. Tief atme ich mehrmals ein und aus und brauche noch einen Moment, bevor ich mich erheben kann. Müde bewege ich meine Beine und lasse sie langsam über den Rand des Bettes gleiten. Ich habe eigentlich keinen Hunger, dies ist eh selten der Fall. Und nicht nur einmal hat mich Sabrina, meine Schwester, damit aufgezogen, dass mein fehlender Appetit meine Körpermaße nicht gerade verbessern wird. Auch wenn ihre Worte bewusst verletzender waren. Klappergestell, das ist ihr Spitzname für mich. Leicht niedergeschlagen seufze ich aus und lege meine linke Hand auf meine nackte rechte Schulter. Deutlich fühle ich mein Schlüsselbein und das Schulterblatt. Klappergestell, im Grunde hat sie ja recht.

Ich greife nach meiner Boxershorts und meiner Jeans. Ich sollte mich wirklich beeilen, bevor sie auf die Idee kommt, noch einmal an meine Tür zu klopfen. Und ich bin besonders dankbar, dass ich daran gedacht habe, die Tür zu verschließen. Zum Glück zieht sie ja bald aus. Wird aber auch Zeit. Ihr Studium ist seit mehr als einem halben Jahr beendet. Ich streife noch eines der alten Shirts über, die ich am Boden finde, und meide den Blick in den Spiegel. Doch als ich mir darauf im Bad die Hände wasche, kann ich meinem eigenen Ich nicht entkommen. Mein Haar ist leicht fettig und sicher könnte ich auch mal wieder zum Friseur. Aber ich habe einfach keine Lust, warum soll ich auch? Eigentlich ist es doch egal. Und als ich auch noch einen neuen Pickel seitlich von meiner Nase entdecke, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir selbst die Zunge entgegen zu strecken.

Mit leicht schlabberigen Socken steige ich die Treppe herunter und höre sie bereits reden. Mein Vater lacht und die Stimmung scheint ausgelassen zu sein. Geschirrklappern ist zu hören, es wird wohl schon aufgetan. Als ich um die Ecke trete und für alle sichtbar im Esszimmer stehe, trifft mich fast der Schlag. Wir essen nicht allein. Er ist hier … Marius … der Freund meiner Schwester!

„Da bist du ja, mein Schatz. Setz dich, ich habe dir auch extra viel Soße auf den Kartoffelbrei getan.“ Meine Mutter behandelt mich, als wäre ich noch zwölf. Schamerfüllt bringe ich keine Begrüßung hervor und meide seinen Anblick. Gott, es ist mir ja so peinlich. Ich sehe aus wie aus der Mülltonne gezogen und er scheint vom Licht umstrahlt zu werden. Natürlich sitzen wir uns auch noch ausgerechnet gegenüber. Ich setze mich leise, muss auch den Stuhl nicht nach hinten rücken, um Platz zu finden. Fürsorglich gießt mir meine Mutter auch noch Eistee in mein Glas. Alles mit Zucker, damit ich endlich mal zunehme. Und nachdem ich Fruchtsäfte nicht leiden kann und mir von Kohlensäure schlecht wird, bleibt nur dieser Weg.

„Danke“, murmle ich kaum hörbar und greife nach dem Eistee.

„Na, Jonas, alles fit im Schritt?“

Ich verschlucke mich an meinem Getränk und huste etwas von dem Eistee auf die Tischdecke. Marius‘ Frage kam so unerwartet und direkt. Die Anstrengung vom Husten überdeckt hoffentlich meine Schamesröte und mein Vater klopft mir helfend auf den Rücken. Sabrina fängt an, mich auszulachen, und ich habe das Bedürfnis, im Boden zu versinken.

„Geht schon wieder, Papa.“ Ich hebe die Hand, damit er aufhört, mir so kräftig ins Kreuz zu schlagen. Mein Vater ist Karatelehrer mit eigenem Sportstudio und manchmal vergisst er, wie kräftig er ist.

„Sicher, mein Junge?“ Er hat mich nie nachteilig behandelt, aber manchmal denke ich, er hält mich für krank. Ich räuspere mich noch einmal kurz.

„Ja, sicher.“

„Jetzt esst endlich, sonst wird alles kalt.“ Zum Glück versteht wenigstens meine Mutter, ein wenig von mir abzulenken. Oh Gott, wie beschissen kann der Tag noch werden?

„Also, ihr habt eine Wohnung gefunden, ja?“, wendet sich mein Vater Essen kauend an meine Schwester. Doch Marius ist es, der antwortet.

„Ja, eine Dreizimmerwohnung. Das Bad ist frisch saniert und wir haben auch einen Garagenstellplatz.“

„Könnt ihr euch das denn leisten?“ Eine Frage, die sicher als erstes von besorgten Eltern kommt. Ich stochere derweil in meinem Kartoffelbrei und fühle so gar keinen Drang, ihn auch in meinen Mund zu befördern. Seine Stimme, Marius‘ Stimme, lenkt mich ab und ohne in seine Richtung zu gucken, fühle ich mich doch ganz nah.

„Er hat doch jetzt den Werbevertrag unterschrieben, Papa. Du weißt schon, für das Sportgetränk.“ Ich höre förmlich, wie der Stolz in der Stimme von Sabrina mitschwingt. Seit mehr als einem Jahr sind sie ein Paar. Sie haben sich in der Universität kennengelernt, der Sportstudent und die Eventmanagerin. Wie passend und klischeehaft.

„Kann man denn davon lange leben?“, fragt schließlich auch meine Mutter.

„Ich habe ja sicher auch bald einen Job. Ich habe euch doch schon von der Agentur erzählt, bei der ich demnächst ein Praktikum mache. Und Marius steht doch erst am Anfang seiner Karriere.“ Jetzt wird Sabrinas‘ Tonlage langsam trotzig und Marius steht ihr bei.

„Letztes Jahr wurde ich achter. Diesmal könnte es vielleicht ein Platz auf der Siegertreppe werden. Ich bin in guter Form. Und dann folgen mehr Angebote und ich komme eventuell in den Olympiakader.“

Oh ja, du bist in guter Form, denke ich nur für mich. Fünfkämpfer, was für ein seltsamer Beruf. Springen, werfen, laufen. Aber in meiner Familie ist es ja nicht ungewöhnlich, mit Sport sein Geld zu verdienen. Wobei ich jedes Jahr erneut eine Ausrede finden muss, warum ich nicht an den Bundesjugendspielen teilnehmen kann. Doch darüber muss ich mir bald keine Gedanken mehr machen, wenn ich demnächst meine Abiturprüfung ablege.

„Wir wollen es euch ja nicht miesmachen, nur auf die Gefahren hinweisen. Übernehmt euch nicht mit der ersten Wohnung. Aber wir sind froh, dass ihr was Nettes gefunden habt.“ Meine Mutter beschwichtigt die beiden, denn das aufbrausende Gemüt meiner Schwester ist uns allen bekannt.

„Wir machen dann auch eine Einweihungsparty. Eine für Freunde und eine für die Familie, da müsst ihr dann vorbeikommen.“ Meine Schwester feierte schon immer lieber, als dass sie sich Sorgen machte.

„Wann ist denn der Umzug? Klappt das mit unserem Urlaub denn? Ihr sollt doch auf das Haus aufpassen.“ Meine Eltern wollen in zwei Wochen verreisen und haben Sabrina und Marius angeboten, gemeinsam im Haus zu wohnen.

„Ich bin doch auch da“, merke ich an, doch der Blick meines Vaters sagt mehr als tausend Worte.

„Du bist doch erst seit letztem Monat volljährig, Jonas.“

Doch dieses Argument meiner Mutter ist nicht wichtig, die Augen meines Vaters bringen mich eher wieder zum Verstummen. Ja, das kleine, mitleiderregende Würstchen kann nicht auf das Haus aufpassen und wohl auch nicht auf sich selbst. Und gegen die aufkeimenden Selbstzweifel kann auch Marius‘ weiche Stimme nicht helfen.

„Das ist kein Problem, das geht. Die Wohnung kann erst im Juni bezogen werden, wir haben noch Zeit.“

„Wir helfen euch dann auch, das ist ja selbstverständlich.“

„Danke, Rainer.“ Marius und mein Vater sind per du und meine Eltern hören sicher schon bei den beiden die Hochzeitsglocken läuten und Babyschritte auf dem Flur. Ätzend. Einfach ätzend.

 

„Der Feuerlöscher ist in der Vorratskammer. Wir haben euch Geld in die Vitrine gelegt und die Nachbarin hat auch einen Schlüssel, falls etwas ist.“

Mein Vater stellt gerade die Koffer vor die Haustür, denn gleich werden die beiden mit dem Taxi zum Flughafen gebracht. Übervorsichtig, wie meine Mutter nun ist, hat sie für alle Notfälle vorgesorgt.

„Neben dem Telefon liegt eine Liste mit den wichtigsten Nummern. Und nicht vergessen, am Dienstag kommt die Müllabfuhr.“

„Ist schon gut, Mama. Wir schaffen das schon. Macht euch mal ein paar schöne Tage.“

Sabrina redet auf sie ein, manchmal muss meine Mutter daran erinnert werden, wie alt wir schon sind. Wir drei stehen neben der Haustür und warten auf den Abschied. Meine Schwester, ich und … Marius.

„Ach, Kind, ich weiß ja. Nehmt es mir nicht übel. Und seid nicht traurig, dass wir Ostern nicht zusammenfeiern, ja?“ Sie umarmt uns beide nacheinander fest und auch das Taxi biegt endlich in die Straße ein.

„Haben wir alles, Liebling?“, fragt mein Vater mit Blick auf die Taschen.

„Meine Handtasche noch, dann können wir.“

Letzte Küsse und Umarmungen, dann sind sie endlich fort. Doch für mich werden es zwei anstrengende Wochen werden. Sicher werden sie sich nicht zurückhalten. Und die beiden durch die dünnen Wände stöhnen zu hören, beschert mir jetzt schon Albträume.

„Ich bin dann auf meinem Zimmer“, sage ich nur und plane mal lieber ausgiebige Computerspielrunden, anstatt nervige Auseinandersetzungen mit den beiden.

„Glaub ja nicht, dass ich dich bekoche, Klappergestell. Das kannst du schön allein machen. Lerne mal, zu leben.“ Das keifende Genöle meiner Schwester, doch ich antworte gar nicht erst. Ich drehe mich bereits zur Treppe und höre nur, wie Marius zu ihr redet.

„Jetzt nenne ihn doch nicht immer so.“

„Aber es stimmt doch!“

„Es ist trotzdem nicht nett.“

„Verteidigst du ihn jetzt? Ich dachte, du bist mein Freund?“

„Das bin ich doch auch … komm her, kleine Hexe!“

Dann höre ich nur noch das wilde Knutschen und verdrehe die Augen. Na wunderbar, es fängt schon an.

 

Tage- und nächtelang verkrieche ich mich in meinem Zimmer. Zu allem Überfluss sind auch noch Ferien und ich weiß nicht recht, was ich tun soll. Seit mein bester Freund vor drei Jahren weggezogen ist, fällt es mir schwer, wieder Anschluss zu finden. Ständig reden die Kerle über Weiber und Sex in meiner Klasse. Sie geben mit ihren ersten Autos und den tollen Bettgeschichten an. Und ich ertrage kaum ihre prollige Art. Meinem Freund konnte ich damals sagen, dass ich schwul bin und es war kein Problem. Doch jetzt? Jetzt liege ich mehrmals täglich heimlich in meinem Bett und befriedige mich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Natalie Elter
Bildmaterialien: © Knut Wiarda - Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 18.04.2014
ISBN: 978-3-7438-8158-7

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