Ich drehte mich im Kreis und genoss das Gefühl des Schwindels, als ich meinen Kopf hob und die Augen schloss. Dann ließ ich mich fallen und lag mit dem Rücken auf der Wiese. Die Sonne schien auf mich herab, durch meine Augenlider hindurch und färbte diese rot. Es roch überall um mich herum nach Blumen und ich war mir sicher, dass mein schönes gelbes Sommerkleidchen Grasflecken am Rücken hatte. Mir konnte es jedenfalls egal sein. Ich liebte die Natur, da konnte ich ja ein Stück von ihr an mir mit nach Hause nehmen, dachte ich mir und fing an zu grinsen, als ich mir das Gesicht meiner Mami bei meinem Anblick vorstellte. Vorsichtig öffnete ich die Augen und als ich mich von der Sonne geblendet zur Seite rollte, sah ich sie. Dort, in den Tiefen des Waldes, weit von der Lichtung entfernt auf der ich mich befand, sah es so aus, als würde die wunderschöne junge Frau schweben. Ich hatte sie noch nie hier in der Gegend gesehen, eine Fremde…was sie wohl hier tat? Ich erblickte sie immer nur einen kurzen Moment zwischen den Bäumen, doch trotzdem hielt mich ihr Anblick gefesselt. Sie hatte leuchtend silbernes Haar, das ihr offen über den Rücken fiel, noch nie hatte ich einen so jungen Menschen mit silbernem Haar gesehen. Schon aus weiter Ferne erkannte ich, dass diese Frau kein normaler Mensch sein konnte. Sie war zu schön, zu elegant in ihren Bewegungen und zu mysteriös. Außerdem spürte ich etwas Dunkles, das von ihr ausging. Nun da ich es spürte, glaubte ich es sogar zu sehen. Ich kniff die Augen zusammen und nahm neben dem weißen Schimmern ihrer Haut auch einen schwarzen Nebel wahr, der ihre Gestalt umhüllte. Ich bekam Gänsehaut. Dann plötzlich verschwand das schöne Geschöpf hinter den dichten Bäumen und ich schnappte erschrocken nach Luft. Nein, sie sollte nicht gehen! Ich wollte sie noch weiter bewundern! Mit zitternden Knien stand ich auf und lief in die Richtung in der sie verschwunden war. Meine kurzen Beine trugen mich jedoch nicht schnell genug und ich bekam Angst, sie vielleicht nie mehr finden zu können. Mit rasselnden Atemzügen zwang ich meinen kleinen Körper weiterzulaufen und stolperte gelegentlich. Der Wald dichtete sich immer mehr und schon bald, lief ich im Halbdunkel umher, mich an einzelnen Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen brachen, orientierend. Verzweifelt schlug ich mich durch das Dickicht und klammerte mich an die Hoffnung die schöne Frau könnte mich finden und mich aus dem Wald führen. Ich blieb stehen und sah mich um. Ich wusste nicht wo ich war. Ich war verloren! Meine Lippen zitterten und einzelne Schluchzer durchzuckten mich. Von Nahem hörte ich etwas knacken. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich in alle Richtungen. Nichts. Meine Mami hatte mir einmal erzählt, dass wenn man große Angst hatte, das Gedächtnis einem manchmal Streiche spielte.
„Mami.“, schluchzte ich mit piepsiger Stimme und wieder liefen mir Tränen über die geröteten Wangen. Als ich meinen Blick wieder hob, stand dort jemand. Kurz durchzuckte mich Erleichterung, doch dann sah ich in sein Gesicht und musste feststellen, dass es nicht die schöne Frau war, nach der ich gesucht hatte. Es war ein Mann. Mit unverhohlener Bewunderung starrte ich in sein schönes Gesicht. Er hatte schimmerndes, silbernes Haar, das von seinem Kopf abstand. Er war ein sonderbares Geschöpf, wie die Frau, doch bei ihm war etwas anders. Nicht nur fiel mir seine violette Augenfarbe auf, er schien keinen dunklen Nebel um sich herum zu haben. Ich machte große Augen, als er zu mir herablächelte. Er sah nicht sehr freundlich dabei aus, dennoch hatte ich keine Angst vor ihm, obwohl ich es vielleicht haben sollte.
„Hey Kleine, warum heulst du denn?“, fragte er und legte den Kopf schief. Noch immer starrte ich ihn an. Er verdrehte die Augen. „Kannst du überhaupt sprechen?“ Ich nickte. „Ah…also?“
„Ich bin Lucia.“ Meine Stimme hörte sich zittrig an. Er kniete sich vor mich, damit wir auf Augenhöhe waren und sah mich prüfend an.
„Hmm…“ Verwirrt sah ich ihn an. Was machte er? „Ich rate mal…du hast dich verlaufen?“, fragte er nach einer Weile und grinste, als ich beschämt nickte. „Wusste ich’s doch! Da fragt man sich nur, was so ein kleines Mädchen wie du hier macht? Dieser Wald ist gefährlich Kleine.“
„Ich hab-!“ Plötzlich richtete er sich auf und starrte in die Dunkelheit neben uns. Die Bäume versperrten mir die Sicht auf etwas, was ihn wohl beunruhigte.
„Kleines, du solltest verschwinden. Geh immer da lang, verstanden?“, er zeigte in die entgegengesetzte Richtung, in die er sah. Noch immer starrte er mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit.
„Aber-!“ Woher sollte ich wissen, wo lang es ging. Er zeigte mir den Weg ja, aber allein wollte ich nun auch nicht mehr sein. Tränen liefen mir wieder übers Gesicht. „Ich will nich allein gehen!“ Und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Mit zusammengepressten Lippen und gerunzelter Stirn sah er mich wieder an.
„Na gut.“ Seufzte er dann, zog mich am Kragen meines Kleidchens hoch und lief.
„Aaaah!“, schrie ich vor Schreck und wunderte mich über seine Schnelligkeit. Dann waren wir im helleren Teil des Waldes angekommen, wo die Bäume weiter auseinander standen und die Sonne mir den Weg zum Waldrand zeigte. Vorsichtig stellte er mich wieder ab und sah hinter sich. Als ich meinen Blick ebenfalls hinter uns schweifen ließ, bekam ich wieder Gänsehaut. Der Wald sah noch viel gefährlicher aus als vorher und komischerweise spürte ich wieder diese dunkle Präsens, die mir Angst einjagte. Mit geweiteten Augen sah ich zu dem Mann hoch, der mich gerettet hatte. Dieser beachtete mich nicht und ging zurück in den Wald, ohne ein Wort zu sagen.
„Danke!“, rief ich ihm noch hinterher und schon war ich wieder allein. Hätte ich nicht die Gewissheit, dass ich mich verlaufen würde, wäre ich ihm wahrscheinlich nachgelaufen, doch ich entschied mich anders und lief aus dem Wald nach Hause, mit den Gedanken noch immer im Wald.
-10 Jahre später-
„WAS?!“ Noch bevor jemand etwas erwidern konnte, kramte ich in meinen Taschen nach meinen Unterlagen und murmelte verzweifelt alles vor mich hin, was ich von der letzten Geschichtsstunde behalten hatte.
„Lucia wir haben dich alle immer wieder daran erinnert, es ist deine eigene Schuld, wenn du die Klausur vergisst!“, meckerte Aimee und verschränkte missbilligend die Arme vor der Brust, als ich mir schon kleine Zettelchen mit Notizen machte. Ohne Spicker würde ich die Klausur unmöglich überleben! Kira sah mich zweifelnd von der Seite an.
„Ich hab dich doch vorgestern angerufen und dir gesagt, dass wir heute schreiben. Lucia du solltest dich mal echt testen lassen…“ Ich lachte kurz auf, doch bei ihrem Gesichtsausdruck hielt ich ungläubig inne.
„Das meinst du ernst oder?!“ Sie zuckte mit den Schultern. Kopfschüttelnd schrieb ich schnell weiter. Meine eigenen Freunde zweifelten an meiner geistigen Gesundheit! Naja. Wenn ich so daran dachte, musste ich mir schon eingestehen, dass ich seit Schuljahresbeginn mit der Schule auf Kriegsfuß stand. Zusätzlich vergaß ich ständig etwas. Egal ob Termine, Hausaufgaben oder –grr- Klausuren. Gerade als ich meine Spicker in mein Etui stopfte, kam unser Lehrer in die Klasse geschwebt und dirigierte meine Mitschüler auf ihre Plätze.
„Ihr hattet genügend Zeit um euch auf unsere heutige Klausur vorzubereiten, also erwarte ich von jedem von euch eine gute Note. Ihr habt ab jetzt 45 Minuten Zeit. Viel Glück.“
Anschließend verteilte er de Klausuren und bedachte mich mit einem >Wehe du vergeigst es wieder Pierce< -Blick. Na toll, dachte ich mir und biss die Zähne zusammen.
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Verstohlen fingerte ich in meinem Etui nach der richtigen Antwort. Wie ich mir schon gedacht hatte, hatte ich keine Ahnung von Geschichte. Die Spicker halfen nur wenig und da ich mich nicht erwischen lassen durfte, musste ich Pausen zwischen dem Spicken machen, damit er nicht kam und mich fragte, ob ich einen Stift bräuchte. Das hieß, dass ich planlos auf meinen Zettel starrte und am Rand Comicfiguren malte.
„So!“, viele fuhren zusammen bei dem verstörenden Klang seiner lauten Stimme, nach der ganzen Stille. „Die Zeit ist abgelaufen. Gebt die Zettel nach vorn bitte.“ Mit zusammengepressten Lippen drehte ich mich zu Aimee die hinter mir saß und mir die Klausuren von der Reihe hinter ihr gab. Sie sah mich besorgt an. Ich schüttelte nur den Kopf und gab die Zettel plus meiner Klausur, meinem Nachbarn vor mir weiter.
„Gut ihr könnt gehen. Einen schönen Nachmittag wünsche ich euch noch.“, meinte unser Lehrer und ich stand mit müden Gelenken auf. Als ich die Schule verlassen hatte, seufzte ich auf.
„Lucia warte!“, riefen Aimee und Kira mir hinterher. „Wie ist es gelaufen?“ Ich ließ den Kopf hängen.
„Fragt bitte nicht.“, würgte ich und schlurfte weiter. Kira und Aimee hakten sich links und rechts bei mir ein und zogen mich mit zum Eingangstor der Schule.
„Wie schön, wir haben morgen Samstag!“, frohlockte Kira und Aimee nickte wild. „Wollen wir was unternehmen?“
„Klar, ich muss echt mal wieder raus aus dem Haus, meine Eltern machen mich fertig.“, sagte ich böse und erinnerte mich an heute Morgen, als meine Eltern sich wieder einmal über meine Noten und meine Launen beschwerten. Immer mussten sie an etwas rummäkeln.
„Lasst uns doch Eis essen gehen, ich hatte so lange keins mehr!“, rief Kira überschwänglich und ich musste grinsen. Kira war immer so optimistisch, egal bei was. Sie konnte umgeben sein von deprimierten Pessimisten, sie war immer glänzender Laune.
„Aber Kira, du weißt doch, dass ich auf meine Linie achten muss, da kann ich nicht so mir nichts dir nichts ein Eis verdrücken!“, meckerte Aimee, unsere Meckertante. Nicht, dass sie eine Diät wirklich nötig hätte, doch trotz der ganzen Komplimente mit denen wir sie ködern wollten, war sie Felsenfest davon überzeugt, dass sie zu viel auf den Hüften hatte. Was für ein Schwachsinn!
„Aimee ein Eis wird dich ja wohl nicht ins Verderben stürzen.“, meinte ich leicht angesäuert. Wie oft hatten wir schon mir ihr darüber diskutiert? Wie oft hatten wir ihr eingebläut, dass sie schön war, wie sie war und sich nicht mit Verzicht auf leckeres Essen abquälen musste. Ich seufzte, als sie wieder damit anfing die Kalorien verschiedener Desserts aufzuzählen. Kira und ich sahen uns an und verdrehten gleichzeitig die Augen, woraufhin wir anfingen zu lachen.
„Hab ich was verpasst?“, fragte Aimee überrascht und sah zwischen uns hin und her.
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Ich schloss die Tür auf und schleuderte meine Schuhe in die Ecke.
„Bin Zuhause!“ Keine Antwort. Dann war ich wohl wieder einen Abend allein. Meine Eltern leiteten beide ein Programmier-Unternehmen, das Sachen wie Firewalls und Internetseiten programmierte. Ich interessierte mich nicht das Geringste für ihre Arbeit, was meine Eltern wiederum nicht sehr erfreute. Sie erwarteten, dass ich ihr Unternehmen weiterführte, doch ich hatte nicht den Kopf für so was. Ich wollte lieber etwas Kreatives machen. Am liebsten wäre ich Künstlerin und wollte dafür auch auf eine Kunstakademie gehen. Meine Eltern dachten nicht mal daran mein Studium („So etwas Banales!“) zu bezahlen, solange ich kein Jura oder Medizin studierte. Bei der Erinnerung an unser letztes (katastrophales) Gespräch über meine Zukunftspläne verzog ich das Gesicht und knallte die Kühlschranktür zu, aus der ich soeben einen Joghurt genommen hatte. Mit hängenden Schultern ging ich in das angrenzende Wohnzimmer und ließ mich auf unsere große Couch plumpsen. Gedankenverloren löffelte ich meinen Joghurt aus und starrte aus dem Fenster. Unsere Fenster waren riesig. Eigentlich konnte man sie nicht als Fenster bezeichnen, eher als transparente Wände. Manchmal hatte ich Angst Einbrecher würden kommen und die Gläser einschlagen, doch mein Dad hatte mir immer wieder versichert, dass diese zu dick waren, als dass Einbrecher mit einfachen Werkzeugen echten Schaden anrichten konnten, es sei denn sie hatten einen Raketenwerfer zur Hand. Bei der Vorstellung musste ich ein wenig lächeln.
„Lucia?“, vernahm ich die Stimme meiner Mutter im Flur.
„Mom, ich dachte ihr kommt später zurück.“, rief ich und kam ihr entgegen. Meine Mutter lächelte. Lachfältchen bildeten sich an ihrem Mund und sie zeigte ihre makellos weißen Zähne.
„Du wolltest uns wohl loshaben?“ Sie zwinkerte. Ok, manchmal konnte meine Mom echt ok sein. Ich lachte.
„Nein Mom. Habt ihr was zu essen mitgebracht oder kochen wir zur Abwechslung mal was?“ Meine Mutter sah mich entschuldigend an und mein Dad kam gerade durch die Haustür herein, zwei Plastiktüten in den Händen. Ich seufzte und begrüßte meinen Vater.
„Und, schon Hausaufgaben gemacht?“, fragte dieser und zog seine Jacke aus, nachdem er mir die Tüten in die Arme gedrückt hatte.
„Dad!“, stöhnte ich genervt auf. „Ich bin erst eben gerade nach Hause gekommen.“
„Eben? Hattest du denn nicht früher Schluss?“ Ich unterdrückte wieder ein genervtes Stöhnen und ging in die Küche, wo meine Mutter schon Teller aus dem Schrank holte und den Esstisch deckte.
„Ich war noch mit Freunden Eis essen.“, antwortete ich und half meiner Mutter.
„Kira und Aimee?“, fragte er hinter mir und ich drehte mich wütend um. Das ging echt zu weit!
„Dad, musst du immer in allem nachbohren?!“ Wir funkelten uns gegenseitig an. Mist. Ich konnte nicht gegen ihn ankommen, er war ein größerer Dickkopf als ich.
„Ich bin dein Vater und ich habe das Recht nachzufragen mit wem du dich rumtreibst Lucia.“, entgegnete dieser und ich setzte mich auf meinen Platz am Tisch. Ich sah noch, wie Mom Dad einen mahnenden Blick zuwarf, bevor ich meinen Teller mit Thai-Essen häufte. Ich konnte nicht erklären, warum ich so viel essen konnte, obwohl ich noch vor kurzem ein Eis und Joghurt gegessen hatte. Nichtsdestotrotz bekam ich alles runter. Hm…ich sollte mal anfangen weniger in mich reinzustopfen, dachte ich und schüttelte schnell den Kopf, als ich an Aimee dachte, die auf jeglichen Süßkram verzichtete. Nein, so tief war ich noch nicht gesunken!
„Lucia könntest du bitte abräumen?“, fragte Dad und ich grinste ihn frech an.
„Sorry, aber ich hab noch Hausaufgaben zu erledigen.“ Mit einem „Hmpf.“, entließ er mich widerstrebend und machte den Abwasch, während meine Mutter ein wichtiges Telefonat mit einem Kunden führte. Gutgelaunt lief ich die Treppe hoch in mein Zimmer und kramte in meiner Tasche nach meinen Hausaufgaben. Bei dem Anblick an dem Berg von Aufgaben sank meine gute Laune sofort. Hätte ich das doch bloß früher gemacht, schoss es mir durch den Kopf und völlig Lustlos setzte ich mich an meinen Schreibtisch und büffelte bis mir Rauch aus den Ohren schoss.
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Meine Augen fielen zu, nachdem ich minutenlang auf meine Matheaufgaben gestarrt hatte.
„Lucia, Liebling?“ Meine Mutter steckte den Kopf durch meine Zimmertür. Ich schreckte hoch und sah mich fahrig nach der Uhr um.
„Ah, Mist verdammte-!“, japste ich, als ich sah, dass es erst 4 Uhr in der Früh war. War ich etwa eingeschlafen? Wann war das denn passiert?
„Lucia, warum bist du denn nicht im Bett?“, fragte mich meine Mom entsetzt und musterte meine zerknitterte Schuluniform, die ich noch immer anhatte.
„Ich hab meine Hausaufgaben gemacht…und muss wohl eingeschlafen sein.“, murmelte ich noch leicht bedeppert und fuhr mir durch die verknoteten Haare.
„Dann leg dich jetzt hin. Dein Vater und ich sind dann bei der Arbeit ja? Wir kommen noch spät zurück, heut Abend haben wir noch eine kleine Veranstaltung zu besuchen. Bis dann Schätzchen.“ Sie warf mir noch ein Luftküsschen zu und verließ das Zimmer. Die Müdigkeit gewann wieder langsam Oberhand und mir war klar, dass ich mich lieber hinlegen sollte, bevor ich noch im Stand einschlief. Ich setzte mich aufs Bett und zog mein Oberteil hoch. Doch dieses blieb an meiner Kette hängen und ich kippte bei dem Versuch an die Kette zu kommen, zur Seite. Seufzend schloss ich die Augen...
Das nächste was ich wahrnahm, war die Sonne die auf meinen freigelegten Bauch strahlte. Benommen öffnete ich die Augen und schielte auf den Stoff meiner Bluse, die noch immer über meinem Gesicht hing. Ich erinnerte mich vage daran am Morgen schon einmal wachgeworden zu sein und…danach? Ich gab mich mit der Erklärung zufrieden, dass ich beim Umziehen wohl eingeschlafen war. Ohne darüber nachzudenken, zog ich mit einem Ruck an meiner Bluse um sie richtig auszuziehen. Leider hatte ich ganz vergessen, dass meine Kette an ihr hängen geblieben war und mit meiner Bewegung riss die Kette und kleine transparente Perlen und Federn flogen durch das Zimmer.
„Mist.“, rief ich wütend aus, zerrte mir die Bluse vom Leib und krabbelte auf dem Boden herum, um alles wieder aufzusammeln. Die Kette und speziell die Perlen waren mir sehr wichtig gewesen, da meine Großmutter sie selbst hergestellt hatte. Sie hatte zu mir gesagt, ich solle nie ohne sie hinausgehen, denn sie beschütze mich vor bösen Geistern. Ehrlich gesagt, hatte ich ihr als kleines Kind noch geglaubt, doch langsam zweifelte ich daran. Trotzdem hatte ich die Kette gern gehabt und war dementsprechend ziemlich wütend, dass ich sie kaputt gemacht hatte. Mit großem Aufwand bekam ich auch die letzte kleine Perle, die unter meine Kommode gerollt war, in die Finger. Völlig fertig vom ganzen Stress am Morgen stand ich auf und bemerkte, dass ich kein Oberteil anhatte. Mich nach dem Wetter richtend zog ich meinen Rock aus und schlüpfte in ein bequemes, weites XL T-Shirt das ich sonst nur anzog, wenn ich malte…uns so sah es auch aus, denn überall waren Farbspritzer auf dem grauen Stoff, doch genau das machte es besonders. Auch war es fast schon zu kurz, um darunter nichts anzuziehen, doch da ich heute sowieso nur im Haus bleiben würde, machte es mir nichts aus. Außerdem war mein Schulrock nicht sehr viel länger, gestand ich mir ein und kämmte meine langen schwarzen Haare mit den Fingern durch. Während ich dies tat, erinnerte ich mich daran dass Mom und Dad den ganzen Tag weg waren und ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Entspannungstag ich komme, dachte ich und freute mich, dass meine Eltern mir nicht 10 Mal am Tag nachspionierten um zu sehen, ob ich was Sinnvolles für die Schule tat. Mit guter Laune ging ich ins Bad und ließ mir ein schönes Schaumbad ein. In der Wartezeit stellte ich mich vor den großen Spiegel über dem Waschbecken und trug eine Gesichtsmaske auf. Unwillkürlich begann ich zu kichern, als ich mich mit einem Seeungeheuer aus diesen Teenie Horrorfilmen verglich. Nun, ich war grün, schleimig und ein paar Algen waren in der Packung ganz geblieben, also einen wirklichen Unterschied konnte ich nicht erkennen.
Wohlig seufzend ließ ich mich in das heiße Badewasser gleiten. Meine Glieder und Muskeln entspannten sich nach wenigen Minuten und ich genoss den herrlichen Duft meines Rosenshampoos. Mit geschlossenen Augen summte ich unmelodisch vor mich hin. Es war sehr still und kein Lüftchen regte sich draußen, woraufhin ich beunruhigt die Augen wieder öffnete. Ich konnte nicht genau erklären, was es war, doch es fühlte sich an, als würde etwas…pulsieren. Ich sah an mir runter. Nichts. Lag es an mir? Sobald ich den Kopf wieder hob, merkte ich wieder das ein wenig stärkere Pulsieren von irgendwo außerhalb. Ich fragte mich was es war, als mir schlagartig die Erinnerungen von vor 10 Jahren ins Bewusstsein kamen, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war und auf der Lichtung im Wald gespielt hatte. Auch dort hatte ich etwas gespürt…etwas was von der wunderschönen Frau ausgegangen war, die mir seither im Gedächtnis geblieben war. Ein einziger Gedanke schoss mir durch den Kopf und ließ mich schnell handeln.
>Sie war wieder zurück!<
Ich stand auf, stieg aus der Wanne, trocknete mich flüchtig ab, zog in Windeseile Unterwäsche und mein Shirt an und dann lief ich. Ich lief aus dem Badezimmer, den Flur runter, sprang schon fast die Stufen der kleinen Wendeltreppe runter und lief durch das Wohnzimmer zur Terrassentür. Ich schob sie auf und machte mir nicht die Mühe sie wieder zu schließen, lief über unseren großen Garten, bis ich an der Grenze unseres Grundstücks angekommen war, die mit großen rustikalen Holzpflöcken, die ein Zaun darstellen sollten, von der Außenwelt getrennt war. Dort hatte ich vor langer Zeit auf einer meiner kindlichen Erkundungstouren hinter einer Hecke einen Spalt entdeckt durch den ich mich immer gezwängt hatte, um in den Wald zu laufen. Auch heute fand ich die genaue Stelle schnell und verließ das Grundstück.
>Sie war zurück!<
Schon kam ich am Rande des Waldes an, doch ich bekam Seitenstechen und suchte immer wieder nach dem Pulsieren, das sich -nun da ich näher dran war- anfühlte, wie ein schlagendes Herz. Es schien immer stärker zu schlagen und angespornt von meiner Vorfreude, sprintete ich weiter.
Ich muss sie wenigstens einmal noch in meinem Leben wiedersehen, dachte ich verzweifelt. Der Herzschlag war so stark, dass ich es sogar zu hören glaubte. Völlig überwältigt von den Gefühlen, die ich bei diesem Klang empfand, sank ich auf die Knie und atmete heftig ein und aus. Ich befand mich auf der Lichtung, die Lichtung die ich das letzte Mal vor 10 Jahren betreten hatte. Das letzte Mal, als ich hier gewesen war…Ich konnte mich an jede Einzelheit meiner Begegnungen mit den beiden schönen Wesen erinnern, die hier in diesem Wald aufgetaucht waren. Die Frau war das schönste Lebewesen gewesen, das ich je gesehen hatte. Schimmernde, weiße Haut, leuchtendes, langes Silberhaar und eine große schlanke Gestalt, maßlos elegant in ihren Bewegungen. Jahrelang hatte ich es bedauert, ihr Gesicht nicht gesehen zu haben, das sicher ein noch schönerer Anblick war, als nur ihre Gestalt. Doch ich tröstete mich damit, dem jungen Mann begegnet zu sein, denn nach der geheimnisvollen Frau, war er das zweitschönste Lebewesen, das ich je gesehen hatte. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und ich hatte in den ersten drei Jahren, nach der Begegnung, jeden Tag an sie gedacht. Da waren mir einige Parallelen zwischen den beiden aufgefallen. Auch der Mann hatte schimmernde, weiße Haut und silbernes (jedoch kurzes) Haar, das wirr von seinem Kopf abgestanden hatte. Das Besondere an ihm war gewesen, dass er eine violette Augenfarbe gehabt hatte. Nie würde ich den Anblick dieser Augen vergessen…Ich fragte mich oft, ob die beiden Wesen verwandt, gar verschwistert waren, auch hatte ich mich (noch öfter) gefragt, was sie überhaupt waren. Denn Menschen konnten sie nicht sein, das war schon damals sofort klar gewesen. Ungewöhnlicher Weise störte es mich nicht im Geringsten. Es fühlte sich fast schon richtig an, ja sogar völlig normal, als hätte ich es jeden Tag mit Übernatürlichem zu tun. Plötzlich verstummte der Herzschlag und ich stand auf den Beinen. Ohne das Pulsieren konnte ich sie nicht finden! Kopflos rannte ich einfach tiefer in den Wald hinein. Erleichtert stellte ich fest, dass der Herzschlag nicht gänzlich verstummt war, ich spürte ihn noch, doch es wurde allmählich schwächer. Hieß es vielleicht, dass sie starb? Ich legte einen Gang zu und fragte mich was ich fühlen sollte. Vorfreude oder Sorge? Als ich mich konzentrierte fühlte ich das Pulsieren, den Herzschlag, immer intensiver. Abrupt blieb ich stehen.
>Das ist sie nicht<
Es war nicht die Frau. Ich spürte es. Ich spürte deutlich, dass irgendwo noch viel tiefer im Wald eine Präsens war, die mich anzog, doch war diese nicht die Präsens der Frau nach der ich suchte und auf die ich jahrelang so sehnsüchtig gewartet hatte. Erst jetzt erinnerte ich mich an den Moment an dem ich sie das erste Mal gespürt hatte. Völlig fasziniert von ihrem Äußeren, war mir früher nicht bewusst geworden, dass das was ich gespürt hatte, etwas Dunkles an sich gehabt hatte. Nun ja. Bemerkt hatte ich es schon, doch hatte ich es nicht weiter beachtet. Mit gemischten Gefühlen folgte ich dem Herzschlag, der mich trotz meiner enttäuschenden Erkenntnis in seinen Bann zog.
Ich konnte den Herzschlag so gut hören und so intensiv spüren, dass es sich anfühlte, als wäre es mein eigener. Mit bedächtigen Schritten, näherte ich mich der winzigen Lichtung in dessen Mitte eine aus steingemeißelte kleine Hütte stand. Dachte ich es zumindest. Als ich einen Schritt neben den dicken Baum trat, der meine Sicht versperrte, sah ich es genauer. Die Lichtung war bezaubernd. Die Sonne schien genau auf das kleine Gebilde in der Mitte der Lichtung. Es war keine Hütte. Ich hatte so etwas schon in einem alten Geschichtsbuch meiner Grandma gesehen. Es war ein uraltes, mittelalterliches Grab. Ein Grab in dem Dämonen gefangen wurden für viele Jahrtausende. Langsam stieß ich die Luft aus, als ich kapierte, dass der Herzschlag aus eben diesem Grab kam. Was, wenn dort eine Mumie oder ein Zombie darauf wartete, mein Fleisch zu kosten und mein Blut auszusaugen? Allerdings kam mir dieser Gedanke gleich wieder lächerlich vor. Es gab keine Zombies oder Mumien. Entschlossen trat ich auf die Lichtung und etwas Eigenartiges passierte mit mir. Das Gefühl zu dem Herzschlag hinzumüssen steigerte sich so sehr, dass ich meine Füße nicht selbst steuerte. Wie in Trance ging ich auf die steinernen Wände zu und entdeckte eine Malerei mit komischen Zeichen darunter in den Stein gemeißelt. Aus reinem Impuls berührte ich die Schrift und wie von einem Magneten angezogen presste ich meine Hand gegen den warmen Stein.
„Ich befreie dich Dämon, du wurdest von deinen Ketten erlöst.“, raunte ich plötzlich und noch bevor das letzte Wort meinen Mund verlassen hatte, leuchtete meine Handfläche hell auf und der Stein hatte einen tiefen Riss an der Stelle an der ich gedrückt hatte. Erschrocken von meiner Tat, sprang ich zurück und starrte auf den Stein, der noch mehr Risse bildete, wie ein Ei aus dem etwas schlüpfte.
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Gebannt sah ich zu, wie das Gestein bröckelte. Was passierte hier? Und wieso hatte ich so etwas gesagt? Ich hatte aus reinem Impuls gehandelt, ohne mir darüber im Klaren zu sein, was ich überhaupt tat. Unsicher trat ich einen Schritt zurück. Sollte ich jetzt einfach abhauen? Das wäre wohl das Vernünftigste, redete ich mir in Gedanken zu, doch konnte ich mich nicht weiter von der Stelle bewegen. So lange hatte ich auf die beiden mystischen Wesen gewartet und jetzt wo endlich wieder etwas passierte, konnte ich nicht einfach abhauen. Außerdem hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Die Frau konnte sich ja verändert haben. Das sie vielleicht sogar tot sein konnte wollte und konnte ich einfach nicht glauben. Irgendwas war aber dort im Gestein, denn der Herzschlag wurde immer lauter und mein Körper bebte bei dessen Schlägen. Es gab einen lauten Knall und grelles Licht blendete mich. Ich hielt mir die Arme vor das Gesicht und kämpfte gegen die Druckwelle an, die mich umfasste.
>Das alles geht vom Stein aus?! Was ist da verdammt nochmal drin?<
Lange konnte ich mich nicht halten und ich fiel auf die Knie. Der Herzschlag war so schnell, dass ich glaubte, es würde gleich wegen Überhitzung versagen. Ich biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu, als ich die Hände auf den Boden stemmte. Dann merkte ich wie das Licht und die Druckwelle langsam verschwanden und öffnete zögerlich die Augen. Genau dort wo eben noch der Stein gestanden hatte, materialisierte sich etwas das aussah wie ein Mensch. Mit geweiteten Augen sah ich zu, wie die Luft sich elektrisierte und um die Gestalt herum schöne Farben entstanden, die vom Wind umhergewirbelt wurden. Dann sah ich hoch zum Nebel, das sich verwandelte. Ich sah in violette Augen, die mich geradezu anstrahlten. Mein Herz machte Hüpfer, als ich sie wiedererkannte. Der Nebel wandelte sich noch immer und sein Körper und auch sein Gesicht materialisierten sich. Nach wenigen Sekunden stand ein Mann aus Fleisch und Blut vor mir, der mich anstarrte. Ich hörte den Herzschlag nicht mehr. Mein Atem beschleunigte sich und ich konnte nicht glauben, dass ich gerade ihn befreit hatte. Ich freute mich -trotz der Enttäuschung die Frau nicht getroffen zu haben- so sehr, dass ich laut aufschreien und jubeln wollte. Es war mir egal, dass er in diesem Stein gewesen war und aus Nebel und Dunst zum Menschen geworden war. Es schien, als wäre meine Welt wieder im Gleichgewicht. Sehr spät aber bemerkte ich, dass er völlig nackt war und beschämt senkte ich den Kopf.
„Wer bist du?“, fragte eine sanfte, misstrauische Stimme und ich musste lächeln. Seine Stimme kam mir trotz der ganzen Zeit noch so vertraut vor.
„Erkennst du mich nicht wieder?“, fragte ich schüchtern und traute mich nicht hochzuschielen. Ich meine…er war nackt!
„Ich kenne dich nicht. Was bist du? Ich habe noch nie einen Dämon wie dich gesehen.“, fragte er unfreundlich und ich konnte nicht anders, als zu ihm hochzusehen. Ich-ein Dämon?! Empört machte ich den Mund auf, doch er stand nicht mehr dort, wo ich ihn erwartet hatte. Er war verschwunden. Panisch drehte ich meinen Kopf nach links und rechts, doch er war nicht da.
„Hey wo bist du hin?!“, rief ich und drehte mich ein paar Mal im Kreis.
„Was bist du?!“, rief er wütend und ich wurde nach hinten gerissen. Einen Arm hatte er mir von hinten um den Hals geschlungen, den anderen Arm benutzte er, um meine beiden Arme am Rücken festzuhalten. Ich war so erleichtert, dass er nicht verschwunden war, dass ich seufzte und lächelte. Ich wollte ihm ins Gesicht sehen, doch bei seinem Griff konnte ich mich schwer bewegen.
„Könntest du mich bitte loslassen?“
„Antworte mir!“, knurrte er nah an meinem Ohr und packte fester zu. Ein Schmerzenslaut kam über meine Lippen. Er erkannte mich nicht wieder! Er hielt mich für einen Dämon! Was sollte ich tun?
„Ich bin kein Dämon, wenn du das meinst.“, zischte ich wütend. War ja klar, dass er mich nicht erkannte, früher hatte ich ganz anders ausgesehen. Ich war ein kleines Mädchen gewesen mit verheultem Gesicht. Jetzt war ich eine junge Frau…trotzdem war ich enttäuscht, dass ich ihm anscheinend nicht im Gedächtnis geblieben war. „Du tust mir weh, also lass mich los du Holzkopf!“ Sein Griff wurde lockerer und ich befreite mich mit einem Schnauben.
„Du riechst nicht nach Dämon…Was bist du dann?“, fragte er verwirrt und sah mir noch immer misstrauisch in die Augen. Jetzt wo ich wieder frei war und ihn ansehen konnte, fiel mir wieder ein, dass er nackt war. Mit hochrotem Kopf senkte ich den Blick auf den Boden. „Was hast du vor?“, knurrte er.
„Ich kann nicht mit dir reden, wenn du nackt bist.“, antwortete ich patzig und ärgerte mich darüber, dass es ihm anscheinend völlig egal war.
„Oh. Warte.“, meinte er dann und ich merkte, wie er sich bewegte. Kurze Zeit später stand er wieder vor mir. „Gut, jetzt kannst du reden.“ Ich hob den Blick und sah, dass er ein komisches Ninja-ähnliches, schwarzes Outfit anhatte.
„Woher hast du das denn?“, fragte ich verwundert und sah mich um. Sonst lag hier doch gar nichts. Er verdrehte die Augen.
„Du scheinst harmlos zu sein. Was suchst du hier und wer hat mich befreit?“, fragte er etwas beruhigter als vorhin. „Bist du dir sicher, dass du kein Dämon bist?“, fragte er und kam näher. Verwundert sah ich zu, wie er sich nach vorn beugte und mein Gesicht betrachtete.
„Ich bin ein Mensch. Kein Dämon.“, meinte ich ein wenig beleidigt. Ich sah doch nicht aus wie ein-!
„Aber Menschen haben keine grünen Gesichter.“ Vor Schreck weiteten sich meine Augen und ich klatschte mir die Hand aufs Gesicht. Oh nein! Ich fühlte die schleimige Maske in meiner Handfläche und schrie kurz auf. Jetzt war alles klar! Ich hatte noch meine Algenmaske auf dem Gesicht, natürlich hatte er mich nicht wieder erkannt, natürlich dachte er ich wäre ein Dämon! Ich strich mit meinem Finger über meine Wange und zeigte sie ihm. Er sah sich meinen Finger angeekelt an.
„Das ist eine Algenmaske, ist gut für die Haut.“, klärte ich ihn auf. Er sah mich wieder an und blinzelte mehrmals.
„Du bist kein Dämon?“, fragte er und ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Du bist ein Mensch?“ Ich nickte, doch er runzelte die Stirn und sah aus, als wäre er mit der Antwort nicht zufrieden.
„Wenn ich die Maske abmache, dann sehe ich aus wie ein ganz normaler Mensch, zum Beweis kann ich auch-!“
„Nein, das ist es nicht. Wenn du ein Mensch wärst, dann könntest du nicht diesen Wald betreten. Um diesen Wald wurde eine Barriere errichtet die Menschen nicht durchqueren können.“
„Was?“, fragte ich verblüfft. Sollte das etwa heißen, dass ich kein Mensch war? Natürlich war ich einer, was anderes hätte ich doch gemerkt? Er nickte gedankenverloren.
„Du wusstest wohl nichts davon.“ Er ging vor mir auf und ab und sah mich hin und wieder an. „Und wer hat mich befreit?“, fragte er und sah sich kurz um, als würde er nach jemanden suchen.
„Ich war das.“, sagte ich, doch er hörte mir nicht zu.
„Irgendjemand hat mich von meinen Fesseln befreit, aber wer? Es musste wohl jemand Mächtiges sein, ihre Zauber bekommt man nicht so einfach gebrochen…“, murmelte er.
„Hey!“, rief ich und er erstarrte. Mit zusammengekniffenen Augen sah er mich an.
„Sei still, ich muss nachdenken!“ Er beachtete mich nicht weiter und schritt weiterhin auf und ab.
„Ich hab dich befreit.“, rief ich angesäuert und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du?!“, fragte er plötzlich ganz nah bei mir. Wie war er so schnell bei mir gewesen? Ich hatte ihn nicht mal kommen sehen. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wartete auf eine Antwort. Ich hob das Kinn und funkelte ihn an.
„Hast du etwa ein Problem damit?“, zischte ich und er grinste schelmisch auf mich herab.
„Du sollst mich befreit haben? Du weißt ja noch nicht einmal was du genau bist. Du bist weder Mensch noch Dämon. So was wie du könnte nie den Zauber von Katára brechen.“ Ok, keine Ahnung wer diese Katára war, aber was soll‘s, er hatte mich gerade beleidigt!
„Ich bin und war schon immer ein Mensch und weiß nichts von Dämonen oder sonst was. Ich hab dich jedenfalls befreit, auch wenn ich nicht wusste was ich gerade tue! Also wenn du so gern wieder in diesem komischen Stein gefangen sein willst, dann tut es mir wirklich schrecklich leid, dich erlöst zu haben.“, schnauzte ich ihn an. Er hatte mich mit seinen Worten wirklich verletzt. Er meinte ich wäre kein Mensch. Was wusste er denn schon?! Er war in diesem Stein gefangen gewesen und ich war wie ein Mensch aufgewachsen und hatte wie einer gelebt, da konnte er mir nicht einreden ich wäre irgendeine Abnormität, die nicht hierhergehörte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Seine schönen violetten Augen, schienen in Flammen aufzugehen, wurden dunkler und füllten seine ganzes Auge aus. Vor Angst begann ich zu zittern und wich zurück. Ich spürte deutlich ein fremdes Gefühl. Es war dunkel und gefährlich. Er fletschte die Zähne und ich sah, wie sie spitzer wurden. Auch seine Hände formten sich zu Klauen und seine Fingernägel wuchsen zu spitzen -und vor allem- tödlichen Krallen.
„Nie wieder werde ich eingesperrt sein!“, knurrte er und kam auf mich zu. Gerade wollte ich vor Schreck aufschreien, doch eine laute Frauenstimme ließ uns beide innehalten:
„STOPP! Hör auf Takuto!“ Hilfesuchend drehte ich mich zu der Stimme um und entdeckte eine schrumpelige alte Frau, die sich mit schreckgeweiteten Augen an einen Baum lehnte. Sie sah erschöpft aus und…irgendwoher…
„Grandma?!“ Ich konnte nicht glauben was ich da sah. Meine Grandma, die schon längst hätte tot sein müssen, stand dort! „Bist du es wirklich?“, flüsterte ich und wollte zu ihr gehen, doch ich erinnerte mich wieder an den gefährlichen Mann, der mich gerade umbringen wollte. Mein Blick schweifte zu ihm, doch er sah mich nicht mehr an. Auch sah er nicht mehr so aus, wie noch vor zwei Sekunden. Er sah ganz normal aus. Nun gut, normal für seine Verhältnisse.
„Pérenell?“, fragte dieser verwirrt und runzelte bei dem Anblick meiner Grandma die Stirn. „Du lebst…?“ Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und er ging mit großen Schritten auf sie zu. „Lange ist es her.“
„Wie du siehst schon.“, antwortete Grandma mit einem schiefen Lächeln und klopfte ihm auf den Oberarm. So wie sie jetzt aussahen, würde man meinen, sie wären gute Freunde. Noch immer von dem Anblick meiner Tot-geglaubten Grandma aus der Bahn geworfen, starrte ich die beiden an. Grandma sah wieder zu mir rüber. „Willst du dort Wurzeln schlagen Kind oder kommst du nun endlich?“, fragte sie und drehte sich um. Takutosah mich an und seine Augen weiteten sich.
„Pérenell, du kennst sie?“, fragte er und machte ein Gesicht, als wäre dies unmöglich. Was ich übrigens auch dachte. Grandma ging im gemächlichen Tempo mit den Händen am Rücken gekreuzt weiter.
„Natürlich, sie ist meine Enkelin. Und jetzt marsch, hier sind wir nicht sicher. Bestimmt haben schon viele Dämonen bemerkt, dass hier etwas nicht stimmt.“, antwortete sie und ich verstand ihre Worte im ersten Moment nicht. Dämonen?! Jetzt erst realisierte ich richtig was das hieß. Es gab Dämonen…ich hatte diesen Typen aus einem Stein befreit…oh und er hatte mich gerade umbringen wollen, nur weil ich ihn wütend gemacht hatte, da kam meine totgeglaubte Grandma an und rettete mich. Meine Freude ihn wiederzusehen, hatte sich schon lange gelegt. Er war doch nicht so toll, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Missmutig folgte ich den beiden, die miteinander plauderten, als wäre alles normal. Tja. Für mich war hier nichts mehr normal.
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„Was zum-?!“ Mit offenem Mund starrte ich auf die riesige Landschaft die sich vor mir erstreckte. Wo waren die Straßen mit Ozonschädigenden Abgasen? Wo waren die ganzen Gebäude? WO WAR DIE STADT?! Ich rieb mir die Augen um sicherzugehen, dass ich mich nicht verguckt hatte. Doch auch als ich mich zwickte, da ich davon überzeugt war zu träumen, veränderte sich das Bild nicht. Vor uns lag ein kleines Dorf, umgeben von Feldern und arbeitenden Bauern mit Zugtieren. Ich drehte mich zum Wald um und suchte daneben und dahinter nach den Wolkenkratzern der Stadt, die von hier aus zu sehen sein müssten. Doch ersten, waren die Bäume des Waldes riesig, zweitens war der Wald so weit, dass es links und rechts von mir einfach kein Ende davon gab und drittens hatte ich das Gefühl, als wäre mein Zuhause, meine Welt, hier nicht existent.
„Lucia!“, rief Grandma ungeduldig und blickte wütend drein. Auch Takuto sah mit bösem Blick zu mir rüber.
„Du solltest dir diesen Schleim aus dem Gesicht wischen, sonst werden die Dorfbewohner dich noch mit Fackeln und Mistgabeln verfolgen.“, rief er über seine Schulter, als er meiner Grandma folgte. Wie um Himmels willen konnte ich nur so dumm sein und ihn von diesem vermaledeiten Stein befreien, schoss es mir durch den Kopf und ich überlegte einfach abzuhauen. Es war mir egal, wenn ich mich im Wald verirren sollte, Hauptsache weg von diesem Mistkerl! Gerade wollte ich mich wieder umdrehen, als mich etwas unsanft zu Boden stieß. Ich hörte wie Menschen panisch aufschrien und ein riesen Tumult ausbrach, bevor ich auch nur meinen Kopf heben konnte. Benommen sah ich mich soweit ich konnte um, doch ich sah nicht wer oder was mich umgeworfen hatte. Mein rechter Arm fühlte sich feucht und eigenartig an, ich konnte ihn nicht bewegen. Ich versuchte mich dennoch abzustützen, als Grandmas Stimme die ganze Geräuschkulisse übertönte:
„Lucia, nicht bewegen!“ Ich hielt in meiner Bewegung inne. Was war los? Mein Blick war schleierhaft und ich musste husten. Geschockt von dem Blut, das aus meinem Mund auf den Sand spritzte, begann ich langsam zu verstehen. Ein Angriff. Ich wurde angegriffen! Ich war verletzt! Aber wie stark war ich verletzt?! Mühsam drehte ich den Kopf nach rechts und starrte auf meinen Arm der aufgeschlitzt worden war. Überall war Blut und erst Sekunden später spürte ich den Schmerz. Ich schrie auf und mein Atem ging schnell, als ich meinen Blick nicht abwenden konnte.
„MEIN ARM! MEIN ARM!“, schrie ich unentwegt. Plötzlich spürte ich keinen Boden mehr unter mir. War ich in Ohnmacht gefallen? Oder war ich etwa tot?! Mein Blick schweifte gehetzt hin und her und ich sah in das Gesicht von Takuto, der mich in seinen Armen hielt. Takuto…Ich war gerade dabei dem einsetzenden Ohnmachtsgefühl nachzugeben, als er mich sanft ablegte und blitzschnell verschwunden war. Ich riss die Augen weit auf, als ich einen ätzenden Schmerz an meinem Arm spürte. Mein Körper wand sich gegen die Schmerzen und meine Kehle entließ ohne mein Zutun ein schreckliches Kreischen. Irgendjemand redete auf mich ein und ich spürte mehrere Hände auf meinem Gesicht und an meinen Beinen. Ich hörte nicht hin, zu sehr beanspruchte mich der Kampf gegen die Schmerzen.
„Beruhige dich doch Kind!“, donnerte die Stimme meiner Grandma und ich hörte auf zu kreischen. Stattdessen biss ich die Zähne zusammen und spannte meine Beine an, um sie ruhig zu stellen. „Ich reinige deine Wunden, bleib gefälligst ruhig!“ Ihre Methode mich zu beruhigen half.
„Grandma!“, keuchte ich vor Anstrengung und zischte, als mein Arm wieder höllisch brannte. Schüttete sie da literweise Alkohol drauf oder was?! Machte sie das mit Absicht, fügte sie mir mit sadistischem Vergnügen Schmerzen zu? Ich konnte die Gedanken nicht aufhalten, in diesem Moment war mir alles egal, diese Schmerzen sollten aufhören.
„Alles wird gut Liebes.“, murmelte mir eine nicht bekannte, sanfte Stimme zu. Ich öffnete die Augen und sah, dass ich noch immer im Freien auf dem Boden lag. Einige Dorfbewohner hatten sich um mich und meine Grandma gescharrt um uns zu helfen. Zwei Männer hielten meine Beine fest und schwitzten allmählich vor Anstrengung. Zwei Frauen saßen an meiner Seite, eine wischte mir mit einem feuchten Tuch über das Gesicht, die andere redete auf mich ein. Ich sah, wie sie das Tuch immer wieder abwuschen. Ah stimmt ja, ich hatte noch die Maske drauf, dachte ich erschöpft. Rechts von mir machte sich Grandma an meinem Arm zu schaffen. Ich wollte nicht hinsehen, doch ich konnte es nicht verhindern. Es war nicht so schlimm, wie ich es erwartet hatte. Das ganze Blut war weggewischt worden und man könnte die Wunde sehen, wenn sie nicht von großen grünen Blättern bedeckt gewesen wäre. Meine Grandma drückte und zog an ihnen, befestigte sie an meinem Arm und bandagierte meinen gesamten Unterarm mit einem einfach, weißen Verband. Ich spürte den Druck und auch pochte und schmerzte die Wunde noch sehr, doch ich konnte wieder klar denken. Ich löste meine Zähne voneinander und atmete tief ein und aus, gleich darauf hielt ich stockend inne und spüre einen weiteren Schmerz in meinem Brustkorb. Ich hustete und spuckte Blut. Meine Grandma packte mich an den Schultern, setzte mich schnell auf und hielt mir ein Tuch vor den Mund. Da ich ein wenig nach vorn gebückt saß, hustete ich noch mehr und ich ekelte mich vor mir selber, als ich wieder Blut ins Tuch spuckte. Ich hörte auf und meine Grandma sah sich das Tuch an.
„Gut, es ist nicht mehr so schlimm.“, murmelte sie vor sich hin und gab mir das Tuch zurück. „Keine inneren Blutungen denke ich…“ Innere Blutungen?! Sie sah mich an und Sorge blitzte in ihren vor Kraft strotzenden Augen wieder. „Geht es dir wieder gut? Hast du noch irgendwo Schmerzen?“
„Nein.“, krächzte ich und brachte noch ein Lächeln zustande, als mir schwindlig wurde und ich geschwächt zu Boden sackte.
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Ich erwachte mit einem trockenen Mund. Das kratzige Gefühl in meinem Hals machte mir zu schaffen und ich stöhnte auf, als ich schluckte und mich ein unangenehmes, schmerzhaftes Ziehen im Rachen dabei hinderte.
„Lucia, bist du wach?“, hörte ich eine leise Stimme neben mir. Ich versuchte tief einzuatmen, doch ich hustete und meine Augen flogen auf.
„Wasser!“, krächzte ich zwischen den Hustern hervor und bekam auch schon einen Becherähnlichen Behälter aus Ton mit klarem Wasser gefüllt in die Hand gedrückt. Ich kippte den Inhalt runter, als würde es dabei um mein Leben gehen. „Danke.“, erleichtert sank ich wieder zurück und schloss kurz die Augen, bevor ich realisierte, dass irgendwas ganz und gar nicht stimmte.
„Lucia?“, fragte meine Grandma besorgt, als ich aufstöhnte und mein Gesicht in meinen Händen vergrub. Die Bewegung löste ein unangenehmes Ziehen in meinem rechten Arm aus, was mir nur die Bestätigung gab, wirklich das alles erlebt zu haben; Takuto, Grandma, den Angriff. Mist.
„Ich glaub’s einfach nich…“ Meine Stimme hörte sich mit den Händen im Gesicht gedämpft an. Irgendjemand schnaubte verächtlich.
„Hast du Angst Prinzesschen oder weshalb fürchtest du dich davor die Augen zu öffnen?“, vernahm ich die Stimme von Takuto. Wütend richtete ich mich auf und starrte ihn an. Er sah aus als würde er mit dem Rücken an der Wand gelehnt schlafen, doch das spöttische Lächeln auf seinen Lippen verriet ihn. Ich beschloss ihn zu ignorieren und mein Blick wanderte durch den Raum in dem wir uns befanden. Wir waren in einer kleinen Hütte. Ich lag in einem Bett das aus einem kleinen Strohhügel bestand und mit einer dünnen Decke bedeckt wurde. Verwirrt sah ich mich nach weiteren Möbeln um, doch ich entdeckte lediglich eine Feuerstelle in der Mitte des Raumes, in dem ein kleines Feuer prasselte und eine winzige Anrichte zu meinen Füßen mit einem Waschbecken aus Stein. Es gab aber keinen Wasserhahn oder so ähnlich, auch gab es hier keinen Strom, wie ich entsetzt feststellte. Grandma sah mich kurz prüfend an und widmete sich ihrer Suppe, die sie in einem Kessel über dem Feuer kochte. Takuto saß im Schneidersitz neben der Eingangstür, die schief aussah. Die Hütte hatte nur ein kleines Fenster mit einem Stück Stoff davor, das wahrscheinlich als Vorhang diente. Sie wurde vom Wind zur Seite geweht und ich blickte in einen anbrechenden Abend hinaus.
„Grandma?“, fragte ich unsicher und starrte noch immer nach draußen.
„Mh-hm?“
„Bist du-! Ich meine, kann es sein, dass du hier wohnst?“ Ich versuchte nicht zu unhöflich zu klingen, doch ein gewisser Unterton lag in meiner Stimme, der mich erröten ließ. Sie antwortete nicht. „Grandma?“
„Ist das nicht offensichtlich Kind?“, meinte sie leicht angesäuert und ich zog den Kopf ein. Ich hatte sie beleidigt. „Hier wohnt man nun mal so. Wenn du etwas dagegen auszusetzen hast, dann kannst du ja wieder in deine Welt zurückkehren.“
In meine Welt zurückkehren? Fragend sah ich sie nun an. Auch Takuto wurde hellhörig und öffnete die Augen. Kurz streifte sein Blick meinen, dann konzentrierte er sich auf meine Großmutter.
„I-in meine Welt? Was meinst du damit?“, fragte ich verwirrt. Sie atmete tief durch, dann sah sie mich an und nickte.
„In deine Welt Lucia. Dir müsste doch schon aufgefallen sein, dass du nachdem du den Wald betreten hast, ungewöhnliche Dinge passiert sind und hier andere Zeiten herrschen.“ Sie deutete auf ihre Wohnsituation. „Diese Welt unterscheidet sich sehr von deiner.“ Ich nickte. Ja, ich hatte es gemerkt. Doch was war passiert als ich den Wald betreten hatte? Mir fiel wieder eine Sache ein, die mich rasend machte. Ich wirbelte zu Takuto.
„Du meintest doch, der Wald wäre von einer Barriere umgeben und dass Menschen sie nicht durchqueren können. Du hast behauptet ich wäre kein Mensch!“, warf ich ihm vor und wartete auf eine Antwort, doch als er seinen Mund öffnete um einen gemeinen Kommentar abzulassen, mischte sie Grandma ein.
„Ja das stimmt. Der Wald wurde schon vor Jahrhunderten mit einer Schutzbarriere umgeben, sodass deine Welt von der der Dämonen geschützt werden konnte.“
„Dämonen…Also gibt es sie wirklich?“, fragte ich ein wenig zittrig und fuhr mir unbewusst über den Verband. „Also sind diese Dämonen, wie in Geschichte, gefallene Engel oder so?“
Takuto lachte auf und Grandma schüttelte mit ernstem Gesicht den Kopf.
„Halt den Mund Idiot!“, zischte ich ihm entgegen und kniff die Augen zusammen. Abrupt hörte sein Lachen auf und er funkelte mich seinerseits an.
„Du solltest lieber aufpassen was du sagst Prinzesschen oder ich werde dich nächstes Mal nicht retten und lasse dich von deinen sogenannten gefallenen Engeln zerfleischen!“, knurrte er zurück.
„Tja, du hättest mich dort liegen lassen sollen, dann hätte ich mir das hier ersparen können.“ Er sah mich verdutzt an.
„Was ersparen?“ Ich verzog das Gesicht als ich es rauswürgte:
„Danke dass du mir das Leben gerettet hast.“ Kurz blieb es völlig still, bis auf das Brodeln des Kesselinhalts. Dann sah ich, wie sich ein selbstgefälliges Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. „Du bist trotzdem ein Idiot!“ Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Bei so einem Mistkerl verlor man schnell mal die Beherrschung!
„Seid still!“, mahnte uns meine Grandma grimmig. „Ihr führt euch auf, wie kleine Kinder!“ Sie durchbohrte uns beide mit ihren Blicken. Amüsiert beobachtete ich, wie Takuto unter ihrem harten Blick schrumpfte, doch leider zu früh gefreut, sie bemerkte mein Gegrinse und nagelte mich mit ihren Augen fest. „Was rege ich mich auf, du bist schließlich noch ein Kind.“ Ich biss die Zähne zusammen und sah zur Seite. Ich war kein Kind! Ich war 16 und eine (sehr) junge Frau, der Typ war es doch, der sich aufführte wie im Kindergarten! Grandma stand auf und kramte in dem Schrank unter der Spüle herum. Sie holte drei Schälchen raus. Schon knurrte mein Magen bei den Aussichten nach etwas zu essen. Ich schlug die Decke die über mir ausgebreitet worden war zu Seite und erschrak, als sich herausstellte, dass die Decke aus Fell bestand. Tierfell! Angeekelt stand ich auf und klopfte mir die Haare von den Klamotten, wobei ich wieder erschrocken innehielt. Als Klamotte konnte man meinen Aufzug wohl nicht bezeichnen. Noch immer hatte ich mein Shirt an, das eigentlich viel zu kurz war und meinen Hintern nur um 5 Zentimeterüberragte.
Ich spürte Takutos Blick auf mir, als ich den Kopf senkte und mein Tomatenrotes Gesicht mit den Haaren verdeckte. Am Oberteil zupfend setzte ich mich auf den Boden, neben meine Grandma (Es gab keinen Tisch, nur kleine Sitzpolster), die mich mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.
„Die Mode in eurer Welt scheint sich sehr verändert zu haben.“, bemerkte sie nur und füllte unsere Schälchen auf. Dann gab sie uns unsere Essstäbchen und wir begannen zu essen. Das heiße Gebräu erwärmte meinen ganzen Körper sofort und ich seufzte wohlig auf.
„Grandma das schmeckt wirklich gut.“, meinte ich und setzte das Schälchen an meine Lippen an und trank den Rest so aus. Grandma beobachtete mich mit einem winzigen Lächeln auf den Lippen. Ich merkte schnell, dass sie nicht jemand war, der bei jeder Gelegenheit lachte oder wirklich Witze riss. Ihre Art war mir bekannt, doch sie war (eigentlich) schon gestorben, als ich 8 wurde. Oh stimmt ja. „Grandma?“
„Ja?“, sie füllte mir mein Schälchen auf. Irgendwie wusste ich nicht wie ich sie fragen sollte und noch immer spürte ich den Blick von Takuto auf mir, was es mir nicht wirklich leichter machte mit der Sprache rauszurücken. Schon wieder wurde ich langsam wütend. Immer machte er mich wütend, einfach nur mit seiner Anwesenheit! Ich sah ihm geradewegs in die Augen, als ich den Blick hob. Trotzig starrte ich ihn an, als ich das Wort wieder an Grandma richtete:
„Was macht er eigentlich noch hier?“ Ich hatte eigentlich nach Grandmas Tod fragen wollen, doch ich konnte nicht anders. Er störte mich. Verwundert sah mich Grandma an.
„Er muss hier bleiben.“, antwortete sie und sah uns abwechselnd an. Takuto starrte mir ebenfalls in die Augen, genauso angespannt und wütend wie ich, als ich die Frage aussprach. Die Antwort meiner Grandma kam mir komisch vor. Sie sagte es, als wäre das selbstverständlich. Ohne darüber nachzudenken platzte es aus mir heraus:
„Habt ihr was miteinander oder was?“ Ich fragte ziemlich sachlich, nicht das ich es nicht eklig finden würde, dies alles war so unrealistisch für mich, dass es mich einfach nicht überraschen würde. Meine Großmutter starrte mich mit offenem Mund an, Takuto riss die Augen auf und ehe ich mich versah, hatte er sich schon aufgerichtet. Oh…da hatte ich meine Antwort.
„Unverschämtheit!“, rief er außer sich und ich sah zu Grandma, die mich noch immer entgeistert ansah.
„Wie kannst du nur so etwas behaupten?“, fragte sie und ich zuckte mit den Schultern.
„Das war die einzige logische Erklärung, warum du ihn hier haben willst.“, antwortete ich noch immer nüchtern und schlürfte meine Suppe. „Also was denn jetzt? Wenn es nicht so ist, könnt ihr mir ja den richtigen Grund erklären.“ Takuto hatte sich wieder hingesetzt und starrte wütend zur Seite. Grandma sammelte sich und sah mich ernst an.
„Also wir sollten von vorne anfangen, damit du verstehst.“ Ich legte das Schälchen weg und faltete die Hände im Schoß. Dann konzentrierte ich mich auf ihre Worte, nebenbei bemerkte ich, wie Takuto seine Aufmerksamkeit ebenfalls meiner Grandma widmete. „Vor sehr langer Zeit -ich weiß selbst nicht wann, der Zeitpunkt der Entstehung dieser Welt wird nur vermutet- herrschte ein König über das ganze Land und…über die Anderwelt.“
„Die Anderwelt?“, fragte ich leise nach.
„Ja. Die Anderwelt ist das Land der Dämonen, man könnte es als Paralleluniversum bezeichnen, nur wenige dieser Welt durften die Anderwelt betreten. Einer von diesen Wenigen war natürlich der König. Der König war nämlich ein Dämon. Ein Dämon in menschlicher Gestalt. Er war sehr alt und regierte die beiden Welten. Er war ein sehr begabter Dämon mit unglaublichen Kräften und Wissen. Sein Name war Promodros. Der König hielt die Anderwelt und die Welt der Menschen stets getrennt voneinander, da er befürchtete, dass die Dämonen anfangen könnten die Menschen zu vernichten und ihre Frauen zu missbrauchen.“ Mein Unterkiefer klappte auf.
„Die Dämonen wollten menschliche Frauen missbrauchen? Was sind diese Dämonen überhaupt, können sich alle in Menschen verwandeln oder was?“ Grandma atmete erneut tief ein und überlegte. Ich wartete noch immer angewidert von dem Gedanken, irgendwelche Monster würden sich bei mir zuhause breit machen. Uäh!
„Dämonen sind…wie soll ich sagen…auch unter ihnen gibt es das Gute und das Böse, obwohl alle Dämonen gefährlich und böse sind. Sie sind wilde Kreaturen, die sich in ihren Arten voneinander unterscheiden. Wir Menschen bezeichnen so etwas als Kulturen oder Rassen. Es gibt beispielsweise Dämonen, die sich nicht verwandeln, diese sind besessen vom Bösen. Es gibt aber auch Tierdämonen, Dämonen in Tierähnlichen Gestalten, die sich aber in Menschen verwandeln können. Und dann gibt es menschliche Dämonen, sogenannte Halbdämonen.“ Ihr Blick ruhte auf Takuto der ihren Blick erwiderte, ohne auch nur eine Emotion auf seinem Gesicht zu zeigen. Ich brauchte einen Moment um zu verstehen.
„Takuto, du bist ein Halbdämon?“ Ich hätte nicht fragen müssen, auch so hatte ich diese Antwort vor langer Zeit gewusst. Mir war schon immer klar gewesen, dass er kein einfacher Mensch sein konnte und nun da ich meine Antwort endlich hatte, konnte ich mein Ratespiel einstellen. Takuto wandte den Kopf in meine Richtung und fixierte mich mit seinem Blick.
„Das sollte dir doch wohl schon aufgefallen sein Prinzesschen. Sehe ich etwa so aus, wie ein mickriger, schwacher Mensch? Du hast doch meine Wandlung mit angesehen. Ich hätte dich zerstört, wäre deine Großmutter nicht dazwischen gegangen.“, antwortete er und mir kam es so vor, als würde er meine Reaktion auf seine Worte abschätzen. Meine Großmutter hatte mich gerettet…
„Grandma ich hatte mich ja noch gar nicht bedankt.“, bemerkte ich und wandte mit großer Willenskraft den Blick von den scharfen Blicken Takutos. Grandma sah mich an und lächelte ein wenig.
„Ich konnte doch nicht zusehen, wie meine Enkelin zerfleischt wird.“, meinte sie nur und sah Takuto plötzlich an. „Außerdem hättest du sie nicht zerstören oder zerfleischen können.“ Verwundert blickten Takuto und ich zu der alten Frau, die noch immer lächelte.
„Natürlich hätte ich das tun können!“ Bei seinen Worten verdrehte ich genervt die Augen.
War ja klar, dass du das sagst, überheblicher Idiot, dachte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Grandma schüttelte den Kopf.
„Nein Takuto. Du hättest sie nicht einmal anrühren können. Du bist an sie gebunden, denn sie hat dich von einem mächtigen Zauber befreit. Du stehst dein Leben lang in ihrer Schuld.“
Takuto starrte sie ungläubig an, während ich nicht wusste ob ich ihn auslachen oder ebenso verwirrt drein blicken sollte. Ein animalisches Knurren erfüllte die Stille die entstanden war und ich fuhr ängstlich zusammen.
„Was soll das heißen ich stehe in ihrer Schuld?!“ Seine Stimme war leise und bedrohlich, was mich nervöser machte. Nicht dass er auf meine Grandma losging! Diese jedoch lehnte sich entspannt zurück und sah ihn offen an.
„Es war Katáras Werk, nicht wahr?“ Bei ihrem Namen zuckte Takuto unwillkürlich zusammen. Grandma nickte wissend. „Nachdem ich bemerkt hatte, dass du nicht mehr aufgetaucht bist, habe ich nach dir suchen lassen. Unser Dorf wurde immer wieder angegriffen und ich hatte befürchtet, dir wäre etwas passiert oder du hättest uns nun doch verlassen, um mit Katára-!“
„Ich will ihren Namen nicht wieder hören!“, knurrte er laut und unterbrach Grandma. Wie gern hätte ich gehört, was sie zu sagen hatte! Gerade wollte ich ihn böse anfunkeln, als Grandma weiterredete, als wäre nichts passiert.
„Nun…ich habe nach dir suchen lassen und wir fanden deine Grabstätte. Ich habe das Schlimmste befürchtet, aber ich spürte, dass du nicht gänzlich von dieser Welt verbannt wurdest. Takuto glaube mir, ich habe alles in meiner Macht stehende getan um dich zu befreien, aber ich schaffte es nicht.“ Sie legte ihm eine faltige Hand auf die Schulter. Mit großen Augen sah ich, wie Takuto stumm nickte und zu Boden sah.
„Und dann kam ich.“, flüsterte ich, beide hörten mich. Ich biss mir auf die Lippe und sah meine Grandma flehentlich an. „Sag mir bitte nicht, das mit mir was nicht stimmt!“
„Lucia-!“, fing sie an, doch ich schüttelte den Kopf.
„Ok…ich weiß schon, dass was nicht mit mir stimmt…war ja klar.“, murmelte ich und setzte mich auf das Strohbett. „Grandma erzähl weiter. Dieser Dämonenkönig Promodros, was ist passiert? Ich meine, gab es das hier-“, ich zeigte um uns herum. „Gab es das früher schon?“
Meine Großmutter nickte und sah ins Feuer. Sie sah sehr nachdenklich aus, währende sie antwortete:
„Nein dieses Land, in dem Takuto und ich leben, gab es früher noch nicht. Wie gesagt gab es die Welt der Menschen -deine Welt- und die Anderwelt. Unsere Welt entstand, als der König sich in eine Menschenfrau verliebte.“ Takuto schnaubte. Fragend sah ich ihn an.
„Ein Dämon und ein Mensch, was für ein Unsinn.“, meinte er abfällig und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als er meinen Blick bemerkte. „Verstehst du denn nicht? Somit hat er die ganze Welt durcheinander gebracht. Die Anderwelt war empört. Die Menschliche Welt war in ständiger Gefahr, weil der König seine Pflichten vernachlässigte. Dämonen konnten sich immer häufiger und leichter zwischen den Welten bewegen.“
„Aber warum hat der König denn seine Pflichten vernachlässigt, wenn die Welt der Frau die er liebte in Gefahr war?“, fragte ich und versuchte zu verstehen. Takuto sah Grandma an und bedeutete ihr weiterzuerzählen. Diese nickte und sah mich an.
„Am Anfang war auch alles gut. Nur die Dämonen der Anderwelt verabscheuten die Zuneigung ihres Königs zu einem menschlichen Wesen. Viele lehnten sich gegen ihn auf, doch er blieb standhaft. Die Dinge änderten sich, als die Menschenfrau Sterbenskrank wurde. Promodros war am Boden zerstört, als er erfuhr, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, also erschuf er eine Zwischenwelt in der Menschen und Dämonen zusammenleben konnten und wo er sich mit ihr zurückziehen konnte, doch seine Hoffnungen auf ein friedliches Zusammenleben wurden zunichte gemacht.“ Gebannt hing ich an ihren Lippen. „Die Dämonen hegten noch immer einen Groll gegen ihren König und viele nutzten das Tor zur Zwischenwelt, um zu den Menschen gelangen…und sie zu zerstören.“
„Diese Zwischenwelt-!“, rief ich plötzlich aus, als es mir dämmerte. „Hier! Das hier ist die Zwischenwelt oder?!“ Aufgeregt sah ich sie an und wartete ungeduldig auf eine Antwort. Grandma sah belustigt aus. Takuto hingegen schnaubte wieder und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja, wir sind hier in der Zwischenwelt, die der König für seine große Liebe erschaffen hat.“ Eine Traurigkeit lag in ihrer Stimme, die mich aufhorchen ließ.
„Du sagtest einige Dämonen hätten es ausgenutzt?“, fragte ich nach und sie nickte.
„Er hätte wissen müssen, dass die Dämonen nicht friedlich mit den Menschen leben konnten, aber ich denke, dass er so sehr um die Frau besorgt war, dass er alles andere vergaß oder verdrängte. Die Dämonen kamen zuerst in die Zwischenwelt. Als sie sahen, dass man von hier aus mit Leichtigkeit in die Menschenwelt eintreten konnte, strömten sie Scharenweise hierher. Sie zerstörten alles. Es herrschten dunkle Zeiten…“ Das Knistern des Feuers war das einzige Geräusch das zu hören war. Zögerlich durchbrach ich die Stille:
„Und was ist mit der Menschenfrau passiert? Ist sie gestorben?“
„Nun, da Menschen und Dämonen Krieg führten, vergaß jeder den König. Da überraschte es alle, als er plötzlich wieder auftauchte. Doch er war ein anderer. Er war unglücklich, denn seine Geliebte, hatte das Reich der Toten betreten. Außerdem sah es aus, als würde er ebenfalls sterben. Mit seiner verbliebenen Kraft beendete er den Krieg indem er alle Dämonen aus der Menschenwelt verbannte und eine Barriere um die Zwischenwelt errichtete. Er hatte die Zwischenwelt zerstören wollen, doch er brachte es nicht über sein Herz das Reich seiner Geliebten zu vernichten. Im Krieg waren ebenfalls Menschen in die Zwischenwelt angesiedelt worden und er konnte sie nicht in ihre Welt vertreiben, also errichtete er eine Barriere zwischen der Zwischenwelt und der Menschenwelt.“
„Was ist mit der Anderwelt passiert?“ Grandma seufzte und sah zu Takuto.
„Er wollte auch die Anderwelt von der Zwischenwelt trennen, doch er schaffte es nicht gänzlich. Als er merkte, dass er keine Kraft dazu hatte, erschuf er eine weitere Welt…und starb dort.“ Ich starrte sie ungläubig an.
„Was?! Noch eine Welt? Wie viele Welten hat er denn noch erschaffen?!“, rief ich aus und bekam einen mahnenden Blick.
„Sein Grab.“, hörte ich Takuto leise sagen. Ich widmete mich ihm zu.
„Sein Grab?“ Er nickte und sah ins Feuer.
„Seine Grabstätte, keine neue Welt. Er verkündete allen Dämonen er würde demjenigen seinen Thron überlassen, der seine Grabstätte betrat und das Heiligste in seinem Besitz opferte. Der der es schaffte, wäre in der Lage alle Welten zu regieren. Er bekäme unermessliche Kräfte.“ Er sah mich an.
„Ich kann mir schon denken, was die Dämonen versucht haben, nachdem er gestorben war…“, sagte ich und bekam ein nicken seinerseits. „Sie haben seine Grabstätte gesucht. Hat irgendjemand sie gefunden? Gab es einen neuen König?“
Grandma und Takuto schüttelten die Köpfe.
„Promodros war der letzte König. Niemand schaffte es auch nur ansatzweise seine Grabstätte überhaupt zu finden.“, antwortete Grandma und jeder hing seinen Gedanken nach, während wieder Stille über uns hereinbrach. Wie absurd mir das alles vorkam. Dieser Dämonenkönig, der aussah wie ein ganz normaler Mensch hatte sich in eine Menschenfrau verliebt…ich fragte mich was für eine Frau sie gewesen war. Der König war sehr alt gewesen und nach den Erzählungen meiner Großmutter hörte es sich an, als hätte er vor ihr auch nie wirklich jemanden so sehr geliebt. Das Tragische war, dass alles wegen ihrer Liebe den Bach runtergegangen war…Ich wusste nicht warum, doch ich fühlte mich unendlich traurig deswegen. Ich glaubte nicht, dass der König seine Pflichten mit Absicht vernachlässigt hatte, dass es ihm nicht egal gewesen war…Er war bei seiner sterbenden Geliebten geblieben, um ihre verbliebe Zeit mit ihr verbringen zu können. Meine Augen füllten sich mit Tränen, die sich den Weg über meine Wangen bahnten. Ich presste meine Lippen zusammen um nicht aufzuschluchzen. Was passierte mit mir?
„Lucia?“, zum ersten Mal nannte Takuto mich beim Namen. Er hörte sich überrascht an.
„Was hast du Kind?“, fragte Grandma und kam zu mir. „Lucia!“ Ich konnte mich nicht mehr einkriegen. Ich schluchzte und weinte immer weiter. Meine Schultern bebten und meine Hände zitterten.
„I-ich weiß n-nicht w-warum-?!“, stammelte ich und wurde in eine liebevolle Umarmung gezogen. „Grandma, es ist so traurig…“ Sie strich mir über den Rücken und setzte sich dabei neben mich.
„Ja das ist es.“, sagte sie etwas verwirrt und ich konnte mir schon vorstellen, wie sie einen irritierten Blick mit Takuto wechselte. „Ich denke dir ist das alles zu viel. Du solltest dich ausruhen.“, redete sie beruhigend auf mich ein, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht schlafen, ich war nicht müde und ich hatte noch eine Menge Fragen! Seufzend löste sie sich von mir.
„Ich hab noch Fragen.“, stellte ich klar und sah sie trotzig an. Zuerst kniff sie die Augen zusammen, doch dann seufzte sie erneut und setzte sich wieder auf den Boden vor das Feuerchen. Takuto sah mich mit gerunzelter Stirn an. Ich versuchte ihn zu ignorieren, was ich schaffte, indem ich mich an meine Großmutter wandte. „Grandma, also ich weiß nicht, wie ich fragen soll, aber…Du bist doch schon vor 9 Jahren gestorben?“ Ich kaute auf meiner Lippe rum, während Grandma mich ansah und lächelte. Ich meine, richtig lächelte. Ich erinnerte mich noch an dieses Lächeln, das ich als kleines Mädchen geliebt hatte, so wie Mom. Mom…ob meine Eltern meine Abwesenheit bemerkt hatten?
„Oh nein, ich bin nicht gestorben, wie du siehst. Kannst du dich daran erinnern, mir von deinem Erlebnis im Wald erzählt zu haben, als du 6 Jahre alt warstt?“, fragte sie sanft und ich erinnerte mich. Ich hatte es ihr erzählt. Nur ihr. Sie war die Einzige gewesen, von der ich überzeugt war, sie würde mir glauben. Weil sie meine geliebte Großmutter gewesen war…Ich lächelte und stand auf, um mich vor sie zu kniehen und sie in die Arme zu schließen. Ich hatte sie ganz vergessen. Meine halbe Kindheit hatte ich mit ihr verbracht, als sie dann plötzlich verstarb. Ich hatte die Erinnerung an den Tag ihres Todes wohl unterdrückt.
„Grandma…ich hab dich so vermisst.“, flüsterte ich und blinzelte die Tränen weg. Sie erwiderte die Umarmung.
„Ich dich auch Spätzchen.“, flüsterte sie zurück und hörte sich zittrig an. Verwundert lehnte ich mich ein Stück zurück und betrachtete ihr Gesicht. Ihre Augen waren traurig.
„Grandma was ist denn passiert?“, fragte ich besorgt und hielt ihre Hände fest in meinen umschlossen. Sie seufzte und lächelte mich wehmütig an.
„Als du mir davon erzähltest, wusste ich schon längst alles über diese Welt. Ich wurde schon als junge Frau dorthin gerufen, als unsere Familie wieder hierherzog. Du weißt ja, dass deine Ururgroßmutter Japanerin war.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
„Du wusstest von alldem?! Und wieso hast du es mir nicht gesagt?“ Sie lachte auf. Sie sah irgendwie wieder aus, wie meine alte Grandma von vor 10 Jahren, doch noch immer hatte sie eine Härte in ihren Zügen und der Stimme, die sie wohl nie ablegen konnte. Ich machte mir ernste Sorgen. Was war mit ihr geschehen? Wie war sie hierhergekommen?
„Ich lebte schon sehr lange in beiden Welten und hatte mich noch nicht entschieden wo ich endgültig leben wollte. Deswegen kennen Takuto und ich uns auch. Wir lernten uns kennen, als ich noch sehr jung war. Nun. Sehr jung zwar nicht, aber jünger als heute.“ Wieder lachte sie, dann sah sie mich ernst an. „Ich habe dir verboten dort wieder hinzugehen und ich habe es dir verschwiegen, denn wie du siehst ist es hier sehr gefährlich und du warst noch sehr klein. Was hätte ich deinen Eltern sagen sollen?“ Ich nickte. Ich konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, ich wusste nur, dass ich es einerseits verstehen konnte, andererseits wollte ich Takuto und die schöne Frau wiedersehen. Als kleines Kind hatte ich ihr vertraut und war einverstanden gewesen.
„Du bist aber wieder hingegangen.“, half ich ihr fortzufahren und sie nickte.
„Ich lebte schon zu lange hier und immer wenn ich die Zwischenwelt betrat, hatte ich so ein Gefühl…Das Gefühl Zuhause zu sein.“ Ich runzelte die Stirn.
>Das Gefühl Zuhause zu sein<
„Ich entdeckte das Dorf gleich bei meinem ersten Besuch hier und nachdem ich die Menschen kennengelernt und die Geschichten gehört hatte…lebte ich mich hier ein und wurde zur Priesterin ausgebildet.“ Priesterin?! Was hieß denn das? Ich sah sie mir genauer an und bemerkte erst jetzt ihre Kleidung. Sie hatte ein sehr altes Gewandt an, das Oberteil war weiß, ihre Hose, die so weit war, dass es eher wie ein Rock aussah, war rot. Sie fuhr fort, während ich sie anstarrte. „Ich wurde von der ehemaligen Priesterin ausgebildet, die schon seit ihrer Kindheit hier gelebt hatte. Sie erklärte mir alles, brachte mir alles bei und schloss mich ins Herz. Sie sagte mir, dass es kein Zufall war, dass ich hierhergeführt wurde. Sie sagte, ich gehöre hierher und das stimmte. Ich entschied mich hier weiterzuleben und meine Ausbildung als Priesterin intensiver fortzusetzen, denn ich war schon alt und musste alles beherrschen, was Kaede vom Kindesalter angefangen hatte zu lernen. Also täuschte ich meinen Tod in der Menschenwelt vor. Es tat mir sehr weh meine Tochter und meine Enkelin zurückzulassen. Es tut mir wirklich sehr Leid…das einzige was ich für euren Schutz tun konnte war, euch mit Schutzzaubern belegte Perlenketten zu geben.“ Sie sah an meinem Hals herunter und schlug enttäuscht die Augen zu, als sie bemerkte, dass ich sie nicht trug. Schnell drückte ich ihre Hände und erklärte:
„Nein Grandma, ich habe sie getragen. Immer! Nur, heute ist sie kaputtgegangen, als ich mich umgezogen hab! Und Mom trägt sie auch ständig, glaub mir.“ Ich suchte ihren Blick, dann schlug sie die Augen auf und sah mich hoffnungsvoll an.
„Sandra trägt sie? Wie geht es ihr?“, fragte sie und wieder glitzerten Tränen in ihren Augen. „Meine Sandra. Ich hoffe doch sie hat meinen Tod verkraftet.“ Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht loszuheulen und nickte stumm zur Antwort. Dankbar lächelte sie mich an und strich mir über die Wange. „Und du Lucia? Hast du meinen Tod verkraftet?“ Wieder nickte ich und sie merkte, dass ich wieder kurz davor war Tränen zu vergießen, also nahm sie mich fest in die Arme und drückte mich.
„Grandma…es tut mir leid, dass ich die Kette kaputt gemacht hab.“ Sie löste sich von mir und lächelte milde.
„Ach schon gut…ich denke das war ein Zeichen.“ Verdutzt sah ich sie an.
„Was für ein Zeichen? Ein Zeichen des Schicksal?“, scherzte ich, doch sie nickte zu meiner Überraschung.
„Vielleicht brauchst du nicht länger den Schutz von mir. Von nun an solltest du in der Lage sein dich selbst zu schützen…“ Sie stand auf und ich sah ihr verwirrt hinterher. Dabei bemerkte ich, dass Takuto nicht mehr da war.
„Grandma, wo ist denn Takuto hin?“, fragte ich und runzelte die Stirn. Ich hätte es doch mitbekommen müssen, als er abgehauen war.
„Vermutlich war es ihm unangenehm uns beide so vertraut zu sehen und er wollte uns ein wenig Zeit für uns lassen.“ Ihre Worte überraschten mich, so sah ich wohl auch aus, denn Grandma lachte. „Lucia, er ist nicht so schlimm wie du denkst. Er ist im Moment nur Miesepetrig, weil er Jahrelang eingesperrt worden war, ausgerechnet von der Person, die er geliebt hatte.“
„Er war verliebt gewesen?!“, platzte es aus mir heraus. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ausgerechnet Takuto Gefühle wie Liebe entwickeln konnte! Grandma seufzte und kramte in einer kleinen Kiste.
„Er möchte nicht daran erinnert werden, also stell ihm bitte keine Fragen, sonst geht er womöglich noch auf mich los, weil er dir nichts tun kann und ich dir alles erzählt habe…wenn er bereit ist, wird er es dir schon erzählen. So. Und jetzt wieder zu dir.“ Sie drehte sich um und gab mir Kleidung in die Hand. „Du solltest dich umziehen. Ich lasse meine Enkelin nicht halbnackt durch das Dorf laufen.“, meinte sie weder streng und beäugte missbilligend mein Shirt. Ich wurde ein wenig rot und nahm die Kleidung. Sie fühlte sich schwer an und rau. Sie Kleidung ähnelte der meiner Großmutter. Fragend sah ich zu ihr hoch.
„Ist mir das nicht zu groß?“, fragte ich, als ich aufstand und mir die Sachen vorhielt.
„Ich denke nicht. Sie gehörte Kaede und sie hatte deine Statur. Groß und schlank.“ Sie seufzte, als ich mich auszog und die Sachen mit Schwierigkeiten anzog. „Wie gern ich noch einmal jung und schön wäre.“, murmelte sie und brachte mich zum Lachen.
„Ach Grandma, du bist doch schön und du bist nur so jung, wie du dich fühlst, du hast nichts zu bedauern!“ Während ich die Sachen anzog, erklärte sie mir, was die Einzelteile waren:
„Die traditionelle Kleidung der Miko, also einer Priesterin wie mir, ist ein Chihaya, bestehend aus einem scharlachroten Hakama, entweder als Hose oder als Rock; und einem weißen Kimono-Hemd mit weitschweifigen Ärmeln.“ Ich sah sie an. Das waren alles Japanisch-traditionelle Bezeichnungen.
„Grandma ist das hier das mittelalterliche Japan?“, fragte ich nach und sie nickte.
„Du lebst zwar in moderneren Zeiten, aber wir sind noch immer im gleichen Land. Denk aber nicht du würdest in der Zeit reisen, nein. Die Zwischenwelt ist in ihrer Zeit einfach stehengeblieben. Wir haben uns hier nicht modernisiert und ich habe keine Anstalten gemacht den Menschen von meiner Zeit zu erzählen. So lebt man friedlicher miteinander, zwar gefährlicher, aber friedlicher.“ Ich nickte. Wir waren noch immer in Japan, aber niemand aus meiner Welt kannte diesen Teil von Japan außer mir. Wir waren mit meinen Eltern und Grandma von Amerika nach Tokyo gezogen, als ich 2 Jahre alt gewesen war, deswegen hatte ich auch ein westliches Aussehen. Ich war hier nicht geboren, ebenso wie meine Eltern, doch trotzdem hatten wir uns hier wohl gefühlt. Auch war ich zweisprachig aufgewachsen, obwohl ich auf eine Englischsprachige Highschool ging. Das war natürlich wichtig gewesen, damit ich auch selbstständig in Tokyo leben konnte. Zuhause redeten wir immer in Englisch, mit meinen Freunden redete ich in beiden Sprachen.
„Ich muss zurück nach Hause.“, sagte ich leise, als Grandma meine Haare kämmte und sie offen ließ.
„Ich weiß. Ich weiß aber nicht, ob du jetzt schon nach Hause gehen kannst.“, antwortete Grandma ebenso leise. Ich hörte, dass es ihr schwer fiel mir das zu sagen.
„Grandma, Mom und Dad bringen mich um, wenn ich nicht Zuhause bin und sie heute Abend zurückkommen.“, versuchte ich zu erklären. Gerade als sie kopfschüttelnd antworten wollte, wurde die Tür aufgestoßen und Takuto trat ein. Kurz weiteten sich seine Augen bei meinem Anblick, dann räusperte er sich und setzte sich an seinen Platz neben der Eingangstür.
„Takuto, wo warst du?“, fragte Grandma und setzte sich wieder ans Feuer. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ins Feuer.
„Draußen.“, antwortete er knapp, woraufhin ich bei seinem Anblick anfangen musste zu grinsen. Er benahm sich ja wie ein Teenager –nein- er benahm sich wie ich, wenn mein Dad mich nach einem stressigen Tag nach den Hausaufgaben fragte! „Was gibt’s da zu grinsen?!“, meckerte er und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Nun da er mich auch noch so ansah, konnte ich mich nicht mehr halten und prustete los. Das machte ihn wohl noch wütender. Er knurrte und sah wieder stur ins Feuer. Grandma lachte nun ebenfalls.
„Oh Grandma…eine Frage haben wir aber noch nicht geklärt.“, sagte ich, nachdem wir uns beruhigt hatten und setzte mich neben sie. Sie sah mich an und schien zu wissen, worauf ich hinauswollte. „Takuto meinte, bei unserer ersten-! Genauer gesagt, bei unserer zweiten Begegnung…dass Menschen die Barriere nicht durchqueren können? Du hast sie aber durchquert. Und ich auch.“ Sie nickte und ich sah, wie ihre Augen funkelten. Vor Stolz? Bildete ich mir das nur ein?
„Ja, normale Menschen können die Barriere tatsächlich nicht durchqueren. Jeder Mensch der versucht in diesen Wald einzudringen, wird sich nach wenigen Minuten wieder am Rande des Waldes einfinden. Ich konnte die Barriere betreten, weil unsere Familie in der Zeit des Königs Promodros mit einem Dämon in Verbindung kam. Ich vermute, dass irgendeine Vorfahrin von uns von einem Dämon missbraucht wurde und ein Kind von ihm ausgetragen hat. Das Kind wurde wie in seltenen Fällen zu keinem Halbdämon oder was noch seltener Vorkam zu einem vollwertigen Dämon, sondern war ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Eine Urahnin von der Seite meiner Mutter soll von einem Dämon geschwängert worden sein?
„Wie eklig.“, sagte ich nur. „Und was hat es jetzt mit diesen besonderen Fähigkeiten auf sich? Sag mir bitte dass ich Superkräfte hab, das wär so was von cool!“ Begeistert über diesen Gedanken klatschte ich in die Hände. Grandma verdrehte die Augen.
„Nein keine Superkräfte.“ Enttäuscht ließ ich die Schultern hängen und schmollte vor mich hin, als sie weitererzählte. „Diese Kräfte bekommt man genauso selten, wie ein Mensch und ein Dämon einen vollwertigen Dämon zeugen können.“
„Uäh!“, würgte ich angeekelt und verzog das Gesicht. Das hörte sich alles so widerlich an!
„Lucia stell dich nicht so an. Nun…das Kind unserer Urahnin muss wohl nach dem Ende des Krieges in der Menschenwelt geblieben sein und so wurden ihre Fähigkeiten von Generation zu Generation weitervererbt, aber ich glaube das einige Generationen übersprungen wurden, wie bei dir.“
„Und was für Fähigkeiten hab ich drauf?“, fragte ich mit einem sarkastischen Unterton. Wirklich glauben konnte ich ihr nicht, obwohl es nur eine logische Erklärung dafür war, dass ich die Barriere durchqueren konnte. War ich nun auch eine Priesterin, wie sie? Musste ich hier leben? Der Gedanke entsetzte mich. HIER?! Nein, ganz sicher nicht. Nie im Leben würde ich meine geliebte Hightech-Welt verlassen und im Mittelalter leben.
„Wir haben alle die gleichen Fähigkeiten. Wir sind Priesterinnen. Ich weiß natürlich nicht, ob auch das männliche Geschlecht zu Priestern werden kann, aber wie der Zufall will, sind wir eine Familie mit nur weiblichen Nachkommen.“ Oh ja das waren wir. Unser Stammbaum war wirklich sehr mysteriös, denn keine meiner Ahnen mütterlicherseits hatte je einen Sohn geboren. Ich sah sie zweifelnd an.
„Grandma, ich will hier aber nicht bleiben, ich-!“ Sie versteifte sich auf einmal und auch Takuto stand von einer Sekunde zur anderen vor dem Fenster und starrte raus. Verunsichert sah ich zwischen den beiden hin und her. „Was ist denn los?“ Grandma stand so schnell auf, wie ich es noch nie bei ihr gesehen hatte. Sie bewegte sich schnell und präzise.
„Takuto sieh nach, was da draußen ist.“, sagte sie, während sie sich einen Köcher mit Pfeilen umband und einen Bogen in die Hand nahm. Dann sah sie mich an und überlegte für einen Bruchteil einer Sekunde. „Lucia komm mit!“, sagte sie bestimmt und ging Takuto hinterher in die Nacht hinaus. Mit Schreckgeweiteten Augen stand ich da und war mir nicht sicher, was ich tun sollte. Ihr zu folgen kam mir nicht in den Sinn, obwohl sie es angeordnet hatte. Angst. Ich hatte zu viel Angst. Was war da draußen? Vielleicht das Monster das mich angegriffen hatte?
„Oh!“, machte ich, als ich mich daran erinnerte, meine Grandma nicht nach dem Angriff gefragt zu haben. Hatte mich ein Dämon angegriffen? Oh Gott, war der Dämon jetzt da draußen und kam um mich zu holen?! Ich gab einen erstickten Laut von mir und ballte meine Hände zu Fäusten. Oh Gott, Oh Gott, Oh Gott! Ich atmete tief ein und lief widerwillig meiner Grandma hinterher. Ich musste wissen was da draußen war. Ich redete mir ein, dass mir nichts passieren könnte, schließlich waren Takuto und Grandma bei mir. Der Himmel war schon sehr dunkel und ein paar Dorfbewohner standen mit Fackeln draußen und versuchten Ruhe zu bewahren bei dem Anblick der sich uns bot. Ich wusste nicht an wen ich mich klammerte, es war mir auch egal, ich konnte die Augen nicht von dem riesigen Monster nehmen, das sah aus wie ein Gorilla. Es hatte rote Augen und war dreifach so groß wie die Hütte meiner Grandma. Das was mich an der ganzen Szenerie wirklich entsetzte war die genauso riesige Schlange die aus der Schulter des Gorillas rausragte.
„Was. Ist. Das?!“ Ich bemerkte zunächst nicht, dass ich diejenige war, die diese Worte gekreischt hatte. Gekreischt. Nicht schon wieder! Ich sah noch wie Takutos Kopf sich mir zuwandte, danach konnte ich mich nicht mehr bewegen, denn die Schlange starrte mir in die Augen. Eine unbändige Panik kroch durch meinen ganzen Körper und ich zitterte wie verrückt. Ihre schwarzen, gemeinen Knopfaugen hypnotisierten mich und jagten mir eine solche Angst ein, dass ich schon fast meinen Verstand verlor. Ich hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle. Im Hintergrund hörte ich die Stimmen von Menschen, die sich zuriefen mir nicht zu nahe zu kommen, da ich besessen sei.
>Besessen? Ich?<
Ich kniff die Augen zu und weigerte mich sie jemals wieder zu öffnen.
„Lucia, bist du wieder bei dir?“, fragte mich meine Grandma dicht hinter mir und legte eine Hand vorsichtig auf meine Schulter.
„Ja bin ich, aber ich hab Angst Grandma!“, sagte ich leise und hörte gleich darauf einen erleichterten Seufzer.
„Takuto hat der Schlange die Augen ausgestochen. Du kannst wieder hinsehen. Aber bleib hinter mir, verstanden?“ Ich nickte benommen und öffnete die Augen einen Spalt breit. Als ich mir sicher war, dass die Schlange mich nicht mehr ansah, öffnete ich sie gänzlich. Tatsächlich sprang Takuto in Übergeschwindigkeit auf den Dächern der Hütten herum und ich hätte ihn überhaupt nicht ausmachen können, würde der Gorilla nicht immer wütend um sich schlagen und die Schlange blind versuchen ihn mit den Zähnen zu fangen. Überall hatten die beiden Schnittwunden die immer schlimmer wurden, dann sah ich Takuto hoch oben am Kopf des Gorillas –es sah aus, als würde er fliegen-. Er holte weit aus und warf etwas gegen dessen Hals. Was er warf sah ich nicht, aber ich vermutete dass es sehr scharf sein musste, denn plötzlich kippte der Kopf des Gorillas zur Seite und er fiel Kopflos zu Boden. Die Schlange wollte gerade entfliehen, als Takuto auch sie enthauptete. Ich fragte mich abermals ob dies wirklich die Realität war. Ich hatte mir alles angesehen und nun hatte ich den Schock meines Lebens. Die Bewohner schienen nicht so schockiert gewesen zu sein, denn sie johlten und tanzten an mir vorbei zu den Monstern und setzten ihre Fackeln an den toten Körpern an.
„Was ist los Prinzesschen, hast du Angst gekriegt?“, fragte eine leise höhnische Stimme an meinem Ohr und ich fuhr erschrocken zusammen. Mir blieb der Schrei im Hals stecken, als ich mich umdrehte und Takuto anstarrte. Er war völlig mit Blut bespritzt und sah furchterregend aus. Er grinste mir spöttisch ins Gesicht und ich wusste, dass er mich nur damit ärgern wollte, als er das Blut an seiner Wange mit dem Daumen wegwischte und diesen ableckte. Zwar schaffte er es nicht mich damit zu ärgern, doch den Brechreiz den er verursacht hatte konnte ich nicht aufhalten. Er konnte ja nicht ahnen in was für einer Gefühlslage ich steckte und reagierte zu spät, als ich mich vornüberbeugte und mich vor seinen Füßen übergab.
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„Ich rette allen das Leben und was bekomme ich dafür?! Eine Riesenschweinerei zu meinen Füßen!“, rief Takuto wutentbrannt aus, als er mich in die Hütte meiner Grandma trug. Freiwillig hätte er das niemals gemacht, Grandma hatte ihn gebeten, denn mir ging es elend und war wacklig auf den Beinen, außerdem hatten alle Dorfbewohner mit den beiden Leichnamen der Dämonen zu tun.
„Das waren also Dämonen.“, flüsterte ich und hielt gleich die Klappe, damit nicht noch was anderes rauskam als nur ein paar Wörter. Takuto legte mich leise vor sich hin brummelnd auf das Feldbett meiner Großmutter und verließ die Hütte -wahrscheinlich um seine Schuhe sauber zu machen.
„Ja das waren Dämonen. Du siehst, sie sind sehr gefährlich und unberechenbar. Sie können plötzlich auftauchen und wenn wir Takuto nicht gehabt hätten, wären wir nicht so schnell mit ihnen fertig geworden. Ungewöhnlich war nur, dass die beiden Dämonen sich zusammengetan haben…“, überlegte sie laut und wischte mir mit einem nassen Tuch über das Gesicht. „Das war wohl zu viel für dich. Ich denke…ich denke du solltest morgen früh nach Hause gehen Lucia.“ Ich antwortete nicht, aus Angst mir könnte schlecht werden. Sie seufzte und setzte sich wieder ans kleine Lagerfeuer. Für kurze Zeit hörten wir die Dorfbewohner draußen feiern. Was sollte ich meinen Eltern sagen, wenn sie nach Hause kamen und ich nicht da war und wenn ich bei keiner meiner Freundinnen war? Mir fiel keine Ausrede ein. Sie würden mir bestimmt 5 Monate lang Hausarrest aufbrummen…Nein. Ich musste noch heute nach Hause! Mühsam richtete ich mich auf und sah zu meiner Grandma, die nachdenklich in die Flammen sah.
„Grandma. Ich will jetzt nach Hause.“, sagte ich leise und versuchte nicht allzu krank auszusehen. Sie sah mich an und runzelte die Stirn. Trotzig begegnete ich ihrem Blick und hielt ihm stand, während ich mich aufsetzte. Dann seufzte sie.
„Gut. Aber Takuto wird dich bis zur Grenze bringen.“, sagte sie bestimmt. Gerade wollte ich ihr sagen, dass ich lieber gegen 100 Dämonen antreten würde, als von ihm nach Hause gebracht zu werden, als dieser auch schon an der Tür erschien und mit wildem Blick meine Grandma ansah.
„NEIN!“, knurrte er und ich bekam ein wenig Angst bei seinem Anblick. Seine Zähne waren wieder spitz, die Augen aber normal…normal violett. Grandma ließ sich davon nicht beirren und sah ihn streng an.
„Wenn du sie nicht bringst, wird sie allein gehen wollen, dann müsste ich sie begleiten mit meinen schmerzenden Beinen und in der Nacht wo doch allerlei Monster sich dort herumtreiben.“ Takuto verengte die Augen. Ha! Sie hatte ihn. Ihr würde er nicht widersprechen, also presste er die Lippen zusammen und sah zu mir.
„Komm schon.“, knurrte er und wollte sich umdrehen, als Grandma wieder das Wort erhob.
„Du wirst sie tragen Takuto. Sie kann nicht allein auf den Beinen stehen, ihr geht es zu schlecht.“ Nun war ich es, die die Augen verengte und ihr einen tödlichen Blick schenkte.
„Er wird mich nicht nochmal tragen, ich kann es nicht ertragen, seine ständige Nörgelei anhören zu müssen!“, zischte ich aufgebracht und musste mich beruhigen, damit dieses nervige Übelkeitsgefühl wegging. Dann atmete ich tief durch und stand mit einem Ruck auf und wollte an Takuto vorbei aus der Hütte stolzieren, um zu zeigen, dass ich auch gut allein auf den Beinen stehen konnte. Doch zu meinem Ärgernis war mein Körper noch nicht stabil genug und meine Beine kippten weg. Noch ärgerlicher wurde es, als ausgerechnet Takuto mich auffing und mich an den Hüften festhielt, bevor ich den Boden küsste. Peinlich berührt und mit vor Wut hochrotem Gesicht sah ich zu ihm hoch und wollte mich richtig hinstellen, als er mich hochwirbelte und mich über seine Schulter warf. Dadurch wurde mich so übel, dass ich nicht protestieren konnte, sondern schlapp an ihm herunterhing.
„Pérenell sei versichert unserem kleinen Prinzesschen wird nichts geschehen, solange sie die Klappe hält.“, sagte er noch abfällig und drehte sich um, sodass meine Grandma mich noch ansehen konnte, doch ich hatte nicht die Kraft meinen Kopf soweit zu heben, dass ich sie ansehen konnte.
„Ich denke nicht, dass das bequem ist Takuto. Du solltest-!“
„Ach das geht schon, irgendwie muss ich sie ja transportieren.“, unterbrach er sie, doch sie schnaubte.
„Ich habe meine Enkelin gemeint. Ich hoffe doch, sie übergibt sich nicht noch einmal auf dem Weg, nur weil du sie trägst wie einen alten Sack Kartoffeln!“ Ich stimmte ihr in Gedanken zu, zu mehr war ich nicht fähig, da sich noch immer alles drehte und ich versuchte die aufsteigende Magensäure zu unterdrücken.
„Sie wird’s schon überleben.“, brummte Takuto und sagte dann etwas lauter: „Verabschiedet euch schnell, ich will sie nicht ewig tragen müssen.“ Dann wurde er still. Endlich. Grandma kam zu uns und strich mir über die geröteten Wangen.
„Schätzchen ich hoffe du kommst mich besuchen…wir könnten uns ja irgendwann auf der Lichtung treffen? Wie gern würde ich dich wiedersehen.“ Ich nickte und lächelte ein wenig, was sie erheiterte. „Gut. Takuto sei bitte vorsichtig und bring sie bis zur Grenze der Barriere.“
Sie drückte mir noch mein Shirt in die Hand und schon ging Takuto in gemächlichem Schritt aus der Hütte. Wir beide sagten nichts, während wir an den feiernden Dorfbewohnern und den verbrennenden, toten Dämonen vorbeigingen. So langsam begann ich die Ereignisse des Tages zu verarbeiten und wurde allmählich ruhiger. Ich freute mich von hier wegzukommen und fragte mich, weshalb ich mir so viel von Takuto und der schönen Frau erwartete hatte. Der Frau wäre ich trotzdem schon ganz gern begegnet…
„Erinnerst du dich eigentlich an unsere erste Begegnung?“, fragte ich nach einer Weile. Takuto hatte den Wald schon betreten und es war sehr dunkel. Ich fragte mich, ob er einem Pfad folgte, oder er einfach wusste wo es langging, denn ich sah fast nichts. Er antwortete nicht sofort, was mich verunsicherte. Vielleicht konnte er sich ja nicht erinnern, vielleicht war ihm unsere Begegnung zu unwichtig gewesen, als dass er sich nun noch daran erinnerte. Ich konnte es verstehen. Schließlich war er jahrelang in einem Stein eingesperrt gewesen und hatte andere Probleme gehabt, an die er gedacht hatte. Wie gern wüsste ich, wer ihn eingesperrt hatte und weshalb. Mit einem gemeinen Lächeln dachte ich mir, dass er wegen seiner großen Klappe eingesperrt wurde. Das konnte ich mir sehr gut vorstellen.
„Zuerst habe ich dich nicht wiedererkannt. Aber dein Duft ist mir in Erinnerung geblieben, deswegen war ich ein wenig verwirrt, weil du mir bekannt vorkamst, obwohl ich dachte, dich nie gesehen zu haben.“, sagte er dann doch.
„Stinke ich so sehr?“, fragte ich lachend und mein ganzer Körper bebte dabei. Ich konnte es gerade noch so heraushören, wie er ebenfalls grinste:
„Naja, nicht sooo sehr...Nein…nein, du rochst so natürlich, unschuldig und blumig. Heute war dein Geruch vermischt mit einem Rosenduft, den du früher nicht hattest.“, erklärte er gedankenverloren. Sollte ich das als Kompliment sehen, fragte ich mich und biss mir auf die Unterlippe. So wie es sich anhörte roch ich für ihn sehr gut. Außerdem schloss ich aus dieser Information heraus, dass Halbdämonen einen sehr empfindlichen Geruchssinn hatten. Er redete weiter, als würde er mit sich selbst reden: „Ich habe mich gewundert, was ein kleines Kind so tief im Wald tat…und dann warst du auch noch ein Menschenkind. Aber dann…dann konnte ich mich nicht mehr auf dich konzentrieren, ich wollte dich befragen, wie du es geschafft hast die Barriere zu passieren, aber-…“ Er unterbrach sich und wurde wieder ganz still. Ich war einfach zu neugierig, als dass ich die Klappe halten konnte.
„Was war dort, als wir im Wald waren?“, fragte ich, doch ich bekam keine Antwort. Ich zappelte mit den Füßen. „Takuto, komm schon!“, drängte ich, doch er brummte nur, dass es nicht wichtig wäre und schwieg. Ich versuchte nicht weiter zu quengeln und konzentrierte mich auf unsere Umgebung. Mir ging es schon gut genug, um meinen Kopf zu verrenken und mich in der Finsternis der Nacht umzusehen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich spürte, dass wir beobachtet wurden. Auch hörte ich manchmal ein unheilvolles Flattern und Knistern über und neben uns. Takuto schien es nicht zu kümmern.
„Und?“, fragte er dann plötzlich und ich dachte, wir wären schon angekommen, doch er ging weiter.
„Was denn?“, fragte ich verdutzt und wartete ungeduldig darauf, dass er weiterredete.
„Warum bist du denn in den Wald gegangen?“
Ich überlegte eine Weile. Sollte ich ihm von dem wunderschönen Wesen berichten, dem ich gefolgt war? Vielleicht kannte er sie ja, also entschied ich mich dafür ihn zu fragen.
„Ich hab auf der Lichtung gespielt und hab dann…also da war…hm -ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll- sie war einfach zauberhaft-!“
„Sie?“, fragte er und blieb abrupt stehen. Irritiert nickte ich und vergaß, dass er das gar nicht sehen konnte.
„Öhm ja?“
Er räusperte sich und ging weiter.
„Hm…weißt du wer sie war?“, fragte er weiter und ich wusste, dass er eine Vermutung hatte. Also kannte er sie bestimmt! Ich erinnerte mich wieder zurück und erzählte ihm von ihr. Ich erzählte ihm von ihrer Schönheit und sagte auch, dass ich es sehr bedauerte ihr Gesicht nicht gesehen zu haben.
„-Aber ehrlich gesagt, finde ich, dass genau das das Besondere war…vielleicht ist es sogar gut, dass ich ihr Gesicht nicht gesehen habe, vielleicht hätte es den ganzen Zauber auf der Lichtung genommen…“, beendete ich meine Schwärmerei und hing noch meinen Gedanken nach. Takuto sagte wieder nichts. Dieses Mal ließ ich ihn endgültig in Ruhe. Schon nach kurzer Zeit befanden wir uns plötzlich auf der winzigen Wiese, auf der Takuto gefangen gewesen war und ich ihn befreit hatte. „Dieser Ort ist irgendwie…“, flüsterte ich, als ich mich ganz komisch fühlte. Etwas war hier, aber ich konnte nicht erklären was es war.
„Fühlst du dich besser?“, fragte Takuto mit finsterer Stimme.
„Ja, du kannst mich ruhig runter lassen, Grandma muss es ja nicht erfahren.“, scherzte ich schwach, er setzte mich behutsam vor sich ab. Er sah nicht zu mir, er sah zu den Gesteinsbrocken, die noch auf dem Boden verstreut lagen. Ich blieb stehen und betrachtete ihn für eine Weile. Takutos Augen strahlten eine solche Trauer aus, dass ich es nicht ertragen konnte ihn so zu sehen -auch wenn ich ihn nicht leiden konnte. Er atmete flach und hatte die Fäuste geballt. „Wenn es dir schwerfällt hier zu sein, dann sollten wir gehen?“, flüsterte ich.
„Wenn du weiter geradeaus gehst, erreichst du in vielleicht 5 Minuten die Grenze der Barriere und dann bist du auch schon auf der Lichtung. Schaffst du das allein?“, fragte er, ohne auf meine vorige Frage einzugehen. Er sah mich nicht einmal an. Ich presste die Lippen zusammen, um ihm nicht gleich diverse Schimpfwörter an den Kopf zu werfen. Er wollte mich allein gehen lassen! Vielleicht war ich ja eine ‚Priesterin‘, aber ich war noch lange nicht irgendeine Superheldin, die sich vor Dämonen schützen konnte! Wenn ich schon an meine letzte Begegnung mit den Dämonen dachte, bekam ich eine Gänsehaut. Zuerst wollte ich mich wie früher benehmen, mit dem Fuß auf den Boden stampfen und heulen, dass ich nicht allein gehen wollte, doch ich war erwachsen und ich war so wütend auf ihn, dass ich einfach nur nickte und mich zum Gehen wandte. Niemals würde ich ihm die Genugtuung geben und ihn anflehen mich doch zu begleiten. Pah!
…
Gruselig war’s ja schon irgendwie…so ganz allein…im Dunkeln…Ich nahm all meinen Mut zusammen und versuchte nicht mich umzudrehen, doch schon nach wenigen Metern, die ich ins Dickicht eingeschlagen hatte, wurde ich leicht hysterisch, denn ich konnte rein gar nichts sehen. Fast blind tastete ich mich vorwärts und spitzte die Ohren, um vorbereitet zu sein, falls mich irgendwas angriff. Und schon hörte ich es hinter mir rascheln. Es war groß und ich hatte eine Heiden Angst. Nein keine Angst…ICH HATTE EINE SOLCHE PANIK, DASS ICH MIR FAST IN DIE HOSEN GEMACHT HÄTTE!!! Ich wusste nicht wie ich es schaffte nicht gegen irgendwelche Bäume zu laufen, doch ich schaffte es meine Beine zu bewegen und sprintete drauf los. Umsehen konnte ich mich sowieso nicht, also starrte ich geradeaus und versuchte nicht so laut zu atmen, was sich leider nicht vermeiden ließ, denn Angst zu haben und gleichzeitig zu rennen war anstrengend und vor Anstrengung atmete man halt laut. Oder man keuchte. So wie ich.
>Ich bin doch noch so jung, bitte friss mich nicht!<
Gerade als sich Hoffnung in mir ausbreitete, noch davongekommen zu sein, spürte ich direkt hinter mir eine Präsens die mich so erschreckte, dass ich stehen blieb. Ich wusste nicht was ich tun sollte, meine ganzer Körper zitterte und ich kniff die Augen zu.
„Nein, nein, nein!“, flüsterte ich und schüttelte den Kopf. Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln, konnten ihnen aber nicht entrinnen, da ich meine Augen umso mehr zusammenpresste. Das Etwas kam näher und war so nahe-! Ich spürte eine Berührung an meiner Schulter und schrie erschrocken auf. Dann passierte etwas Seltsames: Bei meinem Aufschrei und meinem Wunsch nicht aufgefressen zu werden, strahlte ich von innen heraus und ‚explodierte‘. Ich bekam keine Schmerzen davon (Meine Kleidung und meine Haare wurde nur wie von einem sehr starken Windzug aufgewirbelt), das Etwas, das mich auffressen wollte schon! Ich hörte wie es einige Meter weggeschleudert wurde und öffnete verwundert die Augen. Wow! Ich sah an mir runter und sah nur noch einen schwachen weißen Schimmer auf meiner Haut, der verblasste. Ich wusste zwar nicht, was ich gerade getan hatte, fand jedoch gefallen an der Sache. Ich konnte mich also doch schützen! Ha! Wenn Takuto oder Grandma das zu hören bekämen! Während ich mich freute, hörte ich plötzlich ein Aufstöhnen an der Stelle an der diese Etwas, das mich fressen wollte gelegen hatte.
„Luca, was sollte das?!“, schnauzte mich eine mir zu bekannte Stimme an. Ich schlug die Hände vor meinen Mund und machte große Augen, als ich Takuto dort ausmachte.
„Takuto?! Oh Gott, es tut mir so leid, ich dachte du wärst ein- naja aber du bist ja einer, also…tja...du hättest dich eben nicht anschleichen sollen!“ Ich unterdrückte ein Grinsen und konnte wenigstens ein Schmunzeln nicht vermeiden.
„Wie hast du das gemacht, verdammt noch mal?“, fragte er wütend und stampfte auf mich zu. Ich sah sein Gesicht nicht, aber ich wusste dass er Meines sehr wohl sehen konnte und versuchte so unschuldig wie möglich auszusehen.
„Ich hab keine Ahnung, wahrscheinlich so ’ne Art Schutzinstinkt? Komm schon, denkst du wirklich ich hab das bewusst gemacht? Als ich dich befreit hab, wusste ich auch nicht was ich tue.“
Er schnaubte nur.
„Warum bist du mir denn auch nachgeschlichen du Vollidiot, du hättest auch was sagen können, wie: ‚Hey Lucia, ich bin’s Takuto, ich will dich nicht auffressen‘? Ist das denn so schwer?!“
„Ich wollte nur nachsehen, ob du nicht doch auf dem Weg zerfetzt wurdest. Ich hab da was gehört und wollte mich nur vergewissern, dass dich deine Großmutter auch wieder zu sehen kriegt.“, keifte er und nahm meinen Arm (ziemlich unsanft).
„Hey, was soll das?!“, rief ich empört aus, doch er zog mich einfach mit sich und schimpfte noch lange vor sich hin. Ich ging neben ihm her und zog eine Schnute.
>Ich hätte auch ganz allein die Grenze gefunden!<
„So da sind wir. Und stell keine Dummheiten an! Du solltest die Grenze nie bei Nacht betreten, verstanden?!“, ermahnte er mich launisch und drehte sich auch schon um. Ich streckte ihm die Zungen entgegen, doch gerade dann drehte er sich noch einmal um und sah es. Schnell machte ich den Mund zu und eilte davon.
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Zuhause angekommen, vergewisserte ich mich, ob meine Eltern schon da waren. Doch zu meinem Glück waren sie noch nicht da. Dann ging ich hoch und zog mich um. Ich fühlte mich unglaublich schlapp und legte mich zunächst auf mein Bett.
„Ah…Home Sweet Home.“, seufzte ich und strich über meine flauschige Bettdecke. Wie unbequem es für die Menschen in der Zwischenwelt sein musste, dachte ich und runzelte die Stirn.
>War mir das alles wirklich passiert?<
Mir kam es vor, als wäre ich tagelang fort gewesen, doch ich hatte lediglich 11 Stunden dort verbracht. Mir schwirrte der Kopf, als ich versuchte den ganzen Tag Revue passieren zu lassen. Zu viel Anstrengung…mit letzter Kraft kroch ich unter meine Decke und schloss die Augen. Ohne lange drauf zu warten, schwebte ich schon ins Land der Träume.
Den Sonntag über hatte ich mich Zuhause verbarrikadiert und zeigte mich meinen Eltern so wenig wie möglich. Sie sollten nicht sehen, wie erschöpft ich noch vom vorigen Tag war und den Verband an meinem Arm versteckte ich unter einer dünnen, langärmeligen Strickjacke, die nicht so sehr auffiel. Es war warm draußen und Mom hatte mich schon gefragt, weshalb ich im Haus eine Jacke trug, doch ich sagte nur, dass ich darunter ein dünnes Top anhatte (Was ich auch wirklich hatte) und alle Fenster offen ließ. Um nicht noch verdächtiger auszusehen, setzte ich mich an meinen Schreibtisch und lernte. Ja. Ich lernte. Was man alles auf sich nahm, um nicht mit den Eltern reden zu müssen?!
„Lucia! Komm runter, wir essen gleich!“, rief mein Dad zu mir hoch und ich stand mit knackenden Gelenken auf. Oh Gott hatte ich Kopfschmerzen! Den ganzen schönen Tag lang hatte ich in meinem Zimmer gesessen und für die Schule gepaukt…
>Die Dämonen sind mir wohl zu Kopf gestiegen!<
„LUCIA!“, brüllte mein ungeduldiger Vater wieder und ich schlug demonstrativ die Zimmertür hinter mir zu.
„ICH KOMM JA SCHOOHOON!“, rief ich zurück und zügelte meine Wut. Einen Streit konnte ich heute nun wirklich nicht gebrauchen, dachte ich grimmig und dachte dabei an Takuto. Mit ihm zu streiten war nicht halb so stressig wie mit meinem Vater, dennoch trieb auch er mich zur Weißglut! „Ich hab noch gelernt Dad!“, sagte ich, als ich an ihm vorbeiging.
„Ach so ja dann!“, meinte er dann plötzlich wieder gut gelaunt. „Ich glaube die Welt dreht sich in die verkehrte Richtung; dass du dich an deine Hausaufgaben setzt ist ja schon ein Phänomen!“, fügte er noch hinzu und ich musste mich wirklich zusammenreißen um ihm nicht gleich an die Kehle zu gehen.
„Harold bitte!“, seufzte meine Mutter und setzte sich an den Esstisch. „Wenn sie schon lernt, dann solltest du nicht gleich auf ihr rumhacken.“ Augenverdrehend setzte ich mich ebenfalls und nahm mir einen Hot Dog. Meine Mom hatte gekocht. Die Küche freute sich sehr über diese Abwechslung, manchmal dachte ich, meine Eltern hatten sie nur als Dekoration einrichten lassen. Während des Essens sprach ich kein Wort. Ich hatte überhaupt keine Lust auf Konversation, schon gar nicht, wenn meine Eltern wieder über ihre Arbeit sprachen. Das Telefon klingelte und meine Mutter stand schnell auf.
„Sandra Pierce?“, fragte sie im Geschäftston. Ich achtete nicht auf sie und stand auf.
„Bin fertig.“, murmelte ich nur und räumte meinen Teller in die Spülmaschine. Langsam schlurfte ich hoch in mein Zimmer. Mein Handy piepte. Ich rannte auf mein Nachttischchen zu und grabschte unbeholfen danach.
>Vergiss nicht, morgen wollte Sensei Ochi uns in Japanisch nach den Vokabeln abfragen!<
Hieß es in meiner SMS von Aimee und ich dankte ihr aus tiefstem Herzen, dass sie mich daran erinnerte. Schon saß ich an meinem Schreibtisch und übte fleißig.
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„Das war ja so was von einfach!“, rief ich völlig überdreht nach der Japanisch-Stunde. Kira und Aimee lachten.
„Alles ist einfach, wenn du nur dafür lernst! Siehst du, das Anstrengen lohnt sich!“, sagten sie und brachten mich zum Lachen. Ich fühlte mich wirklich unglaublich gut, denn ich hatte alle Fragen die mir unser Sensei gestellt hatte, beantworten können, was mich mächtig stolz machte. Schade nur, dass nicht alle Fächer so simpel zu lernen waren. Vokabeln lernen = Super einfach! Integralrechnung lernen = Das Super kann bleiben, aber da hat das Wörtchen ‚Einfach‘ eine ganz andere Definition für mich.
„Was machst du nach der Schule?“, fragte mich Kira und wartete gar nicht erst auf meine Antwort. „Also ich finde wir sollten etwas unternehmen…hm…wie wär’s mit Eis essen?!“ Aimee schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn und schüttelte den Kopf, ich seufzte auf.
„Kira wir waren doch erst Freitag Eis essen. Außerdem hab ich keine Zeit.“, sagte ich zu ihr und sie zog eine Schnute.
„Für Eis ist immer Zeit. Na gut, dann eben nicht, dass geh ich eben allein Eis essen!“
„Kira hörst du mal auf, dich ständig mit Eis vollzustopfen!“, mischte sie Aimee ein und ich konnte mich entspannt aus der aufbrausenden Diskussion raushalten. Ich hatte heute keine Zeit, denn ich wollte die Lichtung besuchen. Ich würde natürlich nicht in den Wald gehen (nicht nur hatte ich Angst wegen Takutos Warnung, sogar bei Tageslicht hatte ich Angst allein da reinzugehen), ich würde mal nachsehen ob Grandma da wäre. Vielleicht würde ich ihr auch etwas mitbringen…Seife zum Beispiel…oder eine richtige Fließdecke…Während ich überlegte, was ihr mehr nützen würde oder ob ich sogar alles mitnehmen sollte, achtete ich nicht auf meinen Weg und stieß mit einer alten Frau zusammen.
„Oh bitte entschuldigen Sie!“, rief ich aus und hielt sie am Arm fest. Ihr Gesicht war verdeckt mit einem Kopftuch und ich konnte nicht sehen, ob die Frau sauer auf mich war oder Schmerzen hatte. „Geht es?“, fragte ich besorgt, als diese nichts entgegnete und meine Hand auf ihrer Schulter festhielt.
„Lucia ich bin‘s!“, flüsterte sie aufgeregt und mit geweiteten Augen starrte ich die alte Frau an. Zum Glück hatten Kira und Aimee sich an der letzten Straßenecke von mir verabschiedet, sonst hätten sie sich gefragt, weshalb ich so verdattert guckte.
„Grandma?!“, meine Stimme ging zwei Oktaven in die Höhe, auch wenn ich flüsterte.
„Ja und jetzt sei still, komm mit, stütz mich!“, zischte sie und hakte sich bei mir ein.
„Grandma was tust du hier?“, murmelte ich, als Passanten an uns vorbeigingen. Sie tätschelte meinen Arm und gluckste.
„Ich wollte dich sehen, also bin ich gekommen.“, meinte sie nur. „Oh das ist so aufregend. Ich fühle mich, als wäre ich irgendeine Verbrecherin auf der Flucht!“ Hatte ich mich verhört oder gefiel ihr dieses Versteckspiel? Ich wusste nicht wohin, also steuerte ich einen kleinen Park an.
„Ich wollte ebengerade eigentlich zur Lichtung kommen, aber wie es scheint, hast du mich vorher gefunden.“, sagte ich und schmunzelte. Ich freute mich, dass sie hierhergekommen war, nur um mich zu sehen. Eigentlich gab es auch keinen Grund für sie nicht zu kommen. Meine Eltern arbeiteten den ganzen Tag und sonst würde sie eh niemand auf den ersten Blick wiedererkennen. Ich sah sie wieder an und bemerkte, dass sie ihre Miko-Tracht abgelegt hatte und normale Kleidung trug. Stinknormale Alte-Frauen-Kleidung. Der Anblick gefiel mir nicht.
„Also was wollen wir unternehmen?“, fragte sie und ich grinste über ihren Ton. Sie freute sich wirklich darüber wieder in der Menschenwelt zu sein.
„Ich weiß nicht, was möchtest du denn gern machen?“, fragte ich sie und sie begegnete meinem Blick mit einem breiten Lächeln.
„Wie gern würde ich mal wieder in einen Supermarkt gehen!“
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„Oh das sieht aber gut aus!“, murmelte Grandma und roch zusätzlich noch an dem Käse. Ich verdrehte die Augen, gleichzeitig musste ich lächeln. Grandma war so süß, wie sie zwischen den Regalen umherstreifte und mit Freuden feststellte, dass sie viele Lebensmittel die es hier gab, in ihrer Welt vermisste. Ja sie freute sich darüber.
„Grandma, warum kommst du denn nicht öfter her und kaufst dir die Sachen?“, fragte ich sie nah einer Weile in der ich ihr einfach nur zusah.
„Hm…“, überlegte sie und ging langsam weiter. Dann blieb sie stehen und sah mich an. „Es macht die Dinge besonders, wenn man sie nicht immer auf Anhieb bekommt.“ Ich runzelte die Stirn.
„Aber bedauerst du denn gar nichts? Ich meine-Hast du denn nie daran gedacht einfach wieder zurückzukommen?“
„Oh nein, ich würde niemals wieder hierher zurückkommen Kind.“, sagte sie schnell und legte den Käse in den Einkaufswagen. „Außerdem bedaure ich überhaupt nichts. Ich liebe mein Leben in der Zwischenwelt und wüsste nicht, was ich hier machen sollte. Dort werde ich gebraucht, hier würde ich wahrscheinlich meinen ganzen Tag faul im Garten verbringen oder mit einigen aufgeblasenen Seniorinnen Kaffeekränzchen halten.“ Sie machte eine abfällige Handbewegung. „Lucia, das verstehst du jetzt vielleicht nicht, aber eines Tages wirst du es tun.“ Sie zwinkerte mir zu und schlenderte weiter. Ich folgte ihr nachdenklich.
„Eines Tages…“ Ich seufzte. Das sagten sie doch alle und am Ende musste man irgendwelche verrückten Sachen erleben, bis man es verstand. Ich hoffte, dass ich dafür nichts allzu Verrücktes erleben musste!
„Lucia, ich denke wir sollten zurück. Hast du zufällig noch ein wenig Geld dabei?“, fragte Grandma und zog ein sehr altes Portemonnaie aus der Tasche in der sie ein paar Scheine rausnahm um sie zu zählen.
„Klar.“, antwortete ich nur und ging mit ihr zur Kasse.
>Wahrscheinlich werde ich es nie verstehen können…<
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Vollbeladen waren wir auf dem Weg zur Lichtung. Grandma hatte sich kurz bei uns Zuhause frisch gemacht („Duschen sind schon was praktisches!“) und schon waren wir wieder draußen. Ich betrat den Wald mit einem komischen Gefühl im Magen. Ich wollte nicht hier sein…ich wollte wirklich nicht, doch irgendwie fühlte ich mich angezogen, als würde der Wald –oder die Zwischenwelt- mich zu sich rufen.
„Grandma-!“
„Lucia komm schon!“, unterbrach sie mich, als ich stehen blieb und ihr sagen wollte, dass ich nicht weitergehen wollte. Zähneknirschend folgte ich ihr dann doch und schon befanden wir uns auf der Lichtung.
„Wo genau ist eigentlich die Grenze?“, fragte ich, als wir die Tüten auf den Boden stellten und uns hinsetzten. Die Sonne schien auf uns herab und alles roch so schön nach Blumen. Ein Ort an dem man sich einfach wohlfühlen musste. Wieso also wollte ich hier weg?
„Die Grenze ist genau auf der anderen Seite der Lichtung. Hat Takuto dir das nicht gesagt?“
„Oh naja nicht direkt gesagt, es war dunkel und ich konnte nicht viel erkennen, als er mich hierhergebracht hat.“, antwortete ich schnell. Ich hatte völlig vergessen, dass sie nicht wissen durfte, dass Takuto mich an dem Abend für kurze Zeit allein umherwandern ließ. Sie nickte und biss in den grünen Apfel den sie sich gekauft hatte. Lange Zeit sagten wir nichts und ich legte mich hin. Ich sah in den Himmel und versuchte Bilder in den Wolken zu sehen, doch die Sonne blendete zu sehr und meine Augen tränten, wenn ich zu lange hochsah.
„Hast du mal daran gedacht, wieder in die Zwischenwelt zu kommen?“, fragte mich Grandma leise. Ich kaute auf meiner Unterlippe rum.
„Ja ich habe drüber nachgedacht…aber ich möchte es nicht.“, antwortete ich.
„Möchtest du nicht darüber nachdenken oder möchtest du nicht zurückkommen?“
Ich überlegte wieder. Ich wollte natürlich nicht darüber nachdenken, ich zerbrach mir ständig den Kopf darüber, was wäre wenn ich dort leben würde! Aber hauptsächlich wollte ich einfach nicht dorthin zurück. Ich hatte zu große Angst vor den Gefahren und den Dämonen. Ich erinnerte mich an die Schlange die mir schier den Atem geraubt hatte –Im negativen Sinne-
. Ich hatte solche Angst gehabt, dass ich erstarrt war und nichts tun konnte. Sie hätte mich wahrscheinlich getötet, wenn Takuto mich nicht gerettet hätte. Takuto…
„Ich möchte nicht zurück Grandma. Das ist nicht meine Welt.“, sagte ich bestimmt. Wenn ich dorthin gehen würde, müsste Takuto mir ständig das Leben retten und darauf hatte ich nun wirklich null Bock! Außerdem stand er in meiner Schuld, er würde für immer bei mir bleiben müssen…ich erschauderte bei der Vorstellung morgens bis abends mit ihm herumzuhängen und seine Nörgeleien anzuhören.
„Natürlich ist es deine Welt!“, brauste Grandma plötzlich auf und warf ihren Apfelrest auf mich.
„Grandma!“, rief ich erschrocken, als sie meinen Kopf um Haaresbreite verfehlte. Was hatte sie denn bloß?! Ich richtete mich auf und sah sie fragend an.
„Wie kannst du nur behaupten, es wäre nicht deine Welt!? Lucia, merkst du denn nicht, wie sehr du dich danach sehnst in die Zwischenwelt zurückzukehren? Sie rufen dich! Die Geister der verstorbenen Miko rufen dich, als Nachfolgerin.“ Sie sah mir fest in die Augen. „Glaub mir du gehörst dort hin. Du hast einen uralten, mächtigen Zauber von einer Vollwertigen und erfahrenen Dämonin gebrochen, also sag niemals wieder, das hier wäre nicht deine Welt!“ Mit geweiteten Augen und aufgeklapptem Mund starrte ich sie an und bekam kein Wort raus.
„G-Grandma…es tut mir leid, ich wollte nicht- Ich meine es ist einfach so, dass-!“, stammelte ich schließlich und senkte beschämt den Kopf. Von mir wurde so viel erwartet und wie ich nun auch wusste, war ich schon ‚auserwählt worden. Mir blieb keine Wahl…
„Lucia, Kind. Das war natürlich nicht böse gemeint. Es ist nur so, dass ich nicht für immer leben werde und es ist dir nun mal vorbestimmt, als meine Nachfolge anzutreten.“, sagte sie sanft und ich hörte, wie sie zu mir kam und sich neben mich setzte, um mir dann einen Arm um die Schultern zu legen. „Sicherlich ist es nicht leicht für dich es zu akzeptieren, aber es ist das Schicksal, das diese Entscheidungen trifft. Wir können nicht in das Schicksal eingreifen und du musst verstehen, dass mir das sehr am Herzen liegt.“ Ich nickte und starrte auf meine Hände, die ich auf meinen Schoß knetete.
„Aber ich hab Angst. Ich hab Angst vor den Dämonen und ich weiß nicht, wie ich in der Zwischenwelt klarkommen soll, wenn ich ständig in Angst und Schrecken lebe. Was ist wenn ich wieder angegriffen werde? Was soll ich dann tun? Dieser komische Schutzinstinkt reicht ja wohl kaum!“ Erschöpft strich ich mir über die Haare.
„Schutzinstinkt?“, fragte Grandma mich dann verblüfft und ich musste kurz auflachen, bei der Erinnerung an den Abend, an dem ich Takuto irgendwie weggeschleudert hatte.
„Ja, also das war eigentlich ganz lustig-!“, begann ich, doch wir hörten ein Rascheln am Rande des Waldes neben uns.
„Takuto was tust du hier?“, rief Grandma dann und schon sah ich seinen silbernen Haarschopf hinter einem Gebüsch herausschauen.
„Aaah Mist! Ich hätte einfach auf dem Baum bleiben sollen!“, fluchte er leise, dennoch laut genug, dass ich es verstand. Ich richtete mich auf.
„Hast du uns etwa belauscht?!“
Er grinste mich spöttisch an und sah zu meiner Großmutter.
„Einer der Ältesten ist krank geworden und du wirst gerufen. Eigentlich spiele ich ja ungern den Postboten, aber es sah ernst aus.“, meinte er dann und ich bildete es mir bestimmt ein, als ich kurz Sorge in seinen Augen aufblitzen sah. Grandma stand eilig auf.
„Lucia nimm die Einkäufe und bring sie zu meiner Hütte, Takuto begleite sie!“, rief sie noch und schon war sie im Gebüsch verschwunden. Ich blinzelte ein paarmal, dann sagte Takuto:
„Tja dann, bis zum nächsten Mal Prinzesschen!“ und ging davon.
„HEY TAKUTO WARTE DOCH MAL!“, rief ich ihm hinterher, nahm alle vier Tüten in die Hand und rannte ihm hinterher, ohne auf das Gefühl zu achten, das in mir aufkeimte, als ich die Barriere passierte.
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„Du bist so ein ignoranter Mistkerl!“, rief ich ihm hinterher. Er lachte nur und ging weiter. „Bleib stehen!“
„Du musst einfach schneller laufen Prinzesschen!“, rief er über seine Schulter zurück und ich konnte schwören, er beschleunigte noch! Meine Arme schmerzten, vom ganzen Tragen und meine Beine verhedderten sich immer in irgendwelchen Ästen oder Wurzeln! Außerdem war ich müde und konnte nicht schneller gehen.
„Das werde ich dir heimzahlen!“, rief ich wieder, man konnte hören, wie erschöpft ich war, wieso half er mir nicht?!
„Du solltest deine Stimmbänder schonen Prinzesschen, falls ein böses Monster kommt und dich angreift, kannst du mich dann ja rufen, damit ich dir wieder das Leben rette!“, gab er nur sarkastisch zurück und ich brachte ein Knurren zustande, dass sogar ein paar Vögel in den Bäumen über mir verschreckte. Takutos Lachen drang wieder an meine Ohren und ich konnte wirklich nicht mehr!
„Takuto bitte hilf mir doch!“, rief ich dann verzweifelt und blieb stehen. Ich atmete schwer und lehnte mich an einen großen Baum. Mir war es egal, ob diese Gegend gefährlich war und ich nicht allein hier sein sollte, aber ich war mir sicher, dass wenn ich noch einen Schritt tat, ich zusammenbrechen würde! Naja verhungern würde ich ja nicht, bei dem was Grandma alles zu Futtern gekauft hatte-!
„Du solltest nicht immer so rumheulen.“, brummte Takuto neben mir und ich konnte nicht anders, als ihn dankbar anzulächeln.
„Ich dachte schon du kommst nie.“, seufzte ich und wollte ihm zwei der Tüten geben, als er mir alle viere aus der Hand nahm. „Aber-!“
„Komm schon, deine Großmutter wird sich bestimmt schon fragen wo wir bleiben.“, unterbrach er mich, bevor ich etwas sagen konnte. Kurz starrte ich ihm einfach nur hinterher, dann besann ich mich wieder und beeilte mich, ihn aufzuholen, auch mit den vier schweren Tüten war er schneller als ich. Immer wieder huschte mein Blick zu ihm hin. Manchmal konnte er wirklich nett sein, also wieso konnte er mir nicht dauerhaft so begegnen?
„Hörst du mal auf, mich anzustarren?“, murmelte er genervt. Sein Blick war stur nach vorn gerichtet. Mit leicht geröteten Wangen sah ich auf den Weg und unterdrückte ein Grinsen.
„Du bist so ein Muffel.“, sagte ich dann und bekam einen verwirrten Gesichtsausdruck seinerseits.
„Muffel?“ Ich brach in schallendes Gelächter aus.
„Gesundheit!“, rief ich und lachte weiter. Takuto dagegen gefiel es gar nicht ausgelacht zu werden und versuchte mich zu ignorieren. Ich berührte seinen Arm und beruhigte mich allmählich.
„Takuto es tut mir leid, ich wollte nicht lachen. Dein ‚Muffel‘ hat sich angehört, wie ein Niesen und das war einfach so lustig!“ Ich redete noch lange auf ihn ein, er knirschte nur mit den Zähnen.
>Mist, jetzt ist er beleidigt!<
„Man bezeichnet jemanden als Muffel, wenn er schlecht drauf ist und sich auf nichts einlässt, weißt du?“, plauderte ich drauf los und statt meine Hand von seinem Arm zu nehmen, hakte ich mich einfach bei ihm ein.
„Komische Bezeichnung…“, murrte er nur kurz angebunden und schwieg für den Rest des Weges.
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Wir legten –na gut- Takuto legte die Einkäufe auf den Boden von Grandmas Hütte und wir traten gerade raus, als diese auf uns zukam. Sie sah sehr niedergeschlagen aus.
„Grandma was ist los?“, fragte ich sie und nahm ihre Hand. Sie drückte einmal und sah mich traurig an.
„Der alte Mann hat es leider nicht geschafft. Ich konnte ihn nicht heilen, seine Krankheit war zu weit fortgeschritten.“
„Das tut mir Leid…Und was wirst du jetzt tun?“
„Ich habe schon alles Notwendige vorbereiten lassen. Die Zeremonie wird gleich beginnen. Lucia-“ Sie ließ sich Zeit und ihr Blick sagte mir schon, dass ich keine Chance hatte zu wiedersprechen. „Ich möchte, dass du mich bei der Zeremonie begleitest.“
Mein Atem stockte. Ich sollte einen Toten bestatten?! Grandma sah mich an und lächelte leicht.
„Du musst natürlich nichts machen, du wirst mir nur zusehen.“, beruhigte sie mich und ich versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen.
>Trotzdem müsste ich einen Toten ansehen!<
Takuto grunzte etwas von „Viel Spaß Prinzesschen!“ und verschwand. Sehnsüchtig sah ich ihm hinterher. Wie gern ich auch einfach abhauen würde, diese Geschwindigkeitssache hätte ich auch gern, dachte ich und wurde auch schon von meiner Großmutter in die Hütte gezogen, um mich Zeremonien-tauglich anzuziehen.
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„Woher hast du denn die Sachen?“, fragte ich verblüfft und Grandma half mir beim Anziehen des schneeweißen Kimonos. Sie selbst hatte etwas Ähnliches an, nur dass ihres älter aussah. Sie schnürte den dicken Gürtel um meine Taille und machte sich an meine Haare ran, die sie locker zurückband. Meinen Pony betrachtete sie kritisch, dann kämmte sie ihn gerade nach unten und schon konnte ich nichts mehr sehen.
„Vertraust du mir?“, fragte sie plötzlich und noch bevor ich ein argwöhnisches „Ja“ herausbrachte, zückte sie eine Schere und schnitt mit einen geraden Pony der mir bis zu den Augenbrauen ging.
„GRANDMA!“, schrie ich entsetzt auf und starrte auf meine abgeschnittenen Haare in ihrer Hand. Die Tür wurde aufgerissen und Takuto trat herein. Er sah sich gehetzt um, dann bemerkte er, dass es keine Gefahr war, die mich aufschreien ließ. Er sah zu mir und schürzte die Lippen.
„Irgendwas ist anders an dir.“, meinte er dann und in mir begann es zu brodeln. Ich warf ihm einen tödlichen Blick zu und zischte bedrohlich:
„Raus. Sofort. Und kein Wort mehr!“ Er zog die Augenbrauen hoch, dennoch verließ er die Hütte und schloss die Tür hinter sich, ohne ein Wort zu sagen oder auch nur zu grinsen.
„Ich weiß gar nicht was du hast, sind doch nur Haare.“
Ich drehte mich zu meiner Großmutter um, die mich ansah, als wäre ich hier der Buh-Mann.
„Wieso hast du das getan?!“, keifte ich und verzog das Gesicht, als sie die abgeschnittenen Haare in ihre Tasche tat. „Du hättest mich fragen können!“ Sie ignorierte mich weiterhin und kramte unter ihrem Bett etwas Großes, Plattes hervor. Es war ein Spiegel.
„Lucia, du bist wunderschön und dieser Haarschnitt steht dir ausgezeichnet. Hier. Sieh ’s dir an.“, sagte sie sanft und drehte den Spiegel, den sie vor sich hielt, er nahm ihren ganzen unteren Teil von der Hüfte bis zum Boden ein und ich konnte mich fast ganz darin betrachten. Nur meinen Kopf konnte ich nicht sehen. Der Kimono passte sich meiner Figur an und mir gefiel der Anblick; dann, als ich meine Grandma wieder anklagen wollte, hob diese den Spiegel an und ich starrte mir selbst in die Augen. Sie funkelten mich zunächst böse an, dann veränderte sich ihr Ausdruck, als ich mein ganzes Gesicht betrachtete. Meine langen glatten, schwarzen Haare gingen mir bis zu Mitte des Rückens und wurden locker zu einem Pferdeschwanz gebunden, wobei mir einige Strähnen auf den Schultern lagen. Mein Pony gefiel mir zu meiner Überraschung sehr. Nie hatte ich mich getraut mir einen solchen Haarschnitt zu verpassen und nun da ich ihn hatte, bereute ich es, ihn nicht schon vorher gemacht zu haben. Ich lächelte meine Großmutter an, die mich ihrerseits wissend anstrahlte.
„Ich wusste es doch!“, murmelte sie und ich konnte nicht anders, als sie zu umarmen.
„Es tut mir leid, dass ich gleich so aus der Haut gefahren bin!“
„Ach mein Kind, ich kann dich verstehen. Nun, wir sollten uns sputen. Die Zeremonie sollte vor dem Sonnenaufgang beginnen.“ Wir nahmen zwei Körbe mit, einer war voll mit Räucherstäbchen und der andere mit Kräutern die man um den Toten legen sollte, damit er friedvoll und mit dem Geruch der Natur ins Jenseits gehen konnte, wie meine Großmutter sagte. Mir fiel etwas Wichtiges ein: Meine Eltern würden meine Abwesenheit bemerken! Sie wollte heute früher nach Hause kommen!
>Ich brauch Deckung!<
„TAKUTO!“, schrie ich so laut ich konnte und Grandma ließ fast den Korb fallen vor Schreck. Schon tauchte der Gerufene auf.
„Was ist los?!“, fragte er alarmiert. Ich lächelte ihn an und drückte ihm meinen Korb in die Arme.
„Hilf Grandma die hier zu tragen, ich muss noch was erledigen!“, rief ich und war schon zurückgelaufen. Grandmas Hütte kam in Sicht und ich lief so schnell ich nur mit dem engen Rock konnte darauf zu. In der Hütte suchte ich nach meiner Schuluniform, die ich noch angehabt hatte und tippte sogleich die Nummer meiner besten Freundin in mein Handy, das in der Tasche meiner Bluse gesteckt hatte.
„Hey!“, begrüßte mich Kira, gleich nach dem zweiten Tuten.
„Kira! Du musst mir den Rücken decken, wenn meine Eltern anrufen, kannst du ihnen sagen, dass ich bei dir bin und lerne? Am besten sagst du ihnen auch, dass es später werden kann und sie sich keine Sorgen machen müssen.“, sprach ich hastig.
„Oh ja klar, aber wo bist du denn wirklich? Du machst keine krummen Sachen oder?“, fragte sie misstrauisch, doch ich verneinte und sagte ich hätte es eilig. „Na gut, aber dafür hab ich was gut bei dir!“
„Danke! Bis morgen in der Schule!“, sagte ich von Herzen und legte auf.
„Mit wem redest du da und was ist das?“, fragte Takuto direkt hinter mir und ich fuhr zu Tode erschrocken zusammen. Wütend drehte ich mich um und schlug ihm auf die Schulter.
„Wieso musst du dich immer anschleichen?!“, rief ich und atmete erst mal tief ein und aus, um mein Herzrasen zu verlangsamen. Takuto grinste mich blöd an und zeigte wieder auf mein Handy.
„Was ist das?“, fragte er wieder und wollte es mir wegnehmen, als ich es ihm wieder aus der Hand riss und es in meine Tasche stopfte.
„Es ist aus meiner Welt und nennt sich Mobiltelefon. Du würdest es wahrscheinlich nur kaputtmachen und außerdem habe ich mit meiner Freundin gesprochen, denn das tut man mit einem Mobiltelefon, man spricht damit mit anderen Leuten an weit entfernteren Orten!“
Takuto sah mich ungläubig an und versuchte zu verstehen.
„Man kann damit kommunizieren? Und wie funktioniert das?“ Ich schüttelte augenverdrehend den Kopf und stolzierte an ihm vorbei aus der Hütte.
„Das erklär ich dir ein andermal und jetzt führ mich zum Haus des Toten, ich muss eine Zeremonie begleiten!“
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Grandma kam nach draußen und gab mir ein Zeichen ihr zu folgen. Das Haus des Toten war größer als ich erwartet hatte. Soweit ich mitbekommen hatte, war der Vater des Dorfoberhauptes gestorben. Das Haus sah aus wie ein Tempel und steinerne Treppen führten auf eine lange Terrasse auf der viele Menschen saßen, weinten und Blumen und Räucherstäbchen hinhängten. Grandma hatte ihre ernste Miene aufgesetzt und zündete ein Räucherstäbchen an, das sie mir gab. Alle sahen uns an.
„Wir werden das Haus reinigen. Dann gehen wir zum Schrein, dort werden wir den Toten reinigen, alles Weitere überlässt du mir.“, murmelte sie und atmete den Rauch ein, dann bewegte sie sich langsam die Treppen hinauf, wedelte mit dem Stäbchen herum und murmelte etwas vor sich hin, ich folgte ihr und amte ihre Bewegungen nach. Es war sehr unangenehm von allen beobachtet zu werden, doch nachdem ich mich ganz auf die Bewegungen meiner Grandma konzentrierte, schaffte ich es, die anderen auszublenden. Ein eigenartiges Gefühl schlich sich in mir ein und ich fühlte, wie ich mich bewegen musste und schloss die Augen. Immer weiter gingen wir mit Grandma ins Haus und kamen schließlich in einem Raum an in dem einige Männer und Frauen beteten. Ein Bild um das herum Blumen und (wie schon gedacht) Räucherstäbchen gelegt worden waren, hing an der Wand. Ein Mann fortgeschrittenen Alters war dort aufgezeichnet worden. Ich vermutete dass es der Tote war. Grandma kniete sich vor das Bild und legte die Hände aneinander und murmelte etwas. Ich kniete mich neben sie und legte meine Hände ebenfalls aneinander, nur dass ich nichts sagte. Was sollte ich denn bitte auch sagen? Hm, dachte ich mir, beten war beten, also bete!
>Möge dein Geist das Jenseits erreichen. Ruhe in Frieden alter Mann<
Grandma stand auf und wandte sich an die betenden Leute im Raum.
„Fahren wir fort. Gehen wir zum Schrein, wo der Leichnam gesäubert und verbrennt wird.“, sagte sie in sanftem, leisen Ton und ging allen voran aus dem Raum, ich trat nervös an ihre Seite. Ich hatte mächtig Angst vor dem Toten. Musste ich irgendwas machen? Oder musste ich ab da einfach nur zugucken? Meine Hände schwitzten bei dem Gedanken daran. Ich musste mich zusammenreißen um nicht abermals zu erschaudern. Nach einem kurzen Fußmarsch kamen wir an einer sehr langen Treppe an, die einen kleinen Berg hinaufführte. Mir fiel auf, dass Grandmas Hütte direkt daneben stand. Wieso war mir die Treppe vorher nie aufgefallen? Wir gingen hoch und ich tat so, als wäre das Treppensteigen ein Leichtes für mich, was es in Wirklichkeit nicht war (Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich keuchend auf den Boden geworfen und wäre dort bis zum nächsten Morgen liegen geblieben!). Am Ende der Treppe kam ein hoher Scheiterhaufen in Sicht (der Leichnam war noch nicht obendrauf), dahinter war ein großer, prächtiger Schrein. Die Türen waren offen und ich sah die Füße des Toten auf einem sehr niedrigen Tisch, etwas weiter drinnen. „Hab keine Angst.“, flüsterte Grandma mir zu und gemeinsam betraten wir den Schrein. Ganz plötzlich schlug mir etwas entgegen, das mir sehr Angst machte.
„Grandma, was ist das?“, flüsterte ich und sah mich um, doch nichts konnte man sehen.
„Du hast es auch gespürt? Das ist sein Geist. Er streift umher.“, antwortete sie leise und vergnügt bei meinem entsetzten Gesichtsausdruck. „Ich werde Kontakt zu ihm aufnehmen, du wirst währenddessen seinen Körper von jeglichen bösen Geistern abhalten, indem du einfach dein Räucherstäbchen über ihm hältst und betest. Hab ja keine Angst, wenn ich meinen Körper verlasse, verstanden?“, warnte sie mich und noch bevor ich verarbeiten konnte, was sie zu mir gesagt hatte, blieb sie stehen und schloss die Tür des Schreins. Wir waren allein mit dem Toten. Die Familienangehörigen waren bei diesem Ritual nicht dabei. Grandma kniete sich vor die Füße des Toten und schloss die Augen. Sekundenlang war es mucksmäuschenstill und mit angehaltenem Atem sah ich ihr zu, wie sie sich immer mehr entspannte und den Rauch der Räucherstäbchen in sich aufnahm. „Lucia, reinige seinen Körper. Jetzt.“, hauchte sie nur noch halb bei Bewusstsein. Ich löste mich aus meiner Starre und nahm ein neues Räucherstäbchen, zündete es an und ging langsam zum toten Mann. Dieser sah nicht so schlimm aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Er war natürlich kreidebleich, doch seine Augen waren geschlossen, seine Hände waren auf seine Brust gebettet worden, in ihnen lagen Blumen und ein Amulett mit einem (Familien-)Wappen darauf. Er war mit einem weißen Pilgerkostüm bekleidet worden. Dieser Mann sah nicht aus, als würde er tot sein, es sah aus, als würde er in einem friedlichen Traum schlummern. Ich lächelte über meine eigene Dummheit und begann das Räucherstäbchen nahe an seinem Körper zu kreisen. Immer wieder dachte ich das Gleiche wie auch in seinem Haus.
>Möge dein Geist das Jenseits erreichen. Ruhe in Frieden alter Mann<
Ich hörte wie Grandma aufstöhnte und riss die Augen auf.
„Grandma?“ Ihr Mund war geöffnet und sie hatte ihren Kopf in den Nacken geworfen. Am Gruseligsten waren ihre Augen, die sich soweit verdrehten, dass man nur das Weiße sah. Gerade als ich zu ihr laufen wollte, spürte ich etwas das mich zurückhielt. Es fühlte sich an, als würde ich zurückgehalten werden, also vertraute ich ganz meiner Grandma, schloss die Augen und wedelte mit meinem Räucherstäbchen herum. Nach nicht einmal 5 Minuten keuchte Grandma auf und ich konnte es dieses Mal einfach nicht lassen und stürzte zu ihr. „Grandma! Geht’s dir gut? Was ist passiert?!“ Sie atmete schwer und lächelte mich an.
„Sehr gut gemacht Lucia. Ich bin stolz auf dich.“, sagte sie und stand mit wackligen Beinen auf. Verwirrt stützte ich sie.
„Was meinst du damit?“
„Du hast das Gespräch nicht unterbrochen. Ich habe meinen Körper verlassen und habe den Geist des Toten aufgesucht. Er hat mir versichert, Frieden gefunden zu haben und ich habe ihn zum Tor des Jenseits begleitet. Es war sehr vernünftig von dir, mich nicht zu berühren, denn wenn ich wieder in meinen Körper gefunden hätte, wäre seine Seele vielleicht für immer verloren gewesen und wenn das passiert wäre…nun ja…dann wäre aus ihm ein Dämon geworden.“ Mit großen Augen sah ich sie an. So entstanden also Dämonen?
„Heißt das, er wäre in die Anderwelt geraten?“, fragte ich, Grandma nickte beeindruckt von meiner Schlussfolgerung.
„So. Jetzt können wir seinen leeren Körper verbrennen.“ Sie ging zu der Eingangstür und schob sie auf. Die Menschen draußen sahen sie mit bangen Blicken an. Sie wussten also, dass so was auch schiefgehen konnte…
>Wie viel sie wohl noch wussten und glaubten?<
Grandma lächelte alle an und nickte. „Seine Seele hat das Jenseits betreten.“ Viele atmeten erleichtert auf, manche fingen wieder an zu weinen und fielen sich in die Arme. Ich konnte sie verstehen, ich würde auch nicht gern einen Verwandten haben, der sich in einen gruseligen Dämon verwandelte.
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Die Zeremonie endete bei Sonnenuntergang und die Familienangehörigen sammelten die Knochenreste des verbrannten Verstorbenen auf und steckten sie behutsam in eine große, edel aussehende Urne. Ich musste aufpassen, nicht auszusehen, als würde ich mich gleich übergeben. Der Gestank des verbrannten Fleisches, vermischt mit dem mir langsam auf die Nerven gehenden Räucherstäbchen-Rauchs, hing schwer in der Luft. Nun kamen alle einzelnen Angehörigen zu meiner Grandma und verbeugten sich dankbar vor ihr. Überrascht hob ich die Augenbrauen, als sie sich auch vor mir verbeugten. Schnell nickte ich ihnen gefasster zu und versuchte nicht vor mich hinzugrinsen.
„Das hast du wirklich sehr gut gemacht Lucia.“, lobte mich Grandma später, als wir in ihrer Hütte saßen und Tee tranken. Takuto saß wieder neben dem Eingang und ich hatte wieder meine Schuluniform an.
„Danke Grandma.“, sagte ich schüchtern und lief rot an. Ich freute mich sehr, dass ich meinen Job gut gemacht hatte. Außerdem war ich so erleichtert, die ganze Zeremonie hinter mich gebracht zu haben!
„So viel musstest du auch nicht machen, also bilde dir nichts drauf ein.“, murmelte Takuto gelangweilt und ich suchte nach etwas, das ich auf ihn werfen konnte. Leider fand ich nichts auf die Schnelle.
„Halt du bloß deine Klappe!“, zischte ich dann und wandte mich übel gelaunt meinem halbleergetrunkenen Tee.
>Na toll, jetzt ist mir die Lust drauf vergangen!<
Ich stand auf und sah meine Großmutter an.
„Tut mir leid Grandma, aber ich denke ich sollte besser gehen. Es ist schon spät.“, sagte ich resigniert und schulterte meinen Rucksack. Grandma seufzte und ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie Takuto tadelnd anfunkelte. Dann überreichte ich ihr meinen Becher und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich komme wieder…versprochen.“, seufzte ich dann, als sie mich erwartungsvoll angeblickt hatte. Sie lächelte mich an.
„Das freut mich Liebes. Takuto, bring sie zur Grenze.“, fügte sie noch bestimmt hinzu und räumte die Feuerstelle auf. Ich verkniff mir meinen Protest, denn auf keinen Fall würde ich allein (und im Dunkeln) durch den Wald gehen! Takuto schnaubte, dennoch wartete er draußen auf mich.
„Tschau Grandma!“, rief ich noch und lief ihm hinterher. Am Waldrand angekommen brach ich das Schweigen zwischen uns. Ich fühlte mich verpflichtet etwas zu sagen. „Danke, dass du mich hinbringst.“ Er zuckte mit den Schultern und lachte plötzlich auf. Verwirrt sah ich zu ihm hoch. „Was ist?“ Er schüttelte den Kopf, antwortete mir aber trotzdem.
„Eigentlich muss ich dich gar nicht begleiten, du kannst sehr gut selbst auf dich aufpassen. Das hat deine Großmutter selbst gesagt.“
„Hm.“, machte ich nur und sah auf meine Füße. Hatte er ihr von dem Abend erzählt, als ich ihn versehentlich angegriffen hatte?
>Nein, ich hatte nicht angegriffen, ich hatte mich verteidigt!<
„Woran denkst du?“, fragte er beiläufig und sah mich prüfend an. Ich erwiderte seinen Blick mit gerunzelter Stirn.
„Hast du Grandma von meinen Superkräften erzählt?“ Er begann zu kichern und sah wieder nach vorn.
„Von deinen Superkräften habe ich ihr nicht erzählt, nein…Wir…naja wir hatten eine Diskussion darüber, ob du es hier aushältst und sie war fest davon überzeugt, dass du einen zu starken Charakter hast, als dass du dich von irgendjemandem oder irgendetwas unterkriegen lässt.“ Ich schürzte die Lippen.
„Und welche Meinung hast du bei dieser Diskussion vertreten?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue, er sah mich seinerseits mit dem gleichen Gesichtsausdruck an, nur dass in seinen Augen der Schalk glitzerte.
„Das kannst du dir doch denken, Prinzesschen.“ Und Schluss war es mit dem friedlichen Miteinander! Kurz kniff ich bedrohlich die Augen zusammen, dann hob ich das Kinn und starrte gerade aus. Mit diesem Idioten konnte man doch unmöglich eine vernünftige Konversation führen, dachte ich mir verbittert.
„Lucia?“, fragte Takuto, doch ich reagierte nicht auf ihn. „Warte.“, zischte er aufgebracht und drückte mich an den Schultern an sich. Einen Moment lang machte sich ein Kribbeln auf meiner Haut breit, dann besann ich mich wieder und wollte ihm eine reinhauen, doch er gab mir zu verstehen, leise zu sein. Sofort versteifte ich mich und begann zu zittern. Ein Dämon war hier, es wollte mich töten oder noch schlimmer: Auffressen! Ich merkte nicht, dass ich mich mit dem Rücken enger an Takuto presste und meine Nägel an seinen Unterarmen festkrallte. Er zuckte nicht mal zusammen. Dann hörte auch ich ein Rascheln und spürte sogar etwas in der Nähe, direkt vor uns.
„Takuto da ist was.“, presste ich erstickt zwischen den Lippen hervor. Er hob seine Arme vor mich, als wollte er mich umarmen, dann löste er meine Finger von seinen Armen und schob mich langsam hinter sich. Ich ließ ihn einfach machen, dann machte ich mich klein und vergrub mein Gesicht an seinem Rücken. Takuto knurrte leise und ich hörte ein anderes animalisches Knurren vor uns. Zum Glück konnte ich nicht sehen was es war, vielleicht wäre ich vor Angst auch in Ohnmacht gefallen. Innerhalb 2 Sekunden hatte Takuto sich hingekauert (Ich hatte mir sofort die Hände vor das Gesicht geschlagen), sich verwandelt (was ich nur vermuten konnte) und war auf den Dämon losgegangen. Ich hörte das Knurren beider Seiten, Reißen und Knacken von Haut und Knochen. Schon wurde es still und ich hörte nichts mehr. Zu tief saß der Schock. War ich allein? War Takuto tot? Würde der Dämon mich jetzt töten? Immer wieder kreisten die Gedanken um mein Ende und immer weniger bekam ich von außerhalb mit. Sehen konnte ich nichts, meine Hände versperrten mir noch die Sicht.
„Lucia, sieh mich an.“, hörte ich die sanfte, beruhigende Stimme von Takuto ganz nahe bei mir. Ich schüttelte zaghaft den Kopf und spürte große, warme Hände auf meinen. „Hab keine Angst, es ist alles gut.“, redete er auf mich ein und nahm vorsichtig meine Hände von meinen Augen. Gegen meine zusammengekniffenen Augen konnte er nichts machen. „Komm schon Lucia, mach die Augen auf und sieh mich an. Du bist in Sicherheit.“
„Ist es tot?“, fragte ich zittrig.
„Das sag ich dir, wenn du die Augen auch öffnest.“ Ich hörte heraus, dass er grinste. Meine Mundwinkel zuckten und ich öffnete zuerst das eine Auge, dann flogen gleich beide auf und blinzelnd starrte ich in Takutos lächelndes Gesicht. „Na, Angsthase?“, begrüßte er mich scherzhaft und auch wenn ich gern böse auf ihn wäre, konnte ich nicht anders, als zurück zu grinsen. Dann schielte ich an ihm vorbei und sah etwas Leopardenähnliches auf dem Boden liegen. Sein Kopf war unnatürlich verdreht und die Schnauze hatte tiefe Wunden. Der Leopard war größer, als normale Raubkatzen und hatte ein Geweih. Dazu noch wilde, gelbe Augen, die mich vollkommen leblos anstarrten.
„Das war der Dämon?“, fragte ich atemlos und konnte meine Augen nicht von dem furchterregenden und doch prächtigen Tier abwenden.
„Ja, wolltest du es als Haustier behalten, also ich hatte eher das Gefühl, als wolltest du dich lieber in ein Loch verkriechen.“, stichelte Takuto und ich schlug ihm halbherzig gegen die Schulter.
„Lassen wir es hier einfach liegen?“, fragte ich und traute mich nicht, mich dem Dämon zu nähern.
„Auf dem Rückweg nehme ich es einfach mit, die Dorfbewohner nehmen sich einen Spaß daraus Dämonen zu verbrennen.“, sagte er nur und zog mich weiter.
„Prinzesschen ich denke deine Großmutter hat sich in dir geirrt.“ Verdutzt sah ich ihn an und stolperte gelegentlich über Wurzeln.
„Wie bitte?“ Er sah mich an, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall.
„Würde man dich hier allein lassen, könntest du keine Sekunde überstehen. Glaub mir.“ Ich hob die Augenbrauen und stieß ihn wütend von mir.
„Halt die Klappe.“, murrte ich und fügte in Gedanken noch hinzu:
>Oh und danke, dass du mich beschützt hast…du hättest mich dem Dämon auch zum Fraß vorwerfen können<
Das Gesicht meiner Eltern hätte ich am liebsten fotografiert und für die Ewigkeit festgehalten. Als ich nach Hause gekommen war, hatten sie mich völlig verdattert angestarrt und ich hatte nicht verstanden, weshalb.
„Hab ich was im Gesicht oder was ist los?“
Daraufhin war meine Mutter zu mir getreten und hatte mir den Pony zurückgestrichen, um ihn dann mit den Fingern wieder nach vorn zu glätten.
„Ich dachte du und Kira ihr lernt und schneidet nicht an deinen Haaren rum? Hast du ihn dir selbst geschnitten?“
Ich hatte sie angelächelt und genickt. „Ich hab mal was Neues gebraucht.“ Und war schulterzuckend an ihnen vorbei in mein Zimmer gegangen.
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Die ganze Nacht lang hatte ich kein Auge zu machen können. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu dem Dämon den Takuto getötet hatte. Sein Anblick war so verstörend-schön gewesen und erst jetzt –Stunden später- bedauerte ich seinen Tod. Wie gern hätte ich über sein blau-weißes, dickes Fell gestrichen und mich an ihn gekuschelt. Der Gedanke verschreckte mich noch nicht mal.
>Ob Takuto seinen Leichnam wohl schon weggebracht hatte?<
Wie in Trance und mit wachsender Sehnsucht nach dem schönen Tier stand ich auf und verließ mit leisen Schritten das Haus. Draußen war es sehr angenehm und ich machte mir nichts draus mit einem Batman T-Shirt und einer kurzen Shorts rumzulaufen. Weiter und weiter ging ich, bis ich die Lichtung im Wald erreichte. Eine Brise streichelte an meiner nackten Haut.
„Ich bin gleich bei euch.“, flüsterte ich ehrerbietig und betrat die Grenze zur Zwischenwelt. Ich spürte, dass der schöne Leopard in der Nähe sein musste und bewegte mich auf ihn zu. Im Wald war es sehr still. Dann endlich kam er in Sicht und ich konnte erleichtert aufatmen. Schön und anmutig saß er dort, über mir auf einem dicken Ast. Ehrfürchtig ging ich in die Knie und neigte den Kopf.
>Du bist gekommen< ertönte es in meinem Kopf. Die geistige Stimme des Leoparden war tief und ließ mich erzittern.
„Ja.“, antwortete ich ihm, hob den Kopf und sah zu, wie er vom Ast sprang und elegant auf dem Waldboden aufkam. Langsam kam er zu mir und blieb dicht vor mir stehen. Ich starrte in seine großen, himmelblauen, hypnotisierenden Augen, die mich in ihren Besitz nahmen.
>Wirst du bei mir bleiben?< Ich nickte und ich verlor mich in seinen Augen. Wer war ich? Was wollte ich hier? Lebte ich noch? Es war mir egal, solange er mich brauchte…
„Ich bin dein.“
>So soll es sein< Ich reckte mich ihm entgegen und hob die Hände um ihm die Wangen zu streicheln.
„LUCIA!“, rief mich eine Stimme aus meinem Staunen. Wütend drehte ich mich zu dem um, dessen Stimme ich vernommen hatte. Es war ein Mann, er sah entsetzt zu mir und meinem schönen Gefährten. „Geh weg von ihm. Sofort!“, beschwichtigte er mich und kam langsam auf mich zu. Dann vernahm ich eine zweite Stimme, die mich noch rasender machte.
„Takuto, ihre Seele-! Das Monster hat sie in ihrem Bann, töte ihn!“, rief sie. Dieser Mann, Takuto, sah wieder zu mir und runzelte die Stirn.
„WIE KÖNNT IHR ES WAGEN!“, schrie ich, als beide auf mich zukamen. Ich spürte wie meine Kraft in mir wuchs, ich sammelte sie und bekam nur nebenbei mit, wie ich begann strahlend zu leuchten. Als sie mir zu nahe kamen, streckte ich die Arme vor, die Handflächen auf beide gerichtet und bündelte meine Kraft in meinen Händen, um die Kraft in ihnen dann mit voller Wucht auf den Mann und die alte Miko abzufeuern. „STERBT!“ Wieder zielte ich auf die beiden, doch dieser Halbdämon Takuto war zu schnell und beschützte die alte Frau.
„Lucia, hör auf damit!“, rief diese zu mir, doch das Gefühl der Macht war zu übermächtig, als dass ich auf sie gehört hätte. Mit einem Mal, in der Sekunde in der ich nicht aufpasste, tauchte der Halbdämon hinter mir auf und schleuderte mich Meterweit weg. Ich prallte schmerzhaft gegen einen Baum und die Luft entwich mir zischend aus den Lungen. Danach konnte ich nicht mehr klar denken und verlor das Bewusstsein…
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Ohne es richtig mitzubekommen hatte ich die Augen geöffnet und war wach. Ich wusste dass ich nicht träumen konnte, denn mir tat alles weh und ich konnte mich nicht rühren. Ich lag auf dem Bauch und es fühlte sich an, als hätte ich Muskelkater am Rücken. Außerdem war mir schon beim Liegen schwindelig und ich hatte üble Kopfschmerzen. Ich sah mich um und wollte den Wecker ausschalten, da ich ihn nun nicht mehr brauchte, doch ich war nicht in meinem Zimmer. Ich stöhnte auf, als ich mich in Grandmas Hütte wiederfand. Wieso war ich hier?! Wie war ich hierhergekommen? Ich wollte mich aufsetzen, aber in dem Augenblick kam Takuto rein und starrte mich an.
„Du bist wach.“, sagte er monoton und kniff die Augen zusammen.
„Wow, das hast du bemerkt? Glückwunsch, dafür sollte man dir eine Medaille überreichen.“, gab ich im selben Tonfall zurück. Er knirschte mit den Zähnen und verließ die Hütte.
>Was war ihm denn über die Leber gelaufen?<
„Oh Lucia, Liebes, du bist wach!“, hörte ich auch schon die Stimme meiner besorgten Grandma von draußen. Sie stieß die Tür auf (die Takuto übrigens unverständlicher Weise zugeknallt hatte) und kniete sich neben mich. „Wie geht es dir?“
„Mein Schädel brummt und mein Rücken tut weh.“, nuschelte ich mies gelaunt. Wie schön ein Morgen ist, wenn man mit Schmerzen aufwacht und dann auch noch einem Muffel wie Takuto begegnet. Grandma strich mir sanft über den Rücken, der wie ich nun mit Entsetzen feststellen musste mit einem sehr dünnen Seidentuch bedeckt war. Der Stoff war nicht zu spüren gewesen und nur durch Grandmas Berührung hatte ich es gemerkt. „Grandma! Ich bin ja halbnackt!“, rief ich hysterisch und presste meine angewinkelten Arme an meine Seiten damit man nichts erkennen konnte.
„Ist dir das etwa unangenehm?“, fragte meine Großmutter und ich starrte sie nur an, was ihr wohl als Antwort reichte. „Dich hat doch niemand gesehen, also reg dich nicht auf.“ Ich schnappte nach Luft. Doch jemand hatte mich schon gesehen!
„OH!“, rief ich aus und wurde puterrot im Gesicht. Takuto hatte mich gesehen! Was konnte es Schlimmeres geben? Wie konnte ich ihm demnächst unter die Augen treten?
>Oh Gott, wie peinlich!<
„Und woher hast du den Stoff?“, fragte ich dann, um mich abzulenken. Ach ich stellte mich wirklich dumm an! Schließlich hatte ich Takuto splitterfasernackt gesehen, auch wenn ich sofort weggesehen hatte und nicht viel von ihm im Gedächtnis behalten hatte (Ich hatte alles verdrängt!), hatte ich ihn gesehen und außerdem lag ich auf dem Bauch und er hatte nur meinen Rücken gesehen, alsooo…nun fühlte ich mich besser.
„Ich wollte dir keine schwere Decke über den verletzten Rücken legen und schließlich wollte ich dich nicht ganz nackt hier liegen lassen. Ich hab dieses Seidentuch gefunden, wobei es leider etwas durchsichtig ist, es tut mir leid, aber etwas anderes habe ich auf die Schnelle nicht gefunden.“
„Woher hab ich eigentlich den verletzten Rücken? Und wieso bin ich hier? Ich kann mich an nichts erinnern.“ Sie sah mich ernst an, stand auf, schloss die Tür und kniete sich wieder neben mich, wobei sie das Tuch wegnahm und meine Wunden mit einer angenehm kühlen Salbe einrieb.
„Gestern Nacht hat Takuto etwas Eigenartiges gespürt und ist seinem Instinkt gefolgt. Ich bin mit ihm gegangen, ich hatte eine böse Vorahnung und wollte die Gegend nach bösen Auren absuchen. Wir fanden dich tief im Wald. Du hattest dich dicht neben den toten Dämon gelegt, den Takuto gestern bei eurem Rückweg zur Grenze getötet hatte.“ Geschockt weiteten sich meine Augen.
„Ich war gestern Nacht im Wald? Allein? Und ich hab neben diesem komischen Dämon gelegen?! Was hatte ich da zu suchen?“, gab ich schrill von mir und hoffte Takuto würde nicht hereinstürmen, alarmiert von meinem Aufschrei. Grandma achtete nicht darauf und berichtete in ruhigem, ernstem Ton weiter.
„Der Dämon war tot. Für uns sah er zunächst tot aus, denn er lag dort noch immer verunstaltet. Takuto hatte vergessen sich um ihn zu kümmern und ihn zu vernichten, indem er ihn verbrannte. Du hast ihm in die Augen gestarrt und mit ihm geredet, da wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte. Es war ein Souruītā. Ein Seelenfresser. Der Dämon hat dich mit seinem Geist zu sich gelockt um dir deine Seele zu nehmen und so wieder genug Kraft zu haben um in seinen Körper zu gelangen. Du hast dort gelegen, halb ausgesaugt…“, sie verstummte kurz.
„Wie konnte man sehen, dass ich halb…ausgesaugt war?“, fragte ich nach und runzelte die Stirn. Ich stellte mir das Bild vor, wie ich dort lag, vollkommen fixiert auf den Dämon und dann auch noch in der Nacht im Wald. Ich bekam eine Gänsehaut.
„Nun…nur ich konnte es sehen. Und ich spürte es. Weißt du, vielleicht ist es dir schon aufgefallen, aber Miko wie wir, nehmen Auren wahr. Egal was für ein Geschöpf es ist, ob böse oder gut, wir können es im Umkreis von vielen Metern aufspüren. Ich bin sogar in der Lage zu bestimmen, ob die Aura bekannt oder unbekannt ist. Die bösen Auren sieht man sehr gut. Sie haben einen dunklen, hässlichen Schimmer auf dem Körper und ihre Aura fühlt sich unangenehm an…Auren sind so etwas wie Seelen und ich konnte bei dir sehen, wie dein wunderschönes Licht langsam erlosch.“, beendete sie ihren Vortrag und legte die gleichen großen grünen Blätter auf meinen Rücken, die ich auf meinem Arm gehabt hatte (Den Verband am Arm hatte ich drei Tage lang nach dem Angriff des Dämons verbergen können, doch dann hatte ich es zum Duschen abgenommen und zu meiner Verwunderung, war die Wunde schon längst zugewachsen gewesen).
>Also war das was ich immer spürte, wenn sich mir etwas näherte, Auren…<
„Und…was ist dann passiert, nachdem ihr mich gefunden habt?“, fragte ich unsicher weiter. Mir kam die Geschichte so unrealistisch vor. Sie sollte mir passiert sein, ich konnte mich aber an nichts davon erinnern. Grandma seufzte.
„Du hast bemerkt, dass wir da sind und hast uns angegriffen.“
„Ich hab euch angegriffen?!“, verdattert starrte ich auf den Boden vor mir. „Wie hab ich das denn gemacht?“ Zu meiner Verwunderung begann Grandma zu lachen.
„Takuto hat mir von dem Abend erzählt, als er dich allein im Wald ließ und du dich so sehr erschreckt hattest, dass du ihn angegriffen hast…“, sagte sie belustigt. Ich hob meine Augenbrauen und wartete, dass sie weiterredete. „Du hast gestern das Gleiche getan wie damals Lucia. Mikos haben einen sehr engen Draht zur Magie. Und du hast sie genutzt. Beim ersten Mal hast du dich ohne dein Zutun verteidigt, aber beim zweiten Mal hast du bewusst und gezielt angegriffen.“ Sie ließ mir Zeit um darüber nachzudenken. Ich erinnerte mich vage an den Abend, an dem ich solche Angst hatte. Diese Magie, die Grandma erwähnte war durch meinen Körper geströmt und ich wusste noch, wie ich ‚explodiert‘ war. Auch erinnerte ich mich an das weiße Licht um mich herum und wie ich geschimmert hatte. Ich fragte mich, wie ich es geschafft hatte, diese Magie bewusst einzusetzen. Dann fiel mir etwas sehr wichtiges ein.
„Grandma hab ich euch verletzt?!“, fragte ich dann besorgt und versuchte mich zu ihr zu drehen, um sie in Augenschein zu nehmen.
„Nein, nein mach dir keine Sorgen…Dennoch waren wir sehr überrascht, dass deine Angriffe so stark waren. Fast wäre Takuto zu langsam gewesen um sich in Sicherheit zu bringen, denn er war nicht auf deinen Angriff vorbereitet gewesen. Aber er hat sich schnell gefasst und hat mich weggetragen, bevor er dich von hinten gepackt und von dem Dämon wegziehen konnte.“, sie seufzte wieder. „Leider hat er es ein wenig übertrieben und hat dich vielleicht 5 Meter weit gegen einen Baum geschleudert, wo du dann zusammengebrochen bist.“ Sie sagte es sehr nüchtern, als wäre es etwas, das nicht zu vermeiden gewesen wäre und als würde sie über Takutos Dreistigkeit hinwegsehen.
>Schade, dass ich ihn nur fast getroffen hätte<
„Was habt ihr mit dem Dämon gemacht? Habt ihr ihn verbrannt?“, fragte ich und wusste eigentlich schon die Antwort. Grandma zog mich an den Schultern hoch und verband mir den Rücken, während ich auf den Knien hockte und meine Zähne zusammenbiss.
„Ja, wir haben ihn verbrannt, aber ich musste ihm zuerst die Seele entnehmen, sonst hätte er die Dorfbewohner in seinen Bann gelegt oder noch schlimmer: er hätte andere Dämonen zu sich gerufen.“
„Wie hast du ihm denn die Seele entnommen?“, fragte ich allzu neugierig.
„Es dauert nicht sehr lang, strengt aber mächtig an. Mehr musst du nicht wissen.“, sagte sie entschieden und ich verzog meinen Mund zu einer enttäuschten Grimasse. Weshalb sie wohl nicht mehr erzählen wollte, fragte ich mich und stand mit wackligen Beinen auf. Mein ganzer Oberkörper war verbunden.
„Oh und Grandma, ich sollte jetzt lieber nach Hause gehen, Mom und Dad haben keine Ahnung-!“ Ich verstummte, als sie mir meine Miko-Tracht gab. Ich schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, doch sie kam mir zuvor.
„Lucia es ist zu gefährlich, wenn du in deine Welt zurückkehrst. Sogar dort können dir Dämonen etwas anhaben, auch wenn sie die Barriere nicht übertreten können. Außerdem können Takuto oder ich dich dort nicht beschützen. Du musst hier bleiben.“ Ich presste wütend die Lippen aufeinander und verengte die Augen.
„Du kannst mich nicht zwingen zu bleiben. Außerdem kann ich auch selbst gut auf mich aufpassen. Ich brauche keinen Takuto, der mir ständig aus der Patsche hilft!“ Ich packte mein Batman T-Shirt und meine Shorts, zog sie an und stürmte an meiner Großmutter vorbei, die mir nachdenklich hinterher sah. Was bildete die sich eigentlich ein?! Nie würde ich hier freiwillig bleiben wollen, in einer Welt voller Monster und verrückter Menschen, die im Mittelalter lebten! Außerdem würde ich es nicht aushalten mein Leben mit einem nervigen pubertären Halbdämon zu verbringen, der sich nicht nur mit meiner Grandma gut verstand, mir sogar immer wieder das verdammte Leben retten musste! Ich hatte genug Probleme mit meinen Eltern, die meine Zukunft für mich bestimmten und der verkackten Schule, mit der ich nicht klar kam!? Mehrere Dorfbewohner hielten in ihrer Begrüßung inne und starrten mir hinterher. Sie kannten mich schon und Grandma hatte ihnen von mir erzählt, weswegen sie sich meine Kleidung erklären konnten, doch meine unbändige Wut, die man mir ansehen konnte, schien sie zu irritieren und so hielten sich alle fern von mir, bis ich an den Rand des Waldes kam. Ohne zu zögern ging ich hinein und schimpfte noch vor mich hin, bis etwas über mir raschelte.
„Takuto du Blödmann, hör auf mir hinterher zu spionieren!“, schrie ich aufgebracht und hegte keinen Zweifel, dass er das war. Doch ich täuschte mich und ein kleiner (Kapuziner-)Affenähnlicher Dämon sah zu mir runter. Es hatte große grüne Augen und schwarzes Fell, vom Hals bis runter zum Bauch hatte es einen schneeweißen Streifen. Sein Körper und sein Kopf waren klein und es hatte lange, dünne Finger und Zehen, mit denen er sich am Ast festhielt. Seine Ohren waren groß und gespitzt. Es starrte zu mir runter. Trotz seiner Niedlichkeit, war es ein Dämon und ich hatte ein wenig Bammel, dass es mich gleich angreifen würde, doch es tat nichts. „Hör gefälligst auf, mich anzuglotzen!“, schnauzte ich es an und ging mit schnellen Schritten weiter. Ich dachte daran, wie Grandma mir gesagt hatte, dass wir Miko Auren spüren konnten und ich spürte, wie der kleine Dämon mir folgte. Ich warf kurze verunsicherte Blicke hinter mich; es folgte mir wirklich, indem er sich von Baum zu Baum hangelte. „Pscht! TSCHT!“, machte ich aufgebracht und versuchte es mit wedelnden Handbewegungen zu verscheuchen. Es öffnete den Mund und brachte einige hohe Laute von sich. Ich musste mich zusammenreißen um nicht loszulachen, bei diesem Anblick würde sogar der größte Miesepeter (Takuto) anfangen zu schmunzeln. Ich drehte mich von ihm weg und sah mich um. Ich war zum Glück noch auf dem Pfad und ich musste aufpassen, dass ich ihn nicht verlor, denn das konnte man schnell. Der Pfad war sehr schmal und alles sah hier gleich aus. Plötzlich sprang mir etwas auf die Schulter und ich schrie auf. Der kleine Dämon saß dort seelenruhig und rührte sich nicht vom Fleck, auch als ich versuchte meine Magie zu beschwören (Was mir aber eigenartigerweise nicht gelang), mich schüttelte und umherrannte. Dann irgendwann blieb ich stehen und atmete tief ein und aus. Es war nur ein kleiner Affe, sagte ich mir. Doch ich war einfach nicht entspannt genug, um das kleine Etwas mit den Händen von meiner Schulter zu nehmen und ehe ich mich versah, rannte ich auch schon nach Takuto und Grandma brüllend zurück ins Dorf.
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„NIMM DAS WEG! NIMM DAS WEG! NIMM DAS WEG!“, schrie ich und hüpfte herum, während Takuto lachend auf dem Boden lag und sich nicht mehr einkriegte. Grandma versuchte mich ruhigzustellen, doch ich hörte nicht hin. „NIMM DAS WEG!“ Viele Dorfbewohner hatten sich um uns drei versammelt, lachten ebenfalls und beobachteten das Spektakel.
„Lucia sei still und hör auf dich zu bewegen!“, rief Grandma ungeduldig, doch immer, wenn sie mir zu nahe kam, schrie und fauchte der Dämon auf und machte mich damit wahnsinnig, sodass ich ebenfalls schrie und umherrannte. „Takuto hilf ihr!“, bat Grandma den noch immer am Boden liegenden Takuto, der sich langsam aufrappelte und mir amüsiert zusah.
„Ich denke wir sollten es noch eine Weile genießen.“
„TAKUTO DU SCHEIßKERL, NIMM DEN SCHEIß AFFEN VON MEINER SCHULTER!!!“ Und schon machte er sich ans Werk. Er wartete auf den richtigen Moment und griff nach dem kleinen Affendämon.
„Au!“, zischte er dann und ich sah, wie der Dämon sich an seinem Finger festgebissen hatte. Erleichtert lief ich schnell hinter meine Grandma, damit mich der Affe nicht wieder anfallen konnte und gestattete es mir höhnisch aufzulachen.
„Hm, findest du nicht auch, dass wir das genießen sollten?“, fragte ich meine Grandma extra laut, damit jeder es mitbekam. Lautes Gelächter ging durch die Menge und Takuto starrte mich mit gefletschten Zähnen an. Gerade wollte er etwas erwidern, als der Affe seinen Finger losließ und auf den Boden plumpste. Kurz sah es zu mir, dann lief es weg. Die Dorfbewohner versuchten ihn zu fangen, schafften es aber nicht, der Dämon war zu flink und klein. Takuto sah ihm nur hinterher. Ich war mir sicher, er hätte ihn mit Leichtigkeit einfangen können.
„Wieso hast du ihn entkommen lassen?!“, fuhr ich ihn an und duckte mich sogleich hinter Grandma, als er mir einen tödlichen Blick zuwarf. Er knurrte etwas wie „Wozu mach ich das alles eigentlich?“ und stolzierte davon Richtung Fluss.
„Du hättest dich auch bedanken können Lucia.“, tadelte mich meine Großmutter und sah mich dann gleich wieder sanft an. „Es tut mir leid, dass ich dich gezwungen habe, hier zu bleiben, aber du musst verstehen-!“
„Es ist zu gefährlich in meiner Welt. Ich weiß. Grandma, hier ist es aber viel gefährlicher.“, antwortete ich und sah ihr fest in die Augen. „Hier besteht eine größere Gefahr für mich von Dämonen getötet zu werden, als in meiner Welt!“ Konnte sie es denn nicht verstehen? War ihr die Zwischenwelt wichtiger, als die Menschenwelt in der ich eigentlich lebte? War das alles nur ein Vorwand, um mich hierbehalten zu können? Meine Schlussfolgerungen schienen zuzutreffen. Grandma nahm meine Hände und sah mich bittend an.
„Natürlich weiß ich das, aber ich hätte dich so gern hier. Du bist zu etwas Hohem bestimmt und ich kann nicht zulassen, dass du alles einfach wegwirfst! Glaub mir, hier werden wir nicht jeden Tag von Dämonen angegriffen, wir leben hier größtenteils friedlich und ohne Gefahren. Und dank dir, hat unser Dorf wieder ihren Beschützer. Takuto beschützt unser Dorf, hast du es das letzte Mal nicht gesehen?“
>Was soll ich ihr darauf antworten?<
Wie konnte ich ihr zu verstehen geben, dass ich das alles nicht wollte, dass ich zu schwach und zu ängstlich war? Ich war doch gerade erst 16, wie sollte ich bitte Monster bekämpfen und eine Miko werden?
„Grandma…ich muss nach Hause. Meine Eltern fragen sich bestimmt schon wo ich bin und außerdem hab ich heute noch Unterricht.“, sagte ich statt einer Antwort. Sie nickte.
„Möchtest du allein gehen?“, fragte sie mich und ich sah ihr an, dass sie diese Frage nur ungern stellte.
„Ich gehe nicht mit Takuto.“, stellte ich klar, doch sie schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht kommen, ich muss noch vieles erledigen. Ich sage ihm, dass er dich nicht ärgern soll.“
10 Minuten später gingen Takuto und ich stillschweigend nebeneinander her. Über uns schwebte eine üble Gewitterwolke und niemand wollte sich entschuldigen oder bedanken. Wir waren einfach zu Dickköpfig. Wir hatten den Wald gerade erst betreten und wir hatten noch einen 15 Minütigen Weg vor uns. Diese Aussichten gefielen mir überhaupt nicht.
>Außerdem wäre da ja noch der Affe<
Ich hoffte, dass dieser kleine Dämon nicht auftauchte und mich in Ruhe ließ. Mein Blick schweifte zu Takuto, der schräg vor mir herging, langsam glitt mein Blick seinen Arm herunter, bis zu seiner Hand. An seinem Finger war eine kleine Wunde, dort wo der Affe ihn gebissen hatte und es klebten noch Blutspuren dran. Schon bekam ich ein schlechtes Gewissen und ich konnte nicht anders, als unser Schweigen zu durchbrechen.
„Tut’s noch weh?“, fragte ich und beschleunigte, um dann seine Hand zu packen und sie vor mein Gesicht zu halten. Verwundert stellte ich fest, dass dort nichts mehr zu sehen war, nur noch die getrockneten Blutspuren waren da. Takuto zog seine Hand weg und schüttelte den Kopf. Ich biss mir auf die Lippe.
>Mist, warum hatte ich so schlimme Gewissensbisse?! Hallo, das war Takuto!<
„Danke, dass du mich von dem Dämon befreit hast.“, murmelte ich und sah beim Gehen auf meine Füße.
„Kein Ding.“, seufzte er nur. Ich kniff die Augen zusammen und sah zu ihm hoch.
„Kein Ding ja? Mehr nicht?“, fragte ich ihn und stemmte meine Hände in die Hüften. Er sah mich von der Seite an und zuckte mit den Schultern. „Boah, du bist so-!“ Ich brachte den Satz nicht zu ende, warf meine Arme in die Luft und ging weiter.
„Tut mir leid, dich ausgelacht zu haben.“, sagte er dann, als hätte er aufgegeben und ich schenkte ihm ein erfreutes Lächeln. „Du musst aber zugeben, es war wirklich lustig.“, fuhr er fort. Ich verdrehte die Augen und ignorierte ihn, da ich nun alles gehört hatte, was ich von ihm hören wollte. „Hast du generell Angst vor Affen oder war dir dieser einfach zu gruselig mit seinen großen, knuffigen Äuglein?“ Ich überhörte seine Sticheleien und pfiff vor mich hin, was ihn wohl auf die Palme brachte. Mit einem Mal hatte ich eine brillante Idee!
„Takuto?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um. Er sah mich skeptisch an, denn ich hatte die weltberüchtigte Geschäftsmiene meiner Mutter aufgesetzt.
„Hm?“
Ich räusperte mich. „Wieso schließen wir keinen Pakt?“ Kurz sah er aus, als müsste er loslachen, doch dann verstand er, dass ich es ernst meinte.
„Einen Pakt? Mit dir?“, fragte er ungläubig. „Du willst einen Pakt mit einem Dämon schließen?“
„Wenn dann schließe ich einen Pakt mit einem Halbdämon.“ Er grummelte herum, dann sah er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Und was stellst du dir darunter vor?“ Ich lächelte milde.
„Also. Ich finde, dass es so nicht mit uns weitergehen kann. Wir müssen in Zukunft netter zueinander sein.“, klärte ich ihn auf, woraufhin er anfing zu grinsen.
„Nein.“
Verdattert sah ich ihn an: „Wieso nicht?!“
„Weil ich es liebe, dir zuzusehen, wie du vor Wut platzt.“, antwortete er verschmitzt und ich schlug ihm gegen die Schulter. So ein Vollidiot! „Siehst du? Es ist so witzig, wie du dich immer aufregst!“, lachte er und wich noch einer Attacke meinerseits aus. Ich streckte ihm die Zunge raus und ging weiter. Das mit dem Pakt konnte ich vergessen. Und das mit dem Nett-sein sowieso, dachte ich grimmig. Ich hörte, wie er mir nachlief und sich zu mir gesellte.
„Prinzesschen, ich denke du solltest dich nicht darauf konzentrieren netter zu mir zu sein, sondern darauf, besser zu kontern.“
„Nein danke, ich begebe mich ungern auf dein Niveau herab.“ Er klatschte kurz in die Hände und grinste mich an.
„Für den Anfang ganz gut, aber das geht noch besser Prinzesschen.“
„Nenn mich nicht Prinzesschen!“, zischte ich aufgebracht, woraufhin er mir auf die Schulter klopfte.
„Wie soll ich dich sonst nennen? Schreihals? Dämonen-Schreck? Dramaqueen?“ Er zählte noch sehr viele Namen auf und am Ende war mir Prinzesschen doch am Liebsten.
„Ok, ok schon gut. Nenn mich wenn du willst Prinzesschen, aber wehe du benutzt irgendeinen anderen Namen!“ Ich drohte ihm mit dem Zeigefinger vor seiner Nase. Er zwinkerte mir zu und grinste.
„Klar!“
Ich hatte das Gefühl, als würde er nicht darauf hören…
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Als ich Zuhause ankam war es sehr still und ich atmete erleichtert aus. Entweder waren meine Eltern schon weg oder sie waren noch im Bett. Ich sah auf unsere Wanduhr im Wohnzimmer.
>7.13 Uhr<
„JA!“, flüsterte ich und ballte die Fäuste. Die Schule begann um 8.00 Uhr. Genau richtig, außerdem waren meine Eltern bestimmt schon weg. Schnell lief ich hoch ins Badezimmer und wusch mich so gut es ging. Dann kämmte ich meine Haare und schlenderte gut gelaunt in mein Zimmer wo ich meine Schuluniform anzog. Wieder sah ich auf die Uhr und musste auch schon los.
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„-Ich hab gehört sie soll mit ihm zusammen sein, kannst du das glauben?!“
„Nein! Das meinst du doch nicht ernst?! Das hätten wir doch gemerkt? Sie reden doch noch nicht mal miteinander!“
„Glaub mir, die Freundin von Chang, deren Bruder hat es von seiner besten Freundin. Diese soll ein Gespräch zwischen ihm und seiner Schwester mitgehört haben. Er hat es selbst gesagt!“
„Er hat gesagt, dass er sie ausspioniert hat oder er hat gesagt, er wäre mit ihr zusammen?!“
„Kira du bringst ja alles durcheinander! Nein, er hat es selbst gesagt. Er hat gesagt, er wäre mit Lucia zusammen!“
Ich stand hinter Aimee und Kira, die ihre Köpfe zusammengesteckt hatten. Bei meinem Namen hörte ich erst richtig zu.
„Was ist mit mir?“, fragte ich, worauf beide mächtig zusammenfuhren. Sie starrten mich an, als wäre ich ein Geist.
„DU!“, riefen beide und starrten mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Jaa?“, fragte ich irritiert und verstand nicht, was sie von mir wollten. Als hätten sie sich abgesprochen, stemmten beide ihre Hände in die Hüften und sahen mich an, als hätte ich den dritten Weltkrieg angezettelt.
„Wann hattest du bitteschön vor uns was davon zu sagen?!“
„Wir dachte wir würden uns alles erzählen!“
„Wie konntest du nur?“
„Ja, wie konntest du nur?“
>Ok, was zum Teufel ist hier los?!<
Ich runzelte die Stirn. „Was ist euer Problem?“ Hatten die beiden den Verstand verloren? Sie sahen sich kurz an, dann nickten sie. Aimee übernahm das Wort.
„Es geht ein Gerücht herum, dass du mit Ryo Kaneko zusammen bist!“ Ungläubig sah ich die beiden an.
„Wie bitte?!“, rief ich dann schrill, als ich die Worte richtig wahrnahm. Ich sollte mit Ryo Kaneko zusammen sein, dem wohl schnöseligsten und arrogantesten Schüler der Ogasawara Highschool?! Das hätte ich sicherlich gewusst! Außerdem war er eine Jahrgangsstufe über uns und ich hatte überhaupt nichts mit ihm zu tun. „Woher habt ihr denn den Mist?“, fragte ich wütend. Wer auch immer dieses dumme Gerücht in die Welt gesetzt hat, der kriegt ne richtige Abreibung verpasst, dachte ich immer zorniger werdend. Aimee und Kira sahen sich unsicher an.
„Also stimmt es nicht?“, fragte Kira kleinlaut und ich schüttelte angewidert den Kopf.
„Niemals würde ich was mit dem anfangen. Was dachtet ihr euch dabei, als ihr das gehört habt? Ihr hättet mich einfach fragen können und mich nicht gleich an den Pranger stellen sollen! Und Außerdem hätte ich es euch längt gesagt.“ Beide gaben ein verlegenes „Tut uns Leid“ raus. „Und von wem habt ihr das gehört?“
„Naja, also wir haben es von Mia, der Freundin von Chang. Sie soll es von dem-!“
„Ok das reicht mir vorerst, wisst ihr wo sie gerade ist?“, fragte ich ungeduldig. Sie schüttelte gerade die Köpfe als sie hinter mich zeigten.
„Da! Da ist sie, sie redet mit Ryo!!“, riefen sie im Chor und ich drehte mich um. Dort stand mein ‚Freund‘ mit Mia. Ich stampfte auf beide zu und achtete nicht auf die anderen Schüler, die auf mich und Ryo zeigten und tuschelten.
„Was soll das?!“, zischte ich und packte Ryo am Kragen. Er war sehr viel größer als ich, doch trotzdem bekam ich es hin, ihn zu packen und gegen die Wand zu drücken. Ryo sah eigentlich ganz gut aus, er hatte kurze schwarze Haare, grüne Augen, einen Stoppelbart (der ihm wirklich stand und den er eigentlich nicht haben durfte, doch er hörte nicht auf die Lehrer) und einen athletischen Körper. Nur sein ätzender Charakter machte alles zunichte. Er funkelte mich durch seine schmale Brille hindurch an und nahm langsam meine Hand von seinem Hemd. „Wer hat dieses verdammte Gerücht in die Welt gesetzt?!“, fragte ich weiter, doch er betrachtete mich nur kurz und antwortete nicht.
„Stimmt es, dass ihr zusammen seid?“, fragte Mia plötzlich und die Schülertraube um uns herum hielt den Atem an. Ich hörte wie Aimee und Kira schnaubten. Ich drehte meinen Kopf zu Mia, die uns mit großen Augen beobachtete.
„N-!“
„Ja, es stimmt.“, unterbrach mich Ryo mit seiner tiefen, dennoch sanften Stimme und hielt meine Hand noch immer fest. Ich erstarrte.
>Was redet er da für einen Mist???<
Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm, während alle Schüler auf einmal anfingen zu tuscheln. Ich war nicht in der Lage etwas zu sagen, ich war einfach nur geschockt…und stinksauer. Was bildete sich der Typ ein, allen etwas vorzugaukeln, ohne mich überhaupt gefragt zu haben? Ich konnte diesen Mistkerl nicht mal leiden! Er sah mir lange in die Augen, dann wandte er sich ab und machte sich mit schnellen Schritten davon. Und plötzlich wurde es laut. Alle redeten durcheinander, manche warfen mir einen belustigten, manche einen eifersüchtigen Blick zu. Ich begegnete den Blicken von Aimee und Kira, die mich enttäuscht ansahen und weggingen. Ich wollte ihnen nachlaufen oder hinterherrufen, doch da kam ein Lehrer und scheuchte uns in unsere Klassen.
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Mit dröhnendem Kopf saß ich im Matheunterricht und konnte dem Lehrer nicht folgen. Zu sehr beanspruchten mich die Gedanken an die letzte Pause. Was wollte Ryo damit bezwecken? Wieso sagte er vor der ganzen Schule wir wären zusammen? Wütend schlug ich mit der Faust auf den Tisch.
„Miss Pierce? Ich denke sie sollten 5 Minuten vor die Tür, sie stören meinen Unterricht.“, sagte mein Lehrer, denn nicht nur mein Schlag auf den Tisch sondern auch das ganze Getuschel und die neugierigen Blicke meiner Mitschüler nervten ihn. Bereitwillig stand ich auf und ging aus dem Klasseraum. Was sollte ich bloß tun? Aimee und Kira glaubten mir jetzt sicherlich nicht mehr, denn Ryo hatte es vor ihnen ausgesprochen.
„Aber es stimmt doch gar nicht!“, zischte ich und lehnte mich erschöpft an die Fensterbank.
„Was stimmt nicht?“, fragte jemand und ich hob meinen Kopf ruckartig hoch.
„Du!“, knurrte ich, als ich Ryo entdeckte. Er lehnte an der Wand vor mir. Wie war er dort hingekommen, ohne dass ich ihn bemerkt hatte?
„Es tut mir leid.“, sagte er und sah mich ernst an. Ich schnaubte und kreuzte meine Arme vor der Brust.
„Sicher. Wieso hast du das gesagt Ryo?“
Er stützte sich von der Wand ab und kam zu mir. Stirnrunzelnd starrte ich zu ihm hoch.
„Ich hab meine Gründe. Tust du mir den Gefallen und spielst mit?“ Ich bedeutete ihm mir kurz Zeit zu lassen. Er sagte mir nicht, weshalb er das ganze Theater machte und wollte dann auch noch, dass ich mitspielte? Erwartete er von mir, dass ich mich wie ein verliebtes Hühnchen benahm und mit ihm vor unseren Mitschülern rumknutschte?
>Tz!<
„Wenn du mir nicht sagst wofür ich den Mist mache, dann kannst du dir eine andere suchen, klar?“, antwortete ich dann. Ryo seufzte und stützte seine Arme neben meinem Kopf ab. Ich erstarrte und hielt den Atem an. Er war mir sehr nahe und sah mir ganz offen in die Augen.
„Lucia bitte. Wir kennen uns nicht und das ist es was zählt, ok? Ich hätte jemanden aus meinem Freundeskreis nehmen können, aber die hätten es nicht-…verstanden.“
„Irgendwas verbirgst du doch…“, flüsterte ich und vernahm ein Funkeln in seinen Augen. „Gut…aber kein offenes Rumgeknutsche und keine Kosenamen oder sonst so ‘n Mist, verstanden?“, stellte ich klar.
>Wieso mache ich das eigentlich?<
Er atmete erleichtert aus und lächelte mich an. Kurz verschlug es mir die Sprache, denn ich hatte Ryo noch nie lächeln sehen. Sein Lächeln machte ihn zugegebenermaßen um Ecken attraktiver. Ich lächelte zaghaft zurück.
„Danke.“, sagte er dann und ging. Vollkommen durch den Wind stand ich da und starrte ihm hinterher. Die Tür zur Klasse öffnete sich und mein Lehrer rief mich wieder rein. Ich wusste nicht wie, doch ich schaffte es mich aus meiner Starre zu lösen und in den Unterricht zu gehen.
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„Hey Leute bleibt stehen! Aimee! Kira!“, rief ich durch den ganzen Schulhof, doch sie drehte sich nicht einmal kurz um. Sie hatten mich schon den ganzen Tag lang ignoriert, wie lange sollte das denn noch anhalten? Verzweifelt blieb ich stehen.
„Kann ich dich nach Hause fahren?“, fragte eine tiefe Stimme neben mir und ich zuckte zusammen.
„Ryo!“, gab ich verwundert von mir, als ich ihn dicht neben mir entdeckte. Wieder starrten uns alle an. Ich nickte, damit ich nicht länger wie eine Attraktion begafft werden konnte und wurde von Ryo weggezogen. „Du musst mich nicht nach Hause bringen echt nich, die anderen haben es dir sicher abgekauft.“ Er sah zu mir runter und zuckte mit den Schultern. Wir waren auf dem Weg zu den Fahrradständern und ich betrachtete mit großen, funkelnden Augen das schöne Motorrad, das abseits von den Fahrrädern stand.
>Wie gern hätte ich auch eins…wem das wohl gehört?<
Meine stumme Frage wurde beantwortet, als Ryo darauf zuging und einen Helm aus dem Sitz hervorzauberte.
„Nein!“, rief ich erfreut aus und musste lachen. Was für ‘n Zufall, dachte ich und nahm kichernd den Helm aus Ryos Händen.
„Wieso lachst du?“, fragte er und zog die Augenbrauen zusammen. Ich schüttelte nur den Kopf, lächelte ihn an und setzte mir den Helm auf. Dieser war ein klein wenig zu groß, doch wie sagte man so schön: Safety first! Ryo setzte sich zuerst auf das Motorrad, dann setzte ich mich zögerlich hinter ihn. So waren wir uns ziemlich nah und ich wusste, dass ich mich bei der Fahrt an ihn festklammern musste. Gerade wollte ich meine Arme um seine Mitte schlingen, als mir etwas auffiel.
„Ryo, ich hab einen Rock an!“, rief ich entsetzt. Bei der Fahrt würde er doch sicherlich hochflattern, auch wenn ich eng hinter ihm saß! Ich sah wie er fast schon gelangweilt lächelte.
„Mich stört es nicht, ich hab sowieso nichts davon.“, antwortete er nur lässig (und mit dieser nervigen arroganten Art!). Empört öffnete ich den Mund, als er das prächtige Gefährt mit einem Kickstart anließ und ich mich schreckhaft an ihn presste. „Naja, vielleicht hab ich ja doch noch was davon.“, hörte ich ihn leise murmeln und hatte das Gefühl, als wäre es nicht für meine Ohren bestimmt gewesen.
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Die Fahrt war unglaublich gewesen! Wie der Wind an meinen Kleidern gezerrt hatte (mein Rock war hochgewedelt, doch ich hatte keine Zeit gehabt, um mir ernste Sorgen darüber zu machen) und meine Haare wild auf meinen Rücken gepeitscht hatten…wie gern ich das nochmal erleben würde, dachte ich träumerisch. Nun standen wir vor unserem Haus, Ryo lehnte an seinem Motorrad und hatte wieder seine unnahbare, arrogante Miene aufgesetzt, die ich so an ihm hasste. Wenn er mich doch nur wieder so anlächeln könnte, wie am Mittag in der Schule…
„Danke, dass du mich gefahren hast, das war toll!“, bedankte ich mich herzlich bei ihm. Er nickte und sein Blick huschte immer wieder hinter mich.
„Keine Ursache…wenn du willst kann ich dich jeden Tag nach der Schule nach Hause fahren.“, bot er mir komischerweise an und ich wurde misstrauisch. „Natürlich nur um den Schein zu bewahren!“, fügte er noch hinzu, als er meinen Blick bemerkt hatte. Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte schon gedacht, er würde wirklich was von mir wollen…Ich musste ja irgendwie schon zugeben, dass ich es (wenn auch nur ein winze-kleines bisschen!) bedauerte.
„Tja danke, aber ich glaube das wäre etwas zu übertrieben…außerdem bin ich eigentlich noch sauer auf dich, weil meine besten Freunde sich wegen dir, von mir abgewandt haben…“, sagte ich und seufzte schwer. Ich fragte mich, wie ich das hinbiegen könnte. Ryo sah mich ungläubig an.
„Wirklich? Oh das…das tut mir leid.“, sagte er und meinte es auch wirklich so. Man konnte es ihm ansehen. Ich lächelte ihn milde an.
„Das hättest du dir wohl vorher überlegen sollen, oder? Naja. Das krieg ich bestimmt noch hin.“
Er sah mich betreten an und kam auf mich zu.
„Es tut mir wirklich leid. Ich hätte nicht gedacht-!“, sein Blick wurde sanfter und ich hatte ein komisches Kribbeln im Bauch. „Ich danke dir wirklich vielmals, dass du da noch mitmachst.“
„Ach schon in Ordnung.“ Keine Ahnung wie ich es schaffte, doch ich besaß genügend Mut, um ihm einen kleinen Kuss auf die Wange zu geben und ihn anzuzwinkern. „Um den Schein zu bewahren“, sagte ich noch scherzhaft und ging zur Haustür, wo ich dann stehenblieb und Ryo winkte, der ebenfalls die Hand hob und lächelte.
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Gleich nachdem ich Zuhause angekommen war, erkundete ich mich erst einmal ob meine Eltern da waren. Schnell fand ich einen Zettel am Kühlschrank kleben auf dem stand, dass sie erst am Abend wieder nach Hause kommen würden und ich mir eine Pizza bestellen konnte. Dabei verdrehte ich die Augen. Also wir waren ja auch Stammkunden bei unserer Lieblingspizzeria-Service und das hing mir zum Hals raus! Außerdem würde ich sowieso nichts bestellen, denn ich hatte nicht vor Zuhause zu bleiben. Ich wollte zu meiner Grandma und sie um Rat fragen. Vielleicht wusste sie ja, wie ich meine beiden besten Freundinnen zurückgewinnen konnte! Mit meinem Rucksack (in dem meine Hausaufgaben drin waren) lief ich aus der Hintertür hinaus in unseren Garten. Die Sonne strahlte erbarmungslos auf mich herab und ich vermisste die kühle Fahrtluft auf dem Motorrad. In freudiger Aufregung lief ich weiter durch den ‚geheimen‘ Eingang, in den Wald. Ich konnte nicht länger meine Freunde verbergen, wenn ich in die Zwischenwelt kam. Auch wenn ich nicht dort leben wollte, war ich damit einverstanden ab und an mal meine Grandma dort zu besuchen. Ich biss mir auf die Zunge, als ich merkte, dass ich Grandma nur als Vorwand benutzte. Inzwischen nahm ich es stärker als sonst wahr, wie die Zwischenwelt mich rief und ich hatte ein Verlangen danach, seinem Ruf nachzugehen, doch es machte mir einfach Angst. Ich konnte nicht mein Leben in der Menschenwelt aufgeben und in einer so gefährlichen und brutalen Welt in der Dämonen die Menschen terrorisieren zur Miko werden! Wie sollte ich das meinen Eltern antun? Ich müsste ihnen wie meine Großmutter, meinen Tod vortäuschen und das würde sie nicht so leicht verkraften. Und was war mit meinen Freunden? Aimee und Kira waren mir sehr wichtig und ich konnte nicht einfach so mir nichts dir nichts von der Bildfläche verschwinden. Ich schüttelte den Kopf. Ich zerbrach mir schon seit Tagen eindeutig zu oft den Kopf deswegen!
>Du hast noch Zeit Lucia. Mach dir keine Gedanken darüber!<
Die Lichtung kam in Sicht und ich hielt vor Überraschung inne. Dort stand Takuto, dicht an der Grenze der Barriere und saß auf einem Baum. Sein Kopf zuckte zu mir rüber und e schnalzte mit der Zunge.
„Na endlich! Wurd langsam Zeit!“, rief er zur mir runter und sprang aus etwa 6 Metern Höhe auf den Boden. Er kam mit einem (leisen) dumpfen Aufprall mit den Füßen auf dem Boden an und richtete sich auf. Er grinste mich heraufordernd an, nach dem Motto:
>Na da soll mir mal einer nachmachen!<
Ich verdrehte die Augen und hatte eine blendende Idee, die mich böse Lächeln ließ.
„Hey Takuto! Ich wette, du kriegst es nicht hin die Barriere auch nur zu berühren!“, rief ich ihm entgegen und ging einige Schritte auf ihn zu. Ich wusste, dass die Barriere genau drei Schritte vor mir entfernt war. Er schmunzelte.
„Ha. Ha.“, lachte er trocken. „Du kannst mich nicht täuschen Prinzesschen.“
„Och Schade. Und ich dachte es wäre leicht, also nach allem was ich gesehen und gehört habe, dachte ich du besäßest nicht genügend Hirn, um gegen mich anzukommen.“, seufzte ich theatralisch und bekam einen bösen Blick seinerseits. „Ich könnte schwören, dass ich wirklich durch dein Ohr hindurch, durchs andere rausgucken konnte! Ich frag mich wie klein dein Hirn wohl sein mag. Vielleicht so?“ Ich machte einen kleinen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete es kritisch. „Nein. Nein, das ist noch zu kurz, das hätte man ja wohl gesehen…naja kommt drauf an, es kann ja sein, dass es nach vorn gerutscht ist, während du gegangen bist. Weißt du, du gehst leicht nach vorn gebeugt und das führt dazu, dass-!“ Takuto knurrte laut und ich grinste ihm frech ins Gesicht. Das gab ihm wohl den Ausschlag und er verwandelte sich. Auch wenn ich eine Heidenangst bei seinem Anblick hatte, grinste ich noch immer und sah mich auf der sicheren Seite. Er kam mit großen Schritten auf mich zu und als er nach mir ausholen wollte, kam er mit der Hand an die Barriere, die ihm einen gewaltigen Schlag verpasste. Für einen Bruchteil einer Sekunde sah man sogar die Barriere, eine feste Wand, die aussah, als wäre sie elektrisch aufgeladen. Takuto wurde von der Wucht nach hinten gerissen und krachte gegen einen Baum ungefähr 5 Meter weit entfernt. Unter dem Aufprall ächzte der Baum bedrohlich und ich hatte schon Angst, dass er gleich umfallen würde, doch nichts geschah, außer dem Rascheln in den Baumkronen und das Gekreische der Vögel die sich erschreckt hatten. Ich begann schallend zu lachen und hielt mir den schmerzenden Bauch. Lange stand ich da und lachte. Takuto stand benommen auf und klopfte seine Kleidung aus, dann hielt er sich die Hand, mit der er die Barriere berührt hatte. Sogar von hier aus sah ich, dass er ernste Verbrennungen hatte. Schlagartig hörte ich auf zu lachen und lief zu ihm.
>Lucia du Trottel, was hast du getan?!<
„Takuto! Takuto, geht es dir gut?“, rief ich entsetzt und betrachtete seine Hand. Seine Finger waren blutig und die haut war aufgeplatzt, sein ganzer Handrücken und die Handfläche hatten ihre erste Haut abgepellt.
„Ich-ich-!“, stotterte Takuto und hielt sich nun mit der anderen Hand den Kopf. „Mein Kopf.“, stöhnte er und ich hielt ihn fest, als er schwankte.
„Takuto, wir gehen jetzt zu meiner Grandma, ok? Komm jetzt schnell!“ Ich nahm seine Hand von seinem Kopf und legte sie um meine Schultern. Mit großem Kraftaufwand schaffte ich es, ihn bis zum Dorf zu stützen, wo ich dann mit Tränen erstickter Stimme nach Hilfe rief. Ich konnte nicht erklären, wie ich mich fühlte und was passiert war, doch es machte mich fertig, dass Takuto verletzt war und das Schlimmste war ja, dass es wegen mir war. Deswegen brach ich in Tränen aus und fühlte mich schuldig. Ich hatte ihn provoziert und dann auch noch ausgelacht! Ich war ein Monster!
„Lucia, was ist passiert?!“, rief Grandma besorgt und lief uns entgegen. Ich konnte Takutos Gewicht nicht länger tragen und fiel auf die Knie.
„Grandma, es tut mir so schrecklich leid! Ich wollte doch nur-! Ich bin Schuld, ich-! Takuto ist gegen die Barriere gekommen und-! Seine Hand!“, brachte ich hysterisch raus und vergrub mein Gesicht in den Händen. Takuto wurde von zwei Männern zu Grandmas Hütte getragen.
„Lucia, du musst dich beruhigen, hast du mich verstanden?! Er wird nicht gleich sterben. Du kannst mir später erklären, was passiert ist.“, herrschte mich Grandma an und ging mit schnellen Schritten in ihre Hütte in der sie Takuto wahrscheinlich verarztete. Bei Grandmas barschem Ton wurde mir noch elender zumute. Ein paar Dorfbewohner kamen zu mir und trösteten mich oder fragten, was denn passiert sei, doch ich schüttelte nur den Kopf, stand auf und ging. Meine Tränen hörten einfach nicht auf zu fließen und ich sah mich mit verschleiertem Blick nach einem Rückzugsort um. Dann fand ich ihn; auf einem Hügel ein wenig abseits vom Dorf, war einen wunderschönen Kirschbaum. Ich lief dort hoch und kletterte mit großem Aufwand zum höchsten Ast und ließ mich dort nieder. Ich war so ein Dummkopf! Ich blöde Mistkuh, dachte ich und presste meine Fäuste auf die Augen. Die Beine zog ich an und lehnte mit dem Rücken an dem dicken Baumstamm. Ich beschimpfte mich noch sehr lange und mir fielen nach einiger Zeit keine Namen mehr ein. Ratlos und mit verheultem Gesicht saß ich nun dort oben und es wurde langsam später Nachmittag. Die Sonne schien noch immer und strahlte nun vom Südwesten her auf uns herab.
„Lucia?“, fragte jemand zaghaft. Ich sah mich um und entdeckte unten Takuto, dessen Hand verbunden war. Er sah mich zögerlich an und deutete auf meinen Ast. „Kann ich hochkommen?“ Ich schniefte und nickte, dann ließ ich meine Beine an beiden Seiten des Astes hinunterbaumeln und rückte alles zurecht. An meinem Gesicht konnte ich wohl nichts mehr ändern. Die wenige Schminke die ich benutzte, war mit Sicherheit verlaufen und ich sah bestimmt gruselig aus. Ich wusste nicht, wie er es schaffte, doch plötzlich saß Takuto mir direkt gegenüber. Seine verletzte Hand hielt er mit der anderen. Es sah aus, als würde er versuchen sie vor mir zu verbergen. Das brauchte er nicht zu tun. Ich sah nur kurz hin und schloss die Augen.
„Es tut mir so leid, Takuto. Ich wollte dir nicht wehtun-! Ich hätte nicht gedacht, dass es-!“ Ich verstummte und schüttelte den Kopf. „Ich bin eine Idiotin.“ Es blieb still und ich dachte schon, er wäre gegangen, doch als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, wie er die Kirschblüten betrachtete. Es sah sehr nachdenklich aus.
„Mir wurde gesagt, du hättest geweint.“, sagte er schließlich. Ich blinzelte verwirrt und nickte. Er wandte sich wieder den Kirschblüten zu. „Wegen mir?“ Er sah mich nicht an, weswegen ich nicht nicken konnte.
„Ja.“, antwortete ich zittrig und erneut füllten meine Augen sich mit Tränen. Ich wischte mir etwas verlegen die Nase mit dem Handrücken.
>Uäh wie eklig, wenn man kein Taschentuch dabei hatte!<
„Wieso?“ Takuto sah mich nun an und runzelte die Stirn. Er verstand wohl nicht weshalb. Ehrlich gesagt…so genau wusste ich es auch nicht. Ich zuckte die Schultern und versuchte mich trotzdem daran, es ihm zu erklären.
„Eigentlich wollte ich dich nur ärgern, aber auf keinen Fall wollte ich dich verletzen!“, sagte ich und deutete beschämt auf seine verbundene Hand. „Erst nachdem du gegen den Baum geprallt bist und ich gesehen hab, dass deine Hand völlig…zerfetzt war, hab ich den Ernst der Situation erkannt. Ich war entsetzt. Ich bin Schuld daran gewesen und anfangs hatte ich sogar gelacht, aber…Oh Takuto es tut mir so leid!“, rief ich aus und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Ich schluchzte und verbarg mein Gesicht vor ihm. Er sollte mich nicht so sehen und er sollte erst recht kein Mitleid mit mir bekommen! Ich war hier der Buhmann!
„Lucia-?“ Ich spürte, wie Takuto näher zu mir rüber rutschte. Dann nahm er meine Arme und zog mich zu sich, sodass er mich in eine sanfte Umarmung schließen konnte.
„Es tut mir so l-l-leid!“, schluchzte ich weiter und er strich mir beruhigend über das Haar.
„Es ist alles gut. Ich nehme dir das nicht übel. Wäre ich du gewesen, hätte ich wahrscheinlich das Gleiche getan. Außerdem hab ich dir noch nicht gesagt, wie beeindruckt ich davon bin, dass du mich wirklich ausgetrickst hast. Diese Taktik mit der Provokation ist teuflisch!“, er lachte leise. „Außerdem brauchst du dir keine Sorgen zu machen, mir geht es gut und bei Dämonen wie mir, heilen Wunden schnell. In zwei Tagen werde ich meine Hand mit Sicherheit wieder zum Kampf einsetzen können, da solltest du dich lieber in Acht nehmen!“ Versuchte er mich gerade wirklich, aufzumuntern?! Ich konnte nicht abstreiten, dass es mir wirklich half, doch es gefiel mir nicht. Das war hier ganz falsch!
„Takuto, warum tröstest du mich denn jetzt?!“, meckerte ich erbost und löste mich von seiner Umarmung. Er sah mich überrascht an. „Ich hab dir das angetan, du solltest mich jetzt hassen und lebenslängliche Rache schwören! Du solltest mich beschimpfen und sauer auf mich sein- Mach ruhig, ich kann es dir nicht verdenken, aber dass du mich ausgerechnet trösten musst?!“
Er starrte mich fassungslos an, während ich meine Schimpftirade über ihn hergehen ließ. Dann endete ich schwer atmend. Takuto grinste kurz und schnell veränderte sich sein Gesichtsausdruck zu einer wütenden Maske.
„Stimmt! Ich glaube du wendest deine Miko-Kräfte gegen mich an, ich würde dich nie im Leben trösten?! Du solltest zurück in deine Menschenwelt und dort deine miesen Tricks anwenden, aber nicht hier!“ Ich schnappte nach Luft und stritt mich noch weiter mit ihm. Ich wusste natürlich, dass er mir nur was vorspielte, genauso wie ich. Wir überspielten unseren friedlichen Moment in dem wir für eine kurze Zeit einfach Freunde gewesen waren, die sich gegenseitig trösteten und aufmunterten. Wir wussten beide nicht, was passiert wäre, wenn ich den Streit nicht angefangen hätte und wollten es auch nicht wissen. So wie es war, waren wir zufrieden…mit unseren ‚kleinen Disputen‘.
„Tut es noch weh?“, fragte Grandma als wir zu dritt wieder in ihrer Hütte saßen und Tee tranken. Takuto und ich funkelten uns noch an. Unser Streit war bis zum Dorf zu hören gewesen und Grandma hatte uns so runtergeputzt, dass wir uns hoch oben auf dem Baum mickrig gefühlt hatten. Danach hatte sie uns zu sich runterkommandiert und uns nach Hause geschickt, während sie selbst noch einige Besorgungen machte und wenig später in die Hütte gekommen war, in der Takuto und ich kein Wort miteinander gesprochen hatten.
„Nein.“, antwortete Takuto knapp und verbrannte seine Zunge an dem heißen Gebräu. Ich lachte kurz auf, worauf ich einen bösen Blick von ihm quittierte.
„Ich hoffe doch ihr habt euch ausgesprochen?“ Der Blick meiner Großmutter konnte manchmal wirklich unbehaglich sein, wenn sie einem bis in die Seele hineinzuhorchen schien. Wir nickten. Grandma seufzte. „Ihr benehmt euch wie kleine Kinder.“, murmelte sie und ich lief rot an. Ob ich eher verlegen oder wütend war, konnte ich nicht sagen.
„Sie bringt mich dazu!“, protestierte Takuto und schnaubte, als er keine Antwort bekam. Grandma sah friedlich aus, wie sie ihren Tee trank und ins Feuer sah. Vermutlich sah sie dort Dinge, die uns verborgen blieben, denn sie ignorierte uns, während Takuto und ich uns vorwarfen, der jeweils andere wäre Schuld an unserem Verhalten.
„Idiot!“
„Hexe!“
„Nun ist aber mal langsam Schluss ihr beiden!“, rief uns Grandmas laute Stimme zur Vernunft und ich zog unwillkürlich den Kopf ein. Sie seufzte erneut und sah mich an. „Lucia. Du musst dich entscheiden.“
Verwirrt starrte ich sie an. Tief in meinem Inneren wusste ich worauf sie hinauswollte, doch ich stellte mich dumm. Ich wollte nicht, dass sie das sagte.
„Du bist alt genug, um deine Ausbildung zur Miko beginnen zu können.“, fuhr sie fort. „Ich würde gerne wissen, ob du hier bleiben willst und hier als Miko leben möchtest oder ob du in die Menschenwelt zurückkehrst und…“ Sie schluckte „-nie wieder kommst.“
Es traf mich wie ein Schlag. Ich war hierauf nicht vorbereitet gewesen!
„Ich dachte ich hätte mehr Zeit-?“, fragte ich atemlos und sah sie hilfesuchend an.
„Es tut mir leid, aber je eher du deine Ausbildung beginnst, desto schneller kannst du meinen Platz einnehmen und das Dorf beschützen, bevor ich sterbe.“ Ich sah lange zu Boden und niemand sagte etwas. Nicht einmal Takuto der ebenfalls auf meine Antwort zu warten schien. Ich konnte meine Gefühle nicht unter Kontrolle bekommen und wusste nicht, ob ich weinen oder wild um mich schlagen sollte. Wie sollte ich mich entscheiden? Ich schloss die Augen und hörte auf meine innere Stimme. Ich spürte deutlich die Miko in mir, die mir sagte, ich solle hier bleiben und mich ausbilden lassen. Sie sagte mir, dass es hier schön war und mein Zuhause war. Eine andere Stimme, meine eigene, sagte mir, ich müsste wieder in die Menschenwelt zurückkehren, denn hier war es zu gefährlich für mich. Müde öffnete ich wieder meine Augen und strich mir über das Gesicht.
„Grandma…kann man nicht-?“, ich unterbrach mich und schüttelte den Kopf. Nein das würde nicht klappen, redete ich mir ein.
„Was denn?“
Ich richtete mich auf und hoffte, es würde so funktionieren.
„Könnte ich es nicht so einrichten, dass ich einfach zwischen beiden Welten pendle?“
Grandma sah mich überrascht an, dann verzog sie ihre Augenbrauen und schürzte die Lippen. Ihr Gesicht sah so sehr alt aus und unzählige Falten vertieften sich in ihrer Haut. Sie dachte nach, also sah ich in der Zwischenzeit zu Takuto der mich noch immer nachdenklich musterte.
„Wäre das nicht zu anstrengend für dich?“, fragte er und ich verstand nicht, weshalb er mich das fragte. Wieso machte er sich Gedanken darüber, ob es zu anstrengend für mich war?
„Ich denke schon, aber das ist für mich die einzige Lösung. Ich kann mich jetzt unmöglich entscheiden. In der Menschenwelt gehe ich noch zur Schule und meine Eltern sind auch noch da. Ich weiß nicht, wie ich es schaffen sollte, meinen Tod vorzutäuschen, um dann hier leben zu können mit dem Wissen, dass meine Eltern leiden.“
„Du musst deinen Tod nicht unbedingt vortäuschen Lucia.“, warf Grandma ein. Ich sah sie fragend an.
„Wie meinst du das?“
„Du musst deinen Tod nicht vortäuschen um hier zu sein. Und auch wenn du nur gelegentlich hierherkommen würdest, würden deine Eltern deine Abwesenheit eines Tages bemerken. Eine andere Option wäre, es ihnen einfach zu sagen.“
„Grandma, sie würden mir niemals glauben, ich meine-!“
„Oh doch, wenn ich hinzukomme, schon.“, unterbrach sie mich und ich starrte sie ungläubig an.
>Sie will sich wirklich meinen Eltern zeigen?<
Sich meinen Eltern zu zeigen, wäre mit einem hohen Risiko verbunden. Sie würden sich für verrückt erklären oder trotzdem nichts glauben. Sie würden sich von Grandma auf die Schippe genommen fühlen, da war ich mir sicher. Und was würden sie dann zu mir sagen, wenn Grandma ihnen von der Zwischenwelt erzählte? Ich hatte keine Zweifel, dass sie es mir verbieten würden. Sie würden sagen: „Und was willst du dort machen?! Hier gehst du zur Schule und kannst vieles erreichen, dort wirst du wahrscheinlich geschlachtet oder zu einer Hexe ausgebildet werden!“ Oh ja…ich konnte mir vorstellen wie Dads Gesicht rot anlaufen würde und wie Mom sich geschockt den Mund zuhielt. Ich seufzte. Irgendwann würde die Zeit kommen, in der ich es ihnen sagen musste…Ich hob den Kopf und nickte Grandma zu.
„Wir werden es ihnen sagen.“, antwortete ich bestimmt. „Aber-…Wie stellen wir das an?“
Grandma lächelte mich geheimnisvoll an und ich hatte den Verdacht, sie wüsste allzu gut, wie sie das anstellen würde.
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„Grandma bist du verrückt, die werden durchdrehen, wenn die Takuto in Aktion sehen!“, schrie ich aufgebracht und lief in der kleinen Hütte auf und ab.
>Meinte sie das wirklich ernst? Wollte sie meinen Eltern einen so großen Schrecken einjagen?!<
„Die kriegen einen Herzinfarkt…“, murmelte ich und ließ mich auf den Boden plumpsen. Takutos Grinsen verriet mir, dass ihm der Gedanke gefiel meine armen Eltern zu Tode zu erschrecken, indem er mich bedrohte.
„Nur so, würden sie uns glauben Lucia. Zuerst wird Takuto dich in die Mangel nehmen und sie werden es sehen, während sie auf der Lichtung sind. Du musst aufpassen, dass sie nicht gegen die Barriere kommen, sonst vergessen sie alles was im Wald passiert ist! Dann komme ich und rette dich, dann sind sie erst erleichtert, dass es dir wieder gut geht und danach sind sie natürlich noch einmal geschockt, weil ich ja gar nicht tot bin. Und danach, wenn sie sich beruhigen, sagen wir, dass Takuto ein Dämon von vielen ist und er wird dann zu uns stoßen. Natürlich bist du hinter der Barriere Takuto.“, erklärte meine Großmutter munter und goss sich Tee ein. „Und wehe du tauchst plötzlich auf und erschreckst sie! Du musst dich langsam annähern und später werden wir sie zu dritt aufklären.“
Sie schien es für eine sehr gute Idee zu halten, doch ich hatte so meine Zweifel. Takuto war unberechenbar. Ich traute ihm nicht und dass er mich dann auch noch ‚in die Mangel‘ nehmen sollte, gefiel mir ganz und gar nicht. Ich vergaß dabei völlig, dass er mir eigentlich nichts tun konnte, weil er an mich gebunden war, doch ich war zu aufgewühlt um mir das in Erinnerung zu rufen. Außerdem: Wie würden meine Eltern reagieren? Und wie konnte ich sie auf die Lichtung locken?
„Hey Prinzesschen so wie du guckst scheinst du nicht besonders angetan von der Idee zu sein?“, meldete sich Takuto in einem herablassenden Ton. Ich schnaubte.
„Natürlich nicht du Hirni! Wer weiß, was du zu meinen Eltern sagst?! Ich hoffe für dich, du benimmst dich und befolgst die Anweisungen von Grandma!“, fauchte ich zurück und legte mich auf den Bauch. Ich bettete meinen Kopf auf den gekreuzten Armen, schloss die Augen und überlegte. So langsam bildete sich eine Idee in meinem Kopf, wie ich meine Eltern auf die Lichtung bekam: Ich würde sie einfach zu einem Picknick zwingen! Von allein würde sie nicht drauf kommen und auch mit einem einfachen „Bitte“ hätten sie keine Zeit dafür. Um das zu schaffen musste ich eine gute Nachricht für sie haben (Das hieß, eine gute Note zu schreiben) und müsste die ‚Aber ihr habt auch nie für mich Zeit‘-Karte ausspielen. Ich grinste in mich hinein, bei der Vorstellung, wie ich sie mit großen Augen ansah, mit einem klein wenig Enttäuschung und Hoffnung in einem und sagte, dass ich -ihre einzige, ihre Eltern liebende Tochter- sich vernachlässigt fühlte und ein kleines Picknick machen wollte, um die gute Note zu feiern. Vielleicht könnte ich ihnen ja auch eine Lüge auftischen und sagen, dass ich mich entschieden hätte ihre Firma weiterzuführen, dachte ich mir und schüttelte gleich darauf den Kopf. Sie würden sich bestimmt freuen und das…naja, das wollte ich nicht. Nicht dass ich es ihnen nicht gönnen würde, sich zu freuen! Das Problem war nur, dass ich ihren Traum zunichtemachen würde, wenn wir ihnen von der Zwischenwelt erzählten. „Wann soll das passieren?“ Ich hob den Kopf und sah fragend zu Grandma. Diese zuckte mit den Schultern.
„Das musst du wissen.“
Ich nickte und setzte mich auf.
„Gut, ich glaube ich geh dann mal.“, seufzte ich und stand auf. „Ich sag dir Bescheid, wenn ich weiß, wann wir es ihnen sagen.“
Grandma stand ebenfalls auf und umarmte mich lange. Dann lächelte sie mich an und sah zu Takuto. Zuerst runzelte er die Stirn, dann verstand er, was sie von ihm wollte und stöhnte auf.
„Wieso immer ich?!“, rief er aus und brachte mich zum Schmunzeln.
„Weil du in meiner Schuld stehst und Grandmas Beine schmerzen.“, antwortete ich und streckte ihm die Zunge aus. Takuto stand auf und ging aus der Hütte. „Bye Grandma!“ Schnell folgte ich ihm. Wie immer gingen wir schweigend nebeneinander her.
„Ich kann mich noch genau erinnern.“
Ich horchte auf und sah ihn an. Währenddessen schlenderten wir weiter in den Wald hinein.
„An was?“, fragte ich leise. Er lächelte und sah in die Baumkronen.
„An genau dem Tag an dem ich gebannt wurde, da begegnete ich einem kleinen Mädchen, das sich hier im Wald verirrt hatte.“, begann er mit dem gleichen Lächeln auf den Lippen und ich lief rot an. Das hatte ich ganz vergessen. „Ich habe mich erst richtig daran erinnert, als du vorhin geweint hast.“ Mein Gesicht musste aussehen, als hätte ich einen fetten Sonnenbrand, dachte ich mir und presste die Lippen aufeinander. Ich sah beim Gehen auf den Boden. Er sagte nichts mehr und nachdem ich mir sicher war, dass mein Gesicht eine normalere Gesichtsfarbe angenommen hatte, sah ich zu ihm hoch. Verwundert stellte ich fest, dass er noch immer lächelte. Es sah aus, als würde ihm diese Erinnerung gefallen!
„Das haben wir doch schon durchgekaut oder nicht?“, fragte ich und erinnerte mich, dass wir erst vor einigen Tagen schon einmal darüber geredet hatten. Er nickte.
„Ja, aber…da konnte ich mich nicht ganz an dich erinnern, du hast dich-…naja. Chrm. Verändert.“ Ich kicherte, als ich einen Hauch Rosa auf seinen Wangen sah.
„Du weißt, wer das Wesen war, dem ich gefolgt bin, nicht wahr?“, fragte ich, als ich mich beruhigt hatte. Er sah zu Boden, dann sah er mir in die Augen und die Trauer die sich in ihnen widerspiegelte, überwältigte mich. Ich konnte nicht umhin, seine Hand zu nehmen und sie kurz zu drücken. Verwirrt sah er auf unsere verschränkten Hände.
„Ja. Es war Katára.“, flüsterte er dann und sah von unseren Händen wieder zu mir. Mit offenem Mund starrte ich ihn an.
„Katára? Hat sie dich denn nicht-?!“ Ich verstummte, als er nickte. „Ich weiß, das ist vielleicht unangenehm für dich, aber…würdest du mir die Geschichte erzählen?“, fragte ich vorsichtig. Takuto sah mich sehr lange nachdenklich an, dann ließ er meine Hand los. Enttäuscht biss ich mir auf die Unterlippe. Wieso sollte er mir das denn auch erzählen wollen? Wir mochten uns noch nicht mal. Zu meiner Überraschung, drehte Takuto sich um und zeigte auf einen kleinen Bach, den ich zuvor nicht bemerkt hatte.
„Setzen wir uns? Die Geschichte ist ziemlich lang.“
Lächelnd nickte ich, wir setzten uns auf einen großen Stein und beobachteten eine kleine Weile lang die Fische die im Bach umherflitzten. Ich konnte nicht glauben, dass Takuto mir seine Geschichte erzählen wollte. Ich fühlte mich irgendwie geehrt, weswegen ich geduldig darauf wartete, dass er seine Gedanken ordnete.
„Katára und ich sind sozusagen zusammen aufgewachsen. Es herrschte Krieg und unsere Väter waren die einflussreichsten Krieger der Dämonen. Isamu –mein Vater- war der Mutigste und Stärkste, Makoto war mein Onkel und wurde meist auch der Aufrichtige genannt. Er wäre eher gestorben, als einen von seinen Leuten zu verraten. Und dann gab es da noch Masaru –Katáras Vater-. Masaru war skrupellos und tat alles, um von einem Kampf als Sieger hervorzugehen. Die drei waren gute Freunde und fochten viele Kämpfe zusammen an…Sie töteten viele Menschen, nach dem Rückzug des Königs. Mein Vater und mein Onkel hatten nie die Absicht gehabt Könige der Dämonen zu werden und suchten nicht nach Promodros‘ Grabstätte. Masaru jedoch war zu ehrgeizig und versuchte alles Mögliche um König zu werden. Nun. Eines Tages geschah etwas, was Masaru und meinen Onkel entsetzte. Mein Vater –der Mächtigste von ihnen- verliebte sich in eine Menschenfrau.“, er hielt inne und atmete tief ein und aus. Gebannt hörte ich ihm zu. Takutos Vater und eine Menschenfrau? „Sie erfuhren es erst, als ich geboren wurde und mein Vater mich zu ihnen brachte. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben. Ich war zu stark für ihren schwachen Körper. Masaru wollte mich sofort töten. Mein Onkel hielt sich raus. Er sagte zu meinem Vater, dass er seinen Respekt vor ihm verloren hätte. Ein Dämon mit einem Menschen!“ Takuto spuckte verächtlich auf den Boden. Er sah mich an und sein Gesicht wurde wieder sanfter. Dennoch schien er wütend zu sein.
„Was ist dann passiert?“, fragte ich atemlos. Takuto schnaubte.
„Am gleichen Tag wurde Katára geboren. Masaru war enttäuscht, weil er einen Jungen wollte. Trotzdem führte er sie jedem vor und machte sich über meinen Vater lustig, weil sein Sohn ein Halbblut war. Er sagte: Ich bin froh ein Vollblut zu haben, auch wenn es ein Mädchen ist! Lieber eine Dämonenfrau, als einen Halbblütigen kleinen Wicht! Er konnte meinen Vater oder mich nicht töten. Er war schwächer als mein Vater und dieser beschützte mich. Aber Masaru wäre kein Sieger, wenn er nicht hinterhältig und boshaft wäre. Er tötete meinen Vater im Schlaf und fackelte das kleine Haus ab, in dem ich noch lag. Ich war nicht mal ein Jahr alt.“ Erschrocken schnappte ich nach Luft. Takuto lachte humorlos.
„Wie du siehst lebe ich ja noch.“
„Ja, aber-! Wie bist du denn da rausgekommen! Und…Es tut mir wirklich leid für deinen Vater Takuto.“ Er sah mich nur kurz an, dann wandte er sein Gesicht ab.
„Es muss dir nicht leidtun.“ Bevor ich etwas erwidern konnte, redete er weiter. „Mein Onkel Makoto rettete mich aus den Flammen. Als er seinen Bruder mit einem Dolch in seiner Brust sah, verzieh er ihm und nahm mich bei sich auf. Er hatte keine Kinder und so wurde ich sein Sohn. Er hatte schon immer gewusst, dass Masaru der Mörder seines Bruders war, tat aber nichts. Zwar hatte er meinem Vater seinen Fehler verziehen, war dennoch der Meinung, er hätte es sich selbst zugeschrieben.“
„Warte mal.“, stoppte ich ihn und ich wusste, dass diese Frage viel zu spät kam. „Dein Vater und dein Onkel und auch Masaru. Wie sahen sie eigentlich aus? Ich meine- die Dämonen die ich gesehen habe, die sahen nicht so aus, als würde sie Kinder zeugen können, die Menschlich aussehen?“ Takutos Mundwinkel zuckten.
„Lucia. Pérenell hat dir doch gesagt, dass es verschiedene Dämonen gibt. Wir –Isamu, Makoto und Masaru- waren alle vom gleichen Stamm. Vollwertige Dämonen aus unserem Stamm haben das Aussehen eines Menschlichen Wesens. Dennoch sind sie Vollblüter und man sollte sie niemals unterschätzen.“
„Da stelle ich sie mir aber vor wie ich dich jetzt sehe. Woher erkennt man denn dass du ein Halbblut bist? Ich glaube nicht, dass es so große Unterschiede vom Aussehen gibt, oder?“, fragte ich skeptisch. Ich konnte sie mir wirklich nicht anders vorstellen. Takuto lächelte.
„Ein Vollblüter hat zum Beispiel eine schwarze Iris. Meine ist wie du siehst farbig. Den richtigen Unterschied erkennt man aber bei der Verwandlung. Du weißt wie ich aussehe, wenn ich mich verwandle?“
Bei der Vorstellung bekam ich einen Schauer und Takuto nickte. „Vollblüter verwandeln sich in weitaus stärkere Wesen. Manche von ihnen verwandeln sich in große dämonische Tiere. Manche verwandeln sich Grundauf in anderen Wesen. Gemeinsam haben sie nur, dass sie sehr mächtig sind. Mein Vater verwandelte sich in eine Art Wolf. Deine Großmutter vermutet, dass er ein ‚Werwolf‘ gewesen sei, er konnte sich verwandeln wann er wollte, bei Vollmond zum Beispiel war er gezwungen sich zu verwandeln, deswegen die Vermutung.“
Ich gab ein unbestimmtes Quieken von mir und starrte ihn an.
„WERWOLF?!“ Meine Stimme ging zwei Oktaven in die Höhe. Takuto sah mich verwundert an.
„Ja, das sagte Pérenell?“
>Ok…Ok…Lucia beruhig dich…Nur ein Werwolf. Ich meine, du lebst in einer Welt mit Dämonen, da hättest du dir auch denken können, dass Werwölfe unter anderem dabei sind<
Ich nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. Tief durchatmen, ermahnte ich mich.
„Lucia, alles gut bei dir, du siehst so blass aus?“
„Erzähl deine Geschichte weiter. Also dein Onkel hat dich aufgenommen. Und was war mit Masaru und Katára?“
„Na gut. Makoto zog mich auf und Masaru hat mich gehasst. Natürlich haben wir noch immer als Stamm zusammengelebt, aber Masaru wandte sich nach einiger Zeit gegen meinen Onkel, denn er wollte mich nicht in seiner Nähe haben. Ich denke einfach er hatte Angst vor mir.“, den letzten Satz murmelte er nur noch. Wieder voll in der Geschichte hing ich an seinen Lippen.
„Wie meinst du das, er hatte Angst vor dir?“
„Die anderen schienen nicht so von mir abgeneigt zu sein, wie zuerst mein Onkel und Masaru. Ich war schließlich Halb Dämonischen Blutes und dann auch noch das meine Vaters Isamu. Sie hatten viel Respekt vor meinem Vater gehabt, auch wenn er sich eine Menschenfrau ausgesucht hatte. Sie waren natürlich nicht überfreundlich zu mir oder behandelten mich, wie einen von ihnen, aber sie waren nicht so feindselig wie Masaru und das machte ihn wütend. Wenn ich heranwachsen würde, mit genügend Selbstbewusstsein…dann wäre ich stark gewesen und Masaru wollte der Stärkste sein. Er hatte Angst vor mir, denn er wusste, dass ich mich an ihm rächen würde.“
„Und hast du es getan?“
Er sah zum Bach und sah aus, als würde er mir nicht antworten. Dann seufzte er und sah mich wieder so traurig an, als wir vorhin über Katára gesprochen-! Also kam jetzt der Part mit Katára, dachte ich mir.
„Wir waren noch klein, als Katára und ich uns zum ersten Mal begegneten. Ich war ein kleiner Junge und mein Onkel wollte mir das Kämpfen erst in einem Jahr beibringen, aber ich konnte nicht darauf warten. Ich wollte schon mit jungen Jahren stark werden. Ich wollte in die Fußstapfen meines Vaters treten. Ich beobachtete meinen Onkel bei seinem Training, als ich jemanden hinter mir bemerkte. Ich drehte mich um und dachte es wäre ein Hinterhalt, aber-!“, er brach ab und schüttelte den Kopf. Er starrte ins Nichts und erinnerte mich an einen kleinen Jungen, der ein tolles Spielzeug bestaunte. Nur, dass man Katára wohl eher nicht als Spielzeug bezeichnen konnte. „Sie war das Schönste, das ich je gesehen habe.“ Mir entging nicht, dass er es auch auf die Gegenwart bezog. Sogar noch heute, schien er ihrer Schönheit verfallen zu sein. Ich konnte ihm da nur zustimmen, denn das Gleiche empfand ich auch, wenn ich mich an sie erinnerte. Mein Ärger darüber, dass ich ihr Gesicht nicht hatte sehen können, wuchs. „Sie stand einfach da und beobachtete mich. Ich wusste wer sie war, denn Masaru prahlte oft mit seiner schönen Tochter. Er gestatte es aber nicht, sie zu sehen. Niemand aus dem Dorf hatte sie je gesehen, denn er sperrte sie in seinem Anwesen ein. Sie sprach nicht und als ich gerade fragen wollte, wieso sie spionierte, rannte sie davon. Natürlich in Dämonengeschwindigkeit. Nach dieser Begegnung konnte ich sie nicht vergessen…“ Wieder hörte er auf zu reden und wir beide starrten in den Bach. Ich musste tief Luft holen. Das hieß, dass er sich schon als Kind in sie verliebt hatte. Wie schmerzlich es gewesen sein muss, als sie ihn gebannt hatte, dachte ich und hatte einen Kloß im Hals.
>Auf gar keinen Fall heulst du jetzt!<
„Ich sagte niemandem, dass ich ihr begegnet war. Ein Jahr später begann mein Onkel mich Kampftechniken zu lehren und ich perfektionierte meinen Schwertkampf. Auch mit Shuriken, die wir selbst anfertigten konnte ich sehr gut umgehen. Hier. Zwei habe ich behalten können.“ Er drehte sich zu mir, hob sein Hemd an und zeigte mir Handgroße, silberne Ringe, die an seiner Innentasche befestigt waren. Die Ringe hatten spitze Zacken am Rand, ein kleiner Teil war kahl, damit man sie in die Hand nehmen konnte.
„Damit hast du den Gorilla-Dämon getötet!“, entfuhr es mir überrascht. Er nickte und setzte sich wieder gerade hin. Mir gefiel nicht, dass wir vom Thema abschweiften, also fragte ich ihn nach Katára.
„Ich habe sie von unserer ersten Begegnung an nicht mehr gesehen, bis ich ins Mannesalter kam. Mein Onkel war sehr zufrieden mit mir, denn ich erhielt viel Respekt von seinen Dämonen-Anhängern. Ich wurde zum Besten Kämpfer.“
„Heißt das, du hast Menschen getötet?“, fragte ich ihn und schluckte.
„Ja…“, murmelte er. „Ich bin aber nicht stolz drauf. Ich tat es, einfach nur wegen der Bestätigung, die ich von allen bekam. Es fiel mir nicht schwer armselige schwache Menschen zu töten. Irgendwann wäre sie sowieso umgebracht worden von anderen Dämonen…Nach einer gewonnenen Schlacht feierten sie mich -wie zu seiner Zeit- meinen Vater.
Und da geschah etwas, was mich in meiner Vermutung, Masaru könnte Angst vor mir gehabt haben, bestätigte. Ich wurde zum Liebling und er wurde gehasst. Er wurde gehasst, denn er lehnte sich offen gegen mich auf und konnte es nicht ertragen zu sehen, dass ein Halbblut wie ich seinen Platz als besten Kämpfer der Zwischenwelt einnahm. „An einem Abend an dem ich genug vom ganzen Feiern hatte, ging ich früher als alle anderen wieder nach Hause. Dort stand sie. Direkt vor unserer Haustür und wartete auf mich. Ich dachte, ich hätte zu viel getrunken, aber das konnte nicht sein –Ich hatte nicht einmal 3 Krüge getrunken. Es war Nacht und der Mond schien auf ihr Gesicht…ich…es war einfach…“, er fand keine Worte.
„Unbeschreiblich?“, half ich nach, Takuto nickte gedankenverloren.
„Ich kann mich noch genau erinnern was sie zu mir sagte. ‚Takuto!‘ Als sie meinen Namen rief, war es, als würde sie mich über die Wasseroberfläche holen.
‚Ja?‘ hatte ich ihr geantwortet. Ich hätte wahrscheinlich alles getan, was sie von mir verlangte. Sie hatte mich angesehen, als würde sie um mein Leben bangen. Und das tat sie auch. Sie sagte, dass ihr Vater mich töten wolle. Er würde auch meinen Onkel töten und alle Dämonen unter seine Kontrolle bringen. Sie sagte es, als wäre es eine Tragödie. Sie hatte ein gutes Herz.“ Takutos Stimme wurde immer leiser. Dann sah er hoch in den Himmel und sein Blick wurde wieder angespannt. „Ich glaubte ihr und fragte sie, wieso sie mir das erzählte. Sie sagte, es müsse so sein. Damals wusste ich natürlich nicht, dass sie nicht nur eine vollwertige Dämonin war, sondern auch die Magie beherrschte und so ein Auge auf das Schicksal hatte.“
„Ein Auge auf das Schicksal?! Wie soll man denn das verstehen?“, platzte es aus mir raus. Takuto seufzte.
„Sie konnte die Zukunft zwar nicht sehen, aber erahnen.“
Ich musste wohl aussehen, wie ein Bauerntrottel und Takuto verdrehte die Augen.
„Mikos könnten das auch, denn Magie ist ihre Waffe und ihr Schutz. Wärst du nur halb so begabt, wie deine Großmutter es sagt, wüsstest du was ich damit meine. Katára konnte die Zukunft erahnen, weil sie manchmal mit den großen Geistern in Kontakt trat und diese ihr zuflüsterten, was passierte. Leider taten sie das zu einem hohen Preis. Sie verlangten jedes Mal einen kleinen Teil ihrer Lebenskraft. Katára sah seid unserer ersten Begegnung jeden Monat in meine Zukunft und war deshalb nie gekommen um mich noch einmal zu sehen. Sie war ständig geschwächt und blieb in ihrem Zimmer. Sogar Masaru machte sich Sorgen um sie, kam aber nicht darauf, dass sie in meine Zukunft sah.“
Mir blieb der Mund offen stehen. Die beiden hatten sich nicht einmal gekannt, nur ein einziges Mal gesehen und hatten den anderen nie vergessen. Katára gefährdete sogar ihre Gesundheit, nur um Takuto in Sicherheit zu wissen. Vielleicht sind sie ja Seelenverwandte, dachte ich verträumt.
>Lucia, sei nicht immer so romantisch! Die blöde Kuh hat ihn verraten<
„Nachdem sie mich gewarnt hat, kam sie zu mir und strich mir über die Wange. Dann verschwand sie.“ Er sah mich an und ich konnte die Verzweiflung in seinen Augen sehen. „Da verliebte ich mich in sie.“
„Ach Takuto.“, flüsterte ich gerührt und konnte nicht anders, als mich auf ihn zu stürzen und ihn zu drücken. Kurz schien er überrascht, dann erwiderte er die Umarmung zögerlich. „Das hört sich alles so romantisch an und doch weiß ich wie die Geschichte zu Ende geht…Es tut mi so leid!“ Ich hört ihn seufzen, dann drückte er mich von sich und lächelte bitter.
„Die Geschichte hat aber gerade erst angefangen Lucia. Das Ende ist noch lange nicht in Sicht.“
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„Ab diesem Abend schlief ich immer mit einem offenen Auge. Ich warnte meinen Onkel; er wusste nicht, dass ich die Warnung von Katára hatte, ich sagte ihm, ich hätte nur eine böse Vorahnung. Er glaubte mir. Vier Tage später hörte ich in der Nacht, wie jemand kam. Es war Masaru. Er hatte uns überwältigen wollen, doch ich kam ihm zuvor und forderte ihn zum Kampf heraus. Zuerst kämpften wir, aber als mein Onkel zu uns stieß und sah, dass sein langwieriger Freund es wirklich auf mich abgesehen hatte, wurde er rasend und wollte an meiner Seite kämpfen, doch Masaru bekam es mit den zwei besten Kämpfern der Dämonen zu tun und rannte davon. Wir verfolgten ihn nicht und hofften, er würde sich hier nie wieder blicken lassen.“
„Ich rate mal, er hat es trotzdem gewagt?“ Takuto nickte grimmig.
„Als er zurückkam übertrieb er es. Er unterstellte mir und meinem Onkel Dinge, die wir auch nie in Erwägung gezogen hätten. Einmal machte er mich wütend und ich griff ihn an…doch mein Schlag prallte an ihm ab, fast wäre mein Schwert entzwei gebrochen. Er lachte über mich und erklärte, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben könne, solange der Schutzzauber, den Katára auf ihn gelegt hatte, ihn schützte. Ich konnte ihm nicht glauben, doch ich hatte es selbst gesehen. Er war ständig umgeben mit einem unsichtbaren, starken Schutzschild, der ihn vor Angriffen bewahrte. Ich beschloss Katára zu finden und sie zu fragen, wieso sie ihren Vater beschützte, obwohl sie von allem wusste und mich sogar gewarnt hatte. Ich war so…so wütend und verletzt. Es fühlte sich an, wie Verrat. Als ich dann in Masarus Anwesen eindrang, erwarteten mich seine persönlichen Krieger.“
„Dämonen haben persönliche Krieger?!“
„Ja Masaru schon. Es konnte immer mal passieren, dass jemand im Schlaf getötet wird und da er sich damit am Besten auskannte, verschaffte er sich persönliche Krieger, die in seinem Palast blieben, um ihn Nachts und Katára den ganzen Tag zu beschützen. Es war ein Leichtes sie auszuschalten. Ich suchte nach Masaru, fand dafür Katára. Sie lag geschwächt auf ihrem Futon und sah sehr krank aus. Meine Wut verflog augenblicklich und ich stürzte zu ihr. Sie sah mich und urplötzlich stand sie und hielt mir ein Messer an die Kehle. Als sie mich wiedererkannte, warf sie das Messer weg und umarmte mich. Das war die erste richtige Umarmung meines Lebens…“ Ich bemerkte, wie sich seine Wangen rosa färbten. War ihm das etwa peinlich?! Ich beugte mich näher zu ihm heran, woraufhin er noch röter wurde. Ungläubig piekte ich ihm auf die Wange.
„Takuto du wirst ja rot!“, stieß ich aus und musste kichern. Er konnte ja wohl nicht rot werden, nur weil sie ihn umarmt hatte, dachte ich mir. Ich schnappte ungläubig nach Luft. „Es ist nicht bei der Umarmung geblieben stimmt‘s?!“ Takuto presste die Lippen aufeinander und senkte den hochroten Kopf. Erfreut klatschte ich in die Hände. „Tut mir leid, aber jetzt musst du damit rausrücken! Was ist passiert?“
„Das geht dich nichts an!“, murmelte er kurz angebunden, doch an mir kam er nicht vorbei.
„Oh doch du erzählst es mir jetzt! Das hast du dir selber eingebrockt, du hast damit angefangen und musst deine Geschichte auch detailliert zu Ende bringen!“
Er warf mir einen erbosten Blick zu. Sein Gesicht brannte noch immer lichterloh, doch ich sah, wie er langsam aufzugeben schien.
„Aber Lucia, das ist etwas wirklich Privates…“, murmelte er wieder, diesmal halbherziger.
„Wenn du’s so sagst, machst du mich nur neugieriger. So. Sie hat dich umarmt und daaaaann-?“
Takuto seufzte. „Und dann…hat sie mich geküsst.“ Er sah mich nicht an und presste wieder die Lippen aufeinander. Es blieb still.
„Das war’s? Mehr nicht?“ Takuto nickte und wurde wieder rot. Genervt seufzte ich auf. „Das ist doch nicht dein ernst! Ich dachte, da wäre mehr passiert, ein Kuss ist doch nichts Besonderes! Ich wette, ihr habt euch noch nicht mal richtig geküsst.“
Takuto sah mich verwundert an.
„Mehr? Was meinst du damit-?!“ Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
>Denk mal kurz drüber nach Kleiner<
Seine Augen weiteten sich und er blies die Wangen auf. Zu seiner Gesichtsfarbe musste ich ja wohl nichts sagen.
„Lucia!“, rief er aus und ich musste lachen. Wieso machte er denn so einen Wirbel darum?
„Komm schon, das ist doch nicht so schlimm!“
„Ich weiß ja nicht, wie es in eurer Zeit zugeht, aber hier ist so etwas tabu und man erzählt es nicht jedem!“
Je weiter er sich darüber aufregte, desto lauter musste ich lachen.
„Glaub mir, wärst du in meiner Zeit, würdest du dich wundern, wie offen wir darüber reden. In der Schule siehst du an fast jeder Ecke ein knutschendes Paar.“
Takuto sah sehr verwirrt aus.
„A-aber, das ist ja unerhört! Und außerdem-?! Du gehst dort zur Schule?“
„Ja natürlich!“
„Mädchen gehen aber nicht in die Schule.“
„Tja in deiner Zeit vielleicht nicht, aber in meiner Zeit geht jedes Mädchen in die Schule und 80 % von ihnen schaffen einen besseren Abschluss als die Jungen!“, natürlich hatte ich keine Ahnung von den Prozentzahlen, doch es ärgerte mich, dass er so geschockt davon war, dass Mädchen in die Schule gingen. Er schüttelte den Kopf.
„Eigenartig.“, meinte er (wie ich fand) angewidert und ich wusste genau, dass, er nur ablenken wollte!
„Also Katára hat dich geküsst! Was ist dann passiert?“, fragte ich eifrig und Takuto machte ein Gesicht, was wohl bedeutete, dass es ihm nicht gefiel, dass ich es so leichthin sagte (und dass ich wieder auf das Thema zurückkam).
„Ja. Chrm. Katára entschuldigte sich bei mir, dass sie Masaru schützte. Er zwang sie dazu. Sie konnte sich nicht gegen ihn wehren, denn sie hatte nie gelernt wie. Also half ich ihr. Da ich ihre Krieger schon aus dem Weg geräumt hatte, nahm ich sie einfach an der Hand und lief. Ich wäre um die ganze Welt gelaufen, solange sie meine Hand hielt.“
„Und wo seid ihr hingelaufen? Und was war mit deinem Onkel? Und was war mit Masaru, du hast seine Tochter entführt!?“ Takuto lachte leise und warf mir einen belustigten Blick zu.
„Lucia, mach mal halb lang, ich kann nicht alles auf einmal beantworten.“ Ich nickte und biss mir auf die Lippe. Wieder mal hatte meine Neugierde gewonnen und wenn so etwas passierte, konnte man mich schwer stoppen. „Meinem Onkel sagte ich nichts, ich weiß nicht was mit ihm passiert ist, ich hab ihn danach nicht mehr wiedergesehen.“, er machte eine betretene Pause. „Ich hatte kein Ziel und Katára auch nicht, also reisten wir herum. Wir dachten uns schon, dass Masaru uns eines Tages vielleicht suchen würde, machten uns aber keine Gedanken darum. Wir hatten Besseres zu tun…“
„Und was war das?“, durchbrach ich die Stille, die eingetreten war. Takutos Blick war wieder zu dieser schmerzvollen Maske verzerrt.
„Wir planten unsere Vermählung.“
Erschrocken starrte ich ihn an. Sie hatten heiraten wollen? Die Sache wurde ja immer ernster!
Er redete weiter, schien gar nicht mehr bei mir zu sein: „Ich fragte sie einfach, ob sie mich heiraten wolle und sie sagte Ja. Also suchten wir nach einem Dorf in dem wir leben wollten…dieses Dorf war hier. Es war weit von anderen Dörfern entfernt und nur einige Leute wussten überhaupt, dass dieses Dorf hier, das soweit nördlich an der Grenze der Barriere war, existierte. Viele dieser Menschen hier dachte, wir würden sie töten wollen, doch Katára hatte sie mit ihrer Art beruhigt und wir haben ihnen alles erzählt. Wir baten sie um ihre Erlaubnis hier bleiben zu dürfen. Da traf ich deine Großmutter. Zu der Zeit lebte die Miko Kaede noch und sie hörte unsere Bitte an. Aber ich kann mich an Pérenell erinnern, wie sie hinter Kaede gesessen und allem mit großem Interesse zugehört hatte. Sie war damals noch jung und lernte schnell…Naja egal. Kaede erlaubte uns, uns hier einzuleben und so blieben wir hier. Einen Monat später hatten wir uns hier eingelebt und planten unsere Vermählung, als Masarus Männer uns angriffen. Sie kamen wie aus dem Nichts und wir waren unvorbereitet gewesen. Katára hatte schon lange aufgehört in die Zukunft zu sehen, wir sahen uns in Sicherheit. Die Männer töteten einige mutige Männer die sich ihnen in den Weg stellten, aber als sie anfingen immer mehr Menschen zu schlachten, zeigte ich mich. Katára hatte sich mit den Frauen und den Kindern hinter einer Schutzbarriere versteckt. Kaede verteidigte das Dorf, sie war eine begnadete Bogenschützin. Deine Großmutter kämpfte an ihrer Seite. Das war ihr erster richtiger Kampf und mit meiner Hilfe vernichteten wir alle Krieger. Einen Tag später stand Masaru plötzlich vor uns. Einer seiner Krieger war uns entwischt und hat ihm unseren Standort gezeigt. Er stellte mir ein Ultimatum. Entweder würde er alle Dorfbewohner vernichten und mich töten oder ich würde ihm Katára geben und mich nie wieder blicken lassen. Du kannst dir ja wohl denken was ich getan habe…“ Er wartete wohl auf eine Antwort, denn er erzählte nicht weiter und sah mich an. Ich runzelte die Stirn.
>Was hat er wohl getan? Hmm…<
„Aber ich dachte du wärst stärker als Masaru, ich denke mal du hast ihn angegriffen, bevor er jemandem etwas antun konnte?“, antwortete ich, doch Takuto lächelte mit einem bitteren Gesichtsausdruck.
„Ja. So war es. Damals war ich stärker, aber die Zeiten hatten sich geändert. Ich weiß nicht, wie, aber Masaru war stärker geworden. Ich kann mich noch an seine Augen erinnern. Seine Augen hatten einen wahnsinnigen Ausdruck. Kurz bevor ich angriff sagte er: ‚Du jämmerlicher Wicht, wirst mich nicht aufhalten können, genauso wenig wie dein armseliger Onkel!‘. Ich hielt inne und in diesem Bruchteil einer Sekunde, war er blitzschnell bei mir und presste seine Hand auf meine Brust. Ich starrte in seine Augen und ich weiß wirklich nicht, wo er das gelernt hat, aber aus seiner Hand schoss ein Blitzstrahl, der mich fast getötet hätte, wäre Katára nicht gekommen und mich mit einem Schutzwall umschlossen. Ich war mit nur einem Schlag von ihm außer Gefecht gesetzt gewesen und weg war ich. Als ich außer Gefecht gesetzt war, wollte Masaru mich töten, aber Katára warf sich vor mich und sagte, sie würde mit ihm gehen, wenn er das Dorf und mich in Ruhe ließ. Er willigte ein…“
„Aber was ist dann mit dir passiert?! Als du aufgewacht bist-? Hast du ihn verfolgt?“
Takuto nickte abwesend: „Als ich aufgewacht bin und sie mir sagten, dass Katára weg war, wäre ich fast auf die Dorfbewohner losgegangen. Pérenell und Kaede halfen mir, mich zu beruhigen und kurz danach brach ich los und folgte Masarus und Katáras Spur. Mich wunderte es noch immer, wie Masaru so stark werden konnte. Ich gab mir die Schuld an allem, denn ich war schwach gewesen und hatte ihn nicht aufhalten können. Die Suche dauerte drei Tage und drei Nächte, bis ich Masarus Reich fand. Ich wurde erwartet…Masaru stand dort, hinter ihm Katára. Ich konnte sie nicht richtig sehen, das Masaru den Weg versperrte, aber sie war so reglos. Sie versuchte noch nicht mal mich anzusehen, da wusste ich, dass etwas nicht stimmte.“ Mit angehaltenem Atem lauschte ich Takutos Geschichte. Der Himmel verdunkelte sich schon, doch wir beide achteten nicht darauf. „Ich rief nach ihr, aber Katára reagierte nicht. Masaru lachte und meine Geduld war am Ende, also griff ich an…Masaru bewegte sich nicht von der Stelle und als ich ihn mit meinem Schwert treffen wollte, prallte es gegen ein Schutzschild ab…den Katára errichtet hatte. Ich verstand nicht, wie sie ihn schützen konnte und dachte, er würde sie dazu zwingen, aber er griff mich an und als ich mich wehrte, war der Schutzschild noch immer da.“
„Wieso hat sie das getan?“, fragte ich entsetzt.
„Masaru besiegte mich und als ich verletzt auf dem Boden lag, klärte er mich auf. Er hatte Katára getötet.“
Meine Augen weiteten sich. Takuto spannte den Unterkiefer an.
„Er hat seine eigene Tochter getötet?!“
„Ja…von Dämonen wie ihm war so etwas zu erwarten, aber…er hat sie wiederbelebt.“
Ok, jetzt verstand ich gar nichts mehr!
„Erst tötet er sie und dann belebt er sie wieder? Und-?! Wie hat er das denn gemacht; Zu welchem Zweck?“, grübelte ich und knabberte nachdenklich an meinem Daumennagel.
„Er tötete sie, weil ihre Seele sich gegen ihn wehrte. Sie wollte seinen Befehlen nicht folgen, denn sie liebte mich.“, sein Gesichtsausdruck verzerrte sich schmerzvoll. „Ihre Liebe war zu stark, als dass Masaru gegen sie ankommen konnte, deshalb tötete er sie. Er erzählte mir zwar nicht, wie er das geschafft hatte, aber er sagte mir, was danach geschah. Katára wurde wiederbelebt und ihre Seele wurde ihr entzogen.“
„Sie hatte keine Seele mehr?“
„Naja, doch sie hatte ihre Seele noch, aber keinerlei Erinnerungen, sodass sie Masarus Marionette war. Weißt du Masaru war ein Meister der Gedankenkontrolle, er war ein Meister, aber nur bei Lebewesen, die keinen so starken Willen hatten. Da es bei Katára nicht geklappt hatte, tötete er sie und benutzte ihre ‚gereinigte Seele‘ um sie zu steuern.“
„Das bedeutet, er hat bei ihr auf die Reset-Taste gedrückt?“, fragte ich und versuchte zu verstehen, wie skrupellos Jemand sein konnte, seine eigene Tochter zu ermorden, nur um sie kontrollieren zu können.
>Naja, Dad könnte sich das bestimmt gut vorstellen<
Takuto sah mich verständnislos an: „Was ist eine Reset-Taste?“
Ich lachte auf, doch als ich den Ernst der Situation wieder erfasste, hörte ich abrupt auf.
„Also wenn man eine Reset Taste drückt, dann wird etwas zurückgesetzt. Und mit zurücksetzen ist gemeint, dass alle Daten die man gespeichert, also im Kopf die Erinnerungen, gelöscht werden und du –wie in Katáras Fall- dein Leben von Neuem anfangen musst.“ Ich hoffte, er würde verstehen, von was ich redete. Unsicher wartete ich auf eine Reaktion von ihm, bis er schließlich nickte. Wieder starrte er wieder in den Bach hinunter. Ich betrachtete zuweilen sein Gesicht. Ich musste zugeben, dass er wirklich sehr schön war.
>Schön ist zwar kein Wort für Männer, aber ein einfaches ‚attraktiv‘ ist irgendwie nicht gut genug, als Beschreibung für sein Aussehen<
Wie gern hätte ich seine Haare berührt…ob sie wohl sie weich waren, wie sie aussahen? Kopfschüttelnd sah ich weg. Was dachte ich denn da?! Ich litt deutlich am Mangel eines festen Freundes! Gerade als mir Ryo in den Sinn kam, antwortete Takuto auf meine Frage:
„Den letzten Schlag sollte Katára tun…Sie sollte mich töten und sie sah aus, als würde sie das gern tun. Ihr Blick war so…so feindselig, wer weiß was Masaru ihr eingeredet hatte. Ich erkannte sie nicht wieder. Sie war nicht mehr meine Verlobte Katára, die ich liebte. Sie war ein Spielzeug Masarus geworden. Obwohl ich wusste, dass ich sie verloren hatte, gab ich nicht auf und versuchte ihre Erinnerungen aufzufrischen, sie hörte mir aber nicht zu. Sie war damit beschäftigt, mich anzugreifen. Ich war verletzt und konnte sie nicht länger aufhalten…also musste ich weg. Sie selbst verfolgten mich nicht, schickten mir aber Späher hinterher. Sie griffen mich nicht an und ich konnte sie nicht angreifen. Ich ging in das Dorf zurück und wurde von allen herzlich aufgenommen. Die Späher hatten sich verzogen…Die Dorfbewohner fragten nach Katára, doch ich sagte ihnen lediglich, sie sei gestorben. Denn das war sie ja auch…für mich jedenfalls.“
Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also hielt ich den Mund und klopfte ihm mitfühlend auf den Unterarm. „Tja und eines Tages roch ich plötzlich Katáras Essenz. Ich folgte ihrer Spur an genau die Stelle im Wald, an der ich verband wurde. Dort erwartete sie mich und ich konnte meinen Augen nicht trauen. Sie sah so friedlich und glücklich aus, als sie mich anlächelte. Sie sagte, sie könne sich an alles erinnern und wollte mich um Verzeihung bitten. Ich Narr glaubte ihr und während sie mich in eine Umarmung schloss, hielt sie mich fest und sprach den Fluch. Sie verbannte mich ins Nichts. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es dort war, aber ich kann mich an das Gefühl der Leere erinnern. Sie und Masaru hatten mich in den Hinterhalt gelockt, um mich auszuschalten…Nur verstehe ich bis heute nicht, weshalb mich Katára nicht einfach getötet hatte oder sie mich nicht einfach in die Anderwelt befördert hat, dort hätte ich Probleme gehabt, denn in der Zeit in der ich mit Katára zusammen war, wurde meine Seele immer menschlicher und Dämonen hassen Gefühle, die die Menschen haben. Sie hätten es sofort bemerkt und mich getötet.“
Stille trat ein. Takutos Geschichte hatte so schön angefangen...naja gut, sein Vater wurde ermordet, aber dafür lernte er Katára kennen…Ich konnte mir nicht vorstellen wie schön es gewesen sein muss, von einem so wundervollen Wesen, wie Katára geliebt worden zu sein. Wenn ich mir schon vorstellte, wie es sein musste, wenn Takuto und ich zusammen wären!
>Ha! Nein, nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen…das ist Physikalisch unmöglich!<
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„Kann man denn nichts machen? Ist sie für immer verloren?“, fragte ich nach einer Weile.
„Ich denke nicht, dass man sie noch retten könnte…“, antwortete Takuto niedergeschlagen und stand auf, um sich ausgiebig zu strecken. „Komischerweise…fühle ich mich gut.“ Ich lächelte bei seinem Geständnis.
„Du hast es dir aus der Seele geredet, da fühlt man sich natürlich gut.“
„Lucia…“, er drehte sich zu mir und sah mich schüchtern an. Schüchtern?! „Ich danke dir vielmals, dafür dass du mir zugehört hast.“
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich fühlte mich bei seinem Dank sehr gut. Mehr als gut. Ich war froh, ihm zugehört zu haben, denn jetzt konnte ich ihn ein wenig besser verstehen und hoffte, wir könnten uns von nun an besser riechen.
„Kein Problem, hab ich gern gemacht. Gehen wir? Es ist schon spät.“ Ich drehte mich um und wandte mich zum Gehen, als ich von hinten gepackt wurde. Gerade wollte ich aufschreien, doch Takuto legte seine Hand auf meinen Mund. Verständnislos starrte ich ihn an, doch er sah sich um, die Augen zu Schlitzen gekniffen. Er schnüffelte kurz in eine Richtung, als er mich auch schon losließ.
„Dein kleines Äffchen ist wieder da.“, schnaubte er und warf sein Shuriken blitzschnell irgendwo auf einen Baum. Wir hörten ein hohes Geschrei, das eindeutig von einem Affen kam und Etwas kleines, schwarzes plumpste zu Boden. Besorgt ging ich dorthin um zu sehen, ob es noch lebte, doch Takuto hatte sein Shuriken nur an den Baumstamm geworfen, um das Äffchen zu erschrecken. Dieses funkelte Takuto böse an und sprang auf. Es fauchte und kreischte herum, bis es mich bemerkte.
„Takuto…ich glaube es hat es auf mich abgesehen!“, flüsterte ich zittrig, als sich die großen Augen auf mich fixierten und mich interessiert beobachteten.
„Wow, du findest wirklich schnell Freunde.“, meinte Takuto nur und bewegte sich nicht von der Stelle.
„Hilf mir doch!“, zischte ich und ging in Zeitlupe einen Schritt zurück. Ich hörte Takutos leises Lachen hinter mir.
„Prinzesschen du musst lernen, wie man sich verteidigt. Ich dachte du kannst das schon?“
Ich unterdrückte ein Knurren und ging noch einen Schritt zurück. Das Äffchen legte den Kopf schief und trottete auf mich zu. Ich schrie auf und lief zu Takuto, den ich auch gleich als Schutzschild benutzte.
„Takuto, was mach ich denn jetzt?“ Ängstlich hob ich den Kopf und spähte über seine Schulter zu der Stelle an der der Affe gestanden hatte.
„Du Angsthase solltest mich jetzt loslassen und hinter dich schauen.“
Ich ließ ihn los und drehte mich um. Das Äffchen saß dort und beobachtete mich noch immer.
„I-ich glaube, wir sollten einfach gehen, was meinst du?“
„Gut. Wenn er dich aber von hinten angreift, werde ich es nicht aufhalten.“
Das mit dem besser riechen hab ich wohl falsch einkalkuliert, dachte ich genervt und stapfte an ihm vorbei in den schon schwarzen Wald.
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Das kleine Dämonen-Äffchen folgt uns bis zur Barriere bei der Takuto und ich stehen blieben.
„OH NEIN!“, rief ich plötzlich und Takuto fuhr zusammen. Verärgert funkelte er mich an. „Ich hab vergessen Grandma was zu fragen!“
>Genau deswegen war ich doch hergekommen, ich Dummerchen!<
Ich hatte doch vorgehabt Grandma um Rat zu fragen, wegen meinem kleinen Problemchen mit Aimee und Kira, wie hatte ich das bloß vergessen können?! Ich sah zu Takuto und gestand mir gleich darauf ein, dass es nichts bringen würde ihn zu fragen. Er war viel zu plump und für meine besten Freundinnen brauchte man viel Fingerspitzengefühl!
„Was wolltest du denn?“, fragte Takuto und sah beiläufig zum Äffchen, das sich bei meinem Aufschrei in die Baumkronen verkrochen hatte und uns von dort aus beobachtete.
„Ich wollte sie um ihren Rat bitten…aber das mach ich dann morgen.“ Ich seufzte und winkte Takuto zu. Auch dem Äffchen winkte ich zum Abschied. „Tschüsschen kleines gruseliges Äffchen und wehe du verfolgst mich beim nächsten Mal wieder!“
„Oh glaub mir, er wird es tun und nächstes Mal wirst du allein damit klarkommen müssen!“, rief Takuto mir noch hinterher und verschwand sogleich, als ich die andere Seite der Lichtung erreicht hatte und mich noch einmal ganz kurz umdrehte. Augenverdrehend und schmunzelnd ging ich wieder nach Hause wo ich ein leeres Haus vorfand. Also waren Mom und Dad immer noch nicht da. Erschöpft ließ ich mich auf die Couch fallen und starrte an die Decke. Der Tag war mir sehr viel länger vorgekommen als sonst. Erst gestern Nacht war ich verletzt gewesen (Mittlerweile hatte ich überhaupt keine Schmerzen mehr, dank Grandmas Heilbalsam). Heute Morgen in der Schule war ich plötzlich mit Ryo, dem arrogantesten und rebellischsten Typen der Schule zusammen gekommen, weshalb meine besten Freundinnen sauer auf mich waren…Ich fragte mich, wieso Ryo gerade mich ausgesucht hatte. Genauso gut hätte er Aimee oder Kira oder sonst wen nehmen können, also warum gerade mich?! Außerdem sah ich noch nicht mal so gut aus, ich hatte schon weitaus hübschere Mädchen in seiner und in meiner Stufe gesehen, die gern von ihm auserwählt worden wären. Natürlich kannte ihn jeder in unserer Schule und alle waren der gleichen Meinung wie ich –Ryo war unausstehlich und reich, was er ausnutzte. Zwar machte er sich nie über andere Mitschüler lustig oder war ein Partylöwe, aber er ging vielen einfach gehörig auf die Nerven und trotzdem war er beliebt. Er hatte den Respekt vieler Schüler und manche Mädchen himmelten ihn trotzdem im Stillen an.
>Vielleicht gerade weil er sie immer ignoriert und so aussieht, als würden ihn die anderen nicht interessieren?<
„Also warum ich?“, murmelte ich stirnrunzelnd und drehte mich in eine bequemere Position. Wegen der erdrückenden Stille schaltete ich den Fernseher an und zappte durch die Kanäle, bis ich einen Musikkanal fand. Dann stand ich auf und stöberte in der Küche nach etwas Essbarem. „Mhm lecker Brownies!“, freute ich mich, als ich die Backmischung fand. Ich machte mich gleich ans Werk, auch wenn es ein wenig spät war (halb 9 Uhr abends), hatte ich nichts gegen einen kleinen gebackenen Snack. Zu Ayumi Hamasakis Party Queen tanzte ich in der Küche herum, bis das Lied zu Ende ging und auch die Brownies zum Verzehr bereit waren. Gerade als ich ein besonders großes, leckeres Stück in den Mund schieben wollte, ging die Haustür auf und ich hörte die Stimmen meiner Eltern.
„Mhm, was riecht hier so gut?“, fragte mein Dad und ich hörte ihn schnüffeln. Lachend stand ich auf und ging in den Flur um sie zu begrüßen. Beide lächelten mich an.
„Hi, wie war euer Tag?“
„Anstrengend! Du hast aber gute Laune?“, antwortete Mom verwundert, als ich ihr grinsend den Mantel abnahm und aufhängte.
„Sag lieber nichts, sonst ändert sie vielleicht noch ihre Meinung.“, witzelte Dad im Hintergrund. Darauf konnte ich nur die Augen verdrehen. Ich Gegensatz zu Takuto kam er mir nicht mehr so nervig vor, als dass ich gleich einschnappte.
„Mom ich hätte da eine Frage…“, fing ich an und zog sie in die Küche. Dad verstand, dass ich wohl mit ihr allein sein wollte, stibitzte sich noch schnell einen Brownie und ging in sein Büro, das den Flur weiter hoch, neben dem Gästezimmer war.
„Was ist denn Schatz?“
Da ich Grandma nicht hatte fragen können, wollte ich meine Mutter nach meinem Problem mit Aimee und Kira fragen.
„Also in der Schule war so ein blödes Gerücht über mich verbreitet worden und Aimee und Kira, haben es zuerst geglaubt-!“
„Was für ein Gerücht?!“, unterbrach mich Mom entsetzt, aber ich winkte ab.
„Nichts schlimmes, glaub mir. Nichts mit Nacktbildern oder so!“ Sie atmete erleichtert auf und nickte dann. „Ich hab Kira und Aimee dann gesagt, dass es nicht stimmt und als sie mir gerade geglaubt haben, hat derjenige um den es ging, vor allen anderen gesagt, dass das Gerücht stimmt, aber das tut es ja nicht! Aber Kira und Aimee waren enttäuscht und wollten mir danach nicht mehr zuhören. Jetzt weiß ich nicht, wie ich das gerade Biegen soll, kannst du mir bitte helfen?“, flehte ich sie an. Sie sah mich nur stirnrunzelnd an, setzte sie an den Küchentisch und nahm sich einen Brownie.
>Hey, bald hab ich keine mehr!<
„Schätzchen, würdest du mir mal bitte verraten, was das für ein Gerücht sein soll?“ Nervös setzte ich mich neben sie und stopfte mir einen Brownie in den Mund und bloß nicht reden zu müssen. Oh Gott, was sollte ich ihr erzählen?! Mom würde durchdrehen, wenn sie von Ryo erführe!
„Alfo Mom, daf if nift fo wie du denkfst!“ Ich bespuckte den ganzen Tisch voll mit Krümeln und Mom schnitt mir das Wort ab, damit ich sie nicht auch noch traf.
„Lucia, ich hoffe du wirst in der Schule nicht gemobbt. Du weißt, so etwas kann jedem passieren und falls das der Fall ist, dann kannst du ruhig zu deinem Vater und mir kommen.“
„Waff?!“
Sie sah mich verdattert an. „Wirst du denn nicht gemobbt, ich dachte das mit diesem Gerücht-?“
Ich schüttelte wild den Kopf und schluckte mit viel Mühe den Brownie runter, damit ich ihr antworten konnte.
„Nein Mom, ich werde weder gemobbt, noch habe ich Probleme in der Schule! Es ist nur…naja…chrm…es geht das Gerücht herum, dass ich mit einem Jungen zusammen sei.“, rückte ich etwas verlegen mit der Sprache raus. Mom machte nur ein stilles Oh, danach war es ruhig. „Ähm Mom? Was…was sagst du dazu?“
„Ich finde du bist viel zu jung für einen Freund, aber wenn es nicht stimmt?“, erwiderte sie sichtlich irritiert. So ein Gespräch hatten wir nie, denn ich hatte nie einen Freund. Manchmal hatten Mom oder Dad Versuche gestartet mich aufzuklären oder nachzufragen, aber ich hatte immer mit etwas anderem abgelenkt, um dieses unangenehme Gespräch zu vermeiden. „Wer ist es denn?“
„Sein Name ist Ryo Kaneko. Eigentlich kann ich ihn nicht ausstehen und wir kennen uns nur vom Sehen, aber er hat auf einmal behauptet, wir wären zusammen. Und als er das auch noch vor allen anderen gesagt hat, konnte ich nichts mehr erwidern und Kira und Aimee glaubten ihm. Sie sind sauer auf mich, weil ich ihnen nichts von ihm gesagt hätte, aber wie sollte ich das tun, wenn ich selbst noch nicht mal davon wusste?!“
Mom nickte und schürzte die Lippen. Ich sah ihr an, dass sie versuchte, es wie eine Außenstehende zu betrachten und nicht als Mutter, denn sonst wer sie vielleicht sauer gewesen und hätte gleich Ryos Eltern angerufen. Oh Gott bei der Vorstellung, drehte sich mir schon der Magen – zur Stärkung nahm ich mir einen Brownie!
„Ich denke du solltest ihn fragen, weshalb er das getan hat und wenn das geklärt ist, erzählst du es Kira und Aimee. Ich denke nicht, dass dir die beiden auf Dauer böse sein werden. Sie werden nach einiger Zeit verstehen, dass eure Freundschaft viel zu kostbar ist, um sie wegen so etwas Banalem auf’s Spiel zu setzen.“
„Danke Mom, das ist glaube ich das coolste was du mir je geraten hast!“, bedankte ich mich und umarmte sie herzlich. Das war ja super gelaufen! „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so leicht mit dir darüber reden könnte?“ Mom lachte und strich mir über das Haar.
„Natürlich kannst du mit mir darüber reden, nur solltest du aufpassen, dass dein Vater nichts davon mitbekommt, mit ihm wird es vielleicht schwieriger.“
Wir lösten uns voneinander und lachten.
„Ich hab dich lieb Mom.“
„Ich dich auch mein Spatz.“
Schwankend ging ich ins Badezimmer und machte mich für die Schule fertig: Ich nahm ein ausgiebiges Bad, föhnte meine Haare um sie anschließend zu glätten, verdeckte einen lästigen Pickel mit ein wenig Make Up und zog mir meine frisch gewaschene Uniform an. An diesem Morgen schaffte ich es einfach nicht richtig wach zu werden. Ich seufzte hin und wieder und auch ein Gähnen konnte ich oftmals nicht unterdrücken. Wie eigentlich jeden Morgen waren meine Eltern schon viel früher in die Firma gegangen und hatten mir kein Frühstück gemacht. Ich hab so verdammt fürsorgliche Eltern, dachte ich sarkastisch. Als es an der Haustür klingelte, hielt ich beim Cornflakes essen inne und stolperte zur Tür.
„Ja?“, fragte ich gelangweilt, während ich die Tür mit Schwung öffnete. Vor mir stand niemand anderer als Ryo Kaneko, mein „Freund“. „Was machst’n du hier?“ Ihr müsst wissen, ich bin ein Morgenmuffel und war nicht in der Lage so früh am Morgen freundlich zu sein.
>Vielleicht ist ja auch das der Grund, warum Mom und Dad morgens immer früher zur Arbeit fahren<
Ryo schmunzelte nur: „Morgen?“ Ich rollte mit den Augen.
„War das jetzt eine Frage? Ach egal, komm rein.“, brummelte ich vor mich hin und ging zurück in die Küche, in der ich wieder meine Cornflakes Schüssel nahm und sie in Zeitlupe löffelte. Die Cornflakes waren schon total matschig. Uäh.
„Schön hier.“, meinte Ryo und lehnte sich an den Türrahmen. „Siehst nicht sehr fröhlich aus. Liegt es an mir oder bist du auf den falschen Fuß aufgestanden?“
Ich starrte ihn nur böse an, woraufhin er lächelte. Ich wunderte mich wirklich, wie er so schön lächeln konnte. Wie sympathischer er wäre, wenn er dauernd so fröhlich aussehen würde!
„Morgens hab ich schlechte Laune.“
„Ah schon verstanden, meine Mutter ist genauso. Deswegen hab ich mich auch hierher verdünnisiert.“ Er schaffte es, mich zum Lachen zu bringen. Wow. Das hatte vorher noch niemand geschafft. Er kam näher und sah in meine Schüssel, die ich in die Spüle stellte.
„Das sieht nicht sehr appetitlich aus.“, murmelte er und sah mich mit geschürzten Lippen an. „Noch Hunger?“
Misstrauisch sah ich ihn an.
„Was hast du vor?“-------------------------------------------------------------------------------------------------
„Mhm, das schmeckt lecker!“
Ich mampfte weiter, bis ich meine Reisbällchen alle verputzt hatte. Ryo und ich saßen an einem winzigen Stand und hatten gerade ‚gefrühstückt‘. Ryo hatte mich eingeladen und da wir noch ein wenig Zeit bis zum Schulbeginn hatten, hatte mich Ryo zum besten Reisbällchen-Macher der Stadt gefahren (Natürlich mit seinem krassen Gefährt auf dem ich endlich wacher geworden war).
„Freut mich, dass es dir gefällt. Hierher hat mich meine Mom immer hingebracht, wenn sie arbeiten musste, ich war noch zu klein, um allein Zuhause zu bleiben und der Mann dort –Dou- hat mich betreut und hat mir jeden Tag ein Reisbällchen gegeben. Er ist so was wie mein Opa.“ Wir verabschiedeten uns von Dou, der ein kleiner Mann mit großem Bauchumfang war, zwar nicht mehr viele Zähne, aber sehr viel Güte und Freundlichkeit besaß. Ich mochte ihn sehr.
„Ryo ich bin beeindruckt, du hast ja doch eine nette Seite.“, scherzte ich und Ryo zerstrubbelte mir dafür die Haare. „Hey!“ Gerade wollte ich mich auf ihn stürzen, als jemand Ryos Namen rief. Wir beide sahen uns um und entdeckten auf der anderen Straßenseite Jungs und Mädchen aus Ryos Stufe. Sie sahen mich neugierig an und winkten Ryo zu sich. Dieser sah mich nur kurz an, dann wechselte er die Straßenseite und ging zu ihnen. Ich blieb bei seinem Motorrad stehen und beobachtete das Geschehene nervös. Was sie wohl von mir dachten? Ob Ryo es ihnen verheimlichte, dass er mit mir ‚zusammen‘ war? Nein, er hatte es vor meiner ganzen Stufe bekannt gemacht, also mussten seine Mitschüler es mittlerweile auch wissen. Während Ryo mit ihnen redete, starrten mich ein paar von ihnen an und tuschelten miteinander. Einmal grinste mich der Typ an, mit dem Ryo sprach, daraufhin stach Ryo ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust und sagte etwas zu ihm. Seine Miene war ernst, das Gesicht des anderen Jungen verzerrte sich zu einer hämischen Grimasse. Dann sagte er etwas zu Ryo und ging. Die anderen folgten ihm, nicht ohne mich und Ryo abwechselnd anzustarren.
„Komm steig auf.“, knurrte Ryo, als er zu mir kam und stieg selbst erst mal auf das Motorrad, bevor ich mich setzte. Ich traute mich nicht, zu fragen, was sie beredet hatten und hielt die Klappe. Die ganze Fahrt bis zur Schule und auch in der Schule redeten Ryo und ich kein Wort miteinander und sahen uns nicht mal an. Nun saß ich in der Klasse und starrte auf meine Englischhausaufgaben, die ich soeben in der Pause gemacht hatte. Während ich seufzend meine Sachen packte, hörte ich die gedämpften Stimmen meiner Mitschüler um mich herum.
„Ich wette, die haben sich wieder getrennt!“
„Nee, ich glaub eher, dass sie noch zusammen sind, aber man sieht doch, dass die Stress haben!“
„Ja stimmt, sonst würden sie in den Pausen doch was zusammen machen oder?“
„Wieso sitzt Lucia eigentlich allein, sie wird doch sonst immer von ihren Freunden umringt?“
„Jetzt wo sie vergeben ist, haben die Jungs den Mut verloren und ich hab gehört, dass Aimee und Kira sie sozusagen ‚verstoßen‘ hätten.“
Ich konnte das Getuschel nicht länger ertragen und stand auf. Es wurde still und ich wurde noch wütender, also stieg ich auf meinen Tisch und sah alle der Reihe nach an. Meine Klasse starrte zurück und auch einige andere aus den anderen Klassen saßen in der Pause mit uns zusammen.
„Könnt ihr mal eure Klappe halten?! Meine Privatsphäre geht euch einen Scheißdreck an ok? Ja ok. Ich bin mit Ryo zusammen. Nein wir turteln nicht in der Schule herum, wie ihr es gern sehen würdet. Und ja. Wegen euch Idioten, hab ich meine beiden besten Freundinnen verloren! Ihr seid doch alle Hirnlose Klatschmäuler!“, brauste ich auf, stieg vom Tisch runter und verließ das totenstille Klassenzimmer. Ich hatte nicht gesehen, dass Kira und Aimee auch dort gewesen waren und gehört hatten, was ich gesagt hatte. Und so hatte ich auch nicht ihre bestürzten Gesichter gesehen, als sie wiederum meine feuchten Augen und meine zusammengepressten Lippen bemerkt hatten. Auf keinen Fall wollte ich im Flur weinen, wo mich alle anstarrten, also ging ich schnellen Schrittes zu den Mädchenklos und vergewisserte mich mit verschwommenem Blick, ob auch niemand hier war. Dann setzte ich mich auf einen Klodeckel und heulte mir die Seele raus. Seit heute Morgen hatte ich mir dieses blöde Getratsche von den anderen Schülern anhören müssen und ich hatte keine Freunde, denen ich mich anvertrauen konnte. Aimee und Kira hatten mich diesen Morgen wieder ignoriert und ich war sowieso schon wütend auf Ryo gewesen, weil er nach der Begegnung mit seinen Leuten so abweisend behandelt hatte! Da war es doch klar, dass mir der Kragen platzte! Ich ging schnell aus der Kabine und wusch mir die Tränen und die Rotze weg. Dann sah ich in den Spiegel und eine neue Heulattacke übermannte mich. So konnte ich unmöglich wieder in den Unterricht gehen! Also überlegte ich nicht lange, nahm meinen Rucksack und verließ das Schulgebäude. Ich brauchte jemanden zum Reden. Und diese Person befand sich in einer anderen Welt!
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„Ach Grandma, ich weiß nicht, was ich machen soll!“, heulte ich und fiel ihr wieder in die Arme. Ich hatte ihr alles erzählt. Von vorne bis hinten und sie hatte mir geduldig zugehört und mir Taschentücher gereicht, die sie aus dem Supermarkt gekauft hatte. Sanft streichelte sie mir über den Kopf.
„Lucia, du brauchst doch nicht zu weinen…Es wird alles wieder gut.“
„N-nein Grand-m-ma! Es w-wird eben n-nicht alles w-wieder g-guhut!“
„Wenn du jetzt nicht aufhörst so negativ zu denken, dann kannst du gleich nach Hause gehen und deinen Spiegel vollheulen!“, ermahnte sie mich, woraufhin ich aufhörte jämmerlich zu schluchzen. „Mein Kind, du musst Geduld haben. Wie deine Mutter schon sagte, deine Freundinnen werden dir verzeihen und du wirst ihnen alles erklären können. Den anderen musst du keine Beachtung schenken, die sind doch nur neidisch auf dich und sie verdienen keine deiner Tränen.“
Ich nickte und fühlte mich etwas aufgemuntert. Wie gut es getan hatte Grandma alles zu erzählen! Bei ihr hatte ich keine Angst, dass sie wegen dieser ‚Freund‘-Sache ausflippte wie bei Mom und konnte ihr ohne Umschweife alles erzählen und erklären, was ich dabei fühlte. Grandma schob mich ein Stückchen weg und strich mir die Haare aus dem Gesicht.
„Deine Augen sind so wunderschön. Dieses Bernstein funkelt so schön, wenn du weinst…natürlich ist es nicht schön dich weinen zu sehen, aber trotzdem.“, murmelte sie und lächelte mir an. Ich lächelte zurück putzte mir die Nase.
„Mom meinte einmal zu mir, dass meine Augenfarbe sich je nach Stimmung ändert. Wenn ich wütend bin, dann wird es etwas dunkler und wenn ich glücklich bin ist es besonders hell und strahlt. Also ich merke es zwar nicht, aber auch Dad und Aimee und Kira behaupten das.“, plauderte ich. Grandma nickte und schürzte die Lippe.
„Wann hast du vor, deine Eltern einzuweihen?“
„In ein paar Tagen vielleicht Grandma. Ich sag dir rechtzeitig Bescheid…“, seufzte ich und sah zur Tür an der es leise klopfte. Ein Mann stand an der Tür und sah bestürzt zu meiner Großmutter.
„Miko Pérenell, meine kleine Tochter hat hohes Fieber, hilf uns bitte!“, flehte er sie an. Sie nickte und stand auf.
„Lucia, trag den Korb mit den Heilkräutern für mich.“, befahl sie mir und ich tat es. Der Korb war voll mit verschiedenen Blüten und Kräutern. Ich konnte keines davon voneinander unterscheiden–für mich sah alles aus wie Unkraut. Grandma und ich folgten dem Mann, der uns den Weg zeigte. Wir gingen durch das kleine Dorf, das mir schon sehr vertraut vorkam. Menschen begrüßten mich erfreut und fragten, wann ich das nächste Mal wiederkäme. Ich grüßte zurück, konnte aber keine Antwort geben, denn der Mann hetzte uns. Kleine Kinder folgten mir und fragten mich aus, nach der unbekannten, großen Menschenwelt von der sie nur Geschichten gehört hatten.
„Tut mir Leid, Kinder, aber ich habe es eilig, wie wäre es, wenn wir uns später an dem Kirschbaum treffen oben auf diesem Hügel dort? Dann erzähle ich euch Geschichten aus meiner Welt, ja?“, machte ich mich von ihnen los und beeilte mich, Grandma und dem Mann zu folgen. Der Mann wohnte in einer winzigen Hütte, in die wir uns zwängten. Er hatte keine Frau, nur seine kleine Tochter, die in ihrem Futon lag und sehr schwach aussah.
„Cho! Mein Kind, wie geht es dir? Ich habe dir Pérenell-Hakase und Lucia-Sama* mitgebracht, sie werden sich um dich kümmern.“, sagte der Vater zu seiner Tochter. Es schien, als könne sie ihn überhaupt nicht hören. *(Meine lieben Japanisch-Kenner, ist die Anrede richtig?)
„Gehen Sie bitte zur Seite, damit ich sie behandeln kann.“ Grandma trat vor und fischte ein paar Kräuter aus dem Korb, den ich neben ihr abgestellt hatte. Dann sagte sie ich sollte sie zermahlen und aus ihnen Tee kochen. Ich gehorchte und tat, was sie von mir verlangte. Währenddessen legte Grandma immer wieder ein nasses, kühles Tuch auf die Stirn der kleinen Cho und deckte sie fest zu. Ich war fertig und sah meine Großmutter fragend an. Diese sah in den Tee und pustete einmal mit geschlossenen Augen hinein. Komischerweise spürte ich, wie der Dampf aus dem Kochtopf prickelte und zu Cho wehte. Ich sah, wie sie tief Luft holte und die Augen langsam öffnete.
„Vater?“, fragte sie schwach und piepsig. Ihr Vater war sofort bei ihr und stützte sie.
„Ich bin bei dir mein Kind.“
„Sie sollte ihren Tee viermal einnehmen heute und nicht das Bett verlassen. Morgen früh werde ich sie noch einmal besuchen. Wenn es bis dahin Probleme gibt, dann kommen sie bitte schnell zu mir.“, verabschiedete sich Grandma und ich folgte ihr aus der Hütte nachdem der Herr sich vor uns verneigt und seinen herzlichsten Dank ausgesprochen hatte.
„Wow, das lief ja klasse! Wieso hast du hier eigentlich keine neumodischen Geräte, wie zum Beispiel einen Fiebermessgerät oder so? Und was ist mit Tabletten?“, fragte ich Grandma, doch sie schüttelte den Kopf.
„Wie sollen diese Geräte denn bitteschön funktionieren ohne Strom? Und Tabletten? Bist du verrückt, diese Menschen hier sind nicht an so etwas gewöhnt, was ist wenn ihre Körper den chemischen Stoff nicht ertragen? Das wäre ja eine Katastrophe. Nein nein…ich komme schon klar. Hast du übrigens gesehen, was ich mit dem Tee angestellt habe?“
„Ja, du hast reingepustet.“, antwortete ich und blieb stehen. Ich sah zu dem Kirschbaum hoch, wo schon viele Dorfkinder auf mich warteten und mich riefen. Ich winkte ihnen zu und hörte Grandma überhaupt nicht zu. Sie schwafelte etwas von Magie und Mikos und bla bla bla. „Grandma, ich geh dann mal ja? Bis später!“, rief ich und lief zu den Kiddies, ohne auf die Proteste meiner aufgebrachten Großmutter zu achten.---------------------------------------------------------------------------------------------
„Wirklich da gibt es so was?!“
Ich lachte und nickte: „Ja natürlich. Alle kleinen Mädchen auf der Welt wollen so eine Puppe haben. Wir nennen sie Barbie und ich hatte bestimmt 10 davon! Wenn ihr wollt, kann ich sie euch geben?“ Die Mädchen quietschten alle gleichzeitig und stürzten sich auf mich. „Aber im Gegenzug wünsche ich, dass ihr mich am Leben lasst!“
„Und was bekommen wir?“, fragte ein kleiner Junge.
„Naja ich hätte noch ein paar Actionfiguren…hm.“, überlegte ich laut und sie sahen sich fragend an.
„Was ist eine Act-A-tschten Figur?“, fragten sie und brachten mich zum Schmunzeln.
„Das sind kleine Figuren mit denen nur Jungs spielen.“
„OH JA!“
Ich saß an den Kirschbaum gelehnt und alle Kinder aus dem Dorf saßen um mich herum. Ich erzählte ihnen von den Kindergärten und Schulen und auch die Spielplätze interessierten sie sehr. Nach einer Weile wusste ich nicht mehr, was ich ihnen noch erzählen könnte. Da kam auch schon mein Retter in der Not.
„Takuto!“, rief ich erfreut, als er zu uns geschlendert kam. Er sah mich nur böse an und kletterte auf den Baum. Ich wusste, weshalb er so schlechte Laune hatte. Nachdem ich von der Schule abgehauen war, war ich auf die Lichtung gerannt, war durch die Barriere getreten und hatte ganz laut nach Takuto gerufen, der zu meiner Überraschung am Baum über mir geschlafen hatte. Ich hatte zwar keine Ahnung, weshalb er sein Nickerchen gerade an der Grenze der Barriere machen musste, doch als ich ihn weckte, fiel er schon zu Boden und landete direkt zu meinen Füßen. Mit dem Gesicht auf dem Boden. Danach war er sehr stinkig gewesen, doch als er sah, dass ich weinte, hielt er die Klappe und trug mich auf dem Rücken zu Grandma.
>Schon auf dem Motorrad war ich hin und weg gewesen, doch auf Takutos Rücken zu reisen, das war ja mal der Hammer!<
Nun, da es mir wieder besser ging, konnte er wieder unfreundlich zu mir sein.
„Das zahl ich dir noch heim.“, hörte ich ihn murmeln, als er auf dem Ast über uns saß und sich am Baumstamm anlehnte. Genüsslich streckte er seine Arme aus und faltete sie am Hinterkopf.
„Takuto! Willst du nicht auch die Geschichten von Lucia-Neechan hören?!“, rief ein kleines Mädchen zu ihm hoch, doch er ignorierte sie. Die anderen Kinder riefen ihm ebenfalls zu, er solle doch runterkommen und zuhören, doch er ignorierte sie weiterhin.
„Kinder, lasst ihn einfach, er ist zu beschäftigt, um meine Geschichten zu hören.“, seufzte ich und verdrehte die Augen.
„Nein, ich bin nicht beschäftigt, im Gegenteil mir ist total langweilig, aber wenn ich runterkommen und dir zuhören würde, dann würde ich wahrscheinlich an noch mehr Langweile austrocknen.“, erwiderte Takuto spitz. Ich versuchte ihn anzufunkeln, doch von hier unten konnte ich sein Gesicht nicht sehen.
„Du kommst jetzt sofort runter, damit ich dich ansehen kann, wenn ich dir einen Tritt verpasse!“, zischte ich, doch er lachte nur.
„Ich befolge keinen Befehlen von dir, auch wenn du das Prinzesschen bist.“
„Ach so ist das? Und was ist, wenn ich Grandma hole und sie dich runterpfeift? Da hast du nichts mehr zu sagen und kommst angedackelt!“
„Ha. Ha. Nur weil ich Respekt vor deiner Großmutter habe, heißt das noch lange nicht, dass sie mich herumkommandieren kann. Ich befolge meine eigenen Regeln.“ Er richtete sich auf und zeigte dabei mit dem Daumen auf sich. Ich kreuzte die Arme vor der Brust und streckte ihm die Zunge raus. Wir beide sahen auf, als die Kinder um uns herum anfingen laut zu lachen. Sie grinsten verschmitzt und zeigten auf uns.
„Seit ihr ein Liebepaar?“, fragten sie und lachten wieder, als Takuto und ich fast gleichzeitig rot anliefen.
„NEIN!“, riefen wir beide empört, was die Kleinen noch mehr zum Lachen brachte. Takuto und ich sahen uns an, um dann schnell den Blick abzuwenden.
„Haltet eure Klappe oder ich hau euch allen eins auf die Rübe!“, drohte Takuto und die Kinder liefen schreiend (dabei lachten sie natürlich) davon. Ich sah ihnen noch nach, als Takuto plötzlich neben mir auftauchte. Er hatte seine Hände in die Taschen gesteckt und sah ihnen ebenfalls hinterher. „Blöde Zwerge.“, brummte er und bekam meinen Ellbogen in die Seite.
„Sie sind noch klein und kapieren nichts davon.“, verteidigte ich sie halbherzig und lachte, als Takuto mir eine Grimasse schnitt.
„Sie sind zwar klein, aber sie sind nicht ohne. Hey stimmt! Du bist auch klein, da steckt aber nicht viel dahinter, ok vergiss es.“ Ich hieb ihm auf die Schulter und noch bevor ich ihn aufhalten konnte, hatte er meinen Arm gepackt, mich näher zu sich gezogen, sich kurz gebückt und mich auf seine Schulter geworfen.
„TAKUTO LASS MICH LOS!“, schrie ich aufgebracht, doch er lachte herzhaft und schleppte mich so hinunter ins Dorf, wo uns alle belustigt nachsahen. So langsam gewöhnten sie sich an Takuto und mich, wie wir uns immer stritten. Ich wurde rot, als ich merkte, dass man mein Höschen schon fast sehen konnte, also zog ich meinen Rock weiter runter und musste aufhören Takuto auf den Rücken zu trommeln. „Hör auf damit, ich will runter du Blödmann! Lass los!“
„Oh nein Prinzesschen, das hast du jetzt davon, wenn du mich schlägst. Außerdem muss ich mir noch kurz überlegen, wie ich dir das von heute Morgen noch heimzahle.“, antwortete er leichthin. „Ah und schon hätte ich da eine Idee!“
Ich stieß einen Schrei aus, als er in seiner Dämonengeschwindigkeit losrannte. Wo brachte er mich hin?! Ging es ihm noch ganz gut??? Als er langsamer wurde, nahm er mich von seiner Schulter und stellte mich vor sich auf. Noch immer hielt er die Hände an meinen Hüften. Mir war ganz schwindlig und meine Beine fühlten sich an wie Gummi. Als ich schon dachte, es wäre endlich zu Ende, hob mich Takuto mit einem gemeinen Lachen auf seine Arme und lief irgendwohin. Ich hatte die Augen und den Mund geschlossen und war nicht in der Lage zu protestieren. Das nächste Mal als ich die Augen aufschlug, war, als ich in vergnügte violette Augen starrte.
„So Prinzesschen. Viel Spaß hier oben, ich bin dann mal kurz was Essen. Vielleicht besuche ich dich heute Abend noch mal?“, verabschiedete er sich, stand auf und sprang…
„TAKUTOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO!“, schrie ich, als ich mich auf einem Ast wiederfand, der in einer beträchtlichen Höhe hing. Wir waren -nein ich- war im Wald und Takuto hatte mich auf den höchsten Ast des wahrscheinlich höchsten Baumes abgesetzt. Ich sah das Dorf von hier oben und musste mich unwillkürlich festklammern, da alles zu schwanken schien. Der Ast knirschte unheilvoll und Krähen flogen über meinem Kopf hinweg. Als ich meinen Blick langsam durch die Gegend schweifen ließ und nähere Bäume erblickte, sah ich dicke fette Spinnen, die riesige Netze gespannt hatte und auch gab es hier viele Raupen, Vogelnester und Insekten. Ein Schauer ging mir über den Rücken, als ich die ganzen ekligen Tiere sah. Ich hörte nichts mehr von Takuto und bekam Panik. Ich wäre runtergeklettert, wäre der nächstgelegene Ast nicht zwei Meter weiter unten. Und ich war keine zwei Meter. Mit meinen 1,72m hätte ich mich natürlich strecken können, doch ich hatte Angst, meine Schuhe könnten abrutschen und ich…naja…Ich würde dann eben in den Tod stürzen. „TAKUTO! GRANDMA! HILFEEEE!“ Niemand hörte mich. „Oh Gott, was soll ich bloß tun?!“, flüsterte ich und versuchte den Kloß im Hals runterzuschlucken. Dann hörte ich etwas Rascheln. Nicht weit von mir entfernt. Mit zitternden Lippen starrte ich auf die zitternden Blätter zu meiner Rechten. Aus den Baumkronen des kleineren Baumes (das wie gesagt rechts von mir stand) starrten mich große, grüne Augen an. Genervt stöhnte ich auf. „Nicht du schon wieder!“ Der kleine Affe machte einen erstickten Laut und hüpfte die paar Äste zu mir rüber und setzte sich genau vor mich. So langsam verlor ich meine Furcht vor dem kleinen Racker…
„Du wirst mir nichts tun, sonst hättest du’s ja schon lange getan, nicht wahr?“, fragte ich und seufzte tief. Das Äffchen blinzelte und kam einen Schritt näher. Und noch einen. Und noch einen. Jetzt saß er direkt vor mir, sein Schwanz kitzelte meine Beine, die ich ein wenig angewinkelt hatte. So aus der Nähe betrachtet, sah sein Fell so wunderschön weich und fluffig aus…Ich streckte meine Hand zögerlich aus und schon sprang das Äffchen auf meinen Schoß. „Huch!“ Ich ließ mich nicht beirren und streichelte dem Kleinen den Kopf. Es schien ihm zu gefallen, denn er schloss die Augen und…naja…er schnurrte. Ich hatte zwar nie gewusst, dass Affen schnurren können, doch hier war sowieso alles anders, dachte ich augenverdrehend. „Du bist ja total harmlos. Ich frag mich, weshalb du mich immer wieder beschattet hast?“ Natürlich wusste ich, dass es mich nicht verstand, doch es half Selbstgespräche zu führen, wenn man Angst hatte (Schließlich saß ich auf einem riesigen, meterhohen Baum mit einem Dämon-Äffchen auf dem Schoß). „Hey…meinst du, du könntest Takuto suchen und ihm das Ohr abknabbern?“, fragte ich zum Scherz und plötzlich war das Äffchen auf den Beinen und sprang vom Ast. „HEY WO GEHST DU HIN?“, rief ich ihm hinterher, da ich Angst hatte alleine zu bleiben. Nach wenigen Sprüngen war er auch schon verschwunden. Was wohl los war? Hatte er vielleicht etwas gehört, was ihm Angst machte oder wollte er vielleicht nichts mit einer Selbstgespräche-führenden Psychopathin zu tun haben? Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen.
>Was soll ich jetzt bitteschön machen?! Ich hab ja nich nicht mal meine Hausaufgaben hier oben<
Vielleicht 5 Minuten später, hörte ich ein aufgebrachtes Knurren aus der Nähe. Zuerst bekam ich fast einen Herzinfarkt, doch dann hörte ich Takutos fluchen und wusste, dass er es sein musste.
„TAKUTO HOL MICH SOFORT HIER RUNTER!“, rief ich gleich und schon stand er vor mir. Er sah sehr…sehr…sehr sauer aus. Der Grund dafür war vielleicht das kleine schwarze Knäuel auf seiner Schulter, das sich in sein Ohr festgebissen hatte. Lange konnte ich mich bei diesem Anblick nicht halten und prustete los.
„Das ist nicht lustig.“, knurrte Takuto zwischen zusammengebissenen Zähnen und ich sah, wie er sich verwandelte. Schnell stellte ich mein Gegackere ein und ging zu ihm um den Affen wegzunehmen. Als dieser mich sah, sprang er von Takutos Schulter und hüpfte mir in die Arme. „Seid ihr jetzt Freunde oder was?!“ Ich sah zu Takuto, der sich wieder eingekriegt hatte und mich ungläubig ansah. Ich sah zum Äffchen.
„Und? Sind wir jetzt Freunde?“, fragte ich es. Es blinzelte nur. Lächelnd sah ich zu Takuto, der mich fassungslos anstarrte. „Ja. Wir sind Freunde.“
„Gestern hattest du noch eine Heidenangst davor?“
„Ja, aber als du mich hier abgestellt und allein gelassen hattest, kam er und hat mir Gesellschaft geleistet. Außerdem ist er harmlos. Ich hab überreagiert.“
Takuto brummte etwas von ‚Harmlos? Tsah!‘ und kam zu mir rüber. Umständlich stand ich mit dem Äffchen im Arm auf und sah ihn gebieterisch an.
„Du bringst mich jetzt sofort wieder zurück ins Dorf. Aber dalli!“
Er verdrehte die Augen und bückte sich, um mich hochzuheben, als das Äffchen auf ihn sprang und ihn ankreischte. Mit seinen kleinen mini Fäustchen hieb er auf dessen Kopf ein.
„AU du blödes Biest!“ Noch bevor ich etwas tun konnte, hatte Takuto ihn am Nacken gepackt und ihn von sich geworfen, so dass der Kleine meterweit in eine andere Baumkrone flog.
„Bist du völlig von Sinnen?!“, rief ich entsetzt und sah mich nach dem Kleinen um, doch nichts. Takuto hatte ihn weggeschleudert. „Wie konntest du das tun?“ Ich drehte mich zu ihm um und schlug ihm gegen den Oberarm. Er sah aus, als könne er nicht verstehen, weshalb ich so aufgebracht war.
„Hey, ich hab doch gar nichts getan! Er hat mich angegriffen und ich hab mich verteidigt!“, rief er zu seiner Verteidigung. Ich schlug ihm wieder gegen den Arm.
„Er ist 10 Mal kleiner als du, du Idiot!“
„Hör auf, mich dauernd zu schlagen!“
„Nein, hör du auf, dich so bescheuert zu benehmen!“
Takuto schnaubte und hob mich unter meinen Protesten und Schlägen auf seine Arme.
„Halt die Klappe oder du übernachtest heute auf dem Baum.“, murrte er, woraufhin ich keinen mehr Mucks von mir gab.--------------------------------------------------------------------------------------
„Takuto bitte, wir müssen ihn suchen, was ist wenn er verletzt ist?“ Ich konnte es selbst nicht glauben, doch ich flehte Takuto regelrecht an. Ich machte mir sehr große Sorgen um das kleine Dämon-Äffchen und hoffte, es war nicht verletzt. Wie immer um diese Zeit saßen wir in Grandmas Hütte und aßen zu Mittag. Grandma war der gleichen Meinung wie ich und sah Takuto erwartungsvoll an. Dieser saß an seinem Platz neben der Tür im Schneidersitz und ignorierte uns so gut es ging. Also rutschte ich ganz nah an ihn heran und starrte ihn so lange an (und piekte ihn nach einer Weile zusätzlich) bis er mich anhörte. „Glaub mir Freundchen, das kann ich den lieben langen Tag tun.“
„Na gut!“, stöhnte er auf und sah mich grimmig an. Erfreut lächelte ich.
„Na gut wir werden unseren kleinen Freund suchen?“
„Er ist nicht ‚unser‘ Freund, Lucia! Das kleine Biest ist dein Haustier!“ Ich verschränkte die Arme.
„Gut dann: Na gut, wir werden mein kleines Haustier suchen?“ Er verdrehte die Augen und stellte sein Reisschälchen auf den Boden. Dann sah er mich an und zog eine Schnute, was mich zum Lachen brachte. „Stell dich nicht so an klar? Komm, wir müssen los!“
Als wir aufstanden, stellte sich Grandma vor mich. Fragend sah ich zu ihr runter.
„Ich habe einen Auftrag für euch. Und dafür, musst du deine Miko-Tracht anziehen. So kommst du mir nicht außerhalb des Dorfes raus, denn wenn jemand von außerhalb von dir erfährt, kann es Probleme geben. Nicht mal von mir wissen unsere benachbarten Dörfer, dass ich aus der Menschenwelt komme!“, sagte sie, schob Takuto raus und drückte mir die Sachen in die Hand, die ich gehorsam anzog.
„Was für ein Auftrag soll das sein? Du weißt, dass ich von nichts eine Ahnung habe Grandma, ich werde keine Wunden heilen oder sonst was!“
„Oh nein nichts Derartiges. Du und Takuto ihr müsst ins nächstgelegene Dorf und meine Heilkräutermischungen abgeben. Dafür werden sie euch erlauben ein Paar ihrer kostbaren Fiolablumen mitzunehmen. Ich brauche diese für einen wichtigen Trank.“
Ich nickte und fragte wo das Dorf denn sei, doch sie sagte, dass Takuto wisse, wo es läge. Fertig angezogen und mit einem großen Korb voller grüner, nach einem ganzen Teeladen Bestand riechenden Kräuter und Pflanzen, trat ich aus der Hütte und sah mich nach Takuto um. Dieser wurde von vielen Dorfkindern umringt. Vergnügt stellte ich fest, dass es ihm ganz und gar nicht gefiel, so viel Aufmerksamkeit von Kleinwüchsigen zu bekommen. Grinsend ging ich auf sie zu.
„Takuto, ich dachte dir gefällt es, wenn sie sich um dich sammeln und dich anhimmeln?“ Er warf mir einen verärgerten Blick zu.
„Ja, aber nicht von so was!“, antwortete er und fuchtelte mit den Armen herum, in dem Glauben er könne damit die Kinder verscheuchen. Diese sahen zu mir und wurden ganz still um dann aufgeregt miteinander zu tuscheln.
„Was ist denn?“
Ein Mädchen trat aus ihren Reihen und stellte sich schüchtern vor mich. Ich lächelte sie ermutigend auf, woraufhin sie mir ihre kleinen Lückenhaften Zähnchen zeigte.
„Wir finden, dass du die schönste Frau im gaaanzen Universum bist!“, meinte sie und streckte ihre Arme weit aus, um das ‚im gaaanzen‘ zu unterstreichen. Ich lief rot an und bedankte mich nuschelnd bei ihnen, dann schwirrten sie alle ab.
„Sind halt Kinder.“, sagte Takuto, als er mein Gesicht sah. Ich atmete auf und nickte. „Sie haben eben überhaupt keine Ahnung von Schönheit.“, beendete er seinen Satz abfällig und drehte mir seinen Rücken zu. Ich zuckte bei seinen Worten zusammen, als hätte er mir ein Messer in den Bauch gerammt, zum Glück sah er es nicht.
>Wow, das hat gesessen…<
„Tja wahre Schönheit erkennen sogar die kleinsten Kinder.“, murmelte ich gespielt arrogant und ging dabei in einem schnelleren Tempo an ihm vorbei. Ich hört noch, wie er mir ein „Von wegen!“ hinterher rief, dann schaltete ich einfach auf Tonlos und versuchte seine Worte zu verdrängen.
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Also so schlechte Laune hatte ich nicht gehabt, seit mein Vater an meinem 16. Geburtstag mit einem Paar Socken und einem Buch über Wirtschaft ankam, obwohl ich mir seit vielleicht einem Jahr eine neue Anlage für mein Zimmer gewünscht hatte. Takuto hatte mich mit seinen Worten wirklich sehr verletzt, denn ich hatte schon immer ein geringes Selbstbewusstsein gehabt, wen es um mein Aussehen ging. Meist überspielte ich es und das gut, doch wenn ich andere Mädchen sah, Mädchen die hübsch waren, zweifelte ich automatisch an mir. Das war eine meiner größten Schwäche und Takuto hatte es mir ja unbedingt unter die Nase reiben müssen! Deswegen war ich wirklich sauer auf ihn und ging nicht auf seine Sticheleien ein, was ihn wiederum verärgerte. Nach einer Weile in der wir im Wald umherwanderten hörte er auf zu reden und dachte wohl nach, was er mir als nächstes an den Kopf werfen konnte.
„Kleines Äffchen!“, rief ich und sah mich um. Wir suchten den kleinen Dämon noch immer, fanden jedoch kein Lebenszeichen von ihm, was mir schreckliche Sorgen bereitete. Der Kleine war mir wirklich in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen, denn mit seiner Takuto-das-Ohr-abknabbern-Aktion hatte er sich um Ecken sympathischer gemacht.
„Ich glaube nicht, dass wir ihn finden werden. Lucia komm, lass uns einfach unsere Aufgabe erledigen. Er wird schon auftauchen, glaub mir.“, rief Takuto aus einiger Entfernung zu mir rüber. Ich seufzte, antwortete nicht, machte mich aber auf den Weg zu ihm. Ich sah ihn nicht an und ließ meinen Blick um ihn herum schweifen. Ich tat so, als suche ich das Äffchen, was ich eigentlich auch wirklich tat, aber der Grund eignete sich super als Vorwand Takuto nicht ansehen zu müssen. Dieser seufzte hörbar auf und ging mir voraus durch das Dickicht. Ich kannte mich hier überhaupt nicht aus. Auf unserem Weg war noch nicht einmal ein Pfad, doch Takuto schien wirklich zu wissen, wo es langging.
„Könntest du mir mal erklären, weshalb du nicht mit mir redest?“, fragte dieser nach einer Weile. Er klang frustriert. Ich unterdrückte ein wohlwollendes Lächeln und achtete darauf hinter ihm zu bleiben und nicht neben ihm zu gehen, er sollte mein Gesicht nicht sehen.
>Wer weiß, was er als nächstes sagt und wie ich darauf reagiere?<
„Lucia?“
„Hm.“
„Hm?“
„Ich werde nicht mit dir reden, also hör auf mit deinen kläglichen Versuchen.“, murmelte ich abfällig, genau in dem Tonfall in dem er manchmal sprach. Er schnaubte und warf mir einen kurzen Blick über seine Schulter zu.
„Jetzt redest du doch.“, bemerkte er und grinste, als ich vor Wut rot anlief. Er verlangsamte und ging nun neben mir her. Mist, genau das wollte ich doch nicht, dachte ich missmutig und ließ es einfach. So schlau, dass er meine Gesichtsregungen deuten konnte, war Takuto nicht und dazu kannte er mich nicht gut genug. Immer wieder wandte er seinen Kopf zu mir, doch ich ignorierte ihn beflissentlich. „Lucia komm schon, rede doch mit mir! Länger halt ich’s nicht mehr aus!“, flehte er plötzlich. Ich konnte nicht anders als ihn überrascht anzusehen. Seine Augen hatten einen verzweifelten Ausdruck, der mich stutzig machte. Trotzdem ließ ich mich nicht beirren und starrte wieder stur geradeaus. „Gut, wenn es mit Worten nicht funktioniert…“ Er stellte sich vor mich und hielt mich an den Armen fest. Erschrocken sah ich zu ihm auf.
„Lass mich los.“, zischte ich, als ich mich weder gefasst hatte. Er kniff die Augen zu Schlitzen und schürzte die Lippen. So sah er mich an, bis ich mich unruhig unter seinem Griff wandt. „Takuto, was ist?!“
„Das sollte ich dich fragen. Was ist mit dir los?“
Ich stieß kontrolliert die Luft aus der Nase aus und versuchte meine Wut zu unterdrücken, sonst hätte ich ihm wahrscheinlich eine verpasst.
„Nichts.“
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. Er sah nicht so aus, als würde er es bei einem ‚Nichts‘ belassen.
„Komm schon, rück damit raus.“
„Nein, niemals!“
Er stöhnte auf und beugte sich näher zu mir ran um mir eindringlich in die Augen zu sehen.
„Aber mit so einer Stimmung, können wir doch nicht weiterreisen! Sag einfach, was dein Problem ist?“, redete er auf mich ein und ich musste blinzeln, damit ich mir keine Tränen aus den Augenwinkeln entwischten. Er bemerkte, dass ich kurz davor war zu weinen und rückte ein Stück weg. Verblüfft sah er mich an, dann wurde sein Blick fast schon gequält. „Oh nein bitte nicht, sag nicht du weinst jetzt? Ich kann es wirklich nicht mit ansehen, wenn Mädchen weinen und bei dir ist es doppelt so schlimm, weil ich es immer bin, der dich tröstet!“
Ich versuchte ihn vorwurfsvoll anzufunkeln, doch ich sah ihn nur verschwommen, denn die Tränen waren wirklich sehr schwer zurückzuhalten und es bildete sich ein Tränenvorhang vor meinen Augen.
„Und wieso tröstest du mich, wenn du es hasst?“, meine Stimme klang erstaunlich fest, aber ich wusste, dass ich gleich in Tränen ausbrechen und nur noch vor mich hinstammeln würde. Takuto schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Wann habe ich gesagt, dass ich es hasse?“
„Na gerade eben…“, murmelte ich und senkte den Blick. Das führte dazu, dass die Tränen überschwappten und an meinen Wangen hinunterrannen. Ich hörte wie Takuto anfing zu lachen. Das machte mich stinksauer, doch ich konnte ihm nichts entgegen bringen, da ich meine Stimme einfach nicht fand.
„Warum weinst du denn jetzt? Dieses Mal hast du mich schließlich nicht fast getötet?“
In anderen Fällen hätte ich wahrscheinlich darüber gelächelt, doch in diesem Moment plagten mich nur meine Zweifel und mein geringes Selbstwertgefühl.
>Ich bin nicht hübsch! Aber wieso haben die Dorfkinder so etwas gesagt? Nein, das haben sie bestimmt nur gesagt, weil sie mich veräppeln wollten, ganz sicher. Takuto sagt doch auch, ich wäre hässlich? Wie konnte ich mit meiner Hässlichkeit weiterleben? Wer wollte schon eine hässliche Freundin haben? Hab ich wegen meiner Hässlichkeit nie eine Beziehung gehabt?<
„Ich bin nicht schön.“, flüsterte ich niedergeschlagen und dachte Takuto könnte es nicht hören, doch Halbdämonen hatten nicht nur ein ausgeprägtes Riechorgan, auch hörten sie sehr gut. Es blieb still zwischen uns und nur meine einzelnen Schluchzer waren zu hören.
„Du bist doch verrückt.“, meinte Takuto dann und zog mich an sich, um mir dann beruhigend über den Kopf zu streicheln. Ohne lange zu zögern schlang ich meine Arme um seine Mitte und presste mein Gesicht an seine Brust. Sein natürlicher Waldgeruch beruhigte mich, doch noch immer liefen die Tränen unaufhörlich.
„Wieso?!“, nuschelte ich und drehte mein Gesicht zu Seite. Ich starrte unglücklich in den Wald hinein. Takuto strich mir noch immer über die Haare und fing auch an gedankenverloren meinen Rücken zu streicheln. Auf mich wirkte das alles sehr beruhigend und dieses Mal lenkte ich nicht mit einem Streit ab.
„Du bist verrückt, weil du an so etwas Unsinniges glaubst. Wie kommst du auf die Idee nicht schön zu sein?“
„Das hast du gesagt du Idiot!“, protestierte ich schwach, doch er ging nicht darauf ein.
„Nur weil ich es gesagt habe, heißt es noch lange nicht, dass ich es auch so meine. Du hast doch die Dorfkinder gehört. Weißt du, bevor du kamst, sammelten sie sich alle um mich und fragten mich wer die schönste Frau auf Erden sei. Als erstes kam mir natürlich Katára in den Sinn, aber danach…naja, weil ich Katára nicht erwähnen wollte, kamst du mir als nächstes in den Sinn…“ Von seinem Geständnis völlig aus der Bahn geworfen, stand ich da wie erstarrt. Er findet mich schön, schoss es mir durch den Kopf und mein Magen begann zu kribbeln. Wieso sagte er dann immer solche dummen Sachen? „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe Lucia. Ich denke oft nicht nach, bevor ich rede und ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen weißt du? Ich verstehe nur nicht, weshalb du dich wegen meinem Kommentar so fertig machst?“
Ich atmete schnell und räusperte mich um ihm zu antworten.
„Es ist nicht nur wegen deinem Kommentar gewesen…ich hatte schon seit längerem diese Probleme und dein klitzekleiner Kommentar hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es ist nicht deine Schuld, dass ich anfange zu heulen, wegen so einem blöden Gedanken.“
Ich spürte, wie er mich enger an sich zog.
„Es tut mir leid.“
„Macht doch nichts. Es tut mir leid, dass ich immer alles an dir auslasse.“
Komischerweise hatte ich nicht das Bedürfnis ihn loszulassen, doch er räusperte sich dezent und gab mich frei. Fast hätte ich mich an ihm festgekrallt und mich wieder an ihn gekuschelt, doch das wäre ziemlich komisch rübergekommen, also ließ ich ebenfalls los und sah mit roten Wangen zu Boden.
„Aber mal ehrlich. Wieso denkst du, du wärst nicht schön?“, fragte Takuto und ich sah ihn mit hochgezogenen Augen an.
„Ich weiß nicht, ich sehe hübschere Mädchen als mich und schon vergleiche ich mich mit ihnen. Ich bin einfach nicht zufrieden mit mir selbst und…naja…ich weiß nicht genau warum, aber es geht mir an die Nieren, wenn mich jemand auf mein Aussehen anspricht. Egal ob es ein Kompliment oder eine dämliche Bemerkung ist. Irgendetwas fehlt, aber ich komme seit all den Jahren nicht drauf, was es ist.“, antwortete ich nachdenklich und ließ die Schultern hängen. „Ich bin bescheuert ich weiß.“
Takuto lachte leise auf und strubbelte mir durch die Haare, wobei ich ihn mit einem Das-passt-jetzt-gar nicht-Blick anfunkelte. Er grinste, stellte sich neben mich und legte mir einen Arm um die Schultern.
„Oh ja, das bist du.“
Es fühlte sich komisch an so nah bei ihm zu sein und mit ihm zu reden als wären wir gute Freunde.
„Danke Takuto.“, murmelte ich, als wir weitergingen. Er lächelte mich an und ließ seinen Arm auf meiner Schulter.
„Dafür hab ich was Gut bei dir, vergiss das nicht.“, sagte er und ich wusste, dass er das ernst meinte. Ich seufzte. Na toll, jetzt überlegt er sich bestimmt, was ich für ihn tun könnte, dachte ich. „Es ist noch weit bis zum Dorf, wirst du heute wieder in deine Welt zurückkehren?“
„Ja, ich bin schließlich aus der Schule abgehauen und ich weiß nicht, ob meine Eltern angerufen werden. Sie werden mich fragen, wo ich denn gewesen, wenn nicht in der Schule.“, seufzte ich. Ich hatte überhaupt keine Lust meinen Eltern unter die Augen zu treten, wenn sie wirklich einen Anruf aus der Schule bekamen.
„Wieso bist du aus der Schule abgehauen?“, fragte Takuto und runzelte die Stirn. Er nahm seinen Arm von meinen Schultern und kletterte einen Baum hoch, um sich umzusehen. Fragend sah er mich von oben an. „Ich höre?“
Ein schwaches Lächeln umspielte meine Lippen.
„Meine Mitschüler haben mich genervt, da hab ich sie zusammengefaltet und bin weggegangen.“
„Und wieso haben sie dich genervt?“
Ich stöhnte auf: „Man musst du denn so neugierig sein?“ Er sprang wieder herunter und landete direkt vor mir. Er hob die Augenbrauen hoch.
„Ich hab was Gut bei dir, also löse ich es jetzt ein und verlange, dass du mir davon erzählst!“
„Na schön!“, rief ich aus und stapfte an ihm vorbei. Er ging neben mir her grinsend neben mir her. „Da gab es ein Gerücht über mich in der Schule und alle denken es wäre wahr, was es aber nicht der Fall ist.“
„Was denn für ein Gerücht?“
Ich verdrehte die Augen: „Ein Gerücht hatte sich verbreitet, dass ich mit Ryo Kaneko zusammen wäre.“
„Was heißt das?“, fragte er verwirrt und ich musste kichern.
„Also alle dachte, dass…hm…dass Ryo und ich verliebt wären.“, so ausgedrückt hörte es sich ziemlich bescheuert an, doch Takuto verstand und sah mich schmunzelnd an.
„Aber das stimmt nicht? Und wer hat das Gerücht verbreitet?“
„Naja…also jemand hat gehört, wie Ryo es seiner Schwester gesagt habe und das hat sich dann schnell verbreitet. Ich frag mich nur, weshalb Ryo das behauptet hat. Das Schlimmste war ja, als ich alles aufklären wollte, kam Ryo und sagte vor meinem ganzen Jahrgang, wir wären wirklich ein Paar, weswegen meine beiden besten Freundinnen sauer auf mich sind.“, ich passte überhaupt nicht auf, ob ich schnell oder langsam redete.
„Verrückt.“, murmelte Takuto und schüttelte den Kopf. Ich stieß ihm gegen die Schulter.
„Tja in unserer Welt befassen wir uns mit solchen Problemen, ihr hingegen mit Dämonen und böser Magie.“
„Immer noch besser als so ein Kinderkram.“, brummte er und brachte mich zum Lachen.
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Keine Ahnung, wie sie das schafften, aber meine Beine schleppten sich tapfer weiter den Weg entlang. Wir hatten ohne unangenehme Begegnungen den Wald verlassen und waren nun auf einem Pfad unterwegs. Noch immer standen viele Bäume um uns herum, doch wir hatten das Dickicht verlassen und ich fühlte mich gleich wohler. Meine Angst vor dem Wald würde ich wohl nie richtig abschütteln.
„Ich kann nicht mehr!“, schnaufte ich und blieb stehen. Den Korb hatte ich Takuto gegeben, den konnte ich nun wirklich nicht auch noch tragen! Takuto drehte sich um und sah mich ungläubig an.
„Meinst du das ernst?! Komm schon du faule Socke!“, rief er, denn er war schon einige Meter weiter vorausgegangen. Ich biss die Zähne zusammen und quälte mich weiter. Zum Glück wartete er auf mich. „In dieser Welt musst du in Form sein. Was macht ihr bloß in eurer Welt?“
„Sitzen und Zeit an Wunderkästen verbringen, die dich süchtig machen.“, antwortete ich und erntete einen sehr verwirrten Blick von ihm. Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah mich um. „Wann sind wir eigentlich da und warum ist das Sorf so weit von unserem weg?“
„Wir sind schon fast da. Und jetzt hör auf rumzunörgeln.“ Er ging weiter und ich folgte ihm wiederwillig.
>Irgendwann wirst du mich tragen müssen Freundchen!<
Takuto drehte seinen Kopf nach hinten und er ging weiter an den Straßenrand. Auch mir gab er zu verstehen am Rand zu bleiben. Zuerst verstand ich ihn nicht, doch dann hörte auch ich das Hufgetrappel von Pferden. Schnell ging ich näher zu Takuto und versuchte Ruhe zu bewahren. In dieser Zeit war es üblich, dass man mit Pferden reiste…aber in dieser Zeit gab es auch ziemlich viele Banditen und…und in dieser Welt gab es Dämonen…Mein Atem ging flach.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich Takuto, der langsam weiterging. Ich folgte ihm.
„Wir gehen einfach weiter. Du brauchst keine Angst zu haben. Es sind nur Menschen.“, beruhigte er mich und ich nickte gedankenverloren. Das Getrappel wurde lauter und ich konnte nicht anders, als meinen Kopf nach hinten zu drehen um zu sehen, wer uns entgegen kam. Es waren Männer mit einfacher Bauernkleidung. Manche hatten auch so etwas wie Rüstungen an, doch sie sahen nicht aus wie Soldaten, dennoch waren sie mit Köchern und Speeren bewaffnet. Waren es doch Banditen?! Oh Gott, dachte ich entsetzt und sah wieder nach vorn zu Takuto, der gemächlich seiner Wege ging. Er sah nicht aus, als würden ihn die Männer beunruhigen. Einige ritten an uns vorbei, während einer langsamer neben uns herging. Fragend sah ich zu ihm hoch. Sein Blick begegnete meinem und ich sah, wie seine Augen sich ein wenig weiteten. Er war ein Mann Mitte vierzig vielleicht, hatte ein paar Narben im Gesicht und hatte einen strengen Gesichtsausdruck. Meine Hände zitterten, doch ich versuchte so gut wie möglich ein Pokerface aufzusetzen.
„Ihr seid eine Miko nicht wahr?“, fragte der Mann und einige seiner Leute blieben stehen. Ich ging noch immer weiter, wusste nicht, was Takuto gerade dachte. Sollte ich mit ihm reden? Ich sah ihn wieder an und nickte leicht, dann machte ich eine höfliche Verbeugung, die er erwiderte. Einige seiner Kumpanen taten es ihm gleich. Der Blick des Mannes glitt zu Takuto, auch ich sah zu ihm hin. Dieser war stehen geblieben und sah mich ruhig an. Die Augen des Mannes weiteten sich ein weiteres Mal, dieses Mal jedoch vor Angst und Wut. „Ihr seid ein Dämon! Was habt ihr mit der Miko vor?!“, fragte er barsch und hob drohend sein Speer. Takuto grinste ihn teuflisch an, was ihn noch wütender machte. Gerade wollte er auf ihn losegehen, als ich dazwischen rief: „Halt Stopp! Takuto steht in meiner Schuld, er tut niemandem etwas!“
Alle sahen zu mir. Der Mann sah verwirrt aus.
„Aber er ist doch ein Dämon?“ Ich nickte.
„Das heißt noch lange nicht, dass er böse ist. Außerdem frage ich mich, was sie das interessiert?! Greifen sie jeden an, der hier vorbeikommt?“, fragte ich aufgebracht. Er runzelte die Stirn und sah Takuto abschätzig an.
„Nein, wir kommen aus dem Dorf hier in der Nähe und patrouillieren die Gegend ab. Vor zwei Tagen wurden wir in der Nacht von einem Dämon angefallen, der unsere Tiere gestohlen hat.“
„In genau dieses Dorf wollten wir eigentlich gehen. Ich bringe Kräutermischungen von meiner- von der Miko Pérenell aus dem Nachbardorf.“, erklärte ich und sein Gesicht hellte sich auf.
„Ach ja! Ich wusste nicht, dass sie noch lebt!“, sagte er und mein Gesichtsausdruck wischte sein Lächeln weg. Er räusperte sich: „Ich meine, ich wusste nicht, dass sie eine neue Miko ausbildet. Wir erwarten schon ihre Kräutermischungen, sie sind sehr hilfreich und berühmt in der Gegend.“
Ich sah zu Takuto, der einen arroganten Eindruck machte.
„Komm Lucia, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit für einen Plausch.“, meinte er und ging weiter. Ich verbeugte mich schnell und folgte ihm. „Musstest du unbedingt mi ihnen plaudern?“, brummte er, als ich neben ihm herging. Ich musste lächeln.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufhalten.“, sagte ich sarkastisch. Wir hörten wieder das Hufgetrappel hinter uns. Ich dachte, sie würden einfach an uns vorbeireiten, doch ein Murmeln ging durch ihre Mitte und ein junger Mann blieb neben mir stehen. Schüchtern räusperte er sich und lächelte mich mit roten Wangen an. Ich lächelte zurück, wenn auch nur aus Höflichkeit.
„Dürfte ich fragen, ob ich Euch vielleicht mitnehmen kann? Der Weg ist noch weit.“, fragte er unsicher und ich sah kurz zu Takuto, der seine Augenbrauen missbilligend zusammenzog.
„Das wäre wirklich sehr nett, aber ich denke, dass ich das kleine Stück noch zu Fuß schaffe.“, antwortete ich dem jungen Mann, der blinzelte und noch röter wurde. Takuto schnaubte und ging weiter.
„Aber bitte, würdet ihr mir den Gefallen tun? Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn Ihr am Ende noch geschundene Füße hättet!“, beeilte er sich zu sagen, bevor ich noch weitergehen konnte. Ich seufzte und biss mir auf die Lippe. Es konnte nicht schaden und ich wusste nun, dass es ganz nette Leute waren, weshalb ich schließlich nickte und ihn dankbar anlächelte. Sofort fing er an zu strahlen und rief jemanden her, der mir half hinter ihm aufzusteigen. Ich dankte dem Kerl, der sich wieder auf sein eigenes Pferd setzte. Takuto war stehengeblieben und sah mich verärgert an. Ich streckte ihm die Zunge raus und wir ritten an ihm vorbei. Ich wusste nicht, ob Takuto mir das übelnehmen würde, doch er war schneller als ich und ich war wirklich am Ende meiner Kräfte. So wie ich es vermutet hatte, rannte er schneller als die Pferde galoppieren konnten, doch er bremste sich und hielt mit uns Schritt. Ich vermutete, dass er mich nicht aus den Augen lassen wollte, doch das war schon etwas skurril, wie ich mir eingestehen musste. Takuto tat es ganz sicher nicht für mich, sondern eher für meine Grandma. So ritten wir (und Takuto rannte) Richtung Dorf.
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„Dein Name ist wirklich sehr Besonders Lucia-Sama“, bemerkte Koji. „Genauso wie der Name der Miko Pérenell-San.“ Wir ritten noch immer und ich war froh, dass ich nicht doch zu Fuß gegangen war. So langsam kam ein Fleck in Sicht, der aussah wie ein Dorf. Von hier hinten sah er zwar klein aus, doch ich vermutete, dass es größer war, als unseres. „Wie lange bist du schon in der Ausbildung?“
„Noch nicht lange, erst einige Tage.“, beantwortete ich seine Frage. So redeten wir immer weiter. Mir schien es, als wäre Koji sehr angetan von mir, doch ich war es ganz sicher nicht von ihm. Er hatte kleine Knopfaugen und eine winzige Nase, die in seinem Mondgesicht sehr lustig wirkte. Er war eigentlich ganz nett, aber nur ein Freund. Manchmal sah ich zu Takuto, der nachdenklich nach vorn starrte und fragte mich, was er wohl gerade dachte. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass ich viel lieber von ihm getragen werden wollte und musste gleich darauf den Kopf schütteln. Wie absurd! Er würde mich niemals freiwillig tragen und außerdem konnte ich ihn nicht leiden, wir würden uns nur streiten!
„Ah da sind wir.“, sagte Koji gerade und unterbrach meinen Gedankengang. Ich blickte nach vorn und wie schon vermutet war der Fleck das Dorf gewesen. Es war auch wirklich größer als unser Dorf. Viele Menschen arbeiteten auf den Feldern und Kinder hüpften um ihre arbeitenden Eltern umher. Die Hütten und die Lage der Felder unterschieden sich nicht von unseren. Ein wenig enttäuscht darüber, dass es hier nicht anders als bei uns war, seufzte ich. Ich hatte schon erwartet, dass es hier irgendwie anders wäre. Was ich genau erwartet hatte, wusste ich ehrlich gesagt nicht.
„Lucia, komm schon und hilf mir mit dem Korb!“, rief Takuto mir zu und wartete einige Meter weiter entfernt. Koji sah überrascht zwischen uns her.
„Er nennt dich ja beim Vornamen! Lucia-Sama, seid ihr sehr eng befreundet?“, fragte er und ein bedauernder Ausdruck leuchtete in seinen Augen. Kurz war ich sprachlos. Daran hatte ich gar nicht gedacht! Früher war es natürlich unhöflich, wenn man vor Fremden nur mit dem Vornamen angesprochen wird und das hatte Takuto gerade eben getan. Natürlich hielt er persönlich nicht so viel von diesen Gepflogenheiten, doch eigentlich musste er so etwas doch wissen? Ich sah zu Koji und lächelte ihn nur entschuldigend an, bevor ich mich vom Pferd runterrutschen ließ. Ich verbeugte mich dankbar vor Koji und ging schnellen Schrittes auf den schon ungeduldigen Takuto zu.
„Das war gerade echt peinlich!“, zischte ich und entriss ihm den Korb. Er zog die Augenbrauen zusammen. Er tat so, als wüsste er nicht worüber ich redete, doch er hatte gehört was Koji gesagt hatte. Das wusste ich natürlich nicht.
„Was denn? Hast du’s nicht geschafft Damenhaft vom Pferd zu steigen? Mal ehrlich Lucia du brauchst dich nicht zu ärgern, das wirst du sowieso nie hinkriegen.“
„Nein du Blödmann, du hast mich nur beim Vornamen genannt! Hättest du nicht wenigstens ein –San oder so dransetzen können?! Jetzt denken alle sonst was von uns, wir machen einen ziemlich schlechten Eindruck und ich bin hier die neue Lern-Miko ich muss einen guten Eindruck machen!“, ich redete so schnell, dass ich mich manchmal verhaspelte. Takuto grinste schelmisch.
„Ah hat sich unsere kleine Lucia doch entschlossen ihre Ausbildung zur Miko zu machen?“
Ich schnaubte und stolzierte an ihm vorbei. Manche der Dörfler sahen uns beide misstrauisch und neugierig an, manche verbeugten sich auch höflich beim Gehen, was ich gern erwiderte. Takuto sah sich gelangweilt um.
„Weißt du eigentlich wo wir hinmüssen?“, fragte ich Takuto und blieb stehen. Ratlos begegnete er meinem Blick. „Gut, dann frag ich mal einfach jemanden.“
Ich sah mich kurz um und entdeckte eine Frau, die vor ihrem Obstladen stand und einen Kunden gerade verabschiedete.
„Guten Tag, ich wüsste gern, wem ich die Heilkräuter der Miko aus dem Nachbardorf überbringen soll?“, fragte ich einfach, da ich davon ausging, dass sie von meiner Grandma und ihren Kräutern wusste. Tatsächlich sagte sie mir mit einem freundlichen Lächeln, das eine junge Miko die Kräuter empfangen würde. Etwas verblüfft ging ich zurück zu Takuto, der mich erwartete.
„Und?“
„Hier soll es eine junge Miko geben, der ich den Korb bringen soll. Meinst du Grandma wusste von ihr?“
Er runzelte die Stirn und kratzte sich im Nacken. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
„Sonst hätte sie uns doch gesagt, dass du es einer Miko geben sollst oder? Vielleicht hat sie es einfach vergessen, ich meine-! Sie ist alt und es dauert nicht mehr lang bis sie-!“ Wütend schlug ich ihm gegen die Schulter und unterbrach sein dummes Gelaber.
„Pass gefälligst auf, was du über meine Großmutter sagst.“ Bedrohlich hielt ich ihm meinen Finger vors Gesicht, drehte mich abrupt um und machte mich auf die Suche nach der Miko. „Blöder alter Stinkstiefel. Ich kann‘s kaum erwarten bis du senil wirst.“, grummelte ich vor mich hin und sah nicht, wie Takuto mir breit grinsend folgte.
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Wir standen vor einer Hütte die sich so ziemlich von den anderen im Dorf abhob. Die Hütte lag auf einem kleinen Hügel abseits des Dorfes und war sehr schön geschmückt worden mit Blumen und Malereien an den Wänden und auf den zwei Stufen, die auf eine kleine Terrasse führten. Ich wusste nicht, dass Mikos so wohlhabend lebten und bewunderte die, die hier lebte für ihr kleines Reich. Takuto jedoch gefiel es nicht.
„Was ist denn?“, fragte ich, bevor wir an der Tür klopften. Er zuckte mit den Schultern und blieb ein paar Schritte zurück. „Okay…?“ Langsam ging ich die Stufen hoch und klopfte zaghaft an der Tür. Diese war, wie ich bemerkte, nicht schief, wie bei Grandma und manch anderen Hütten, die ich gesehen hatte. Sie wurde geöffnet und ein wirklich sehr schönes Mädchen stand vor mir. Sie war kleiner als ich (woran ich mich aber gewöhnt hatte, fast alle Frauen waren kleiner als ich und sogar die Männer gingen mir nur bis zum Kinn) und hatte schönes langes schwarzes Haar, das ihr bis zur Taille ging. Auch war sie geschminkt, was ich nicht erwartet hätte. Sie hatte einen kleinen Mund, den sie rot bemalt hatte und große braune Augen, die ins Grüne gingen. Ich lächelte sie freundlich an und verbeugte mich vor ihr, was sie erwiderte, doch sie lächelte keineswegs. Eine ihrer Augenbrauen schoss in die Höhe und ihr Mund verzog sich verächtlich, was ihr einen sehr arroganten Ausdruck verlieh. Ich ließ mir nichts anmerken.
„Hallo, ich hoffe doch wir stören nicht, wir sind-!?“
„Oh doch das tut ihr, ich habe gerade ein wichtiges Ritual abgehalten, bei dem ihr mich unterbrochen habt. Jetzt kann ich von neuem beginnen.“, unterbrach sie mich mit ihrer hohen Stimme. Perplex öffnete ich den Mund und wollte etwas erwidern, als ihr Blick zu Takuto glitt. Ihre Augen weiteten sich und ein hungriger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Ein Dämon…“, murmelte sie und lächelte. Ich musste zugeben, bei diesem lächeln wäre jeder Mann dahingeschmolzen…außer Takuto. Dieser kreuzte die Arme vor der Brust und musterte sie unfreundlich.
„Und? Was dagegen?“, fragte er provozierend. Die Miko ließ sich nicht beirren und stieß mich zur Seite, um zu Takuto zu gehen. Ich stolperte fast und hielt mich gerade noch am Türrahmen fest.
„Was zum-?!“
„Nein warte…du bist kein Vollwertiger Dämon…du bist ein Halbdämon!“, schlussfolgerte sie, als sie um ihn herumging und ihn genüsslich betrachtete. Takuto rührte sich nicht und presste wütend die Lippen aufeinander. Ich verstand nicht was da gerade passierte, nach meinem Wissen waren Mikos nicht so…anhänglich. Ein kleiner Flirt war natürlich nie zu vermeiden, doch wie sie Takuto musterte, schien sie ihn gleich auf offener Straße verschlingen zu wollen. Das. Gefiel. Mir. Gar. Nicht!
„Wenn ich kurz unterbrechen darf, wir sind hier um die Kräutermischungen der Miko aus dem Nachbardorf zu bringen.“, rief ich ihr mit unterdrückter Wut zu. Trotz ihrer blöden Art, hieß es noch lange nicht, dass ich meine Manieren fallen ließ! Die Miko sah mich an, als wäre ich eine nervige Fliege, die sie am Liebsten totgequetscht hätte. Ich richtete mich auf und stellte den Korb neben die Tür. Dann ging ich die Stufen runter und stellte mich neben die Beiden. „Wir sollten gehen Takuto.“, sagte ich und sah die Miko dabei an. Ich verbeugte mich nur knapp, schnappte Takutos Arm und schritt voran. Takuto folgte mir stolpernd und stoppte mich, als wir außer Sichtweite waren.
„Warte Lucia!“, zischte er und zog mich zurück.
„Was?!“, keifte ich. Ich hatte richtig schlechte Laune und wenn er jetzt etwas Falsches sagte, dann-!
„Deine Großmutter hat doch gesagt, wir sollen im Gegenzug Fiolablumen mitnehmen!“
Ich ließ die Schultern hängen und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
„Neeeiiin!“ Takuto nickte und unterdrückte ein Lachen. Ich schlug ihm gegen die Schulter. „Das ist nicht lustig, also hör gefälligst auf zu lachen! Da geh ich nicht wieder hin, das ist so ’ne blöde Schnepfe, der es doch gerade Recht wäre, wenn ich wieder zurückwatschle und sie um die Blumen bitte?!“
Er zuckte mit den Schultern und lächelte schief.
„Tja Prinzesschen, da musst du jetzt durch. Ehrlich gesagt habe ich auch wenig Lust wieder zurückzugehen…diese Miko ist mir nicht geheuer…“
„Du kommst mit?!“, fragte ich ungläubig und als er nickte, fiel ich ihm lachend um den Hals. „Ich dachte schon, du lässt mich da allein hingehen!“
„Öhm. Nein, das…äh.“, stammelte er und ich ließ ihn breit grinsend los.
„Okay. Na dann zurück in die Höhle des Löwen.“, meinte ich dann wieder ernst. Takuto machte ein abfälliges Geräusch.
„Eher zurück in das Nest der Schlange.“
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Die Miko stand auf der Terrasse und sah sich den Korb mit den Kräutern an, als wüsste sie nicht was sie damit anstellen sollte. Fragend sah ich zu Takuto, der die Augenbrauen zusammenzog. Sie bemerkte uns erst, als wir direkt vor den Stufen standen. Kalt blickten wir uns an.
„Ich habe vergessen zu sagen, dass wir zum Tausch ein paar Fiolablumen haben wollen.“, sagte ich und sah die Genugtuung in ihren Augen aufschimmern. Sie schmunzelte und stellte sich vor mich auf die oberste Stufe. So war sie so groß wie ich.
„Ah…wirklich?“ Ich nickte steif und straffte die Schultern. „Hättet ihr das denn nicht früher sagen können?“
„Tut mir leid. Vergessen.“, kam es zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen raus. Dieses Mädchen reizte mich und ich konnte nicht versprechen mich zurückzuhalten, wenn sie die Grenze überschritt. Sie lachte mit geschlossenem Mund, dann schürzte sie die Lippen.
„Wie sind eure Namen?“, fragte sie und sah zu Takuto. Dieser sah zu mir, dann wieder zurück zu der Miko.
„Ich bin Takuto. Das hier ist Lucia.“, antwortete er angespannt.
„Ein sehr ungewöhnlicher Name…Lu-ci-a.“, sagte die Miko und sah mich mit einem eigenartigen Blick an, den ich nicht deuten konnte. „Mein Name ist Yoshiko. Merkt ihn euch, denn diesen Namen werdet ihr in sämtlichen Dörfern hören.“
„Wieso?“, fragte ich wenig begeistert. Sie machte eine zarte Handbewegung über ihre Wange.
„Habt ihr jemals eine schönere Miko gesehen als mich?“, ihr Blick glitt zu Takuto, „Ich werde berühmt und jeder wird mich sehen wollen…“ Ihre Stimme wurde verträumt.
>Was redete sie denn da für einen verquirlten Mist? Blöde selbstverliebte Ziege<
Noch immer sah sie fragend zu Takuto, als wolle sie die Bestätigung, dass sie die einzigwahre Schönheit währe. Ich verzog den Mund zu einer verächtlichen Grimasse. Sollte er sie doch schön finden, neben den Beiden sah ich bestimmt eh aus, wie das hässliche Entlein. Takuto, der schöne, starke Halbdämon und die wunderschöne Miko Yoshiko! Tolles Paar, dachte ich missmutig.
„Nein, das denke ich nicht.“, meldete Takuto sich zu Wort. Er sah entschlossen aus. Was meinte er? Yoshiko sah ihn verwirrt an.
„Wie?“
Er schüttelte den Kopf und sah mich an.
„Du bist nicht die schönste Miko.“ Erst nach wenigen Sekunden verstand ich, dass er es nicht zu mir gesagt hatte, sondern zu Yoshiko. Weshalb er mich dabei angesehen hatte, verstand ich allerdings nicht. Yoshikos schönes Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse. Also so sieht sie gar nicht mehr schön aus, dachte ich vergnügt. Ihr Blick schoss zu mir und nicht einmal Blinzeln konnte ich, als sie ihre Hand nach vorn stieß, mir an die Kehle fasste und etwas murmelte. Sie drückte nicht zu, doch ich spürte, wie sie etwas mit mir anstellte, ohne Körperliche Gewalt. Meine Finger wurden taub und meine Sicht wurde zusehends betrübt, doch mein Verstand lief auf Hochtouren. Je schwacher ich wurde, desto rasender machte es mich.
>OH NEIN NICHT MIT MIR!<
Ich fixierte Yoshikos Augen, die sich geschockt weiteten, als sie meinen Widerstand bemerkte, packte ihre Hand, drückte zu und kniff die Augen zusammen, als ich (wie ich es schon einmal bei Takuto erlebt hatte) explodierte. Ich hörte Yoshikos Schmerzensschrei, der sich nach einer Weile nicht mehr wie sie anhörte. Ihre Stimme wurde brüchiger und schriller. Ich öffnete die Augen und sofort war es vorbei. Das Licht um Yoshiko und mich verebbte. Ich atmete schwer, da es mich Kraft gekostet hatte Widerstand zu leisten und sie mir schon Kraft ausgesaugt hatte. Mein Blick klärte sich und fassungslos sah ich zu der kleinen schrumpeligen Frau hinunter, deren knochigen Arm ich hielt. Schnell ließ ich los und taumelte ein paar Schritte zurück.
„Yoshiko?“
Von dem schönen Mädchen, das mich noch zuvor mit ihren lebhaften Augen angefunkelt hatte, hatte sich in eine sehr alte Frau verwandelt und sah mich durch strähnige graue Haare hindurch an. Sie kauerte auf dem Boden und weinte. Sofort war Takuto an meiner Seite und stützte mich, als ich schwankte und drohte umzukippen. Auch er schien bei dem Anblick der Frau entsetzt und auch ein wenig angewidert zu sein.
„Uäh mich hat eine alte Frau angegraben.“, murmelte er und ich nickte nur, da ich keine Ahnung hatte was ich dazu erwidern konnte. Yoshiko stand zittrig auf und starrte auf ihre Hände, dann nahm sie einzelne Haarsträhnen in ihre Hand und schluchzte auf.
„Nein! Nein, nein, nein!“, rief sie immer wieder. „Ich bin alt! Ich bin hässlich! Nein, nein!“
„Yoshiko, was ist mit dir passiert?“, fragte ich leise. Sie sah zu mir und verdeckte ihr Gesicht.
„Ich bin alt und hässlich! Nein, nein, nein! Du hast mir meinen Zauber genommen, du dumme Göre! Ich werde dich verfluchen!“, schrie sie und wollte auf mich zulaufen, als sie über ihre gebrechlichen Beine stolperte und zu Boden fiel. Dort blieb sie liegen und heulte weiter. Takuto und ich sahen uns an.
„Was machen wir denn jetzt? Sollen wir sie einfach hierlassen?“, flüsterte ich und biss mir auf die Lippe. Takuto sah wieder zu dem kümmerlichen Häufchen Elend auf dem Boden.
„Wir sollten den Dorfbewohnern erzählen was passiert ist, dann können sie mit ihr machen was sie wollen.“
Auch wenn es für mich grausam klang, nickte ich und wir gingen schweigend hinunter ins Dorf. Viele kamen uns besorgt entgegen und fragten was mit mir sei, denn noch immer stützte ich mich gegen Takuto und war (so Takuto) leichenblass. Die Dorfbewohner sagten, sie hätten die Schreie einer Greisin gehört und wollten zu Hilfe kommen. Da erzählten wir ihnen was passiert war und was die Miko in Wirklichkeit war. Einige sagten, dass sie eine Hochstaplerin war und keine richtige Miko, da sie ihnen auch nie geholfen hätte und immer nur das Geld einkassiert hätte, dass sie für ihre Austausche mit den anderen Dörfern verdient hatten. Auch war sie erst seit einigen Wochen aufgetaucht und hatte ihnen erzählt sie sei berühmt.
„Habt dank, diese Hochstaplerin aufgedeckt zu haben! Wir werden uns um sie kümmern!“, bedankte sich der Mann, der uns auf dem Weg ins Dorf begegnet war. Sein Name war Yutaka und war so etwas wie der Bürgermeister hier.
„Oh und Yutaka-San, seien Sie nicht zu hart mit ihr, sie ist eine alte Frau, die ihrer Jugend nachtrauert.“, sagte ich schnell, da ich doch so etwas wie Mitleid zu der Frau entwickelt hatte. Die Dorfbewohner nickten und fragten, was sie uns für unseren Dienst schenken konnte. „Wir bräuchten Fiolablumen.“
„Oh natürlich! Bringt Miko Lucia-San Fiolablumen!“, rief er über die Schulter. Nachdem wir unsere Fiolablumen bekommen hatten, hatten wir uns gleich auf den Weg gemacht. Es war schon Nachmittag und so langsam musste ich wieder in meine Welt zurückkehren.
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Ich roch wieder an den Fiolablumen, die einen süßlichen Geruch hatten, der mich nach Kaugummi und Wassermelonen erinnerte. Die Blumen waren sehr schön, sahen aus, als wären sie aus Alice‘ Wunderland entsprungen. Die Halme waren sehr dick und hellgrün, an jeder Blume hing nur ein schmaler Halm, der zur Seite geknickt war. Die Blüten waren knallgelb an den Rändern, die gleiche Farbe hatte sie auch Außen, innen war sie schneeweiß mit roten Sprenkeln. Die Pollen waren eigenartigerweise ebenfalls rot. Am liebsten hätte ich eine davon mit nach Hause genommen…
>Hm, ich sollte Grandma mal danach fragen…<
„Lucia…spürst du das?“, fragte Takuto plötzlich und blieb abrupt stehen. Stirnrunzelnd blieb auch ich stehen und lauschte. Eine Gänsehaut überkam mich, als ich etwas Dunkles spürte. Ich nickte und Takuto sah mich stumm an. Meine Augen weiteten sich. Ich spürte die Richtung aus der es kam.
„Ist es ein Dämon?“, fragte ich im Flüsterton. Takuto nickte angespannt, biss die Zähne zusammen und bedeutete mir, auf seinen Rücken zu steigen. „Aber-?!“
„Mach schon, ich glaube es ist der Dämon, der das Dorf tyrannisiert hat. Ich rieche nämlich Tierblut.“
Ich schluckte hart und presste die Blumen mit der linken Hand an meine Brust, mit der anderen klammerte ich mich an Takutos Schulter und wurde auch schon von ihm angehoben. Ich achtete nicht auf die Tatsache, dass er meine nackten Beine berührte, da ich meine Schulunform (mit dem kurzen Rock!) anhatte. Es war mir nicht unangenehm. Ich schloss die Augen, als Takuto vorpreschte und schneller war, als jede Achterbahn in der ich gesessen hatte. Er wurde langsamer und ich traute mich wieder die Augen zu öffnen. Wir waren im Waldgebiet, doch dieser Teil, schien nicht dicht bewaldet zu sein. Zwischen den Bäumen und Büschen sahen wir einen kleinen dicken Mann umherflitzen. Wir sahen nur seine Hinterfront. Ich spürte deutlich, dass die böse Aura von ihm ausging. Er war ein Dämon. Bei ihm fragte ich mich, was er war, denn seine Hautfarbe hatte einen purpurnen Teint und er sah sehr füllig und stark aus, trotz seiner mickrigen Größe. Er war kleiner als ich.
„Oargh. Oargh. Dasch schieht aberrr leckahr ausch! Muuh und Määh im Kochtopf.“, sang er vor sich hin. Ich verstand zwar kein Wort und vermutete, dass er so etwas in der Art sagte, doch sicher war ich mir nicht und ich hatte auch gar keine Zeit mehr, darüber zu spekulieren, denn als ich die ganzen Tierkadaver zu seinen Füßen sah, konnte ich an nichts anderes denken, als nicht zu würgen! Takuto rümpfte angewidert die Nase, er hatte die Kadaver und das Blut schon von weiter Ferne gerochen. Warum hatte er mich nicht vorgewarnt?! Er ließ mich vorsichtig runter, immer den Dämon im Blick. Sein Gesicht hatte sich verfinstert, kannte er den Dämon?
„Fong!“, bellte Takuto.
>Jap, er kennt ihn.<
Der Dämon richtete sich abrupt auf und drehte sich zu uns um. Sein Gesicht war widerlich! Pfui! Ich presste die Lippen zusammen, als ich seine gelb-schwarzen Zähne sah, die alle in seinem übergroßen Joker Mund zu sehen waren. Er hatte eine riesige Schweinsnase mitten im Gesicht und riesige blutunterlaufene Augen, die uns geschockt anstarrten.
„Taa-kuu-too?!“, er dehnte Takutos Namen ungläubig aus. Er stand da wie erstarrt. „Du lebscht?!“
Takuto nickte grimmig und ging ein paar Schritte näher. Ich folgte ihm wie ein Schatten. Schön dicht hinter seinem Rücken bleiben, so sieht dich keiner, ermahnte ich mich verängstigt.
„Was tust du hier Fong? Ich dachte du bist in der Spezialgarde des großen Masaru?“, fragte Takuto sarkastisch und spuckte bei Masarus Namen auf den Boden. Ich gestatte mir einen kleinen Blick über seine Schulter und sah, wie der Dämon das Gleiche tat.
„Neey! Rauschgeworrrfen hatta misch! Wie auck alle annnerrren!“
„Weshalb?“
Die Miene des Dämons verfinsterte sich: „Katára.“ Takuto verspannte sich gleich bei ihrem Namen.
„Sie ist jetzt seine persönliche Leibwache, nicht wahr?“, zischte er und ich strich ihm beruhigend über den Rücken.
>Was mache ich eigentlich?! Wieso streichle ich ihn?!<
Ich nahm meine Hand von seiner Schulter, als hätte ich mich verbrannt und ging einen Schritt zurück um Abstand zu gewinnen. Dabei bemerkte mich Fong.
„Happa happa?“, fragte er und legte den Kopf schief. Er leckte sich über die Wulstlippen und betrachtete mich. Ich hob abwehrend die Hände.
„Nein nix da happa happa! Ich schmecke total bitter, ich bin ungenießbar!“
Takuto lachte und stellte sich vor mich, was mich sehr verwunderte. Verwirrt starrte ich auf seinen Hinterkopf.
„Nein Fong, du wirst sie nicht anrühren, verstanden?“, fragte er leise, aber hinter seinem Gekichere hörte ich die Drohung heraus. Langsam wurde aus meiner Verwunderung Bewunderung.
„Takuto…“, kam es mir über die Lippen, sodass es keiner hörte. Es war als hätte ich leise geseufzt und unbewusst die Lippen bewegt.
„Gutt Gutt! Ney Happa! Verschdandene!“, meldete Fong sich hastig.
„Fong, ich denke nicht, dass du hier bleiben solltest. Das Dorf das du angreifst ist wichtig. Ich glaube, ich werde dich töten müssen.“, sagte Takuto und ohne Vorwarnung (naja doch vorgewarnt hatte er den Dämon ja schon, aber er hatte ihm einfach keine Chance gelassen, zu reagieren) schoss er vor und mit einem Hieb hatte er dem hässlichen Dämon den Hals aufgeschlitzt. Das Blut spritzte durch die Luft und Takuto konnte sich gerade noch verpieseln bevor er sich damit besudelte. Nur an seinen Fingern klebte roter dickflüssiger Schleim. Ja Schleim. Das Blut des Dämons sah noch widerlicher aus, als dessen Gesicht! Angeekelt wischte Takuto sich das Blut an der Kleidung des Dämons ab und sah sich um. Er suchte Brennholz zusammen und legte ein Feuer, in das er auch die toten malträtierten Tiere schmiss. Es stank fürchterlich und ich hielt mir mit tränenden Augen meinen Ärmel vor Nase und Mund. Auch Takuto schien der Geruch fast umzuhauen. Schnell griff er sich meine Hand, wirbelte mich herum und lud mich auf seinen Rücken, um so schnell wie möglich unseren Weg in unser Dorf fortzusetzen. Nebenbei bemerkte ich, dass Takuto einen länglichen, schön verzierten Kasten in den Armen trug. Was das wohl war?
„Wirklich? Gut, dass ihr dort wart. Ich habe schon so etwas geahnt…“, sagte Grandma, als ich ihr von unserer Reise erzählt hatte. Takuto war irgendwo draußen, insgeheim glaubte ich, dass er nach dem kleinen Dämonen-Äffchen suchte.
„Was meinst du mit geahnt?“, fragte ich und lehnte mich weiter zu ihr vor, um sie mit zusammengekniffenen Augen zu mustern. Sie lächelte milde.
„Lucia, ich bin eine Miko und ich habe die Verantwortung für mehr als nur dieses Dorf. Jeden Monat besuche ich andere Dörfer, um zu sehen, wie es ihnen geht. Nicht jedes Dorf hat eine Miko und als ich erfuhr, dass in unserem Nachbardorf etwas anders war, da schickte ich euch hin, um das Problem zu beheben.“
Mit offenem Mund starrte ich sie an.
„Wow Grandma, du bist ja echt…sozial?“, bemerkte ich und grinste über meine eigene Ausdrucksweise. Sozial, ja. Ein super Wort! Aber eigentlich passte es ja, wenn ich so nachdachte…Grandma lachte. „Und wie hast du es geahnt? Kannst du mir das mal erklären?“
„Ich habe die Geister gefragt, denn das mache ich jeden Abend. Ich gehe in den Schrein und bete zu den Geistern, die mir sagen, was meine Aufgaben sind und was in unserer Welt Schlimmes geschieht. Ich kann natürlich nicht all ihre mir auferlegten Aufgaben erledigen, aber viele davon und dafür bedanken sie sich bei mir mit einer inneren Ruhe.“, antwortete sie und trank aus ihrem Tee. Bewundernd betrachtete ich ihre Gestalt, die wirklich nur so vor Entspanntheit strahlte.
„Lucia, wolltest du nicht gehen?“, fragte Takuto und steckte seinen Kopf durch die Tür. Ich nickte, woraufhin er einen ungeduldigen Gesichtsausdruck machte. „Na dann beeil dich, ich warte am Waldrand.“ Er schloss die Tür.
„Er hat sich an dich gewöhnt.“, murmelte Grandma und öffnete die zuvor geschlossenen Augen. Sie funkelte mich wissend an. „Ihr versteht euch gut, nicht wahr?“ Ich stand auf und stemmte meine Hände in die Hüften.
„Grandma! Dieser Idiot treibt mich jeden Tag in den Wahnsinn, das einzige wozu er zu gebrauchen ist, ist wenn er mir das Leben rettet, mehr nicht klar?!“, gab ich aufgebracht zurück. Grandma nickte nur, schlürfte an ihrem Tee und sagte zum Abschied, ich solle auf mich aufpassen. Ich brummte ein Hab dich lieb und verließ die kleine Hütte. „Wieso behauptet sie so einen Mist, gleich kriegen wir uns bestimmt in die Haare und dann kann sie sehen, ob wir uns gut verstehen! Senile alte Greisin!“, murmelte ich vor mich hin und stampfte den Weg entlang, die Leute um mich ignorierend, da ich zu wütend war, um sie zu verabschieden. Ich sah in einiger Entfernung schon Takuto stehen und hielt kurz inne. Ich hielt inne, denn ich hatte etwas Komisches bei seinem Anblick gespürt. Zwar nicht dunkles oder böses, eher ein…Gefühl wie Freude. Freude ihn dort stehen zu sehen, Freude zu wissen, dass er auf mich wartete, Vorfreude auf unseren gemeinsamen Weg, bis zur Barriere an der wir uns ohne richtige Verabschiedung trennten. Ich freute mich auf alles. Sogar auf unseren nächsten Streit. Aber wieso?! Wieso freute ich mich darauf? Ich konnte Takuto doch gar nicht ausstehen! Er piesackte, nervte und verletzte mich andauernd! Weshalb freute ich mich dennoch, ihn zu sehen? Ich schüttelte entschlossen den Kopf. Ich freute mich nicht ihn zu sehen, das kam alles nur davon, weil ich wieder nach Hause ging. In meine Welt. Ich freute mich auf mein Zuhause in der Menschenwelt! Das. War’s.
„Lucia!“, rief Takuto und winkte wild. „Komm schon du lahme Ente, trödeln kannst du, wenn du wieder kommst!“
Ohne mein Zutun bildete sich ein breites Lächeln auf meinen Lippen und ich lief ihm entgegen.
„Nur weil ich ein Mensch bin und nicht so schnell laufen kann wie ein Dämon, heißt es noch lange nicht, dass ich eine lahme Ente bin. Ich bin für einen Menschen eigentlich sogar ziemlich schnell!“, prahlte ich und warf mein Haar zurück. Er schnaubte und ging voraus in den Wald.
„Jaja, erzähl das deinem kleinen Affenfreund.“, murmelte er über die Schulter und schon im nächsten Moment sprang mir ein kleiner schwarzer Fellball auf die Schulter. Der Kleine machte Quietschgeräusche und knabberte ganz sanft an meinem Ohr, was mir ein Lachen entlockte.
„Heyyy! Du bist wieder da!“, rief ich glücklich und sah Takuto strahlend an. Dieser hatte sich lässig an einen Baum gelehnt und zog einen Mundwinkel hoch. „Danke!“ Er stieß sich vom Baum ab und kam näher. Er sah den kleinen Affen auf meiner Schulter an und streichelte ihn am Kopf. Mit großen Augen sah ich ihm dabei zu. Takuto sah wieder zu mir und lächelte. Vielleicht, aber nur vielleicht konnte ich Takuto ja doch ein bisschen leiden…?
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„Wie sollen wir ihn eigentlich nennen?“, fragte ich nachdenklich und sah dem kleinen Äffchen beim Spielen zu. Er sprang von Ast zu Ast und manchmal warf er Takuto mit kleinen Beeren ab, die er dort fand. Dieser sah griesgrämiger aus, als er ohnehin schon war. Von seinem anfänglichen friedlichen Verhalten, war nichts mehr zu sehen.
„Wie wär’s mit Hundefutter?!“, knurrte Takuto. Das Äffchen kreischte empört auf. Wir hatten herausgefunden, dass der Kleine uns größtenteils verstehen konnte, zwar konnten wir nicht erklären, wie das angehen konnte, doch wenn man den Affen etwas fragte, sah er einen aufmerksam an und meist quiekte oder kreischte er zur Antwort. Wenn ihm etwas sehr gefiel schnurrte er. Ich schüttelte den Kopf.
„Takuto wir können ihn doch nicht Hundefutter nennen…hm…wie wär’s mit Saru? Das heißt doch Affe…nein, das ist zu einfach…“
„Und Boa?“
„Nein, wir nennen ihn nicht Nervensäge!“
Takuto zuckte mit den Schultern und wich einer Attacke des Äffchens aus. Dieser fuhr mit seinen Akrobatik-Spielchen fort. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich einen passenden Namen fand.
„Itchi!“, rief ich und das Äffchen sah interessiert zu mir. Er sprang von einem Ast herunter auf meine Schulter. „Wie gefällt dir der Name?“ Er sah mich mit großen vertrauensvollen Augen an und schnurrte. Erfreut klatschte ich in die Hände. Takuto dagegen schnaubte.
„Du willst ihn Itchi nennen? Spiel? Also ich finde Boa passender…“ Ich funkelte ihn an und drehte mich mit einem „Hmpf!“ um. Blödmann, mir gefiel der Name und auch Itchi war angetan, also würde er auch so heißen! „Woher weißt du eigentlich, dass er bleiben wird? Du weißt doch gar nich, ob er nicht doch einfach irgendwann abhaut?“
„Er wird nicht abhauen.“, beharrte ich und ging weiter. Takuto folgte mir und seufzte.
„Lucia, dieser Affe ist kein Haustier, das du mal eben so dressieren kannst, das ist ein Dämon! Und dann auch noch ein Dämon eines Affenclans! Glaub mir, die sind unberechenbar und KLAUEN!“
Ich lachte überheblich und erhöhte mein Tempo.
„Takuto du kannst sagen was du willst, ich verstehe dich nicht, ich spreche nämlich kein Idiotisch.“ Kurze Zeit blieb es still und ich hörte seine leisen Schritte hinter mir. Sobald der Wald sich dichtete, wurde es dunkler um uns herum und damit wurde ich immer nervöser. Also verlangsamte ich und wartete auf Takuto, um ihm im Blick zu haben…komischerweise fiel mir auf, dass ich in seiner Nähe ruhiger wurde und mich sicherer fühlte. Schnell lenkte ich meine Gedanken auf die schmale Truhe in Takutos Armen, von der wir noch kein Sterbenswörtchen geredet hatten. „Was hast du eigentlich da?“ Ich beugte mich näher an ihn heran um das dunkle Holz in Augenschein zu nehmen, doch Takuto hielt es von mir weg.
„Etwas sehr Wertvolles.“, antwortete er nur wichtigtuerisch. Ich grummelte herum, bis er mir seufzend die Truhe hinhielt und sie langsam öffnete. Sprachlos sah ich das schöne Schwert an, das darin thronte. Die Klinge war lang, schmal, ein wenig gebogen und strahlte mich geradezu an. Es war so makellos sauber, dass ich mich fast darin spiegeln konnte. Der griff war fest mit einem bordeauxroten Stoff eingewickelt worden, dran hingen jeweils zwei Perlen an den Stoffenden. Ehrfürchtig hob ich die Hand, ließ sie ganz kurz über der Klinge schweben, um sie dann zurückzuziehen. Ich sah zu Takuto der mich lächelnd beobachtete. Es war sein Takuto-Lächeln. Es war nicht wirklich freundlich, es hatte immer etwas Herablassendes an sich, doch ich wusste, dass das nicht von ihm beabsichtigt war. Ich hatte mich daran gewöhnt und freute mich, dass er überhaupt lächelte und nicht gleich schimpfte, dass ich so nah dran war oder sonst was.
„Woher-?“
„Fong hatte es neben sich liegen. Sein Diebesgut. Und zufällig ist es das Schwert meines Vaters.“
Mein Mund klappte auf. Das Schwert seines Vaters? Ich sah noch einmal in die Truhe.
„Es ist wunderschön…“, flüsterte ich nur. „Wie er es wohl gestohlen hat?“ Takuto zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht, eigentlich wurde das Schwert mit ihm begraben…“, das Ende des Satzes flüsterte er nur und sein Gesicht nahm einen entsetzten Ausdruck an. „Er hat das Grab meines Vaters geschändet.“
„Nur um an das Schwert zu kommen?“
„Ich weiß es nicht, aber…ich muss nachsehen.“ Entschlossen klappte er die Truhe zu und wollte sich auf den Weg machen, als ich ihn aufhielt. Ängstlich klammerte ich mich an seinen Arm.
„Lässt du mich jetzt etwa allein?!“, fragte ich mit hoher Stimme. Zuerst sah er mich irritiert an, dann schlich sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen.
„Lucia…nein, ich gehe noch nicht, zuerst bringe ich dich zur Barriere und ich mach mich dann auf den Weg.“, antwortete er beruhigend. Eigentlich hätte ich erleichtert sein müssen, doch irgendwie gefiel mir der Gedanke, Takuto allein gehen zu lassen nicht.
„Du solltest nicht allein gehen.“ Takuto hob überrascht die Augenbrauen.
„Warum denn nicht?“
Unbehaglich zuckte ich mit den Schultern und sah zu Boden, als ich murmelte: „Naja, du solltest nicht allein gehen, es könnte was passieren und wenn du nicht zurückkommst, dann würde ich- ähm ich meine, wären Grandma und das Dorf ungeschützt.“ Mein Gesicht stand in Flammen und ich presste die Lippen aufeinander. Wieso hatte ich das gesagt?! Fast wäre mir etwas anderes rausgerutscht!
>Hallo, Erde an Lucia- Du kannst den Typen nicht leiden, soll er doch allein gehen und mit sich selbst klarkommen!<
Ich lauschte dem Wind und versuchte mir einzureden, dass es mich nichts anginge, wenn Takuto allein gehen würde. Dieser sagte nichts. Als es irgendwann unangenehm wurde, wollte ich mich von seinem Arm lösen, als er mich daraufhin am Handgelenk festhielt. Überrascht sah ich zu ihm hoch und begegnete seinem Blick. Seine Augen waren klar und funkelten leicht. Er sah neugierig aus. Mehr nicht. Ich fühlte mich…gut, bei seiner Berührung. Ich fühlte mich auch gut, als er mein Gesicht musterte und fragte mich, was er wohl dachte oder fühlte…In Gedanken schüttelte ich den Kopf. NEIN Lucia, hör auf damit so zu denken. Ich riss mich zusammen und sah ihn dann abwartend an. Er grinste breit und ließ los.
„Würdest du mich vielleicht begleiten?“
Ich blinzelte mehrmals.
„W-was? Ich soll dich begleiten, aber-?“, stammelte ich und starrte ihn verständnislos an. „Soll das ein Witz sein?!“ Takuto begann zu lachen.
„Nein, das meine ich ernst! Wenn du dir schon solche Sorgen machst, dann kannst du dich ja auch zur Verfügung stellen, mich zu begleiten! Außerdem bist du eine Lernmiko. Irgendwann musst du das Dorf verlassen und das Land durchstreifen, da bietet sich dir doch eine tolle Gelegenheit!“
Einen Moment lang dachte ich, er wäre verrückt geworden, doch dann kam mir der Gedanke gar nicht abwegig vor. Wenn Lernmikos wirklich für ihre Ausbildung das Dorf verlassen mussten…dann könnte ich das mit Takuto tun. So schlimm konnte eine Reise mit ihm ja vielleicht doch nicht sein. Ich machte ein nachdenkliches Gesicht indem ich meine Augenbrauen zusammenzog und die Lippen schürzte und sie manchmal hin und herschob. Ich sah nicht, dass Takuto bei meinem Anblick anfing zu lächeln und mich länger betrachtete.
„Ich muss noch mit Grandma sprechen und…wie lange wird die Reise dauern? In der Menschenwelt muss ich noch zur Schule und meinen Eltern muss ich auch noch alles erzählen. Hm…“
Takuto trat näher und legte den Arm um meine Schultern. Ich zuckte leicht zusammen und sah verblüfft zu ihm hoch. Er lächelte mich an und zwinkerte.
„Überleg es dir erst mal in Ruhe. Zwar würde ich gern so schnell wie möglich aufbrechen, aber…naja, du solltest wirklich mit Pérenell reden.“, sagte er und sein Lächeln wurde immer aufmunternder. Für einen kurzen Moment konnte ich meine Augen nicht von seinen lösen und ein kribbelndes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Erschrocken über meine Reaktion sah ich weg und starrte nach vorn. „Wir sollten weitergehen, es wird spät.“
Ich nickte nur und so gingen wir weiter. Takuto hatte die Truhe unter seinen linken Arm geklemmt und seinen rechten Arm noch immer um mich geschlungen.
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Nach einer Weile waren wir wieder im helleren Teil des Waldes und Takuto ließ mich los. Itchi kletterte fröhlich vor sich hin gurrend auf meine freigewordene Schulter und ich…naja, ich war noch damit beschäftigt mich zu fragen, wie ich Takuto zustimmen konnte. Diese Reise schien sehr gefährlich zu sein und auch wenn Takuto stark war, ich kannte mich nicht mit richtigen Kämpfen aus und was wäre, wenn es noch grausamere und stärkere Dämonen gab? Was wäre, wenn wir alten Bekannten von Takuto begegneten und sie ihn fragten was er mit einem Menschen tat? Ich war zwar eine Miko, aber offensichtlich noch ein Mensch und war doch somit eine Zielscheibe für sie. Außerdem hatte ich wirklich Angst vor dem Unbekannten. Mit sorgenvoll verzogenem Gesicht knabberte ich auf meiner Lippe herum, bis Takuto mich seufzend anhielt.
„Lucia, du musst nicht mitkommen wenn du nicht willst.“, sagte er und sah mich verständnisvoll an. Nachdenklich sah ich ihm in die Augen und fasste einen Entschluss. Kopfschüttelnd stemmte ich trotzig die Hände in die Hüften.
„Doch. Ich werde mitkommen.“ Takuto grinste breit und tätschelte mir den Kopf.
„Du musst mir nichts beweisen. Ehrlich nicht.“, sagte er und lachte, als ich seine Hand wütend wegschlug.
„Ich werde mitkommen und damit das klar ist, ich brauche niemandem etwas zu beweisen!“, fauchte ich und mein Ehrgeiz wurde geweckt. Oh ja, ich würde mitkommen und dann würde ich ihm schon zeigen, dass ich-!
>Ah Mist, ich wollte ihm doch gar nichts beweisen…egal! Ich geh mit ihm und dann wird er sehen, dass er es ohne mich sowieso nicht weit bringt! Basta<
Takuto sah mich zweifelnd an und ging weiter. Ich folgte ihm und vermied es ihn anzusehen. Ich hatte wegen ihm schlechte Laune.
„Lucia-…“, fing Takuto an, als wir an der Grenze ankamen. Er presste die Lippen aufeinander und wich meinem Blick aus.
„Was denn?“, schnauzte ich ihn an und kreuzte die Arme vor der Brust. Mein auffordernder Blick brachte ihn dazu mich anzusehen. Auch er kreuzte die Arme vor der Brust und sah mich mit noch immer zusammengepressten Lippen an. Nach einer Weile wurde es irgendwie unangenehm, also seufzte ich und fragte mit einer etwas weicheren Stimme: „Was ist los Takuto? Sag schon.“
Er sah mich kurz an, dann senkte er den Blick: „Ich sehe doch, wie viel du dich vor der Reise fürchtest, es war dumm von mir dich zu fragen. Du musst wirklich nicht mitkommen, wenn du nicht willst.“
„Takuto-…“, mir blieb die Stimme weg, als ich seinen verlegenen Gesichtsausdruck sah. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich merkte, wie süß ich ihn gerade fand. „Kannst du mal bitte aufhören so zu gucken, das kann man ja kaum ertragen!“, presste ich etwas zu barsch zwischen den Zähnen heraus. Irritiert hob er die Augenbrauen.
„Was hab ich denn jetzt schon wieder getan?“
„Ach nichts…vergiss es…“, murmelte ich. Ich konnte nicht fassen, dass ich ihn gerade wirklich süß gefunden hatte. „Ich sollte besser gehen, ich-ähm…tja.“ Ich wollte mich schnell aus dem Staub machen, bevor ich noch auf andere eigenartige Gedanken kam, doch Takuto hielt mich am Arm fest und zog mich zurück. Dabei kamen wir uns viel näher, als vorher und mit großen Augen starrte ich ihn an.
„Lucia, ich…“, flüsterte er und mein Mund wurde trocken, während wir uns ansahen. Er atmete tief ein. „Bist du dir ganz sicher, dass du mitkommen willst?“ Hilflos nickte ich nur, nicht in der Lage etwas zu erwidern. Meine Hände zitterten und mein Herz klopfte wild. Takuto lächelte ganz leicht. „Kein Rückzieher?“ Ich fuhr mit der Zungenspitze über meine trockenen Lippen und schüttelte den Kopf. Seine Augen folgten meiner Bewegung, was mir einen Schauer über den Rücken jagte.
„Takuto…“, murmelte ich benommen, als mir bewusst wurde, was wir gerade in Begriff waren zu tun. Als würde ihm das auch gerade erst bewusst werden zuckte Takuto zurück und starrte mich fassungslos an, um mich dann blitzartig loszulassen und zu verschwinden, ohne etwas zu sagen. Sekundenlang sah ich in die Richtung in die er verschwunden war.
>Was war das? Fast hätten wir uns geküsst…<
Immer wieder fragte ich mich, weshalb er das getan hatte. Natürlich gab ich ihm die Schuld dafür, da er mich ja zu sich gezogen hatte, doch ich konnte nicht leugnen, dass ich etwas bei seiner Nähe gefühlt hatte. Warum, warum, warum, fragte ich mich immer wieder, während ich nach Hause ging, ohne auf den Weg zu achten.
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Zuhause angekommen konnte ich niemanden vorfinden. Ich sah auf die Uhr und wusste, dass es sich nicht lohnen würde jetzt noch zur Schule zu gehen, da die letzte Stunde in einer halben Stunde zu Ende sein würde. Ich ging zum Anrufbeantworter und sah, dass wir eine Nachricht hatten und ich konnte mir schon denken, dass es meine Schule war, die anrief, dass ich diese ohne Erlaubnis verlassen hatte. Kurz sielte ich mit dem Gedanken die Nachricht zu löschen, doch ich hatte schon eine passende Erklärung für mein Verschwinden, also zuckte ich nur mit den Schultern, ging hoch in mein Zimmer und zog mir bequemere Sachen an. Ich würde mich einfach krank stellen und sagen, dass ich auf der Mädchentoilette gekotzt hatte, wobei ich meine Schuluniform vollgesaut hätte und die Schule verlassen hätte, bevor mich noch jemand sah. Die Schuluniform warf ich schnell in die Waschmaschine, damit die ‚Beweise‘ vernichtet wurden. Ich saß in meinem Bett und hörte Musik, als ich die Haustür hörte. Schlüssel klimperten und ich stellte das kleine Radio auf meinem Nachttischchen leiser. Schnell nahm ich meine Wasserflasche, schüttete ein winziges bisschen in meine Hand und strich mir damit über den Haaransatz und in den Nacken, damit es aussah, als würde ich schwitzen, dann stürzte ich mich auf mein Bett und mummelte mich in meine Decke und versuchte krank auszusehen. Kurz darauf hörte ich wie meine Mom verärgert nach mir rief.
>Hat wohl die Nachricht abgehört. Oh man<
Sie stampfte die Treppe hoch und öffnete meine Tür ohne anzuklopfen und starrte mich zunächst wütend an, bis sie mich richtig registrierte.
„Oh Schätzchen, was ist denn mit dir?“, rief sie erschrocken und kam an meine Bettkante um mir sofort die Hand auf die Stirn zu drücken.
„Mom, mir geht’s nicht gut.“, krächzte ich theatralisch und unterdrückte mir ein gemeines Grinsen. Mit halbgeschlossenen Augen sah ich zu ihr auf und sie tätschelte mir besorgt den Kopf.
„Aber was ist denn passiert? Die Schule hat angerufen und gesagt, du hättest die Schule verlassen?“
„Ich war gerade im Englischunterricht, als mir schlecht geworden ist, da bin ich halt zur Toilette gegangen und da hab ich mich übergeben…“ Sie machte ein kritisches Gesicht.
„Hättest du dich nicht abmelden können?“
„Nein Mom, ich hab meine Uniform vollgekotzt, da konnte ich doch nicht unter Leute treten! Da bin ich halt geflüchtet, außerdem war mir immer noch schlecht und ich wollte nicht auf dem Mädchenklo rumhocken und warten…“, antwortete ich und hustete kräftig. Mom reichte mir meine Wasserflasche, die ich dankbar annahm und davon trank. Sie strich mir noch einmal über den Kopf, bevor sie aufstand.
„Na gut Schatz, ich bring dir später einen Tee und Cracker ja? Ich muss deine Schule anrufen und sagen, dass du morgen nicht kommst. Ich denke du solltest nicht gleich wieder in die Schule, wenn‘s dir so schlecht geht.“, sagte sie und lächelte liebevoll. Schnell schüttelte ich den Kopf.
„Mom, das ist doch nicht nötig ich glaube nicht, dass es mir morgen immer noch so schlecht gehen wird! Bestimmt ist das nur eine 24 Stunden-Grippe oder so?“ Ich wollte nicht morgen schwänzen, sonst würden die anderen denken, dass ich feige war und mich nicht traute ihnen unter die Augen zu treten! Zwar war ich heute abgehauen, aber das war weil ich total sauer war und wenn ich morgen nicht auftauchte, würden sie mich als feiges Huhn abstempeln oder als Heulsuse oder was auch immer!? Sie schürzte die Lippen und seufzte.
„Mal sehen. Wenn es dir morgen früh besser geht, dann kannst du gehen, aber wenn du auch nur einen Huster von dir gibst, dann bleibst du hier!“, mahnte sie mich, lächelte dann und trat aus dem Zimmer. Erleichtert ließ ich mich in die Kissen sinken und stellte die Musik lauter. Während ich so dahindöste, spürte ich etwas sehr Seltsames…Mein Bewusstsein glitt in eine andere Welt und wie in einem Traum sah ich Bilder. Bilder die mir kaum bekannt waren und sich doch so vertraut anfühlten…
Mit einem erschrockenen Schrei riss ich die Augen auf und sah mich um. Ich war in meinem Zimmer und alles war dunkel. Beruhigt rieb ich mir die Augen und gähnte. Ich konnte mich gar nicht mehr an meinen Traum erinnern und fragte mich, weshalb ich mich gefürchtet hatte.
>War bestimmt nur irgendein Albtraum<
Mein Blick fiel auf meine Uhr und seufzend stellte ich fest, dass es gerade mal 3 Uhr morgens und ich fit wie ein Turnschuh war. Ich versuchte erst gar nicht weiterzuschlafen und stand auf. Mom hatte mir ein Tablett ans Bett gestellt mit dem versprochenen (schon längst kalten) Tee und Käsecrackern. Lächelnd nahm ich das Tablett und trug es durch das stockdustere Haus in die Küche, wo ich erst mal das Licht einschaltete und mir heiße Schokolade machte. Ich versuchte nicht wieder an Takuto zu denken und schon gar nicht an unseren Beinahe-Kuss, doch so einfach war es nicht. Länger konnte ich mir nichts vormachen. Ich hatte Takuto gern. Das war die niederschmetternde Wahrheit und ich musste es einsehen. Ich ließ den Kopf hängen und stützte mich schwer an gegen die Theke.
>Und wie soll ich dann mit ihm auf diese Reise gehen? Was würde passieren wenn wir andauernd zusammen wären?<
Darüber konnte ich mir jetzt auf gar keinen Fall Gedanken machen…
„Lucia?“, fragte eine verschlafene Stimme neben mir und ich schreckte hoch. Ich fasste mir ans Herz, als ich Mom an der Küchentür stehen sah. „Oh hab ich dich erschreckt? Tut mir leid Schätzchen…“, murmelte sie und kam näher, um in die Mikrowelle zu sehen.
„Mom wieso bist du denn wach?“
„Wir haben vergessen dir zu sagen, dass dein Vater auf eine Geschäftsreise gehen muss, erst gestern kam die Anfrage des Kunden und um unsere Mitarbeiter in Deutschland zu überwachen, geht dein Vater dorthin. Sein Flug geht um 7 Uhr und um halb 6 müssen wir schon am Flughafen sein, er muss noch Kleinigkeiten einpacken und ich mach uns währenddessen ein schönes Frühstück, was hältst du davon?“ Sie lächelte mich an und sogar morgens mit verschlafenem Blick sah meine Mom frisch und munter aus. Ich umarmte sie spontan und bekam einen dicken Schmatzer von ihr auf die Stirn. „Geht’s dir eigentlich besser?“ Ich nickte und löste mich von ihr.
„Mir geht’s super Mom, ich glaube ich kann heute zur Schule gehen. Kein Problem.“
„Gut, könntest du dann schon mal die Brötchen in den Ofen legen?“
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„Tschau Dad.“, verabschiedete ich mich von meinem Vater, der neben meiner Mutter ins Auto einstieg. Er lächelte mich an.
„Wir sehen uns dann am Samstag Kleines.“, antwortete er und ich winkte ihnen nach, als sie losfuhren. Seufzend ging ich auf die Haustür zu, als ich ein ohrenbetäubendes Motorengeräusch hörte. Ich sah mich nach dem Lärm um und erkannte ein schwarzes Motorrad auf der Straße. Es fuhr in unsere Einfahrt und blieb dort stehen. Verwundert zog ich die Augenbrauen hoch als der Fahrer seinen Helm abnahm und mich angrinste.
„Ryo was machst du denn hier? Es ist 5 Uhr morgens?!“, entfuhr es mir entsetzt. Er lachte nur und stand auf.
„Ich komme gerade erst von einer Party.“, antwortete er leicht Lallend. Streng sah ich ihn an.
„Es ist mitten in der Woche Ryo, keine gute Zeit für Partys. Außerdem-? Hast du getrunken?“ Ich schnüffelte kurz an ihm und verzog angewidert das Gesicht. Er stank nach Zigaretten und Alkohol. Buäh! Erschrocken riss ich die Augen auf, als er mich an sich zog und mich hin und her wiegte. Dann hielt ich den Atem an, um nicht gleich los zu würgen. „Ryo lass mich los!“, zischte ich aufgebracht und konnte mich auf Armeslänge befreien. Verwirrt sah er mich an.
„Lucia? Was ist denn los?“
„Du stinkst! Und so wirst du nicht fahren können. Weißt du, Freunde lassen Freunde nicht betrunken ans Steuer!“ Und so zog ich ihn am Kragen mit ins Haus hinein. Dort angekommen gingen wir hoch und ich zog ihn ins Badezimmer, wo ich ihn wieder so streng ansah. „So und jetzt duschst du gefälligst, danach kannst du dich ein bisschen hinlegen wenn du möchtest.“ Ich verließ das Bad und schloss sorgfältig die Tür hinter mir.
>Oh man, das is ja ’n Ding?! Ryo Kaneko, einer der beliebtesten Schüler meiner Schule, duscht gerade bei mir zuhause…Hallo?! Es wird langsam mal Zeit, dass ich aufwache!<
Die Müdigkeit fiel über mich her und ich musste heftig blinzeln, damit ich nicht im Stehen einschlief. Langsam stolperte ich in mein Zimmer und mummelte mich in mein Bett ein, dann stellte ich noch schnell meinen Wecker und schloss die Augen. Ich schlief ein bevor die Tür zu meinem Zimmer aufging und Ryo sich neben mich legte. Das bekam ich gar nicht mit…
Der Wecker klingelte unablässig und murrend hieb ich drauf ein, um mich dann wieder in die Kissen sinken zu lassen. Ich war viel zu müde um jetzt noch aufstehen zu können! Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite und der Arm, der um meine Taille geschlungen war, zog mich enger zu sich heran. Wohlig seufzend kuschelte ich mich an den warmen Körper neben mir, bis mir langsam dämmerte, dass das eigentlich nicht sein sollte. Ich riss die Augen auf und erblickte einen schlafenden Ryo, nur wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter und immer deutlicher spürte ich seinen Arm und seinen Körper an meinem. Ich stieß einen lautlosen Schrei aus und presste die Lippen aufeinander. Dann versuchte ich mich zu beruhigen indem ich ein und ausatmete.
„Uäh!“, machte ich leise, als ich wieder diesen Zigaretten und Alkohol Gestank wahrnahm der von ihm ausging. Also hatte er nicht geduscht, sondern sich einfach trunken wie er war, neben mich gelegt und war eingeschlafen…Ok…das…war…JA DER HAMMER!? Mein Herz klopfte wild und nach meiner Panikattacke füllten sich meine Lungen mit Freudenschreien, die ich in diesem Moment natürlich nicht rauslassen konnte. Ich versuchte so leise wie möglich seinen Arm von meiner Taille zu nehmen, doch als ich mich bewegte, zog er mich noch fester an sich, sodass ich meine Hände automatisch an seine Brust legte. Er seufzte. Ich gab mir einen Ruck und entzog mich seinem Arm mit einem Ruck und purzelte mit einem erschrockenen Aufschrei aus dem Bett. Ich rieb meinen schmerzenden Hintern und strich mir fahrig durchs Haar.
„Lucia?“, fragte Ryo verschlafen und setzte sich auf. Er fuhr sich über das Gesicht und sah sich verwirrt um. „Wie bin ich hierhergekommen?“ Ich ließ mir nicht anmerken, dass es mir gefiel ihn so in meinem Bett zu sehen und setzte ein genervtes Gesicht auf.
„Du bist hier um 5 Uhr morgens aufgekreuzt und warst betrunken! Dann wollte ich dir helfen, weil ich dich nicht betrunken fahren lassen wollte und hab dir eine warme Dusche angeboten, aber nein, du legst dich einfach neben mich, während ich schlafe! Oh warte das Beste kommt noch: Als ich aufgewacht bin, hast du dich an mich gekuschelt, wie an einen Teddybären.“ Mein sarkastischer Ton brachte ihn zum Lachen, dann hielt er bei meinem Gesichtsausdruck abrupt inne und sah mich verlegen an.
„Tut mir echt leid, alsooo…weißt du ich glaube, ein bisschen kann ich mich daran erinnern…die Party war hier in der Nähe, wahrscheinlich bin ich deswegen hier aufgetaucht. Wenn ich mal betrunken bin, geh ich oft zu Freunden um bei denen zu pennen, weißt du meine Mom kann es nicht leiden, wenn ich morgens immer so viel Lärm veranstalte.“
„Das heißt du…du schläfst oft bei Freunden? Einfach so?“, fragte ich immer noch sarkastisch, doch innerlich fühlte ich mich irgendwie geknickt. Er nickte schnell. Wahrscheinlich dachte er, das würde die Lage nicht so schlimm aussehen lassen, doch für mich wurde es schlimmer. Das hieß dann also, dass ich nicht irgendwie Besonders war oder dass er mich sehen wollte…Oh Mist Lucia, was hast du von ihm erwartet?! Ihr seid doch gar nicht wirklich zusammen, sei froh, dass er dich überhaupt als eine Freundin sieht, dachte ich bitter. Ich seufzte und nickte Richtung Tür.
„Gut dann kannst du ja jetzt duschen gehen oder willst du gar nicht erst zur Schule?“ Er überlegte kurz und sah auf meine Decke in die er eingewickelt war, um dann mit einem Grinsen zu mir zu sehen.
„Naja hier ist es schon ziemlich gemütlich…“, anzüglich wackelte er mit den Augenbrauen und ich konnte nicht anders als zu lachen. „Wir können ja zusammen zur Schule gehen.“, sagte er dann noch und ich nickte noch immer lächelnd. Ich ging runter in unser zweites Bad im Erdgeschoss. Eigentlich war das für die Gäste, doch ich hatte Ryo das oben angeboten, also ging ich runter. Schnell stieg ich unter die Dusche und wurde wach indem ich kaltes Wasser über meinen Körper laufen ließ. Ich hatte vergessen, dass mein schönes Rosenshampoo nicht hier unten war, also nahm ich eine neue Packung die nach Vanille roch. Als ich aus der Dusche stieg, fiel mir noch etwas ein…Ich hatte vergessen Sachen zum Anziehen mitzunehmen…
„Mist!“, fluchte ich. Ich wickelte mich in ein Handtuch ein, das mir ein wenig zu kurz war, doch es verdeckte das Nötigste, also was soll‘s! Über mich selbst schimpfend trat ich aus dem Bad und ging hoch in mein Zimmer. Dort angekommen öffnete ich ohne nachzudenken die Tür und starrte auf Ryo, der auf meinem Bett saß mit nur einem Handtuch um die Hüften gebunden. Er betrachtete gerade eine Zeichnung von mir, die zuvor achtlos auf dem Boden gelegen hatte. Er sah auf und hob fragend die Augenbrauen, während mich seine Augen von oben bis unten abcheckten. Mit hochrotem Kopf ging ich hinein und zeigte auf die offene Tür.
„Raus. Aber dalli.“, stieß ich aus und sah zu Boden. Ich hörte sein erheitertes Lachen näher kommen, dann blieb mein Blick auf seinen Füßen haften, die vor mir zum Stehen gekommen waren.
„Lucia?“
„Was?!“
„Ähm. Ich hab keine sauberen Sachen zum Anziehen…“
Verärgert sah ich dann zu ihm hoch und funkelte ihn an.
„Hättest du mir das nicht vorher sagen können?!“ Er grinste ungeniert und zuckte unschuldig mit den Achseln. „Blödmann.“, murrte ich, ging aus dem Zimmer in das meiner Eltern, wo ich den Kleiderschrank ansteuerte. Ryo war mir gefolgt und ich sah natürlich nicht, wie sein Blick wieder meinen Körper in Beschlag nahm. „Hier!“ Ich drehte mich schwungvoll um und hielt ihm ein weißes Hemd meines Vaters hin. Er nahm sie und hielt sie an sich.
„Hättest du eine Jogginghose für mich, dann können wir ja noch kurz zu mir fahren, ich zieh mich um und dann können wir zur Schule?“
„Wir hätten doch auch schon vorher zu dir fahren können, dann hättest du bei dir duschen können, du Schwachmat?“, meckerte ich ihn an und zwang mich ihn anzusehen. Ich musste zugeben, so wie er jetzt vor mir stand, fiel es mir nicht sonderlich leicht so mit ihm zu reden…oder überhaupt mit ihm zu reden. Ich erinnerte mich an den Tag als ich Takuto befreit hatte, an dem er auch nackt gewesen war. Unwillkürlich musste ich bei der Erinnerung grinsen.
>Das jetzt ist nicht so schlimm wie damals, also stell dich bloß nicht so an Lucia!<
Schon ein bisschen mutiger traute ich mich auch ihn zu mustern. Gespielt rümpfte ich die Nase, als ich sah, dass er meinen Blick bemerkt hatte. Übertrieben gelangweilt sah ich ihn dann an.
„Naja egal. Brauchst du auch eine Boxershorts?“, fragte ich ohne rot zu werden und Ryo sah mich sichtlich irritiert an. Ohne auf eine Antwort zu warten, kramte ich ihm eine hervor und auch eine Jogginghose war zu finden. „Bitteschön.“ Mit einem zufriedenen Lächeln verließ ich das Zimmer und ging in meins, das ich natürlich abschloss, bevor ich mich anzog. Ich war sehr stolz auf mich, dass ich ihm so standhalten konnte. Fertig angezogen und mit gekämmten Haaren schloss ich wieder auf.
„Bist du fertig?“, fragte Ryo bevor er hereinkam.
„Jap!“, antwortete ich und setzte mich vor meinen Spiegel. „Muss nur noch schnell meine Haare machen!“ Er öffnete die Tür und stellte sich neben mich, um mich dann dabei zu beobachten, wie ich hochkonzertiert meine Haare flocht. Als ich fertig war, lächelte er mich an.
„Du siehst hübsch aus.“, machte er mir das Kompliment und ich lächelte zaghaft zurück.
„Ähm. Wollen wir dann los? Es ist schon halb 8.“, lenkte ich ab und er nickte.
„Ich wohne in der Nähe der Schule, also wird es keine Zeitlichen Probleme geben, denke ich.“
Ich ging vor und wartete auf ihn vor seinem Motorrad. Ryo machte die Haustür zu und blieb dann vor mir stehen.
„Also ich wollte dir noch danken für alles…also. Danke.“, brachte er umständlich raus und ich nickte kichernd.
„Gern geschehen. Aber wenn du nächstes Mal wieder betrunken auf der Matte stehst, kannst du die Nacht ruhig in unserer Garage verbringen.“ Er lachte und sah mich einen Moment mit einem unschlüssigen Blick an, bevor er sich zu mir runterbeugte und seine Lippen auf meine legte. Völlig aus dem Konzept gebracht, rutschte mir der Rucksack von der Schulter und plumpste auf den Boden. Es war kein Filmreifer Kuss, doch es war mein erster und es fühlte sich fantastisch an. Mein Magen explodierte und mein Kopf wollte es einfach nicht wahr haben. Seine Lippen lagen nur für einen kurzen Moment sanft auf meinen, dann löste er sich von mir und sah mich milde lächelnd an. Ich starrte ihn an und blinzelte ein paar Mal. „Tja…ähm. Nochmals gern geschehen.“ Wieder lachte er und strich mir flüchtig über die Wange. Diese winzige Berührung ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen und brachte mein Herz zum Rasen. Er stieg auf das Motorrad und setzte seinen Helm auf. Mit wackligen Knien hob ich meinen Rucksack auf und setzte mich hinter ihn. Ich versuchte den Kuss zu verarbeiten, doch ich freute mich so sehr und war so geflasht, dass an eine Verarbeitung kaum zu denken war.
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Quietschend kam das Motorrad vor einem großen Mehrfamilienhaus zum Stehen. Die Gegend sah sehr vornehm aus und bewundernd sah ich mich um. Ryo nahm seinen Helm ab und sah mich an.
„Wartest du hier?“ Als ich nickte lächelte er, stieg ab und ging zur Hausnummer 10c. Ich atmete glücklich aus und stieg ab, um mir kurz die Beine zu vertreten. Ahnungslos wie ich war, hörte und sah ich die Gruppe von Schülern nicht, die sich mir näherte. Erst als sie nur wenige Schritte von mir entfernt waren, sah ich mich um und erkannte die gleiche Gruppe von Schülern, der wir mit Ryo schon einmal begegnet waren. So wie sie mich ansahen, fühlte ich mich sehr unwohl und ich wünschte Ryo würde endlich rauskommen. Der Junge der mir entgegen kam, war der Gleiche mit dem Ryo damals schon eine hitzige Diskussion geführt hatte. Ich versuchte eine gleichgültige Miene aufzusetzen und sah ihm mit einem kühlen Blick entgegen.
„Du bist Lucia Pierce nicht wahr?“, fragte er laut genug, damit seine Freunde die hinter ihm standen mithören konnten. Er hatte rotgefärbtes Haar und ein Nasenpiercing. Auch wenn ich ihn nur vom Sehen kannte, wusste ich, dass er ein Mädchenschwarm in der Schule war und er und seine Freunde sehr beliebt waren.
„Was nützt es dir, wenn ich es bin?“, entgegnete ich und zog eine Augenbraue hoch. Er kniff leicht die Augen zusammen und legte den Kopf schief. Er war nur noch ein paar Schritte von mir entfernt. Dann lachte er und sah zu seinen Freunden.
„Sie denkt sie wär’s!“ Alle lachten mit ihm, doch ich konnte keinen Witz in seiner Aussage erkennen. Er drehte sich mit einer amüsierten Miene zu mir um. „Es geht das Gerücht rum, dass du mit Ryo zusammen bist. Aber weshalb sollte das stimmen? Ryo ist in unserem Jahrgang, er ist beliebt und kann jede haben, die er will, aber nein, er sucht sich ein 16 jähriges Gör aus…“ Ich kreuzte die Arme vor der Brust.
„Was geht dich das an? Und wer bist du eigentlich?“ Mein Ton war sehr unfreundlich, doch er durfte ruhig wissen, dass ich ihn nicht leiden konnte.
„Ich bin Daiki. Es wundert mich, dass du mich nicht kennst kleines Gör…-!“
„Nenn mich gefälligst nicht kleines Gör!“, zischte ich gefährlich leise, doch er grinste nur weiter und kam einen Schritt näher.
„Ooh…das kleine Gör hat was dagegen, dass ich sie kleines Gör nenne…aber kleines Gör passt doch so gut zu dir.“ Er beugte sich zu mir vor und grinste noch immer so blöd. Meine Hände bebten vor Zorn und auch meine Lippe blutete, da ich so fest drauf gebissen hatte. Mir platzte bei seinen Worten der Kragen und ehe er’s sich versah, hatte ich ausgeholt und ihm meine Faust ins Gesicht geschlagen. Sein Kopf flog nach hinten und die Nase fing an zu bluten. Ich tat so, als ob es ein Klacks gewesen wäre, doch insgeheim heulte ich vor Schmerz auf, da meine Hand verdammt wehtat nach dem Schlag und ich das Gefühl hatte, sie wäre gebrochen. Daiki stöhnte auf und seine Freunde kamen herbeigeeilt, um ihm zu helfen, da kam ein Mädchen zu mir angerannt und schubste mich zu Boden. Überrascht sah ich zu ihr auf. Sie war keine Schönheit, hatte etwas Arrogantes an sich und das war der Grund weshalb ich sie auf Anhieb hasste. Arroganz? Bäh! Sie starrte mich mit gefletschten Zähnen an.
„Geht’s noch du kleines Miststück?! Du hast Daiki geschlagen!“, bellte sie und kam wieder auf mich zu. Schützend hob ich die Arme vor mein Gesicht, doch bevor sie auf mich eintreten konnte, vernahmen wir Ryos Stimme hinter uns.
„Lucia?!“ In seiner Schuluniform kam er angelaufen und hob mich vor den Augen der anderen hoch. Er hielt meine Hände und sah mich prüfend an, bevor er sich den anderen zuwandte, die sich zusammengekuschelt hatten und wieder tuschelten. Daiki war in ihrer Mitte und heulte immer noch rum. „Was habt ihr mit ihr gemacht?! Was tut ihr hier?!“
Sie sahen ihn feindselig an. Daiki trat vor, er hatte ein Taschentuch an seine Nase gepresst. Klagend zeigte er auf mich.
„Diese kleine Göre hat mir meine Nase gebrochen!“ Seine Stimme war schrill und ich hätte gelacht, wäre ich nicht so sauer.
„Das hast du auch verdient du bescheuerter Ar-!“
„Lucia du hast ihn geschlagen?“, unterbrach mich Ryo entgeistert. Wütend wandte ich mich an ihn.
„Wie soll ich mich denn zurückhalten, wenn er mich so aufregt!“, verteidigte ich mich und drehte mich wieder zu der Gruppe um. „Und ihr, solltet jetzt besser verschwinden oder ich prügle euch windelweich, glaubt mir, dazu bin ich sehr wohl imstande!“ Seine Freunde wurden unruhig. Daiki starrte Ryo mit einem gehässigen Blick an:
„Kaneko du solltest mal langsam zur Sache kommen, dein kleiner Geldautomat könnte in Schwierigkeiten kommen, wenn sie weiter ihre Klappe so aufreißt. Und ich werde nicht mehr lange warten können!“ Und so drehte er sich um und pfiff seine Freunde hinterher, die Ryo und mich böse anfunkelten. Verwirrt sah ich zu Ryo der erstarrt war.
„Meinte er mit ‚Geldautomat‘ mich?“ Ryo schluckte und seine Augen sahen umher, nur nicht zu mir. Er zuckte mit den Schultern und ging eilig zu seinem Motorrad.
„Lucia, wir sollten uns beeilen, der Unterricht beginnt gleich.“, murmelte er nur zerstreut, doch ich stellte mich nur vor sein Steuer und sah ihn prüfend an. Lange hielt er meinem Blick nicht stand und seufzte verzweifelt auf. „Lucia bitte, denk nicht weiter drüber nach. Daiki redet nur Mist.“
„Ich will wissen was er damit gemeint hat. Wieso nennt er mich ‚Geldautomat‘ und was meint er mit ‚zur Sache kommen‘ und worauf wartet er überhaupt?“, meine Stimme war sehr leise und ruhig, doch er erkannte das gefährliche Funkeln in meinen Augen und presste die Lippen aufeinander. Eine Sekunde später hatte er einen arroganten Gesichtsausdruck aufgesetzt und sah mich an, wie der eingebildete Ryo Kaneko, den ich hasste.
„Das geht dich nichts an. Du stellst ziemlich viele Fragen und das ist echt nervig.“
>Der redet ja wie ’n Mafiaboss? Gleich zückt er seine Waffe und schießt mir in den Kopf?!<
Mich ließ er völlig kalt, ich beugte mich vor und sah ihm mit all meiner Fesselungskunst an.
„Es geht mich sehr wohl was an und wenn du nicht sofort damit aufhörst mich für blöd zu verkaufen, scheuer ich dir eine, dass dir hören und sehen vergeht.“, zischte ich und sah mit Genugtuung, wie er sich auf die Lippe biss und seine Augen unsicher zuckten. „Raus damit.“
Er stöhnte auf und massierte sich die Schläfen.
>Ha! Geknackt!<
„Ich…Also ich hab Schulden bei Daiki.“ Seine Stimme war belegt und er schien sich dafür zu schämen. Ich kreuzte die Arme vor der Brust und hob die Augenbrauen. „Keine Ahnung wie das passieren konnte, wir waren halt am Pokern und da hat es sich hochgesteigert und ich hab den Überblick verloren, die Nacht war wild gewesen, wir waren alle völlig dicht…Irgendwann am nächsten Tag kam er an und sagte, er wolle sein Geld haben, aber das konnte ich ihm natürlich nicht geben, ich meine das ist ein Haufen Schotter!“ Frustriert hob er die Arme und ließ sie in seinen Schoß fallen. Er sah elend aus. Ich konnte nicht anders als ihn zu bemitleiden. Irgendwie mochte ich ihn schon und dass er Schulden bei dem Dreckskerl Daiki hatte, hörte sich wirklich nicht gut an. Ryo redete weiter: „Ich hab ihm gesagt, ich bräuchte Zeit um das Geld aufzutreiben, da machte er ein Spiel daraus…und ich willigte ein, weil ich noch keine Ahnung hatte was er von mir wollte und ich verzweifelt war…“
Langsam bekam ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich wollte mir nicht etwas zusammenreimen, doch es kamen Bilder hoch und die Puzzleteile vereinten sich. Er sah mich an und ich sah ihm an, dass es ihm leidtat. Aber was tat ihm leid, fragte ich mich mit einer dumpfen Vorahnung.
„Lucia ich weiß nicht, wie ich es wiedergutmachen kann…-!“
„Ryo sag es einfach.“, unterbrach ich ihn mit monotoner Stimme. Zwar wollte ich es nicht hören und am liebsten wäre ich weggelaufen, doch die Wahrheit erschien mir als sehr wichtig. Ich wollte nicht, aber ich musste es wissen.
„Daiki hat gesagt, er würde die Summe um die Hälfte verringern…wenn ich seine Bedingungen erfülle.“ Ich kam ins Schwitzen und mein Atem ging ein wenig schneller. Ruhig sah er mir in die Augen. „Er sagte, dass es ein Mädchen in der Stufe unter uns gebe namens Lucia Pierce.“ Meine Augen weiteten sich. Nein, das sollte doch wohl ein Scherz sein. „Ich sollte vor der ganzen Schule bekanntgeben, dass ich mit dir zusammen wäre. Ich habe meiner Schwester gesagt, ich wäre mit dir zusammen, als ein Freund von ihr bei uns war und von dem ich wusste, er wäre eine Tratschtante…So verbreitete sich das Gerücht wir wären zusammen…“
„Du Arschloch…“, flüsterte ich benommen und konnte mich nicht bewegen. „Ich hab gewusst, dass da was dahintersteckt ehrlich gesagt. Ich meine, einer der belebtesten Schüler kann doch nicht plötzlich auftauchen und mich bitten seine Freundin zu sein?“ Er senkte den Kopf. „Los weiter. Was war danach?“, wollte ich wissen. Er seufzte tief und ließ den Kopf noch immer hängen.
„Hier kommt der schlimmste Teil…ich hab versucht das Geld aufzutreiben, hab aber nur die Hälfte der Hälfte zusammenbekommen, da sagte er-! Das kann ich dir nicht erzählen Lucia, ich mache es sowieso nicht.“ Er sah mich entschlossen an. „Was kann er denn schon machen? Es ist vorbei ok?“
„Warum wollte er eigentlich, dass du genau mich nimmst?“, ich bemerkte nicht, dass der Satz zweideutig war und auf die zweite Bedingung zutraf, weswegen Ryo die Zähne zusammenbiss und wegsah.
„Er hat etwas über deine Eltern gesagt. Sein Vater arbeitet in einer Firma und die Firma deiner Eltern habe eine Partnerschaft mit ihm ausgeschlossen. Hat wohl irgendwas mit Rache zu tun.“
„Ryo?“
Er sah mich betroffen an: „Lucia ich sage dir nicht was die zweite Bedingung war. Es ist bescheuert und…unmöglich und abartig und…nein, nein Lucia. Komm lass uns bitte gehen, wir kommen zu spät.“
Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken ihm mit Prügel zu drohen, doch dann sah ich seinen flehentlichen Gesichtsausdruck und nickte schließlich. Dankbar sah er mich an, nahm meine Hand und zog mich an sich. Schmetterlinge flogen in meinem Magen umher, als wir eng umschlungen dastanden. Auch wenn ich diese Frage vielleicht bereuen würde, musste ich sie stellen: „Ryo?“
„Hm?“, machte er und ließ mich los. Seine Hände waren an meinen Hüften und sein Blick war so süß. Ich hoffte, dass ich bei seiner Antwort nicht allzu enttäuscht aussehen würde…
„Also…das mit dem Kuss…war das-?“, ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen, doch Ryo verstand auf Anhieb. Er biss sich auf die Lippe und schüttelte langsam den Kopf. Was sollte das heißen? War der Kuss denn ernst gemeint gewesen oder nicht? Fragend sah ich ihn an und er lächelte leicht. „Lucia…ich hab dich geküsst, weil ich es im Gefühl hatte, ich…wollte es.“ Er sah mich an und ich konnte keine Lüge erkennen. Erfreut strahlte ich ihn an, was er erwiderte und wieder überraschte er mich, indem er mich an sich zog und mir tief in die Augen sah. Seine rechte Hand legte er an meinen Nacken, die linke schlang er um meine Hüfte. Automatisch legte ich ihm meine Hände an die Brust. Lächelnd nahm er meine Hände und legte sie ihm auf die Schultern.
„Sonst bist du doch auch nicht so schüchtern?“, raunte er und ein angenehmes Kribbeln machte sich in mir breit. Als er sich auf die Lippe biss, konnte ich nicht anders als mich zu ihm zu beugen und ihn zu küssen. Dieser Kuss war viel schöner als unser erster. Sanft öffnete er seine Lippen und ich passte mich ihm an. Der Kuss war sehr lang und er gefiel mir ausgesprochen, denn Ryo zog mich enger an sich, als es schon war und intensivierte unseren Kuss damit noch. Völlig außer Atem unterbrachen wir unseren wunderschönen Kuss.
„Wow, du bist ja ein Naturtalent…“, flüsterte Ryo breit grinsend. Ich lachte.
„Tja, da gibt’s Sachen, die ich selbst noch nicht mal von mir wusste.“ Wir lösten uns voneinander und er klopfte hinter sich.
„Ich bin froh, dass du mich nicht gleich zusammengeschlagen hast, wenn ich gewusst hätte, dass es so ausgeht, hätte ich gar keine Schuldgefühle haben brauchen.“ Ich setzte mich hinter ihn und schlang die Arme um seine Mitte.
„Aber hättest du keine Schuldgefühle gehabt, wäre es nicht zu diesem Ende gekommen.“, entgegnete ich und lachend gab er Gas.
Wir fuhren über den Parkplatz der Schule und ich stellte erfreut fest, dass uns dieses Mal niemand begaffte. Jeder ging seinen eigenen Beschäftigungen nach und keiner tuschelte wenn wir an ihnen vorbeifuhren. Ryo verlangsamte das Tempo und blieb neben einem Fahrradständer stehen an dem kein Fahrrad angeschlossen war. Ich stieg aus und strich mir schnell über die Klamotten.
„Ich geh dann mal.“, sagte ich kurz angebunden, doch Ryo hielt mich am Handgelenk fest und zog mich zurück. Er lächelte verwirrt.
„Wieso denn so eilig?“
„Ähm. Ich dachte wir sind in der Schule nicht das typische Paar, das war doch der Deal?“ Ryo lockerte seinen Griff und runzelte die Stirn. Er sah aus, als wäre ihm das neu. „Ryo was-?“ Ich wollte ihn fragen, ob er damit ein Problem hatte, doch das wurde mir beantwortet, als er mich näher an sich zog und seine Lippen auf meine presste. Ja, er hatte ein Problem damit, dachte ich glücklich und grinste an seinen Lippen. Er löste sich von mir und sah mich grimmig an.
„Lucia, die Dinge haben sich geändert. Mittlerweile will ich wirklich mit dir zusammen sein und damit platzt der Deal!“ Ich kicherte nervös und versuchte dieses wunderbare Glücksgefühl zu unterdrücken, denn sonst wäre ich ihm schreiend um den Hals gefallen. Er lächelte wieder und strich mir über die Wange. „Komm schon, wir haben nur noch eine Minute.“ Er legte mir den Arm um die Schultern und zog mich mit Richtung Schulgebäude. Jetzt wo wir wirklich wie ein Paar aussahen, starrten die anderen wieder. Ich lief rot an und senkte den Blick, Ryo seufzte und schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Ich frag mich, weshalb die das so interessant finden?“, murmelte ich und Ryo machte einen zustimmenden Laut.
„Lucia!“
Wir gingen weiter, ohne etwas gehört zu haben.
„Lucia! Lucia bleib stehen!“, rief jemand hinter uns über den Schulhof und wir drehten uns um. Kira und Aimee kamen zu uns gelaufen und blieben außer Atem stehen. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus und wir sahen uns verlegen an. Ryo seufzte und ließ mich los.
„Ich geh dann ma rein. Wir sehen uns.“, verabschiedete er sich, winkte Aimee und Kira und gab mir einen Kuss auf die Wange, woraufhin ich noch röter anlief als ich schon war. Aimee und Kira starrten ihm hinterher und sahen dann mich an.
„Was denn?! Wenn ihr mich wieder runtermachen wollt, dann los!“, zischte ich wütend. „Ihr versteht sowieso nicht was wirklich los ist, ich hätte euch alles erklärt, hättet ihr mir nur eine Chance gelassen. Ich weiß ihr seid verletzt, aber es ist wirklich nicht so wie es aussieht! Oder war nicht so wie es aussah…“, sprudelte es nur so aus mir raus und Aimee und Kira sahen sich kurz an. Den Blick konnte ich nicht definieren, doch es sah nicht aus, als wären sie sehr sauer auf mich. Unsicher wartete ich darauf, dass sie etwas sagten. Dann sah ich nur noch, wie sie auf mich losstürmten und mich gleichzeitig drückten. Völlig überrumpelt hielt ich die beiden fest und hörte wie sie schnieften und lachten. Auch mir kamen die Tränen und ich fing an zu flennen. Viele unserer Mitschüler warfen uns Blicke zu, als wären wir krank. Mir war es egal, ich hatte wieder meine besten Freundinnen im Arm!
„Oh Gott Lucia, tut uns leid, dass wir dir böse waren, wir waren einfach so sauer und wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten!“, entschuldigte sich Aimee abermals.
„Wir haben dich so vermisst! Und als du dann gestern in der Schule abgehauen bist, haben wir uns richtig Sorgen gemacht.“, warf Kira ein. Ich ließ sie los und strahlte sie an.
„Leute es tut so gut, euch wieder bei mir zu haben!“
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Nach unserer tränenreichen Vereinigung hatte es zur Stunde geklingelt und wir hatten uns beeilt um in den Unterricht zu kommen. Ich war so glücklich, dass ich mich kaum auf den Unterricht konzentrieren konnte. Ich hatte eine Beziehung mit einem beliebten Jungen, der mich gern hatte, mit meinen besten Freunden war auch wieder alles im Butter-? Was wollte man mehr?
„Lucia-kun würdest du den Satz vorlesen und ihn übersetzen?“, rief mich mein Sensei auf und gehorsam stand ich auf und nahm mein Buch in die Hand. Leider hatte ich keine Ahnung wo wir waren und biss die Zähne zusammen. „Nächste Mal passt du hoffentlich besser auf!“, ermahnte er mich und mit leuchtenden Wangen setzte ich mich wieder.
>Oh man peinlich…<
Die restliche Stunde wurde ich noch öfter aufgerufen, doch ich hatte aufgepasst und konnte jedes Mal richtig antworten. Es klingelte und ich atmete erleichtert aus. Unser Sensei hatte gerade etwas gefragt, worauf ich keine Antwort wusste und hatte mich gerade drannehmen wollen. Aimee und Kira waren sofort bei mir und setzten sich auf meinen Tisch, wie sie es immer getan hatten, bevor wir uns ‚gestritten‘ hatten.
„So und jetzt erklärst du uns alles.“
„Wir wollen alles wissen.“, forderte sie mich auf, doch ich konnte ihnen nicht antworten, da so viele Zuhörer hier waren. Entschuldigend sah ich sie an.
„Könnt ihr nicht nach der Schule zu mir kommen und ich erzähle euch dann alles, da haben wir unsere Ruhe und wir können uns im Garten sonnen?“, machte ich das verlockende Angebot und sie nickten zustimmend.
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„-Tja und jetzt…sind wir wirklich zusammen.“, beendete ich meine Geschichte. Beide –Aimee und Kira- hatten mir aufmerksam zugehört, während wir unter unserem Pavillon im Garten gesessen und Limonade getrunken hatten. Sie starrten mich mit offenen Mündern an und machten gleichzeitig ein langgezogenes:
„Wooooooow?!“
Ich nickte und nippte an meinem eiskalten Getränk.
„Jetzt fühl ich mich ja richtig blöd…wir hätten wirklich nicht so voreilig handeln sollen Lucia. Tut uns echt leid.“, murmelte Aimee betroffen. Kira nickte. Ich seufzte und lächelte die beiden an.
„Ist doch jetzt egal. Das ist Schnee von gestern! Ich bin nur froh, dass ich euch jetzt alles erzählen konnte und ihr mich versteht.“ Sie lächelten noch immer ein wenig geknickt, also wechselte ich das Thema. Bei dem Gedanken an Ryo wurde ich hibbelig. „Also Ryo Kaneko Mädels.“, sagte ich nur und die beiden kicherten.
„Wie ist er eigentlich so?“, fragte Kira eifrig. Genau wie ich damals, hatten sie Vorurteile ihm gegenüber und mochten ihn eigentlich nicht.
„Er ist wirklich toll! Er ist nett, witzig und er küsst so gut…“ Meine Schwärmereien dauerten noch eine Weile an, doch Kira und Aimee konnten gar nicht genug davon bekommen und hingen an meinen Lippen.
„Kommen wir nochmal zurück zum Kuss…alsooo…wie weit seid ihr gegangen?“ Aimee zwinkerte geheimnisvoll und verschluckte mich. Wir lachten, bis sie dann wieder darauf zu sprechen kam.
„Der erste Kuss war ganz normal, ohne irgendwas Besonderes. Der zweite war heute Morgen vor der Schule, wisst ihr nachdem Daiki und seine Vollidioten gekommen waren.“ Aimee und Kira verzogen finster die Gesichter. Ich hatte ihnen auch von ihm erzählt und sie fanden das was er abgezogen hatte gar nicht gut.
„Und was habt ihr da gemacht, wenn ich fragen darf?“, erschreckte uns die Stimme meiner Mutter hinter uns. Die Terrassentür war offen gewesen und sie hatte uns belauscht. Sofort lief ich rot an und sah hilfesuchend zu meinen Freundinnen, die ebenfalls rot angelaufen waren. Mom kam über die Terrasse zu uns und sah mich streng an. Ihre Augen loderten. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein. „Lucia Pierce, du bist 16 Jahre alt und-!“
„Mom! Mom, es war nur ein Kuss, nichts weiter glaub mir!“, unterbrach ich sie und stand auf. Aimee und Kira standen ebenfalls auf und machten sich still und heimlich aus dem Staub. Fassungslos sah ich ihnen hinterher, als sie mir schnell winkten und ins Haus verschwanden. Meine Mutter setzte sich neben mich und atmete tief ein, um dann die angehaltene Luft mit einem Seufzer auszulassen. Ich setzte mich wieder und sah auf meine Hände.
„Ich freue mich, dass wieder alles mit deinen Freunden gut ist.“, sagte sie und ich sah, dass sie eigentlich über etwas anderes reden wollte. Ich nickte stumm. Sie seufzte wieder. „Du hast mir doch von diesem Gerücht erzählt? Geht es immer noch herum?“
„Also nicht wirklich…weil es…jetzt mittlerweile...chrm…stimmt.“, brachte ich stotternd raus und Mom sagte nichts. Sie nahm mein Limonadenglas und trank daraus. Dann zog sie ihren dünnen khakifarbenen Blazer aus und nahm das bunte Tuch von ihrem Hals, das sie sich als Accessoire umgebunden hatte. Sie nahm ein Haargummi von ihrem Handgelenk und band sich die schulterlangen Haare zu einem kurzen Pferdeschwanz. Schweigend sah ich ihr dabei zu und wartete auf den Vulkanausbruch, doch der kam nicht.
„Lucia…“, begann sie leise und sah mich dann besorgt an. „Ich werde dir keinen Vortrag darüber vorhalten, dass du zu jung für eine Beziehung bist, aber ich möchte, dass du mir es wenigstens erzählst…ich weiß, dass wir manchmal zu streng zu dir sind, aber wir sind immer noch deine Eltern und haben dich lieb. Ich würde mich freuen, wenn du mir manchmal von deinem Alltag erzählst und…dass du einen Freund hast, hätte ich auch gern schon vorher gewusst.“ Ich biss mir auf die Lippe und nickte.
„Ok Mom, tut mir leid, dass ich mich von euch abschotte, aber in letzter Zeit habt ihr mich echt oft unter Druck gesetzt, da dachte ich Abstand täte gut.“
Sie lächelte mich dankbar an und nahm mich in den Arm. Es war sehr schön von seiner Mutter umarmt zu werden. Man fühlte sie geborgen, sicher und geliebt.
„Und jetzt erzählst du mir mal von meinem zukünftigen Schwiegersohn.“
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„Mom!“, stöhnte ich auf und löste mich von ihr. Meine Mutter lachte.
„Also ist es der mit dem Gerücht?“
„Ja…er heißt Ryo Kaneko.“, gab ich zu und hatte einen sehnsüchtigen Blick in die Leere aufgesetzt ohne es zu merken. Mom verstand und wurde vorsichtig.
„Ist es eigentlich etwas…Ernstes?“, fragte sie unsicher und holte mich aus meinen Träumereien raus. Ich rutschte verlegen auf meinem Stuhl herum.
„Ich glaub schon…“
„Hm…“
„Was hm?!“ Meine Stimme wurde leiser und höher, eine dumme Angewohnheit, wenn man nervös war und unbedingt wollte, dass das Thema gewechselt wurde. Mom seufzte und lehnte sich zurück.
„Pass bitte auf dich auf ja?“, fragte sie nur, warf mir einen besorgten Blick zu und ging einfach. Verdattert saß ich da und starrte ihr hinterher.
>Das war’s? Echt jetzt?<
Ein ungläubiges Lachen entfuhr mir und ich stand auf, um die Gläser wegzuräumen, als ich ein ganz komisches Gefühl bekam und vor Überraschung das Tablett fallen ließ auf dem ich die Gläser gerade aufgereiht hatte. Ich erstarrte, als ich eine dunkle Aura spürte, die aus der Zwischenwelt kam. Mom kam bestürzt raus und sah mit Entsetzen die Glasscherben die um mich herum verteilt waren. Ich konnte nicht zögern, ich musste hingehen. Auch wenn meine Mutter es nicht verstehen würde. Ich lief zu ihr, packte sie an den Schultern (Wir waren mittlerweile gleichgroß) und sah ihr scharf in die Augen.
„Mom ich muss jetzt gehen, ich hab etwas sehr wichtiges zu erledigen ok?!“
„A-aber Lucia, was ist denn los?“, fragte sie verwirrt, doch ich schüttelte nur den Kopf und eilte mit großen Schritten auf den Zaun zu. „Wo gehst du hin?!“
„Mom, vertrau mir bitte, ich werde dir alles erklären! Bitte!“, rief ich über die Schulter und schlüpfte durch das Loch. Nachdem ich außer Sicht meiner Mom war, sprintete ich los. Meine Füße flogen fast schon und ich fragte mich was es mit dieser dunklen Aura auf sich hatte. Wurde das Dorf angegriffen?! War ein großer Dämon im Wald? Wie ging es den Dorfbewohnern? Den Kindern? Ging es Grandma gut? Ging es…ging es Takuto gut?! Ich schluckte hart, als mir Takuto wieder einfiel. Ich hatte nicht mehr an ihn gedacht, nachdem Ryo betrunken bei mi Zuhause aufgetaucht war…Wie sollte ich ihm begegnen? War er vielleicht sauer auf mich oder auf sich selbst? Fragen um Fragen und ich hatte keine Zeit mehr sie zu beantworten. Ich rannte und kam an der Lichtung an, ich hielt nicht an und lief über die ganze Lichtung auf die Barriere zu. Gerade als ich die Barriere passiert hatte, stieß ich hart gegen jemandes Brust und fiel rücklings zu Boden. Benommen sah ich hoch und sah Takuto, der mich wütend und auch sehr…sehr kalt ansah. Seine Augen hatten einen harten Ausdruck angenommen und sein Mund war verzogen, als hätte er mich hier nicht zu gebrauchen.
„Das Dorf wurde angegriffen. Deine Großmutter versorgt die Verletzten und wir fragen uns schon die ganze Zeit wo du bleibst! Komm jetzt!“, seine monotone und in eisgetränkte Stimme verletzte mich ungemein. Er zog mich unsanft hoch, warf mich auf seinen Rücken und lief los. Ich musste mich mit eigener Kraft an ihm festklammern, damit ich nicht stürzte, denn er hielt nur meine Arme über seine Schultern.
>Was ist nur los mit ihm?!<
Ich begriff noch gar nicht, was passiert war. Takuto hielt an und ich rutschte ab. Er war ein wenig abseits zum Stehen gekommen und wir konnten das ganze Dorf sehen. Geschockt sah ich, wie Menschen umherliefen, Wasser zu den noch brennenden Überresten des Dorfes brachten und Verletzte, alte und kleine Kinder auf dem Boden saßen oder lagen und von einigen Helfern versorgt wurden. Ohne auf Takuto zu achten, der heute wahrscheinlich sowieso einen schlechten Tag zu haben schien, lief ich den Weg hinunter auf das Dorf zu. Sofort kniete ich mich neben ein kleines Mädchen, dessen Stirn blutete.
„Kleines, tut es noch sehr weh?“, fragte ich und versuchte die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Sie nickte und weinte. Ich sah mich um und suchte nach etwas, damit ich ihre Wunde säubern konnte, doch hier gab es nichts. Also riss ich ohne groß zu überlegen ein Stück Stoff meiner Bluse ab, lief zu einem Eimer Wasser, das auf dem Weg herumstand und nahm es mit zu dem Mädchen. Um mich herum weinten und riefen Leute umher, manche riefen auch meinen Namen, doch ich achtete auf keinen von ihnen. Vor mir sah ich nur noch das kleine Mädchen das weinte und Schmerzen zu haben schien. Ich tauchte das Stück Stoff ins Wasser und tupfte ihre Wunde vorsichtig sauber. Es blutete zwar nicht mehr so sehr, doch die Wunde war groß und musste verbunden werden. „Was ist passiert?“, flüsterte ich mit erstickter Stimme und das Mädchen sah mich mit großen Augen an.
„Neechan wir wurden von einem Feuerdämon angegriffen. Ich wollte aus der Hütte laufen, als mich ein Balken am Kopf traf. Unser Haus hatte gebrannt und ich war nicht schnell genug gewesen. Vater kam um mich zu retten und hat es geschafft! Aber er hatte schwere Verbrennungen und die alte Miko verarztet ihn gerade.“, antwortete sie und strich mir über die Hand. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und versuchte sie anzulächeln. Wahrscheinlich sah es aus, wie eine gruselige Grimasse…
„Alles wird wieder gut, Miko Pérenell wird deinen Vater bestimmt wieder auf Vordermann bringen.“, versicherte ich ihr mit zittriger Stimme und stand auf. Fahrig sah ich mich um und schaltete ab. Ich ging noch zu vielen anderen Dorfbewohner und versuchte zu helfen wo ich nur konnte. Irgendwann hörte und sagte ich nichts mehr und half den Leuten stumm. Ich war nicht in der Lage etwas zu erwidern und rannte in Trance durch die Gegend. Mit einem Mal erwachte ich und sah mich um. Obwohl ich so viel getan hatte, sah es noch immer aus, wie vorher. Alles lag in Trümmern…der Anblick der Menschen machte mich völlig fertig und ich bekam keine Luft mehr. Ich fing n zu hyperventilieren und lief davon.
>Lauf weg hier! Du bekommst keine Luft- Lauf!<
Mein Blick verschwamm und mein Atem ging immer flacher und schneller. Ich rannte weiter und schluchzte auf. Ich blinzelte heftig und starrte auf den Kirschbaum vor mir. Dieser Kirschbaum war wenigstens verblieben. Wieder durchzuckte mich ein Heulkrampf und ich sackte zu Boden. Ich weinte mir die Seele aus dem Leib. Wie konnte man so viel Leid erleben? Es war schrecklich! Gestern noch waren diese Menschen fröhlich und glücklich gewesen, alles war schön und gut, wie konnte es sein, dass dieses Glück von einer Sekunde auf die andere ausgelöscht werden konnte?!
„Lucia…“, flüsterte eine Stimme hinter mir. Ich ignorierte sie und weinte bitterlich weiter. Ich spürte, wie die Person sich näherte. Dann stand er vor mir, kniete sich vor mich und zog mich schweigend in seine Arme. Es war Takuto.
„Takuto…“, schluchzte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. „Wie konnte das passieren?“
„Es ist nicht deine Schuld.“ Seine Antwort war sanft, anders als ich erwartet hatte. So langsam beruhigte ich mich, auch wenn ich noch immer weinte und zitterte. Takuto strich mir über den Rücken, was mir einen wohligen Schauer bereitete.
„Wieso warst du so sauer auf mich?“ Meine Frage kam nach einer sehr langen Stille. Er seufzte, antwortete aber nicht. Ich schniefte und löste mich von ihm. Seine Arme rutschten vor mir ab und fielen ihm lose auf den Schoß. Da er mich nicht ansah, wischte ich mir über das Gesicht und ließ ihm Zeit. Sein Gesicht sah angespannt aus und er knirschte mit den Zähnen. „Kommt da noch eine Antwort?“
„Ich wusste nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte…“, murmelte er, wurde rot und sah auf seine Hände. Nun war es an mir zu seufzen.
„Wegen dem…ähm…Abschied letztens?“
„Ja.“
„Hm…“
„Ich kann Katára nicht vergessen, sonst-!“
Verunsichert sah ich zu ihm und beugte mich zu ihm heran, als er mich noch immer nicht ansah. Er schluckte und sah finster zu Boden.
„Sieh mich an.“, flüsterte ich heiser und mein Körper ging in Flammen auf, als er es tat. „Du musst sie ja nicht vergessen…“, sagte ich weiter und stützte meine Hände auf dem Boden ab, um mich noch weiter zu ihm zu beugen. Sein Atem ging nun schneller, er wich mir nicht aus. Die letzten Zentimeter standen wir beide unter Strom und als sich unsere Lippen endlich berührten, war es wie ein angenehmer Stromschlag. Sofort legte er seine Hände an meine Hüften und zog mich an sich, sodass ich auf seinem Schoß saß. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und presste mich an ihn. Ich wollte auf gar keinen Fall aufhören, doch den Umständen entsprechend mussten wir das. Langsam lösten wir uns voneinander. Als ich die Augen aufschlug sah ich in violette, weit aufgerissene Augen. Takuto nahm meine Arme von seinen Schulter und stand hastig auf. Ich plumpste auf den Boden und sah ihn verwirrt an.
„Lucia das hätte ich nicht-!? Das war falsch.“, stotterte er und vermied es mich anzusehen.
„Aber Takuto-?“, flüsterte ich gerade, doch er war verschwunden. Ich starrte auf die Stelle an der er zuletzt gestanden hatte und atmete zittrig ein. Wieso war er gegangen? Warum hatte er gesagt, dass es falsch war? Mochte er mich nicht?
>Du Dumpfbacke, natürlich mag er dich nicht, nicht mal du kannst ihn leiden!<
Ich schüttelte den Kopf und berührte geistesabwesend meine Lippen. Doch, flüsterte meine innere Stimme, doch ich kann ihn leiden…vielleicht sogar mehr als ich mir zugestand…
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Nach einer Weile fand mich meine Grandma auf dem Hügel. Ich hatte mich nicht einen Zentimeter gerührt, seid Takuto verschwunden war.
„Lucia, was ist mit dir?“, fragte sie bestürzt, kniete sich neben mich und schüttelte mich leicht. Mit leeren Augen sah ich sie an und zuckte mit den Schultern. Was sollte ich ihr denn antworten? Dass ich Takuto geküsst hatte? Dass ich mich vielleicht sogar in ihn verliebt hatte? Aber das konnte ich nicht, sie standen sich zu nahe, was würde sie denn denken? Eine Miko durfte keine Gefühle entwickeln wie ich sie hatte. Sie wollte weiterfragen, doch ein ungeheuerliches, donnerndes Geräusch unterbrach sie. Entsetzt stand sie auf und starrte hinter mich. Auch ich folgte ihrem Blick und erstarrte. Hoch im Himmel flog etwas Riesiges im Kreis. Es war lang wie eine Schlange, große Flügel hielten ihn in der Luft und sein riesiger breiter Kopf war mir Zacken versehen, mit denen er mit Leichtigkeit Wolkenkratzer rammen und zu Sturz bringen konnte. Sein Körper war flammend rot und aus seinen Nüstern flogen Funken. Ein Drache. Ein wahrhaftiger Drache flog gerade über mir…Die Angst stieg in mir hoch, mein ganzer Körper erfror. Ich nahm nur nebenbei wahr, wie Grandma an meinem Arm zog. „LUCIA LAUF!“, rief sie mit gebieterischer Stimme und ich tat wie geheißen. Ich lief ins Dorf, die Menschen sahen mich ängstlich an. Ich wedelte mit den Armen.
„LAUFT! Bringt euch in Sicherheit!“, schrie ich und sah ein kleines Kind mitten auf dem Platz stehen und weinen. Niemand half ihm, also sprintete ich los. Hinter mir hörte ich wieder dieses Donnern und verstand nun was es war: Das Brüllen des Drachen. Auch hörte ich Grandmas Stimme:
„Takuto hilf den Dorfbewohnern!“
Ich wollte mich umdrehen und sehen wo Takuto steckte, doch mir blieb keine Zeit, denn als Grandma rief, dass der Drache näherkam, fixierte ich mich auf das kleine Kind. Ich musste es hier wegbringen! Je näher ich kam, desto besser konnte ich sehen, weshalb das Kind nicht einfach lief. Sein Bein war verbunden und ich vermutete dass es gebrochen war. Ich kam bei ihm an und nahm es in meine Arme. Ich schätzte den Kleinen auf 5 oder 6. Er klammerte sich an mich und weinte weiter.
„Keine Angst, ich bin ja da!“, flüsterte ich beruhigend und lief weiter. Hinter mir hörte ich Rufe und entsetztes Geschrei.
„Lucia-Chan!“
„Lucia-Chan!“
„Lucia!“ Takutos Stimme war die, die mich aufhorchen ließ. Ich spürte eine starke dunkle Aura direkt hinter mir und drehte mich um. Der Drache flog direkt hinter mir und hatte es auf mich abgesehen. Die Menschen liefen weiter weg, einige mutige Männer warfen mit Speeren, doch diese prallte von dem harten Panzer des Drachens ab und richteten so gut wie nichts an. Der Drache landete und der Boden bebte bedrohlich. Ich verlor den Halt und fiel rücklings zu Boden. Den Kleinen hielt ich fest und versuchte ihn mit meinem Körper zu schützen. Ich konnte nicht mehr weglaufen. Das war‘s. Adrenalin pumpte mir durch die Adern und eine erstaunliche Wut legte sich über mich. Der Drache kam mit schweren Schritten auf mich zu. Seine Pfoten waren größer als mein Zimmer und der Kopf selbst war um das Vierfache groß. Die Iris des Drachen war in einem leuchtenden Gelb und er riss das Maul weit auf. Jeder einzelne Zahn war so groß wie ich und tief in seinem Rachen sah ich einen kleinen Schimmer. Dieser wurde immer größer und mir wurde bewusst, dass es Feuer war. Die Kugel die sich bildete wurde größer. Ich schluckte, drehte mich um und kniff die Augen zu. Den Kleinen drückte ich ganz fest an mich und beugte mich ein wenig vor. Ich hatte Angst und brach in Tränen aus, doch die Wut die ich empfand war wirklich merkwürdig. Dieser beschissene Drach konnte mich doch jetzt nicht echt brutzeln oder?!
>Du bescheuerte Riesenechse wirst das ganz sicher nicht machen. Nicht. Mit. Lucia.<
Entschlossen und mit vor Wut bebendem Körper stand ich auf, setzte den Kleinen auf dem Boden ab, drehte mich um und steckte die Arme vor. Ich handelte aus reinem Impuls. Ich sammelte all meine Kräfte, konzentrierte mich und sah dem Dachen in die Augen. Der Feuerball in seinem Maul hatte eine mehr als beträchtliche Größe angenommen, doch ich achtete nicht darauf. Hasserfüllt starrte ich den Drachen an und als ich mich nicht mehr halten konnte schrie ich los:
„DU KACK ECHSE BRUTZELST MICH NICHT!“
Aus meinen Händen schoss ein strahlendweißer Strahl, der dem Drachen direkt ins Maul strahlte. Der Feuerball kam ins wummern, der Strahl wurde immer stärker und eine starke Druckwelle umfasste mich. Meine Haare flogen nur so und nach einer Weile spürte ich nichts mehr außer meinem Wunsch diesen Drachen zu töten und den Kleinen in Sicherheit zu bringen. Das Feuer im Maul des Drachens wurde aufgewirbelt und der Drache geriet ins Wanken. Er war überrascht von meinem Angriff und verstand nicht, weshalb sein Feuerball nicht auf mich abgefeuert wurde. Als er den Feuerball noch einmal abfeuern wollte, beging er damit einen schweren Fehler. Das Feuer wurde zurückgedrängt und die ganze heiße Luft wurde nicht ausgestoßen, sondern in seinen Rachen zurückgedrückt. Er zuckte und ging in Flammen auf. Das Feuer war in seinem Magen und schmerzerfüllt brüllte der Drache. Er schlug mit dem Schwanz unkontrolliert auf den Boden und zerstörte einige verbliebene Hütten. Ich konnte nicht mehr, meine Energie war aufgebraucht. Also ließ ich die Arme sinken, fiel auf die Knie und sah mich nach dem Kleinen um. Dieser weinte noch immer, krabbelte auf mich zu und klammerte sich wieder an mich. Sein kleines Gesicht vergrub er an meiner Brust und erschöpft strich ich ihm über den Kopf. Den Drachen nahm ich nicht mehr wahr, dieser hatte aufgehört sich zu winden und war zusammengesackt. Die Augen waren geschlossen, das Maul weit aufgerissen und der Kopf lag schlaff auf dem Boden. Die Haut an seinem Bauch bewegte sich und wenig später glühte sein ganzer Körper. Die Dorfbewohner starrten uns ungläubig an und kamen nicht näher, aus Angst der Drache könne aufwachen. Das würde aber nicht mehr passieren.
„Lucia?!“, rief eine mir allzu bekannte Stimme und vor mir tauchte ein schöner Engel auf. Ich lächelte zu ihm empor, mit halbgeschlossenen Augen.
„Ah dir geht’s gut…wie geht’s Grandma?“, fragte ich leise. Meine Augen schlossen sich vollends und ich brach zusammen, bevor Takuto auch nur einen Mucks von sich geben konnte.
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Ich drehte mich zur Seite, war eigentlich wach, wollte aber noch weiterschlafen. Ich seufzte wohlig, als ich eine entspanntere Position eingenommen hatte und war gerade dabei wieder einzunicken, als ich ein mir bekanntes Geräusch hörte. Es war ein Winseln, direkt neben meinem Ohr und das hörte sich verdächtig nach meinem kleinen Dämonenäffchen Itchi an. Müde öffnete ich die Augen und sah diesen nah an meinem Gesicht sitzen. Er sah mich mit großen vertrauensvollen Augen an und brachte mich zum Lächeln. Sanft strich ich ihm über das seidige Fell und er ließ seinen Motor an. Zufrieden schnurrend rollte er sich ein und schloss die Augen.
„Du bist wach.“, bemerkte eine sanfte Stimme und ich realisierte meine Umgebung mit reichlicher Verspätung. Ich war in Grandmas Hütte. Nun, was davon übrig war jedenfalls. Die Decke war verschwunden, stattdessen hatte sie (oder jemand anderes) ein Laken über unseren Köpfen ausgebreitet, durch das das Sonnenlicht drang und mich für kurze Zeit blendete. Ich räusperte mich und sah zu meiner Großmutter, die ihre Feuerstelle wieder aufbaute, die zerstört worden war. „Geht es dir gut?“
„Ja.“, krächzte ich und hustete. Dann fiel mir wieder ein, dass ich diesen Drachen erledigt hatte und den kleinen Jungen noch im Arm gehabt hatte. Wo war er?! „Grandma, wo ist der kleine Junge, der-?“
„Ich habe ihn versorgt und zu seinen Eltern gebracht.“, antwortete Grandma kurz angebunden und legte hochkonzentriert ein Feuer. Ich setzte mich auf und strich mir über das Gesicht. „Lucia…“, fing Grandma an, doch sie fand keine Worte und sah nachdenklich ins Feuer. Fragend sah ich sie an.
„Was ist denn Grandma?“
„Nun…Als ich gesehen habe, wie der Drache auf dich zukam, dachte ich du würdest sterben.“ Ihre Stimme war leise und zitterte ein wenig. Schnell rutschte ich zu ihr und nahm ihre Hand in meine. Sie war eiskalt. Besorgt strich ich ihr über die Finger. „Eigentlich hätte Takuto eingreifen sollen, aber er war genauso geschockt wie ich gewesen denke ich. Er macht sich Vorwürfe…“
Takuto machte sich Vorwürfe? Weil er mich nicht gerettet hatte? Ich biss mir auf die Lippe und widerstand der Versuchung hinauszugehen und ihn zu suchen. Grandma sah mich an und redete aufgeregt weiter: „Ich konnte dein Gesicht sehen, als du plötzlich aufgestanden bist und so…entschlossen warst. Als wäre das Kind dein eigenes, hast du es beschützt und wegen ihm den Drachen angegriffen. Lucia ich wusste nicht, wie mächtig du bist…ich bin so stolz auf dich. Du hast einen Jahrhunderte alten starken Feuerdrachen besiegt, das hätte nicht mal ich mit so einer Leichtigkeit geschafft.“ Ihre Augen funkelten und ich sah wie Tränen in ihnen aufstiegen. Geschmeichelt und ein wenig peinlich berührt lächelte ich sie an und umarmte sie fest.
„Ach Grandma…“, seufzte ich und freute mich, dass ich es tatsächlich geschafft hatte. Grandma sagte ich wäre mächtig…ob das gut war?
„Und du hast deine Ausbildung noch nicht einmal richtig begonnen u-und diese Kraft-! Einfach unglaublich!“, sie verhaspelte sich vor Begeisterung und langsam wurde sie immer lauter und fröhlicher. Ich lachte, als sie mich noch einmal in eine feste Umarmung zog und mich schüttelte. Dann ließ sie mich los. „Eines Tages wirst du eine mächtige, weise Miko sein. Glaub mir.“
Zwar lächelte und nickte ich, doch tief in meinem Inneren wusste ich nicht, ob ich das auch wollte. Eine Miko? Ich hatte mich natürlich dazu bereit erklärt die Ausbildung zu beginnen, doch wollte ich das auch wirklich? Meine Verunsicherung machte mir zu schaffen. Das war so eine harte Entscheidung…wie sollte ich es über mich bringen, meine Welt –die Menschenwelt- zu verlassen und hier zu leben? Dieses Ganze pendeln von Welt zu Welt, das war keine Lösung für die Ewigkeit. Das wurde mir langsam klar. Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
„Grandma…Das war bestimmt nur reines Glück. Der Tag war so lang und ich war einfach nur so wütend. Ich hab das alles an dem Drachen ausgelassen…ja und ich hab‘s geschafft ihn zu besiegen, aber woher soll ich wissen ob ich es das nächste Mal wieder schaffe?“ Ich stand auf und ballte die Fäuste. „Dieses Dorf…als ich hergekommen bin und gesehen habe, dass die Menschen in Not sind, da wäre ich beinahe ausgetickt. Ich halte das nicht aus…Ich bin zu schwach. Weißt du…ich denke ich sollte in meine Welt zurückkehren und-?!“
Die Tür wurde aufgerissen und Takuto starrte mich mit einem verärgerten Ausdruck in den Augen an.
„Oh nein!“, sagte er nur und kreuzte die Arme vor der Brust. Verwirrt sah ich ihn an. Was meinte er? Was war mit ihm los?
„Takuto was-?“
„Du wirst nicht zurückkehren. Du wirst nicht aufgeben. Du. Wirst. Eine. Miko. Werden.“ Ich presste die Lippen aufeinander und ertrug das brennende Lodern in seinen Augen mit dem er mich fixierte. Er schien entschlossen mich umzustimmen. „Lucia hör mir zu. Du hast was drauf! Du bist mächtig und klug, also denk genau darüber nach was du tust! Du wirst in dieser Welt gebraucht und das weißt du, ich habe gesehen wie sehr du dich in dieser Welt wohlfühlst und wie sehr dir die…die Menschen hier…“, er nahm sich zusammen und stieß wütend aus: „-Wie sehr dir die Menschen hier ans Herz gewachsen sind! Du bist uns auch ans Herz gewachsen, du kannst uns nicht im Stich lassen Lucia. Das ist deine Bestimmung! Vertraue deinem Herzen. Ich weiß ganz genau dass es dir sagt, dass du dein Leben lieber hier weiterführen würdest.“
Ich senkte den Blick…Stimmte das? War mir dieses Dorf –diese Welt- ans Herz gewachsen? Die Antwort war Ja. Ja ich würde hier liebend gern leben. Ja ich wollte eine Miko werden, aber…
>Aber was? Aber was Lucia? Würdest du mal aufhören alles in Frage zu stellen!?<
„Ich muss darüber nachdenken!“, flüsterte ich, stand auf, schob mich an Takuto vorbei der ausdruckslos an die Wand starrte und lief genau vor eine Menschentraube die sich vor der Hütte versammelt hatte. Alle starrten mich an, dann brach ein riesiges Getöse aus und verschreckt sah ich sie alle an, die freudestrahlend jubelten und mir ihre Dankbarkeit zuriefen. Einige traten hervor, schüttelten meine Hände oder verbeugten sich vor mir. Völlig verwirrt starrte ich sie an und verstand nicht was sie von mir wollten. Irgendwann verlor ich den Überblick, denn ich wurde in ihre Mitte gezogen und sah nur noch hüpfende Körper die einen Kreis um mich geschlossen hatten.
„Lasst sie in Ruhe!“ Seine Stimme übertönte alles und die Dorfbewohner verstummten. Sie drehten sich zu Takuto der auf einem großen Fass stand und auf mich hinabsah. „Lasst sie in Ruhe.“, wiederholte er leise. Ich konnte mich nicht mehr halten und Tränen schossen mir aus den Augen wie Wasserfälle. Verstört drängte ich mich an den Menschen vorbei die mir nachsahen und mein Verhalten nicht verstanden. Ich lief den Weg entlang in den Wald wo mir Itchi folgte. Er rannte neben mir her, den Blick starr nach vorn gerichtet. Ich dankte dem Kleinen von ganzem Herzen dass er mir Gesellschaft leistete und mich beschützen wollte.
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„Lucia was ist los, könntest du mir bitte mal erklären wo du heute warst und was du vorhin gemeint hast?“, rief meine Mutter mir durch die verschlossene Badezimmertür zu. Ich ließ mich weiter in das beruhigende, heiße Wasser gleiten und schloss die Augen.
„Mom bitte lass mir Zeit.“
Sie seufzte tief: „Schatz ich mache mir Sorgen…“ Einen Moment lang wartete sie noch, dann ging sie leise davon. Meine Augen ließ ich noch immer geschlossen und atmete tief durch die Nase ein. Ich sammelte meine Gedanken und betrachtete sie aus allen Blickwinkeln:
Vor vielen Jahren hatten Dämonen die Menschenwelt terrorisiert, da der König Promodros sich mit seiner kranken Frau zurückgezogen hatte. In dieser Zeit hatte ein Dämon eine meiner Vorfahren geschwängert - ob es aus Liebe oder durch Vergewaltigung geschehen war, weiß ich nicht. Wenn ein Dämon und ein Mensch ein Kind bekamen, war es, als würde man an einem Glücksrad drehen, man wusste nicht was aus dem Kind werden würde. Entweder blieb es vollends Menschlich, es wurde zu einem Halbdämon oder (wie in meinem Fall) es war Menschlich, hatte aber besondere Fähigkeiten. In den seltensten Fällen wurde sogar ein vollwertiger Dämon geboren. Wie viele meiner Vorfahren diese Fähigkeiten hatten und was aus ihnen geworden war, weiß ich ebenfalls nicht. Aber ich weiß, dass meine Großmutter davon betroffen ist. Ich vermute, dass meine ganze Familie nur zu Mikos geworden war. Wie Grandma gesagt hatte, wurden wahrscheinlich auch einige Generationen übersprungen wie bei Mom. Tja, dafür hab ich ja die Ehre…
Ich seufzte, wodurch an der Wasseroberfläche Blubberblasen entstanden. Dann hob ich langsam meine Hand und betrachtete den Badeschaum, der von meinen Fingern tropfte.
Da meine Familie viele Generationen lang in Amerika gelebt hatte und erst später wieder nach Japan zurückgekehrt war, wusste keiner von uns von unserer Bestimmung. Grandma wurde von der Zwischenwelt zu sich gerufen und täuschte ihren Tod vor, um dort weiterleben zu können.
Sie hatte es akzeptiert. Ich aber konnte es nicht akzeptieren. Grandma hatte nichts zu verlieren gehabt, ich jedoch ging noch zur Schule, lebte in einer viel moderneren Welt als sie damals, hatte hier meine Freunde und meine Eltern-? Tja meine Eltern…was würde aus ihnen werden? Auf keinen Fall wollte ich meinen Tod vortäuschen, aber es ihnen zu sagen würde dazu führen, dass sie es mir nicht erlauben würden, da war ich mir zu 100% sicher. Wollte ich eigentlich, dass sie es mir erlaubten? Ich hätte einen guten Grund Grandma zu sagen, dass ich nicht dort den Rest meines Lebens verbringen will, dachte ich nachdenklich…Genervt ließ ich meine Hand sinken, was dazu führte, dass das Wasser mir ins Gesicht spritzte. Ich lehnte meinen Kopf an den Wannenrand und starrte an die Decke. Ich erinnerte mich zurück, als ich Takuto aus dem Stein befreit hatte.
>Stimmt, da wäre ja noch Takuto<
Ich riss die Augen auf, als mir einfiel, dass ich doch eigentlich mit Ryo zusammen war! Ich hatte Takuto geküsst…Oh mein Gott…ich war Ryo fremdgegangen…
„Wie konnte ich das nur tun?“, flüsterte ich entsetzt in die Stille. Und warum hatte ich das getan?! Ich mochte Ryo wirklich sehr und vielleicht war ich sogar in ihn verliebt…aber Takuto weckte Gefühle in mir, die ich zuvor nie wahrgenommen hatte. Also hieß das wohl-? Dass ich Takuto auch mochte. Ob er mich auch mochte? Ich erinnerte mich, wie er den Kuss erwidert hatte und wie schön es sich angefühlt hatte, als er mich festgehalten hatte. Er kam nicht über Katára hinweg und er hatte wahrscheinlich Schuldgefühle, weil…
„Oh mein Gott. Weil er mich mag.“, beantwortete ich meine selbstgestellte Frage. Diese ganzen Sticheleien und das Ärgern, das tat er weil er mich mochte und er das nicht gern zeigte. Genau wie ich…
„Lucia?“, fragte Mom wieder vor der Tür und ich erschrak mich zu Tode.
„MOM!“
„Oh bitte entschuldige…Geht es dir gut?“
Ich seufzte und stand auf: „Ich komm gleich raus, dann können wir reden. Versprochen.“
„Ah gut…ich bin im Wohnzimmer.“, sagte sie noch erleichtert und ging. Ich zog den Stöpsel aus dem Abfluss der Badewanne und tapste schnell zur Dusche, um mich mit kaltem Wasser wacher zu kriegen und meine Haare einzuseifen. Als ich fertig war, machte ich noch schnell das Bad sauber und ging mit einem Handtuch-Turban und in ein Handtuch gewickelt ins Wohnzimmer. Mom saß dort und starrte aus dem Fenster. Vor ihr standen zwei große Tassen mit heißer Schokolade.
„Wow Mom du trinkst heiße Schokolade?“, fragte ich mit schwacher Belustigung in der Stimme. Sie drehte sich zu mir und lächelte.
„Eine Tasse wollte ich mir mal wieder gönnen.“ Ich setzte mich neben sie und wurde auch schon von ihr in den Arm genommen. Eng umschlungen saßen wir dort und sagten nichts. Was sollte ich ihr sagen? Die Wahrheit? Alles? Auf die Schnelle konnte ich keine Geschichte erfinden…Ich entscheid mich ihr alles zu erzählen. Ich hatte dieses ganze Versteckspiel satt!
„Mom-!“
„Weißt du Schatz-!“
Wir kicherten und sahen uns schüchtern an. „Fang du an Mom. Meine Geschichte wird ein bisschen länger.“ Sie bedachte mich mit einem irritierten Blick, als ich abwinkte nickte sie:
„Schätzen ich habe mir wirklich extreme Sorgen gemacht als du abgehauen bist. Wo warst du? Wieso bist du weggelaufen? Wir haben doch kurz davor erst darüber geredet-? Du kannst mir vertrauen Liebes?“ Sie beendete ihren kurzen und hastigen Vortrag mit einem verzweifelten Blick. Ich lächelte sie an, ohne zu wissen warum.
„Mom und genau deshalb werde ich es dir jetzt auch erklären…Ich vertraue dir und ich bitte dich, mich nicht zu unterbrechen ok?“ Sie nickte, nachdem sie mir einen prüfenden Blick zugeworfen hatte. Und dann begann ich mit der ganzen Geschichte. Wie ich als kleines Kind auf der Lichtung gespielt hatte und Katára und Takuto gesehen hatte und wie Grandma mir gesagt hatte, ich solle dort nie wieder hingehen (Ich sagte ihr noch nicht, dass Grandma lebte). Ich erzählte ihr von dem Tag an dem ich Takuto befreit hatte und alles was danach geschah. Wie die Zwischenwelt entstanden war, dass unsere Familie aus Mikos bestand und dass ich ebenfalls eine war. Sie hörte mir mit weit aufgerissenen Augen zu und hier und da keuchte sie erschrocken auf (Wie bei der Geschichte mit dem Drachen). Ich endete mit meiner verzwickten Lage.
„Und ich hab keine Ahnung wie ich mich entscheiden soll Mom…Ich liebe mein Leben hier, aber irgendwie kann ich mir ein Leben dort genauso vorstellen.“, endete ich und seufzte tief. „Und außerdem…muss ich dir noch etwas sagen. Es ist wegen Grandma.“ Sie sah mich ängstlich an. Bis jetzt hatte sie keinen Ton herausgebracht. Ich leckte mir über die Lippen und schluckte. „Also…-!?“
„Nein Stopp! Hör auf!“, unterbrach mich Mom eilig und lehnte sich erschöpft zurück. „Das reicht fürs Erste. Alles Weitere kannst du mir ja morgen erzählen…“ Und so stand sie auf und ging ohne ein Wort nach oben. Perplex starrte ich ihr hinterher.
>Öhm…ok?<
Ich gab mich damit zufrieden, dass sie wirklich schon genug zum Verdauen hatte. Außerdem wäre das mit Grandma zu viel gewesen, dachte ich verständnisvoll und stand ebenfalls auf, um ebenfalls in mein Zimmer zu gehen. Träge zog ich mich an und legte mich anschließend mit halbwegs trockenen Haaren ins Bett.
„Und was jetzt?“, fragte ich mich mit einer Trauer in der Stimme die mir selbst Fremd war. Was sollte ich tun? Nicht nur gab es das Problem mit meinem ‚Schicksal‘ eine Miko zu werden, auch gab es das Problem mit Takuto und Ryo. Beide hatten ihren eigenen Charakter den ich sehr schätzte und mochte. Musste ich mich auch bei der Männerwahl entscheiden? Wieso drehte sich alles um Entscheidungen? Ich fühlte mich so verloren! Mein Magen schmerzte und mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren, wenn ich an meine ganzen Probleme dachte. Frustriert seufzte ich und drehte mich auf die Seite.
>Vergiss es fürs Erste. Morgen geht’s zwar wieder los, aber für heute machst du mal lieber Schluss. Genau wie Mom gesagt hat. Wir beide hatten unsere Grenzen für heute erreicht.<
Am nächsten Morgen kam Mom nicht aus ihrem Zimmer.
>Vielleicht hat sie ja frei…<
Ich machte mir mein Frühstück und aß im Stehen, während ich mich kritisch im Spiegel betrachtete. Ich sah mitgenommen aus und unausgeschlafen. Dunkle Augenringe hatten sich unter meinen Augen gebildet, aber ich hatte sie zum Glück mit etwas Make Up kaschieren können. Ich seufzte und bemerkte selbst, dass das ganze Chaos das in meinem Inneren wütete, sich in meinen Augen wiederspiegelte. Es klingelte an der Haustür.
„Guten Mor-! Lucia du siehst ja total fertig aus.“, begrüßte mich Ryo verwundert. Bei seinem Anblick wurde mir schwer ums Herz und ich musste den Kloß im Hals runterschlucken. Er sah mich besorgt an und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange. Ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, ließ es dann aber doch. Ich konnte niemandem etwas vormachen! Ich war wirklich fix und fertig…
„Morgen.“, nuschelte ich und ging zurück in den Flur um meinen Rucksack zu nehmen und wieder zu Ryo zu treten, der mich nachdenklich ansah. Gerade wollte ich mich an ihm vorbeidrängeln, um rauszukommen, als er sich direkt vor mich stellte und mich festhielt.
„Lucia was ist los? Du siehst mir ja gar nicht in die Augen?“ Er versuchte meinen Blick einzufangen, doch ich wich ihm weiterhin aus. Wenn ich das tun würde, würde ich die aufkommenden Tränen nicht zurückhalten können. Und vor ihm weinen wollte ich auf gar keinen Fall! „Lucia?“
„Ryo es ist egal…können wir jetzt bitte los?“ Er ließ mich los und trat zur Seite. Mit gesenktem Kopf ging ich an ihm vorbei und wartete bei seinem Motorrad auf ihn. Schweigend kam er mir hinterher und stieg auf, ich setzte mich hinter ihn und schon knurrte das Motorrad hungrig.
„Halt dich gut fest.“, murmelte Ryo, so dass ich es gerade so noch hören konnte. Etwas beklommen presste ich mich an ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Rücken. Ich bemerkte, dass er sich danach entspannte und fuhr los. Ich fühlte mich so gut bei ihm und Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch, aber andererseits dachte ich auch ständig an Takuto und wie er mich geküsst hatte!
>Schlampe, Schlampe, Schlampe…<
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Mit mechanischen Bewegungen stieg ich von dem Motorrad ab und wartete auf Ryo. Wie lange sollte das eigentlich weitergehen? Sollte ich mit den ganzen Schuldgefühlen leben? Sollte ich es Ryo einfach sagen? Aber ich wollte doch gar nicht, dass es zu Ende ging…ich entschloss mich ihm nichts zu sagen. Mit Takuto lief es im Moment sowieso nur noch blöd und ich sollte mich nicht weiter mit ihm befassen. Ich richtete mich auf und zauberte nach meinen ‚aufmunternden‘ Gedanken ein Lächeln auf die Lippen. Ryo sah mich prüfend an, dann stellte er sich dicht vor mich und streichelte meine Arme, während er mich liebevoll anlächelte.
„Alles wieder gut Morgenmuffel?“
„Ja. Tut mir leid, wegen vorhin.“ Er grinste, dann beugte er sich zu mir runter und gab mir einen zärtlichen Kuss. Wie gewohnt kribbelte alles in mir und ich grinste, ohne große Anstrengung. Also solange sich meine Gefühle für Ryo nicht geändert hatten, würde ich ihm auch nicht unnötig das Herz brechen!
„Ich wünschte wir hätten mehr Zeit…Ich hab gestern den ganzen Tag gearbeitet und konnte dich nicht sehen.“, seufzte er und küsste mich noch einmal. Ich kicherte gespielt.
„Gestern war ich sowieso nicht erreichbar…“ Oh wie war, dachte ich wieder ein wenig traurig. Er löste sich von mir und wir gingen Arm in Arm zum Schulgebäude.
„Oh da ist ja das Schnuckel-Paar der Schule!“, rief jemand hinter uns mit belustigtem Unterton. Wir drehten uns um (wie viele andere Mitschüler auch, die stehen blieben und zwischen uns und Daikis Möchtegern Truppe hin und her sahen). Sie standen einige Meter von uns entfernt und ich hatte schon eine Ahnung warum sie sich mit Absicht soweit weggestellt hatten. Sie wollten, dass alle auf dem Schulhof zuhörten. Ich biss die Zähne zusammen und wollte gerade rufen, dass Daiki sich zum Teufel scheren konnte, doch Ryo kam mir zuvor.
„Daiki halt die Klappe! Es interessiert kein Schwein, was du uns zu sagen hast!“ Wir drehten uns um und gingen ein paar Schritte weiter. Einige unserer Mitschüler setzten sich ebenfalls (sichtlich enttäuscht) in Bewegung, da es (leider) keinen Kampf geben würde.
„Und Ryo? Hast du sie schon gevögelt?!“
Jeder hielt in seiner Bewegung inne und starrte Ryo und mich an. Ryo neben mir fror ein. Ich konnte nicht fassen was dieser Mistkerl da gerade von sich gegeben hatte. Ich drehte mich schwungvoll um und funkelte ihn an.
„Wie kannst du es wagen, du kleiner-?!“
„Lucia, komm lass uns einfach gehen.“, murmelte Ryo, packte mich am Arm und wollte mich wegziehen, als ich Daikis ekelerregendes Grinsen sah. Ich löste mich von Ryos Umklammerung und stampfte zu Daiki rüber. Zwei Meter vor ihm blieb ich stehen. Er grinste noch immer auf mich herab.
„Was hast du da gerade gesagt?“, zischte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Er drehte sich demonstrativ zu seinen Freunden, die lachten und sich über mich lustig machten.
„Bist du Schwerhörig?! Ich habe deinen ach so tollen Freund gefragt, ob er dich schon gevögelt hat, kleines Gör.“, antwortete er und legte den Kopf schief. „Oh…hm…ist das etwa eine Privatangelegenheit? Das tut mir aber wirklich sehr Leid. Ich will mich da ja ungern einmischen, aber die Wettbedingungen schreiben vor, dass ich Bescheid weiß. Sonst hat der kleine Ryo ein riesiges Geldproblem, nicht wahr?“ Er sah zu Ryo, den ich nicht sehen konnte. Fassungslos starrte ich Daiki an, als mir die Antwort in den Sinn kam. Noch vor einem Tag hatte Ryo mir gestanden, weshalb er anfangs mit mir zusammenkommen wollte…Und das war, weil er Unsummen an Schulden bei Daiki hatte und sie eine Wette abgeschlossen hatten…
„Die zweite Bedingung…“, flüsterte ich. „Die zweite Bedingung um seine Schulden bei dir zu begleichen…“
Daiki sah mich ein wenig bestaunt an.
„Oh du weißt ja doch Bescheid! Wow. Also ihr müsst euch wirklich sehr gern haben und euch vertrauen, wenn dir Ryo von seinen schmutzigen Machenschaften erzählt.“
„Er soll mit mir schlafen? Das war deine Bedingung?“, fragte ich und fühlte mich wie in Watte gepackt. Ich fühlte nichts mehr, sah nichts mehr, dachte nur noch daran, wie abscheulich der Kerl der vor mir stand war.
„Ja. Und danach sollte er dich abblitzen lassen kleines Gör.“, antwortete Daiki wieder meine Frage und starrte mich noch lange mit einer gewissen Genugtuung an. „Mein Vater wurde von deinen beschissenen Eltern verspottet. Und jetzt zahle ich es dir heim kleines Gör. Ach und ehe ich es vergesse: Schöne Grüße noch an sie von Daiki Kato.“ Alle seine Freunde lachten laut und stolzierten an mir vorbei. Die Schulklingel hatte erst vor kurzem geläutet und noch immer standen die ganzen Zuschauer um mich herum und tuschelten und starrten mich an.
„Lucia!“, rief jemand neben mir und zwei bekannte Gesichter schoben sich in mein Blickfeld. Meine beiden Freundinnen redeten auf mich ein. Die eine ratterte ohne Punkt und Komma Beleidigungen herunter (die meisten hörte ich das erste Mal) und die andere erkundigte sich ständig nach meinem Wohlbefinden. Ich nahm nichts mehr wahr und ließ mich einfach von ihnen wegführen. Die anderen blendete ich aus, auch Ryo, der mich verzweifelt und flehend ansah…
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„Und wie geht’s jetzt mit euch beiden weiter?“, fragte Aimee mitfühlend. Wir waren in einer Kabine des Mädchenklos. Ich saß mit verheultem Gesicht auf dem Klodeckel und die anderen knieten vor mir. Kira sah aus, als würde sie gleich rausstürmen, Daikis Klasse aufspüren und ihm eine verpassen. Aimee bewahrte Ruhe und hielt meine Hand. Die beiden hatten alles was auf dem Schulhof passiert war mitbekommen, also brauchte ich ihnen nicht noch alles zu erzählen. Sie konnten verstehen wie ich mich fühlte und weshalb ich seit einer geschlagenen halben Stunde heulte.
>Also mittlerweile heulte ich echt zu viel, ich ähnelte ja mehr einem verkorksten Damm, das bei dem kleinesten fehlenden Ast zusammenbrach<
„Ich weiß nicht, ich hab Ryo echt gern, aber er hat zu viele Schulden bei Daiki und…und ich kann ihn doch jetzt nicht…ich meine, wie soll er das denn bezahlen? Als seine Freundin möchte ich ihm helfen…“, murmelte ich, doch Aimee holte entsetzt Luft und unterbrach mich:
„Lucia! Du denkst doch nicht wirklich daran, mit Ryo zu schlafen?!“
Ich schwieg und presste die Lippen zusammen. Natürlich hatte ich darüber nachgedacht, aber sicher war ich mir nicht. Ryo hatte Schulden die er nicht abbezahlen konnte und wenn er nur mit mir schliefe und mich dann abservierte, dann wäre alles in Ordnung…Daiki hätte was er wollte und würde Ryos Schuldenberg vermindern. Eine kleine fiese Stimme flüsterte mir zu, dass es sich auch für mich lohnen würde, denn wenn mit Ryo Schluss wäre, hätte ich keine Schuldgefühle wegen Takuto zu haben. ABER NEIN LUCIA WAS REDEST DU DENN DA?! So darf ich nicht denken, schimpfte ich mit mir. Ich ließ die Schultern hängen und sah Kira und Aimee abwechselnd an.
„Was soll ich bloß tun?“ Die beiden sahen sich an und ihre Mienen sagten mir, dass sie selbst nicht genau wussten was zu tun war. Kira stieß wütend die Luft durch ihre Nase aus und starrte mich an. Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Kira, was-?“
„Hör mal-!“, unterbrach sie mich in strengem Ton. „Ryo ist ein toller Typ. Er sieht nicht nur gut aus, er behandelt dich auch gut. Dieser bescheuerte, aufgeblasene Daiki wird euch da ja wohl nicht einen Strich durch die Rechnung machen! Weißt du was-? Ihm zum Trotz bleibt ihr zusammen. Hast du mich verstanden?“ Aimee und ich starrten sie wohl an, als wäre sie von einem anderen Planeten. Kira seufzte und stand auf. Ein siegessicheres Lächeln erschien auf ihren Lippen und ihre Augen funkelten. „Ich kümmere mich schon um Daiki. Verlasst euch drauf.“
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Ich schlurfte durch das Eingangstor und vermied die Blicke der anderen auf mir. Aimee und Kira hatten noch ihren Theaterkurs und ich musste allein nach Hause gehen. Wie hatte ich nur so plötzlich in den Mittelpunkt des Klatsch und Tratsch meiner Schule kommen können?! Vorher war ich die (unter Freunden) beliebte Lucia, sie war dusselig, aber ganz nett und lustig!
>Und jetzt ist sie mit einem der Beliebtesten Schüler im letzten Jahr zusammen, der nicht nur gut aussah, sondern auch als unnahbar bekannt war…Und so fing es an, dass ich für Gesprächsstoff bei meinen Mitschülern sorgte…<
Ich seufzte und ließ den Kopf hängen.
„Lucia-chan!“, rief jemand hinter mir und ich drehte mich verdutzt um. Vielen meiner Freunde hatte ich ausgeredet mich mit diesem japanischen Anrede-Gedöns anzusprechen, doch es war auch heutzutage noch üblich sich mit einer Anrede nach dem Namen anzusprechen. Als ich mich umdrehte, erkannte ich einen Jungen aus meiner Parallelklasse, den ich manchmal während den Pausen gesehen hatte. Er war nicht sehr hübsch, eher übermäßig klug und er wurde von vielen gemobbt. Ich hatte noch nie mit ihm geredet, also warum sprach er mich an?
„Hallo? Du bist-?“, fragte ich, als er vor mir stehen blieb und mich anlächelte.
„Hey, ich bin Lee! Ich bin in der 10b.“ Er war mir sehr sympathisch, so wie er mich anlächelte, also lächelte ich zurück.
„Ja, das weiß ich, aber was ist denn? Wolltest du etwas?“
Ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein, schüttete er mir etwas Feuchtes und Klebriges auf die Kleidung und ins Gesicht. Ich war so geschockt, dass ich mich nicht bewegen konnte und nur so dastand. Gelächter breitete sich in der ganzen Eingangshalle aus.
„Es tut mir so Leid Lucia, sie haben mich dazu gezwungen! Es tut mir Leid-!“, hörte ich Lee noch flüstern, bevor ich quietschende Turnschuhe hörte, die sich rasch entfernten. Die anderen riefen mir irgendwas zu und lachten noch immer, doch ich hörte nicht hin. Ich hob die Hand und wischte mir das Zeug aus den Augen, um dann mit Entsetzen meine Finger anzustarren. Es war Farbe. Blaue Farbe. Das Gelächter wurde lauter und ich sah mich hilfesuchend um. Sie hatten einen Kreis um mich gebildet und keiner machte auch nur Anstalten zu mir zu kommen. Einige hatten sogar ihre Handys gezückt und filmten. Heiße Tränen liefen über meine blaugetrocknete Wangen. Ich fühlte mich elend. Das war so peinlich und erniedrigend! Einige Lehrer kamen aus dem Lehrerzimmer und starrten mich an. Ich und der Boden waren beschmiert mit blauer Farbe und alle Schüler der Oberstufe waren versammelt um sich über mich zu amüsieren. Sofort vertrieben sie alle und während mein Direktor auf mich zueilte, sah ich noch Daikis strahlendes Gesicht, als er sein Handy zuklappte und mir wild winkte.
„Danke, jetzt hab ich für alle Ewigkeiten was zu lachen Pierce!“, rief er und gackerte mit seinen Freunden. Sie wurden von den aufgebrachten Lehrern vertrieben und die Eingangstür wurde geschlossen. Noch immer starrte ich mit aufgerissenen Augen auf die Tür. Mein Direktor beschwerte sich lautstark über mich, aber ich hörte gar nicht mehr hin. Als er meinen Namen wissen wollte, antwortete ich ohne ihn anzusehen.
„Mein Name ist Lucia Pierce. Rufen Sie einfach meine Mutter an…“ Dann ging ich einfach, ohne auf meinen wütenden Direktor zu achten, schob die Eingangstür auf und lief hinaus, bevor ich zurückgehalten werden konnte.
„Lucia warte!“, rief mir eine viel zu bekannte Stimme hinterher. Ich drehte mich nicht um und lief weiter. Ich hörte, wie sein Motorrad aufheulte und näher kam. Vor mir machte er einen Haken und blieb stehen. Ich presste die Lippen zusammen und sah Ryo nicht an. Ich wollte ihn nichts sehen und er sollte mich nicht sehen. Nicht so! Ob er alles mitbekommen hatte? Aber wenn er dagewesen wäre, dann hätte er mich doch in Schutz genommen oder? Bestimmt. „Sieh mich doch an!“, flehte Ryo, als ich n ihm vorbeigehen wollte. Ich sah ihn zwar nicht an, blieb aber stehen. Ich wollte nicht mit ihm reden, aber irgendwie war es schwer.
„Ryo bitte mach‘s kurz, wie du siehst bin ich nicht in der Verfassung um Smalltalk zu führen.“, entgegnete ich trocken. Er seufzte.
„Es tut mir leid ok? Als ich dir von den Bedingungen erzählt hab, hab ich dir gesagt, dass ich es nicht tun würde und es einfach bescheuert ist! Daiki ist ein Arschloch und will sich doch nur zwischen uns stellen, weil es ihm Spaß macht anderen das Leben zu versauen! Das hast du doch ebengerade am eigenen Leib gespürt.“ Mein Blick schoss zu ihm hoch.
„Du hast es gesehen?“
Er raufte sich die Haare: „Ja, Daiki hat mich zu sich gerufen und meinte ich solle mir etwas interessantes ansehen, ich dachte er würde mich verarschen oder so und gerade als ich wieder gehen wollte, hab ich dich gesehen wie du mit diesem kleinen Streber Lee geredet hast und er dir im nächsten Moment die Farbe ins Gesicht ge-!“
„Du warst da und hast zugesehen?“, unterbrach ich ihn mit heiserer Stimme. Ich konnte es nicht glauben…er war da gewesen und hatte mir nicht geholfen. Er war nicht gekommen und hatte mich weggeführt. Er hatte zugesehen, wie alle anderen und mich alleingelassen. „Das war’s. Ok? Ich bin fertig mit dir.“ Seine Züge entgleisten ihm, als ich schluchzend an ihm vorbeilief. Das reichte mir. Kein Takuto. Kein Ryo. Nur noch ich und das Wochenende. Niemand sonst!
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch kann man als Fan Fiction ansehen, denn es gibt ein paar Parallelen zu der Serie "Inuyasha". Es gibt natürlich keine Charaktere die sich hier wiederholen, vielleicht durch Zufall ein paar Namen, die ich aber nicht mit Absicht benutzt habe. Viele Dinge, die ich geschrieben habe, sind naürlich ganz anders als in der Serie, dennoch hoffe ich, dass meine Geschichte nicht eins zu eins geklaut erscheint.
Covergestaltung: Melanie Jezyschek (http://melle661.deviantart.com/)
unter Verwendung von Motiven von http://victoriamanya.deviantart.com;
http://selenetiedman.deviantart.com; http://kaitou-kage.deviantart.com;
http://polegnyn.deviantart.com; http://needanewname.deviantart.com
Danke Melanie, das Cover ist wundervoll! ♥