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Bald


Blätter. Farben und Formen sämtlicher Variationen waren sie anzufinden. Ein Spektrum der Vielfältigkeit allein bei der einseitigen Betrachtung eines Flecken Erde. Ein lauer Wind, der mit seiner unverfangenen Eigenart die Bäume rascheln ließ, leben in jene so beängstigend erscheinende Szenerie hauchte und den bald zu verwesen beginnenden Blättern den letzten Atemzug bescherte.
Es war kalt. Die Luft kühl und dichte Wolken verhinderten das Durchdringen der wärmenden Strahlen.
Ein Rascheln. Ein Atmen. Dichte Rauchwölkchen stiegen empor und verloren sich zwischen den Ästen. Dunkle Augen, welche aufmerksam die Umgebung betrachteten. „Bald.“
Ein weiterer Luftzug. Tristes grau drängte sich zwischen die bunten Blätter, verpestete die Luft.
“Bald“
Ein Knistern schien sich durch die Wälder zu ziehen, raubte jedem Tier, jeder Gestalt die Luft zum atmen; ließ die Zeit stillstehen.
“Sehr bald“
Die Zeit stand still. Der Wind, die Blätter, selbst der Vogel hoch oben in den Bäumen. Nichts rührte sich. Nichts bewegte sich.
Stillstand.
Nur diese eine. Dieses eine starre Wesen. Dieses starre Wesen an dem Baum. Dem Baum mit den vielen Blättern. Den Blättern, die sich verängstigt an den dünnen Ästen hielten. Und dieses starre Wesen.
“Bald“
Rauchwölckchen entkamen diesen rauen, bläulichen Lippen. Stiegen hinauf. Hinauf zu dem Baum. Dem starren Baum.
Und wieder dieses Wesen. Dieses Wesen mit seinem dunklen Mantel. Den grauen Augen und den schmalen Lippen. Dieses Wesen mit den langen Händen, mit dieser unglaublich kalten Ausstrahlung.
Einen Moment. Ein einziger Moment der vollkommenen Stille. Dem Stillstand der Erde. Dem Stopp jeglichen Lebens.
Und wieder dieses Wesen. Mit seinen kalten Augen. Den kalten grauen Augen. Es blinzelte. Kurz, knapp, aber es blinzelte und dann.
“Sehr bald“
Ein Flüstern, ein leises Flüstern und doch in dieser Stille viel mehr ein Schrei, ein nie zu vergessender Schrei.
Und dann war es weg. Weg dieses seltsame Wesen. Dieses seltsame Wesen mit seinen grauen Augen und den schmalen Lippen.
Weg.
Ein kurzes Stocken, eine zarte Regung. Eine einzige Regnung, den Wiederbeginn des Lebens verzeichnend.
Der Wind fauchte, die Bäume wogen, die Blätter fielen – doch etwas war anders. Etwas war anders.
Es war kalt.
Kalt.
Es war trist.
Trist.
Es war farblos.
Farblos.
Es war nicht mehr der lebendige Herbst. Der stürmische Herbst. Der wilde Herbst.
Nein.
Es war kalt.

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Tag der Veröffentlichung: 11.10.2011

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