Cover




Alles fing mit einer kleinen Berührung an.
Die Berührung zweier Seelen, die sich nie hätten
treffen sollen. Eine Begegnung
die für die Welt der Menschen eine große Bedrohung wurde.
Mensch traf auf Wolf. Eine Frau, die man damals für verrückt hielt,
berichtete von dieser Begegnung. Sie sagte, irgendwann würde eine Zeit kommen,
in der Menschen und Wölfe einander brauchen werden.
Chaos würde im Herzen der Menschen herrschen und jeder würde vergessen,
wer er wirklich war. Der Weg zur Wirklichkeit, der Wahrheit,
konnte nur von zwei Seelen beschritten werden, denen es bestimmt ist, zueinander zu finden.


Wer ist das nur?




Noel


Endlich Sommer! Das bedeutete Strand, Spaß, Ferien und vielleicht die große Liebe. Ach quatsch! Ich schüttelte den Kopf. Was dachte ich denn da? Große Liebe? Pah! Als ob es das geben würde. Das einzige was ich wollte: Die Ferien genießen die ganze drei Monate lang waren! Sie waren so lang, da im letzten Jahr Herbst- und Osterferien ausgefallen waren. Die Lehrer waren von der Idee des Schulleiters nicht sehr begeistert gewesen, wir Schüler aber schon. Einen einzigen Haken hatte die ganze Sache. Alle meine Freunde hatten vor zu verreisen, ich aber musste zu Hause bleiben. Was für eine Scheiße! Lieber würde ich mit meinen Freunden abhängen, als jeden langweiligen Tag alleine zu verbringen.
„Noel!“, die Stimme meiner Mum kam von der Treppe, die von meinem Zimmer hinunter in den Hausflur führte. Leise seufzte ich und machte mich schleppend auf den Weg nach unten.
„Was ist?“, fragte ich murrend. Meine Mum lächelte mich an. „Wir wollen unsere neuen Nachbarn begrüßen. Du musst auch mitkommen“
Na toll! Jetzt schleppten mich meine Eltern also doch noch mit. Vor zwei Wochen war in der Nachbarschaft eine neue Familie eingezogen. Mein Dad wuschelte mir durch die dunkelblonden Haare und sagte: „Das Mädchen müsste ungefähr in deinem Alter sein...“
„Ich interessiere mich nicht für so was!“, entgegnete ich trotzig. In den ganzen sechzehn Jahren die ich lebte, hatte ich mich noch nie für Mädchen oder Liebe interessiert und hatte auch nicht vor das jetzt zu ändern.
„Schon gut“, meinte mein Dad. Ich verdrehte nur genervt die Augen und folgte meinen Eltern dann hinaus auf die Straße. Mum hatte einen Korb mit selbstgebackenen Muffins dabei, die sie der Familie geben wollte. Das war mal wieder klar. Genau das hatten sie auch bei den anderen Nachbarn abgezogen. Ich unterdrückte einen Seufzer, während mein Dad an der Tür klingelte. Das Haus war nicht besonders groß und war in einem leichten Gelbton gestrichen. Neben der Tür hing ein Schild auf dem 'Willkommen'. Ich hörte jemanden im Haus laufen. Plötzlich ging die Tür mit einem Ruck auf. Ein Mädchen stand mit freundlichem Lächeln in der Tür.
„Hallo“, sagte sie. Meine Mum hielt den Korb in die Höhe. „Hallo! Wir wollten unsere neuen Nachbarn begrüßen“ Das Mädchen machte platz und sagte: „Kommt bitte rein!“ Mum und Dad traten sofort hinein, ich jedoch zögerte. Schließlich folgte ich meinen Eltern. Das Mädchen führte uns in ein großes Wohnzimmer das, meiner Meinung nach, sehr bunt gestaltet war.
Ein Ehepaar saß auf der Couch und begrüßte uns ebenso freundlich wie das Mädchen.
„Guten Tag. Ich bin Petra“, stellte sich die Mutter des Mädchens vor. „Das ist mein Mann Klaus und das ist unsere Tochter Leonie“ Die Familie machte auf mich einen sehr komischen Eindruck. Nicht nur das alle so übertrieben freundlich waren, diese Leonie sah nicht aus wie ein gewöhnliches Mädchen. Ich betrachtete sie näher. Ihre schwarzen Haare fielen ihr lang über den Rücken. Sie sah sehr sportlich aus. Eigentlich würde mich das alles nicht stören, wenn da nicht diese komischen Augen wären. Als ich in ihre Augen sah setzte mein Herz einen Schlag aus. Sie waren doch tatsächlich orange! Nein...Eher bernsteinfarben. In ihnen schimmerte etwas, was ich nicht ganz erkennen konnte. Anscheinend hatte sie meinen Blick bemerkt und drehte den Kopf in meine Richtung. Sofort wandte ich meinen Blick ab und hörte gelangweilt den Erwachsenen zu, die sich sehr schnell angefreundet hatten. Ich wollte etwas sagen, aber sie hätten mir sicherlich nicht zugehört. Also ging ich einfach in den Flur und von dort aus durch die Tür nach draußen. Endlich frische Luft! Da drin war es echt stink langweilig gewesen! Kaum zum aushalten.
„Wo willst du hin?“, fragte Leonie, die plötzlich hinter mir stand. „Erschreck mich doch nicht so!“, murrte ich. Sie kicherte leise „Sorry das ist so eine Angewohnheit von mir mich an Leute anzuschleichen“ Ich seufzte. Leonie schien sich darüber zu amüsieren und meinte: „Noel heißt du oder? Ich bin Leonie“
„Das weiß ich doch schon...“, begann ich, wurde aber von ihr unterbrochen. „Du darfst mich aber auch Leo nennen!“
„Ist das nicht eigentlich ein...“
„Ein Jungenname?“ Und sie tat es schon wieder. „Ja ist es. Aber das ist mir eigentlich ziemlich schnuppe“ Ich nickte nur. Irgendwas stimmte mit der doch nicht! Aber eigentlich fand ich sie ganz nett.
„Also...Wo wolltest du jetzt hin?“, fragte Leonie. Ungern wollte ich es ihr sagen, tat es aber trotzdem. „Ich wollte zum See im Wald...“
„Da ist ein See?“, fragte sie erstaunt und sah mich mit großen Augen an. Wieder nickte ich. „Möchtest du mitkommen?“ „Und wie! Darauf kannst du wetten!“, sagte Leo begeistert und verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Wie ein Hund der nicht von seinem Besitzer weg wollte. Mit Mühe verkniff ich mir ein Grinsen und führte sie in den Wald, der ganz in der Nähe war. Die Vögel zwitscherten fröhlich, was mir ein wenig auf die Nerven ging. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Leonie sich neugierig umsah. Sie sah aus, als ob sie sich richtig wohl fühlte.


Leonie



Schon von Anfang an hatte ich diesen Kerl beobachtet. Er hatte einen vertrauten Geruch an sich und kam mir sehr bekannt vor. Alles was ich wusste war, das er etwa ein Jahr älter und ein Einzelgänger war. Eigentlich war er so wie ich. Einsam und ein Einzelgänger. Vielleicht konnten wir ja Freunde werden...Verdammt! Was dachte ich mir nur dabei! Das würde alles eh nicht gut ausgehen. Er durfte mir nicht zu nahe kommen, sonst würde er wahrscheinlich herausfinden was ich war. Heimlich musterte ich ihn. Seine dunkelblonden Haare fielen ihm leicht über die Augen, die etwas lustlos drein blickten. Seine Augen waren grün oder so ähnlich. Genau konnte ich das nicht erkennen. Er sah fast wie jemand aus, den ich von früher kannte. Plötzlich riss mich eine Bewegung aus meinen Gedanken. Was zur Hölle..? Es war ein Kaninchen, das über den Waldweg huschte. Oh nein! Bitte nicht. Ich merkte wie meine Instinkte mich dazu trieben hinterher zu laufen. Hätte mich Noel in diesem Moment nicht etwas gefragt, hätte ich das möglicherweise wirklich getan.
„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Noel. Ohne zu zögern antwortete ich ihm. „Ich komme aus Italien. Warum?“ Noel schüttelte den Kopf. „Nur so“, kam die gleichgültige Antwort. Also entweder hatte der Typ einfach nur eine Schraube locker oder er hasste mich. Ich sah ihn trotzig an „Du bist echt so ein Idiot!“
„Warum denn das?“, fragte Noel sichtlich verwirrt. Ich grinste. „Ständig schaust du mich an und stellst dann auch noch so eine unnötige Frage!“
„Ich kann machen was ich will“, murrte er. „Also lass mich gefälligst damit in ruhe!“ Und das wäre dann auch einer der Gründe, warum ich eigentlich nicht viel mit Jungs zu tun haben will. Auch wenn sie es nicht zugaben: Manche hatten extreme Stimmungsschwankungen.
„Da könnte man ja glatt meinen du magst mich nicht“, entgegnete ich grinsend. Noel stieß scharf die Luft aus. „Genauso ist es“
Immer noch grinsend stellte ich mich vor ihn und legte den Kopf leicht schräg. „Ach! Aber im Gegensatz zu dir bin ich wenigstens freundlich“
„Pha! Das ich nicht lache“, murrte Noel genervt. „Warum läufst du mir eigentlich hinterher?“
„Keine Ahnung...“, meinte ich. „Weil ich neugierig bin vielleicht. Vielleicht aber auch nur weil ich die Gegend kennenlernen möchte“
Noel verdrehte die Augen und schob mich zur Seite, damit er vorbei konnte.
„Hör zu, Kleine. Ich hab keine Lust hier den Baby-Sitter zu spielen...“ Er konnte kaum ausreden, da fiel ich ihm schon ins Wort.
„Ich bin nicht klein!“, sagte ich trotzig. „Und wenn du jetzt sagst das ich verschwinden soll, dann kannst du dir das abschminken! Ich geh nicht weg und du wirst mich auch nicht mehr los“
Noel seufzte leise. Anscheinend hatte er doch Spaß an der Sache, da er genauso wie ich, breit grinste. Seine grünen Augen funkelten schelmisch als er sagte: „Na gut. Aber 'klein' nehme ich nicht zurück! Darauf kannst du wetten“
Damit brachte er mich zum lachen. Es war komisch. In seiner Nähe fühlte ich mich irgendwie...sicher. Bei ihm konnte ich meine ganzen Probleme vergessen. Einfach nur vergessen, was ich war. Hier war ich einfach ein ganz normales Mädchen. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Straßenkämpfer




Leonie


Den ganzen Weg über versuchte ich ihn besser kennenzulernen, bekam auf meine Fragen aber nur kurze Antworten. „Warum kannst du mich nicht leiden?“, stellte ich ihn zur Rede.
Noel warf mir einen gelangweilten Blick über die Schulter zu. „Du bist nervig“, antwortete er kurz.
Empört schaute ich ihn an „Nervig? Ich und nervig? Du tickst doch nicht ganz sauber!“
„Im Gegensatz zu dir schon“, meinte Noel und sah mich herausfordernd an. Ich merkte wie mein Gesicht heiß wurde vor Wut. Jetzt war er eindeutig zu weit gegangen! Ich packte ihm am Arm und drehte ihn auf seinen Rücken. Noel atmete scharf ein vor Schmerz und versuchte sich loszureißen, aber ich hatte ihn fest im Griff.
„Lass mich los!“, forderte er. Ich grinste. „Das kannst du vergessen. Nur wenn du dich entschuldigst“, entgegnete ich frech. Noel verdrehte die Augen und seufzte. „Na gut. Es tut mir Leid“
„Was tut dir Leid?“ Mein Grinsen wurde breiter. Er seufzte wieder und murrte dann: „Das ich gesagt habe du nervst“
Lachend ließ ich ihn los, während er ein paar Schritte nach vorne stolperte. Er drehte sich zu mir um und ich sah, das auch er grinste.
„Du bist ganz schön stark“, meinte er. Ich nickte nur. Anscheinend war er doch kein so kalter Typ. Eigentlich war er sogar ganz nett. Im Stillen hoffte ich, dass er mich irgendwann mögen könnte, was ich allerdings nicht zulassen durfte. Wenn er herausfand, das ich ein Werwolf war, dann würde er mich sicherlich für einen Freak halten. Vielleicht würde er sogar die Polizei oder Jäger rufen. Mein Leben war echt kein Zuckerschlecken. Immer war ich auf der Flucht, fand nie Freunde und distanzierte mich von allen. Selbst meine Eltern waren nicht echt. Klar, sie waren echte Menschen, aber nicht meine richtigen Eltern. Seit sie mich adoptiert hatten, fühlte ich mich allein. Auch wenn ich Noel gerade erst getroffen hatte, war es so, als ob er mir meine ganzen Sorgen nehmen konnte. Keine Ahnung was es war, aber es machte mich froh.
„Kommst du?“, fragte Noel und sah mich fragend an. Ich blinzelte und merkte das ich ihn ein bisschen verträumt ansah. Schnell wandte ich den Blick ab und folgte ihm. Wir sagte kein Wort, während wir einen schmalen Waldweg entlang gingen. Ab und zu trafen sich unsere Blicke und wir fingen gemeinsam an zu grinsen. Es war so, als ob wir uns schon ewig kannten. Plötzlich blieb Noel einfach stehen und deutete auf eine kleine Lichtung. Ich blieb in ihrer Mitte stehen und sah mich um. Das Licht der Sonne fiel durch die Blätter der Bäume und erwärmten meine Haut angenehm. An einem Baum hing eine Zielscheibe, darunter angelehnt stand ein Bogen mit einem Köcher.
„Ist das deiner?“, fragte ich und deutete auf den Bogen. Noel nickte und nahm ihn in die Hand. Den Köcher nahm er auf den Rücken.
„Kannst du auch damit schießen?“ Ich sah ihn fragend an. Er grinste und antwortete: „Klar“ Geschickt legte er einen Pfeil ein und spannte die Sehne. Ich sah wie er einatmete, die Luft anhielt und zielte. Während er wie in Zeitlupe den Pfeil losließ, atmete er aus und der Pfeil traf genau ins Schwarze. Staunend sah ich ihn an. „Wie cool! Kannst du mir das auch beibringen?“

Noel



Leonie war zwar nervig, ein bisschen komisch, aber irgendwie fand ich sie ziemlich sympathisch. Während sie immer wieder versuchte den Bogen richtig zu halten, konnte ich nicht anders und lachte. Leonie schoss einen Pfeil in meine Richtung ab. Der Pfeil flog über mich hinweg und landete im See.
„Das musst du aber noch üben“, sagte ich grinsend. Trotzig sah Leonie mich an und grummelte: „Dann bring es mir bei damit ich dich abschießen kann!“
„Warum denn? Ich hab doch nichts gemacht“, meinte ich genervt. Sie ließ den Bogen sinken und lehnte ihn wieder an den Baum. Es kam mir irgendwie so vor als ob ich sie schon mal gesehen hatte, konnte mich aber nicht dran erinnern.
Leonie setzte sich neben mich ins Gras und sah auf den See. Das Wasser kräuselte sich wegen dem Wind und Leonie fragte: „Wie ist es wenn man richtige Freunde hat?“ Ihre Stimme klang traurig und auch ein wenig einsam. Das überraschte mich und brachte mich aber gleichzeitig zum Lächeln. Vielleicht weil ich jetzt wusste, das ich in der Hinsicht nicht der einzige war, vielleicht aber auch nur weil ich das Gefühl hatte verstanden zu werden.
Ich legte mich auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich. Genauso überrascht wie ich eben war, schaute sie mich mit ihrem bernsteinfarbenem Blick an. Darin lag eine tiefe Einsamkeit, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.
„Ja, ich habe Freunde. Aber es sind nicht solche, denen man alles erzählen könnte“, fuhr ich fort.
Leonie legte leicht den Kopf schief. „Das ist sehr schwer vorstellbar“, meinte sie.
Ich grinste. „Es ist aber so. Ich bin eigentlich lieber alleine. Dann fühl ich mich wohler“
Oh verdammt! Das hätte ich nicht sagen sollen. Leonie wandte den Blick ab und machte Anstalten aufzustehen. Wie von selbst ergriff meine Hand ihre und ich hielt sie fest „Das hat nichts mit dir zu tun. Bei dir ist das was anderes“
Ich sah wie sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, als sie sich zurück ins Gras fielen ließ. Wir sahen uns kurz an und mussten sofort anfangen zu lachen. Es stimmte. Bei ihr war alles ganz anders. Sie hatte etwas an sich, sodass ich das Gefühl hatte, nie mehr allein zu sein.
Da fiel mir wieder etwas ein. „Ich muss noch in die Stadt“, sagte ich und stand auf.
Leonie stand ebenfalls auf. „Gut dann komm ich mit!“, entschied sie, ohne mich auch nur zu fragen.
Aber das war mir egal. Ich war sogar froh das sie mitging. Auf dem kleinen Waldweg, der zur Hauptstraße führte, rannten wir um die Wette, wobei Leonie mit deutlichem Abstand gewann. Sie machte sich eine Weile lang über mich lustig und ärgerte mich. Die Straßen waren ziemlich leer und die meisten Geschäfte hatten zu. Leonie erzählte mir, das ihre richtigen Eltern sie als kleines Kind weggegeben hatten. Den Grund wusste sie bis heute noch nicht. Seit ungefähr 5 Jahren wohnte sie nun bei ihren Adoptiveltern und war nicht gerade glücklich darüber.
„Ich schau mich ein bisschen in dem Buchladen um“, sagte Leonie. Ich nickte „Gut. Ich muss noch ein Stück weiter zur Bank. Ich komm dich dann hier abholen“ Sie lächelte und verschwand im Buchladen, ich aber, ging weiter zur Bank und hatte keine Ahnung was gleich passieren würde.

Leonie



Die kühle Luft kam mir aus dem Laden entgegen. Ich sah mich neugierig um und nahm mir einige Bücher aus den Regalen raus, um die Klapptexte zu lesen. Gerade als ich mir ein Buch ausgesucht hatte, das ich mir kaufen wollte, hörte ich einen Schrei. Die anderen Leute beachteten es nicht. Anscheinend dachten sie es wäre nur ein Kind das draußen spielt, aber ich wusste es genau. Der Schrei hatte nichts mit einem Spiel zu tun, oder zumindest nicht für die Person, die geschrien hatte. Ich setzte mich in Bewegung. Setzte einen Fuß vor den anderen. Immer schneller und schneller, bis ich zu laufen begann. Ich lief dem schreien und dem Geruch nach Angst nach und kam bei einer kleinen Seitenstraße an. Dort in einer Dunklen Ecke, hockte ein kleines Mädchen, umringt von ein paar Kerlen, die ziemlich grob zu ihr waren.
„Hey! Lasst die Kleine in ruhe!“, rief ich und quetschte mich dazwischen. Sie waren zu fünft und ich wusste, ich hatte keine Chance. Aber ich versuchte es trotzdem. „Hört auf der Kleinen Angst einzujagen!“, sagte ich wütend. Einer der Kerle grinste und machte einen gefährlichen Schritt auf mich zu. „Du hast uns gar nichts zu sagen“
Ein ziemlich stämmiger Typ mit einem Pferdeschwanz flüsterte dem Boss der Gang etwas ins Ohr. Jetzt grinsten alle. Ich roch ihren Blutdurst. Gleich würde es mit mir vorbei sein. Ohne Vorwarnung schlug der mit dem Pferdeschwanz zu und traf mich mit der Faust genau in die Magengegend. Mir blieb die Luft weg. Ich konnte nicht atmen! Panisch rang ich nach Luft und schmeckte den metallischen Geschmack von Blut auf meiner Zunge, ehe ich es ausspuckte. Ich hob schützend die Arme vor mein Gesicht, um die Attacken wenigstens ein wenig abzublocken. Es half nichts. Meine Beine drohten nachzugeben, bis ich plötzlich keine Schläge mehr spürte. Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Kerl mit dem Pferdeschwanz vor mir auf den Boden und blieb bewusstlos liegen.
Ich sah auf. Durch meine Tränen hindurch konnte ich Noel sehen, der sich schützend vor mich und die Kleine stellte. Noel packte die Faust des Bosses, die auf ihn zu schnellte, mit einer Hand und hielt sie fest. Er riss den Boss an sich heran und verdrehte ihm seinen Arm. Ein schmerzerfüllter Schrei drang aus seiner Kehle und Noel drückte ihn auf die Knie. Ein weiterer der Kerle schlich sich von hinten an und wollte Noel packen. Aber Noel reagierte sofort. Er ließ den Boss los, der nun zitternd auf dem Boden lag und packte den Arm des anderen. Es sah so leicht aus, als Noel ihn über seine Schulter warf und ihn auf dem Boss landen ließ. Mir klappte fast der Mund auf, aber ich riss mich zusammen und nahm das kleine Mädchen in den Arm. Es zitterte und weinte. „Alles wird gut“, murmelte ich leise.
Nun war Noel von den restlichen beiden umzingelt. Sie umkreisten ihn, wie Löwen ihre Beute, aber er stand still und bewegungslos da. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, als er sich plötzlich duckte und die zwei Typen zuschlugen. Noel war zum richtigen Zeitpunkt ausgewichen, sodass die beiden Vollidioten sich gegenseitig niederschlugen. Ich staunte nicht schlecht und ich musste mir eingestehen, das ich das nie von ihm erwartet hätte. Er kam zu mir und dem Mädchen und fragte: „Ist alles okay?“
Ich nickte zögernd. „Sie ist nicht verletzt. Ist nur ein kleiner Schock. Ich denke wir sollten sie zu ihren Eltern bringen“ Das Mädchen stand auf und sah ihn und mich dankbar an. Noel half mir hoch und ich stand auf wackeligen Beinen da. Seine Berührung hinterließ ein Kribbeln, das sich in meinem ganzen Körper ausbreitete.font>

Geheimnisse




Noel




Ich trug das kleine Mädchen auf dem Rücken, während wie durch dir Straßen gingen. Leonie ging neben mir her. Sie hatte überall Kratzer und eine Beule an der Stirn. Ich spürte ab und zu ihren Blick auf mir ruhen, wich ihrer unausgesprochenen Frage jedoch aus.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich die Kleine.
Nach kurzem zögern stotterte sie: „M...Milly...“ Ich lächelte und wollte gerade etwas sagen, als eine sehr besorgt aussehende Frau auf und zu kam.
„Milly! Da bist du ja!“, rief sie erleichtert. Milly sprang von meinem Rücken und lief auf die Frau zu, die sie hoch hob.
„Mama!“, sagte sie aufgeregt. „Die beiden da haben mich vor den bösen Männern beschützt!“
Die Frau wandte sich uns zu und lächelte freundlich. „Danke ihr zwei“, sagte sie. „Ich wüsste nicht was ich gemacht hätte, wenn ihr etwas passiert wäre“
Ich winkte ab. So was wie Lob oder Komplimente konnte ich gar nicht leiden, deshalb sagte ich schnell: „Keine große Sache...Leo wir sollten los...“ Und erst jetzt fiel mir auf, dass sie bis jetzt kein einziges Wort gesagt hatte. Während die Frau mit Milly, die uns zuwinkte, in ein Auto stieg, starrte mich Leonie die ganze Zeit an.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte sie leise und sprach damit die Frage aus, die ich schon gefürchtet hatte. Ich mochte es nicht, jemandem etwas über mich zu erzählen, besonders nicht wenn es etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hatte. Abwartend sah mich Leonie an und ich seufzte. „Na gut. Aber...das ist eine etwas längere Geschichte“, meinte ich. Leonie zuckte mit den Schultern und entgegnete: „Na und? Ich hab zeit“


Als wir so am Tisch saßen, schweigend und die Augen auf den Kakao gerichtet, wusste ich nicht womit ich anfangen sollte. Ich hatte Leonie vorgeschlagen, mit zu mir nach Hause zu kommen und jetzt saßen wir also da. Sie wartete auf meine Antwort und ich wartete darauf, dass mir die richtigen Worte einfielen.
„Vor...ungefähr zwei Jahren oder vielleicht auch drei, hab ich angefangen mich auf dem Schulhof zu prügeln. Jemand wollte einem Freund von mir niederschlagen, aber ich bin dazwischen gegangen“, begann ich. Leonie saß nur da und drehte die Tasse in der Hand. Sie sah mich an, ruhig und neugierig.
Ich fuhr fort. „Später hab ich gemerkt, dass es ein Fehler war mich einzumischen. Der Typ war derselbe, der die Kleine angegriffen hat. Ich hab echt viel ärger dadurch bekommen. Immer mehr haben mir aufgelauert und wollten sich dafür rächen, was ich mit ihrem Boss gemacht hab“
Leonie war ganz still. Es war mir nicht ganz geheuer, denn sie strahlte etwas Gefährliches aus.
„Warum hast du weiter gemacht?“, fragte sie. Warum ich weiter gemacht hatte? Keine Ahnung.
Als ich antwortete, hatte ich das Gefühl, sie würde mich tatsächlich verstehen. „Ich hab keine Ahnung“, sagte ich ehrlich. „Vielleicht wollte ich einfach nicht mehr der Außenseiter sein, vielleicht weil ich mir nur die Zeit vertreiben wollte“
Leonie sah mich die ganze Zeit über an. In ihrem Blick konnte ich lesen, dass sie über etwas nachdachte. Aber was? Es schien sie sehr zu beschäftigen.
„Irgendjemand hat dann das Gerücht verbreitet, ich wäre unschlagbar oder so... Und dann kamen die ganzen Idioten an. Tja...Den Rest kannst du dir ja denken“
Ihre Augen waren direkt auf mich gerichtet, während sie abwesend nickte. Was war nur los mit ihr?
Fragend erwiderte ich ihren Blick und sie seufzte.
„Ich muss jetzt auch mal wieder nach Hause“, murmelte sie und stand auf. Genau in dem Moment fragte ich mich, warum sie sich nicht gewehrt hatte. So wie ich sie einschätzte, war sie eigentlich sehr stark und hätte sich leicht verteidigen können. Warum also hatte sie es nicht gemacht?
Die ganze Sache kam mir ziemlich komisch vor, nicht nur das Leonie keine schlimmeren Verletzungen hatte. Auch weil die meisten der Schrammen und Kratzer schon verheilt waren. Normalerweise wäre das in so einem kurzen Zeitraum nicht passiert. Noch bevor sie die Küche verlassen konnte, stand ich auf und packte sie am Arm. Ich merkte, wie sie meinem Blick auswich und auf den Boden starrte.
„Warum hast du dich nicht gewehrt?“, fragte ich langsam und sah, wie sie leicht zusammenzuckte. Anscheinend hatte ich einen wunden Punkt getroffen. Langsam hob sie den Blick und schaute mir direkt in die Augen. Ich schluckte. In ihren Augen war ganz deutlich ein Kampf zu sehen. Es war ein Kampf zwischen zwei Wesen, die sich einen Körper teilten. Dann kehrte Kälte in Leonie's Augen ein. Plötzlich riss sie sich von mir los.
„Darum!“, sagte sie und ich glaubte ein leichtes Knurren in ihrer Stimme zu hören. Sie drehte sich um und lief weg. Aber nicht nach Hause, sondern direkt in den Wald. Ich starrte noch eine Weile auf den Punkt, wo sie verschwunden war. Langsam ging ich die Treppen hoch und schloss meine Zimmertür hinter mir. Und als ich auf meine Bett lag und an die Decke sah, entdeckte ich dort einen kleinen Spalt. Ich stellte mich hin und sah in den Spalt hinein. Nichts. Plötzlich ein kleines aufblitzen. Etwas musste das Licht der Lampe reflektiert haben. Vorsichtig zog sich den Gegenstand aus dem Spalt heraus. Er war ein Buch, nicht sehr dick, aber anscheinend schon alt. Das Buch war in schwarzes Leder eingebunden und hatte seltsame silberne Verzierungen. An der Seite hing ein kleines Schloss, mit einem komischen Schlüsselloch. Irgendwie hatte es den Umriss von einem Zahn. Kein menschlicher Zahn, so viel war sicher. Da fiel es mir ein! Mein Opa hatte mir mal einen Glücksbringer gegeben, der aus einem Wolfszahn gemacht wurde. Ich sprang vom Bett und legte das Buch auf den Schreibtisch. Wo könnte ich den Glücksbringer hin getan haben? Schnell öffnete ich eine kleine Schachtel und holte den Zahn heraus, der sich darin befand.
Er war aus dem selben Material wie das Schloss am Buch. Ich setzte mich an den Schreibtisch und wollte das Buch öffnen, als ich ihm direkt in die Augen sah. Unten im Garten stand ein Wolf, so schwarz wie die Dunkelheit die ihn umgab. Ich hatte gar nicht gemerkt das es schon dunkel war. Die Augen des Wolfs waren direkt auf mich gerichtet. Er machte immer wieder Andeutungen wieder in den Wald zu laufen, also zog ich mein Handy aus der Tasche. Das war ein Fehler! Als ich meinen Blick wieder nach draußen richtete, war der Wolf weg. Verdammt!

Leonie




„Warum hast du dich nicht gewehrt?“
Hätte dieser Dummkopf diese Frage nicht gestellt, wäre ich nicht gezwungen gewesen mich zu verwandeln! Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt wie sich diese Verwandlung anfühlte. Hände und Füße wurden zu großen Pfoten. Meine Sinne wurden schärfer und ich spürte den drang zu laufen und zu jagen. Nur wegen Noel lief ich jetzt durch den Wald. Ich hatte es irgendwie in seinen Garten geschafft und ihn von unten aus beobachtet, wie er sich an einem Buch zu schaffen machte. Leider bemerkte er mich und unsere Blicke begegneten sich. Unsicher ob ich bleiben oder gehen sollte, tänzelte ich herum. Dann wandte er seinen Blick ab. Nur zwei oder drei Sekunden, aber ich verschwand sofort wieder im Wald. Es fühlte sich nicht gut an in dieser Gestalt zu sein. Es war ein Kampf zwischen mir und dem Wolf, der versuchte die Kontrolle zu erlangen. Überall nahm ich nun Gerüche war, die zuvor nicht da gewesen waren. Ich wurde langsamer. Der Geruch nach Kaninchen war verlockend. Ungewollt verfiel ich in ein Kauern und schlich mich lautlos an. Der Wind kam mir entgegen, weshalb mich das Kaninchen nicht riechen konnte. Ich verschmolz mit der Dunkelheit, wurde eins mit dem Wald. Dann sprang ich, schlug die Zähne in den warmen Körper des Kaninchens und gab somit dem Wolf in mir nach.font>

Impressum

Texte: Alles bei mir ;)
Bildmaterialien: Danke an Summerspring
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2012

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