Cover

Liebe Mama



Eigentlich wollte ich dir noch so viel sagen, aber jetzt ist es zu spät. Mittags bin ich gegangen und habe nur Tschüss gesagt, dein Blick war da ängstlich, als wenn du etwas geahnt hättest. Ich dachte mir aber nichts dabei. Abends warst du nicht mehr da. Ich hatte dir versprochen morgen wieder zu kommen, aber dieses Versprechen konnte ich nicht mehr einhalten. Ich war nicht dabei, als du deinen letzten Weg angetreten hast, aber Vera hatte deine Hand gehalten, als es soweit war. Ich hoffe es geht dir jetzt besser und du hast deinen Frieden gefunden. Aber du fehlst mir. Jetzt können wir nicht mehr zusammen Kaffee trinken und uns unterhalten, obwohl in der letzten Zeit auf Grund deiner Demenz keine richtige Unterhaltung mehr möglich war. Dein letzter Krankenhausaufenthalt vor einem Jahr hat dich um vieles zurück geworfen. Deine Demenz wurde danach noch schlimmer und es war sogar so, dass du nicht mehr alleine in deinem Haus bleiben konntest. Aber in ein Heim wollten Susanne und ich dich nicht geben, und so haben wir Vera für dich eingestellt. Du hast damals alles nicht mehr verstanden.
Wenn ich an deinen Blick denke, als wir dich vorübergehend in die Kurzzeitpflege geben mussten, da Vera erst drei Wochen später zu dir kommen konnte, dann wird mir immer noch schwer ums Herz. Auch als du dann ein Tag vor deinem Geburtstag wieder für immer nach Hause kamst, in dein geliebtes Haus, hattest du einen Blick, der konnte es nicht fassen, dass du wirklich wieder nach Hause durftest. Das letzte Jahr warst du, dank Vera, in guter Obhut, und eigentlich war es für dich ein gutes Jahr, bis auf die letzten drei Tage. Eine blöde Infektion riss dich von den Beinen und von der konntest du dich nicht wieder erholen. Die letzten zwei Tage musstest du gefüttert werden, du konntest nicht mehr richtig schlucken. Beim Trinken lief dir fast alles wieder aus dem Mund. Wenn es nicht besser geworden wäre, hättest du eine Magensonde bekommen müssen. Dieses ist dir Gott sei Dank erspart worden. Aber trotzdem fehlst du mir sehr.
Ich kann es immer noch nicht verstehen, dass du gestorben bist, und dann auch noch zwei Tage vor meinem Geburtstag.
Ich weiß auch, dass es besser für dich war, es ist dir vieles erspart geblieben. Aber es klingt egoistisch, aber warum musstest du es mir antun.
Ich wusste ja, dass dieser Augenblick kommen würde, aber dann war es doch zu schnell für mich. Mittags hatte ich dich noch besucht, dein Bett etwas anders hingestellt, damit Vera dich besser betten konnte. Abends eine Stunde vorher rief ich noch an und fragte wie es dir geht. Vera meinte noch zu mir:“ Nicht besser, aber die Nacht werden wir rum bekommen.“ Es verging noch nicht mal eine Stunde, da kam ihr Anruf. Ich wusste sofort was passiert war, denn ich hörte nur, wie Jörg sagte:“ Oh Gott, oh Gott“, und gab mir den Hörer.
Ich war die Erste, die Vera anrief, als es soweit war, dann erst wurde Susanne informiert.
Im ersten Moment dachte ich, der Boden von meinem Esszimmer würde sich unter meinen Füssen öffnen, dann bin ich einfach losgefahren, zu dir. Bei meiner Ankunft sah ich sofort, dass Vera die Terrassentür geöffnet hatte. Deine Seele konnte raus. Ich weiß noch, wie du immer gesagt hast, wenn einer stirb, dann muss man das Fenster oder die Tür öffnen, damit die Seele raus kann. Mit Vera, alleine konnte ich die Stube nicht betreten, kam ich dann rein und sah dich in der Ecke auf deinem Bett liegen. Du sahst schon so bleich aus, aber dein Gesichtsausdruck war entspannt; ganz friedlich sahst du aus.
Du hattest immer so viel Angst vorm Sterben, obwohl du viele Tote, als Nachtschwester auf der Intensivstation hattest.
Dein Leben war nicht immer leicht!
Mit gerade man zwölf Jahren hast du deinen Vater verloren, dann im Krieg ist dein Bruder Horst gefallen. Wie du viele Jahre später erfahren hast, ist er hinterrücks in Polen von Partisanen erschossen worden. Mit einer guten Bekannten bist du dann auch noch nach Polen gefahren, um sein Grab zu suchen. Du hast es zu deiner Zufriedenheit auch gefunden.
Auch bist du viel zu früh Witwe geworden und musstest uns alleine groß ziehen. Aber du warst eine tolle Mutter! Du hast uns alles gegeben und möglich gemacht, was deine finanziellen Mittel erlaubten, denn von Papa bekamst du keine Rente. Ihr ward beide im öffentlichen Dienst. Papa beim Staat und du bei der Stadt.
Sogar drei Mal bist du mit uns nach Spanien geflogen, obwohl das Geld dafür nicht da war. Viele schlaflose Nächte hattest du hinter dir, denn das Haus, in dem wir wohnten, hattest du mit Papa erst vier Jahre vor seinem Tod gekauft.
Es waren noch zu viel Schulden darauf, aber auch diese Hürde hast du gemeistert. Hast es uns nie spüren lassen, wenn es dir richtig schlecht ging.
Das Schönste für dich waren dann deine Enkel, die pünktlich zu deiner Rente kamen. Erst Jan, dann Annika, beide in einem Jahr. Das Jahr darauf kam Hendrik, ein Jahr später Niels, Torge, Janna und Lena, fünf Jahre später Eike und zum Schluss, elf Jahre nach Eike dann noch Celine.
Um Janna und Lena hast du dir sehr lange Sorgen gemacht, denn sie waren Sechsmonatskinder und lagen lange auf der Intensivstation.
Auch hattest du es nicht immer leicht mit mir. Ich sehe noch deinen Gesichtsausdruck, als ich dir eröffnete, dass ich mich von Andreas scheiden lasse. Du konntest es nicht verstehen und warst böse auf mich. Ich wurde trotzig und lange hatten wir keinen richtigen Kontakt zu einander, obwohl ich dich so sehr gebraucht hätte. Vor allem, als der Scheidungskrieg mit Andreas los ging.
Aber du kennst mich ja. Mein Stolz.
Erst deine Herzoperation brachte uns dann wieder näher. Da kam das erste Mal der Gedanke du könntest sterben. Vorher hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass du vor mir sterben würdest. Nein du doch nicht, diese für mich starke Frau.
Kurze Zeit später fing dann auch deine Demenz an.
Es war für dich eine schlimme Zeit, das langsame Vergessen, auch für mich, aber meine zweite Hochzeit und Celine hast du noch einigermaßen bewusst mitbekommen.
Aber da gab es noch eine Sache, die du nicht erfahren hast. Die Ärzte entdeckten zwei Flecken auf meiner Leber. Zwei Wochen lag ich im Krankenhaus und wurde von Kopf bis Fuß unter- sucht. Die Ärzte suchten einen Krebsherd, da sie annahmen, dass die Flecken in der Leber Metastasen wären. Bis heute weiß ich nicht, was es für Flecken sind; vor allem weiß ich auch bis heute nicht, ob Papa an Leberkrebs gestorben ist.
Fragen konnte ich dich nicht mehr, dafür war deine Demenz zu weit fortgeschritten. Du hast auch nicht mit bekommen, dass ich so viel abgenommen hatte, du lebtest in deiner eigenen Welt, warst froh, wenn du zur Tagesstätte gefahren wurdest. Ich wollte nach unserem Disbut nur noch für dich da sein und habe probiert, alles Schlimme von dir fern zu halten. Nicht immer klappte es, vor allem wenn ich Stress mit Susanne hatte.
Auch als ich die Herzbeschwerden hatte, habe ich dich erst nach Hause gefahren, du warst meistens nach der Tagesstätte immer noch bis abends bei mir. Erst dann fuhr ich ins Krankenhaus. Da stellten sie dann fest: Verdacht auf Herzinfarkt.
Ich kam für eine Nacht auf die Intensivstation, auf deine ehemalige Arbeitsstätte. Auch dieses hast du nicht erfahren. Ich wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause, ich wollte für dich da sein.
Jetzt bist du weg, ich gönne dir deine Ruhe, aber du fehlst mir.
Wenn ich mir vorstelle, dass du da unten im Grab liegst, ganz allein. Nein, darüber möchte ich eigentlich nicht nachdenken.
Aber jedes Mal, wenn ich zum Friedhof komme, überfällt mich der Gedanke. Deshalb besuche ich dich nur alle vierzehn Tage, dann bekommst du auch immer einen schönen Blumenstrauß. Ich hoffe du siehst es von oben, denn an dem Tag, wo du verstorben bist, da sagte ich zu Lena:“Wenn nachher ein Stern am Himmel erscheint, dann ist es Oma. Sie ist oben angekommen.“ Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt wusste, dass du demnächst in der Erde liegen würdest.
Dennoch, als Jörg mit mir von Susanne nach Hause fuhr, wir hatten uns an deinem Todestag bei ihr getroffen, sah ich plötzlich einen Stern am Himmel leuchten. Da glaubte ich fest daran, das du es bist. Ich hoffe auch, du hast deine Mutter und Irmgard gefunden, nach den du immer wieder gefragt hattest. Auch hoffe ich, du hast Papa gefunden.
Ich kann dir nur noch sagen:“Mama ich vermisse dich. Ich wollte dir noch viel sagen. Es tut mir leid, dass wir lange Zeit keinen richtigen Kontakt zu einander hatten. Auch der Ausspruch damals, Jörg seine Eltern würden mich besser verstehen, tut mir leid. Du hast mich immer besser verstanden. Du bist meine Mutter und ich liebe dich und werde dich immer lieben.
Diesen Brief hätte ich dir eher schreiben sollen, eigentlich noch vor deiner Beerdigung, aber du wurdest nicht aufgebahrt, sonst hätte ich ihn dir in den Sarg gelegt. Ich muss aber auch gestehen, ich hatte nicht den Mut, dich im Sarg anzuschauen. Ich hatte Angst!
Ich sah den Leichenwagen an Susannes Haus vorbei fahren, Lena war gerade mit Sandy gassi. Er fuhr von deinem Haus weg, da wusste ich, du liegst darin, du bist wirklich tot. Da ist ein zweites Mal der Boden unter meinen Füssen weggerutscht.
Wie gesagt, ich wünsche dir, dass es dir jetzt besser geht. Ich vermisse und liebe dich.
Verzeih mir.
Meike


Ps. Ich weiß, dass der Tod zum Leben dazu gehört, aber warum ist es so schwer. Ich bin selbst Krankenschwester, wie meine Mutter. Ich bin in der ambulanten Pflege tätig, jeder Zeit muss ich damit rechen, dass ich einen Menschen tot auffinde. Aber trotzdem habe ich arge Schwierigkeiten mit dem Tod.
Ich kann mir nicht vorstellen, plötzlich nicht mehr da zu sein. Was kommt dann? Treffen wir uns alle wieder? Ist es auf der anderen Seite wirklich schöner, wie Scheintote berichtet hatten? Oder kehren wir in einer anderen Gestalt wieder zurück.
Dieses Thema läßt viele Fragen offen.
Richtig beantworten kann sie keiner. Schade, vielleicht wäre es dann leichter, mit dem Tod umzugehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /