Gedankenverloren stand Michael Wessler mit einem Glas Sekt am Fenster und schaute hinaus.
In der Ferne sah man schon vereinzelte Raketen hochsteigen. Noch eine Stunde, dann war das Jahr 2007 vorbei. Ein Jahr mit vielen Höhen und Tiefen. Was sollte er hier? Hier, wo er keinen Menschen kannte, außer seinen besten Kumpel Hannes.
Michael hörte noch deutlich seine Worte. „Michael, du musst mal raus und nicht immer nur hinter dem Schreibtisch sitzen und arbeiten. Du musst unter Leute. Komm mit zur Silvesterparty in die Strandhalle, dort triffst du viele interessante Leute.“
Nun stand er hier, langweilte sich und hatte keinen Gesprächspartner. Alle waren mit sich und dem Alkohol beschäftigt. Auch Hannes hatte er seit längerer Zeit nicht mehr erblicken können. Ich werde nach Hause fahren, um dort alleine in Ruhe das neue Jahr zu begrüßen, kam ihm der Gedanke, als er plötzlich seinen Namen hörte.
„Mensch Wessler, was machst du denn hier?“ Abrupt drehte er sich in die Richtung, woher die Stimme kam, konnte aber keine Menschenseele erkennen, die ihm bekannt vorkam.
„Michael, erkennst du mich nicht, ich bin es, Grit!“
Wie aus dem Nichts stand eine blonde, von Kopf bis Fuß geschmackvoll gekleidete Frau vor ihm und hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt. Michael erstarrte, als er erkennen musste, wer vor ihm stand.
Natürlich erinnerte er sich noch an Grit Gerharts!
Mit ihr hatte er im vorletzten Sommer auf derselben Schule Abitur gemacht. Soweit er sich erinnerte, wollte sie auf die Universität gehen, während er im väterlichen Betrieb ein Praktikum anfangen sollte. Grit war nicht in seiner Klasse, aber immer sein heimlicher Schwarm gewesen. Nie hatte sie ihn auch nur beachtet und ausgerechnet hier, hier bei so vielen anderen Leuten, da spricht sie ihn an.
„Mensch Grit, schön dich zu sehen“, stotterte er verlegen, „damit habe ich nicht gerechnet, dich hier zu treffen.“
Vor Aufregung war ihm eine Röte ins Gesicht gestiegen.
„Nun schau mich nicht mit großen Augen an, erzähl mal, wie ist es dir denn so ergangen? Studierst du?“, fing sie gleich an auf Michael einzureden.
„Ich habe nach dem Abitur….Erzähl du doch erst mal. Was hast du nach dem Abi gemacht?“
„Ich!“, begann Grit überheblich und warf ihre blonden Haare nach hinten, „ich bin auf die Universität gegangen, um Medizin zu studieren. Nächstes Jahr werde ich ein Jahr nach Berlin gehen, um dort an der Charité ein Praktikum zu absolvieren.
In der Transplantationschirugie“, sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und sprach weiter, ohne auch nur Luft zu holen. Ihre näselnde Stimme verlieh allem, was sie sagte einen ironischen Unterton.
Verzweifelt schaute Michael nach seinem Kumpel, er wollte Grit nicht zuhören. Die Art, wie sie sprach, und dann das Kichern, so war sie doch früher nicht gewesen.
Bloß weg hier, Hannes wo steckst du denn, war sein einziger Gedanke und er schaute suchend in die Menschenmenge.
„Du hörst mir ja gar nicht zu!“, riss Grit Michael aus seinen Gedanken und zupfte dabei heftig an seinem Ärmel.
„Doch, plaudere ruhig weiter“, antwortete er höflich, und wendete seinen Blick wieder zu ihr hin. Er versuchte zu lächeln, obwohl er am Liebsten gesagt hätte, verschwinde und lasse mich mit deinem Gefasel in Ruhe. Früher hast du mich ja auch nicht beachtet, warum heute. Ungeduldig schaute er zur Uhr. Nur noch fünf Minuten bis zum Jahreswechsel.
Wo blieb nur Hannes? Mit dieser Grit wollte er nicht auf das neue Jahr anstoßen. Die alte Grit wäre ihm lieber gewesen. Wieder ging sein Blick suchend in die Menschenmenge, während Grit immer weiter redete.
„So, nun erzähle du doch mal“, beendete sie ihre Ausführung und schaute ihn herausfordernd an. Michaels anfängliche Aufregung war plötzlich verschwunden.
„Ach, bei mir gibt es nicht viel zu erzählen. Ich hatte ein Praktikum in der Firma meines Vaters absolviert“, antwortete er mit Stolz und schaute wieder auf seine Uhr. Nur noch eine Minute!
„Und als mein Vater schwer erkrankte habe ich die Leitung der Firma übernommen und bin jetzt Weltweit tätig.
Prost Neujahr“ und ließ Grit, ohne eine Antwort abzuwarten mit offenem Mund stehen, denn in diesem Moment wurde das neue Jahr begrüßt.
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2008
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