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Eine neue Aufgabe

„Herr Niemann, diesmal sind Sie zu weit gegangen.“
„Aber ich habe doch nur auf mein Recht bestanden, das wird man ja wohl noch dürfen“, polterte der untersetzt wirkende Mann, der durchaus adrett aussah in seiner blauen Uniform der Frankfurter Berufsfeuerwehr.
Branddirektor Schänker sprang auf und stützte sich auf seinen schweren Schreibtisch. Eindringlich sprach er auf den Feuerwehrmann ein.
„Herr Niemann, …“
Der Frankfurter Feuerwehrchef hielt kurz inne. Er schien seine Worte gewissenhaft abzuwägen. Dann setzte er erneut zur Erklärung an: „Heinrich, wie lange kennen wir uns jetzt?“
„Ich wusste gar nicht, dass wir uns duzen, Herr Direktor.“
„Genau, das ist dein … äh … Ihr Problem, Heinrich ...“
„Löschmeister Niemann, bitte!“
Der Branddirektor ließ sich resigniert in seinen Sitz fallen.
„Also gut“, sagte er gepresst und massierte sich die Nasenwurzel.
„Noch mal von vorne: Herr Löschmeister Heinrich Niemann, Sie werden zum ersten Januar 1900 auf den Frankfurter Kaiserdom der St. Bartholomäusgemeinde als Türmer versetzt und die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erfüllen. Die Stadt Frankfurt stellt Ihnen die Türmerwohnung kostenfrei zur Verfügung. Haben Sie noch
Fragen dazu?“
„Sie haben sich klar und deutlich ausgedrückt, Herr Branddirektor. Außerdem gehe ich davon aus, dass Sie mir das Versetzungsschreiben noch aushändigen werden. Dort wird sicherlich alles Notwendige
drin stehen.“
„So ist es“, sagte der Direktor knapp.
„Dann ist alles gesagt“, schloss Niemann und sprang auf. „Guten Tag, Herr Branddirektor.“
Löschmeister Niemann nahm das Versetzungsschreiben entgegen und verließ das Büro seines Chefs, der froh war, ihn endlich los zu sein.

Es war abzusehen, dass es einmal so weit kommen würde. Doch Heinrich Niemann konnte nicht anders, als die Missstände auf der Feuerwache anzuprangern. Dummerweise macht man sich damit keine Freunde unter den Kollegen. Ebenso dumm gelaufen war die Sache mit dem Brief an Bürgermeister Adickes. Im Nachhinein betrachtet
hätte er doch besser den Dienstweg einhalten sollen; aber dann wäre nichts passiert.
Seit Wochen schon war die Heizung auf der Hauptfeuerwache in der Münzgasse nicht funktionsfähig. Auf diesen Missstand hatte Niemann
seinen Vorgesetzten mehrfach mündlich hingewiesen. Als sich bezüglich der Reparatur nichts getan hatte, beschloss der Feuerwehrmann einen geharnischten Brief an den Bürgermeister zu schreiben.
Was Niemann nicht wusste, war, dass just einen Tag, bevor er den Brief an Adickes schrieb, sein Vorgesetzter den Auftrag zur Reparatur der Heizung gegeben hatte. Dies führte dann zu seiner Strafversetzung
an Frankfurts höchsten Arbeitsplatz. Man hatte nun endlich eine passende Gelegenheit gefunden, ihn loszuwerden. Heinrich Niemann war ein nett anzusehender Bursche von knapp dreißig Lenzen, mit schicker Uniform und einem nach oben gebogenen
Schnurrbart, der gerade in Mode war und viel Pflege verlangte.
Der Löschmeister im Dienste der Berufsfeuerwehr Frankfurt war jedoch ein sehr streitbarer Zeitgenosse. Die ständigen Eingaben bei seinen Vorgesetzten rührten aus einer Frustration heraus, die einige
Jahre zurücklag. Er wurde seinerzeit bei einer Beförderung übergangen.
Die Stelle, die er beansprucht hatte, war dem Neffen
seines Wachleiters zugesprochen worden. Und das, obwohl dieser erst wenige Jahre bei der Feuerwehr und, Niemanns Meinung nach, weitaus
geringer qualifiziert war als er. Seitdem nutzte Niemann jede Gelegenheit zum schriftlichen Protest, wobei er eigentlich darauf achtete,
dass seine Eingaben berechtigt waren. Dies gelang ihm leider nicht in allen Fällen, was ihm schnell den Ruf des Querulanten vom Dienst einbrachte.
Seine Frau Klara, die er sehr verehrte und anders als zu dieser Zeit häufig üblich aus wahrer Liebe geehelicht hatte, war die Einzige, die ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen vermochte.
Dies gelang ihr jedoch nur episodisch.
Das Fatale war, dass Heinrich die Briefe meist in den langen Nachtdiensten, in denen er aus Prinzip niemals schlief, schrieb.
Niemann war für seine Briefe an die Direktion bei den Kollegen berühmt und berüchtigt. Hinter vorgehaltener Hand erhielt er bei seinen Kameraden den Spitznamen Postbote.
Seine Beschwerden waren mannigfaltig.
Mal waren die Schnarchgeräusche seiner Kollegen während des Nachtdienstes zu bemängeln. Und überhaupt: Warum schläft ein Feuerwehrmann
des Nachts, wo er doch Wachdienst hat? Dann war ihm die Ausrüstung zu kläglich und sollte gefälligst erneuert werden. Oder aber sein Vorgesetzter schien ihm nicht geeignet zur Führung einer Wachmannschaft, was nebenbei bemerkt zwar stimmte, aber gehörigen Ärger für Niemann nach sich zog.
Derartige Schreiben gab es viele aus der Feder des Feuerwehrmanns, jedoch blieben diese in jedem Fall innerhalb der Branddirektion. Niemals hatte etwas nach außen durchdringen können. Die Direktion
fühlte sich im aktuellen Fall deshalb zu recht düpiert und konnte sich diese Dreistigkeit nicht gefallen lassen. Anderseits hatte sie endlich eine Handhabe, den aufmüpfigen Niemann loszuwerden. Also wurde
er in die Spitze des Domes strafversetzt, wo er von nun an als Türmer und menschlicher Feuermelder fungieren sollte.
„Ich habe es dir immer gesagt, Heinrich“, zeterte Klara, des neuen Türmers Frau. „Seit Jahren schreibst du diese Beschwerdebriefe. Immer wieder hast du deshalb Ärger bekommen. Aber nein, du
kannst es nicht lassen.“
„Die Heizung war viel zu lange kaputt“, gab sich Niemann trotzig.
„Die Kollegen haben gefroren.“
„Nein“, rief die Frau vorwurfsvoll. „Du hast gefroren und du bist ein Querulant! Dabei haben wir dieselbe Heizung in unserem Haus und die hast du schon zigmal repariert!“
„Aber Klärchen …“
„Ach, lass mich in Ruhe!“
Zuhause war Niemann wesentlich umgänglicher als im Dienst. Er war ein fürsorglicher Ehemann und stritt nur sehr selten mit seiner Frau. Er wäre auch ein guter Vater geworden, wenn es denn geklappt hätte. Aber das Ehepaar Niemann hatte schon vor einigen Jahren die Hoffnung aufgegeben, Kinder zu bekommen. Er war ein Mensch mit zwei Gesichtern, mit dem des wütenden Feuerwehrmanns und dem des netten Privatmenschen. Woran das lag, war selbst ihm ein Rätsel.
Aber er konnte einfach nicht anders. Wenn er erst einmal ein Unrecht aufgedeckt hatte, dann ließ er nicht locker. Das war seine Natur. Nur ein Monat blieb Niemann Zeit, den Umzug zu organisieren.
Er bat um Freistellung vom Dienst, was ihm sein Vorgesetzter mit Freuden gewährte. Der Umzug gestaltete sich äußerst schwierig. Etliche Möbel aus Niemanns bisheriger Wohnung mussten veräußert
oder anderweitig entsorgt werden, da sie nicht durch die engen Treppen des Domturmes transportiert werden konnten. Zum Glück hatten die Erbauer des Doms beim Bau des Glockenturms mitgedacht.
Die engste Stelle im gesamten Turm befand sich bereits am Eingang. Was hier nicht durchpasste, kam nicht in den Turm. So konnte man sich eine böse Überraschung am Gipfel ersparen. Dennoch war es eine schwere Schinderei, bis alles seinen Platz in knapp siebzig Metern Höhe fand.
Noch während des Umzugs wurde Niemann in seine neuen Aufgaben eingewiesen und trat am ersten Januar 1900 seinen Dienst als Türmer hoch oben über der Stadt im Gipfel des Frankfurter Kaiserdoms
an.
Zu den Aufgaben des Türmers gehörte unter anderem die Revision des Kirchendaches und der Glockenstuben. Niemann betreute darüber hinaus die Besucher des Domes, die sich gerne einmal die herrliche Altstadt Frankfurts aus luftiger Höhe ansehen wollten. Er kontrollierte deren Eintrittskarten oben an der Aussichtsplattform, die am Fuße des Turmes der Dompförtner verkaufte. Heinrich hatte alle Hände voll zu tun, die Bengel in den Besuchergruppen davon abzuhalten, die Wände des heiligen Gebäudes zu beschmieren.
Die wichtigste Aufgabe jedoch war die Bestätigung bereits gemeldeter Brände in der Stadt. Wenn ein Feuer gemeldet wurde, bekam Heinrich über den modernen Morseapparat in seiner Stube eine Anfrage,
die da lautete: „Siehste was?“ Dann hatte er Ausschau zu halten, ob irgendwo in der Stadt eine Rauchsäule zu sehen war. Sobald er eine solche entdeckt hatte, bestätigte er den Brand. Zusätzlich
steckte er eine rote Fahne an die Dommauer. Und zwar genau in der Richtung, in der das Feuer vermutet wurde.
Aber alles in allem war es ein beschaulicher Posten. Darüber hinaus war er mit seiner Frau Klara allein hier oben und hatte keinen direkten Vorgesetzten, außer Branddirektor Schänker. Hier würde er kaum Ärger bekommen können.

Ende der Leseprobe!!


Wie geht es weiter mit der Geschichte?

Niemann findet eines Morgens eine tote Frau im Glockenturm des Domes. Aufgeregt rennt er zur Polizei, um den Fund zu melden. Doch als er mit den Beamten zum Tatort zurückkehrt, ist die Frau verschwunden. Die Polizei glaubt an einen schlechten Scherz und unternimmt keinerlei Anstrengungen. Doch der Türmer weiß, was er gesehen hat und ermittelt auf eigene Faust. Schon bald stößt er auf erheblichen Widerstand. Jemand mit sehr viel Einfluß in der Stadt will um jeden Preis verhindern, dass der Türmer im Fall der verschwundenen Leiche ermittelt.

Das Buch erscheint am 19. Mai 2009 im Röschen-Verlag als Paperback. Zu kaufen ist es in jeder Buchhandlung unter der ISBN 978-3-940908-04-9
oder unter www.leserun.de, es hat 200 Seiten und kostet 10,50 Euro inkl. Versandkosten.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

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