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Schafe zählen

 

 

 

Oma, hilfst du mir Schäfchen zählen?

Dorothee Petsch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Oma, ich kann nicht einschlafen.

Mutti hat gesagt, ich soll Schafe zählen.

Warum?

Hilfst du mir dabei?

 

 

 

 

 

 

 

Für Paul

 

 

 

 

 

 

 

Dezember 2017

 

 

 

 

1 Oma, meine Hose ist kaputt. Mama hat gesagt: „... die war auf Kante genäht...“. Warum?

 

 

In einer Kleinstadt in Mitteldeutschland lebte ein Schneider. Er hatte seinen Beruf von der Pike auf gelernt und war mit Herz und Seele Schneider. Seine Kunden sagten, dass eher der Stoff kaputt gehe, als dass sich eine Naht löse. Sein Kundenstamm war klein, aber fein. Obwohl die Bekleidungsdiscounter um die Stadt herum wie Pilze aus dem Boden schossen, hatte er gut zu tun und verdiente ausreichend für seinen Lebensunterhalt. Er konnte es sich sogar leisten, im Bioladen um die Ecke Lebensmittel einzukaufen. Eines Tages erstand er in diesem Laden von Hand gekochtes Pflaumenmus, seine Lieblingsspeise. Am nächsten Morgen, er war gerade dabei sein Frühstück zu bereiten, rief ein aufgeregter Stammkunde an, um eine maßgeschneiderte Jeans mit Lederbesatz für eine Westernparty zu bestellen. Der Schneider hörte sich geduldig die für ihn unbegreiflichen Wünsche des Kunden an und rechnete in Gedanken schon den Profit aus, den er mit dieser Hose erzielen könne. Zurück in der Küche stellte er fest, dass sich sieben Fliegen auf seinem Pflaumenmus niedergelassen hatten. Er nahm ein Messer, hob die Fliegen vom Mus ab und brachte sie in einen Blumentopf, der auf der Terrasse stand, als Morgengabe für die vielen Vögel, die in seinem Garten lebten. Stolz auf sich und sein ökologisches Gewissen, beschloss er, diese Tat allen Kund zu tun. Sein erster Gedanke war, eine Schärpe zu sticken mit der Aufschrift „Sieben auf einen Streich“. Nach einem Blick in seine tollen Modemagazine bemerkte er, dass das wohl nicht mehr zeitgemäß sei. Also kaufte er sich am Markttag an einem Stand einen großen bunt-schwarz gestreiften Button, um ein Tape mit seiner gewünschten Inschrift aufzukleben. Gesagt, getan. Stolz trug er seinen gestreiften Button. In vollkommener Verkennung der Tatsachen hatte er einen Button der Punkband „Die gestreiften Hosen“ ausgesucht. Ein Simpel, der ihm auf der Straße begegnete, sah den Button mit der Aufschrift und kam zu der Erkenntnis, dass ihr Schneider wohl nun diese Rockband einkleide. Es ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt.

Leute, die nie seine Kundschaft geworden wären, als er noch als ausgesprochen konservativ galt, bestürmten ihn, für sie gestreifte Hosen zu nähen. Sie brachten ihm Bilder von der Rockband als Nähvorlagen. So bestellte er Stoffe in vielen Farben und wunderte sich nur über den ausgefallenen Geschmack seiner auf einmal viel jüngeren Kundschaft. Da es öfter über den Preis der Hosen Diskussionen gab, bemühte er sich zunächst, billigere Stoffe einzusetzen. Als das noch nicht ausreichend war, fing er an, seinen Nähstil zu optimieren. Zunächst ersetzte er die für seine Arbeit berühmten französischen Doppelkappnähte durch einfache Kappnähte und sparte damit Material und Zeit. Als das noch nicht reichte, wurden aus den Kappnähten einfache Nähte. Alle wollten nur diese Hosen und keiner interessierte sich so recht für deren Qualität. Nun wurde der Schneider wohl doch etwas zu gierig. Die Nahtzugaben wurden immer geringen, die Hosen immer billiger. Er nähte so knapp wie irgend möglich, also fast ohne Nahtzugabe.

Und irgendwann im Laufe dieser Entwicklung hatte er den Bogen überspannt und seine einst so berühmten Hosen rissen bei der kleinsten Belastung in den Nähten aus. Seit der Zeit war der gute Name des Schneiders ruiniert, weil niemand mehr eine Hose haben wollte, die eben auf Kante genäht war und ganz schnell kaputt ging.

Jetzt weißt du, warum man bei Dingen, die schnell kaputt gehen, weil sie so schlecht gearbeitet sind, sagt, sie seien auf Kante genäht. Dein Schlafanzug ist aber gut gearbeitet. Gute Nacht, schlaf gut und träume etwas Schönes.

 

 

2 Oma, da haben sich heute zwei Jungen gestritten. Ich weiß nicht, worum es ging, aber der eine sagte zum anderen:

„... du hast ja vom Tuten und Blasen keine Ahnung...“ Warum?

 

Vor langer Zeit, als im Mittelalter die ersten Städte entstanden und es noch keine Sicherheitsfirmen, Alarmanlagen und Bodygards gab, lebte in einer solchen kleinen Stadt ein Mann, der vom Stadtrat als Nachtwächter berufen worden war. Er lief nächtens durch die Straßen und Gassen der Stadt und sorgte in diesen unruhigen Zeiten für Ruhe und Ordnung und warnte die schlafenden Bürger vor Feuer und anrückenden Feinden. Eine seiner Aufgaben war auch das Überwachen der ordentlich abgeschlossenen Haustüren und Stadttore. Zu seiner Ausrüstung gehörten eine Hellebarde, ein Horn und eine Laterne. Stell dir vor, er musste sogar die vollen Stunden ansagen, weil es kaum Uhren gab! Und dazu brauchte er sein Horn, um ganz laut zu tuten.

Obwohl wichtig für die Stadt und die Bürger, galt diese Arbeit meist als niedere Tätigkeit, wurde von den Bürgern verpönt und dazu noch schlecht bezahlt. Unser Nachtwächter, von dem ich hier erzähle, gehörte zu den Glücklichen, die einen wohldotierten Job bekamen, auch weil sie des Lesens uns Schreibens kundig waren. Das war zur damaligen Zeit überhaupt nicht für alle selbstverständlich.

Du musst dir das so vorstellen: Abends kurz vor 22.00 Uhr ging der Nachtwächter auf seine erste Runde durch die Stadt. Dank seiner Laterne sah er den Weg und fiel nicht von einem Dreckloch in das andere, Bürgersteige gab es nämlich auch noch nicht. Pünktlich um 22.00 Uhr tutete er zehn mal in sein Horn. Er konnte also nicht nur Lesen und Schreiben sondern auch noch Zählen. Dazu sang er ein Lied, um sich im Dunkeln nicht zu fürchten: „Hört, ihr Leut’,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8790-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dank an Paul und meine Kinder

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