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Prolog

Viele Legenden ranken sich um das kleine Inselkönigreich Khesin. Von den Tischen der Gasthäuser und Tavernen des Königreichs wurden sie in alle Welt hinausgetragen. Blumenreich ausgeschmückt und oftmals um erfundene Abenteuer ergänzt, stellten sie die stets nach Neuigkeiten dürstenden Zuhörer zufrieden.

 

Samman, Khesins königlicher Archivar, betrachtete diese Entwicklung mit Sorge. Deshalb begann er bereits sehr früh, die tatsächlichen Begebenheiten niederzuschreiben. Seine Informationen sammelte er dabei nicht nur an den Wirtshaustischen, sondern hauptsächlich bei den Nachkommen der seinerzeit handelnden Personen. Indem er diese Informationen um den Kern der verbreiteten Legenden ergänzte, gewann Samman ein recht gutes Bild der tatsächlichen Geschehnisse.

Eine herausragende Rolle spielte dabei dabei der junge Toran, der am Königshof der Hauptstadt Khesa geboren war. Nach der Ermordung seines Vaters, des königlichen Schwertmeisters, wurde er als Kind von König Thar in die Hafenstadt Tharl geschickt, wo er bei einer Pflegemutter aufwuchs.

 

Eines Tages wurde Toran, der mittlerweile erwachsen war, in die Hauptstadt Khesa gerufen, wo ihn König Thar beauftragte, auf das Festland zu reisen, um in den Urwäldern des Landes Goor nach einem lange verschollenen magischem Zepter zu suchen. Und Toran gelang es tatsächlich, gemeinsam mit einem Gefährten, das Kleinod zu finden und nach Khesin zurückzubringen.

Wesentlichen Anteil am Erfolg seiner Mission hatte dabei ein magisches Schwert, in dessen Besitz er eher zufällig gekommen war. Die Waffe entpuppte sich später, da ein von Toran gefundener Edelstein an ihren Knauf geschmiedet worden war, als Feuerklinge, das Schwert der Könige Khesins.

 

König Thar ernannte Toran daraufhin zum königlichen Schwertmeister und erteilte ihm den Auftrag, nach der schon lange verschollenen Löwenbruderschaft zu suchen. Deren magische Schmiede sollten einen zweiten von Toran gefundenen Edelstein der gleichen Art wie der am Schwert an das Zepter schmieden, um dessen Magie zu erwecken.

Im Lauf seiner Suche traf Toran auf einen merkwürdigen alten Mann, der seit Jahrzehnten allein in den unwegsamen Wäldern im Norden Khesins hauste. Dieser Mann wies ihm den Weg zur Löwenbruderschaft und warnte ihn vor einem erwachenden Dämon, der vorhatte, das Königreich Khesin zu zerstören.

 

Toran gelang es, die Kreaturen des Dämons zu überwinden. Er suchte die Niederlassung der Löwenbruderschaft auf, wo er jedoch erfahren musste, dass die magische Schmiedekunstdort dort längst in Vergessenheit geraten war. Nur knapp einem Mordversuch einiger der Brüder entronnen, kehrte er nach Tharl zurück, um den Schmied Silgor zu bitten, die vom König verlangte Schmiedearbeit zu erledigen. Doch in Tharl  berichtete ihm Alia, Silgors Tochter, dass man den Schmied entführt hatte.

 

An dieser Stelle beginnt die Reihe von Torans Erlebnissen, die Samman im vierten Buch der Khesin-Saga zusammengefasst hat. Dem jungen Mann ist sofort klar, dass nur Angehörige der Löwenbruderschaft für diese schändliche Tat verantwortlich sein können. Er begibt sich unverzüglich auf die Reise, um den Schmied aus der Gewalt der Bruderschaft zu befreien.

Doch der Weg zurück birgt viele Gefahren, insbesondere, weil die Kreaturen des erwachenden Dämons bereits auf Toran lauern. Und selbst wenn er es schaffen sollte, diese zu besiegen, muss es Silgor erst noch gelingen, den Edelstein im glutflüssigen Gestein des magischen Berges Ofor an das Zepter zu schmieden. Aber der schlimmste Kampf steht ihm danach noch bevor: Der Kampf gegen den Dämon Uhuloaraq, der einst im Auftrag eines gewissenlosen Königs von Hohepriester Huloar und dessen Priesterschaft als übermächtiger Kriegsdämon erschaffen worden war.

 

 

Die Rückkehr

Am Morgen machte sich Toran bereits vor Sonnenaufgang auf den Weg. Er schleppte schwer an dem großen ledernen Beutel, den er auf dem Rücken trug, denn die alte Numia hatte ihn für seine Reise zur Löwenbruderschaft überreichlich mit Proviant ausgestattet. Auf dem Rücken, eingewickelt in ein Stück Sackleinen, trug er auch das Zepter der Könige Khesins, und seine Gürteltasche wurde von dem violetten Edelstein ausgebeult, von dem er hoffte, dass ihn sein Freund Silgor an das Zepter schmieden würde.

 

Nachdem er Tharl durch das westliche Tor in Richtung der Hauptstadt Khesa passiert hatte, bog er von der holprigen Straße auf einen schmalen Pfad ein, der ihn zu einem der Ausläufer des Felsengebirges im Norden führen sollte.

Hier kannte er einen Bauern, der eine große Schafherde sein Eigen nannte. Von ihm wollte er einige der Tiere erwerben, um sie dem geheimnisvollen Volk der Taan, das seit Hunderten Generationen im Inneren der Berge lebte, wie versprochen zum Geschenk zu machen. Und da er zügig ausschritt, erreichte er das steinerne Bauernhaus, das sich zwischen zwei große Felsen duckte, lange bevor die Sonne im Zenit stand.

 

Der Bauer war nicht wenig erstaunt, als ihm Toran sein Ansinnen vortrug, denn kannte ihn als Jäger, der sich sein Fleisch durch die Jagd beschaffte. Doch bereitwillig führte er ihn zu seiner Herde, damit er sich die Tiere aussuchen konnte. Toran erwarb drei feiste Schafe, die er mit einem Strick zusammenband, den ihm der Bauer gegeben hatte. Kopfschüttelnd blickte ihm der Mann nach, als er sich nicht auf den Weg zurück nach Tharl begab, sondern den schmalen, steinigen Pfad in Richtung auf das Felsengebirge einschlug.

 

Mit den Tieren, die er an dem Strick hinter sich nachzog, kam Toran nicht sonderlich schnell voran, doch sie hatten sich auf ihrer saftigen Weide sattgefressen und folgten ihm willig. Auf diese Weise erreichte er noch vor Sonnenuntergang eine versteckt liegende Waldlichtung, auf der er die Nacht verbringen wollte. Futter und Wasser für die Tiere waren hier im Überfluss vorhanden.

Da er die Schafe versorgt wusste, entzündete er ein Feuer, an dem er sich während der Nacht wärmen wollte. Zufrieden begann er, seinen Proviant auszupacken. Würziger Ziegenkäse, gebratenes Fleisch, knusprige Fladenbrote und sogar eine kleine tönerne Flasche, gefüllt mit köstlichem Rotwein aus dem Süden Khesins, kamen aus dem Lederbeutel zum Vorschein, den ihm die alte Numia mitgegeben hatte.

 

Nachdem er sich an den Leckerbissen ausgiebig gelabt hatte, blieb Toran am Feuer sitzen. Unruhig befingerte er das Amulett, das ihm die alte Numia zum Abschied geschenkt hatte. Es handelte sich dabei unzweifelhaft um die versteinerte Klaue eines Theilos, einer riesigen Flugechse. Vor langer Zeit hatten diese Tiere die Gebirge Khesins bevölkert, waren aber vor einigen Generationen verschwunden. Doch wie konnte ihm dieses Kleinod, dem magische Eigenschaftern zugeschrieben wurden, bei seiner Mission helfen? Seufzend steckte er die Klaue wieder in sein Hemd und holte sich ein Stück Fladenbrot, um daran zu knabbern.

Flehend erhob er den Blick zum nachtschwarzen Himmel, wo Myriaden von Sternen wie kostbare Edelsteine funkelten. „Ihr Götter“, flüsterte er. „Werdet Ihr mir bei meiner schweren Aufgabe zur Seite stehen?“ Doch die Götter antworteten nicht. Lediglich der leise Ruf eines Nachtkäuzchens erinnerte ihn daran, dass der Morgen nicht mehr allzu fern war. Deshalb legte er sich neben der wärmenden Glut nieder und sank alsbald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 

Wie am Tag vorher, kam Toran am nächsten Morgen mit den Tieren schnell voran, sodass er bereits nach kurzer Zeit die dunkel gähnende Öffnung im Fels vor sich sah, die ihn in das Innere des Berges führen sollte. Erleichtert darüber, dass es ihm gelungen war, die drei Schafe unbeschadet auf dem schmalen Bergpfad herzubringen, trat er durch den Höhleneingang. Und es dauerte auch nicht lange, bis sich die Bergbewohner bemerkbar machten: Kaum hatte er die Höhle betreten, als ihm ein leiser Pfiff aus dem Dunkel verriet, dass man bereits auf ihn wartete. Sorgfältig band er die Tiere an einem Felsvorsprung fest, bevor er auf einer glatten Felsenbank Platz nahm. Toran rechnete damit, dass längere Zeit vergehen würde, bis Li-Taan, der Älteste der Bergbewohner, eintreffen würde, doch er hatte sich geirrt.

 

Bereits nach kurzer Zeit strömte eine unüberschaubare Schar des Bergvolkes schweigend in die halbdunkle Höhle. Die Taan waren deutlich größer als Toran und fielen durch ihren äußerst schlanken, beinahe zarten Körperbau und ihre überaus glatte Haut auf, die in dem schwachen Licht, das durch den Höhleneingang fiel, schneeweiß leuchtete. Allesamt, Männer, Frauen und Kinder, waren vollkommen nackt. Angeführt wurden sie durch ihren Ältesten, den weißbärtigen Li-Taan.

 „Du bist überraschend schnell zurückgekehrt, junger Mann“, zischelte der Älteste, nachdem ihn Toran mit einer ehrerbietigen Verneigung begrüßt hatte.

Toran nickte. „Dafür gibt es einen wichtigen Grund, Li-Taan. Der Schmied Silgor, den ich in Tharl zu treffen gehofft hatte, ist von vier Männern aus seinem Haus in Tharl verschleppt worden.

Der Mann legte den Kopf schief. „Vier Männer, sagtest du?“, hauchte er. „Nur wenige Stunden, nachdem wir hier miteinander gesprochen hatten, sind vier Männer, die einen an den Händen gefesselten Hünen bei sich hatten, diesen Weg gegangen.

Toran atmete auf. „Den Göttern sei Dank“, flüsterte er. „Ich weiß, wohin diese Männer meinen Freund bringen werden. So wird es mir hoffentlich nicht allzu schwer fallen, ihn zu befreien.“

Mittlerweile hatten Li-Taans Begleiter die Schafe entdeckt, die Toran mitgebracht hatte. Aufgeregt zischelnd, schob sich die Menge Schritt für Schritt näher. „Warmes Blut“, flüsterte, raunte und zischelte es aus zahllosen bleichen Lippenpaaren. „Frisches, warmes Blut.“

Toran trat zur Seite, damit Li-Taan die Schafe begutachten konnte. „Sie gehören euch allen“, erklärte er lächelnd. „Nehmt die drei Tiere als kleinen Dank dafür, dass Ihr es ermöglicht habt, dass mein Gefährte und ich vor Kurzem sicher durch den Berg gekommen sind.“

„Du bist äußerst großzügig, Toran“, flüsterte Li-Taan. „Wir sind dir zu großem Dank verpflichtet. Denn für den unbedeutenden Dienst, den wir dir und deinem Freund erwiesen haben, hast du uns viele Jahre Leben und zahlreiche gesunde Nachkommen geschenkt. Doch lass uns jetzt mit unserem Geschenk allein.“ Mit einer Kopfbewegung gab er einer Schar Männer, die hinter ihm wartete, einen Wink, worauf sich diese unverzüglich auf Toran stürzten. Bevor der auch nur einen Finger rühren konnte, wurde er blitzschnell hochgehoben und von den Männern fortgeschleppt.

 

Rasend schnell wurde er durch die Dunkelheit getragen, ohne dass er in der Lage war, zu erkennen, wohin die Reise ging. Bergauf und bergab ging es in schnellem Lauf, durch kühle, trockene Gänge, aber auch durch eiskalte Wasserläufe, bis ihn die Männer vorsichtig auf dem Felsboden absetzten. Ein schwacher Lichtschimmer verriet, dass es ganz in der Nähe einen Weg ins Freie geben musste.

Toran wandte sich um, da er sich bei den Männern bedanken wollte, doch sie waren bereits lautlos in der Dunkelheit verschwunden. „Ich danke Euch“, rief er ihnen noch nach, bevor er dem Lichtschein folgte. Und als er nach wenigen Schritten er im Freien stand, vermochte er kaum zu glauben, dass man ihn buchstäblich im Handumdrehen durch den Berg getragen hatte. Gemeinsam mit Taskin hatte er für diese Strecke nahezu einen halben Tag benötigt.

 

Immer wieder musste er an seinen Freund Silgor denken, der sich seit Tagen in der Gewalt der Löwenbruderschaft befand. Diese Gedanken beflügelten ihn so sehr, dass er unversehens in einen zügigen Laufschritt fiel. Lediglich durch kurze Pausen unterbrochen, in denen er das frische, kristallklare Wasser der allenthalben sprudelnden Quellen trank oder einige Bissen aus seinen Vorräten kaute, lief er nahezu den ganzen Tag mit gleichmäßiger Geschwindigkeit.

Doch trotz seiner großen Eile legte er keine unangemessene Hast an den Tag. Sobald ihm die drückende Hitze in dem engen Tal zu schaffen machte, stellte er sich mitsamt seiner Kleidung unter einen der zahlreichen Wasserfälle, die ins Tal herunterstürzten. Gelegentlich legte er sich auch in einen der klaren Bäche, bis er vor Kälte zu zittern begann. Seine nasse, unter der glühenden Sonne nur langsam trocknende Kleidung verschaffte ihm danach meist so lange Kühlung, bis er die nächste geeignete Wasserstelle erreichte.

 

Sorgen bereitete ihm die ganze Zeit über nur die Möglichkeit, dass der erwachende Dämon, der Khesin bedrohte, bereits seine Kreaturen hierher geschickt haben könnte. Deshalb behielt er Augen und Ohren weit offen, damit ihm die Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt nicht entgingen, die das Erscheinen der Kreaturen stets begleiteten.

 

Oftmals musste er sich zwischen den übermannshohen Disteln, die allenthalben in dichten Gruppen wuchsen, seinen Weg suchen. Sorgsam nahm er sich vor deren fingerlangen, nadelspitzen Stacheln in Acht, wobei er stets gewärtig war, dass sie gegebenenfalls unter Uhuloaraqs verderblichem Einfluss giftig geworden sein konnten. Ab und zu tippte er vorsorglich eine der Pflanzen mit der Schwertspitze an, um sicherzugehen, dass sie noch nicht verändert war.

Doch nichts deutete darauf hin, dass auch nur eine Einzige der Kreaturen des Dämons bis hierher vorgedrungen war. Die herrlichen Blumen im Tal verströmten wie vor Tagen ihren süßen Duft und wurden umschwirrt von Bienen und Hummeln und umflattert von bunten Schmetterlingen. Und auch die übrigen Pflanzen und Tiere, derer Toran ansichtig wurde, schienen ausnahmslos unverändert zu sein. Deshalb bereitete ihm der bevorstehende Sonnenuntergang kein großes Kopfzerbrechen. Er würde auch im Dunkeln seinen Weg finden, da er nicht jeden Augenblick damit rechnen musste, dass ihm in jedem der dunklen Schatten eine der widerwärtigen Kreaturen des Dämons auflauerte.

 

Einmal, am späten Nachmittag, wurde Toran durch das laute Summen von Fliegen aufgeschreckt. Mit gezogenem Schwert schlich er gräuschlos näher und schüttelte traurig den Kopf, als er den Grund dafür entdeckte: Man hatte einen toten Mann, anstatt ihn zu begraben, einfach in ein Gebüsch geworfen. Und da der Mann zweifellos erst vor Kurzem verstorben, und sein Kopf auf unnatürliche Weise nach hinten gedreht war, konnte sich Toran unschwer vorstellen, durch wen der Mann zu Tode gekommen war. "Silgor, Silgor", murmelte er kopfschüttelnd.. "Ich glaube aber nicht, dass es dir gelingen wird, alle deine Bewacher zu töten."

 

Als die Sonne schließlich untergegangen war, gönnte er sich eine längere Essenspause, bis der Mond aufgegangen war und das Tal mit seinem bleichen Schein erhellte. Und weil es in diesem Abschnitt des Weges kaum Bewuchs und nur wenige unwegsame Stellen gab, kam er jetzt kaum langsamer voran als während des Tages, zumal er ausgeruht war und sich aus seinen Vorräten gestärkt hatte.

Deshalb entschloss er sich, gänzlich auf ein Nachtlager zu verzichten. Am nächsten Vormittag würde er die alte Ruinenstadt erreichen. Dort konnte er sich ausruhen und vor allem schlafen, ohne sich um seine Sicherheit Sorgen machen zu müssen. So lief er zügig weiter, ständig von dem Wunsch getrieben, Silgor aus den Händen seiner Häscher zu befreien.

 

Nach einer Weile, er war gerade in den tiefschwarzen Schatten eingetaucht, den ein spitzer Bergkegel quer über das Tal warf, erstarrte er buchstäblich zu Stein. Er hatte ein riesenhaftes dunkles Etwas entdeckt, das sich ihm mit atemberaubender Geschwindigkeit näherte. Der Erdboden erzitterte unter den Tritten der mächtigen Kreatur, doch auch im hellen Mondlicht war ihre äußere Gestalt nicht zu erkennen, denn ihre dunkle Aura verschlang alles Licht um sich herum. Zu sehen war lediglich ein riesiger, verwaschen erscheinender Fleck vollkommener Schwärze, gegen den sich sogar die im Tal allgegenwärtigen dunklen Schatten hell ausnahmen.

Toran wagte nicht einmal zu atmen, als über ihm die Sterne verschwanden, denn das Wesen suchte seinen Weg haarscharf neben ihm. Es war ihm so nahe, dass er nur den Arm hätte auszustrecken brauchen, um es zu berühren. Der Erdboden schien sich förmlich aufzubäumen, als die Kreatur einen Augenblick neben ihm stehenblieb, um danach ihren Weg noch schneller fortzusetzen. Und als unter den Tritten des Ungeheuers Felsblöcke mit ohrenbetäubendem Krachen zerbarsten, wähnte er sich beinahe schon im Reich der Toten.

 

Noch geraume Zeit danach, die Schritte des Giganten waren längst verhallt, wagte er kaum zu atmen und blieb regungslos stehen. Natürlich hatte er vorhin die Hand an Feuerklinges Griff gehabt, doch er hatte es bewusst vorgezogen, dem Kampf auszuweichen. Wozu sollte er wegen einer einzelnen Kreatur Uhuloaraqs sein Leben riskieren, wo es doch den Dämon selbst zu besiegen galt?

Erst als er vollkommen sicher war, dass sich die Kreatur so weit entfernt hatte, dass sie außerstande war, ihn zu entdecken, zog er Feuerklinge aus der Scheide. Mit äußerster Aufmerksamkeit musterte er auf seinem weiteren Weg in ihrem Licht jeden Stein und jede Pflanze, welche die Kreatur berührt haben mochte. Hin und wieder tippte er sie auch mit der Schwertspitze an, um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine Täuschung des Dämons handelte. Auf diese Weise zog sich das kurze Wegstück, das er bis zum zweiten Felsentor noch zurückzulegen hatte, unendlich lange hin.

 

Diesen Berg durchquerte er im Laufschritt. Wegen der beinahe überall glatten Wände der Höhle, die wenig Raum für ein Versteck boten, war er sicher, dass ihm dort keine der Kreaturen auflauern würde. Trotzdem fiel ihm ein Stein von Herzen, als er endlich die Eingangshalle erreichte. Ehrfürchtig blickte er zu der riesigen Statue des Widdergottes auf, die streng zu ihm herabzublicken schien. Und war da nicht einen Augenblick lang ein freundliches Funkeln in ihren kristallenen Augen zu sehen?

Erschrocken riss er sich von dem prächtigen Anblick los und näherte sich dem steinernen Portal, das ins Freie führte. Er blieb vorsichtshalber ein Stück weit davon entfernt stehen und spähte gespannt nach draußen. Dort schien alles in Ordnung zu sein. Nicht die geringste Bewegung war im hellen Mondlicht auszumachen. Allem Anschein nach hatte sich nichts verändert, seit er mit Taskin durchgekommen war.

Doch als er sein Schwert höher hob, um in dem blauen Licht von dem Edelstein an dessen Knauf ein wenig besser zu sehen, wechselte der Stein einen winzigen Augenblick lang die Farbe. Es war lediglich ein kurzes, kaum merkliches Aufblitzen, doch er hatte deutlich erkannt, dass sich der Omm ganz kurz giftgrün verfärbt hatte.

„Sieh mal einer an“, knurrte er. „Uhuloaraq hat vielleicht doch einen feierlichen Empfang für uns beide vorbereitet.“ Entschlossen fasste er den Schwertgriff fester. „Dann lass uns doch auf der Stelle nachsehen, welche Aufmerksamkeiten er uns zugedacht hat.“

 

Akribisch musterte er im Licht des Omm jede noch so kleine Einzelheit am Höhleneingang. Er konnte jedoch nicht erkennen, wo die Gefahr lauern mochte, vor der ihn sein Schwert gewarnt hatte. Auch im Freien war immer noch nichts zu erkennen, was Gefahr verhieß. Das Mondlicht malte bizarre schwarze Schatten von Felsen und Bäumen auf den Erdboden. Doch keine noch so geringe Bewegung, keine sichtbare Veränderung, kein ungewöhnliches Geräusch und auch kein übler Geruch deutete an, wo Uhuloaraqs Hinterhalt zu erwarten war.

Toran kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Das ist wirklich merkwürdig“, flüsterte er. „Sollte sich Feuerklinge womöglich geirrt haben?“ Da er dies nicht glauben mochte, hob er sein Schwert noch einmal hoch. Und abermals blitzte der Omm einen Augenblick lang grün auf.

Toran biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten. „Irgendetwas wartet hier auf mich“, murmelte er. „Aber was, um der Götter Willen, kann es sein? Und wo lauert es mir auf?“

Ratlos wandte er sich wieder dem Höhleninneren zu. Dabei hatte er Feuerklinge vor sich gehalten und stellte fest, dass der Edelstein an ihrem Knauf immer wieder grün aufblitzte, in welche Richtung er die Waffe auch bewegte. Neugierig streckte er seine freie Hand aus, um nach der Ursache für das merkwürdige Aufleuchten zu tasten. Tatsächlich hatte er sofort das Gefühl, dass er einen von oben nach unten verlaufenden, unendlich dünnen Faden berührte. Er versuchte spielerisch, ihn abzureißen. Doch der Faden widersetzte sich dem Versuch und schnitt tief in seinen Handballen. Erschrocken ließ er los, doch es gelang ihm nur mit großer Kraftanstrengung, seine Hand davon zu lösen. Gleichzeitig spürte er eine zarte Berührung an seinem Wams.

 

Jetzt galt es, blitzschnell zu handeln. Er umklammerte Feuerklinges Griff so fest er es vermochte, und wirbelte das Schwert über seinem Kopf im Kreis, während er zurück ins Innere der Höhle stürmte. Und als er sich danach umwandte, um zurückzublicken, erkannte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Anton Heinzinger
Bildmaterialien: Covergestaltung: T. Anzinger; Coverbilder: dimitarchowski - Fotolia.com, Santa Papa - Fotolia.com, markus dehlzeit - Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 02.04.2014
ISBN: 978-3-7309-9701-7

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