Tumaco
Am Abend lag ich bewegungslos in meiner Zelle. Die untergehende Sonne warf lange Schatten durch ein schmales Oberlicht. Ich lauschte den Glocken, die aus der nahe gelegenen Kirche herüber klangen. Einige der Gefangenen starten in ihren Zellen regungslos vor sich hin; andere schwatzten miteinander, rauchten Zigaretten, scherzten und lachten bis in die Nacht. Ich hätte gern gewusst, worüber sie sprachen. Von ihren Frauen? Ihren Kindern? Gab es jemand, der für sie betete oder hoffte? Oder waren sie wie ich ganz auf sich gestellt?
In der folgenden Nacht schien ein helles Mondlicht zu mir herunter. Das anhaltende Murmeln und Flüstern und die vielen ungewohnten Geräusche ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder knatterte ein Moped, und die ganze Nacht lang klang von fern her traurige Musik. Manchmal Tango oder Samba, aber meist Cumbia, eine traditionellen Musik Kolumbiens, die einem das Herz vor Wehmut zerreißen konnte.
Am Morgen aß ich das erste Mal etwas von dem, was sie mir hingestellten. Es war ein Teller ajiaco, eine Suppe mit Kartoffeln, Mais, Kapern und Avocado. Es schmeckte besser als erwartet. Das gab mir Hoffnung. Gegen Mittag hörte ich Schritte auf meinem Zellengang. Der Schlüssel rasselte im Schloss, meine Tür flog auf und Kommandos folgten. Auf Spanisch. Als ich nicht sofort raus trat, wurde ich von zwei Uniformierten gepackt und nach draußen geschoben. Es ging an einer unglaublichen Anzahl von Zellen entlang. Manche waren leer, andere übervoll gefüllt mit armselig gekleideten Männern, meist Indios. Es sahen mir traurige, manchmal mitleidige, aber immer dunkle Augen entgegen.
Unsere Schritte schreckten Fliegen auf, die träge surrend dass Weite suchten. Der Mann vor mir schloss eine Stahltür auf. Der andere folgte mir mit Abstand und legte seine Hand auf den Pistolenhalfter zum Zeichen, dass er es ernst meinte. Hinter mir wurde die Stahltür wieder verschlossen.
Es ging zwei Treppen hinunter in einen historisch wirkenden Innenhof. Als ich aus dem Schatten der alten Mauern hinaus trat, schien mir die brennende Sonne ins Gesicht. Ich blinzelte. Das Polizeirevier war in den Gebäuden einer alten Kaserne untergebracht, einer alten Festung im Zentrum der Stadt Tomaco. In der Mitte des Hofes stand eine übergroße Reiterstatur mit gestrecktem Säbel. Daneben zwei Masten mit riesigen Fahnen, die schlaff herunterhingen. Jede Bewegung kostete Schweiß, der einem aus den Poren trat und die Oberfläche der Haut verklebte.
Tomaco liegt im südlichen Teil Kolumbiens. Eine Hafenstand ohne jeden Glanz, ein paar tausend eng aneinander liegende Häuser mit Wellblechdächern bildeten das Zentrum. Kaum 300 Kilometer östlich von hier beginnen die braunen Nebenarme des Amazonas und der immer grüne Regenwald. Im Hof sah ich dunkle Kerle in blauen Uniformen und schwarzen Lederstiefeln. Auf dem Rücken der Aufdruck POLICIA. Manche hocken in Gruppen auf dem Boden, andere lagen herum und schliefen fest. Patronengurte lagen umher. Die Mützen hatten sie achtlos neben sich fallen lassen. Mittendrin ein gepanzertes Fahrzeug.
Ich wurde zu einem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes und von da aus hinauf in ein Büro im zweiten Stock geführt. Einer der Polizisten wies mich an zu warten. Ich verstand nicht was er sagte. Der Ton seiner Stimme klang freundlich, aber es hätte auch eine Drohung sein können. Dann ließ er mich allein.
Auf dem Schreibtisch ein Ventilator, der warme Luft durch den Raum blies und ein in die Jahre gekommener PC. Ich bemerkte die verschlissenen, mit dicken Fetträndern umrandeten Buchstaben auf der grauen Tastatur. Eine Kanne mit duftendem, kolumbianischem Kaffee, zwei silbern eingefasste Tassen und eine Zuckerdose standen auf dem Tisch. An der Wand ein Foto eines imposanten Mannes mit Schnurrbart und Galauniform. Ich hatte keine Ahnung wer das war. Am Fenster brummte eine dicke schwarze Fliege. Ich setzte mich auf den Stuhl direkt vor dem Tisch und wartete. Links an der Wand über einem Waschbecken war ein kleiner Rasierspiegel angebracht. Ich blickte kurz hinein und sah wie braungebrannt ich war. Dreitagebart und leuchtend blaue Augen. Meine Haare waren ein wenig verfilzt, von der Sonne und dem Salz des Meeres hellblond und so lang wie noch nie.
Es dauerte nur wenige Minuten bis ein eher schmächtiger Mann eintrat. Er trug ein weißes Hemd und Manschettenknöpfe. Dazu ein dunkles Jackett. Eine völlig unerwartete Aufmachung in dieser Umgebung. Der Mann hängte sein Jackett an den einfachen Metallhaken an der Rückseite der Tür, kam zu mir herüber und ergriff meine Hand. Seine Hand war klein, sein Händedruck schwach.
„Mein Name ist Graevenich, Walter von Graevenich. Von der deutschen Botschaft.“ Sein Deutsch war ohne jeden Akzent. Er war zweifellos ein Deutscher, wie ich auch. Wäre ich zur Begrüßung aufgestanden, so hätte ich ihn um mehr als einen Kopf überragt. Graevenich nahm wieder Abstand, trat um den Schreibtisch herum und setzte sich. Dann nahm eine paar Unterlagen aus einer Aktentasche und legte diese vor sich auf den Tisch. Die Tasche war aus feinstem Leder.
Es folgten ein Notizbuch und ein Kugelschreiber einer teuren Marke. Er platzierte alle Gegenstände in einem wohl geordneten Abstand zueinander. Seine grauen, wachen Augen fixierten mich dabei nur scheinbar beiläufig. Ich bemerkte, dass seine Haut im Vergleich zu meiner fast durchsichtig bleich war. Ein süßlicher Moschus-Duft kam mir entgegen.
„Nehmen Sie eine Tasse Kaffee?“ fragte Graevenich mit einem Lächeln. „Glauben Sie mir, das ist das Beste bei der schwülen Hitze. Dass werden Sie wissen, wenn Sie schon länger hier sind. Sie sind doch schon länger hier, nicht wahr?“ Ich nickte. Graevenich erhob sich, nahm die Kanne, die einer der kolumbianischen Polizisten ihm bereitgestellt hatte, und füllte die beiden silbernen Tassen. „Nehmen Sie Zucker?“ Ich lehnte ab. Graevenich nahm einen halbvollen Löffel aus der silbernen Zuckerdose und verrührte den Zucker sorgfältig. Dann holte er eine Lesebrille hervor, schob sie sich auf seine Nase und studierte konzentriert den Inhalt der Papiere.
„Sie sind Jan Thomas Cornelius?“ Als er keine Antwort bekam fuhr er unbeirrt fort. „Geboren am 23.9.78. Sie studieren in München. Sie sind nicht vorbestraft.“ Er machte eine Pause. Ich sollte etwas erwidern, doch ich schwieg. Graevenich wartete geduldig auf meine Reaktion. Schließlich formulierte ich meine Worte mit Bedacht. Ich sagte ihm, dass ich all diese Fragen bereits der kolumbianischen Polizei beantwortet hätte und nicht wüsste, warum ich überhaupt hier war. „Unsinn!“ Graevenich zischte dieses Wort so leise, dass ich es nur erahnen konnte. Dann legte er die Papiere zurück auf den Tisch. „Unsinn!“ sagte er noch einmal lauter.
Ich schwieg. Dieser plötzliche Stimmungswandel hatte mich überrascht. Graevenich hingegen fasste sich wieder und nahm einen Schluck aus seiner silbernen Tasse. Er schaute in die Unterlagen und blätterte. Dann blickte er auf.
“Erlauben Sie mir ein offenes Wort? Ich denke es ist an der Zeit, etwas klar zu stellen“, sagte er. „Wenn Sie glauben, ich bin hier, um Sie hier raus zu holen, dann muss ich Sie enttäuschen.“ Er machte eine kurze Pause, um das Entsetzen in meinem Gesicht zu genießen. „Wenn das, was man ihnen vorwirft, der Wahrheit entspricht, kann ich Sie nicht retten. Das steht nicht in meiner Macht“, fuhr er fort. „Ich hoffe, es ist Ihnen klar in welche Situation Sie sich befinden.“
Ich behauptete nicht zu wissen, welche Situation er überhaupt meinte. Ob ich schon einen Anwalt informiert hätte, fragte Graevenich unbeirrt. Ich verneinte. Wieder nippte er ein paar Schluck aus seiner Tasse. Meine stand unberührt vor mir auf dem Tisch. Als ich verzweifelt beteuerte, dass ich nicht mal wüsste, was man mir überhaupt vorwarf, seufzte Graevenich nur und nahm seine Brille ab.
„Muss ich Ihnen das tatsächlich erklären? Schon der Besitz von zehn Gramm Haschisch reicht hierzulande aus, um für Jahre in den Strafvollzug zu wandern. Das muss Ihnen doch klar sein“, sagte er. „Wollen Sie mir sagen, Sie hätten dass nicht gewusst?“
Ich blickte ihn regungslos an. Ich zwang mich, völlige Ruhe zu bewahren. Mochte dieser Graevenich doch glauben was er wollte. „Und das kolumbianische Gefängnis ist kein Zuckerschlecken, junger Mann“, fuhr er fort. Die Hand mit der Lesebrille fuhr hoch und runter, als würde er selbst zur Tat schreiten. „Vergewaltigungen und Morde sind dort an der Tagesordnung. Ich glaube, Sie haben wirklich keine Ahnung. Wachen Sie auf! Sie sind kurz davor in eine Schlangengrube zu fallen.“
Graevenich zwang sich zur Ruhe uns stoppte seinen Ausbruch. Es schien, als würde ihn das einige Kraft abfordern. Ich rutschte auf meinem Stuhl und fühlte Nervosität in mir aufkommen. Ich wusste nicht so recht, wohin mit meinen Händen und ärgerte mich darüber. Dann fragte ich, ob ich wirklich ernsthafte Probleme hätte.
„Mehr als das“, antwortete Graevenich. Ich hätte noch Glück gehabt, weil ich an einen Beamten geraten sei, der in den USA studiert hatte. „Der ist noch einer der Besseren. Einer der wenigen, die sich für Kolumbien insgeheim andere – sagen wir - weniger undurchschaubare Verhältnisse wünschten. Aber glauben Sie mir, der lässt Sie ins Gefängnis werfen, wenn Sie ihm keine Wahl lassen. Die Gesetze sind hier so wie sie sind: streng.“
Als ich wissen wollte, wie er mir helfen könne, schüttelte er energisch den Kopf. “Solange Sie mir nicht die Wahrheit sagen, kann ich ihnen nicht helfen“, erwiderte er. „Man wird Sie zu mehreren Jahren wenn nicht gar zu lebenslanger Haft verurteilen.“ Dann setzte er mir die Unzulänglichkeiten des kolumbianischen Rechtsystems auseinander. Das System ließe aus Gründen - die ich nicht verstand - keine Fehlurteile zu, oder anders ausgedrückt, es ignorierte sie. Es gäbe im Grunde genommen keine Revisionsmöglichkeit. Und wenn doch, dann dauerte es Jahre oder gar Jahrzehnte, bevor ein Strafverfahren wieder aufgenommen wurde. Solange würden die Verurteilten unschuldig im Gefängnis sitzen.
„Ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie mir helfen“, beendete er seine Ansprache. „Aber das sagte ich ja bereits. Sie müssen kooperieren.“
Wieder machte er eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Und ich war froh etwas Zeit zum Nachdenken zu haben, denn mir war nicht ganz klar, was Graevenich mir zu verstehen geben wollte. Was sollte das heißen: Ich müsse kooperieren? Das gefiel mir nicht. Er beugte sich zu mir vor über den Tisch. Sein Gesicht war nur noch wenig von meinem entfernt. Ich roch wieder den Moschusduft seines Parfums. „Herr Cornelius, es wird Zeit, mit der Wahrheit heraus zu rücken, finden Sie nicht?“ sagte er. „Die kolumbianische Polizei hat mir eine Stunde mit Ihnen zugestanden. Nicht mehr. Sollte ich in diesem Gespräch mit Ihnen keinen Erfolg haben, wird man Sie der Staatsanwaltschaft übergeben. Das wäre dann das Ende meiner Einflussmöglichkeiten. Darum frage ich zum letzten Mal: Was wissen Sie über das Kokain?“
Bei diesem Wort zuckte ich so heftig zusammen, dass es Graevenich sicher nicht entgangen war. Kokain? Wie war er nur auf Kokain gekommen, dachte ich. Ich behauptete von Kokain nichts zu wissen. „Und wie sind dann die 200 Gramm in Ihr Hotelzimmer gekommen, die die kolumbianische Polizei dort gefunden hat?“ entgegnete Graevenich gereizt.
„Das Kokain hat man mir untergeschmuggelt“, erwiderte ich. „Und wer hat Ihnen das untergeschmuggelt?“ „Weiß ich nicht, irgendwer.“ „Und warum sollte jemand das tun?“ stichelte Graevenich. „Keine Ahnung“, sagte ich. Jemand wollte das Zeug vielleicht loswerden oder verstecken. Ich habe meine Tür nie abgeschlossen.“
Ich schwieg. Nur dass Brummen der Fliege am Fenster war zu hören. Graevenichs Miene verfinsterte sich langsam. „Es war also nur ein Zufall“, murmelte er eher zu sich selbst als zu mir. Er schien nicht an Zufälle zu glauben. Dann erhob er sich. „Kommen Sie, Herr Cornelius, wir machen einen kleinen Ausflug.“ Graevenich öffnetet die Tür, sprach kurz auf Spanisch zu einem der Polizisten, der draußen offenbar nur auf diesen Augenblick gewartet hatten. Dann machte er mir ein Zeichen. Ich sollte folgen. Voran lief der angesprochene Polizist, der anscheinend wusste, wohin er uns zu führen hatte. Auf der Treppe hinab kamen uns andere Polizisten entgegen. Sie schoben einen Gefangenen vor sich her, dem sie die Hände mit Plastikriemen auf den Rücken gebunden hatten. Einer der Polizisten trug einen über einen Meter langen Schlagstock aus Holz. Der Gefangen schauter verängstigt zu mir rüber.
„Verstehen Sie etwas von Politik, Herr Cornelius?“ fragte Graevenich dicht hinter mir. Ohne auf eine Antwort zu warten erklärte er mir, warum er den weiten Weg von Bogota hierher gekommen sei: Er würde als Generalkonsul die Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Er sollte verhindern, dass unschuldige Deutsche in den Mühlen des kolumbianischen Justizapparates verloren gingen. Als ich die Worte „unschuldige Deutsche“ vernahm, fühlte ich eine gewisse Erleichterung in mir aufkommen.
„Ich habe da gewisse Befugnisse“, sagte Graevenich. „Die Kolumbianer vertrauen meinem Urteil“, erklärte er. Hatte ich da die Spur eines Lächelns gesehen? Durfte ich das als wohlmeinend auffassen? Hatte ich ihn überzeugt? Glaubte Graevenich, ich wäre unschuldig? Ich wagte es kaum zu hoffen.
In diesem Augenblick hatten wir den Keller des Gebäudes erreicht. Wir gingen zu dritt durch einen schlecht beleuchten Gang an einer Reihe von Stahltüren vorbei. Folterkammern, ging es mir durch den Kopf. Fast fürchtete ich, gedämpfte Schreie zu hören. Dann riss ich mich zusammen. Meine Befürchtungen waren absurd. Kolumbien war kein Verbrecherstaat. Aber wohin wollte dieser Graevenich mich führen? Was befugte ihn hier Polizisten herum zu kommandieren? Und wie weit gingen diese Befugnisse, von denen er sprach?
Wir kamen zu einer Tür, die offensichtlich erst vor kurzem hier eingebaut worden war. Der Polizist schloss auf und betätigte den Lichtschalter. Fahles Neonlicht flackerte zunächst auf und erfüllte dann grell den Raum. Sofort kam mir ein angenehm kühler Luftzug entgegen. Der leicht faulige Geruch ließ mich nicht daran zweifeln, wo ich war und was hier aufbewahrt wurde. Graevenich gab dem Polizisten knappe Anweisungen. Ein Stahlfach wurde aufgeschlossen und eine bedeckte Leiche auf einer Bahre direkt vor mir heraus gefahren. Graevenich beobachte jede meiner Reaktionen wie der Falke das Kaninchen. Dann entfernte er die Bedeckung vom Gesicht des Toten. Ich ließ keine Reaktion erkennen.
„Kennen Sie diesen Mann?“ fragte Graevenich. „Überlegen Sie genau. Lassen Sie sich Zeit. Ist dieser Mann ihnen irgendwann einmal begegnet? Vielleicht nur am Rande? Im Hotel, in einem Restaurant, auf der Strasse oder in einer Bar?“ Ich blickte auf das blasse Gesicht des Toten. Dunkler Teint. Im Gesicht einen Schnurrbart und ein hässliches schwarzes Loch in der Stirn. Dieser Mann war auch zu Lebzeiten keine Schönheit gewesen. Auf der Wange eine schlecht verheilte Narbe, und die schiefe Nase war bereits mehrfach gebrochen worden. Ein Visage wie aus einem Mafiafilm.
„Nie gesehen“, gab ich zur Antwort. Gravenich schaute mir direkt und fast schon bedrohlich lang in die Augen. Dann bedeckte er den Toten wieder. „Wie Sie meinen. Ich muss Ihnen wohl glauben, wenn Sie das sagen“, sagte er. „Die Identität des Toten ist uns unbekannt. Er wurde erschossen und etwa 20 Kilometer von hier am Meer vergraben.“ Und so, als wäre es tatsächlich eine Frage, ergänzte er noch: „Und jetzt raten Sie mal, warum er überhaupt gefunden wurde.“
Ich spürte, diese Tour war einstudiert. Meine Rolle gab mir vor, an dieser Stelle zu schweigen. „Ich werde es Ihnen sagen“, fuhr Graevenich fort. “Die kolumbianische Polizei erhielt eine E-Mail mit einer Zeichnung, die zeigte wo diese Leiche zu finden war. Und diese E-Mail war mit Ihrem Namen unterzeichnet: Jan Thomas Cornelius. Was für ein Zufall, nicht wahr?“
Der Polizist schob den Toten in den Schrank zurück und machte sich auf den Weg nach draußen in die unerträgliche Hitze. Auf dem Weg hinauf und über den Innenhof schwiegen wir. Ich dachte fieberhaft nach. Was sollte ich nun tun? Vieles sprach gegen mich. Natürlich würde der Mörder keine E-Mail in seinem Namen an die Polizei senden, indem er den Ort einer vergrabenen Leiche beschrieb. Das sollte Graevenich auch wissen. Doch wie war der Mörder auf meinen Namen gekommen? Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Als wir wieder in den Vernehmungsraum im zweiten Stock eintraten, holte Graevenich ein Päckchen hervor und bot mir eine filterlose Zigarette an. Ich nahm sie, ließ mir Feuer geben und setzte mich zurück auf den Stuhl. Noch immer brummte die Fliege am Fenster. Ich zog heftig und musste husten. Als Graevenich verwundert nachfragte, sagte ich ihm, dass ich nur gelegentlich rauchte und das Zeug eigentlich gar nicht vertrug. Ich drückte die Zigarette in den Aschenbecher und blickte versonnen aus dem Fenster. Graevenich sagte, dass man mich - sollte ich nicht kooperieren und endlich mit der Wahrheit rausrücken, er schaute dabei auf die Uhr - in fünf Minuten in meine Zelle zurückbringen würde.
Dann lehnte er sich befriedigt zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss entspannt die Augen. Graevenich konnte sicher sein, dass ich keinen Widerstand mehr leisten würde. Er würde die Wahrheit bald erfahren. Ich hingegen blickte noch immer aus dem Fenster auf den Innenhof, sah die dösenden Polizisten. Doch vor meinem Inneren sah ich ein anderes Bild: Ein zartes Gesicht einer jungen Frau mit strohblonden kurzen Haaren, Sommersprossen und leuchtenden blauen Augen. Ihre Augen lachten mir zu. Sie nahm meine Hand und drehte sich mit mir. Klaviermusik. Eine Musik, die mich verfolgte, die mir einst Tränen der Freude in die Augen getrieben hatte. Dann begann ich meine Geschichte zu erzählen.
Von Anfang an.
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Texte: Kapitel 1
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gewidmet allen, die Freiheit und Abenteuer lieben.