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Capítulo uno – Los médicos en blanco

Die Ärzte in Weiß

 

 

Verrückt.

Sie nannten mich verrückt.

Doch ich war nicht verrückt.

Nein.

Ich wusste genau, wer da zu mir sprach, sie mussten mir nur mal zuhören, dann könnte ich es ihnen erklären.

Aber das taten sie nicht.

Verrückte, nannten sie mich.

Misstrauische Blicke bekam ich, wenn ich auf den Straßen der kleinen Stadt vor León unterwegs war.

Sie nannten mich nicht mal mehr beim Namen.

Marisol.

Was war so schlimm daran, mich bei meinem Namen zu nennen? Den kannten sie doch, also wieso benutzten sie ihn nicht?

Ich war doch ein ganz normales Mädchen? Nun, ich hatte meine Eltern früh bei einem Feuer verloren, welches nur ich durch Zufall – oder Schicksal? – überlebt hatte. Seitdem lebte ich bei meiner abuela, meiner Großmutter.

Sie hatte immer nur gelächelt, wenn ich ihr von meinem Freund erzählt hatte. Er war immer bei mir, vor allem, wenn ich Angst hatte.

Mit der Zeit aber, als ich älter und größer geworden war, hatte ich keine Angst mehr gehabt und irgendwann war er verschwunden.

Bis vor einigen Monaten.

An diesem Tag hatten die anderen auch angefangen, mich verrückt zu nennen.  Einem Kind konnte man noch nachsehen, wenn es sich angeblich einen Freund ausdachte. Doch das hatte ich nicht. Er war da und er war echt.

Sie verstanden ihn nicht, konnten ihn nicht sehen, was ich wiederum nicht verstand. Wieso konnte ich ihn sehen und die anderen nicht? Dabei war er so wirklich bei mir, dass ich ihn berühren konnte. Er musste also real sein.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie er damals ausgesehen hatte. Das strahlende Gesicht eines Jungen mit strohblondem Haar und blauen Augen.

Mauro hatte er sich genannt. Er hatte mir geholfen den Verlust meiner Eltern zu verarbeiten. Er war immer an meiner Seite gewesen und das war wunderschön gewesen.

Und dann war er verschwunden. Einfach weg.

Ich hatte ihn vermisst, hatte ihn bis spät in die Nacht draußen gesucht, hatte seinen Namen gerufen, doch er war nicht zurückgekommen.

Seinetwegen hatte ich geweint, so sehr, dass meine abuelita (Oma) einen Arzt gerufen hatte.

Sie hatte es nicht verstanden, genauso wenig wie alle anderen.

Wieso verstand mich keiner?

Ich hatte mir Mauro nicht einfach nur ausgedacht. Er war real, wieso konnten sie das nicht sehen?

Jahre vergingen, doch vergessen hatte ich ihn nie.

Und dann hatte ich ihn mit einem Mal wieder gesehen.

Wir hatten viel Zeit miteinander verbracht und es war alles wieder so einfach, wie früher, als wir noch Kinder gewesen waren.

Auch er war nun älter geworden, hatte sich verändert. Er war größer als ich, doch seine Gesichtszüge hatten sich nicht verändert.

Er war mein Mauro von damals.

Und da hatte es wieder angefangen. Die Blicke. Die Panik in den Augen der anderen. Die bösen Worte, die sie sagten, wenn ich in der Nähe war.

Ich fühlte mich schrecklich. Nicht selten brachten sie mich dadurch zum Weinen. Wie konnten sie nur alle so zu mir sein? Ich hatte ihnen doch nichts getan…

 

 

An dem Abend, an dem diese Erzählung begann kam ich spät nach Hause. Ich hatte den ganzen Tag mit Mauro verbracht. Wir waren durch den angrenzenden Wald spaziert hatten auf Wiesen in der warmen Sonne gelegen und einfach nur miteinander geredet.

Er war mein bester Freund.

Der einzige, den ich hatte.

An dem Abend, als ich nach Hause kam, wartete meine abuelita bereits auf mich.

Doch sie war nicht allein.

Bei ihr waren mir fremde Männer, die mich sofort neugierig ansahen, als ich die kleine Wohnküche der Hütte betrat.

„Abuelita, ich wusste gar nicht, dass du Besuch hast“, sagte ich überrascht und neigte höflich den Kopf vor den Männern. Es waren drei an der Zahl.

„Sie sind deinetwegen hier, niña (Kind). Sie wollen dir helfen, denn ich kann es nicht mehr.“

„Was? Wovon redest du? Es geht mir doch gut.“

„Nein, niña. Es geht dir nicht gut. Alle sehen das.“

Ich wich vor ihr zurück. Diese Männer bewegten sich mit mir und zwei von ihnen kamen auf mich zu. Da die Tür hinter mir zu war, konnte ich mich nicht mal schnell nach draußen flüchten.  

„Es geht mir gut“, versicherte ich nun den Männern.

„Das entscheiden andere, Marisol.“

Ich blinzelte hektisch.

Hastig warf ich einen Blick aus dem Fenster. Draußen stand Mauro und starrte mich mit großen Augen an.

„Mauro“, rief ich seinen Namen so laut ich konnte, da packten mich die zwei Männer an den Armen.

„Das meine ich“, sagte meine abuelita und nickte in meine Richtung.

„Bitte hilf mir, Mauro.“

Diese Männer zerrten mich aus dem Haus, in dem ich seit dem Tod meiner Eltern gelebt hatte. Hinter dem Haus standen eine Kutsche, die von zwei Pferden gezogen wurde und noch ein einzelnes Pferd.

Ich schrie und strampelte. Sie konnten mich doch unmöglich mitnehmen.

„Perdóname, niña (Vergib mir)“, hörte ich die Frau, die ich eigentlich liebte und die mich doch verraten hatte, leise schluchzen.

Nein, hier gab es nichts zu verzeihen. Wie hatte sie mir das antun können?

Diese Männer brachten mich zu der Kutsche und verfrachteten mich ins Innere. Die Türen ließen sich abschließen und die Öffnungen waren vergittert.

Was sollte das?

„Mauro“, rief ich weiter. Nur er konnte mir noch helfen, doch was sollte er tun? Ich war eingesperrt und diese Kutsche setzte sich bereits in Bewegung.

Tränen liefen heiß über meine Wangen.

Ich kniete auf dem Boden des Innenraums der Kutsche und weinte hemmungslos.

Wie hatte sie das nur tun können? Und wohin brachten mich diese Männer?

 

 

Die Fahrt dauerte lange und ging bis tief in die Nacht hinein. Schlaf fand ich keinen, dafür hatte ich zu große Angst vor dem Ziel, welches wir ansteuerten.

Irgendwann, ich lag zusammengekauert auf dem hölzernen Boden der Kutsche, hielt sie an und die Tür wurde geöffnet.

Licht blendete mich, denn eine schattenhafte Gestalt mit einer kleinen Laterne, in deren Inneren eine Kerze brannte, stand vor der Tür.

„Komm heraus“, sagte er und trat zurück. Vorsichtig kroch ich zur Tür, erst da erkannte ich den Mann.

Er war klein und rundlich, trug nur weiße Kleidung und lächelte freundlich. Sein rundes Gesicht wirkte nett und die hohe Stirn, die seinen Haaransatz immer weiter nach hinten geschoben hatte, ließ ihn etwas älter wirken.

Langsam stieg ich aus der Kutsche. Der kleine Mann deutete mir an, ihm zu folgen und die drei anderen folgten wiederum uns beiden, sodass ich keine Gelegenheit hatte, wegzulaufen.

Wir gingen durch ein großes Tor an dem CLÍNICA stand. Eine Klinik?

„Ich bin nicht krank“, sagte ich, was den kleinen Mann leise lachen ließ.

„Doch mein Kind. Und ich werde dir helfen, wieder gesund zu werden.“

„Aber ich bin nicht krank“, beharrte ich.

„Lass uns hinein gehen, ja? Es ist kalt hier draußen.“

Ich wurde unsanft von den Männern hinter mir weitergeschoben.

Als wir das große Haus betraten, kamen mir noch mehr solcher in weiß gekleidete Männer entgegen. Alle sahen mich neugierig an und nickten dem rundlichen Mann neben mir zu.

„Hier entlang.“

Ich folgte ihm weiter bis er die Tür zu einem kleinen Arbeitszimmer mit einem großen Tisch öffnete.

„Sie können dann gehen“, sagte er zu den anderen dreien. Diese nickten und verschwanden.

Das beruhigte mich etwas, trotzdem wusste ich immer noch nicht, was das sollte.

„Setz dich, Marisol.“

Er kannte zumindest meinen Namen und benutzte den auch. Er nannte mich nicht einfach nur verrückt.

„Also. Mein Name ist Doctor Martinez und ich bin der Leiter dieser Einrichtung. Wir alle sind hier, um Menschen wie dir zu helfen.“

„Wieso wollen Sie mir helfen?“

„Weil du, wie so viele andere auch, krank bist, Marisol.“

Wieso dachte er noch immer, dass ich krank war? Mir ging es doch gut.

„Ich sage es noch einmal, ich bin nicht krank“, seufzte ich und lehnte mich zurück. Ich war schrecklich müde und die Anstrengung dieser Reise hing mir noch in den Knochen.

„Erzähl mir von Mauro.“

„Was?“

„Mauro. Erzähl mir von ihm.“

„Was wollen Sie denn über ihn wissen?“

„Er interessiert mich einfach.“ Dr. Martinez legte sich die Hände auf den runden Bauch und lehnte sich ebenfalls zurück.

„Also halten sie mich nicht für verrückt?“

„Nein. Wieso sollte ich das?“

„Weil das alle denken.“ Ich senkte den Blick denn die Distanz, die mir alle entgegenbrachten, schmerzte tief in meiner Brust.

„Nun, ich möchte dich erst einmal kennenlernen und dann sehen wir weiter. Das hat aber Zeit bis zum Morgen. Ich bringe dich auf dein Zimmer.“

Ein eigenes Zimmer? Das überraschte mich nun sehr und ich folgte ihm neugierig. Dr. Martinez führte mich zwei Treppen nach oben, dann öffnete er die dritte Tür auf der rechten Seite.

„Hier wirst du schlafen.“

Es war nicht so groß, hatte aber ein anständiges Bett und einen kleinen Tisch mit Stuhl.

„Kleidung wird man dir morgen bringen.“

Ich nickte. Hatte ich denn eine Wahl? Langsam betrat ich das Zimmer. Die Wände waren allesamt weiß und wirkten sofort sehr erdrückend auf mich. Gerade als ich das Zimmer betreten hatte, schloss Dr. Martinez die Tür hinter mir und verriegelte sie von außen.

„Bis Morgen“, sagte er und ging.

Etwas irritiert stand ich in dem nur von einer Kerze erhellten Raum.

Ich verstand das alles nicht. 

Capítulo dos – La clínica

Die Klinik

 

 

Ich hatte eine furchtbare Nacht hinter mir. Das Bett was sehr unbequem und ich fühlte mich schon jetzt unheimlich einsam.

Ich wünschte, Mauro wäre hier. Er würde mich aufmuntern und mir beistehen. In allem.

Aber er konnte ja gar nicht hier sein.

Ich spürte feuchte Tränen über meine Wangen laufen. Wieso war ich hier? Wieso dachten die Leute hier, ich wäre krank?

Ich war doch gesund, also was wollten sie von mir? Ich hatte mich auf dem Bett zusammengerollt und schluchzte leise vor mich hin.

Ich verstand einfach nichts mehr.

Da wurde plötzlich die Tür entriegelt und geöffnet. Dr. Martinez und ein weiterer Mann, mit blondem Haar und stechend grünen Augen, traten ein.

„Guten Morgen, Marisol“, sagte der kleinere der beiden und lächelte. „Ich hoffe du konntest einige Stunden schlafen.“

Ich antwortete nichts, setzte mich einfach nur auf und strich mir das schwarze Haar aus dem Gesicht.

„Das hier ist Dr. Luengo. Er wird sich ebenfalls um dich kümmern.“

Ich schnaubte verächtlich. Um mich kümmern… War ich ein kleines Kind?

„Komm mit. Es gibt Frühstück für dich.“

Das klang schon etwas besser.

Dachte ich zumindest.

Als ich unten in einem großen Raum ankam, saßen dort etwa ein Dutzend Menschen an aneinandergereihten Tischen. Sie alle trugen knöchellange beige Leinenhemden. Und obwohl es in dem Raum totenstill war, sah keiner auf, als ich eintrat.

„Setz dich dazu, dann bekommst du deine Portion.“

Etwas irritiert von diesem Verhalten setzte ich mich und bekam kurz darauf einen Brei, der wohl aus irgendwelchen Getreidesorten gemacht wurde, sowie einen Becher Wasser. Das war ein ziemlich armseliges Frühstück. Vom Geschmack her war es sogar noch schlimmer, doch wie es aussah, gab es nichts anderes. Ich aß also diesen Brei im Stillen und trank das Wasser. Gerade als ich fertig war, trat Dr. Luengo wieder an meine Seite.

„Folge mir.“

Das Essen lag mir schwer im Magen, doch ich beklagte mich nicht sondern folgte dem Doktor. Er brachte mich wieder in dieses Arbeitszimmer, in dem ich letzte Nacht schon mit Dr. Martinez gesprochen hatte. Dieser erwartete uns auch schon dort und deutete mir an, mich wieder zu setzen.

Es war ein komischer Ablauf, so als wäre ich eine Gefangene.

[style type=„italic“]Das bist du.[/style]

„Das hier ist für dich“, sagte Dr. Martinez und hielt mir eines dieser beigen  Leinenhemden hin, die ich schon bei den anderen gesehen hatte. „Zieh es an.“

Vorsichtig nahm ich es entgegen. Ich sollte es hier anziehen?

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

„Mach schon. Wir sind Ärzte, Marisol, wir wissen, wie eine Frau aussieht.“

Ich schluckte. Sie hatten wohl Recht, trotzdem war es mir unangenehm. Ich stand auf und drehte den beiden meinen Rücken zu. Dann schlüpfte ich mit dem Oberkörper aus meinem Kleid und zog mir das Hemd über.   So konnten sie mich nicht zur Gänze sehen und das beruhigte mich. Nachdem ich mein Kleid komplett ausgezogen hatte, nahm Dr. Luengo es entgegen.

„Also Marisol, erzähl mir von dir.“

„Was wollen Sie wissen?“

„Alles, was du mir erzählen möchtest.“

Ich schwieg. Ich wollte ihm gar nichts sagen.

„Ich habe gehört, du hast deine Eltern verloren.“

Ich nickte. Die gewohnte Trauer, wenn ich an meine Eltern dachte, war sofort zu spüren.

„Ja, bei einem Feuer“, sagte ich fast schon geistesabwesend.

„Was ist passiert?“

„Das weiß ich nicht.“

„Du hast überlebt.“

Ich nickte. „Man hat mich draußen vor dem brennenden Haus gefunden.“

„Wie kamst du dort hin?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wie war ihr Verlust für dich?“

„Haben Sie Ihre Eltern verloren, Señor?“

„Ja. Allerdings nicht durch ein Feuer.“

„Dann wissen Sie wohl, wie ich mich gefühlt habe.“

„Mir wurde erzählt, du hattest einen Freund, der dir geholfen hat.“

„Sie wissen doch schon von ihm“, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte das letzte Gespräch nicht vergessen.

„Ich habe von ihm gehört, ja“, sagte er und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch zwischen uns ab.

„Er hat mir durch diese Zeit geholfen, als niemand da war.“

„Deine abuela war da.“

„Sie konnte mir nicht so helfen wie Mauro.“ ich lächelte bei dem Gedanken an ihn. Ohne ihn, wäre ich wohl schon damals gestorben. Ohne ihn hätte ich keinen neuen Sinn in meinem Leben gefunden.

„Er scheint ein guter Freund zu sein.“

„Der beste.“

Dr. Martinez nickte und erhob sich.

„Das reicht erst einmal. Dr. Luengo bringt dich zurück auf dein Zimmer. Wir reden heute Nachmittag weiter.“

 

 

Zurück in dem Zimmer, wurde ich wieder eingeschlossen. Durfte ich mich hier gar nicht selbst bewegen? Was sollte ich denn in diesem Zimmer? Es gab nichts außer dem Bett und dem Tisch mit Stuhl.

Mit schweren Füßen trat ich ans Fenster. Es ließ sich nicht öffnen doch zumindest konnte ich hinaus sehen. Mehr als grüne Landschaft, sah ich allerdings nicht. Trotzdem entspannte mich dieser Anblick. Ich erinnerte mich, wie ich manchmal ganze Tage mit Mauro im Wald verbracht hatte. Eine schöne Erinnerung.

Irgendwann wurde aber auch dieser Anblick langweilig. Seufzend sank ich zu Boden und blieb einfach dort sitzen. Ich starrte die Tür an. Da fielen mir die tiefen Linien auf, die auf guter Augenhöhe in die Tür geschnitten waren. Konnte man dadurch von außen in das Zimmer sehen?

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Während ich die Zeit damit verbrachte, immer wieder umherzusehen, die Augen zu schließen und dann doch wieder von vorne anzufangen, bemerkte ich auch noch den Nachttopf, der unter dem Bett stand. Ich hatte mich schon gefragt, wo ich das erledigen sollte.

Ich langweilte mich sehr, wusste einfach nicht, was ich machen sollte, außer mir immer wieder die Frage zu stellen, was ich hier sollte.

Ja, sie sagten, sie wollten mir helfen, doch wobei wollten sie mir helfen? Es ging mir doch gut.

Später wurde die Tür wieder geöffnet und Dr. Luengo, der wohl die ganze Laufarbeit erledigte, holte mich wieder ab. Nachdem ich mich wieder Dr. Martinez gegenüber gesetzt hatte, stellte er mir die erste Frage.

„Ich habe über deinen Freund nachgedacht. erzählst du mir von ihm?

„Fragen Sie ihn doch selbst.“ Ich hatte keine Lust auf diese Gespräche.

„Ich möchte aber gerne wissen, wie du ihn siehst, Marisol.“

„Ich will jetzt aber nicht über ihn reden.“  Zwar entsprach mein Verhalten dem eines kleinen Kindes, doch etwas anderes viel mir nicht ein.

„Dann reden wir über etwas anderes.“

„Wieso bin ich hier?“, kam nun die Frage aller Fragen von mir.

„Das weißt du doch. Wir wollen dir helfen wieder gesund zu werden.“

„Aber ich bin nicht krank.“ Ich schlug meine Hände auf den Tisch und bemerkte erst, dass ich wütend aufgesprungen war, als ich vor Dr. Martinez stand und zu ihm herab blickte.

„Du musst dich beruhigen“, sagte er, seine Stimme war nur ein sanftes Flüstern.

„Ich will mich aber nicht beruhigen! Ich will wissen, was ich hier soll.“

„Setz dich hin“, sagte der andere Arzt hinter mir und drückte mich zurück auf den Stuhl. Seine Hände lagen schwer auf meinen Schultern und verhinderten so, dass ich wieder aufstand.

„Das wird ein langer Weg, Marisol.“

„Also, erzähl mir etwas von dir.“

Ich verdrehte die Augen. Hatte er diese Bitte nicht schon geäußert?

Capítulo tres – Té de la verdad

Tee der Wahrheit

 

 

Nachdem ich mich geweigert hatte, ihm auf seine dämlichen Fragen zu antworten, wurde ich hinunter in den großen Raum geführt. Zeitgleich mit mir kamen auch andere in den Raum. Ihnen allen sollte wohl auch [style type=„italic“]geholfen[/style] werden. Ich sah sie mir an, denn sie wirkten auf mich wirklich nicht ganz normal. Manch hatte einen wirren Blick, der sich wohl nicht auf eine Stelle konzentrieren konnte. Andere humpelte und gingen nach vorne übergebeugt.

Die in weiß gekleideten Ärzte standen am Rand und behielten uns im Auge. Was sollte denn hier schon passieren? Ich hatte das gerade zu Ende gedacht, als eine Frau im mittleren Alter aufsprang und zu schreien anfing. Die schrie ohne Atem zu holen, wehrte sich gegen die Ärzte, die sie beruhigen wollten und als nichts anderes mehr half, als sie aus dem Raum zu zerren. Man hörte sie noch eine ganze Weile, dann erstarb ihr schreien.

Mir wurde ganz anders.

An was für einem Ort war ich hier?

Nach einer weiteren schrecklichen Nacht, in der ich immer wieder Schreie hörte, wurde ich am Morgen erst wieder zum Essen gebracht und danach zu Dr. Martinez.

„Erzähl mir von dir“, begann er, wie schon am Vortag. „Wie fühlst du dich?“

Ich seufzte schwer.

„Wieso stellen Sie mir immer dieselben Fragen?“

„Das tue ich solange, bis ich die richtigen Antworten bekomme.“

„Und was sind die richtigen Antworten?“

Er lächelte, was sein Gesicht noch runder wirken ließ. „Also Marisol, ich höre dir zu.“

Ich hatte nicht vor ihm irgendwas zu sagen, denn ich hatte das Gefühl, auch er würde mir nicht alles sagen, also wieso sollte ich es tun?

Stur saß ich einfach nur da und starrte die gegenüberliegende Wand an.

Irgendwann reichte es dem Doktor und man brachte mich zurück.

So ging das mehrere Tage lang. Es war immer derselbe Ablauf.

Was mich jedoch immer wieder erschütterte, waren diese Schreie. Sie machten mich wahnsinnig, wenn sie mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf rissen.

Nicht selten weinte ich mich danach in den Schlaf.

„Ich gehöre hier nicht her. Ich gehöre hier nicht her. Ich gehöre hier nicht her.“ Das sagte ich mir wenn sie wieder schrien. Diese wenigen Worte, an denen ich mich festklammerte, halfen mir jede Nacht beim Einschlafen.

Irgendwann würde auch Dr. Martinez einsehe, dass es mir gut ging und dass ich nicht so war, wie die anderen hier, die nun auch ich langsam für verrückt hielt.

 

 

Ich war mir nicht sicher, doch ich glaubte, dass ich nun schon über eine Woche hier war. An diesem Morgen war es etwas anders. Nicht Dr. Luengo holte mich ab, sondern Dr. Martinze persönlich. Auch als er mich in sein Zimmer brachte, erwartete mich eine Veränderung. Auf dem Tisch standen zwei Becher. Die Flüssigkeit in ihnen dampfte und verriet, dass sie heiß war.

„Trinkst du einen Tee mit mir?“

Ich setzte mich und roch an der dampfenden Flüssigkeit. Sie roch angenehm nach Kräutern, also nickte ich.

„Wir hatten einen schlechten Start, meinst du nicht auch?“ Er nahm seinen Becher und nippte daran.

Ich tat es ihm gleich. Der Tee schmeckte leicht bitter, war sonst aber lecker.

„Was ist da drin?“

„Nur eine beruhigende Kräutermischung.“

Ich nahm einen weiteren Schluck.

„Also, du willst noch immer wissen, was du hier sollst, verstehe ich das richtig?“

Ich nickte.

„Nun, deine abuela war besorgt deinetwegen. Deshalb hat sie uns gebeten, dich hierher zu holen. Damit wir dir helfen können.“

„Aber wobei sollten Sie mir helfen?“

„Deine Krankheit ist nicht körperlich, verstehst du das?“ Hm, wo sollte ich denn sonst krank werden? Nein, so richtig verstand ich das nicht.

„Macht Tee immer so müde?“, fragte ich und blickte auf meinen schon halb leeren Becher. Ich war doch gerade erst aufgestanden, also wieso war ich müde?

„Das kann vorkommen. Also Marisol, erzähl mir noch einmal von dem Feuer und wie es dir danach ergangen ist.“

Ich nickte, meine Gedanken wanderten in eine weite Ferne...

„Ich war sehr traurig. Ich habe viel geweint. Ich vermisste meine Eltern.“

„Und dann? Wie wurde es besser?“

„Mauro“, nuschelte ich seinen Namen.

„Ja. Erzähl mir von ihm. Wie sah er aus.“

„Wie heute, nur jünger.“

„Wie sieht er heute aus?“

„Helles Haar“, ich grinste und es fiel mir schwer, aufrecht sitzen zu bleiben. „Ganz blaue Augen. Er ist schön.“ Ich lachte, doch meine Zunge war unangenehm schwer, weshalb die Worte, die ich sprach auch ganz eigenartig in meinen Ohren klangen.

„Wo ist er jetzt?“

Ich zuckte mit den Schultern. Mein Kopf sackte zur Seite. „Ich weiß nicht. Sie haben mich von ihm getrennt.“

„Bist du dir da sicher?“

Ich wusste nicht, ob ich mir sicher war. Ich konnte nicht nachdenken, denn mein Verstand war so schwer wie Metall. Den Kopf noch immer auf meiner Schulter habend, wurden nun auch meine Lider zu schwer und ich konnte sie nicht mehr offen halten. Und ehe ich mich versah, war ich eingeschlafen.

Als ich die Augen wieder öffnete, lag ich in meinem Bett. Doch ich war nicht allein.

Capítulo cuatro – El reencuentro

Das Wiedersehen

 

 

Ich traute meinen Augen nicht.

„Mauro“, flüsterte ich und strahlte meinen Gegenüber an. Er war hier. Er war tatsächlich hier.

Er lag direkt neben mir und lächelte mich an.

„Hola, Chica (Kleine)“, flüsterte er.

So hatte er mich schon früher genannt.

„Wie kommt es, dass du hier bist? Wie kann das sein?“

„Der gute Doktor meinte, es würde dir helfen, wenn ich dabei bin. Und hier bin ich.“

Ich seufzte leise und unterdrückte die Tränen. Ich hatte schon zu viel geweint.

Die Frage wieso er hier sein konnte, trat in den Hintergrund. Ich war einfach nur froh, dass er bei mir war.

Ich wollte mich gerade an ihn kuscheln, da setzte er sich auf und blickte auf mich hinab.

„Schlaf noch etwas.

„Nein“, sagte ich und setzte mich ebenfalls auf. „Wenn ich wieder aufwache, bist du wieder weg.“

„Nein, bin ich nicht.“

„Woher soll ich wissen, dass das stimmt“, jammerte ich und rutschte näher an ihn heran, jedoch ohne ihn zu berühren.

„Es stimmt, Chica. Ich lasse dich nicht mehr allein.“

„Du bleibst bei mir?“ Ich fühlte mich selbst nach diesen paar Tagen schon so einsam in diesen Wänden, da tat es gut, dass er bei mir bleiben wollte.

„Natürlich“, sagte er lächelnd und drückte mich sanft zurück, sodass ich wieder lag. Mit dem Wissen, dass er da war, wieder bei mir, schlief ich bis zum nächsten Tage.

 

 

Am Morgen, als ich aufwachte, sah ich mich als erstes hastig nach ihm um. Ich wurde sofort ruhiger, als ich ihn in der Ecke des Zimmers stehen sah.

Ich wollte gerade etwas sagen, als Dr. Luengo die Tür zu meinem Zimmer öffnete.

„Dr. Martinez will dich sprechen“, sagte er und deutete mir an, ihm, wie jeden Morgen, zu folgen.

Bevor ich das Zimmer jedoch verließ, warf ich einen Blick zurück auf Mauro. Er lächelte und hob die Hand um zu winken. Ich erwiderte sein Lächeln und das verschwand für eine ganze Zeit nicht mehr.

Es überraschte mich, dass ich gar nicht zum Essen gebracht wurde, sondern gleich in Dr. Martinez‘ Arbeitszimmer.

„Guten Morgen, Marisol.“

Ich setzte mich schon ohne Aufforderung, mein Lächeln war aber noch immer da.

„Du siehst glücklich aus.“

Ich zuckte mit den Schultern und wollte aufhören zu Lächeln, doch das ging irgendwie nicht.

„Was ist der Grund dafür?“

Ich antwortete nicht.

„Willst du es mir nicht erzählen?“

„Das wissen Sie doch genau. Sie haben ihn hergebracht“, sagte ich und lächelte.

„Wen habe ich hergebracht?“

Jetzt stellte er sich auch noch dumm.

„Mauro natürlich. Danke dafür.“ Ich wusste nicht recht, wieso ich diesem Mann dafür dankte, doch irgendwie schien es das richtige zu sein. Manieren hatte ich ja noch.

Dr. Martinez‘ Augenbrauen bewegten sich interessant, dann lehnte er sich zurück und lächelte ebenfalls.

„Gern geschehen“, sagte er. „Nun, jetzt wo er wieder da ist, möchte ich mit dir über ihn sprechen.“

„Wieso fragen Sie ihn nicht selbst?“

„Weil ich es immer noch von dir erfahren will.“

„Dann fragen Sie.“ Ich hatte zwar keine Lust, doch so würde ich vielleicht schon bald wieder zurück in mein Zimmer können und dieses Gespräch würde zu Ende sein.

„Hat er einen Nachnamen?“

Ich öffnete den Mund, doch stockte ich sofort.

„Ich…“ hatte keine Antwort auf diese Frage. Irritiert blickte ich zu Boden und versuchte mich zu erinnern. Als Kind hatte es mich nicht interessiert und später? Da war ich einfach so froh gewesen ihn wiederzusehen, dass ich es auch da versäumt hatte, ihn zu fragen.

„Weißt du etwas über seine Familie?“

Wieder öffnete sich mein Mund und wieder hatte ich keine Antwort.

Nein. Mauro war immer bei uns gewesen. Immer in meiner Nähe. Selbst als Kind. War er jemals nach Hause zu seiner Familie gegangen?

„Weißt du etwas Persönliches über ihn?“

Was wollte er damit bezwecken?

„Ich weiß, dass seine Lieblingsfarbe rot ist. Und dass er die tiefschwarzen Nächte liebt, wenn man den Mond nicht sehen kann.“

„Verstehe. Und welche ist deine Lieblingsfarbe?“

Ich stockte schon wieder. Was hatte das denn jetzt damit zu tun?

In meinen Gedanken beantwortete ich aber diese Frage.

Rot.

Sie war Rot.

Wie seine.

„Ich will zurück in mein Zimmer“, sagte ich mit fester Stimme.

Dr. Martinez Brauen wanderten ein Stück nach oben, so als würde er mehr verstehen als ich.

„Unser Gespräch ist noch nicht beendet“, sagte er ruhig.

„Doch, ist es“, beharrte ich. Wieder verschränkte ich in meiner typischen Pose meine Arme vor der Brust und weigerte mich, Dr. Martinez weiter anzusehen.

Für mich war dieses Gespräch beendet.

Dr. Martinez notierte sich unterdessen etwas auf einem Blatt Papier, welches er dann auf einen Stapel legte.

„Also schön. Dr. Luengo, bringen Sie Marisol zurück in ihr Zimmer?“

„Natürlich“, sagte der andere Mann und deutete mir an, ihm wieder zu folgen. Ich tat es ohne etwas zu sagen, ging sogar einfach voraus, weil ich ja wusste, wo mein Zimmer war.

Dort angekommen stand Mauro noch immer in der Ecke. Er lächelte mich wieder an, warf Dr. Luengo aber nur einen misstrauischen Blick zu. Dieser verschloss die Tür wieder hinter mir.

Ich ging zu Mauro und blieb neben ihm stehen, sah dabei einfach aus dem Fenster.

„Alles in Ordnung?“

Ich zuckte mir den Schultern. „Ich weiß es nicht. Dr. Martinez ist sehr neugierig, was dich angeht.“

„Mich?“

„Ja, er fragt mich immer aus.“

„Was sagst du ihm?“

„Ich antworte manchmal. Manchmal auch nicht.“

„Was wollte er denn wissen?“

„Ganz einfache Dinge. Er hat nach deinem Aussehen gefragt. So wie ich dich wahrnehme. Ich verstehe das nicht, er hat dich doch hergebracht.“

„Nun, er selbst hat mich nicht gesehen.“

„Du sprichst in Rätseln.“ Ich seufzte schwer. „Wo bin ich hier, Mauro? Was ist das für ein Ort?“

„Eine Klinik. Für Irre. Sie liegt von unserem Dorf aus gesehen hinter León.“

Schockiert sah ich ihn an. Da ich die anderen Menschen hier ja schon gesehen hatte, war mir dieser Gedanke zwar auch schon gekommen, doch ich hatte nicht verstanden, was ich an so einem Ort zu suchen hatte.

„Ich bin nicht irre.“

„Das weiß ich doch, Chica“, sagte er und streichelte sanft  über meinen Kopf. 

Capítulo cinco – Enfermedades del alma

Krankheit der Seele

 

 

Mauro bei mir zu wissen, tat wirklich gut. Er redete mit mir, lag bei mir in der Nacht und spendete mir Trost.

„Wie kommen wir hier wieder raus?“, fragte ich ihn eines Nachts. Es war dunkel und ich konnte nur an den Geräuschen seiner Atmung erkennen, dass er noch neben mir lag.

„Das weiß ich noch nicht, Chica. Aber wir werden hier verschwinden, glaub mir“, hatte er gesagt. „Ich sorge dafür und du bringst diese Gespräche mit dem Doktor hinter dich. Es wird alles gut.“

Seine Stimme war so ruhig und sanft, dass ich nach diesen beruhigenden Worten gleich wieder einschlief.

Am Morgen lag er noch immer neben mir, war aber schon wach und sah mir einfach in die Augen.

„Buenos dias (Guten Morgen), Chica“, flüsterte er.

Ich lächelte verschlafen und rappelte mich hoch. Das Zimmer war schon vom Sonnenlicht durchflutet und leuchtete fast schon in einem warmen Orange.

Nachdem ich einigermaßen wach geworden war, setzte ich mich auf den einzigen Stuhl in meinem Zimmer und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Mauro besah mich lächelnd und setzte sich auf den Tisch.

„Du solltest heute alles tun, was Martinez dir sagt“, sagte er und ich öffnete die Augen um ihn anzusehen, was gar nicht so leicht war, strahlte mich doch die Sonne direkt an.

„Wie meinst du das?“

„Naja. Vielleicht will er ja nur, dass du das tust.“

„Ich will das aber nicht. Er ist wie alle anderen. Sie verstehen mich nicht.“

„Er versucht es aber. Tu es, Chica. Dann kommen wir hier schneller raus.“

„Meinst du das ernst?“

Er nickte, sah aber verlegen auf seine Hände. Ein Verhalten, was ich gar nicht von ihm kannte.

„Mauro?“

„Ich will uns nur hier raus holen, Mari.“

Ich sagte nichts, konnte ihn nur ansehen.

„Das werden wir“, sagte ich, zuckte aber zusammen, als ich an Kratzen an der Tür hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich zwei kalte grüne Augen durch die Öffnung gucken. Als sich unsere Blicke trafen, schloss er die Klappe wieder und öffnete die Tür komplett.

Es war Dr. Luengo, den ich an seinen Augen schon erkannt hatte.

Ich seufzte und stand auf. Er brauchte schon gar nichts mehr sagen, denn ich kannte den Tagesablauf bereits.

In den meisten Fällen gab es erst das Frühstück, was auch nach der ganzen Zeit hier, nicht besser wurde und danach wollte Dr. Martinez mich sprechen.

Dort angekommen erwartete mich dasselbe Bild wie jeden Tag. Dr. Martinez saß an seinem Tisch und lächelte mich an, als ich eintrat.

„Guten Morgen, Marisol.“

„Guten Morgen.“

„Marisol, ich muss mit dir reden.“

„Reden Sie“, sagte ich und machte mich für eine weitere langweilige Predigt bereit.

„Es geht um den Grund, wieso du hier bist.“

Ich wurde hellhörig. „Ich dachte der Grund ist, dass Sie mir helfen wollen.“

„Und das will ich. Ich möchte dir heute nur erklären, bei was ich dir helfen möchte.“

„Und was ist das?“

„Ich möchte mit dir über Mauro reden.“

Ich seufzte laut.

„Rede, Marisol.“

Ich spürte, wie mir diese ganze Sache schon wieder auf die Nerven ging. Ich spürte Wut in mir.

„Was wollen Sie denn wissen?“, fragte ich aufgebracht. Wieso sollte ich eigentlich jeden Tag dasselbe erzählen? Das wollte ich einfach nicht mehr. „Sie wissen wie er aussieht, kenne seine Vorlieben und Dinge, die er nicht mag, sie kennen meinen Standpunkt, also…“

„Er ist nicht real, Marisol.“

Ich biss mir fast auf die Zunge.

„Was?“

„Er ist nicht echt. Er existiert nicht in Wirklichkeit.“

Ich schüttelte den Kopf. Nein, er war echt. Er wartete oben in meinem Zimmer. Er war da. Half mir wenn ich ihn brauchte. Er war real.

„Sie bilden sich diese Person nur ein.“

„Nein.“

Dr. Martinez sagte nichts, doch das brauchte er auch nicht.

Die Sympathie, die ich anfangs für ihn verspürt hatte, war verschwunden. Er hatte mich angelogen. Er hatte gesagt, er würde mir glauben.

„Sie haben gelogen“, sagte ich leise.

„Ich musste wissen, was in dir vorgeht. Und jetzt weiß ich es mit Sicherheit.“

„Er ist da.“

„Nein, Marisol, ist er nicht. Du spielst dir selbst etwas vor, verstehst du?“

Das sagten sie schon früher. Und sie alle hatten Unrecht. Sie verstanden es einfach nicht. Er war doch da. Wieso konnten sie das nicht einsehen? Vor Wut auf all diese Menschen, auf Dr. Martinez, traten mir Tränen in die Augen. Ich biss die Zähne zusammen bis es wehtat.

„Deine Seele ist es, Marisol, und nicht dein Körper. Sie ist krank und ich möchte dir helfen, gesund zu werden.“

„Sie sind doch hier verrückt und nicht ich!“, sagte ich durch zusammengebissene Zähne.

„Ich möchte deiner Seele helfen…“

„Helfen“, stieß ich aus und versuchte nicht zu fluchen. „Sie können niemandem helfen, wenn sie hier nur rumsitzen.“ Aufgebracht wie ich gerade war, stand ich auf und wollte aus dem Zimmer treten, doch Dr. Luengo blockierte mir den Weg.

„Ich will zurück“, sagte ich stur und starrte in die grünen Augen des Mannes vor mir.

„Wenn du jetzt gehst, werde ich andere Methoden anwenden müssen, um dir zu helfen“, sagte Dr. Martinez hinter mir.

Ich unterdrückte ein Lachen.

„Dann sind Gespräche, wie wir sie in den letzten Tagen geführt haben, Vergangenheit.“

„Ich will zurück“, beharrte ich und warf einen Blick auf den Doktor am Tisch.

„Nun gut. Dann werden wir uns morgen nicht sehen. Dr. Luengo wird dich dann morgen zu deinen Behandlungen bringen“, sagte Dr. Martinez und machte sich wieder Notizen auf einem Blatt Papier.

Nachdem dieser die Tür geöffnet hatte, schritt ich hinaus und ging direkt zu meinem Zimmer. Dort ließen sie mich allein, was mich dann tief durchatmen ließ.

Doch allein war ich nicht. Niemals.

Mauro war da. Er lächelte aufmunternd.

Er war hier und er war echt. Ich konnte ihn sehen, ja ich konnte ihn berühren, also wie konnte dieser alte Mann behaupten, Mauro wäre nicht real?

Ich blickte in seine blauen Augen und fühlte mich gleich wohler. Ich konnte nicht anders, ging zu ihm und umarmte ihn. Das war zwar etwas, was wir eher selten taten, doch gerade brauchte ich es einfach. Seine Nähe, seinen Schutz. 

Capítulo seis – La primera terapia

Die erste Therapie

 

 

Am Morgen erwachte ich mal nicht vor Dr. Luengo. Er hämmerte mit seinen Fäusten gegen die Tür und das weckte mich aus einem noch ziemlich tiefen Schlaf.

Sein Verhalten machte mir schon zu diesem Zeitpunkt Angst und es wurde auch nicht besser, als er die Tür öffnete und mich böse ansah.

„Komm mit“, sagte er.

Unsicher sah ich zu Mauro, der neben mir stand.

„Bleib stark“, sagte dieser und lächelte schwach.

Ich schluckte. Wusste er mehr als ich?

Langsam ging ich aus dem Zimmer und folgte Dr. Luengo. Doch dieses Mal führte er mich nicht in das Zimmer, in dem Dr. Martinez mich immer erwartet hatte. Nein, dieses Mal stiegen wir noch eine weitere Treppe nach unten bis wir in einem kellerartigen Gewölbe standen.

Hier war es mir wirklich sofort unheimlich und ich wäre gleich wieder rausgerannt, hätte Dr. Luengo nicht die Tür hinter uns verschlossen.

„Das hier ist deine erste Behandlung. Zur Reinigung deiner kranken Seele.“

„Ich bin nicht krank“, sagte ich, wobei meine Stimme mehr wimmerte als normal klang. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte das Zittern meines Körpers zu unterdrücken.

„Hier entlang.“

Ich folgte ihm weiter durch das Gewölbe. Es war unterteilt und hatte so einzelne Bereiche in denen immer andere Gerätschaften aufgebaut waren, die ich aber auf den ersten Blick nicht verstand. Der Doktor blieb schließlich vor einem großen Gebilde stehen.

Ein normaler Stuhl hing in der Luft und war durch dicke Seile mit einem hölzernen Apparat verbunden. Er hing etwas schräg, erinnerte ein wenig an eine Schaukel auch wenn ich nicht glaubte, dass dieses Gerät dem Spaß diente.

Als Dr. Luengo mir sagte, ich sollte mich auf diesen Stuhl setzen, wurde ich nervös.

„Was macht dieses Ding?“

„Es ist deine Behandlung. Wir werden sehen, ob es funktioniert.“

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

Dr. Luengo nickte in meine Richtung, da wurde ich plötzlich von zwei festen Händen gepackt und zu diesem Stuhl gezerrt. Zusammen mit dem Doktor schafften es die beiden Männer, mich auf den Stuhl zu setzen und mich mit dicken Lederbändern daran festzubinden.

Ich wehrte mich so gut es ging, doch schließlich saß ich bewegungsunfähig auf diesem Stuhl in der Luft.

„Was passiert hier?“, fragte ich mit zittriger Stimme.

„Wir helfen deiner Seele dabei, wieder gesund zu werden“, sagte Dr. Luengo und nickte dem anderen wieder zu.

Da setzte sich dieses Gebilde plötzlich in Bewegung und fing an sich zu drehen. Immer weiter, erst langsamer, dann wurde es immer schneller.

Schnell wurde mir schwindelig.

„Aufhören“, rief ich, konnte den Schatten von Dr. Luengos Gestalt nur schemenhaft an mir vorbeirauschen sehen, während ich mich weiterdrehte.

Mir wurde Übel, weil ich mich mittlerweile so schnell drehte.

„Bitte“, schrie ich und schloss die Augen, doch auch das half nicht. Ich konnte nicht sagen, ob es die Sache nicht sogar noch schlimmer machte. Das Atmen fiel mir immer schwerer.

„Dr. … Bitte. Aufhören.“ Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Mir war schlecht und schwindelig. Ich hätte mich wahrscheinlich sofort übergeben, hätte ich an diesem Morgen etwas gegessen, doch das hatte ich ja nicht. Trotzdem musste ich würgen, diese Drehungen waren einfach zu viel und wurden immer schneller.

Ich war orientierungslos und konnte nur hoffen, dass es irgendwann aufhörte. Mein Denken wurde langsamer, ich wusste nicht mal mehr, wo oben und unten war.

Mein ganzer Körper schmerzte und kribbelte zugleich. Meine Augen schmerzten und meine Zunge drückte sich gefährlich in meinen Rachen. Ich schrie nun nicht mal mehr, denn ich musste mich aufs Atmen konzentrieren.

Ich bemerkte erst, dass ich von allem, was folgte, nichts mitbekam, als ich in meinem Bett aufwachte.

Wie war ich hierhergekommen?

Ich fühlte mich scheußlich. Mir war noch immer schlecht und es kam mir vor, als würde sich der Raum noch immer drehen.

Mein Blick wanderte automatisch zum Fenster, welches sich nicht drehte. Daneben stand Mauro und wirkte besorgt.

„Was ist passiert?“, fragte ich ihn, doch er sagte nichts, sondern sah an mir vorbei. Als ich seinem Blick folgte saß dort Dr. Martinez.

„Wie geht es dir?“, fragte er mich und lehnte stützte sich mit seinen Ellenbogen auf seinen Knien ab.

„Was haben Sie getan?“, flüsterte ich, doch weiter kam ich nicht, denn ein ekelhafter Schwall Galle drückte sich meine Kehle hoch und ich erbrach sie neben das Bett. Mir war so übel.

„Das ist normal, Marisol. Mach dir keine Gedanken.“

Ich stöhnte auf, rollte mich wieder auf den Rücken und versuchte die Übelkeit durch tiefes Durchatmen zu bekämpfen.

„Nun, ich hoffe, die Behandlungen zeigen erste Erfolge, doch Wunder können wir wohl nicht erwarten.“

Behandlungen? Kamen da etwa noch mehr? Tränen stiegen mir in die Augen bei dem Gedanken noch einmal auf diesen Stuhl zu müssen. Ich rollte mich auf die Seite, mit dem Rücken zum Raum und weinte bitterlich.

Das war Folter, was sie hier machten.

Was für Ärzte waren diese Männer, wenn sie sagten, dass sie mir helfen wollten und mich dann in diesen Stuhl setzten?

 

 

 

*Bei diesem hängenden Stuhl beziehe ich mich auf die Cox‘ Schaukel die früher tatsächlich in psychiatrischen Kliniken eingesetzt wurde. Diese Ärzte, die ich hier beschreibe, gehören zu den sogenannten Psychikern, die Geisteskrankheiten als Erkrankung der körperlosen Seele sahen, meist als Folge von Sünden. Therapiert wurde mit brutalen körperlichen Methoden, die die Seele erschüttern sollte.

 

Die Cox‘ Schaukel wurde zwar erst im 19. Jahrhundert für diese Zwecke eingesetzt, aber ich habe sie mir mal ausgeborgt und in eine etwas frühere Zeit verfrachtet. 

Capítulo siete – Mareo constante

Ständiger Schwindel

 

 

Ich hatte den ganzen Tag nichts essen können, denn mir war noch immer so unglaublich schlecht von diesem Drehstuhl.

Eins war mir nun wirklich klar. Es waren keine normalen Ärzte. Sie waren anders und hatten furchtbare Methoden. Anders konnte ich es nicht in Worte fassen.

Ich saß auf der Bettkante und starrte Löcher in die Luft, als ich ein Kratzen an der Tür hörte und mich sofort versteifte.

Nein.

Nicht noch einmal.

Ich wollte das nicht.

Nicht wieder dieser Stuhl.

Bitte nicht.

Ich wich zurück bis ich in der Ecke des Zimmers stand und gebannt die Tür anstarrte. Die blieb zu. Mehrere Minuten starrte ich sie an, doch sie blieb regungslos.

„Chica, was ist los?“

Kurz zuckte ich erneut zusammen, doch dann beruhigte ich mich. Mauro kam zu mir und legte mir ruhig eine Hand auf die Schulter.

„Ich will das nicht noch mal. Sie werden kommen. Sie werden kommen und mich holen.“

Sein Blick wirkte mit einem Mal so traurig, dass ich meine Angst für einen Moment vergaß.

„Mauro?“

„Sie werden kommen.“

„Was?“, hauchte ich.

„Und ich kann nichts tun. Das tut mir so leid.“

Es versetzte mir einen Stich ins Herz ihn so traurig zu sehen, dabei war ich es, die diese Qualen erleiden musste.

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte ich und sah in seine von Tränen glasigen Augen.

Ausgerechnet da wurde die Tür aufgerissen. Wie immer war es Dr. Luengo, der mich mit seinem grimmigen Blick musterte.

Sofort fing ich an zu zittern.

Oh nein.

Ich wollte das nicht!

„Folge mir“, sagte er und sah mir in die Augen.

„Wohin?“, fragte ich unsicher.

„Entweder du kommst so mit, oder ich hole jemanden, der dir dabei hilft.“

Ich warf einen Blick zu Mauro, der noch immer so traurig guckte. Er konnte mir nicht helfen, denn diese Leute hatten nur ein Interesse an mir. Sie wollten mich heilen, meine Seele heilen und nicht ihn.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und verließ das Zimmer.

Es fühlte sich anders an, durch diese Gänge zu gehen. Würde er mich wieder hinunter in den Keller bringen? Seine wütenden Augen verhießen auf jeden Fall nichts Gutes.

Mit jedem Meter, den wir uns diesem Gewölbe näherten, wurden meine Schritte kleiner und meine Füße schwerer. Ich hatte Angst.

Das konnten sie doch unmöglich noch einmal tun.

„Kann ich mit Dr. Martinez sprechen?“, fragte ich unsicher und versuchte nicht am ganzen Körper unkontrolliert zu zittern.

„Nein. Dr. Martinez hat deinen Fall an mich übergeben.“

„Und was haben Sie nun vor?“

„Wir werden da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben. Wir kurieren deine Seele.“

Wie sollte das gehen? Mehr als Schmerzen und Unwohlsein brachte diese Methode doch nicht.

Als Dr. Luengo die Tür zum Kellergewölbe aufhielt, blieb ich stocksteif stehen. Ich war wie versteinert und starrte nur diese Öffnung an. Mein Körper bebte und Tränen liefen mir stumm über die Wangen.

Man konnte mich doch nicht zwingen, in diesen Raum zu gehen, wo ich doch wusste, was mich dort erwarten würde.

„Geh hinein“, wies mich der Doktor an, doch ich konnte mich einfach nicht überwinden. Auch nicht, als er meinen Namen laut aussprach. Ich zuckte nur zusammen, rührte mich aber kein Stück von der Stelle.

Erst als er mich am Arm packte und einfach mit sich zog, als wöge ich nichts und würde mich nicht wehren, betrat ich unfreiwillig das Gewölbe.

Je näher wir diesen hängenden Gebilde kamen, desto weicher wurden nun meine Beine.

Ich weinte nunmehr nicht mehr leise, zerrte wie ein verzweifeltes Kind am Arm des Doktors, damit dieser mich losließ, doch kaum lockerte er den Griff, waren da zwei andere Hände, die mich ergriffen und wieder auf diesen Stuhl setzen wollten. Erst als die Lederriemen fest saßen und ich mich nicht mehr bewegen konnte, erschlaffte mein Körper und der Widerstand hörte auf. Nur noch ein leises Wimmern meinerseits war zu hören.

„Marisol, deine Seele muss verstehen, dass Mauro nur eine Vorstellung ist. Er existiert nicht.“

„Er ist da“, wimmerte ich. Wieso meinten sie nur immer, dass er nicht echt war? Wie sonst konnte ich denn mit ihm reden oder ihn berühren. Das würde doch sonst gar nicht gehen.

„Er ist ein Hirngespinst. Es gibt ihn nur in deinem Kopf.“

Ich presste die Augenlider und die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, doch meine Hände konnte ich ja nicht bewegen.

Ich wollte das alles nicht hören.

„Du wirst es einsehen“, sagte Dr. Luengos Stimme und in diesem Moment finge dieser Stuhl an sich zu drehen. Erst langsamer, dann wieder schneller. Ich versuchte mich zu konzentrieren, doch es brachte nichts.

An diesem Tag konnte ich die Übelkeit nicht bezwingen und würgte noch in diesem Gerät. Natürlich kam da nichts, denn ich hatte nichts in meinem Magen, doch es nahm mir die Atmung und krampfhafte Tränen sammelten sich in meinen Augen.

Ich hatte das Gefühl, es würde noch länger gehen als am Vortag. Der Druck, der auf meinen Körper wirkte, war enorm und tat weh.

Ich nahm es nur noch aus weiter Ferne mit, als die Drehungen aufhörten und die Bänder, die mich an dieses Gerät gefesselt hatten, gelöst wurden. Ich wurde von dem Stuhl heruntergehoben und lag reglos in den Armen von jemandem. Ich war zwar nicht vollkommen bewusstlos doch so wirklich etwas mitbekommen konnte ich auch nicht. Ich fühlte die schaukelnden Bewegungen und hörte den Atem des Mannes, der mich trug.

Ich wollte nicht einschlafen, doch es war zu schwer die Augen offen zu halten.

Lange schlief ich jedoch nicht, denn als ich abgelegt wurde, spürte ich die mir bekannte Matratze unter mir und das riss mich aus meinem Schlaf.

Verwirrt wie ich zu dem Zeitpunkt noch war, sah ich mich hektisch um, doch nur der in weiß gekleidete stand vor mir und blickte auf mich hinab.

„Wasser“, sagte er und deutete auf einen Becher, der auf dem kleinen Tisch in meinem Zimmer stand. „Trink es.“

Ich nickte und setzte mich langsam auf. Obwohl mir noch immer so übel war, zwang ich mich, wenigstens ein paar Schlucke des Wassers zu trinken.

Was bezweckten sie damit? Alles hatte mit Mauro zu tun. Alles, was hier passiert, geschah nur wegen ihm.

„Sie machen das deinetwegen“, sagte ich, blickte aber weiterhin auf das Glas in meiner Hand.

„Meinetwegen?“

Ich nickte. „Sie sagen, dass du eine Einbildung bist.“

„Glaubst du ihnen?“

Als er diese Frage stellte, so ruhig und mit einer Traurigkeit in der Stimme, musste ich ihn einfach ansehen.

„Nein. Ich sehe dich vor mir. Ich kann dich berühren. Wie kannst du da eine Einbildung sein?“

Capítulo ocho – Dolor físico

Körperlicher Schmerz

 

 

Die folgenden Tage waren ein Graus für meinen Körper.

Dr. Luengo kam jeden Morgen mit einem Glas Wasser und einem Stück Brot in mein Zimmer. Unter seiner Aufsicht musste ich essen und trinken.

Auch Mauro war bei mir. Während ich das Brot aß, saß er bei mir und redete mir gute Worte zu, die mich aufheitern sollten. Es fiel mir zwar schwer, doch es half, ihn bei mir zu wissen. Ich wollte einfach nicht glauben, dass es alles nicht real sein sollte.

Nach dem Essen forderte mich Dr. Luengo auf, ihm wieder zu folgen. Da kam es jeweils auf den Tag an und wie ich mich fühlte.

Am Anfang, als ich wusste, was mich erwarten würde, nämlich dieser furchtbare Drehstuhl, folgte ich ihm langsam. Es blieb mir ja eh keine Wahl, denn sonst würden mich andere in weiß gekleidete in den Keller zerren. Und das war sogar noch schlimmer.

Doch als in an diesem Morgen dem Arzt hinunter folgte, führte er mich nicht zu dem Bereich wo der Stuhl hing. Er ging in eine ganz andere Richtung.

War das nun gut oder schlecht? Ich wusste es nicht.

Als ich dann jedoch Schreie hörte, erstarrte ich und blieb auf der Stelle stehen.

Das klang nicht gut.

„Komm weiter“, sagte Dr. Luengo und drehte sich zu mir um.

Ich rührte mich nicht, meine Lippe zitterte und meine Zähne klapperten aufeinander. Die Angst hatte mich wieder.

„Komm schon. Ich habe auch noch andere Patienten.“ Er griff mich grob am Arm und zog mich mit sich. Gegen seine Kraft konnte ich nichts ausrichten und so zog er mich an dunklen Holztüren vorbei hinter denen ich Stimmen und immer wieder Schreie hören konnte.

„Wohin bringen Sie mich?“, fragte ich kleinlaut.

„Das erkläre ich dir gleich.“ Er zog mich weiter und stieß schließlich eine der hölzernen Türen auf.

Der Raum, in den er mich hineinzog, war kalt und bis auf einen Stuhl leer. Dachte ich zumindest, denn als ich weiter eintrat sah ich, dass dort ein tiefes Becken eingelassen war. Der Stuhl stand auf einem Holzbrett und an diesem waren einige Griffe angebracht. Ich verstand nicht ganz, was es mit diesem Gebilde auf sich hatte und so beruhigte ich mich im ersten Moment wieder.

„Nun Marisol, ich bin gezwungen, andere Methoden anzuwenden, denn mit den normalen kommen wir nicht weiter.“

Als er diese Worte sprach kamen zwei andere Männer mit in den Raum und schlossen die Tür hinter sich.

Da begann ich wieder zu zittern.

Wenn der Drehstuhl nicht half, was hatten sie dann jetzt mit mir vor? Würde es noch schlimmer werden?

„Setz dich bitte auf den Stuhl“, wies mich Dr. Luengo an.

Ich rührte mich nicht.

„Marisol.“

„Was ist das?“, fragte ich mit zittriger Stimme.

„Setz dich, dann erkläre ich es dir.“

Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und betrat dieses lange Brett. Zur Hälfte lag es auf dem Boden, die andere Hälfte ragte über dieses Becken. Dort stand auch dieser Stuhl, was hieß, dass ich über dieses Brett gehen musste. Ich näherte mich diesem Stuhl und hörte dann Schritte hinter mir. Ich sah zurück und bemerkte da, dass mir einer dieser Männer folgte. Als ich auf diesem Brett stand, gab es keinen Weg zurück, denn der wurde blockiert.

„Hinsetzen“, sagte der Mann, dessen Namen ich nicht kannte und drängte mich weiter.

Ich ließ mich auf dem Stuhl nieder und blickte zu dem Mann auf. Mir fiel sofort auf, dass auch an diesem Stuhl Lederriemen waren und genau diese spannte der Mann über meine Arme und Beine, fesselte mich so wieder an diesen Stuhl.

Mein Herz schlug immer schneller.

Ich drehte den Kopf zur Seite und sah in das Becken. Es war mit Wasser gefüllt.

Oh Dios (Gott), was hatten sie vor?

„Wir müssen dich stärker erschüttern, Marisol. Bis deine Seele den Irrglauben aufgibt.“

„Welchen Irrglauben?“

„Du weißt, welchen ich meine.“ Dann nickte er und die zwei anderen Männer lösten einen Haken von dem Brett. Sofort schlug ich nach hinten, mitsamt dem Stuhl.

Ich schrie auf, tauchte aber sofort unter Wasser. Luft drang aus meiner Lunge, denn der Schrei kam ganz automatisch, als mich die kalten Wassermassen erdrückten. Dazu kam der Schreck.

Ich versuchte mich zu bewegen, krampfte und schrie. Eigentlich wollte ich aufhören zu schreien, doch es ging nicht. Ich zwang mich nicht einzuatmen, denn dann würde ich ertrinken.

Wollen sie das? Sollte ich in diesem Becken ertrinken? Das würde meiner Seele doch aber auch nicht weiterhelfen, oder?

Da wurde ich mit einem Mal wieder nach oben gebracht. Ich hustete, schnappte nach Luft und versuchte so viel wie möglich davon in meine Lunge zu bekommen.

Erschrocken sah ich zu den Männern. Dr. Luengo stand am Beckenrand und sah mich musternd an, während die anderen beiden das Brett nach unten und somit den Stuhl, auf dem ich saß, nach oben drückten.

„Bitte“, wimmerte ich, doch da sah ich das Nicken des Arztes erneut und wieder tauchte ich in das kalte Wasser. Sofort drang die Luft wieder aus meiner Lunge, die Kälte ließ meine Muskeln erneut krampfen.

Mehrfach ging das so. Immer wieder tauchten sie mich in das Wasser, ließen mich dort bis mein Körper so sehr krampfte, dass ich glaubte, ich würde mir selbst die Knochen brechen. Dann holten sie mich wieder hoch.

Wieder schnappte ich nach Luft und hustete mir die Seele aus dem Leib.

Vielleicht wollten sie das ja?

„Bitte! Aufhören!“, flehte ich jedes Mal. Ich schrie, denn ich hatte Angst, waren sie doch fast dabei, mich umzubringen. Meine Kräfte waren erschöpft und ich ließ einfach den Kopf hängen. Ich konnte nicht mehr.

„Schnallt sie ab“, wies Dr. Luengo die Männer an, die das Brett wieder fixierten und dann die Lederriemen, die mich an den Stuhl fesselten, lösten.

Ich konnte nicht mal selbst aufstehen, denn mein Körper war kraftlos und ich einfach zu erschöpft.

Als sie mich zurück in mein Zimmer brachten, hoffte ich schon, dass ich diese Tortur überstanden hatte.

Doch ich irrte mich, denn am nächsten Tag kamen sie wieder.

Und an dem darauffolgenden auch.

Ich wusste nicht, wie lange mein Körper das noch ertragen konnte.

Jede Nacht weinte ich mich in den Schlaf, konnte einfach nicht glauben, dass sie mir das jeden Tag aufs Neue antun würden. Ich hatte Angst vor dem nächsten Tag, vor den Schmerzen und dem Gefühl zu ertrinken.

Doch es half, dass er bei mir war. Mauro. Er war da und hielt mich, wenn mich die Angst übermannte und ich mich einsam fühlte. Er war bei mir und würde mich immer halten.

Impressum

Texte: Jana S. Morgan
Bildmaterialien: https://pixabay.com/de/
Cover: Jana S. Morgan
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2014

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