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1

Lange, sehr lange lebte Uriel um seinem Herrn zu dienen. Er mordete in seinem Namen, löschte Menschenleben aus, zerstörte Hoffnungen und Träume im ewigen Kampf zwischen Himmel und Hölle. Seine Hände waren getränkt vom Blut Unschuldiger und seine Flügel hatten ihren Glanz verloren. Zu lange war sein Leben geprägt von Krieg und Tod. Zulange war er ganz allein.

Bis er sie traf:

Bunte Lichter, bunte Kleider, laute Musik, laute Gäste, viel Alkohol, viel von Allem. Das war ein Ball zu Ehren der Königin. Der Adel aus allen Teilen des Reiches war erschienen, samt Gefolge um den Geburtstag der Majestät zu feiern. Uriel konnte in ihren Gesichtern sehen, das sie sich einen Dreck um ihre Königin scherten. Sie kamen nur um zu feiern, um zu trinken und um Spaß zu haben. Mit einer Ausnahme.

Die Frau war wunderschön. Viele lüsterne Blicke ruhten auf ihr und auch Uriel war verzaubert. Ihr Haar, so braun wie Kastanien schimmerte im Schein der Kronleuchter, blaue blinde Augen leuchteten wie ein ganzes Meer, als könnten sie die ganze Welt in sich aufnehmen. Ein jadegrünes Kleid, vom Hals bis zu den Hüften schwarz, schmiegte sich an ihren wohlgeformten, schlanken Körper und betonte jede Proportion, bis es sich von den Hüften an weitete und schließlich den Boden erreichte.

Er ging zu ihr. „Ein Geschehen wie dieses scheint euer Interesse zu wecken.“, begann er und verkniff sich ein Lächeln als die Frau zusammenzuckte und herumfuhr.
„Ganz recht. Ein ausgesprochen schönes Fest.“, antwortete sie.
„Ihr seht nicht aus wie eine Adlige. Seid ihr eine Zofe?“
„Was gibt euch Anlass, etwas derartiges zu denken?“
„Eure Hände.“
Sie sah auf ihre Hände hinab, ohne zu sehen.
„Es sind die Hände einer schwer arbeitenden Frau.“, fuhr er fort. Uriel nahm ihre Hände in seine. „Wenn gleich es sehr schöne Hände sind.“
Sie entzog sich ihm. „Ich kenne jeden Stammbaum jedes Adelshauses, doch Euch kenne ich nicht. Ihr seid genauso wenig adelig wie ich es bin. Wer seid ihr?“
„Ich bin ein ungeladener Gast, der sich langweilte, als er des Weges kam. Zwar dachte ich, ich könnte hier meine Zeit vertreiben, doch dies scheint bei näherer Betrachtung ein Fehler gewesen zu sein. Findet ihr nicht auch, dass es recht laut hier ist?“
„Ich könnte euch melden, dafür, dass ihr nicht als geladener Gast hier seid.“
„Ich werde euch nicht aufhalten.“
Sie zögerte.
„Kommt mit mir nach draußen. Dort können wir weiter reden, wenn ihr es wünscht.“, bot Uriel an.
„Ihr scheint ein Mann zu sein, der stets bekommt, was er verlangt.“, überlegte sie.
Er lächelte. „Und wenn es so wäre?“
„So muss ich euch leider enttäuschen. Ich bin mit meiner Herrin hier und werde in ihrer Nähe bleiben, falls sie mich braucht. Ihr solltet wissen, dass ich keine Hure bin, die mit jedem Mann mitgeht, nur weil er schöne Augen hat.“
„Ihr seht meine Augen? Doch ich nehme es als Kompliment. Vielen Dank.“
„Ich werde jetzt gehen.“
„Sagt mir bitte vorher noch euren Namen.“
„Tiana. Mein Name ist Tiana.“
Und dann ging sie.

Lange dachte Uriel über diese seltsame Frau nach. Sie war anders als andere. Jede Frau, die er bisher bat ihn zu begleiten, ging mit ihm, ob Witwe, Jungfrau oder Verlobte. Keine hatte seine Bitten je ausgeschlagen. Doch sie tat es. Ganz ohne darüber nachzudenken. Normalerweise waren Frauen für Uriel nichts weiter gewesen, als ein Zeitvertreib, der nie länger als eine Nacht hielt, aber diese Frau, Tiana, hatte sein Interesse geweckt.

Den ganzen Abend beobachtete er sie, wie sie mit anderen Männern tanzte, wie sie ihrer Herrin beistand, wie sie Sieselbst zu sein schien. Uriel konnte nichts erkennen, das ihn hinter eine Fassade blicken lassen konnte, so wie bei allen anderen Gästen. Der eine zum Beispiel, er starrte Tiana immerzu an, obwohl er mit seiner Geliebten tanzte und seine Frau zuhause auf ihn wartete. Eine andere wollte der Königin am liebsten ihre Krone vom Kopf reißen und sich selbst krönen, während sie ihrer Majestät die Augen aus dem Kopf kratzte.
Jeder dieser Menschen hatte ein Geheimnis, jeder verbarg etwas hinter einer Maske aus Stolz und Gier. Doch bei Tiana war nichts von alledem zu sehen.

„Suchst du schon wieder nach einer Erdenfrau?“, fragte eine Stimme hinter Uriel.
„Was willst du Gabriel?“
„Ich dachte ich sehe mal wieder nach dir. Wie lang ist es her? 100 Jahre?“
„105 Jahre, 19 Tage, 7 Stunden und 59 Minuten.“
„Hast du mich so sehr vermisst?“
„Ich habe jede Sekunde davon genossen.“
„Autsch. Das ist hart.“, sagte Gabriel gespielt verletzt. „Aber ich bin ein Erzengel. Hab Respekt vor mir!“
Uriel lachte aus vollem Herzen. „Ich soll Respekt vor dir haben? Mein Freund, dafür kenne ich dich zu gut.“
„Das ist gut möglich. Dabei hättest du es viel mehr verdient.“
„Erspar mir das. Das hatten wir doch schon vor einer Ewigkeit abgeschlossen. Ich bin damit einverstanden.“
„Und dabei warst du es, der mich rettete und nicht umgekehrt. Du hättest es wirklich verdient.“
„Belass es dabei und sag mir, was du wirklich von mir willst.“

Der Mond stand hoch über dem Dach, gegenüber dem Ballsaal, auf dem die beiden saßen und die tanzende Menge beobachteten.
„Der Herr ruft nach dir. Hast du ihn nicht gehört?“
„Ich habe es gehört.“
„Dann folge ihm.“
„Ich bin müde Gabriel. Lass mich ausruhen.“
„Es ist deine Pflicht ihm zu folgen.“
„Und wenn ich das nicht mehr will?“
„Wie kannst du es wagen?“ Gabriel war eindeutig entsetzt. „Dein Herr ist dein Gott. Du kannst dich deinem Gott und Herren nicht lossagen.“
„Ich bin das Töten leid, Gabriel. Ich verstehe den Kampf gegen Dämonen, doch warum muss ich unschuldige töten? Weil sie nicht an etwas glauben, das sie nicht sehen können? Das ergibt keinen Sinn.“
„Gottes Urteil ist Gesetz. Wenn du dich erhebst gegen ihn wirst du Luzifer in die Hölle folgen.“
„Sieh dich an, Gabriel. Der Grund warum du ein Erzengel bist, ist nicht deine Tat, sondern dein fester Glaube an Gott. Ich denke selbst, doch du folgst unserem Herren ohne seine Entscheidungen in Frage zu stellen.“
Gabriel schwieg.
„Ich werde kommen, sobald ich kann.“
„Eine Menschenfrau darf dich nicht von deinen Pflichten abhalten.“
„Auch nicht, wenn sie gerade in Gefahr ist? Sieh genau hin.“
Mit dem Wink seiner rechten Hand wurde die Szene deutlicher, kam näher, wie unter einem Vergrößerungsglas. Ein Mann schüttete ein paar Tropfen einer farblosen Flüssigkeit in ein Glas Rotwein, ohne, dass Tiana es merkte und reichte es ihr. Sie schien es erst ablehnen zu wollen, doch dann nahm sie es doch. Der Mann nahm ihr das Glas ab, nachdem sie davon getrunken hatte und bat sie um einen Tanz. Zuerst schien alles normal, doch Uriel erkannte, wie unsicher sie langsam wurde.
„Uriel, das ist nicht deine Aufgabe.“
„Lass mich, Gabriel! Ich kann nicht einfach mitansehen, wie etwas Unrechtes geschieht. Sie ist ehrlich. Das ist selten geworden und seltene Dinge muss man behüten.“
„Uriel, ich…“, begann der Erzengel, doch Uriel unterbrach ihn.
„Nein. Richte dem Herren aus, dass ich da sein werde, sobald ich kann.“
„Wie du willst.“ Und Gabriel verschwand.

Uriel sah zu wie Tiana in die Arme des Mannes fiel.
„Geht es euch nicht gut?“, fragte er scheinheilig.
„Ich, ich glaube ich brauch ein bisschen frische Luft.“, antwortete sie atemlos.
„Wie ihr Wünscht. Ich werde euch begleiten.“
„Ich danke euch.“
Sie verließen den Ballsaal und Uriel beendete die Nahaufnahme.

Lautlos landete er auf dem Boden und hörte den Mann reden. Anscheinend standen sie hinter dieser Ecke.
„Ihr seht kränklich aus.“, stellte er fest. „Geht es euch nicht gut?“
„Ich fühle mich ein bisschen schwindelig.“
Der Mann stemmte die Hände neben Tiana an die Wand, an die sie sich gelehnt hatte, und ließ sie nicht gehen. „Was für ein Glück ich heute wieder habe.“, flüsterte er.
„Was tut ihr?“
„Habt keine Angst. Bald werdet ihr nichts mehr spüren.“ Gierig presste er seine Lippen auf ihren zarten Mund. Verzweifelt versuchte sie ihn von sich zu schieben, doch er gab nicht nach.
Er lachte und begann die Knöpfe ihres Kleides zu öffnen.

Hass stieg im Innern Uriels auf und brannte in ihm.
„Bei allem Licht, das ich kontrolliere! Ich bin unsichtbar!“, flüsterte er gebieterisch. Ein warmes Gefühl breitete sich von seiner Körpermitte durch seinen ganzen Körper aus und er trat aus seinem Versteck. Ohne ein Geräusch zu machen, schritt der Engel voran, zornig über die Tat des Menschen.

„Wie kannst du es wagen eine Frau zu vergewaltigen?!“, donnerte er und ließ seinen Mantel aus Licht fallen. Der Mann fuhr herum und erstarrte. Dort stand er, der Engel. In seiner ganzen Pracht und Größe. Schneeweiße Flügel, die beim Gehen über den Boden schleiften entfalteten sich, das Schwert in seiner Hand begann zu glühen und mit heiligem Feuer zu brennen. „Du wiederwertige Abscheulichkeit! Du hast den Zorn Gottes auf dich gezogen. Du verdienst es zu sterben!“
Heulend fiel der Mann auf die Knie. „Bitte, bitte. Ich flehe euch an! Verschont mich. Nehmt sie, aber verschont mein Leben!“
„Wie erbärmlich, Abscheulichkeit! Dein Leben ist nichts wert! Gott wird über dich richten und sein Urteil wird dein Untergang sein!“ Der Engel richtete die Spitze seines Schwertes auf den Mann. Flammen stiegen an ihm empor und seine Schmerzensschreie erfüllten die Nacht. Auf dem Boden windend verbrannte er zu Asche, die der Wind Richtung Osten trug. Stille kehrte ein.

„Ihr seid doch ein Engel.“ Tiana lachte leise. „Ich wusste es.“
Sie sank zu Boden, doch Uriel fing sie im letzten Moment. Seine mächtigen Schwingen trugen sie dem Mond entgegen und brachten Tiana nach Hause.

 

2

Uriel faltete seine Schwingen auf dem Rücken und atmete tief durch. Er stieß die große Flügeltür auf.
„Mein Lord, ich bin heimgekehrt.“, hauchte er ehrfürchtig und kniete nieder.
„Ich sehe dich, mein Sohn.“
„Ihr habt gerufen.“
„Und du bist meinem Ruf nicht gefolgt.“
„Ein Fehler, mein Lord. Verzeiht mir.“
„Du bist kein Diener, doch ich bitte dich um deine Treue und dein Vertrauen.“
„Es sei auf ewig Euer, mein Lord.“
„Ich danke dir, doch du hegst Zweifel gegenüber meinen Entscheidungen, nicht wahr?“
„Ich würde mir nicht erlauben, an euch zu zweifeln.“
„Meine Entscheidungen und mein Selbst sind nicht immer ein und das Selbe, mein Sohn.“
„Ich verstehe.“
„Also sprich.“
Uriel suchte verzweifelt nach Worten, doch ihm fielen keine ein.
„Mein Lord, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Dann schweig, doch sei gewiss, dass du deine Bedenken jederzeit vortragen kannst, wenn es dir beliebt. Erhebe dich nun, denn du bist kein Diener sondern ein Engel.“
Uriel erhob sich.
„Kümmere dich um die Erdenfrau und beschütze sie.“
„Jawohl, mein Lord.“
Uriel ging.



3

Sie erwachte und er spürte es. Er machte sich auf den Weg zu ihr.
„Engel. Schön dich zu sehen.“, begrüßte Tiana ihn.
„Nenn mich Uriel.“
„Für wahr der Name eines Engels.“, hauchte sie.
„Wie geht es dir?“
„Dank dir, sehr gut. Ich stehe in deiner Schuld.“
„Du bist mir nichts schuldig. Ich war in der Nähe.“
„Ich weiß. Du warst die ganze Zeit da.“
„Woher weißt du das?“
„Ich rieche dich. Du riechst nach Dämonen, Engel.“
Uriel schwieg.
„Als ich noch klein war, wurde ich von einem Dämon entführt. Er nahm mir mein Augenlicht bevor ich fliehen konnte.“
„Ein Dämon stahl dein Augenlicht?“ Das Überraschte Uriel.
„Und bis zum heutigen Tag habe ich diesen Geruch nicht vergessen. Diesen Gestank nach Fäulnis und Schwefel.“
Der Engel war beeindruckt. „Und was macht dich so sicher, dass ich kein Dämon bin?“
Tiana stand auf, ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Brust. „Ich höre dein Herz, wie es für einen Gott schlägt, der gut ist und ich hörte deine Flügel, wie sie uns sanft durch die Luft trugen.“

Das Herz des Engels schlug schneller. Obwohl er wusste dass sie es spüren konnte ließ er es geschehen. Leise lachte Tiana und drehte sich um. Ein Schritt und Uriel stand wieder vor ihr.
„Ich kann dir helfen.“, hauchte er.
„Ich brauche nichts von dir, Engel.“
„Ich kann dir dein Augenlicht wiedergeben.“
Uriel wunderte sich über sich selbst. Wieso half er einer Menschenfrau? Wieso brach er die Regeln für sie?

Tiana schwieg.
„Willst du denn nicht sehen, was die Welt zu bieten hat?“
„Ich spüre und höre sie. Sie hat mir nichts mehr zu bieten.“, sagte sie verbittert, doch Uriel erkannte den Schmerz in ihrem Innern und sah, wie eine Träne ihre Wange hinunterlief. Er wischte die Träne weg und zog Tiana in seine Arme.
„Willst du denn nicht die Farben sehen, die die Blätter tragen? Oder den Wind sehen, wie er durch die Felder weht? Lass mich dir zeigen, wie wunderschön diese Welt ist.“
Tiana schwieg.
Uriel fuhr fort: „Lass mich dir zeigen wie sich Wolken anfühlen, ich kann dir die Sterne und den Mond zeigen.“
„Warum bist du hier, Engel?“, fragte sie schließlich leise.
„Um dir zu helfen.“
Sie löste sich langsam von ihm, die Augen mit Tränen gefüllt. „Ich brauche deine Hilfe nicht, Engel. Geh und hilf den Menschen, die dich wirklich brauchen, die in Armut leben, ohne Aufgabe, die krank sind oder hungern. Geh und hilf ihnen, denn sie brauchen dich mehr als ich.“ Mit diesen Worten und tränennassen Wangen ging sie hinaus ohne sich noch einmal umzudrehen. Also ging auch Uriel.


4

„Warum beobachtest du diese Menschenfrau?“, fragte eine Stimme hinter Uriel.
„Satan. So nennen dich die Menschen, nicht wahr?“
„Ganz Recht. Mir gefällt der Name.“
„Was ist so toll daran?“
„Er erinnert mich an den letzten Tag.“
„Bereust du es?“
„Nicht bis zum Ende meines ewigen Lebens, mein alter Freund. Schließlich wollte ich nur die göttliche Macht haben, um das, was mit dieser Welt geschieht ein für alle Mal zu unterbinden.“ Der Herr der Hölle drehte sich mit ausgebreiteten Armen, als wollte er die ganze Welt erfassen. „Sieh sie dir an, Uriel. Sieh dir an, was die Menschen damit machen und in Zukunft damit machen werden! Sie werden sie vernichten!“
„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die Menschen sind gütig. Sie wissen was Recht und Unrecht ist.“
Satan lachte. „Nein. Die Menschen wissen es nicht. Sie weiß es.“
Uriel sah hinab. Tiana hing gerade die Wäsche ihrer Herrin auf eine Leine und summte dabei ein Lied.
„Du liebst diese Menschenfrau und du weißt es!“, rief Satan. „Du spürst eine Macht in dir, die stärker ist als deine Engelskraft und du weißt was das bedeutet. Engel verlieben sich nur einmal, Uriel. Vergiss das nicht.“
Uriel schwieg.
„Sie hat dich abgewiesen nicht wahr?“ Wieder lachte er aus vollem Herzen. „Du bist ein Engel! Du kannst alles haben was du willst. Deine Kräfte sind fast göttlich. Du kannst alles haben! Nimm sie dir! Sie gehört dir!“
„Das ist nicht richtig.“
„Natürlich ist es das! Sieh sie dir an: dieser wohlgeformte Körper, diese roten, vollen Lippen. Siehst du denn nicht ihr perfektes Haar oder ihre herrlich blinden Augen? Nimm sie dir. Sie ist dein Eigentum. Aber wenn du sie nicht willst….. Ich werde bestimmt meinen Spaß mit ihr haben.“

Uriel sprang auf. Die Pechschwarzen Haare des Teufels bewegten sich in der feinen Brise, die aufkam, als Uriel donnerte: „ Du warst einst einer der höchsten Engel, ein Cherobim, du der du verbannt wurdest aus Gottes Himmelsreich! Du hast ihn verraten, uns alle! Du hast kein Recht auf diese Menschenfrau! Sie ist nicht dein Eigentum!“
„Sie ist genauso wenig mein, wie dein, Engel. Wir haben beide kein Recht auf sie.“
„Uriel, beruhige dich.“ Gabriel war erschienen.
„Verschwinde Gabriel!“, fauchte Uriel.
„Hallo, Gabriel. Schön dich mal wieder zu sehen.“
„Trägt man in der Unterwelt jetzt schwarze Jeanshosen und Lederjacken aus der Zukunft?“
„Naja, besser als eure weißen Bademäntel.“
„Das sind Kutten.“
„Wenn du das sagst…“
„Hört auf!“, brüllte Uriel.
„Mein Freund, du solltest mal einen Entspannungstee trinken.“, riet Satan.
„Ich verstehe deine Aufregung Uriel, doch du solltest nicht vergessen, welche Regeln du befolgen musst.“
„Genau. Hör auf den Mann im Bademantel. Du bist ein lieber netter Junge und befolgst immer gehorsam jeden Befehl.“, kicherte Satan.
„Das ist eine KUTTE!“, knurrte Gabriel.
Uriel unterdrückte ein genervtes Aufschreien und flog davon.
„Ich glaube wir haben ihn verärgert.“, überlegte Satan, während die beiden ihm nachsahen.
„Das glaube ich auch.“

5

Uriel saß am Abgrund. Vor ihm nur Sand. Hinter ihm noch mehr Sand. Er war lange geflogen um allein sein zu können. Sehr lange. Die Sonne hatte sich immer weiter dem Horizont zugeneigt und berührte ihn fast. Der Himmel über ihm war ein Farbenspiel auf rot, gelb, orange und blau. Alle Farben wirbelten durcheinander und mischten sich.
Wieso will sie das nicht sehen? , fragte er sich selbst immer und immer wieder. Selbst als die Sonne schon lange untergegangen war und der Mond und die Sterne am Himmel standen, hatte er noch keine Antwort auf diese Frage. Er schaute über die karge Wüstenlandschaft, sein Blick schweifte durch die Dunkelheit und verlor sich am Horizont.
„Das, was du suchst, wirst du hier nicht finden.“, sagte jemand. Uriel schaute sich um. Ein kleines Mädchen stand da. Große blaue Augen sahen in seine. Die kastanienbraunen Haare leuchteten unter dem Licht der Sterne.
„Wer bist du?“, fragte der Engel.
„Mein Name ist Tiana.“
„Was machst du hier draußen, so ganz alleine?“
„Ich habe meinen Vater verloren.“
„Du suchst deinen Vater?“
„Nein. Ich habe ihn verloren.“
Ein zweites Mädchen kam wie aus dem Nichts. Auch sie hatte braunes Haar und blaue Augen. Sie schien älter zu sein.
„Ich habe meinen Bruder verloren.“
Immer mehr Mädchen kamen. Jede war älter als die andere.
„Ich habe meine Großmutter verloren“, „Ich habe meinen Großvater verloren“, „Ich habe meinen besten Freund verloren“, sagten sie.
Satan erschien hinter den Mädchen. Er hielt ein Baby im Arm. „Sieh sie dir an. Sie hat ihre Mutter verloren.“ Er streichelte die Wange des Neugeborenen. „Sie alle sind eins. Sie alle sind Tiana. Jede von ihnen hat einen Menschen verloren, der ihr wichtig war und jedes Mal ist ein kleiner Teil von ihr mit gestorben. So kamen sie alle zu mir.“
„Wieso zu dir?“
„Sie sind Teil eines Ganzen. Sie können ihren Frieden nicht finden, wenn sie nicht komplett sind.“
Uriel schwieg und betrachtete die Mädchen. „Tiana hat viele Menschen verloren und nie war jemand da, der ihr helfen konnte. Und jetzt taucht plötzlich ein Engel auf, der behauptet er könnte ihr helfen.“
„Deshalb wollte sie, dass ich anderen Menschen helfe. Sie glaubt sie hätte meine Hilfe nicht verdient, weil sie nie welche bekommen hat.“
„Verstehst du sie jetzt?“
„Ja.“
„Dann geh zu ihr.“
Uriel richtete sich auf und erhob sich in die Luft. Doch bevor er davon flog landete er noch einmal und fragte: „Warum tust du das für mich?“
„Ich möchte auch meinen Spaß haben.“, antwortete der Gefallene und lachte leise.
Uriel überlegte kurz. „Danke“, sagte er schließlich und flog davon.

6

Wieder brauchte Uriel sehr lange für den Weg. Er fand Tiana´s Haus leer vor und machte sich auf zu ihrer Herrin. Die Herrin saß in einem fast leeren Zimmer am Fenster und stickte etwas auf ein Tuch.
„My Lady, verzeiht die Störung. Ich bitte euch, eure Zofe Tiana für eine Weile frei zu stellen.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragte sie ohne aufzusehen.
„Weil ich euch darum bitte.“
Jetzt sah sie auf. Sie zögerte bei seinem Anblick, willigte aber ein. „Nun gut. Doch fordere ich eine Gegenleistung.“
„Was immer ihr wünscht.“
„Ich werde es euch wissen lassen, wenn ihr sie erbringen müsst.“
„Ich danke euch.“
„Jetzt geht. Um diese Zeit ist Tiana im Garten.“
Uriel verbeugte sich kurz und eilte hinaus. Tatsächlich fand er sie im Garten. Ein schöner Garten, voller blühender Sträucher und blühender Pflanzen. Sie saß am Brunnen und schnitt eine Rosenblüte ab.
„Au!“, sagte sie und zuckte zusammen, als sie sich an den Dornen stach.
„Darf ich mich zu dir setzten?“, fragte Uriel und bemerkte, dass sie ihn nicht hatte kommen hören.
„Was willst du, Engel?“
„Mit dir reden.“
„Ich habe kein Interesse an deinen Schmeicheleien. Geh.“
„Bitte, hör mich an.“ Er nahm ihre Hand und fuhr sachte über die kleine Einstichstelle der Dornen. Im nächsten Moment war sie verschwunden. Als Tiana nichts darauf erwiderte, fuhr Uriel fort: „Ich habe dich gesehen, jedes Mal von dir, als du jemanden verlorst. Doch ich hätte nichts dagegen tun können. Glaub mir, ich hätte es getan wenn ich gekonnt hätte. Jetzt kann ich dir helfen, wenn du mich lässt.“

Sie überlegte, sah ihm in die Augen, ohne sie zu sehen. Schließlich fragte sie: „Warum?“
„Weil ich dir so vieles zeigen möchte. Ich kann dir Sonnenuntergänge zeigen, wie du sie niemals wieder erleben wirst. Ich kann dir die bunten Blätter zeigen, wie sie von den Herbstbäumen fallen, oder den Schnee, wie er in den Wolken ruht.“
„Ich habe kein Interesse an Blättern oder Schnee. Aber du…“ Sie legte ihre Hand an seine Wange. „Du bist neu. Du bist anders. Dein Antlitz ist es vielleicht wehrt.“
„Und wenn dem nicht so ist?“
„Ich glaube ich kann mir da recht sicher sein.“
„Also nimmst du meine Hilfe an?“
„Ja, Engel. Ich nehme deine Hilfe an.“
Erleichtert seufzte Uriel und Tiana lachte. Gleichzeitig rannen ihr Tränen über die Wange. Sie hatte ein wirklich schönes Lachen, so klar und unbeschwert.
„Also, Uriel. Willst du beginnen?“
„Nein. Nicht hier.“, flüsterte er und wischte mit dem Daumen eine Träne fort. Ich komme zu dir, heute Abend.“
Sie lächelte. „Ich danke dir, Engel.“

7

„Du willst ihr also helfen und damit die Regeln brechen?“
„Nein, Gabriel. Der Herr trug mir auf sie zu schützen. Ich halte es für eine Entlastung, wenn sie wieder sehen kann.“
„Und warum sitzt du dann hier? An einem See?“
„Ich sammle Kräfte. Stör mich nicht dabei.“
„Das war nie meine Absicht. Doch…“
„Das ist ja mal wieder typisch. Kaum will man mal raus, schon sieht man Bademäntel wohin man auch geht.“, seufzte Satan.
Es war ein so wunderschöner Tag. Die Sonne schien auf Uriels Gesicht und wärmte seine Haut. Das Wasser des großen Sees plätscherte an die Ufer und die Vögel sangen ihre bezaubernden Lieder. Und dann kamen diese beiden. Schon war jede Ruhe vernichtet, als hätte man sie hinterrücks mit einem Dolch erstochen, nachdem man sie heimlich vergiftet hatte.
„Ihr stört mich.“
„Das tut mir leid, aber ich wollte mich erkundigen, ob du mit ihr geredet hast.“
„Das habe ich. Danke für deine Hilfe.“
„Gern geschehen.“
„Wovon sprecht ihr?“
„Das ist ein Insider.“, wehrte Satan ab.
„Ein was?“
„Ein… Ach vergesst es. Ihr sollte mal öfter in die Zukunft gucken. Da könnt ihr noch Einiges lernen.“
„Das ist uns nicht erlaubt.“
„Hm… das hatte ich vergessen. Wie unschön für euch. Aber das soll nicht meine Sorge sein. Wir sehen uns.“ Und damit war er auch schon wieder verschwunden.
„Er ist recht störend, findest du nicht?“
„Du bist es ebenfalls.“, gab Uriel zurück. „Lass mich allein, damit ich mich konzentrieren kann.“
„Natürlich. Aber bedenke bitte die Risiken.“
„Ich werde mich vielleicht daran erinnern, wenn alles vorbei ist.“
Gabriel seufzte, verschwand aber.
Endlich war er allein. Um ihn herum nur das Wasser, die Vögel und die Sonne. Doch seine Konzentration war vernichtet. Schon wieder. Jedes Mal wenn er versuchte sich zurückzuziehen, waren die beiden da. Und jedes Mal zerstörten sie seinen Versuch sich zu konzentrieren. Er gab es auf.

8

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen und Uriel machte sich auf den Weg zu Tiana. Der Himmel war klar und der Mond schien hell in seiner Sichelform. Er landete sanft vor ihrer Haustür und klopfte an. Es dauerte nicht lange, bis sie die Tür öffnete, doch für den Engel schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er in die trüben Augen sah, die ihn so faszinierten.
„Bist du bereit?“, fragte er und konnte einen Blick nicht von ihr abwenden.
Sie zögerte, nickte aber.
„Dann komm.“
Er nahm ihre Hand und führte sie ein paar Schritte von der Haustür weg. Uriel spürte ihren Herzschlag, wie er immer schneller und schneller wurde und blieb stehen. Er tat hinter sie und legte seine Arme von hinten um sie. Leise flüsterte er ganz dicht an ihrem Ohr: „Vertrau mir. Dir wird kein Leid widerfahren, solange ich bei dir bin.“
Sie atmete tief durch und schloss die Augen.
„Dann lass mich dir die Sterne vom Himmel holen und sie dir zum Geschenk machen.“
„Ich werde sie annehmen.“
„So sei es.“

Und so legte der Engel seine Rechte über die geschlossenen Augen der Erdenfrau und streckte die Linke dem Nachthimmel empor. Eine Wärme, die sie nie zuvor gespürt hatte, legte sich über ihre Augen. Uriel griff für sie nach den Sternen und riss zwei von ihnen für Tiana aus ihren Ankern. Er nahm sie auf und ließ sie mit Tiana´s Augen verschmelzen. Ihre Augen begannen zu leuchten, als wären tausend Sterne in ihnen erwacht.

Uriel atmete schwer und sank auf die Knie und auch Tiana glitt zu Boden. Er fing sie auf und zog sie an sich. Sie weinte blutige Tränen, während das Licht in ihren Augen schwächer wurde. Es blieb nur noch ein warmer Schimmer in ihrem Blick zurück. Sie lächelte.

„So wunderschön.“, flüsterte sie und berührte sanft das Gesicht des Engels.
Er hatte seinen Schein aufgeben müssen und stand ihr in seiner ganzen Pracht und Größe gegenüber, als er sich erhob und ihr aufhalf. Seine Flügel waren voll ausgebreitet und ein göttliches Licht umgab seinen Körper. Seine Augen strahlten in allen Farben des Regenbogens und sein Flammenschwert hing an seiner Hüfte. Er wischte ihr das Blut von der Wange und sah auf sie hinab.

„Nun trägst du das Licht der Sterne in deinen Augen. Du wirst alles sehen können, was Menschen sehen und vieles mehr.“
„Habe ich das denn verdient?“
„Es gibt nichts Gutes, das du nicht verdient hättest.“
„Aber andere Menschen erleiden viel schlimmere Schicksale als ich und…“
„… und das sollte dich nicht davon abhalten, dir etwas Gutes zu wünschen.“, unterbrach er sie. So langsam bekam er seinen Atem wieder unter Kontrolle. Das alles hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er erwartet hatte, doch es hatte geklappt und das war das Wichtigste.

Plötzlich spürte er ihre Lippen auf seinen. Er war überrascht und hätte fast einen Schritt zurück gemacht, doch er konnte sich noch davon abhalten und erwiderte den Kuss. Solche Gefühle, wie in diesem Moment hatte er noch nie gespürt.

Engel verlieben sich nur einmal, Uriel. Vergiss das nicht, hallte Satans Stimme in seinem Kopf nach. War das das seltsame Gefühl, das er spürte? Liebe?

Tiana fuhr mit der Hand durch sein Haar und er vergaß, woran er gerade gedacht hatte. Er vergaß alles. Er vergaß seine Umgebung. Er vergaß die Regeln. Doch er vergaß nicht sein Versprechen. Er löste sich von ihr und sah ihr zum ersten Mal in die strahlenden Augen. Ein ganz neuer Glanz lag darin und das Blau in ihnen war so tief geworden, dass er sich in ihnen verloren hätte, hätte er nicht sein Versprechen einlösen wollen.
„Lass mich dir jetzt die Schönheit dieser Welt zeigen.“
„Ich bin bereit.“



9

Uriel fuhr mit der Hand durch die Luft, die daraufhin zu flimmern begann. Einen Wimpernschlag später standen sie nicht mehr im Dunkel vor Tianas Haus sondern im warmen Licht der Sonne auf einer weiten, grünen Wiese. Weit und breit waren sie umgeben von Millionen der schönsten Blumen, die sie je gesehen hatte und einem einsamen Baum, der verlassen da stand. Sein mächtiger Stamm ragte dem Himmel entgegen und seine Blätter wiegten im seichten Wind. Im Schatten seiner Krone, lag eine Decke, auf der ein Korb stand.

Uriel nahm ihre Hand und führte sie zu der Decke. Sie setzten sich und er holte eine Flasche Wein und Gläser aus dem Korb. Ein Glas reichte er Tiana eins behielt er selbst.
„Lass uns anstoßen. Auf dein neues Augenlicht, das dich selbst die dunkelsten Orte sehen lässt, damit du sie mit deinem Lächeln erhellen kannst.“
Er hob das Glas und berührte damit ihrs. Der feine Ton, der Entstand, war klarer, als alles war Tiana jemals gehört hatte.
Sie nahm einen Schluck und staunte über den einzigartigen Geschmack.
„Ein sehr seltener Rotwein aus einer kleinen Stadt auf der anderen Seite der Welt.“, sagte Uriel, als er ihr fragendes Gesicht sah.
Auch er nahm einen Schluck.

„Was ist das hier?“, fragte sie.
„Das ist ein von mir erschaffener Ort. Er geht nicht über diese Wiese hinaus und du kannst nichts von hier mitnehmen, das nicht mitgebracht wurde.“
„Ich kann also keine Blume pflücken? Sie sind so wunderschön.“
„Nein. Das geht nicht.“
„Warum erschaffst du einen Ort, von dem man nichts mitnehmen kann?“
„Hier lade ich meine Sorgen ab. Warum sollte ich Sorgen wieder mit mir nach draußen nehmen?“
„Um mit ihnen zu leben und sie abzuschließen.“
„Ich lebe ein unendliches Leben. Was glaubst du, was all diese Blumen sind?“
Sie schwieg.
„Diese Blumen sind meine Sorgen, die ich hier ablud. Ich verwandelte sie in etwas Wunderschönes um mich nicht an jede Einzelne meiner Schrecklichen Taten zu erinnern.“
„Und was ist dieser Baum?“
Uriel zögerte.
„Dieser Baum begann als kleiner Keimling. Er entstand, als ich zur Erde kam und mein ewiges Leben begann. Seitdem ist er mit jedem meiner Jahre gewachsen.“
„Dann ist dieser Baum dein Ewiges Leben?“
„Ja“
„Was wäre wenn er plötzlich nicht mehr da wäre?“
„Vielleicht würde ich sterben. Vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht.“

Tiana hatte ihr Glas geleert und auch Uriel trank den Rest seines Weins.
„Lass uns weiter gehen.“, schlug er vor.
„Und wohin gehen wir?“
„Lass dich überraschen.“
Er fuhr erneut mit der Hand durch die Luft und die selbsterschaffene Welt verschwand. Sie standen wieder vor Tianas Haus.
Der Engel hob sie hoch und erhob sich in die Luft. Sie flogen Richtung Osten.

Wald bei Tag


Bald kamen sie zu einer großen Stand. Hell erleuchtete Straßen und Fenster, lagen unter ihnen. Ein wunderschönes Zusammenspiel hunderter Lichter in einer tiefen Ruhe, die nur durch das leise schlagen der Engelsflügel unterbrochen wurde. Auch so etwas hatte Tina noch nie gesehen. Weder eine so große Stadt, noch so viele Lichter. Es war fast wie ein winziger Haufen Sterne in einem sonst dunkeln Himmel.

Sie flogen weiter. Plötzlich vernahm Tiana das Plätschern eines Baches, das immer lauter wurde. Uriel landete am Ufer eines Flusses in den ein Wasserfall floss. Das Rauschen des Wassers war laut, doch es war nicht unangenehm. Sie besah sich den Wasser fall und erkannte seine Schönheit. Die vielen Sterne spiegelten sich in seiner Oberfläche und schienen mit dem Strom den Abhang hinunter zu fließen. Als wäre es der Nachthimmel selbst, der durch das Flussbett floss, spielte das Wasser mit dem Licht und schien es in sich aufzunehmen um es nie wieder loszulassen. Plötzlich bemerkte Tiana einen Schatten, und sah ans andere Ufer. Ein Reh stand dort. Seine dunklen Augen funkelten im Licht des Mondes, als es sie ansah. Lange starrte das Tier sie an, doch dann zuckten seine Ohren und es sprang davon.
„Du hattest Recht. Diese Welt ist wunderschön.“, flüsterte Tiana und drehte sich zum Engel um.
„Und sie hat noch viel, viel mehr zu bieten, wenn man bereit ist, es zusehen.“
Er schlang von hinten die Arme um sie und legte sein Kinn auf ihren Scheitel. Tiana genoss jede Sekunde dieses Moments, von dem sie hoffte, er würde niemals enden. Doch bald brachen sie wieder auf.

Langsam neigte sich der Mond dem Horizont entgegen und begann mit ihm zu verschmelzen. Gleichzeitig färbte sich auf der anderen Seite des Horizonts der Himmel orange und rosa, durch die aufgehende Sonne und wieder hörte Tiana rauschendes Wasser.


Bald kam ein Strand in Sicht, auf dem sie landeten. Die Sonne erhob sich strahlten hell in all ihrer Pracht und begann am Himmel hinauf zusteigen. Während sie das tat, spiegelte sie sich im leise rauschenden Wasser, des weiten Meeres und ließ es glitzern und funkeln, als wäre es aus purem Gold.
„Es gibt noch eine letzte Sache, die ich dir gerne zeigen möchte. Schließ deine Augen.“
Sie legte ihre Hände über die Augen und spürte eine Art Sog, der sie Richtung Meer ziehen wollte.

„Du kannst die Augen wieder auf machen.“
Tiana nahm die Hände runter und blickte sich um. Gigantische Bäume umgaben sie. Riesen aus uralten Zeiten, von den Jahren gezeichnet und mit den Tagen dem Himmel emporgestiegen. Das Licht der Sonne leuchtete durch die Blätter der Bäume und warf einen goldenen Schein auf den moosbewachsenen Waldboden. Langsam drehte Tiana sich um sich selbst um alles zu erfassen, was um sie herum geschah.

Die Vögel sangen zwischen den Ästen, der Wind rauschte durch die Blätter und ein Fuchs huschte an ihnen vorbei. Alles roch nach Erde und frischem Gras. Der Wald lebte und schien nie still zu stehen, immer in Bewegung, ohne Rast.

Eigentlich wollte Tiana nicht mehr gehen, doch schon bald war der Moment vorbei. „Du hast vieles gesehen, was diese Welt hervorbrachte. Bereust du deine Entscheidung?“, fragte Uriel, als er sie wieder vor ihrem Haus absetzte.
„Nein. Ich habe gesehen, wie schön diese Welt ist. Es gibt so viele Farben, die ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Ich danke dir, Engel.“
„Es war mir ein Vergnügen.“

Sie beugte sich vor und küsste ihn. Uriel war überrascht. Er erwiderte ihren Kuss sanft und zögernd. Langsam wurde der Kuss intensiver und Uriel strich mit der Hand über ihren Rücken und durch ihr Haar. Er hob sie hoch, trug sie ins Haus und legte sie auf ihr Bett. Vorsichtig küsste der Engel ihren Hals und knöpfte ihr Kleid auf. Tiana begann das Hemd des Engels zu öffnen.

Sie ist nicht dein Eigentum

Uriel hielt Inne und zögerte. Er sah ihr tief in die fragenden, leuchtenden Augen und wich zurück.

„Was ist mit dir, Engel?“, fragte Tiana.
“Das wäre falsch.“, flüsterte Uriel, mehr zu sich selbst als zu ihr.
“Warum wäre es falsch?“
“Weil ich nicht das Recht dazu habe.“ Und mit diesen Worten erhob sich der Engel und verließ das Haus.



10

„Das war die Richtige Entscheidung.“
“Warum bist du wieder hier, Gabriel. Lass mich in Frieden.“
“Ich mache mir Sorgen um dich, mein Freund.“
“Ich brauche dein Mitleid nicht.“
“Das stimmt. Du kannst gut auf Bademäntel verzichten.“
“Ihr seht mich wohl beide gerne leiden, ist das richtig?“
“Wir wollen dir nur helfen, Uriel.“
“Ich will eure Hilfe nicht, Gabriel.“
“Genau, hör nicht auf das kleine Engelchen im Bademantel.“ Gabriel warf Luzifer einen vernichtenden Blick zu. Dieser hob beschwichtigend die Arme und sagte grinsend: „Oh… Verzeih. Ich meinte „Kutte“.“
Zufrieden nickte Gabriel und fuhr fort: „Die Menschenfrau zu Beobachten wird deine Sorgen nicht mindern.“
“Es war der Auftrag des Herren, dass ich auf sie Acht geben soll.“
“Seit wann nimmst du denn die Befehle eures Gottes so furchtbar ernst? Denk mal an die Dämonen die du vor 300 Jahren vernichten solltest. Du hast hunderte davon entkommen lassen um ein Menschenkind zu retten und erst hundert Jahre später hattest du den letzten von ihnen erledigt.“
“Ich habe meinen Auftrag erfüllt.“
“Indem du tausende andere Menschen in Gefahr gebracht hast um einen zu retten.“
“Und doch habe ich es zu Ende gebracht.“
“Aber das hatte…“
“Schluss jetzt Luzifer. Das reicht.“, unterbrach Gabriel. „Was wir dir sagen wollen, Uriel ist, dass dir die Menschen deine Fähigkeit zu denken nehmen. Du vergisst durch sie“, der Erzengel zeigte auf Tiana, die unter ihnen den Wein zu ihrer Herrin in den Pavillon trug. „was wichtig ist.“
“Hast du schon mal geliebt, Gabriel?“, fragte Uriel.
Gabriel schwieg einen Moment. „Ja das habe ich.“
“Und was ist geschehen?“
“Sie lebte ihr menschliches, zerbrechliches Leben und starb.“
“Und du Luzifer?“
“Ich bin kein Engel mehr, Uriel. Ich kann nicht mehr lieben.“
“Liebe ist nichts, was den Engeln vorbehalten ist. Selbst der Teufel kann lieben.“
“ich liebe das Chaos und das Leid. Ich brauche keine Frau wenn ich eine ganze Welt habe, an der ich mich ergötzen kann.“
“Dann wirst du eines Tages einsam zu Grunde gehen.“
“Dann soll es wohl so sein.“

11

„Warum sitzt ihr in meinem Baum um meiner Zofe nachzustellen?“
Uriel furh zusammen. Er war so auf Tiana konzentriert, dass er ihre Herrin gar nicht hatte kommen hören.
“Verzeiht mir.“, sagte der Engel und ließ sich vom Baum herunter gleiten.
“Euch sei vergeben.“, sagte sie. „Folgt mir.“
Sie führte ihn in einen Pavillon, der mit Rosen überwuchert war. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte zweier Stühle und trug ein Tablett mit Tee und Kuchen. „Setzt euch“, bot sie an und Uriel setzte sich ihr gegenüber.
“Ihr könnt mich Zalriha nennen.“
“Wie ihr wünscht.“
“Nun denn. Ihr erinnert euch an den Gefallen den ihr mir schuldet?“
“Sicher.“
“Ich fordere ihn hiermit ein.“
Tiana kam und goss Tee in zwei Tassen. Uriel sah, dass sie zitterte, tat aber nichts. Sie ging.
“Was kann ich für euch tun?“
“Du könntest so viel für mich tun, Engel.“
Uriel fuhr innerlich zusammen, blieb aber nach außen reglos sitzen. „Woher wisst ihr was ich bin?“
“Ich war einst wie du. Prachtvoll und mächtig. Doch sie mich an. Siehst du nicht wer ich bin?“
Uriel betrachtete sie einen Moment. „Ce…?“
“Nein.“, unterbracht sie ihn. „Nenne diesen Namen nicht. Es ist längst nicht mehr der Meine.“
“Warum bist du hier?“
“Ich bin am Ende Uriel. Ich suchte lange nach Vergebung, doch meine Taten sind unentschuldbar. Als ich Luzifer am letzten Tag folgte, hatte ich mein Schicksal besiegelt. Und jetzt bin ich müde. Meine Leben währt schon zu lange. Ich bin es leid unsterblich zu sein.“
“Also was verlangst du von mir?“
“Ich fordere deine Schuld ein und sage: Töte mich.“
Erschrocken von dem was er hörte, zerbrach der Engel die Porzellantasse mit dem filigranen, aufwendigen Muster. „Das werde ich nicht tun.“
“Das ist keine Bitte, Uriel. Ich trage so viel Schuld mit mir herum. Ich habe so viele Menschen getötet, so viele Existenzen ausgelöscht und ich nahm Tiana ihr Augenlicht.“ So geschockt wie in diesem Moment war der Engel in seinem ganzen unsterblichen Leben noch nie gewesen. „Ja, Uriel. Ich trage Schuld daran.“
“Das kann nicht sein… Was ist mit dir passiert?“
“Ein unendliches Leben kann selbst Wesen wie uns verändern, besonders, wenn wir verzweifelt nach Vergebung suchen. Aber als ich sah, dass Tiana ihr Augenlicht wiedererlangt hatte, war ich erleichtert und schloss mit meinem Leben ab.“ Uriel sah sie an, wohl wissend was sie als Nächstes sagen würde: „Ich bin bereit zu sterben.“

Eine lange Stille folgte. Eine sehr lange Stille.

„Nun gut. Um meine Schuld zu begleichen, werde ich deiner Forderung nachkommen.“
“Ich danke dir, Uriel. Du sollst aber wissen, dass es mir eine Ehre war, an deiner Seite zu kämpfen und, dass es mein Wunsch war, an deiner Seite zu sterben.“
“Auch mir war es eine Ehre und eine Erleichterung dich an meiner Seite zu wissen. Eines Tages, meine alte Freundin, werden wir wieder Seite an Seite stehen.“
“Gott wird mir nicht vergeben, Uriel.“
“Gott wird dir vergeben und dich an seine Seite zurückholen und wenn es soweit ist, werde ich da sein und mit dir kämpfen.“
“Ich werde auf dich warten, mein Freund.“
Uriel erhob sich und stellte sich vor Zalriha. Ruhig und entschlossen strich er ihr über die Wange. „Nun empfange Gottes Gnade und kehre zurück an die Seite des Herrn.“
Und so schloss der gefallene Engel die Augen, lachte und weinte blutrote Tränen. Sie schenkte ihm ein leises „Danke“ und ein letztes Lächeln. Blaue Adern traten unter ihrer Haut hervor und breiteten sich über ihren gesamten Körper aus. Uriel legte sie sanft auf den Boden und spürte wie die großen Narben auf ihrem Rücken, dort wo einst ihre Flügel waren, verschwanden. Ein letzter erleichterter Atemzug und sie erschlaffte in seinen Armen.

Scheppernd fiel das Tablett zu Boden und Uriel wandte den Blick von dem leblosen Körper des Gefallenen zu Tiana. Entsetzt und mit Tränen in den Augen stand sie vor dem Pavillon. Sie lief zu ihrer Herrin. Weinend kniete sie neben ihr. „Was hast du getan?“, fragte sie den Engel, ohne sie anzusehen. „Was hast du getan?!“
“Das was ich ihr schuldig war.“
“Du hast sie getötet.“
“Sie bat mich darum“
“Das kann nicht sein… Warum sollte sie…“, begann Tiana, doch ihre Stimme erstarb.
Uriel wollte sie trösten, ihr die Hand auf die Schulter legen „Tiana, lass es mich..“ sie schlug seine Hand bei Seite.
“Sei still!“
“Teufel.“, hauchte jemand hinter ihnen. „Ihr seid beide Dämonen.“
Eine Bedienstete stand hinter ihnen, die Augen weit aufgerissen, das Kreuz an ihrer Halskette umklammert. „Ihr seid alles Dämonen!“, schrie sie und rannte davon.

„Tiana, wir sollten gehen.“, sagte Uriel und packte sie am Handgelenk.
“Lass mich!“, fauchte sie und wehrte sich.
“Wir müssen hier weg!“
“Nein, ich muss hier bleiben.“
“Hier gibt es nichts mehr für dich zu tun. Wir müssen gehen.“ Langsam wurde der Engel ungeduldig, denn er hörte schon von Weitem die Wachen kommen.
“Ich werde nicht gehen!“
“Dann schlaf jetzt.“, flüsterte er und legte ihr die Hand auf die Augen. Sie schlief ein und Uriel fing sie auf. Er flog so schnell ihn seine Flügel trugen davon.



12

„Sie sieht so friedlich aus, wenn sie schläft.“, sagte Luzifer.
“Du bist schon wieder da.“, stellte Uriel fest.
“Das ist richtig.“
“Wo hast du Gabriel gelassen?“
“Der kommt bestimmt auch gleich.“
“und was willst du dieses Mal?“
“Eigentlich nichts weiter. Ich wollte nur mal sehen wie sie von Nahem aussieht.“
“Das hast du doch jetzt. Dann kannst du ja gehen.“
Luzifer ignorierte ihn total und fuhr fort: „ Ich frage mich, warum du sie ausgerechnet in diese dreckige Höhle gebracht hast, Uriel.“
Uirel schwieg.
“Ich meine, diese Höhle ist nicht nur dreckig und Nass, sondern auch kalt.“
“Guter Einwand.“ Gabriel tauchte aus dem Nichts auf. „Aber hier ist sie sicher. Bald wird jeder in diesem Land denken, dass sie mit dem Teufel im Bunde ist.“
“Schön wär´s…“, träumte Luzifer.
“Ich werde ihr die Möglichkeit geben weiter zu leben, ohne dass sie um ihr Leben fürchten muss.“
“Vergiss nicht, dass du noch immer dem Herrn dienst.“
“Das werde ich niemals vergessen, Gabriel.“
“Das ist gut.“
“Komm, Gabriel. Lassen wir die beiden alleine. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.“
“Ich verlasse mich auf dich Uriel. Pass gut auf dich und diese Menschenfrau auf.“, sagte Gabriel und verschwand.
“Uriel, vergiss niemals: Engel lieben nur einmal in ihrem Unendlichen Leben.“
“ich weiß.“
“Dann verlier sie nicht.“
“Niemals.“
Und so verschwand auch Luzifer.



13

Als Tiana erwachte hatte Uriel die Höhle hergerichtet. Sie hatte nun eine Felswanne zum Baden, die man mit Feuer erhitzen konnte. Zwei Betten standen an einer Wand und einige von Tianas Sachen machten die Höhle bewohnbar. Uriel saß neben ihr und lächelte sie an, als sie die Augen öffnete.
“Wo bin ich?“, wollte sie wissen.
“In Sicherheit.“ War seine Antwort.
Sie setzte sich auf und sah ihm tief in die Augen. „Warum hast du das getan?“
“Sie hat mich darum gebeten.“
“Warum?“
“Sie war einst ein Engel, genau wie ich.“
“Tatsächlich?“
“Das ist aber schon lange, sehr lange her. Als Luzifer fiel, folgte sie ihm und verlor ihre Flügel. Seitdem lebte sie hier auf der Erde. Doch sie war es leid zu leben.“
“Wie kann man nicht mehr leben wollen?“
“Ein unsterbliches Leben ist lag, wenn man niemanden hat, mit dem man das teilen kann.“
Sie sah ihm weiter in die Augen.
“Tiana, es tut mir leid, es…“
“Nein, ist schon gut.“ Sie strich über seine Wange. „Sie wird zu einer weiteren Wunderschönen Blume in deinem Garten.“
“Ich…“
“Nein. Ich will es nicht wissen.“ Sie küsste ihn. „Es ist okay. Du hast das Richtige getan.“ Sie küsste ihn ein weiteres Mal. „Ich werde hier bleiben und darauf vertrauen, dass du immer wieder zu mir zurückkehrst und mich beschützt.“ Wieder ein Kuss, während sie begann sein Hemd zu öffnen.
Der Engel hielt sie zurück. „Das wäre ein Fehler.“, hauchte er.
“Was macht schon eine weitere Blume unter tausenden?“, sagte sie lächelnd.
Noch immer zögerte der Engel, doch dann lächelte er und zog sie an sich und küsste sie sanft.





14

Diese eine Nacht schenkte den beiden eine kleine Familie. Schon nach vier Monaten waren die sieben Kinder geboren und es war klar, dass sie eines Tages kleine Engel sein würden. Rubinia, Taya, Blaine, Garret, Skyla, Adrian und Sumire waren der ganze Stolz der beiden und wuchsen in der Höhle heran. In der Zwischenzeit hatte Tiana eine neue Herrin gefunden. Eine alte Frau, die im Wald lebte und Tiana im Haushalt arbeiten ließ. Die Arbeit war hart, aber Tiana vergaß nie ihre Kinder. Uriel musste in der Zwischenzeit Aufträge erfüllen und kam nur selten nach Hause. Tiana wusste, wie sehr die Kinder ihren Vater vermissten, doch ihr war klar, dass sie daran nichts ändern konnte.

Eines Tages, bat Tiana´s Herrin sie zu sich.
“Was kann ich für euch tun?“, fragte Tiana.
“Setz dich mein Kind.“, antwortete die alte Frau und Tiana setzte sich. „Meine Zeit auf Erden neigt sich dem Ende entgegen. Ich sehe es jeden Tag ein Stückchen näher kommen und glaube, dass er mich bald holen wird. Ich habe entschieden, dass ich dich freigebe. Von nun an, bist du frei und kannst ganz für deine Kinder da sein.“
“Aber ich…“
“Nein. Sprich nicht. Jetzt geh zu deinen Kinder. Sie brauchen dich bestimmt.“
“Ich danke euch.“, flüsterte sie und verbeugte sich. Sie ging.

Als sie in der Höhle ankam wartete Uriel umringt von den Kindern auf sie. Ein Kuss zur Begrüßung für jeden von ihnen und Tiana erzählte ihnen von der freudigen Nachricht, ohne zu erwähnen, dass die alte Frau bald sterben würde.

„So Kinder. Jetzt geht raus zum Spielen. Ich muss mit eurem Vater reden.“ Lachend liefen die Kinder hinaus.
“Stimmt etwas nicht?“, wollte Uriel wissen.
“Ich bin froh, dass du wieder da bist.“
“Ich kann aber nicht lange bleiben.“
“Warum?“
“Willst du mit mir jetzt tatsächlich über meine Aufträge reden?“ , fragte er grinsend.
“Du hast recht.“
“Ich liebe dich, Tiana. Vergiss das bitte nicht.“
“Ich liebe dich auch, Engel.“, sagte sie lächelnd und küsste ihn. „Wann musst du gehen?“
“Jetzt.“
Traurig sah sie zu ihm auf. „Dann verabschiede dich noch von den Kindern.“
“Sicher.“ Er stand auf und zog sie auf die Füße. „Ich werde wieder zurückkehren.“ Seine feste Stimme gab ihr Mut.
“Pass bitte auf dich auf.“
“Du hast mein Wort.“
“Dann solltest du jetzt gehen. Lass deine Gefährten nicht warten.“
“Ich würde lieber bei dir bleiben.“
“Ich weiß. Und jetzt geh.“
Er küsste sie zum Abschluss und verließ die Höhle. Am Eingang dreht er sich noch einmal um, als überlegte er, ob er wirklich gehen sollte. Sie winkte und er ging mit einem traurigen Lächeln.



15

Der Neue Tag war bitter kalt und Tiana rechnete damit, dass es bald anfangen müsste zu schneien.
“Rubinia komm her, mein Schätzchen.“ Tiana nahm die kleine Rubi auf den Arm und wirbelte sie herum und lachte mit ihr. „Na wo hast du deine Geschwister gelassen?“, fragte sich lachend. Sie setzte sie wieder ab und Rubi schüttelte den Kopf. Sie nahm ihre Mutter an der Hand und führte sie den Hügel hinauf.

Plötzlich durchschnitten Schreie die Luft und Tiana und Rubi erschraken. Sie liefen in die Richtung aus der sie die Schreie vermuteten. Tiana erkannte schon von Weitem die bewaffneten Männer und wie sie damit vor ihren Kindern herum fuchtelten. Einer der Männer hatte Sumire am Arm gepackt und bedrohte ihn. Ein anderer näherte sich den anderen. Ohne nachzudenken lief Tiana dazwischen. „Lasst sofort meine Kinder in Frieden!“, rief sie.
“Und was bekommen wir, wenn wir das tun sollten?“, fragte der eine Mann lachend.
“Meine Herrin wird euch bestrafen!“
Die Männer lachten, doch sie ließen von den Kindern ab, die sofort zu Rubi rannten. Tiana wollte zu ihnen gehen, doch e9iner der Männer packte sie an den Haaren und riss sie zurück. „Du kommst mit uns.“, flüsterte er und zog sie mit sich.
“Lauft, Kinder! Macht euch keine Sorgen um mich!“, rief Tiana, bevor die Kinder aus ihrem Blickfeld verschwanden.

Die Männer zerrten sie ein Stück weiter und stießen sie zu Boden. Als sie sich aufrappelte wurde sie zwischen ihnen hin und her geschupst.
“Ups, ich glaube ich hab sie kaputt gemacht.“, sagte der eine Mann lachend und Tiana sah an sich hinab.
Das Schwert steckte tief in ihrer Brust und Blut schoss aus der Wunde. Ein leiser Schrei ertönte, als sie zu Boden ging, doch die Männer hörten es nicht. Sie zogen ab, Richtung Dorf. Rubi kam angelaufen und klammerte sich an ihre Mutter.
“Mutter, bitte, bitte stirb nicht!“, schrie sie schluchzend.
Tiana war unglaublich müde. „Kümmere dich um deine Geschwister, Rubi. … Ich verlasse mich … auf dich.“, brachte sie hervor. Das letzte, das sie sah, war ihre weinende Tochter über ihr und eine kleine Schneeflocke, die vom Himmel fiel.



„Uriel! Hinter dir!“, rief Gabriel und Uriel duckte sich, bevor er dem Dämon sein heiliges Schwert in sein verkümmertes Herz stieß.
“Danke!“ Wieder tötete Uriel einen Dämon. Diese widerlichen Viecher mit ihrem unerträglichen Geruch nach Schwefel und verwestem Fleisch konnte Uriel gar nicht leiden.
“Uriel, wo bist du mit deinen Gedanken?“, fragte Gabriel, nachdem er einem Dämon hinter Uriel den Kopf abschlug.
“Ich weiß es nicht. Ich…“, begann er, doch plötzlich zog sich sein Herz zusammen. Kälte durchfuhr seinen Körper und unerträglicher Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. Er hustete und rang nach Luft.
“Uriel!“
“Gabriel… Tiana ist…“, versuchte er atemlos zu sagen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Na komm, alter Freund.“, sagte Luzifer und im nächsten Moment kniete Uriel neben dem leblosen Körper seiner Geliebten. Das Schlachtfeld war vergessen.

Einen Moment lang war es absolut still. Kein Vogel sang, kein Wind rauschte, kein Insekt regte sich. Es war einfach nur Still, als wäre die Zeit stehen geblieben.
“Wie konnte das passieren?“, fragte der Engel.
“Es war ein Überfall.“, gab Luzifer zurück.
“Ich konnte sie nicht beschützen. Ich habe sie sterben lassen.“
“Du hättest nichts für sie tun können.“, sagte Gabriel sanft.
“Ich hätte hier sein müssen, bei ihr.“
“Ihre Zeit war abgelaufen. Das ist der Lauf eines Menschenleben. Es ist zerbrechlich.“
“Nein, Luzifer. Du kannst sie zurückholen!“
“Das kann ich nicht.“
“ich weiß, dass du das kannst!“, schrie Uriel. Zum ersten Mal in seinem unsterblichen Leben weinte der Engel. Von sich selbst überrascht, sah er, wie eine seiner Tränen auf ihren leblosen, blutüberströmten Körper fiel und mit den Schneeflocken verschmolz, sie ihren Körper bedeckten. „Ich konnte mein Versprechen nicht halten. Es tut mir so leid…“

Lange saß Uriel im Schnee, der langsam vom Himmel fiel, die Liebe seines ewigen Lebens leblos in seinen Armen. Leise begann jemand ein Lied zu singen, süße Klänge, klar und rein. Uriel sah auf. Die kleine Tiana, die er in der Wüste traf. Hinter ihr erschienen nach und nach die anderen Teile ihrer Seele und alle sangen sie ein Lied. Der Engel sah zum Teufel hinauf.
“Ihre Seele, egal in wie viele Teile sie einst zerbrach, hat jetzt Frieden gefunden. Nun gehören sie nicht mehr in mein Reich.“
Langsam verblassten die vielen Teile von Tiana’s Seele, bis nur noch eins übrig blieb. Es war der Teil, der bis zum letzten Atemzug ein Teil von Tiana war. Der größte Teil. Die Frau beendete das Schlaflied und lächelte. „Pass gut auf unsere Kinder auf.“, flüsterte sie.
“Das werde ich.“, versprach Uriel weinend und umschloss den leblosen Körper nur noch fester. Zufrieden nickte die Seele, wurde blasser und verschwand schließlich.

Der Schnee fiel noch immer vom Himmel herab, als der Engel sich erhob.
“Was hast du jetzt vor?“, wollte Luzifer wissen.
“Ich gehe zu meinen Kindern.“

Impressum

Texte: Larissa P. (Texte) Selina Reynen (Charaktere)
Bildmaterialien: Selina Reynen
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2015

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