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1. Kapitel - Lautes Erwachen

„Was hast du dir dabei gedacht?!“ Verschlafen drehte ich mich auf die andere Seite.

„Hast du mal darüber nachgedacht was WIR darüber denken?“ Ich zog mein Kissen über den Kopf, doch als der Streit vor meine Zimmertür verlegt wurde, brachte alles nichts mehr. Verschlafen öffnete ich meine Augen und zog mir schnell eine Jogginghose über. Dann tapste ich zur Tür um nach zu schauen wieso meine Geschwister jetzt schon wieder stritten.

Im Flur standen Garret, Blaine und ein Junge, den ich als Fenix aus unserer Klasse erkannte. Während Garret immer wieder Blaine anschrie, versuchte Fenix ihn zu beruhigen. Blaine standen Tränen in den Augen, die sein Gesicht runter kullerten. Ich stellte mich zwischen die beiden Parteien und redete auf Garret ein.

„Ganz sachte Gar... was ist den überhaupt los? Ich bin sicher, man kann auch in einem leiseren, netteren Ton darüber reden…“ Gleichzeitig legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die smaragdgrünen Augen. Er atmete einmal tief durch, drehte sich um und ging ohne auf meine Frage zu antworten. Mit Schwung drehte ich mich um und schaute wie es Blaine geht. Er hatte sich beruhigt und auch der Tränenfluss hatte gestoppt. Ich warf noch einen Blick in die Richtung in der Garret verschwunden war und begleitete Blaine und Fenix dann erstmal in die Küche.

Ich stellte Blaine eine Tasse mit Pfefferminztee hin und gab ihm dann noch den Honig, als ich Fenix fragte was er trinken möchte winkte er nur ab. Schulterzuckend machte ich mich daran ein Ei aufzuschlagen und zu braten, gleichzeitig braute ich mit unserer Hightech-Kaffeemaschine einen starken Kaffee. Mit allem, was man am Morgen braucht setzte ich mich zu den beiden an den Küchentisch und sah sie wartend an. Fenix seufzte und begann dann zu erklären:

„Blaine und ich waren gestern Abend aus und weil es schon so spät war hat Blaine vorgeschlagen, dass ich mit nach hier kommen solle. Also bin ich kurzerhand mit ihm gekommen. Gestern Abend hat er mir noch extra gesagt ich müsse aufpassen, dass sein Bruder mich nicht erwischt, doch als ich heute morgen aufwachte und ins Bad bin, habe ich nicht mehr daran gedacht und bin ihm über den Weg gelaufen. Sofort hat er mich ausgefragt und ich habe ehrlich gesagt nicht nachgedacht und geantwortet, ich wäre der Freund von Blaine..“

Ich sah kurz zu Blaine der bei den Worten »der Freund von Blaine« zusammen gezuckt war und nun mit roten Wangen auf die Tischplatte sah. Irgendwie sah mein kleiner Bruder grad verdammt niedlich aus und so verletzlich und klein wie er grade wirkte, konnte man eher erkennen, dass er mein kleiner Bruder war.

„Und..? Was läuft zwischen euch?“, fragte ich weiter und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Vorstellung die beiden wären zusammen machte mich einfach zu glücklich. Endlich hatte Blaine jemanden auf den er sich - hoffentlich - verlassen konnte.

„Wir... äh... wir sind nur befreundet...“, kam es gestottert von Blaine, der, wenn möglich noch roter im Gesicht wurde. Ich stützte mich auf meinen Arm und sah die beiden mit schief gelegtem Kopf an.

„Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich euch das abkaufe, oder?“, lächelte ich die beiden an. So leicht kämen sie mir nicht davon. Jetzt sah Blaine nicht mehr auf die Tischplatte sondern zu mir.

„Doch wirklich wir sind nur gute Freunde... auch wenn ich lieber mehr für ihn wäre…“ das Zweite nuschelte er nur und hätte ich nicht bessere Ohren als Normalsterbliche, wäre es mir auch sicher entgangen. Ich sah von Blaine zu Fenix und wieder zu Blaine, das konnte doch nicht sein, dass zwischen ihnen nichts lief. Man sah doch gerade zu die knisternde Atmosphäre zwischen ihnen. Doch auch Fenix stimmte diesem zu, sah aber definitiv angezogen von Blaine zu diesem rüber.

„Ok... da das jetzt geklärt ist, auch wenn ich euch kein Wort glaube, erzählt mir doch mal wie es dazu gekommen ist, dass Gar so ausgerastet ist und ihr mich so früh am Morgen aus den Federn schreit.“, wechselte ich das Thema, vielleicht bekam ich so ja noch etwas aus ihnen raus.

„Naja.. ich bin aufgewacht als Garret in mein Zimmer kam mit Fenix im Klammergriff und anfing mich anzubrüllen, wie ich es wagen könne einen Jungen mit nach Hause zu bringen und ihn als mein Freund zu betiteln. Ich war noch nicht ganz wach und hab erstmal nur geschwiegen... da ist er komplett ausgerastet und hat mich aus dem Bett und auf den Flur gezogen. Er wurde immer lauter und hat angefangen mir ein schlechtes Gewissen einzureden.“ „Ich bin immer weiter zurück gewichen bis wir halt vor deiner Zimmertür standen…“, erzählte nun Fenix weiter und sah immer wieder nervös zur Tür. Wie als würde er nur darauf warten, dass Garret rein kommen würde um die beiden weiter anzuschreien. Ich seufzte und überlegte: es war fast 100 prozentig sicher, dass Gar irgendwann heute, wenn er Blaine und oder Fenix sah, wieder ausrasten würde. Er war nicht gerade dafür bekannt schnell nachzugeben.

„Fenix… wäre es ein Problem, wenn ich euch jetzt zu dir nach Hause fahre und ihr beiden erstmal da bleibt? Also auch Blaine. Ich bin mir sicher, Garret wird wieder ausrasten wenn er einen von euch zu Gesicht bekommt…“, wendete ich mich nun an den unfreiwilligen Auslöser dieses Streites. Dieser bekam zuerst gar nicht mit, dass ich mit ihm redete, so sehr war er in Blaines Aussehen vertieft. Ich schnipste ein paar Mal vor seinem Gesicht um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und fragte ihn dann schmunzelnd nochmal. Sofort war er Feuer und Flamme für meine Idee und half Blaine ein paar Klamotten einzupacken während ich duschen ging und mich anzog.

Eine halbe Stunde später standen wir drei fertig angezogen und -zumindest Blaine- mit einer Reisetasche bewaffnet, in unserer Garage. Mit zügigen Schritten ging ich auf mein rotes Cabrio zu, doch fast augenblicklich fiel mir ein, dass es sich bei meinem Liebling nur um einen Zweisitzer handelte. Ich sah also Blaine an und verlangte seinen Autoschlüssel.

„Ich kann auch selbst fahren, mach dir keine Mühe“, versuchte Blaine sich vor der Schlüsselabgabe zu drücken. Doch ich ließ mich nicht einfach so erweichen. So wie Blaine eben noch gezittert und geweint hatte, ließ ich ihn nicht fahren und Fenix hatte noch keinen Führerschein. Obwohl er offiziell genauso alt war wie wir, waren wir inoffiziell doch schon viel älter als er und durch ein paar Kontakte hatten wir Sonderfahrerlaubnisse bekommen. Ich zog also den Autoschlüssel aus Blaines Hosentasche und stieg an der Fahrerseite ein. Blaine verfrachtete seine Reisetasche im Kofferraum und stieg dann mit Fenix zusammen auf die Rückbank. Der Motor schnurrte leise als ich den Schlüssel im Zündschloss umdrehte und Fenix zog anerkennend die Augenbrauen hoch. Klar Blaines kanariengelber VW Phaeton war ein Schätzchen, doch im Vergleich zu meinem Maserati gar nichts. Gekonnte bugsierte ich uns auf die Landstraße, die zu unserem kleinen Haus -naja, eher Anwesen- führte und gab dann Fenix' Adresse ins Navi ein.

2. Kapitel - Schneereiche Nacht

Schneller als man Fenix Truebner sagen konnte, waren wir schon am Stadtrand und erreichten wenig später Fenix Haus. Ich stieg mit ihnen aus und wartete bis eine nett aussende, ältere Frau die Tür öffnete. Sie hatte die gleichen blauen Augen wie Fenix, daher schloss ich, dass es sich bei der Frau um seine Mutter handeln musste. Schnell umarmte ich Blaine zum Abschied und drückte ihm seinen Autoschlüssel in die Hand. Dann verabschiedete ich mich und machte mich zu Fuß auf den Weg in Richtung Stadtmitte. Ich hatte noch ein paar Erledigungen zu machen und war schon ewig nicht mehr in der Stadt gewesen.

Mit zügigen Schritten ging ich auf das Schreibwarengeschäft zu, indem ich immer meine Notizbücher kaufte. Ich kannte den Ladenbesitzer schon seid er vor ca. 40 Jahren das Geschäft eröffnet hatte. Er wusste genau was ich brauchte. Angst, dass er mich und meine Geschwister verraten könnte, hatte ich keine, schließlich hatte er mir geschworen keinem von der Besonderheit meiner Familie zu erzähle. Im Gegenzug durfte er meine Aufgeschriebenen Ereignisse der letzten 100 Jahre lesen und das, was davor geschehen war, erzählte ich ihm ab und an wenn der Laden mal zu hatte.

Er empfing mich mit einem freundlichen Lächeln und in seinen Augen konnte ich sehen, dass er gierig auf eine neue Geschichte war. Ich lachte über diesen Ausdruck und begrüßte ihn ebenfalls.

„Guten Morgen Heinrich. Ich habe ein neues Buch für dich. Und ich bräuchte auch ein neues Notizbuch.“ Freundlich lächelte ich ihn an.

„Aber klar doch, Liebes. Das Gleich wie immer?“ Ich nickte auf seine Frage hin und bedanke mich. Dann verließ ich den Laden und horchte auf das mir sehr bekannte Klingeln beim Öffnen der Ladentür. Immer noch lächelnd ging ich auf dem Weg nach Hause noch in meinem Lieblingsbuchladen und holte mir neuen Lesestoff. Glücklich über meine neuen Errungenschaften beschloss ich noch bei unserem alten Zuhause vorbeizuschauen. Pfeifend lief ich die Straße entlang und wunderte mich über mich selbst. Wann war ich das letzte Mal so offen durch die Straßen gelaufen? Ich wusste es nicht und so verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf.

Wieder am Stadtrand angekommen, bog ich ab auf den kleinen Waldweg, der zu einer Klippe führte, anstatt die Landstraße zu unserem Anwesen langzulaufen. Nach einer Weile, die sich anfühlte wie ein einzelner Herzschlag, betrat ich eine kleine Lichtung. Wenn man wusste wo sich diese befand, war es ein Leichtes sie zu erreichen, doch wenn nicht, so konnte man Stunden suchen und fand sie doch nicht. Mit flinken Blicken suchte ich die Umgebung ab, ob mir niemand gefolgt war und kroch dann durch den Spalt ins Innere eines kleinen Hügels.

Innen war es nicht, wie man vielleicht von außen erwarten würde. Es war viel geräumiger und fast so wie ein kleines Häuschen. Es gab vier Hohlräume. In einem von ihnen befand sich eine Art Küche, in einem Anderen eine Art Badezimmer, mit allem Drum und Dran. Dank einer Quelle gab es sogar fließendes Wasser. In den beiden anderen Räumen befanden sich jeweils vier Betten. Obwohl wir nur sieben Geschwister waren, hatten wir acht Betten und das nur aus einem Grund: Uriel.
Unser Vater - ein Engel - der uns alle paar Jahrzehnte mal besuchen kam, sich in den letzten 200 Jahren aber nicht hat blicken lassen. Ein tiefer Seufzer entglitt meinen Lippen und ich ließ mich auf eines der Betten fallen. Wir wohnten schon länger in dem Anwesen, doch ich kam öfters her einfach nur um mich an alte Zeiten zu erinnern und ein bisschen Abstand zur „neuen“ Welt zu bekommen.

Alles hatte sich stark verändert. Klar, vieles hatte sich verbessert, zum Beispiel konnten nun auch Taya, Blaine, Sumire und ich ohne Probleme das Haus verlassen, doch es gab auch einiges mit dem wir nicht so recht klarkamen. Da wäre zum Beispiel die digitale Verarbeitung von Daten. Wir hatten es damit viel schwerer nicht aufzufallen und mussten regelmäßig unsere Kontakte arbeiten lassen. Ich seufzte erneut und beschloss, mir nicht weiter damit den Kopf zu brechen. Ich sollte mir lieber überlegen, wie wir alle zusammen Silvester feiern sollten. Taya würde bestimmt Ian -ihren Freund- mitbringen und Blaine würde mit Fenix kommen, Skyla und Adrian würden bestimmt auch ein paar ihrer Freunde mitbringen. Platz genug hatten wir zwar, aber unter so vielen und dann auch noch mit Alkohol im Spiel war es sicherlich nicht ganz so leicht unser Geheimnis zu bewahren. Um Sumire machte ich mir dabei überhaupt keine Sorgen, sie hatte schon verkündet, dass sie an Silvester bei ihrer besten Freundin Anna-Lena sein würde. Außerdem konnte sie gut auf sich selbst aufpassen und hatte dazu auch noch die Gabe, sich in das Gehirn eines jeden „einloggen“ zu können und dann beliebig die Erinnerungen zu verfälschen.

Mit Schwung richtete ich mich auf und entschied, dass man besser bei einem warmen Bad darüber nachdenken konnte. Ich schlüpfte also in das Felsbad und machte ein Feuer unter dem großen Messingkessel um etwas Wasser zu erhitzen. Nach einer Weile, in der ich schon mal ein paar Kräuter aus unserer improvisierten Küche geholt hatte, die nicht nur gut dufteten sondern auch die Haut pflegten, war das Wasser heiß genug. Ich füllte es in die dafür vorgesehene Wölbung im Steinboden und ließ dann die Kräuter hinein rieseln. Flink zog ich meine Kleidung aus und ließ mich dann in das angenehm warme Wasser gleiten. Es war um so vieles schöner in so einer natürlichen Wanne zu liegen als in diesen neumodischen Wannen aus Stahl oder Keramik. Und während ich da so lag und darüber nachdachte wie wir am besten die Silvesternacht überstehen könnten ohne unser Geheimnis preiszugeben, entglitt ich in die Welt der Träume.

Rubinia komm er mein Schätzchen“, hörte ich die glockenklare Stimme meiner Mutter. Lachend rannte ich in ihre Arme und ließ mich von ihr durch die Luft wirbeln.

Na, wo hast du deine Geschwister gelassen?“ fragte sie lachend und setzte mich wieder auf dem Boden ab. Ich schüttelte mit dem Kopf. Wir hatten eine Überraschung geplant um zu feiern, dass meine Mutter von ihrer Herrin freigegeben wurde. Nun war sie so frei, wie sie es immer sein wollte und obwohl wir noch sehr jung waren, verstanden wir, wie wichtig dieses Gefühl für unsere Mutter war. Wir wussten aber auch, dass es ihr viel abverlangte uns im Geheimen zu bewahren und sich im Dorf nicht anmerken zu lassen Mutter von sieben Kindern zu sein, erst recht von sieben Kindern, die zur Hälfte Engel waren.

Ich musste lächeln bei dem Gedanken, dass gleich jeden Moment Skyla mit meinen anderen Geschwistern hinter dem Hügel hervor kommen müsste, damit wir alle zusammen ein zuvor einstudiertes Lied singen und meine Mutter mit wunderschönen Blumen beglücken konnten.

Doch anstatt dem Gesang meiner Geschwister ertönten nun wütende Schreie. Mutter und ich erschraken und liefen in die Richtung aus der die Schreie kamen. Schon vom weiten erkannte ich gefährlich aussehende Männer, die allesamt Schwerter in den Händen hielten. Einer der Männer hielt Sumire am Arm fest, während ein Zweiter versuchte, an die anderen heranzukommen, die sich noch auf einen Baum hatten retten können. Sofort schritt Mutter auf die Männer zu und verlangte sofort ihre Kinder frei zu lassen. Die Männer verspotteten sie und fragten, was sie denn im Gegenzug dafür bekämen. Meine Mutter drohte sie von ihrer Herrin bestrafen zu lassen, doch die Männer lachten nur noch hämischer. Aber nichtsdestotrotz ließen sie von Sumire und meinen Geschwistern ab. Sofort kamen sie auf mich zugelaufen. Mutter wollte auch zu uns kommen, doch sie wurde von den Männern verschleppt.

Lauft Kinder! Macht euch keine Sorgen um mich!“, rief sie uns zu bevor wir sie nicht mehr sahen. Meine Geschwister brachen in Tränen aus und obwohl ich nur um ein paar Minuten älter war als die anderen, verspürte ich eine Art Verantwortung ihnen gegenüber. Ich schickte sie zurück zur Höhle und lief den Männern hinterher. Schon aus einigen Metern Entfernung sah ich wie sie unsere Mutter hin und her schubsten und lauthals grölten. Ich versteckte mich hinter einem Busch und musste mit ansehen, wie sie meiner Mutter ein Schwert zwischen die Rippen stießen. Tränen liefen mir die Wangen runter und ich schrie auf, doch die Männer nahmen mich nicht zur Kenntnis.

Sie liefen Richtung Dorf und ließen Mutter blutend zurück. Kaum dass sie weg waren rannte ich zu ihr und umarmte sie.

Mutter bitte bitte stirbt nicht!“ Ich schluchzte. Müde sah sie mich an. Aus ihren Augen war jeglicher Glanz verschwunden.

Kümmere dich um deine Geschwister, Rubi. Ich verlass mich auf dich“ Ihre Stimme klang schwach und brach schließlich. Ich weinte noch mehr. Als der letzte Hauch Leben aus ihr verschwunden war und sich ihre Brust zum letzten mal senkte, fielen leise Schneeflocken vom Himmel und bedeckten ihren nun leblosen Körper.

Luft schnappend erwachte ich aus meinem Traum und musste erst realisieren, dass es nur ein Traum gewesen war. Warum kam diese Erinnerung nur immer wieder, Jahr für Jahr, Winter für Winter? Schluchzend umklammerte ich meine Beine um schaukelte mich vor und zurück. Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass hier die Erinnerungen zurück kämen, gerade zu dieser Jahreszeit. Nach ein paar endlosen Minuten in denen ich versuchte nicht länger an Mutters Tod zu denken, erhob ich mich aus der Wanne und zog mir trockene Kleidung an. Dann löschte ich das Kerzenlicht im Bad und verließ die Höhle.

Es war schon fast dunkel und still fielen ein paar Schneeflocken zu Boden. Man könnte sagen, dass es wunderschön aussah, wie sie da so durch die Luft tanzten und von der untergehenden Sonne bestrahlt wurden, doch Schnee erinnerte mich einfach zu sehr an diesen einen Tag, der mein Leben, nein, auch das Leben meiner Geschwister, für immer veränderte.

Flüchtig überlegte ich, ob ich die Nacht nicht besser in der Höhle verbringen sollte, doch nach kurzem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass es besser wäre nach Hause zu gehen. Ich kämpfte mich also erneut durch das Gestrüpp zum Waldweg und dann weiter zur Landstraße. In gemächlichem Tempo ging ich nach Hause. Schon von Weitem sah ich die hell erleuchtete Einfahrt und unser Anwesen. Noch immer fielen kleine weiße Flocken durch die Nacht und setzten sich in meinen Haaren und in meinen Kleidern fest. Die Straße war schon von abertausenden kleinen Eiskristallen bedeckt und schien schon einzig aus diesen zu bestehen. Am Tor angekommen, welches unser Anwesen von der Außenwelt abschottete, blieb ich kurz stehen um mich einmal um meine eigene Achse zu drehen und die Schneebedeckte Umgebung zu bewundern.

Ich mochte den Schnee zwar nicht besonders, doch ich fand diese Aussicht trotzdem furchtbar schön. Bis auf einmal wieder das Bild von Mutter vor meinem inneren Auge erschien, wie ihr lebloser Körper von bedeckt wurde. Flink tippte ich den Code für das große Eisentor ein und huschte dann den Kiesweg entlang zur Eingangstür. Ich suchte meine Hosentaschen nach dem Haustürschlüssel ab, doch konnte ihn beim besten Willen nicht finden. Also klingelte ich kurz und hoffte, dass irgendeiner noch wach war. Und tatsächlich, nach kurzer Wartezeit öffnete sich die Tür, doch für den der mir dann entgegen sah hatte ich grade keine Nerven... Garret.

Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an, machte aber keine Anstalten zur Seite zu treten um mich einzulassen. Aus diesem Grund quetschte ich mich an ihm vorbei ins Haus und huschte mit einem kurzen Umweg in die Küche um mir einen Apfel zu holen in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf meinem bequemen Ohrensessel nieder und wog meine erworbenen Buchschätze in der Hand. Die unendliche Geschichte und Momo von Michael Ende. ich kam nicht umhin diese beiden Bücher zu verehren. Es handelte sich bei ihnen um die erste Auflage der Bücher und ich hatte nicht gerade wenig für sie bezahlen müssen. Kurz zog ich in Erwägung jetzt noch anzufangen eine der beiden Geschichten zu lesen, doch ein langgezogenes Gähnen erinnerte mich daran, dass ich besser ins Bett gehen sollte und zumindest für heute nicht in diese mir fremden Welten einzutreten.

3. Kapitel - Ein Silvester voller Liebe

Silvester, der Tag vor dem ich mich so gefürchtet habe ist nun gekommen. Schon früh am Morgen laufen bei uns lauter Vorbereitungen. Hier muss noch ein Standtisch aufgebaut werden, da fehlen noch die Gläser und dort könnten noch ein paar Girlanden hin. Mir grauste jetzt schon davor, das alles wieder aufräumen zu müssen, denn davor konnte ich mich nicht drücken. Vor dem Aufbauen schon, denn ich hatte mich in die Küche verzogen und bereitete dort die Speisen für das Buffet vor. Sumire war schon am Abend zuvor zu Anna-Lena gegangen. Ziemlich schlau von ihr. Während hier alles auf Hochtouren lief konnte sie ausschlafen.

Um drei Uhr war endlich alles erledigt und jeder konnte sich fertig machen. Ich hatte mir für diesen Anlass extra ein schwarzes Cocktailkleid von Taya geliehen. Schließlich wollte ich nicht in einer meiner schwarzen Jeans und Motto-Shirt zu einer Silvesterparty bei der -dank Skyla und Adrian- fasst die gesamte Stufe eingeladen war. Skyla half mir meine bunt gefärbten Haare etwas zu bändigen und schminkte mich danach. Wenn es etwas gab, in dem ich besonders schlecht war, dann in Sachen Schminke und Haare.

Pünktlich um acht Uhr klingelte das erste Mal die Türglocke. Fenix stand vor der Tür. Wer auch sonst sollte überpünktlich zu einer Party kommen, wenn nicht der Liebhaber von Blaine. Still fragte ich mich ob die beiden mittlerweile endlich ein Paar waren. Ich beschloss sie später mal zu fragen, wenn es sich ergab. Bald darauf klingelte es erneut. Es kamen immer mehr Leute, doch die wenigsten kannte ich besser als vom Sehen in der Schule.

Die Musik dröhnte und trotz des Schnees und der klirrenden Kälte tanzten alle draußen auf der großen mit Parkett ausgelegten Fläche. Ich versuchte mich durch die Menge zu schlängeln, doch von allen Seiten wurde ich von schweißnassen Körpern weggedrückt. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich beim Buffet ankam um mir etwas zu essen zu nehmen, entdeckte ich Rob. Er war in meiner Klasse einer der beliebtesten Jungs. Kein Wunder er sah einfach nur zum Anbeißen gut aus. Wie oft hatte ich mir still und heimlich ausgemalt wie es wäre, über seine, wie in Marmor gemeißelte Brust zu streichen und den Gedanken dann sofort wieder verworfen, weil er zwar gut aussah, aber nichts im Oberstübchen hatte und einfach nur ein riesen Arsch war. Nichtsdestotrotz strich ich mir nervös eine Strähne meines Haares hinters Ohr und sah immer wieder kurz zu ihm.

Als ich gerade erneut nach ihm Ausschau halten wollte tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Erschrocken sprang ich einen Satz nach Vorne und drehte mich dann um, um zu sehen wer mich da so erschreckt hatte. Und ich traute meinen Augen nicht als ich in zwei grün-braune, von dichten Wimpern umrandete Augen sah. Ich hätte mich ewig in diesen Augen verlieren können, doch ich riss mich zusammen und fragte Rob höflich nach seinem Anliegen. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch seine Antwort verursachte ein fieses Stechen in meinem Herzen: „Du stehst im Weg Grufti“

Mit gesenktem Kopf trat ich einen Schritt zur Seite um ihn durchzulassen und kassierte gleich noch einen Messerstich ins Herz als ich sah, dass er auf die Schulschönheit Melissa zu ging und sie leidenschaftlich auf den Mund küsste. Schnell drehte ich mich weg und rannte dabei in Skyla rein.

„Was war das denn grade?! Da lade ich ihn extra ein, weil er mir nett erschien und dann behandelt er meine Lieblingsschwester so mies!“, schrie sie fast, während sie vor Wut überzukochen schien.

„Sky lass gut sein, ich bin es gewöhnt.“, versuchte ich sie zu besänftigen. Leider erfolglos. Sie stapfte immer noch wütend auf Rob zu und ich bekam noch gerade so mit wie sie ihn anschrie nicht so mit ihrer Schwester zu reden und wie er mir danach einen überraschten Blick zu warf. Er hatte wohl nicht gedacht, dass ein so nettes, fröhliches und bildhübsches Mädchen wie Sky so einen Gefühlskalten Grufti als Schwester haben konnte.

Meine Stimmung hatte einen deutlichen Dämpfer bekommen und so zog ich mich erstmal von der Tanzfläche zurück ins Haus. Hier waren nur sehr wenige, unter ihnen mein Bruder Blaine und Fenix. Sie schienen fast aufeinander zu sitzen, so nah saßen sie nebeneinander. Schmunzelnd ging ich auf die beiden zu. Meine Laune hatte sich schlagartig wieder gebessert.

„Nah ihr Turteltäubchen... seid ihr euch mittlerweile über eure Gefühle im Klaren?“ Mit einem breiten Grinsen ließ ich mich auf den Sessel fallen ,der den beiden gegenüber stand. Aus beiden Gesichtern sahen mir weit aufgerissene Augen entgegen.

„Äh… was... was meinst du?“, stotterte nun Blaine. In letzter Zeit stotterte er viel, vor allem wenn Fenix in der Nähe war. Mein Grinsen wurde noch breiter.

„Ach kommt schon, ein Blinder mit Krückstock erkennt, dass zwischen euch mehr ist als nur Freundschaft“ Ich zwinkerte ihnen zu und erhob mich. Bevor ich die beiden wieder alleine ließ flüsterte ich jedem noch was ins Ohr. Blaine, er solle sich ihn klar machen und Fenix, dass er sein Grab schaufeln konnte, wenn er jemals meinem Bruder weh tun würde. Als ich wieder ging sahen mich beiden einfach nur entgeistert und an ich konnte ein deutliches Schlucken von Fenix hören. Kaum hatte ich das Zimmer verlassen, fing ich an zu lachen, ich hatte Fenix anscheinend ganz schöne Angst gemacht.

Auf dem Weg zur Bar um mir etwas Alkoholisches zu holen, lief ich in Rob rein. In wen auch sonst, bei meinem Glück.

„Was zum.. Pass' doch au…“, fing er an doch als er mich erkannte stockte er. „Äh.. das mit eben.. ähm, das tut mir leid“ Hatte er sich grade wirklich bei mir entschuldigt? Verwundert starte ich ihn an und winkte dann einfach ab. Schnell drängte ich mich an ihm vorbei um von ihm wegzukommen, doch er hielt mich am Handgelenk fest.

„Warte… ist alles ok zwischen uns? Also… ähm… du bist mir nicht böse?“ Irgendwie war er ja ganz süß wenn er so herumdruckste.

„Ja, alles ok. Ich bin dir nicht böse. Aber könntest du mich jetzt bitte loslassen?“, fragte ich und konnte an seinem verdutzten Blick ablesen, dass er wahrscheinlich schon seinen Klammergriff um mein Handgelenk vergessen hatte. Er lächelte mich an und lockerte dann seinen Griff, sodass ich mich losmachen konnte. Mit zügigen Schritten ging ich weiter zur Bar. Dort holte ich mir einen Cocktail und verzog mich dann in mein Zimmer. Sollten die da unten ruhig ihren Spaß haben, ich würde jetzt jedenfalls etwas lesen, vielleicht später einen Film gucken.

Die Zeit bis Mitternacht verging und um zehn vor begab ich mich wieder runter zur Party um mit allen anderen das Feuerwerk zu bewundern. Gemeinsam zählten wir runter. 10... 9... Ich sah Blaine und Fenix ein Stückchen weiter vor mir. 8... 7... Ich drückte mich durch die Menge zu ihnen. 6... 5... Kurz hinter ihnen machte ich halt, weil ich sah wie sie sich tief in die Augen sahen und diesen Augenblick nicht zerstören wollte. 4... 3... 2... Ihre Gesichter kamen sich näher 1... 0...!! und schließlich trafen sich ihre Lippen. Es machte mich so glücklich meinen kleinen Bruder so überaus fröhlich zu sehen. Man konnte das Knistern zwischen ihnen nahezu bis hin zu mir spüren.

Ich stieß einen zufriedenen Seufzer aus und sah dann rauf zum Himmel. Das Feuerwerk war wunderschön anzusehen. In so vielen verschiedenen Farben. Jede Farbe des Regenbogens war vertreten und das erinnerte mich an meine Familie, meine Geschwister und mich. Wir waren die Verkörperung des Regenbogens und wir, zumindest ich, waren stolz darauf. In der Luft lag eine Art Spannung, die uns alle miteinander verband, uns zu einer großen Menge zusammen schloss. Nun stand nicht mehr jeder einzeln sondern wir alle gemeinsam auf der Tanzfläche und sahen zum Himmel. Ich genoss es dazuzugehören und nicht ausgeschlossen zu werden.

Nach dem Feuerwerk ging die Party weiter wie zuvor. Die angenehme Spannung zwischen allen, die uns verbunden hatte, war wie weggespült. Zurück blieben wieder die einzelnen Gruppen, die nun nichts mehr miteinander zu tun hatten. Traurig, dass der Moment nicht geblieben war, ging ich wieder Richtung Haus und ließ mich dann drinnen auf einem Sessel im Wohnzimmer nieder. Doch kaum einen Herzschlag später kamen auch Fenix und Blaine nach drinnen. Nun Hand in Hand und darauf bedacht keinen Millimeter vom Anderen zu weichen. Direkt musste ich lächeln und an den Moment während des Feuerwerks denken. Ich stellte es mir romantisch vor seine große Liebe das erste Mal während eines Feuerwerks zu küssen. Ein stiller Seufzer verließ meine Lippen, war aber mit einem normalen Gehör nicht wahrzunehmen. Blaine jedoch bemerkte mich sofort und sah mich mit Sorge im Blick an. Ich überspielte meine kurze Niedergeschlagenheit mit einem Lächeln und scherzte rum wie immer, wenn einer meiner Geschwister in der Nähe war.

„Ihr habt euch also doch entschlossen endlich miteinander auszugehen, mh?“ Sofort wich die Sorge in Blaines Blick der Röte auf seinen Wangen, während er schüchtern nickte.

„Wie niedlich. Ich freue mich für euch. Und Fenix was ich eben gesagt habe meine ich ernst, verstanden?“, wandte ich mich dann an Fenix. Er nickte sofort und rückte näher an Blaine, der zufrieden lächelnd an seine Freund anlehnte. Ja, mitanzusehen wie sein jüngerer Bruder seine große Liebe gefunden hatte war schön, doch genauso sehr schmerzte es. Mit zügigen Schritten verließ ich den Raum, einerseits um den Turteltäubchen etwas Zeit unter sich zu gönnen, andererseits um ihre Verliebtheit nicht mehr sehen zu müssen.

Doch egal wo ich hinsah, überall standen Pärchen, die sich glücklich umarmten, küssten und eng umschlungen tanzten. Unter den Pärchen entdeckte ich auch Rob und Melissa. Die beiden so zusammen zu sehen gab mir den finalen Stoß. Für den Rest des Abends schloss ich mich in meinem Zimmer ein und grübelte nach, weshalb ich in meinen 1638 Jahren Lebenserfahrung nicht ein einziges mal einen jungen Mann getroffen hatte, der mich mochte, nicht nur als gute Freundin sondern als Freundin, der mich so liebte wie ich ihn, der etwas mit mir anfangen wollte. Mit diesem Gedanken schlief ich schließlich ein und hatte eine unruhige Nacht.

In meinem Hinterkopf hatte sich das Unbehagen vor dem Schulbeginn bereits festgesetzt als die Ferien begonnen hatten, doch nun wo es nur noch drei Tage waren, bis ich meine Klassenkameraden in den Stickigen Räumen der Schule wiedersehen würde, war dieses Unbehagen auf die Größe des Mondes herangewachsen.

Ich tigerte schon den ganzen Morgen durch mein Zimmer, meine Geschwister waren bereits mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Zu Anfang hatte ich mitgeholfen, doch da ich im Moment zu nichts zu gebrauchen war, hatten sie mich kurzerhand vom Aufräumen befreit. Wie sollte ich zur Schule gehen, wenn ich doch ständig in Gedanken war? Klar ich war auch vor den Ferien schon oft eher abwesend gewesen, doch seit dem Abend vor Silvester, an dem ich von Mutters Tod geträumt hatte, war ich fast so oft „weg“ wie Sumire.

Vorerst versuchte ich mich zu beruhigen und fing an in mein Notizbuch die Ereignisse der Ferien aufzuschreiben. Es hatte noch nie geschadet seine Gedanken niederzuschreiben. Ich wünschte nur jemand würde sie lesen, jemand der mir auch helfen konnte. Nicht etwa Heinrich, der Besitzer des Schreibwarenladens.

4. Kapitel - Bin ich wirklich so allein?!

Noch müde stieg ich in die Dusche und zog mir dann mein Lieblingssweatshirt und eine schwarze Jeans an. Wenn ich schon wieder zur Schule müsste, dann wenigstens mit der Kleidung, die ich am Liebsten habe. Bei Frühstück traf ich auf meine Geschwister, Blaine war der Einzige, der so wie ich noch müde war, während die anderen schon vor Tatendrang und Freude ihre Freunde wieder zu sehen sprühten. Nur Sumire war wie fast wie jeden Morgen nicht aufzufinden.

Pünktlich um 20 vor acht fuhren wir in unseren Autos los. In der Schule angekommen mussten wir noch ein bisschen vor der geschlossenen Tür warten, bevor wir eingelassen wurden. Kaum waren wir in der Klasse, kamen unsere Klassenkameraden und wandten sich direkt an Skyla und Adrian, wie toll doch die Silvesterparty war. Ich verdrehte nur die Augen und setzte mich auf meinen Sitzplatz in der letzten Reihe. Als zu Beginn der ersten Stunde die Lehrerin in den Raum kam, setzten sich auch die anderen auf ihre Plätze. Es war unschwer zu erkennen, dass die Leute mich mieden, wie immer saß ich alleine.

Mein Blick schweifte durch die Klasse. Adrian saß ganz an der Seite bei seinen Freunden und redete überschwänglich mit ihnen. Obwohl Frau Maine sie schon mehrmals ermahnt hatte Quatschten sie weiter. Auch Garret saß bei ihnen, hielt sich jedoch aus dem Gespräch raus. Taya und Ian saßen ebenfalls in der letzten Reihe und passten offensichtlich nicht auf. Indessen war auch Sumire gekommen und hatte sich auf den Stuhl neben Anna-Lena fallen lassen. Und Skyla, die setzte sich regelmäßig um, in der einen Stunde saß sie neben José in der nächsten neben Maja. Blaine saß wie erwartet neben seinem Fenix. Sie hielten unterm Tisch Händchen.

„Süß...“, flüsterte ich vor mich hin und kritzelte auf meinem Block rum. Ich war so in meine Kritzeleien vertieft, dass ich nicht merkte wie ich aufgerufen wurde. Erst als eine Papierkugel mich am Kopf traf, sah ich auf, in die belustigten Gesichter meiner Klassenkamera. Na toll das hatte ich ja gut hinbekommen, noch keine Stunde wieder in der Schule und schon hatte ich mich blamiert.

Immerhin entsprach dies meinem Ruf als Außenseiter. Freunde hatte ich keine in meiner Klasse, sie alle verabscheuten mich und egal wie oft Skyla es schon versucht hatte, es brachte nichts, man könnte nicht einfach einen Außenstehenden in die Klasse integrieren.

In der Pause saß ich alleine auf einer Bank auf dem Pausenhof, vertieft in ein Buch. Eigentlich wäre jetzt die Zeit, wo sich alle in der schuleigenen Cafeteria versammelten und zu Mittag aßen, aber ich schätze ich passte da einfach nicht rein. Seufzend legte ich mein Buch zur Seite und holte ein Brot aus meiner Tasche. Es war nicht schlimm alleine zu essen, keines Falls. Nichtsdestotrotz hätte ich gerne etwas Gesellschaft von einem meiner Brüder oder Schwestern gehabt. Mir ging einfach furchtbar viel durch den Kopf, was ich nur mit ihnen besprechen konnte.

Mit wem sonst könnte ich über Mutters Tod und den nächsten Besuch von Uriel reden? Uriel, Vater, er musste uns verlassen als wir noch kleine Säuglinge waren und suchte uns erst nach Mutters Tod wieder auf. Seit dem kam er regelmäßig zu Besuch, doch schon ewig war er nicht mehr hier gewesen. Ich vermisste ihn. Er verstand uns, er konnte uns mit unseren Problemen helfen, uns zeigen wie wir mit unseren sich langsam entwickelten Fähigkeiten umgehen müssen. Gerade in dieser Zeit könnten wir seine Hilfe sehr gut gebrauchen, nicht nur ich. Vor allem Taya hatte es schwer. Oft sagte sie, sie würde lieber ein normaler Mensch sein und mit Ian alt werden.

Es klingelte zum Ende der Pause und ich packte mein nicht angerührtes Brot wieder in meine Tasche. Ich würde es wohl in der nächsten Pause essen müssen. Wieder in der Klasse wurde das Gespött über mich direkt vorgeführt als wären grade keine ruhigen 20 Minuten vergangen. War es zu viel verlangt die Schulzeit ungestört abzusitzen um dann wieder unterzutauchen? Die Mathe-stunde kroch nur so dahin und zog sich lang wie Kaugummi. Danach hatten wir eine Doppelstunde Sport und dann dürfte ich endlich wieder nach Hause und mich für den Rest des Tages in meinem Zimmer verkriechen.

In der Umkleidekabine der Sporthalle zog ich mich schnell, darauf bedacht niemandem meinen Körper zu zeigen, um. Ich muss mich zwar nicht für meine Figur schämen, ganz im Gegenteil, aber keiner meiner Mitschüler sollte das Muster sehen, welches sich über meine Hüfte und meinen Rücken hoch verbreitete. Selbst meine Geschwister wussten nichts davon, auch wenn ich ihnen gerne davon erzählen wollte, wusste ich einfach nicht wie ich das anstellen sollte.

Da heute der erste Schultag war durften wir wählen was wir machen wollten. Wir hatten die Wahl zwischen Fußball, Handball, Basketball und Gymnastik. Ich konnte bei bestem Willen nicht mit Bällen umgehen, daher schloss ich mich der Gymnastik Gruppe an. Sofort trafen sich die „Coolen“ in einer Ecke der abgetrennten Halle und fingen lautstark an über mein Sportoutfit zu lästern. Gut, wäre ich in ihrer Lage, würde ich auch über meine Anziehsachen lästern, denn schön oder modisch waren die letzten Worte mit denen man meine zu große Jogginghose und das noch größere T-Shirt beschreiben konnte.

Sofort kam Skyla zu mir als sie die Lästermäuler bemerkte und raunte mir zu, ich soll zeigen was ich konnte, alles was ich konnte. Entsetzt sah ich sie an.

„Das meinst du jetzt nicht ernst oder? Ich kann das doch nicht machen, wir würden auffliegen.“ Vollkommen perplex sah ich sie noch immer an und wartete darauf, dass sie anfangen würde zu lachen und mir sagen würde, dass es wirklich nur ein Scherz sei.

„Mach dir keine Sorgen, zeig einfach alles was du kannst und was noch annähernd menschlich ist.“ zwinkerte sie mir zu und war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Ich konnte nicht anders als ihr entgeistert hinterher zu sehen.

Doch dann befolgte ich ihren Rat und fing erstmal an mich zu dehnen. Was für Außenstehende, die nicht wussten wie beweglich wir alle waren so wirken musste als hätte ich jahrelang nichts anderes gemacht als auf Gelenkigkeit hin zu trainieren. Tatsächlich hatte ich mal kurze Zeit im 19. Jahrhundert Ballett getanzt, hatte jedoch wieder aufgehört, als es mir zu mühselig wurde nach jeder Trainingsstunde das Gedächtnis meiner Kameraden zu verändern. Farbige Kontaktlinsen gab es da leider noch nicht. Nachdem ich fertig war mich zu dehnen stieg ich auf den Schwebebalken und tobte mich ein wenig aus. Hier ein Salto da das Bein bis zu den Ohren heben. Laut den entgeisterten Gesichtern der anderen Mädchen, hätten sie mir niemals im Leben solche Bewegungen zugetraut.

Grinsend ging ich nun auf Skyla zu, die mittlerweile wieder aufgetaucht war. Wir lachten und klatschten ein. Der Plan war aufgegangen. Auch Adrian kam nun herübergerannt um mir mitzuteilen, dass mich sämtliche Jungs angegafft hätten. Glücklich mal diejenige zu sein, die bewundert wird, drehte ich mich einmal im Kreis und umarmte dann meine Geschwister.

„So glücklich hab ich dich ja noch nie gesehen, du nicht auch Sky?“, lachte Adrian wurde daraufhin aber sehr ruhig.

„Seit wann hast du ein Tattoo?“ Kurz entgleisten mir meine Gesichtszüge. Panisch sah ich ihn an. Bei einem der Radschläge und Saltos musste mein T-shirt hochgerutscht sein. Peinlich berührt sah ich zu Boden, aber Adrian hob sofort mein Gesicht an und sah mir in die Augen.

„Rubi, keine Ausreden, jeder hat es gesehen. Seit wann?!“ War das etwa Panik in seinem Blick? Sorge? Angst?? Niemals hätte ich gedacht solche Ausdrücke mal bei meinen Bruder, der personifizierten Sonne, zu sehen.

„Ich erzähle dir alles wenn wir nach Hause kommen, die Leute gaffen schon, weil wir hier so rumstehen.“

„Gut, ich erinnere dich dran!“ Damit drehte er sich um und ging zurück zu seinen Kumpels. Erleichtert zumindest für jetzt ihm nicht alles erklären zu müssen atmete ich aus. Und wollte schon wieder zurück zum Schwebebalken, als Skyla mich am Arm festhielt.

„Muss ich mir sorgen um dich machen?“ Ich schüttelte mir dem Kopf und machte mich los.

„Alles ist Ok, Sky. mach dir keinen Kopf“ Dann lächelte ich sie an und zeigte erneut, dass ich nicht so unnütz im Sport war, wie ich aussah.

Nach der Sportstunde zog ich mich unter den bohrenden Blicken meine Mitschüler um und verließ so schnell wie möglich die Sporthalle. Ich stürmte gerade zu raus und stieß, typisch für mich, mit jemandem zusammen, der vor mir auf den Flur stand. Ich sah auf und erkannte Rob, der gerade in einem Gespräch mit Frau Maine war.

„Ah Rubinia, gut, dass du gerade vorbei kommst. Ich habe eine Bitte an dich.“, erklang Frau Maines freundliche Stimme.

5. Kapitel - Zur Nachhilfe verdammt

„Ähm… um was geht es denn?“, fragte ich freundlich nach und blickte dann etwas skeptisch zwischen den beiden hin und her.

„Rob ist momentan nicht so gut in der Schule und da du sehr gut mit dem Unterrichtsstoff klarkommst, dachte ich, dass du ihm vielleicht Nachhilfe geben könntest.“ Wieder lächelte sie mich an.

„Wieso ausgerechnet ich?“ Zweifelnd sah ich sie an. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

„Rubinia, ich bitte dich. Außerdem kannst du so wieder wettmachen, dass du oft im Unterricht nicht aufpasst. Sagen wir, es ist eine Art Strafe für dich, ja?“ Meine Augen weiteten sich. Das war ja schon fast Erpressung was Frau Maine von mir verlangt.

„Ok, wann und wo?“, gab ich seufzend nach. Davor drücken konnte ich mich ja so oder so nicht. Frau Maine gab mir einen Zettel auf dem eine Adresse stand und mehrere Termine.

„Das sind die Termine an denen die Nachhilfe stattfinden soll. Wenn du etwas Dringendes vorhast und den Termin absagen oder verschieben musst, wendest du dich bitte an Rob.“ Nochmal lächelte sie mich an und ließ mich dann mit Rob alleine zurück. Ich wandte mich ihm zu und sah ihn einfach nur an.

„Was glotzt du so?“, fragte er genervt. Ich zuckte mit den Schultern und sah auf den Zettel.

5.Januar 16:00 Uhr

„Der erste Termin ist ja schon heute…“, murmelte ich mehr für mich, als dass ich zu ihm sprach. Doch er hörte mich trotzdem.

„Soll ich dich nicht der Schule direkt mit zu mir nehmen?“ Ich sah ihn an als würde er scherzen. Wo war der Macho hin, der mich sonst immer Grufti nannte und zusammen mit seinen ach so tollen Freunden nieder machte? Ich zuckte nur mit den Schultern und sagte, ich müsse nur kurz meinen Geschwistern Bescheid sagen, dass ich nicht mit ihnen kommen würde. Er nickte und wir machten aus uns in zehn Minuten bei seinem Auto zu treffen. Na da hatte ich mir ja was eingebrockt.

Schnell lief ich zu Taya, da ich sie als erste ausmachte und erzählte ihr was mir grade passiert war. Sie sah mich verständnisvoll an und beteuerte mir, den anderen Bescheid zu geben.

„Mach ihn dir klar, Schwesterchen!“, rief sie mir noch hinterher und ich streckte ihr einzig die Zunge raus. Sie konnte doch nicht ernsthaft annehmen, dass er sich mit mir abgeben würde, wenn nicht die Sache mit dem Nachhilfeunterricht wäre.

Seufzend schlenderte ich also zum Parkplatz und hielt Ausschau nach Rob. Er war jedoch nirgends zu sehen und auch sein silberner Corsa blieb unentdeckt. Bis er auf einmal hupend an mir vorbei fuhr und dann schleudernd zum Stehen kam. Na wenn der so auch auf der Straße fährt, wäre ich mir nicht so sicher, dass ich lebend ankomme. Trotz allen Ängsten stieg ich neben ihn auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Ich schluckte den Klos runter, der sich in meinem Hals gebildet hatte und lächelte Rob an.

„Ok, es kann los gehen...“

6. Kapitel - Lernen sonst Konsequenzen

Rob fuhr überraschender Weise nicht so Chaotisch wie angenommen. Tatsächlich achtete er sorgsam auf den Straßenverkehr und hielt sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen. Und als wir bei ihm zuhause ankamen staunte ich nicht schlecht: Das Haus seiner Eltern sah dem unseren in nichts nach. Zögerlich stieg ich aus und betrachtete die große Eingangstür. Sie bestand aus zwei Teilen, einer ziemlich großen Tür mit einem eingesetzten Glasfenster und einem breiten Rahmen aus dunklem Holz. Es sah sehr vornehm und einladend aus.

Rob schloss die Tür auf und sogleich wurden wir von einer freundlich lächelnden jüngeren Frau begrüßt. Sie nahm unsere Mäntel und brachte sie weg. Kurz darauf liefen wir noch einem grimmigen älteren Herrn über den Weg der unverständliches Zeugs vor sich hinmurmelte. Ich wusste zwar, dass Robs Eltern Unternehmer waren und nicht gerade wenig verdienten, aber niemals hätte ich gedacht, dass es genug wäre um sich Bedienstete leisten zu können.

Im Wohnraum saßen ein etwas ergrauter Mann und eine Frau, die Jahre jünger als er aussah. Als wir den Raum betraten sahen die beiden auf.

„Ma, Pa.. das ist Rubinia Wittmann. Frau Maine hat sie dazu überredet mir Nachhilfe zu geben.“ Er klang ziemlich eingeschüchtert und etwas traurig, ganz anders als in der Schule. Der Mann nickte und mit einem mal fielen mir ein paar Ähnlichkeiten zwischen ihm und seinem Sohn auf. Die Augen zum Beispiel, sie waren in demselben klaren grün-braun wie die seines Kindes und in ihnen lag der selbe überhebliche Ausdruck, den Rob sonst auch in den Augen trug. Er schnaubte nur und sah dann wieder in seine Zeitung.

„Robert, Schätzchen. Du musst dir doch keine Ausreden einfallen lassen um ein Mädchen nach Hause zu bringen.“ Robert? Schätzchen? Ich musste mir stark das Lachen verkneifen. Hier kam es mir so vor wie in einer dieser „tollen“ Seifenopern aus dem Fernsehen: Reicher Unternehmer mit einem scharfen, aber auch arroganten Sohn, verliert seine Frau durch einen Unfall und heiratet dann eine 20 Jahre jüngere Strohbarbie. Klar es passte nicht alles wie die Faust aufs Auge, doch es gab so einige Parallelen..

„Ma bitte... das ist keine Ausrede und ich hab dir schon mal gesagt, dass ich nicht Robert genannt werden möchte…“ Es schien ihm wirklich peinlich zu sein mit mir vor seinen Eltern zu stehen, also versuchte ich ihm etwas unter die Arme zu greifen.

„Es ist so wie ihr Sohn sagt, Frau Bohdal. Ich gebe ihm Nachhilfe, da Frau Maine mich darum gebeten hat und ich mir extra Punkte verdienen möchte. Zwischen Rob und mir läuft nichts und da wird auch nie was sein, das versichere ich ihnen.“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah sie mich an. Ich musste zugeben sie war wirklich sehr hübschen. Haselnussbraune Haare und Augen wie zwei blaue Seen. Bis auf den Fakt, dass sie mir nicht wie die Klügste vorkam, war sie vollkommen in Ordnung. Jedoch machte es mich an einer Weile sehr nervös von ihr so sehr unter die Lupe genommen zu werden. Hilfe suchend sah ich mich nach Rob um, der meinen Wink zum Glück verstand.

„Wir sind dann in meinem Zimmer und lernen, wenn ihr uns sucht.“ Kaum hatten wir den Wohnraum verlassen atmete ich erleichtert aus. Rob tat es mir gleich. Irgendwie tat er mir schon leid. Sobald ich ihm keine Nachhilfe mehr geben müsste, war ich seine Eltern für immer los, während er sein Leben lang mit ihnen verbringen musste.

„Sind deine Eltern immer so... so... ähm...“ ,druckste ich rum, „...nett?“ Ich versuchte mit einem Lächeln die ganze Sache etwas freundlicher aussehen zu lassen. Er sah mich nur schweigend an und brach dann in lachen aus.

„Nett? Ist das wirklich das Wort nachdem du gesucht hast? Mir fallen tausend ein: peinlich, seltsam, verstörend, aufdringlich, fordernd... Aber glaub mir, nett ist definitiv nicht dabei!“ Er lachte noch weiter und ich fiel mit ein. Rob hatte recht: nett war nicht das Wort nachdem ich gesucht hatte. Ich wollte >>gezwungen<< sagen, aber es kam mir dann doch etwas grob vor.

Sein Zimmer war so wie ich es mir vorgestellt hatte. Eher praktisch veranlagt. Ein großes Bett, ein Schreibtisch mit einem Stuhl davor, ein großer Schrank und natürlich ein Flachbildfernseher mit allen möglichen Spielekonsolen daneben. Der Raum war in einem schlichten Korallton gehalten, der mir ausgesprochen gut gefiel.

Rob ging direkt auf sein Bett zu, ließ sich darauf fallen und schaltete zuerst den Fernseher, dann seine XBox an. Ich sah ihn zweifelnd an, es war doch die Rede davon gewesen, dass ich ihm Nachhilfe geben sollte, weil er sonst sitzen bleiben würde. Frau Maine hatte mir auch extra nochmal auf den Zettel mit den Terminen geschrieben, wie wichtig es doch für ihn war zu lernen.

„Ähm.. willst du nicht lernen und danach zocken?“, fragte ich zögerlich. Doch anstatt zu antworten zuckte er nur mit den Schultern und wies mich an mich irgendwo hinzusetzten. Ich ließ mich auf den Schreibtischstuhl nieder und versuchte es dann erneut.

„Vielleicht solltest du wirklich erstmal schauen, dass du in der Schule wieder mitkommst...“ Nervös sah ich zu Boden, ich war definitiv nicht dazu geschaffen jemanden zum Lernen zu motivieren. Rob zuckte nur wieder mit den Schulten und fuhr fort Fifa zu spielen. Er ignorierte mich danach erstmal. Solange bis mir der Kragen platze. Es konnte doch nicht sein, dass ich meine Zeit hier absaß! Ich hatte deutlich besseres zu tun.

„Ok jetzt reicht es aber mal!! Entweder du lässt dir jetzt von mir mit dem Unterrichtsstoff helfen oder ich geh wieder und sage Frau Maine, dass es keinen Sinn hat und du besser das Schuljahr wiederholen solltest, denn ich habe echt Besseres zu tun als mir diese Kinderkacke hier anzutun!!“ Sofort lag sein Blick auf mir, ich war aufgesprungen und wütend ein paar Schritte auf ihn zugegangen. Die Verwunderung über meinen Ausraster stand ihm ins Gesicht geschrieben. Langsam legte er den Controller zur Seite und hob, wie als Friedensangebot, die Hände.

„Ist ja ok Rubi, ich lerne. Reg dich bitte ab.“ Ebenso langsam wie er den Controller weggelegt hatte stand er nun auf und kam auf mich zu. Dann ließ er die Arme sinken und bedeutete mir ich solle mich wieder hinsetzten, er gehe nur kurz einen zweiten Stuhl holen. Ich ließ mich wieder auf den Stuhl sinken und ließ das Geschehene noch einmal Revue passieren. Er hatte mich Rubi genannt. Klar ich sagte ja auch Rob und nicht Robert, aber bis eben wusste ich auch nicht, dass er Robert mit vollem Namen hieß. Alle riefen ihn Rob, während ich nur von meinen Geschwistern Rubi genannt wurde. Ich war noch in meinen Gedanken versunken, als nach einer kurzen Zeit Rob wieder erschien und sich dann mit dem dazu geholten Stuhl neben mich setzte.

„Ok.. dann leg mal los.“ lächelte er mich an und sah mir dabei tief in die Augen. Es war mir unangenehm so von ihm angestarrt zu werden, weshalb ich mich darauf konzentrierte ihm so gut es ging die Fakten über den zweiten Weltkrieg beizubringen, die wir letzte Stunde in Geschichte durchgenommen hatten.

Nach zwei Stunden intensivem Lernen war es bereits sechs Uhr abends und somit Zeit nach Hause zu gehen. Ich wollte sagen, dass es für heute genug wäre, doch Rob war noch ganz in die Aufgabe vertieft und so stützte ich mich auf meinen Arm und beobachtete ihn dabei. Ich sah wie er regelmäßig ein und aus atmete und wie sich kleine Fältchen auf seiner Stirn bildeten wenn er stark nachdachte. Ab und an biss er sich leicht auf die Lippen. Kurz um: Er sah so niedlich aus wenn er sich wirklich anstrengte. Ich hätte ihm ewig zugucken können. Doch leider musste ich wirklich bald weg. Ich hatte Adrian doch versprochen ihm heute noch alles zu erklären.

„Hör mal Rob, ich glaube es reicht für heute. Ich muss langsam mal nach Hause.“, sprach ich ihn an und er schien wie aus einer Art Trance zu erwachen.

„Was.. Wie.. Ähm Wie spät ist es denn?“ ich lachte ein bisschen und sagte ihm dann, dass es schon 18 Uhr durch sei. Verdutzt sah er mich an.

„Die Zeit kam mir gar nicht so lange vor… naja soll ich dich eben bringen?“, fragte er nun lächelnd. Ich war schon drauf und dran abzusagen und zu Fuß nach Hause zu laufen, als es auf einmal heftig donnerte.

„Ein Gewitter im Winter..? hm.. seltsam…“, sprach er meine Gedanken aus. Kurz sah er zum Fenster und dann wieder zu mir. Ich hatte das Gefühl mir wäre das gesamte Blut aus dem Kopf gesprungen. Wieder krachte es und ich zuckte stark zusammen. Ich fürchtete mich vor Gewittern, aber das konnte ich ihm doch nicht sagen. Was würde er dann von mir denken?

Warm lächelte er mich an: „Na komm ich fahr dich schnell nachhause.“ Dann ergriff er meine Hand und zog mich leicht mit sich nach unten. Die junge Frau von eben brachte uns unsere Mäntel wieder und im rausgehen rief Rob noch, dass er mich nach Hause fahren würde, bevor die große Tür zuschlug.

Er setzte mich auf den Beifahrersitz und lief dann einmal im Regen ums Auto. Schnell und sicher lenkte Rob das Auto durch die Stadt und dann die Landstraße lang zu meinem Zuhause. Am Tor angekommen stieg ich schnell aus und gab den Code am Tor ein, damit sich dieses öffnete. Dann sprintete ich zurück zum Auto uns saß gerade wieder auf dem weichen Ledersitz als der nächste Blitz über den Himmel zuckte. Ich erschrak fürchterlich, doch anstatt mich auszulachen drückte Rob meine Hand und fuhr weiter. Wieso war er auf einmal so ausgesprochen nett zu mir?

Er parkte das Auto vor der Tür und ließ mich aussteigen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken ob ich ihn einfach fahren lassen sollte oder doch lieber noch ins Haus bitten sollte. Ich entschloss mich es ihm zumindest anzubieten, schließlich war es fürchterlich am Gewittern und am Regnen. Und zugegeben ich wollte ihn bei diesem Wetter nicht alleine fahren lassen, auch wenn unsere Beziehung rein schulischen Zwecken diente.

Er lehnte dankend ab, seine Eltern würden sich sorgen machen wenn er nicht sofort nach Hause kommen würde. Schnell verabschiedete Rob sich und fuhr dann davon. Seine Absage hatte einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund hinterlassen und ein Stechen in meiner Brust. Ich wusste er hatte nicht abgesagt wegen seinen Eltern, da war etwas anderes…

7. Kapitel - Tattoos und andere Probleme

Gerade als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, wurde ich auch schon von Adrian ins Wohnzimmer gezogen.

„Du hast es versprochen als sag jetzt, seit wann und wieso hast du ein Tattoo?!“ er konnte gar nicht mehr ruhig bleiben, tigerte ununterbrochen durch den Raum und sah mich immer wieder an. Mal wütend, mal mit Angst in den Augen und mal ganz normal lächelnd.

„Ok, jetzt lass mich erstmal reinkommen und meinen Mantel wegbringen. Dann wirst du etwas ruhiger und hörst auf mich so zu drängen. Ich erklär' dir gleich alles.“ versuchte ich ihn zum stehen bleiben zu bewegen und brachte dann meinen vom Regen durchnässten Mantel zur Garderobe.

Kaum war ich wieder im Wohnzimmer, kam Adrian wieder auf mich zu. Ich winkte ab und deutete auf die bequeme Couch. Ich war erschöpft und wollte mich eigentlich nur noch zusammen rollen und einschlafen, doch ich hatte Adrian versprochen es ihm zu erzählen.

„Ok, also zu dem Tattoo... ich weiß nicht wieso ich es habe, aber ich weiß, dass ich es habe seit dem Augenblick in dem Mutter starb und ich beschloss mich um euch zu kümmern. Und... es wächst...“ ich sah ihm in die Augen und hoffte, dass er mir glauben würde. Ich glaubte mir ja nicht mal selbst und ich war dabei gewesen. Doch anders als erwartet, sah mich Adrian einfach nur an und nickte dann, er sagte noch, er würde es verstehen und würde mal Sumire fragen, die sich mit sowas auskannte und verließ dann das Zimmer. Baff sah ich ihm hinterher. Das war ja noch nie vorgekommen, dass Adrian mal nachgab und sich leise zurückzog. Laut gähnte ich und rollte mich dann wie in meiner Vorstellung auf der Couch zusammen. Ich hatte einfach keine Lust mehr aufzustehen und hoch in mein Zimmer zu gehen.

Am nächsten Morgen erwachte ich schon früh durch das Klingeln des Telefons und als nach dem fünften Klingeln noch immer keiner rangegangen war, kroch ich von der Couch und ging, noch halb schlafend ans Telefon.

„Wittmann.. oh-ahhh.“ gähnte ich mehr ins Telefon als zu reden, doch als ich ein Schluchzen vom anderen Ende der Leitung hörte, war ich hellwach.

„Was ist passiert? Wo bist du? Soll ich dich holen kommen?“ Wieder ein Schluchzen, dann vernahm ich Blains Stimme.

„Ich.. Ich bin bei Fenix... Er.. hat mir die Tür.. vor der Nase zu.. zu.. zugeschlagen..“ Immer wieder unterbrach er sich durch ein Schniefen. Ich dachte nicht lang nach und sagte Blaine, er solle bleiben wo er war, dann zog ich mir in Windeseile meine Schuhe und Mantel an, zum Glück war ich gestern Abend zu Müde gewesen um mich noch umzuziehen.

Mit schnellen Schritten lief ich in die Garage und entsicherte mein Auto schon einige Meter bevor ich an der Fahrertür ankam. Als ich aus der Garage und durch das Tor fuhr, war ich mehr als glücklich, dass ich mir den Weg zu Fenix nach Hause gemerkt hatte. Ich bretterte über die Straßen und hoffte inständig, dass mich jetzt kein Polizist anhielt.

Ich bog gerade auf die Straße ein, in der der, von ihm tausendmal verfluchte, Freund meines Bruders wohnte, als ich von weitem schon Schreie hörte. In meinem Kopf entwickelte sich eine grausame Vorstellung, wie Fenix Blaine anschreien würde und nichts mehr von ihm wissen wollte. Dabei hing Blaine sehr an seinem Fenix. Leise schwor ich mir, dass, wenn Fenix Blaine weh tun würde, ich es ihm gleichtun würde. Doch als ich mein Auto am Straßenrand parkte und ausstieg war weit und breit weder Blaine noch Fenix zu sehen.

Ich ging auf die Türe zu und lauschte. Auch die Schreie waren verstummt. Prüfend legte ich mein Ohr an die Tür, doch auch so hörte ich keinen Mucks. Langsam ging ich um das Haus rum in den Garten um nach zu sehen, ob die beiden sich hierher verzogen hatten. Jedoch fand ich erneut niemanden vor. Ich stampfte wütend wieder zur Haustür und klingelte. Es regte sich nichts. Ich klingelte erneut und solange bis sich die Tür für einen Spalt öffnete. Fenix sah mich nur mit großen Augen an und murmelte, dass Blaine nicht bei ihm wäre. Dann knallte er mir die Türe vor dem Gesicht zu.

Verwirrt und wie ein begossener Pudel stand ich da und fragte mich, wo Blaine sein könnte. Flink zog ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte seine Nummer, während ich mich wieder ins Auto setzte. Nach dem vierten Klingeln nahm er ab, er klang immer noch verweint, aber zumindest schniefte er nicht mehr so sehr und konnte vernünftig reden.

„Wo bist du?!“ fragte ich sofort „Ich hab dir doch gesagt, du sollst hier warten, dass ich dich holen komme“ besorgt sah ich aus dem Fenster, wo steckte er und wieso ließ er sich soviel Zeit zum Antworten. Hatte ich da gerade das Rauschen von Wasser gehört? Ja ich war mir sicher, aber noch bevor ich fragen konnte, hatte Blaine aufgelegt.

Leise fluchte ich vor mich hin und fuhr los zum Stadtrand. Dort angekommen stieg ich aus und lief den Wanderweg entlang bis zu der Lichtung, auf der sich die Höhle befand. Von da aus ging ich noch ein Stückchen weiter durch den Wald, bis ich zu einer Klippe kam. Hier hörte ich ganz deutlich das Rauschen des nahe gelegenen Wasserfalls. Mit den Augen überflog ich die große Fläche vor mir und entdeckte Blaine kaum zwei Meter vom Abgrund entfernt.

„BLAINE! Komm sofort da weg!“ schrie ich ihm panisch zu. Ich befürchtete das
Schlimmste. Doch er sah mich nur an und kam dann langsam auf mich zu. Erst schien er verwirrt zu sein, weshalb ich mich so panisch verhielt, doch dann begriff er es.

„Keine Sorge Rubi.. ich wollte nicht springen. Hier ist es nur so schön, hier kann man in Ruhe für sich selbst sein und nachdenken.“ fing er an, sobald er vor mir stand. Erleichtert atmete ich aus und schloss ihn in meine Arme.

„Bitte jage mir nie wieder so einen Schrecken ein.“ immer noch erleichtert zog ich ihn mit zur Höhle. Drinnen ließen wir uns auf die improvisierten Betten fallen. Ich dachte daran, was ich gemacht hätte, wenn Blaine wirklich gesprungen wäre, wenn er der Meinung gewesen wäre ohne Fenix nicht leben zu können. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Darüber wollte ich gar nicht nachdenken, denn wenn ich ehrlich war, ich hätte wahrscheinlich Fenix dafür schuldig gemacht und hätte ihn auf Ewig gehasst, aber dann hätte ich mich einfach in mein Bett verzogen für die nächsten Jahrzehnte und hätte Fenix ziehen lassen. Ich war viel zu feige um ihm sein Leben für das von Blaine zu nehmen. Ich entließ einen tiefen Seufzer aus meinen Lungen und drehte mich auf die Seite um Blaine anzusehen.

Er saß aufrecht auf der Matratze und sah mich an oder eher er sah durch mich hindurch. Zu gerne hätte ich gewusst, was ihm durch den Kopf ging. Leise um ihn ja nicht aus seinen Gedanken zu holen, stand ich auf und ging in die Küche. Aus einem zusammen gebastelten Regal holte ich zwei Tassen und eine große gusseiserne Kanne. Diese befüllte ich mit Wasser aus der Quelle und stellte sie zum Erhitzen des Wassers auf eine Flamme. Während das Wasser kochte verließ ich die Höhle und suchte im Licht der untergehenden Sonne nach Melissa officinalis, auch Zitronenmelisse genannt. Tatsächlich fand ich am Rande der Lichtung einige kleine Pflänzchen. Schnell pflückte ich ein paar Blätter der beruhigenden Kräuter und kehrte wieder in die Küche zurück.

Mittlerweile kochte das Wasser, ich nahm es vom Feuer und goss in beide Tassen etwas der klaren Flüssigkeit. Dann gab ich in jede Tasse ein paar Blätter des Krautes und ließ es ziehen. Nach ein paar Minuten verbreitet sich schon der typische Geruch nach Zitrone in der kleinen Küche aus. Zufrieden lächelte ich und nahm die beiden Tassen. Blaine saß noch immer genauso da, wie ich ihn verlassen hatte. Ich räusperte mich und reichte ihm dann eine Tasse als er aufsah.

„Danke“ murmelte er und nippte an der Tasse. Ich setzte mich ihm wieder gegenüber und tat es ihm gleich. Der Tee schmeckte gut, vielleicht nicht so süß wie die meisten ihren Tee tranken, aber erfrischend. Und vor allem hatte Tee aus Melisse eine beruhigende Wirkung, die Blaine meines Erachtens im Moment sehr gut gebrauchen konnte.

Ich sah ihm dabei zu, wie er die Tasse leerte und sie dann auf den Boden stellte. Dann saß er noch ein bisschen stocksteif auf dem Bett bevor ihm langsam die Augen zufielen. Lächelnd legte ich ihn ins Bett und deckte ihn behutsam zu. Blaine sah so friedlich aus, wenn er schlief. So als ob alles in bester Ordnung wäre, selbst wenn es nicht so schien. Wie so oft, als wir noch in der Höhle wohnten, gab ich ihm eine Kuss auf die Stirn und sah auf ihn herab mit den liebenden Blicken einer Mutter. Auch wenn ich nicht wirklich seine Mutter oder die der anderen war, fühlte ich mich doch so, als müsste ich auf sie aufpassen. Ich spürte die Verantwortung, die Mutter mir übertragen hatte, als sie starb.

Während Blaine vor sich hin schlummerte, verließ ich nochmal die Höhle. Die Sonne war inzwischen vollkommen hinter den Bergen verschwunden, nur noch der Mond spendete etwas weißes mattes Licht. Um ihn herum befanden sich Sterne, als wäre einem der Salzstreuer umgekippt. Die frische Abendluft genießend lief ich zu der Wiese bei der Klippe und während ich lief, wählte ich die Nummer von Zuhause. Ich musste meinen Geschwistern einfach Bescheid geben, denn das Letzte was ich wollte war, dass sich unsere Geschwister Sorgen um uns machten.

8. Kapitel - Jede Wahrheit kommt irgendwann ans Licht

Am nächsten Morgen -sobald die Sonne aufgegangen war- verließen Blaine und ich die Höhle und machten uns auf den Weg zu meinem Auto. Dann fuhren wir nach Hause, ich ließ jedoch nur Blaine raus und drehte dann gleich wieder um. Ich würde es nicht auf mir sitzen lassen, dass Fenix meinen Bruder verletzt hatte und mir zusätzlich auch noch die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.

Mit Vollgas raste ich zu Fenix' Haus, parkte aber etwas weiter weg um nicht gleich seine Aufmerksamkeit auf meinen roten Maserati zu ziehen. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und wählte seine Nummer.

Tuuuut - Tuuuut - Tuuuut - Hallo, hier ist die Mailbox von der Nummer 015...

Er ging nicht ran. Wütend schlug ich auf Lenkrad und wählte erneut. Wieder kam das Freizeichen und dann die Mailbox. Ich schmiss mein Handy auf den Beifahrersitz überlegte kurz und nahm es wieder auf. Flink änderte ich in meinem Menü, dass meine Rufnummer unterdrückt werden sollte und wählte dann erneut. Abermals nahm er nicht ab, sondern ließ die Mailbox rangehen. Jetzt kochte ich gerade so über vor Wut. Ich steckte mein Handy zurück in meine Hosentasche und stieg aus. Geladen wie eine Pistole, zum Schuss bereit, stampfte ich Richtung Haustür. Ich konnte mich gerade noch so hinter einer Hauswand verstecken, als Fenix auf einmal mit einem jungen Mann aus dem Haus kam.

Ich beobachtete sie und versuchte zu verstehen, was die beiden miteinander besprachen. Insgeheim befürchtete ich, dass er meinem kleinen Blaine fremdging. Wieder kochte in mir die Wut, ich konnte mich gerade noch soweit zurück halten, dass ich normal auf Fenix und seine vermeintliche Affäre zu gehen konnte. Als Fenix mich erblickte murmelte er kurz etwas un verschwand dann wieder im Haus.

„Hey! Warte gefälligst Fenix! Du schuldest mir und vor allem Blaine eine Erklärung!“ doch noch bevor ich zu Ende geschrien hatte, war die Türe zu. Ein tiefer Seufzer entglitt meinen Lippen. Ich hatte doch vorgehabt nach Hause zu kommen und erklären zu können warum Fenix so handelte. Und ich wollte beim besten Willen nicht einem ohnehin schon am Boden zerstörten Blaine erzählen müssen, dass sein geliebter Freund einen neuen hatte.

„Ähm entschuldigen sie.. Sind sie die Freundin von Fenix?“ fragte mich nun der junge Mann. Ich sah ihn mir genauer an. Breite Schultern, kurze schwarze Haare, ca. 1,90m groß, ein markantes Gesicht, dichte schwarze Wimpern, die große stahlblaue Augen umrahmen. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und Fenix war nicht zu leugnen. Doch soweit ich wusste hatte Blaine nur eine Schwester und keinen Bruder...

„Äh... nein ich bin die Schwester von seinem Freund. Mein Bruder ist am Boden zerstört, weil er hier ihn vollkommen ignoriert und nicht mal gesagt hat weshalb.“ antwortete ich mit einem säuerlichen Unterton in der Stimme und nickte zur Tür, hinter der Fenix verschwunden war.

„Oh. Ich wusste garnicht, dass Fenny schwul ist.“ Verwunderung trat in seine Augen. „Aber sei ihm nicht böse. Seine Eltern und seine kleine Sis sind vor kurzem bei einem Unfall ums Leben gekommen.“ Entgeistert starre ich den Fremden an. „Ach ja, ich bin übrigens Fleur Truebner, ich bin eigentlich sein Bruder, aber er hat mich nie akzeptiert.. ich hoffe es ist ok, dass ich dich duze?“

„Ja, es ist ok. Ich finde es sowieso komisch gesiezt zu werden, dann fühle ich mich immer so alt. Ich heiße Rubinia Wittmann.“ ich kann nicht anders als ihn an zu lächeln. Doch sofort fällt mir das Lächeln wieder aus dem Gesicht, als ich seine Worte richtig begreife. „Wenn du sein Bruder bist, warum akzeptiert er dich dann nicht?“ frage ich neugierig „Wenn ich das fragen darf..“ Kurz scheint er zu überlegen, doch dann schüttelt er mit dem Kopf.

„Ich würde das lieber nicht erzählen, zumindest nicht ohne Fenix' Einwilligung. Schließlich betrifft es ihn auch.“ verständnisvoll nicke ich. Kurz wäge ich den Gedanken ab, ihn noch mehr nach Fenix auszufragen, komme aber zu dem Schluss, dass er nichts preisgeben würde. Ich beschließe also mich erstmal mit dem zufrieden zu geben und will ich verabschieden, doch er hält mich auf.

„Darf ich dich vielleicht noch zu einem Café einladen?“ er lächelt mich warm an, doch ich lehne trotzdem ab.

„Nein danke, ich bin heute nur her gekommen um heraus zu finden, was mit Fenix los ist. Ich muss nun wieder zurück nach Hause und meinem Bruder beibringen, dass er Fenix nur etwas Zeit geben muss. Er wird es bestimmt verstehen. Wir wissen wie es ist jemanden zu verlieren, der einem wichtig ist.“ ich wusste nicht warum ich es ihm sagte, doch ich hatte das Gefühl ich könnte ihm vertrauen. Zustimmend nickte er mir zu und verabschiedete sich dann mit den Worten, wir können uns ja ein andermal bei einem Café besser kennenlernen.

Ich nickte ebenfalls und ging dann mit großen Schritten zurück zum Auto. Sofort startete ich den Motor und fuhr nach Hause. Unterwegs überlegte ich mir wie ich Blaine am besten die ganze Situation erklären könnte und kam schließlich zu dem Schluss es ihm zu sagen wenn Skyla auch dabei war. So hatte er wenigstens jemand bekanntes, warmes, der er vertraute an, die er sich klammern konnte.

9. Kapitel - Scheitern oder nicht scheitern: das ist hier die Frage

Zu dritt saßen wir im Wohnzimmer auf der Couch. Ich hatte Blaine alles erzählt, was passiert war und was ich erfahren hatte. Nun weinte er hemmungslos, ließ sich aber nicht von mir oder Skyla trösten. Stattdessen wischte er nach einer Zeit einfach die Tränen weg und verkündete, dass wir Fenix aufmuntern müssten.

„Aber wie sollen wir das schaffen?“ war meine erste Reaktion. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass wir ihn irgendwie aus seinem Schneckenhaus holen könnten.

„Wir garnicht, aber ich. Und ich habe auch nicht vor ihn abzulenken oder so, aber er soll wissen, dass er immer mit mir reden kann, dass ich für ihn da bin, dass ich ihn liebe.“ Blaine wird zum Ende hin immer leiser, bis er nur noch leise vor sich hin murmelt. Jedoch laut genug, dass wir es hören. Leider hatte es auch Garret gehört, der grade das Wohnzimmer betrat.

„Du liebst ihn?! Wie kannst du einen Jungen lieben? Stößt es dich so sehr ab normal zu sein?“ Sofort springen Skyla und ich auf.

„Garret es ist doch nicht unnormal wenn man jemanden vom gleichen Geschlecht liebt! Liebe ist das normalste der Welt! DU solltest DICH lieber fragen ob es dich so sehr abstößt deinen eigenen Bruder glücklich zu sehen!“ Ich kann mich nicht zurück halten und so schreie ich ihm einfach alles entgegen was mir durch den Kopf geht. Es tut mir zwar schon im Nachhinein leid, jedoch sollte Garret wissen was er da von Blaine verlangt. Er ist ohnehin schon traurig wegen Fenix, da muss Garret ihm nicht auch noch ein schlechtes Gewissen einreden. Einen Moment sah Gar mich einfach nur stumm wie ein Fisch an, ließ seinen Blick dann zu Skyla schweifen und warf schließlich einen verächtlichen Blick zu Blaine, bevor er schnaufend das Zimmer verließ.

„Ich glaube ich werde nie verstehen warum Gar es so sehr hasst, dass Blaine mit einem Jungen zusammen ist.“ seufzte Skyla und ließ sich wieder neben Blaine auf das Sofa fallen.

„Er mag halt keine Veränderungen, deshalb kann er auch Ian nicht leiden.“ gab ich als Antwort und ließ mich ebenfalls wieder nieder. „Aber jetzt erstmal zurück zu Fenix und dir... Was hast du vor? Wie können wir dir helfen?“ wechselte ich schnell zurück zum eigentlichen Thema.

„Ich möchte ihn morgen in der Schule erstmal in Ruhe lassen und mich dann in den Pausen einfach zu ihm setzten. Wir müssen ja nicht reden, einfach nur bei ihm sein. Ich weiß noch als Mutter starb wollte ich auch nicht reden, ich wollte in Ruhe gelassen werden, aber nicht alleine! Und genau deshalb will ich für ihn da sein, damit er nicht alleine ist, aber trotzdem in Ruhe um seine Eltern und seine Schwester trauern kann!“ Ich war gerührt von seinen Worten und hoffte inständig, dass sein Plan aufgehen würde.

Am nächsten Morgen in der Schule verlor ich Blaine im Gedränge der Schüler schnell aus den Augen. Stattdessen lief ich genau in Rob rein. Er begrüßte mich mit einem Lächeln und zog mich mit in einen abgelegenen Korridor. Es war ungewohnt freundlich von ihm behandelt zu werden und erst befürchtete ich, er hätte mich mit sich gezogen um mich alleine als Grufti zu betiteln und sich über mich lustig zu machen. Doch es war anders, irgendwie.

Rob schob mich an die Wand, rechts und links von mir stützte er sich mit seinen Armen ab. Mir war jede Fluchtmöglichkeit genommen. Also blieb mir nichts anderes über als im starr in die Augen zu sehen. Wieder mal fühlte ich mich überwältigt von dem Wald, der aus seinen Augen zu sprießen schien. Er kam immer näher, beugte sich langsam zu mir runter.

„Rubinia..“ seine Stimme malte meinen Namen förmlich in die Luft. Ich hielt den Atem an und sah auf seine Lippen. Nur noch wenige Zentimeter trennten uns voneinander, ich konnte schon seinen Atem auf meiner Haut spüren. Warm streifte dieser meine Wangen und ließ mich trotz der Wärme erschaudern. Fühlte es sich so an? Diese Spannung, die ich so oft zwischen Blaine und Fenix beobachtete hatte.. Fühlte sie sich so an? Kurz erstarrte ich als seine Lippen endlich auf meine trafen. Es war nur ein flüchtiger Kuss, viel zu schnell löste er sich wieder und sah verlegen zur Seite. Der Augenblick, so schön wie er sich auch angefühlt hatte, war weg. Erst verstand ich nicht, weshalb er den Kuss so schnell gelöst hatte, doch dann hörte ich es auch. „... gehen? ...immer einmischen?!“ Von irgendwoher kamen laute Stimmen, sie kamen mir bekannt vor.

Fenix und Fleur bogen gerade um die Ecke in den Korridor. Wie erstarrt sah ich sie an. Rob stützte sich noch immer rechts und links von mir ab. Die beiden Stimmungskiller blieben mitten in der Bewegung stehen, als sie uns bemerkten. Schnell machte ich mich los und wurde rot im Gesicht.

„Fenix.. Fleur.. äh.. es ist nicht so wie es aussieht.. Wirklich nicht!“ ich spürte wie mir noch mehr Blut ins Gesicht stieg. Verlegen senkte ich den Kopf und huschte dann an ihnen vorbei zum Klassenraum, dabei ließ ich einen ziemlich verwirrt dreinblickenden Rob zurück. Es tat mir furchtbar leid ihn so zurück gelassen zu haben, aber es war mir irgendwie peinlich, dass Fenix und vor allem Fleur mich so sahen. Weshalb ausgerechnet bei Fleur wusste ich nicht, vielleicht lag es daran, dass ich keinen falschen Eindruck bei ihm hinterlassen wollte. Aber war der Eindruck falsch? War es nicht genau das gewesen, was ich mir bei jeder Nachhilfestunde sehnlichst gewünscht hatte? Ich grübelte noch weiter nach während ich den Unterricht erfolgreich ignorierte. Wer wollte schon die Geschichte der Welt nach gekaut haben, wenn er dabei gewesen war?

In der Mittagspause saß ich alleine an einem Tisch in der Ecke und beobachtete Blaine, wie er sich neben Fenix setzte und im leise etwas sagte. Fenix schüttelte immer wieder den Kopf, doch Blaine hörte nicht auf, er redete weiterhin auf ihn ein und aß dann schweigend neben Fenix sein Mittagessen. ZU gern hätte ich gewusst ob es geklappt hatte. Nur vom Beobachten her konnte ich leider nicht darauf schließen ob Fenix verstanden hatte, was Blaine ihm da erzählte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken mich zu ihnen zu setzten, verwarf diesen jedoch wieder als Fenix aufstand und ging. Einfach so ohne noch ein Wort zu Blaine zu sagen, nicht mal irgendeine Geste hatte er zur Verabschiedung gemacht. Er war einfach nur aufgestanden und gegangen.

Aufmerksam beobachtete ich nun Blaines Reaktion darauf. Er schien es gelassen zu nehmen, auch wenn ich es ihm nicht wirklich abkaufte, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte. Ich stand auf und ging zu ihm.

„Hey, Blaine. Hat es geklappt?“ fragte ich und ließ mich neben ihm auf dem Stuhl nieder, auf dem noch vor ein paar Minuten Fenix gesessen hatte. Blaine schwieg. Er sah auf die Tischplatte ohne auch nur ein einziges Zeichen zu geben, wie es gelaufen war.

„Bitte sag doch was..“ setzte ich nach als er eine Viertelstunde später immer noch einzig auf die Tischplatte starrte ohne etwas zu sagen. „Bitte...“ Langsam taute er auf. Er bewegte den Kopf, erst nur millimeterweise, dann schüttelte er heftig den Kopf. Ein paar Tränen fielen auf den tristen grauen Cafeteriatisch. Behutsam nahm ich ihn in den Arm und streichelte über seinen Kopf. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch es fanden immer mehr Tränen ihren weg. Schließlich ging ich mit ihm zu einem Lehrer und sagt ihm, ich würde Blaine nach Hause bringen. Der Lehrer stimmte mir zu, dass es das beste wäre, doch ich sollte danach wieder zur Schule kommen. Ich willigte ein, auch wenn ich lieber bei Blaine bleiben würde...

Vorsichtig setzte ich meinen noch immer weinenden Bruder in meinen Maserati und stieg auf der Fahrerseite ein. Die ganze Fahrt über sah ich immer wieder zu ihm rüber, doch er hörte auch noch nicht auf zu weinen als wir Zuhause waren. Blaine tat mir so leid ich würde ihn am liebsten in sein Bett ringen ihm einen warmen Tee machen und dann die ganze Zeit an seinem Bett sitzen bis er eingeschlafen war, um ihn dann vielleicht auch ab und zu in Arm nehmen zu können. Doch egal wie sehr ich es wollte, ich musste zurück zur Schule. Ich brachte ihn rein in sein Zimmer und machte ihm einen Tee, bei ihm bleiben wie in meiner Vorstellung konnte ich dann ja leider nicht.

Nachdem ich sichergestellt hatte, dass sich Blaine zumindest ein wenig beruhigt hatte fuhr ich zurück zur Schule. Es hatte gerade die erste Stunde nach der Mittagspause begonnen. Ich würde zu spät kommen, so viel stand fest. Als ich in die Klasse kam fehlte allerdings vom Lehrer noch jede Spur. Erleichtert atmete ich auf, es würde garnicht auffallen, dass ich kurz weg gewesen war. Nach weiteren fünf Minuten kam dann auch Herr Schmitt, ein allgemeines Aufstöhnen ging durch die Klasse. Auf Biologie hatte wohl keiner so richtig Lust. Die Stunde flog dennoch nur so dahin, die ganze Zeit über war ich mit den Gedanken bei Blaine. Immer wieder tauchte sein verweintes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Immer wieder sah ich ihn zitternd und schluchzend in seinem Bett sitzen. Immer wieder sah ich seinen starren Blick in der Cafeteria, als er still neben Fenix saß und ihn in Ruhe ließ. Als die Schulglocke, nach der Doppelstunde Bio leutete war ich erleichtert, ich müsste nur noch eine Stunde Mathe mit Frau Maine aushalten.

Obwohl ich mit den Gedanken noch bei Blaine war, schrieb ich alles mit. Ich konnte es mir nicht leisten in diesem Fach etwas zu verpassen, wie sollte ich den dann Rob alles aus der Stunde nochmal erklären, wenn ich nicht wusste was wie durchgenommen hatten. Klar in Geschichte passte ich auch nie wirklich auf, aber da war es um Längen einfacher ihm den Stoff beizubringen als in Mathe. Und wieder hatte ich dieses Gefühl, wie am Morgen bei Fleur. Ich wollte Rob nicht enttäuschen, nicht hängenlassen. Ich wollte ihm wirklich helfen alles zu verstehen. Und so schrieb ich nochmal übersichtlich auf was wir alles während des Themas >>Logarithmen<< durchgenommen hatten. Die Stunde zog sich wie Kaugummi, sie schien doppelt so lange zu gehen wie sonst. Doch auch nach dieser endlosen Klingel erlöste uns schließlich die Schulglocke. Ich war bereits dabei aus dem Klassenraum gehen, als Rob mich noch zurück hielt.

„Hey, Rubi warte mal.“ tatsächlich blieb ich sofort wie angewurzelt stehen. Sofort war mir wieder die Szene von heute morgen im Sinn. Langsam drehte ich mich zu ihm um und sah ihn abwartend an. „Wir könnten die Nachhilfestunde heute doch nach draußen verlegen. Das Wetter ist so schön, da können wir doch unmöglich die ganze Zeit in meinem stickigen Zimmer hocken.“ zögerlich nickte ich. Nachhilfe. Heute. Mist das hatte ich ganz vergessen.

„Ok, ich muss vorher aber nochmal nach Hause.“ gab ich dann doch als Antwort anstatt nur zu nicken. Rob legte den Kopf schief und musterte mich. Dann zuckte er mit den Achseln. Ich verabschiedete mich und ging mit zügigen Schritten zu meinem Auto. Dann fuhr ich schnell nach Hause und hoffte mal wieder, dass mich kein Polizist erwischte. Die ganze Zeit über fuhr Rob in seinem Corsa hinter mir her. Und als ich an unserem Tor ankam und den Code eingab, fuhr er mit durch den Eisenzaun. Kopfschüttelnd stieg ich aus und warf Rob noch einen Blick zu bevor ich im Haus verschwand. Er hatte doch tatsächlich vor im Auto zu warten. Mein Angebot mit rein zu kommen hatte er komplett ignoriert.

Zügig lief ich zu Blaines Zimmer und klopfte an. Keine Reaktion. Ich klopfte erneut. Wieder nichts. Dann öffnete ich einfach die Tür. Blaine war eingeschlafen. Er lag ganz ruhig auf seinem Bett und atmete in immer gleichen Abständen ein und aus. Ich lächelte etwas und gab ihm dann einen Kuss auf die Stirn. Ein mal mehr fühlte ich mich wie eine Mutter für ihn. Es machte mir nichts aus die Mutterfigur darzustellen, es machte mich glücklich für meine Geschwister da sein zu können, für sie verantwortlich zu sein.

Nachdem sich meine Gedanken nicht mehr nur um Blaine drehten, weil ich nun wusste, dass es ihm gut ging, verließ ich wieder das Haus und ging zu Rob. Ohne einen Laut von mir zu geben öffnete ich die Beifahrertür und stieg ein. Er fuhr genauso still los und auch während der gesamten Fahrt sagte keiner von uns beiden etwas. Es war aber nicht unangenehm, eher eine schöne Stille. Beruhigend. Viel zu schnell kamen wir bei Robs Zuhause an und mussten aussteigen. Ich hatte ehrlich gesagt etwas Bammel vor der Nachhilfestunde, ich hatte Angst, dass das selbe wie im Schulkorridor erneut passieren würde.

 

 

 

10. Kapitel - Unerwartete Einladung

In gemäßigtem Tempo ging Rob zur Tür und schloss sie auf. Zögerlich folgte ich ihm, immer darauf bedachte etwas Abstand zwischen uns zu lassen. Die Treppe rechts nach oben, dann die zweite Tür, wenn man den Korridor nach links entlang lief, den Weg kannte ich schon. Rob ließ mir den Vortritt, also betrat ich vor ihm sein aufgeräumtes Zimmer. Kaum zu glauben, dass hier wirklich der beliebteste Junge der Klasse wohnte. Alles schien so aufgeräumt und irgendwie unpersönlich. Fast schon steril. Selbst bei genauerem Hinsehen schienen die Wandfarbe und seine Videospiele die einigen Sachen zu sein, die er selbst ausgesucht hatte. Das heißt falls er die Farbe selbst ausgesucht hat.

Wie immer setzten wir uns an seinen Schreibtisch und ich fing an ihm den neusten Unterrichtsstoff zu erklären. Mittlerweile verstand er die Aufgaben schon beim ersten Erklären und löste sie ohne Probleme. Wenn er bei der nächsten Klausur ebenfalls die Aufgaben so lösen würde, bräuchte er keine Nachhilfe mehr. Irgendwie traurig, auch wenn ich zuerst nicht dazu gezwungen sein wollte so viel Zeit mit ihm zu verbringen, war es doch gar nicht so schlimm. Eigentlich war es sogar ganz schön mit ihm Zeit zu verbringen.

"Ob er es wohl auch traurig findet, dass dies hier vielleicht schon die letzte Nachhilfestunde ist?" ging es mir wohl schon zum tausendsten mal durch den Kopf. Unauffällig schielte ich zu ihm rüber, er sah ganz entspannt aus. Als würden ihm die Aufgaben nichts ausmachen. Er wirkt als hätte er nie Nachhilfe nötig gehabt.. Und plötzlich fiel der Groschen. Rob hatte immer und immer wieder nur kleine Fehler gemacht, die eher so wirkten als würde er sie absichtlich machen. 

"Sag mal.. kann es sein, dass du nur vorgegeben hast Hilfe in der Schule zu brauchen?" noch bevor ich die Frage ganz beendet hatte, kam sie mir absurd vor. Wieso sollte er so etwas machen? Vielleicht um mir nah zu sein? Absurd! Er konnte doch garnicht wissen wen Frau Maine fragen würde.. Oder etwa doch? Klar, ich war Klassenbeste in allen Unterrichtsfächern, außer Sport, aber war es dadurch selbstverständlich, dass Frau Maine mich darum bitten würde Rob Nachhilfe zu geben?

"... Rubinia!" Erschrocken fuhr ich zusammen und sah Rob verdutzt an. 

"Was ist?" kaum hatten die Wörter meinen Mund verlassen fing Rob auch schon an zu lachen.

"Du warst so in Gedanken vertieft, dass du garnicht mitbekommen hast, wie ich deine Frage beantwortet hab." Was hatte dieser Schimmer in seinen Augen zu bedeuten? "Du hast schon recht.. eigentlich würde ich keine Nachhilfe brauchen, wenn ich nur etwas mehr in der Schule aufpassen würde und viele meiner Fehler sind eher Flüchtigkeitsfehler.. aber weißt du, sowas darf ich mir nicht leisten.. Ich muss doch später die Firma meiner Eltern übernehmen.." schelmisch lächelte er mich an und zwinkerte mir zu. Dann stand er auf und verließ den Raum.

Erst überlegte ich ob ich ihm folgen sollte, blieb dann aber still schweigend zurück. Er würde schon irgendwann wieder komme. Tatsächlich betrat er bereits nach circa 10 Minuten erneut das Zimmer. Er hatte einen großen Stapel mit Umschlägen bei sich, die er alle kurzerhand auf sein Bett fallen ließ. Dann wühlte er wie verrückt in dem Haufen, bis er den gefunden hatte, nach dem er anscheinend gesucht hatte. Schon vom weiten sah er anders aus als die anderen, irgendwie besonders. Dieser Umschlag war blütenweiß mit roten Ornamenten darauf. Lächelnd übergab er mir diesen. Vorne, in der Mitte des Umschlags prangte in einer sehr schönen, verschnörkelter Schrift mein Name. Vollkommen baff sah ich Rob an.

"Ist.. ist der für mich?" Immer noch lächelnd kam Rob nun noch einen Schritt auf mich zu. Er nickte und sah mich an als wollte er fragen "Für wen auch sonst?!" Mit zitternden Fingern wollte ich mich daran machen den Umschlag zu öffnen, aber Rob hielt mich auf. 

"Warte bitte bis zuhause.." flüsterte er mir ins Ohr. Wann war er mir so nahe gekommen? Einerseits genoss ich diese Nähe, doch mit einem Mal fiel mir die Szene auf dem Schulflur wieder ein und ich stolperte einen Schritt nach hinten. Hätte Rob mich nicht festgehalten, wäre ich ziemlich sicher auf dem Boden gelandet. Nervös machte ich mich von ihm los und entschuldigte mich für mein Verhalten. 

Anstatt mich aber auszulachen schob er seine Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. 

"Stößt es dich so sehr ab in meiner Nähe zu sein?" fragte Rob mich mit ernster Stimme. Und schimmerten da etwa Tränen in seinen Augen? Nein! Das konnte nicht sein. Wahrscheinlich machte er sich nur wieder lustig über mich. Erneut machte ich mich los und verließ dann sein Zimmer und das Haus. Erst als ich draußen vor der Tür stand registrierte ich, dass ich mit ihm zusammen hergefahren war, also jetzt kein Auto hatte. Somit macht ich mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Unterwegs spielte ich kurz mit dem Gedanken bei der Hölle vorbei zu schauen, verwarf diesen jedoch sofort. Das Einzige was ich im Moment wollte war mich Zuhause auf meinem Bett zusammen rollen und nie wieder in die Schule oder allgemein in die Öffentlichkeit zurückkehren. 

Zuhause angekommen fiel mir jedoch der Umschlag von Rob wieder ein. Auch wenn ich nicht an ihn denken wollte, so wollte ich doch zumindest wissen was sich in diesem Umschlag befand. Langsam und zögerlich öffnete ich diesen und holte ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. 

 

 

*Für die, die es nicht lesen können:

Rubinia,

ich würde mich freuen, wenn du zu meiner Party kommst. Ich weiß, das kommt etwas plötzlich, aber ich möchte gerne alles wieder gut machen. Außerdem muss ich mich entschuldigen, du bist gar nicht so übel wie wir alle immer angenommen haben.

Also komm doch bitte auch!

Samstag, 20:00 Uhr bei mir Zuhause

Rob

 

 

 

Impressum

Texte: Selina Reynen
Bildmaterialien: Lyn Mara
Lektorat: Larissa P.
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an alle, die diesem Buch ein Herzchen geben und brauchbare Kritik da lassen und einen besonderen Dank an Lyn Mara für dieses geniale Cover und für die Teilnahme am Coverwettbewerb, wodurch ich jetzt in den Empfehlungen von Bookrix stehe *^* (stellt euch einen hohen Quitscher, der Freude und Dankbarkeit vor) Ebenfalls ein großes Dankeschön an die, die sich mit dem Korrigieren der Audrucks- und Rechtschreibefehler herumgeschlagen hat : Lari (redskull) :**

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