Cover

One last Kiss

Unruhig sah ich zur Tür. Leon fehlte schon wieder. Was war nur mit ihm, unserem fleißigsten Schüler, los? Der Lehrer wusste von nichts oder tat zumindest so. Aber es musste was Schlimmes sein, denn sonst kam er doch sogar mit Fieber zur Schule, nur um nichts zu verpassen.

Ich musste zugeben, dass ich mir Sorgen um den rot-braunen Wuschelkopf machte, große sogar. Es war zwar sonst nicht meine Art, doch nach der Schule ging ich tatsächlich in das kleine Schulsekretariat und fragte nach Leons Adresse.

Nach langem betteln gab die Frau hinter dem Tresen mir seine Adresse und Nummer. Kaum betrat ich den Gehweg außerhalb der Schule gab ich seine Nummer ein und wartete auf das Freizeichen. Es kam nicht.

Deshalb machte ich mich erst einmal auf den Weg nach Hause und versuchte unterwegs noch weitere vier mal ihn zu erreichen. Doch jedes mal kam das Besetztzeichen. Zuhause lief ich auf mein Zimmer und wählte erneut die Nummer. Ich wollte schon wieder auflegen, als eine brüchige Frauenstimme sich meldete, „Hier bei Schuster,“ weiter kam sie nicht den eine zweite Stimme rief etwas, was ich nicht verstand.

Sofort wurde das Telefonat abgebrochen, aber sie hatte nicht aufgelegt und so hörte ich einen erstickenden Hustenanfall gefolgt von einem Geräusch, was sich anhörte als würde sich jemand übergeben. Nach ein paar endlosen Augenblicken, in denen nichts zu hören war außer einem leisen Wimmern, kam die Frau wieder ans Telefon, „Es tut mir leid, es ist gerade schlecht“, drang ihre Stimme an mein Ohr. Sie wollte schon auflegen, aber ich hatte meine Starre überwunden und hielt sie auf, „Warten sie, ich bin ein Klassenkamerad von Leon, ich wollte fragen, weshalb er nicht mehr zum Unterricht kommt“ Einen Augenblick schien sie verwundert, dann antwortete sie mir etwas was ich mir erst nochmal in Gedanken anhören musste. „Hat euer Klassenlehrer euch nicht Bescheid gesagt? Leon wird nicht mehr in die Schule gehen.“ Ich musste erst mehrmals schlucken bevor ich meiner Stimme wieder traute. „Kann-kann ich vielleicht vorbei kommen?“ Ich wusste auch nicht was mir in dem Moment durch den Kopf ging, aber irgendwie musste ich wohl so eine Art Vorahnung gehabt haben.

Auf meine Frage folgte Schweigen, unterbrochen durch das leise Wimmern, welches immer noch zu hören war. Ich wartete geduldig und wollte meine Frage schon wiederholen als die Frau mich fragte ob ich den wüsste wo sie wohnen würden. Ich bejahte und erhielt darauf hin die Erlaubnis zu kommen.

Ich verabschiedete mich und machte mich sofort auf den Weg. Zum Glück kannte ich mich gut aus, denn so hatte ich schnell das Haus Nummer 23 auf dem Asternweg gefunden. Ich klingelte und wartete dann. Es öffnete mir eine Frau, sie musste es auch gewesen sein, mit der ich telefoniert hatte. Über ihre Wangen flossen unaufhörlich Tränen.

Sie winkte mich rein und bedeutete mir ihr zu folgen. Sie musste Leons Mutter sein, denn sie hatte die gleichen rot-braunen Locken, nur die klaren blauen Augen musste er von seinem Vater haben, ihre waren grün. Ich betrat hinter ihr einen Raum, der wohl mal ein Arbeitszimmer gewesen war, doch jetzt dominierte ein Krankenbett den Raum mit den Bücherregalen. In dem Bett lag ein sehr blasser und krank aussehender Leon, seine sonst so wirren Locken hingen schlapp um sein Gesicht. Außerdem war der strahlende Ausdruck in seinen Augen einem fiebrigen Glanz gewichen. Seine Wangen waren gerötet.

Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen als er mich erblickte. „Lukas-“ weiter kam er nicht den er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Es verpasste mir einen Stich ins Herz ihn so zu sehen. Obwohl er mich wieder an lächelte, war dies nur ein schwacher Abklatsch von seinem sonst so strahlenden Lächeln. Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu.

In den letzten Wochen konnte ich mir nie eingestehen wie ich für ihn empfand, doch ihn jetzt so verletzlich zu sehen gab mir eine Art Stoß. Mir war nun 100 prozentig klar, dass ich mich in diesen kleinen Tollpatsch verliebt hatte.

Ich machte noch einen Schritt nach Vorne und stand jetzt direkt vor dem Krankenbett. Ich sah ihm in die sonst so glänzenden blauen Augen, auf der Suche nach dem Funken den ich so sehr an ihm liebte. Ich war so vertieft in seine Augen, dass ich garnicht merkte wie seine Eltern das Zimmer verlassen hatten. Ich starrte ihn einfach weiter an, bis es ihm anscheinend unangenehm wurde. Leon räusperte sich verlegen und versuchte ein weiteres Mal mit mir zu reden. „Warum bist du hier?“ es gelang ihm, auch wenn seine Stimme brüchig und rau klang. „Weil ich mir Sorgen gemacht habe, Dummerchen“

Er sah mich mit großen Augen an und flüsterte dann zwei Oktaven höher als normal „um mich?“ „Um wenn den sonst?“ antwortete ich schmunzelnd und beobachtete wie er wenn möglich noch roter wurde als ohne hin schon wegen dem Fieber. Wieder vollkommen ernst setzte ich mich zu ihm aufs Bett. „Was hast du eigentlich jetzt ganz genau?“ Er zuckte mit den Schultern und ließ den Kopf hängen. „Die Ärzte wissen nicht was ich habe und auch nicht wie man es behandeln kann, mir bleibt nur abzuwarten und zu hoffen, dass es wieder weg geht ohne großen Schaden zu hinterlassen.“ Ich seufzte und murmelte mehr für mich „Warum trifft es immer die Guten?“ Er schien es jedoch gehört zu haben. Er wollte ansetzen mir zu antworten, wurde aber von einem schlimmen Hustenanfall unterbrochen.

Schneller als ich reagieren konnte war seine Mutter wieder zur Stelle und schirmte ihn von mir ab. So konnte ich ihn zwar nicht mehr sehen, dafür aber hören wie er sich übergab. Und zu meinem Schrecken vernahm ich kurz darauf den metallisch, rostigen Geruch von Blut. Hatte er Blut gespuckt? Nach einer gefühlten Ewigkeit ging seine Mutter wieder und überließ es mir mich um den wimmernden Leon zu kümmern. Zuerst kam es mir seltsam vor, dass seine Mutter ihn in diesem Zustand alleine ließ, doch ich konnte sie auch verstehen. Ich würde am liebsten ebenfalls das Zimmer verlassen um ihn nicht so sehen zu müssen. Doch ich überwand dieses Gefühl und nahm ihn stattdessen in den Arm, immer wieder wurde er von Schluchzern geschüttelt und jedes mal fuhr ich ihm beruhigend durch die Haare. Immer klarer wurde mir wie sehr ich den Kleineren doch liebte und wie sehr ich an ihm hing.

In der Zeit in der ich dort war musste er sich noch mehrmals übergeben und zu Letzt war ich schon so auf ihn eingestimmt, dass ich bereits einige Augenblicke früher die Schüssel nehmen konnte.

Leon tat mir so leid und ich machte mir zu große Sorgen um ihn, als dass ich jetzt einfach gehen könnte, außerdem wusste ich, dass ich zuhause nicht ruhig bleiben könnte und so blieb ich bis zum Abend. Dann musste ich ihn leider verlassen. Seine Familie hatte zwar nichts dagegen, dass ich über Nacht blieb, sie waren froh darüber Leon lächeln zu sehen wenn auch nur sehr schwach. Doch mit meiner Familie war es leider nicht so leicht, sie verstanden nicht warum ich bleiben wollte.

Und so musste ich mich von Leon verabschieden. Wieder hatte ich so ein Gefühl, eine Art Vorahnung, daher lehnte ich mich zum Abschied nach Vorne um ihn zu küssen, dabei flossen mir ein paar Tränen über die Wange und landeten in seinem erhitzen Gesicht. „Ich liebe dich“ flüsterte ich ihm ins Ohr und machte dann kehrt. Irgendwoher wusste ich was jetzt kommen würde und wollte daher so schnell wie möglich raus aus diesem Zimmer und auch raus aus diesem Haus. Doch ich war nicht schnell genug. Ich kam gerade an der Türe an als ich ein rasselndes Husten hörte, gefolgt von dem Schluchzen seiner Mutter. Ich öffnete die Tür und schloss sie direkt wieder hinter mir, um dann dagegen gelehnt zu Boden zu rutschen und mein Gesicht in den Händen zu vergraben. Es war wieder gegangen, hatte aber den größten Schaden angerichtet, denn es gab. Es hatte ihn mitgenommen. Nun konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten, sie flossen mir ungehindert übers Gesicht.

Warum traf es immer die Guten?

Warum ausgerechnet er?

Warum nicht ich?

Warum gerade jetzt?

Warum...?

Impressum

Texte: Moi
Bildmaterialien: Cover von mir selbst gezeichnet und eingescant
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme die Geschichte den verrückten B*tchs aus der Whats App Gruppe, von denen auch die Namen stammen :* und meiner Abf Ich hab euch lieb

Nächste Seite
Seite 1 /