Der Herbst war endlich dem Winter gewichen. Die letzten Blätter waren schon vor Wochen von den Bäumen gefallen, doch es war nie kalt genug um den See gefrieren zu lassen. Der See. Ich liebte diesen Platz, dort war man ungestört. Die Wenigsten kannten diesen verborgenen See inmitten eines idyllischen Waldes. Schon als Kind war ich hier Schlittschuh gefahren. Nun war ich 16 Jahre alt und ziemlich gut. Ich atmete tief durch, direkt nach der Schule war ich hier her gekommen. Mein Atmen malte weiße Wolken in die kalte Luft. Die Schneeflocken tanzten am Himmel und ließen in mir die Lust Pirouetten zu drehen keimen. Ich band meine Schlittschuhe zu und setzte den ersten Fuß aufs Eis. Ich hatte lange gewartete bis der See endlich vollkommen zugefroren war.
Als erstes drehte ich ein paar Runden zur Aufwärmung, ich wollte mich nicht verletzten in wenigen Wochen würde ich das erste Mal zu Landesmeisterschaft dürfen. Ich war schon aufgeregt und wollte auf gar keinen Fall diese Chance in den Sand setzten. Nach 10 Minuten intensivem Aufwärmen schaltete ich meine tragbare Anlage an und ließ den Song meiner Kür laufen. Bedächtig ließ ich mich übers Eis gleiten und spürte den Wind im Gesicht. Ich drehte meine erste Pirouette gefolgt von einem Toeloop und einem Salchow. Zufrieden nickte ich und fuhr eine Runde rückwärts. Wenn alles während der Meisterschaft genauso ablief sollte ich es unter die ersten drei schaffen, denn das war erst der Anfang. Ich hatte noch mehr geplant. Das einzige was mich aufhalten konnte war mein Trainer, der andauernd verhinderte, dass ich zu viele Sachen in eine Kür packte. Er entschied auch welche Sprünge und Drehungen ich schlussendlich zeigen würde und zu welcher Musik. Ich hatte kein Mitsprache-Recht.
Aus Frust sprang ich noch einen Axel und einen Rittberger. Ich war so auf meine Sprünge konzentriert, dass ich das Knacken zuerst nicht wahrnahm. Ich hatte Pech, zu dem Zeitpunkt in dem das Eis zu brechen begann befand ich mich in der ungefähren Mitte des Sees. Ich brach ein. Tauchte zwar wieder auf, aber nur um kurz Luft zu schnappen und gleich wieder abzusinken. Ich war noch nie gut im Schwimmen und erst recht nicht wenn das Wasser so kalt war, dass meine Muskel einfrieren. Ich verfluchte diesen See für seine Abgelegenheit und mich für meine Dummheit allein hierher gegangen zu sein, obwohl ich mir nicht sicher war ob das Eis schon dick genug war.
Ich sank immer mehr ab, bis ich gar nicht mehr an die Oberfläche kam. Ich stieß meinen letzten Atemzug aus und schloss die Augen. Ich hatte meinen Traum nicht erreicht, ich würde sterben. Allein. Unbemerkt. Im Stillen.
Ich sank weiter und trieb immer mehr in die Schwärze des Todes. Würde es so enden? Ein letztes Mal öffnete ich die Augen nur um zu sehen, dass ich mich immer mehr dem Grund näherte. Es würde kein Wunder mehr kommen sagte ich mir in Gedanken, schloss meine Augen wieder und glitt in die unendliche Dunkelheit des Nichts.
Mein Name war Melanie Wilson ich starb im Alter von 16 Jahren zusammen mit meinem Traum an der Landesmeisterschaft teilzunehmen.
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2013
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