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Jonas Tagebuch: 15. November 2019

„Jonas Tagebuch“

von Thomas Peper

 

Vorlesetag 15.11.19

 

Genau um 6.09 heute morgen bin ich wieder vom Pupsgeräusch wachgeworden. Wie jeden Morgen. Das Geräusch mache ich natürlich nicht selber, sondern es kommt aus meinem Handy. Als Weckton. Mein Kumpel Otis hat ihn mir geschenkt – zum Geburtstag. Er hat gesagt, dass er es total lustig findet, wenn man morgens so geweckt wird. Und das finde ich auch.

Meine Mama findet das nicht. Sie sagt, es ist eklig, aber sie muss es ja morgens nicht anhören, oder? Mein Papa, der Professor an einer Universität ist, sagt, mein Humor ist kapriziös. Er sagt immer so komplizierte Sachen, die kein Mensch versteht. Das meiste, was er so erzählt, muss ich immer googeln. Ich könnte ihn natürlich auch einfach fragen, aber dann müsste ich ihn dauernd irgendwas fragen, und dann wäre er bestimmt genervt und würde noch öfter eine Migräne kriegen als sonst schon.

Ich wollte das Wort auch mal googeln, aber Google kannte es nicht. Das fand ich merkwürdig. Kann es sein, dass Papa einfach Wörter erfindet, die es nicht gibt, um damit anzugeben? Hoffentlich haben das seine Studenten noch nicht bemerkt, denn dann könnte er viel Ärger bekommen, wenn die merken, dass er ihnen Sachen erzählt, die es gar nicht gibt.

Vielleicht habe ich es auch nur falsch geschrieben, denn ich habe eigentlich keinen blassen Schimmer, wie es geschrieben wird.

 

Nach dem Pupston stehe ich immer ziemlich schnell auf. Ich hasse es, morgens lange im Bett liegenzubleiben und rumzudösen. Meine Schwester Jette ist ganz anders als ich. Sie hat total Probleme, morgens aufzustehen und verpennt fast jeden Tag. Morgens läuft sie wie eine Wilde die Treppe runter in die Küche, schnappt sich die Kakaotasse, die Mama oder Papa ihr hingestellt haben, trinkt ein bisschen und rennt dann raus zur Bushaltestelle. Ihre Jacke macht sie nie zu, auch wenn es draußen ganz kalt ist, und ein paar Mal ist sie auch schon beim Zuknallen der Haustür mit dem Jackenzipfel hängengeblieben. Das sah witzig aus, weil dann ein Teil der Jacke drinnen war und ein anderer Teil draußen. Jette hat dann ganz viele unanständige Wörter gesagt, und zwar so laut, dass ich sie durch die geschlossene Tür gehört habe. Einige von diesen Wörtern wollte ich mir merken, aber leider habe ich sie vergessen. Vielleicht sollte ich sie das nächste Mal aufschreiben und sie für Otis benutzen, wenn er mir wieder mal mit seiner Faust in den Magen boxt.

Dass Jette morgens so schlechte Laune hat, ist aber total normal. Das liegt nämlich an ihrer Pubertät, denn sie ist schon 16. Ich bin erst 11 und habe noch 5 Jahre bis dahin. Das finde ich gut, denn da habe ich noch viel Zeit, um mich darauf vorzubereiten. Ich habe mir fest vorgenommen, dass meine Pubertät nicht so stressig wird wie bei Jette. Vor ein paar Wochen hatte ich eine gute Idee: in meinem Hausaufgabenheft habe ich eine Liste angefangen, auf der ich aufschreibe, welche Pubertätsfehler Jette macht. Später, wenn ich dann auch so alt bin, lese ich mir einfach die Liste durch und weiß, wie es besser geht.

Zum Beispiel: rechtzeitig aufstehen. Aber das mache ich ja jetzt schon. Auf der Liste steht zum Beispiel auch: nicht so oft schlecht gelaunt sein. Jette ist IMMER schlecht gelaunt. Sie guckt mich ständig genervt oder böse an. Dabei kriegt sie so eine komische Falte zwischen ihren Augenbrauen. Ich hab mal versucht, das mit der Falte nachzumachen, aber es ist mir nicht gelungen. Meine Mama hat es gesehen und mich ängstlich gefragt, ob es mir gut geht. Vielleicht sollte sie das Jette auch mal fragen.

Bei Jette habe ich auch schon versucht, sie morgens mit ein paar Witzen aufzuheitern. Aber das hat nicht geklappt. Ich habe Jette nämlich mal gefragt, wie man einen Idioten warten lässt. Und als sie dann genervt „Keine Ahnung“ gestöhnt hat, habe ich gesagt: „Ich erklär‘s dir später.“ Ich fand das total lustig.

Gute Laune habe ich morgens immer, wenn ich meine vier Toastbrote esse. Also jetzt keine ganzen Brote, sondern vier Scheiben. Immer mit Marmelade drauf, denn meine Mama macht die beste Marmelade der Welt. Mein Papa hat auch mal versucht, Marmelade zu machen, aber die ist nichts geworden. Sie war so fest, dass man sie in Stücke schneiden konnte, und sie hatte eine so komische braune Farbe. Ich hab sie lieber nicht gegessen, sondern sie heimlich in den Mülleimer geworfen, als mein Papa es nicht gesehen hat. Als Universitätsprofessor hat er bestimmt gedacht, dass er alles kann, auch Marmelade. Vielleicht hat er auch so viele komplizierte Wörter im Kopf, dass eine leckere Marmelade keinen Platz mehr darin hat.

Nach dem Frühstück ziehe ich mir die Jacke über und setze mir meinen Schulranzen auf. Das ist übrigens immer noch derselbe wie in der Grundschule. Ich habe damals in der 1. Klasse den coolsten Ranzen bekommen, den es gab, und den werde ich noch ganz lange benutzen – mindestens bis zur 11. Klasse. Der Ranzen war nämlich ziemlich teuer, so dass meine Oma etwas Geld dazu geben musste. Und meine Oma möchte ich nicht enttäuschen, sie ist die beste Oma der Welt – auch wenn sie manchmal meinen Namen vergisst.

Ich renne auch nicht zur Bushaltestelle, sondern laufe gemütlich hin. Es ist nicht weit von unserem Haus, und das Wetter ist heute ganz schön. Es regnet nicht und ist auch nicht zu kalt.

An der Haltestelle steht schon mein Kumpel Otis (der mit dem Handyton, wisst ihr noch?) und haut mir mit seiner dicken Pranke auf die linke Schulter. Schade, dass mir jetzt nicht Jettes Schimpfwörter einfallen. Also sage ich nichts und schaue zur anderen Seite, wo Ferris steht, sein Zwillingsbruder. Eigentlich ist das komisch, dass die beiden Zwillinge sind, denn sie sehen sich kein bisschen ähnlich. Otis ist ziemlich groß und kräftig, und Ferris ist dünn und klein. Ob das daran liegt, dass Otis seinem Bruder auch immer auf die Schulter haut? Vielleicht verhindert sowas ja das Wachstum?

Meine Mama sagt, dass die beiden zweieiige Zwillinge sind. Auch wieder sowas, was ich googeln muss, auch wenn es nur von Mama kommt. Die redet normalerweise so, dass ich es verstehe, aber was haben Zwillinge mit Eiern zu tun?

Im Bus ist es wie immer voll, so dass ich die ganze Zeit stehen muss. Aber ich spiele immer etwas auf meinem Handy, da ist es mir egal, wie voll es ist. Nur wenn mir der dicke Joey aus der Nachbarschule wieder ein Bein stellt, muss ich aufpassen. Aber zum Glück passiert das nicht so oft.

Wenn der Bus an der Schule ankommt, brauche ich gar keinen Joey, um hinzufallen, denn dann drängeln alle im Bus so doll nach draußen, dass ich mitgeschoben werde.

Eigentlich weiß ich gar nicht, warum es immer so ein Gedrängel gibt, denn die meisten sagen immer, dass sie die Schule hassen. Wieso sind sie denn dann so scharf darauf, die ersten im Klassenraum zu sein?

Unser Klassenraum ist ziemlich eng und stinkt. Ich weiß nicht, was da stinkt, aber ich glaube, ich möchte es auch gar nicht wissen. Im Unterricht kann ich mich sowieso nicht auf den Gestank konzentrieren, weil ich ja aufpassen muss, und die Lehrer merken es auch nicht, weil sie schon so alt sind. Wenn man alt ist, dann riecht man nicht mehr so gut. Unser Deutschlehrer hat sich jedenfalls noch nie über den Gestank beschwert. Er ist auch schon sehr alt.

Ich mag ihn nicht, denn er ist total unfair. Als ich mich mal dreimal in einer Stunde gemeldet habe, habe ich trotzdem nur eine 3 als mündliche Note bekommen. Vielleicht sollte ich mich nur einmal melden, und dann gibt es eine 1?

Wir lesen immer so komische Geschichten, über die wir dann diskutieren sollen. In diesen Geschichten geht es immer um Probleme mit anderen oder um irgendwelche Schwierigkeiten. Lehrer haben es immer gerne, wenn man über Probleme redet. Vielleicht kommt das auch mit dem Alter. Da hat man schon viele Jahre mit Problemen auf dem Buckel und möchte vielleicht eher darüber reden.

Jedenfalls ist heute in der ersten Doppelstunde wieder so eine Problemdiskussion. Ich hab aber keine Lust darauf und überlege statt dessen, was in der 2. Doppelstunde kommt. Latein … nein, Moment mal, heute ist ja Vorlesetag, da gehen wir in die Schulbibliothek und hören einem Vorleser zu. Latein finde ich zwar ganz gut, aber das Vorlesen genieße ich immer total. Ich renne ganz schnell in die Ecke mit den vielen Kissen und fläze mich bequem hin. Die meisten Vorleser können ganz gut vorlesen, aber einmal war eine Mutter da, die hatte so eine piepsige Stimme. Das war total anstrengend.

Im Lieblingsfilm meiner Oma kommt auch ein Vorleser vor. Sie hat diesen Film auf DVD und schon so oft bei uns im Wohnzimmer gesehen, dass ich ihn fast auswendig kenne.

Wie der Film heißt, weiß ich nicht mehr. Da kommen ganz viele alte Leute vor, aber er ist trotzdem ganz lustig. Diese Vorleseszene spielt auch in einer Bibliothek oder sowas, und der Typ am Schreibtisch vorne sagt am Anfang:

„Zu Beginn werde ich 22 Gedichte aus dem Zyklus ‚Abschied‘ lesen, dann 8 Balladen aus meiner frühen Schaffensperiode, hierauf 3 Kapitel aus dem Roman Pedokles und zum Schluss ein Trauerspiel in 3 Akten. Dann haben wir Gelegenheit, miteinander zu sprechen.“

Die Zuhörer gucken ihn alle ganz ernst an, wahrscheinlich weil sie Angst haben, dass die ganze Veranstaltung bis morgen dauert und sie zwischendurch auch mal auf Klo müssen. Aber im Film kriegt er dann zum Glück gleich am Anfang einen Schluckauf, der sich ganz witzig anhört. Fast so wie der Pupston in meinem Handy.

Unser Vorleser heute ist ein Lehrer, den ich nicht kenne, aber er kann trotzdem ganz gut lesen. Er liest eine Geschichte über den Schultag eines 11jährigen Jungen. Der Junge in der Geschichte ist fast so wie ich – es ist mir beinahe ein bisschen unheimlich, wie sehr ich ihm ähnele. Und er erlebt auch fast dieselben Sachen.

Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich selbst so normal bin, dass es ganz viele 11jährige Jungen gibt, die so sind wie ich?

Wenn man über solche Dinge nachdenkt, dann nennt man das Philosophie. Das hat mir auch mein Papa gesagt. Habe ich euch schon erzählt, dass er Professor an einer Universität ist?

Egal. Er macht da auch so viele Sachen mit Philosophie, die so schwer sind, dass man es sicher nicht mit googeln hinkriegt. Oder man müsste so oft googeln, dass es zu viel Zeit braucht. Also muss er den ganzen Google-Inhalt im Kopf haben. Ich glaube, deshalb hat er auch so oft Kopfschmerzen. Ein Gehirn ist einfach zu klein für den gesamten Inhalt von Google.

Ich hab nicht gern Kopfschmerzen, also genieße ich einfach diese Geschichte auf meinem weichen Kissen und schon ist die Doppelstunde zu Ende. Bin ich zwischendurch eingeschlafen?

In der letzten Doppelstunde heute ist die richtige Zeit dazu. Ich bin zwar ein ziemlich guter Schüler, und ich versuch auch immer aufzupassen (solange mir Otis nicht ständig seinen Ellenbogen in meine Seite rammt), aber 2 Stunden Werte und Normen sind wirklich anstrengend. Es reicht ja nicht, wenn wir in Deutsch so viel über Probleme reden, in WeNo kommt noch das Gewissen dazu! Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben etwas Verbotenes getan habe, also ich pass schon ziemlich auf, aber oft weiß man es ja erst hinterher, dass es nicht erlaubt war.

In WeNo kommt also noch das Gewissen dazu. Nach der Weno-Stunde fühle ich mich immer wie ein schlechter Mensch. Und das, obwohl unsere Lehrerin eigentlich ganz in Ordnung ist. Sie ist noch ziemlich jung, und sehr nett. Aber sie hat es immer mit dem Gewissen. Dauernd müssen wir darüber reden. Mina, ein Mädchen aus meiner Klasse, hat sie mal gefragt, ob sie (also die Lehrerin) auch manchmal ein schlechtes Gewissen hat. Da ist die Lehrerin plötzlich ganz rot geworden, und sie hat angefangen zu stottern.

Das fanden wir alle ganz lustig, und Otis hat später Witze über stotternde Lehrer erzählt, von denen ich aber keinen behalten habe.

Total blöd, dass ich mir solche wichtigen Dinge nie merken kann! So wie Jettes Schimpfwörter und die Witze von Otis.

Mina (das Mädchen, das die schlauen Fragen stellt) hat mal gesagt, dass Witze sowieso langweilig sind. Ihre Schwester Mieke (die übrigens auch in unserer Klasse ist) hat das dann auch gesagt. Die beiden machen immer alles genauso wie die andere. Und sie sind auch genau gleich angezogen. Ihr habt es schon erraten: sie sind das zweite Zwillingspärchen in unserer Klasse. Als ich Mama das erzählt habe, fing sie wieder mit ihren Eiern an. Sie hat gesagt, dass Mina und Mieke eineiig sind.

Also ich muss ja nicht alles verstehen, aber wegen dieser Eiersache sollte ich mal meinen Biolehrer fragen. Der ist auch noch ziemlich jung und kennt sich vielleicht mit Eiern aus. Er ist total nett und nimmt einem das gar nicht übel, wenn man mal eine blöde Frage stellt. Außerdem wird er nicht so oft rot wie meine WeNo-Lehrerin.

Ich könnte auch meine Mama beim Mittagessen fragen, aber dann wird es immer so umständlich. Meine Mama erklärt mir gerne was, aber es dauert immer so lange. Vielleicht möchte sie auch so komplizierte Sätze bauen wie mein Papa, der Professor an einer Universität ist. Hatte ich das schon gesagt?

Er kommt abends erst ziemlich spät nach Hause, weil er irgendwas Wichtiges mit seinen Studenten üben muss. Eigentlich finde ich das komisch, denn Studenten haben doch schon Abitur, und wieso müssen die noch üben?

Ich muss nachmittags jedenfalls Klarinette üben. Ich habe letztes Jahr damit angefangen, weil meine Mama gesagt hat, dass ein Musikinstrument gut für die Feinmotorik ist. Ich hab zwar keine Ahnung, was das mit Musik zu tun hat, aber ich lerne es trotzdem. In der Klarinette sind jedenfalls keine Motoren drin. Ich hab mal nachgeschaut: alles hohl und viele Löcher.

Ich glaube, ich kann auch schon ganz gut spielen. Ich treffe fast immer die richtigen Töne und kann schon drei Stücke auswendig.

Meine Mama lobt mich immer und sagt, ich habe viel Potenzial. Warum müssen Erwachsene sich immer so kompliziert ausdrücken? Dieses Wort habe ich jedenfalls mal gegoogelt, und jetzt bin ich richtig stolz darauf, was meine Mama gesagt hat. Es heißt nämlich Energie oder Fähigkeit, und das finde ich cool. Jette findet das nicht. Sie sagt, wenn ich Klarinette spiele, hört es sich an wie ein abgestochenes Schwein.

Aber Jette ist ja in der Pupertät. Da muss sie sowas sagen. Hey, warte mal, das gehört auf meine Liste! Keine blöden Sachen sagen.

Zumindest nichts mit Schweinen oder so. Wenn ich 15 bin, werde ich niemals über Schweine reden. Aber was ist, wenn ich beim Schlachter bin und sagen muss, welches Fleisch ich möchte? Entweder kaufe ich nur Rindfleisch oder ich werde Vegetarier. So wie Jette. Sie kriegt immer einen Brechanfall, wenn es beim Mittagessen Fleisch gibt. Also keinen richtigen Anfall, sondern sie tut nur so, aber es sieht schon echt aus, wenn man sie nicht kennt. Sie verdreht dann immer die Augen, steckt sich einen Finger in den Hals und macht komische Würgegeräusche. Danach rennt sie polternd die Treppe hoch in ihr Zimmer und knallt die Tür zu. Wir in der Familie kennen das schon, aber Mama und Papa regen sich jedesmal darüber auf. Jette trägt seit ein paar Wochen Stiefel mit harten Sohlen und so klotzigen Absätzen. Das donnert immer ziemlich doll, wenn sie unsere Holztreppe nach oben düst. Manchmal glaube ich, dass sie diese Stiefel extra anzieht, damit es so polterig klingt und wir wissen, dass sie es ernst meint.

Sollte ich das auch auf die Liste schreiben? Nicht wütend die Treppe hoch poltern? Ich glaube, das lass ich lieber, denn manchmal werde sogar ich wütend, und das, obwohl ich noch nicht in der Pubertät bin.

Neulich war ich nämlich richtig sauer, weil unsere Nachbarin, Frau Kleindüsel, mich schon wieder gefragt hat, ob ich eine kleine Freundin hätte. Mann, ich bin doch erst 11, und außerdem, was soll ich denn mit einer kleinen Freundin? Wenn ich mal älter bin und unbedingt eine Freundin haben will (was ich aber nicht glaube), dann nehme ich ganz bestimmt eine, die genau so groß ist wie ich.

Das habe ich neulich auch zur Kleindüsel gesagt. Sie hat dann so ganz meckerig gelacht, dass es sich wie eine Ziege anhörte. Ich habe mal einen Film gesehen, in dem eine Ziege vorkam. Die klang genau so wie Frau Kleindüsel. Und der Gesichtsausdruck war auch so ähnlich. Und einen Bart hat Frau Kleindüsel auch.

Sie klingelt ständig bei uns (also Frau Kleindüsel, nicht die Ziege) und fragt, ob sie etwas ausleihen kann. Eigentlich will sie nur mit Mama tratschen, denn meistens dauern ihre Besuche immer sehr lange, und am Ende hat sie längst vergessen, was sie eigentlich ausleihen wollte.

Papa mag die Kleindüsel auch nicht. Er sagt, sie hat nicht alle Tassen im Schrank. Sie steht fast immer vor der Tür und behauptet, dass ihr ein Ei fehlt. Aber auch das ist gelogen, denn sie hat es noch nie zurückgegeben. Es ist ja auch schwierig, ein Ei nach der Benutzung zurückzugeben. Auf jeden Fall stehen Mama und sie immer sehr lange in der Küche und reden über alles Mögliche. Besonders lange dauert es, wenn Mama Kaffee kocht. Wenn die Kaffeemaschine knattert, weiß ich, dass die Kleindüsel noch mindestens zwei Stunden bleibt. Vielleicht ist ja irgendwas im Kaffee drin – so eine Art Quasselstoff.

Sie reden fast immer über andere Nachbarn, aber einmal habe ich sogar gehört, wie sie über mich geredet haben. Die Küchentür war nämlich nur angelehnt, und ich stand zufällig ganz leise dahinter.

Ihr glaubt nicht, was ich da gehört habe! Mama hat zu der Kleindüsel gesagt, dass sie sich fragt, wann ich in die Pubertät komme. Und dass sie hofft, dass es nicht so schwierig wird wie bei Jette.

Ich hätte nicht gedacht, dass Mama sich solche Sorgen um mich macht. Aber sie weiß ja auch noch nichts von meiner Liste. Morgen werde ich ihr mal meine Liste zeigen, und dann kann sie ganz beruhigt sein, dass ich mich auf meine Pubertät gut vorbereite. Es ist so wie bei einer Klassenarbeit. Wenn man sich gut vorbereitet, schreibt man mindestens eine Zwei. Es wäre doch lustig, wenn man für die Pubertät eine Note bekommt, oder? Jette hätte eine 5, und ich hab genug Zeit, um auf eine gute Note hinzuarbeiten.

Aber im Moment bin ich noch weit davon entfernt, und das finde ich echt gut. Von mir aus könnte es immer so bleiben.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.11.2019

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