Cover

Hinführung

Niemals hätten wir für möglich gehalten, dass uns etwas so Winziges faszinieren können. Erst, als wir in seinem Glanz standen, erkannten wir seine Macht. Wie Tropfen kostbaren Wassers tauchte es in alle Fasern unserer Haut, erfüllte uns mit seiner Kraft, erweckte uns zu neuem Leben. Dabei fing es so unscheinbar an.

Die Wiese war so grün, als sei sie dem Farbkasten entsprungen. Es duftete nach Sommer und die Sonne über unseren Köpfen wanderte nach Westen, um sich dort in ihr Kissen aus rosa Wolken zu betten, um später dem neuen Tag entgegenzutreten. Schon bald zog die Nacht ihr Sternenzelt über uns und den Bergen auf, während wir im schimmernden Schein des Lagerfeuers saßen und hoch in den Himmel starrten. Mehr als einmal hatte Selma mich in der Vergangenheit gefragt, ob ich daran glaubte, dass dort draußen mehr sei, als man annahm. Mehr als einmal konnte ich nicht darauf antworten. Ja da war noch was, schließlich wäre es töricht anzunehmen, dass wir Menschen allein existierten. Nein, da war nichts, schließlich waren wir Menschen Gottes Schöpfung und keine andere Spezies bedarf seiner Aufmerksamkeit. Zwei gegensätzliche Meinungen, zwei Gedanken in meinem Kopf. Eine Entscheidung, die ich nicht für mich fällen konnte.

»Ich fänd's cool, wenn's Aliens gäbe. Denkst du, die könnten uns besuchen kommen? Sabeth? Sabeth!« Sie fasst mir an die Schulter und ich tauchte aus den Tiefen des Universums aus.

»Was?«, fragte ich irritiert, immer noch fasziniert von all den hellen Sternen am Firmament.

»Ich hab dich gefragt, ob du glaubst, dass es Aliens gibt und sie uns besuchen kommen?«

Ich schaute Selma an, als sei sie verrückt und schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass sie uns besuchen würden. Ich würde uns auch nicht besuchen wollen.« Nach einem viel zu langen, kurzen Augenblick des Blickkontakts zwischen meiner Schwester und mir, brachen wir in Lachen aus. Es war so eine Art Running Gag, unser Hass gegen die Menschheit. Natürlich, es gab so viel, dass an den Menschen schlecht war und weswegen die Welt zerstört waren. Doch es gab noch so viele unscheinbare Dinge und Besonderheiten an den Menschen, die nicht viele erkannten. Zwar musste man viel und weit reisen, um diese kleinen Details zu finden, aber es würde sich lohnen.

»Jedes Mal, wenn ich in den Himmel schaue und mir die Sterne ansehe, frage ich mich, ob sie wirklich da oben ist«, murmelte ich und legte mich auf den Rücken. Das Zirpen der Grillen tönte in der Ferne und Selma legte sich wieder neben mich.

»Sie?«, fragte sie, »die ISS? Weißt du, auf der Website der NASA kann man sich ausrechnen lassen, wann sie im Himmel über -«

»Ich weiß, Schwesterherz«, lachte ich und stieß sie mit dem Ellenbogen an. »Nein, ich meinte sie alle: Grandpa, Nana, Mom, Chrissy, Gordon… In manchen Völkern heißt es schließlich, dass sie Seelen Verstorbener zu Sternen werden.«

»Naja, wissenschaftlich gesehen, dürfte es ziemlich unrealistisch sein, schließlich sind es immer dieselben Sternbilder von Nacht zu Nacht. Aber es wäre wirklich eine schöne Vorstellung. Der Himmel als das neue Eden, sozusagen.«

Ich stimmte Selma zu und wiederholte die Vorstellung leise vor mich hin flüsternd.

»Der Himmel als neues Eden.«

 

Wir hatten tief und fest geschlafen, als ich das leise Surren hörte und wach wurde. Ich schälte mich aus dem Schlafsack und krabbelte aus dem kleinen Zelt hinaus. Müde rieb ich meine Augen und bemerkte dann, dass es heller war, als es nachts sein sollte. Ich stand auf und schaute mich um. Der Mond war hinter dunklen Wolken versteckt und sein Licht konnte nicht auf die Erde scheinen. Verwundert sah ich mich um, als das Surren immer lauter wurde. Ich drehte mich zum Zelt und sah darüber hinweg, dass über dem Gras der Hügel ein gelblich-oranges Licht geflogen kam.

»Was zum Teufel?«, murmelte ich tonlos, als das Licht näherkam. Es war formlos und doch rund, nicht größer als eine Faust. Lichtstrahlen stahlen sich vom Kern des Lichts schlangenförmig nach außen, formten organische Fäden und verwoben sich wieder mit dem Inneren des Lichtes. Wie eine pulsierende Sonne surrte es durch die Nacht. Obwohl ich Angst vor der Fremde des Lichts hätte haben sollen, fühlte ich mich sicher und geborgen. Warm schimmerte das Licht im Dunkel und umkreiste mich, als sei es ein tobender Welpe. Mein Blick folgte dem Licht, während es schien, mir etwas zeigen zu wollen. Ich streckte die Hand aus, als das Licht für einen kurzen Moment vor mir in der Luft zur Ruhe kam, doch ehe ich seine Wärme auf meiner Haut spüren konnte, wich es aus, als trennten uns zwei magnetische Pole. Wenn Selma das sehen könnte…

Als das Licht mit einem lauten Surren blitzschnell an mir vorbeizog, als habe etwas es verschreckt, entkam ich meiner Starre der Faszination, kroch auf allen Vieren zurück ins Zelt und rüttelte meine Schwester aus dem Schlaf.

»Du wirst nicht fassen, was ich grade gesehen hab!«, lachte ich aufgeregt und schüttelte Selma am ganzen Körper. Schlaftrunken drehte sie sich zu mir und setzte sich auf.

»Was? Spinnst du? Es ist mitten in der Nacht!«, zischte sie und gähnte.

»Da war grade so ein irres Licht draußen. Einfach so rumgeflogen ist es, als sei es magisch.«

»Ein Was war da?«

»Ein Licht! Komm mit, vielleicht ist es noch da!« Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das seinen Eltern eine für Kinderaugen unglaubliche Entdeckung zeigen wollte. Die neuste Barbie-Puppe oder so. Doch obwohl ich kein Kind mehr war, war diese Entdeckung selbst für Erwachsenenaugen besonders. Wann sah man denn schon mal ein fliegendes Licht? Bisher wusste ich nicht einmal, dass so etwas existieren konnte.

Ich zerrte die müde, fast wieder eingeschlafene Selma aus dem Zelt und die Kälte der Nacht schockte sie und ließ sie wacher werden. Und das Licht ließ mich nicht im Stich. Als hätte es meine Gedanken lesen können, war es in Sekundenschnelle bei uns und Selma starrte es mit offenem Mund an.

»Aber das…? Was…? Wie…?« waren die einzigen Satzbestandteile, die sie rausbringen konnte. Ihr Blick folgte gespannt und ebenso fasziniert wie meiner Augenblicke zuvor das Licht, das um uns herumtänzelte und dann ein paar Meter nach Norden flog. Dort schwebte es kurz in der Luft, als würde es auf uns warten.

Selma und ich tauschten einen langen Blick auf, ehe wir nickten und ich meinte »Folgen wir dem Ding!«

»Halt, warte«, stoppte Selma meine Euphorie, tauchte im Zelt ab und kam mit einer Taschenlampe wieder. Sie knipste sie an und nickte dann, »Nur zur Sicherheit. Vielleicht kann man es blenden, wenn es uns angreift.«

 

Das Licht führte uns über Stock und Stein, gefühlt den ganzen Nationalpark entlang. Das Gras wehte im nächtlichen Wind und langsam begannen wir zu frieren. Wir konnten nicht genau sagen, wie lange wir unterwegs waren, oder wohin das Licht uns führte. Unsere Beine taten weh und wir gaben langsam die Hoffnung auf, dass noch etwas Spannendes passieren würde. Wir hätten uns täuschen sollen.

In der Ferne machten wir eine Windmühle aus, als wir die Hoffnung schon aufgaben und wieder umkehren wollen. In dieser Dunkelheit der Nacht hätte man die Mühle leicht übersehen, doch das Licht, welches uns den Weg führte durchzog das gesamte Gebäude nun mit seiner Helligkeit. Das Licht trat durch alle Öffnungen des alten Gebäudes und vor lauter Kraft begannen die Flügel der Mühle zu drehen. Ein lautes Rattern durchbrach die Stille der Nacht.

Selma und ich tauschten einen unsicheren Blick. Doch mit einem Mal ergriff meine Schwester selbstbewusst meine Hand und zog mich hinter ihr her. Im Laufschritt rannten wir auf die Mühle zu. Selma lachte, konnte das wundervolle Lichtspiel unseres kleinen Freundes kaum glauben, während sich in mir Angst und Unsicherheit auftaten.

»Komm mit, komm mit!«, befahl meine Schwester und zerrte mich durch die Pforte der alten Gemäuer. Das Licht war schwächer geworden und flog nun wieder als runde Gestalt um uns herum. Es erfüllte den Raum und wechselte seine Farbe. Zunächst noch in kräftigem Gelb und Orange schimmernd wurde es nun grün, dann blau. Ein leises Rauschen, wie Wasser, erklang und vor Schreck stieß ich mit dem Rücken gegen die harte Wand des Malwerkes.

Ich beobachtete Selma, die fasziniert freudig das Farbenspiel um uns herum betrachtete.

»Hört her«, ertönte eine sanfte, weibliche Stimme und mir entkam ein spitzer Schrei.

»Habt keine Angst«, sagte die Stimme und in der Mitte des Raum materialisierte sich aus dem Nichts eine Frauengestalt. So blau wie das Licht, stand sie vor uns. Transparent, mit langem, wallenden Haar, in einem langen, schlichten Kleid, dessen Stoff an ihrer Figur hinunterfloss wie Wasserströme an den Kanten rauer Steine.

»Wer bist du?«, tastete ich mich vorsichtig in der Konversation voran.

»Ich bin Luh'mias, Göttin dieser Ebenen. Wer seid ihr?«

»Zwei Schwestern, die campen sind«, antwortete Selma schneller, als ich es konnte und zauberte ein Stirnrunzeln auf die Göttin.

»Leider ist mir dieses Wort nicht bekannt«, sagte sie, »ich bin euch dankbar, dass ihr mir gefolgt seid, Schwestern.« Sie ging wenige Schritte, schwebte mehr, wie ein Geist es tat, ehe sie weitersprach und wir gespannt lauschten, »Ich möchte euch um einen Gefallen bitten.«

»Der da wäre?«

»Unsere Zeit auf der Erde läuft bald ab. Schon bald werden Stürme über die Lande fegen, der Boden aufreißen und der Menschheit das geben was sie verdient: die endgültige Auslöschung. Nach Jahrmillionen der Unterdrückung fordert die Natur ihren Tribut. Doch wenn ihr untergeht, gehen wir Götter auch unter. Denn was für ein Gott ist das, wenn es niemand gibt, der an ihn glaubt. Doch ihr könnt uns helfen. Auch nur die kleinste Schuppe eurer Haut kann von meiner Magie benetzt neues Leben zu tausend schaffen. Nur eine kleine Schuppe. Um mehr würde ich euch nicht bitten wollen.« Luh'mias senkte den Blick und strich sich durch das wallende Haar.

»Ich werde dir helfen«, sagte Selma und schnell ergriff ich ihren Arm und zog sie zu mir.

»Bist du wahnsinnig?«, zischte ich und schaute meine Schwester an, als sei sie eine Verrückte.

»Nur eine Hautschuppe, da ist doch nichts dabei«, antwortete sie und befreite sich aus meinem Griff, »wenn sie uns schaden wollen würde, wären wir schon längst tot. Und sie dir mal diesen traurigen Blick an.«

Ich drehte meinen Kopf, sodass ich Luh'mias anschauen konnte. Ihre Augen, mit diesem seltsamen transparenten Schimmern wanderten voller Sorge zwischen uns. Sie wirkte wirklich traurig. Und was hatte sie gesagt? Das Ende der Menschheit? Selma und ich waren doch gerade mal volljährig- unser Leben sollte so schnell enden? Ich seufzte. Dann ließ ich Selma tun, was sie für richtig hielt. Eine Schuppe was sollte da schon schiefgehen?

»Was muss ich jetzt tun?«

»Komm her und gib mir deine Hand«, antwortete Luh'mias auf Selmas Frage, »Wie heißt du, mein Kind?«

»Selma Sullivan.« Sie reichte der Göttin ihre Hand. Luh'mias umschloss sie mit den ihren und schloss die Augen, während sie tief einatmete.

Ein schwacher Windzug wehte durch die Mühle, die Nacht schwebte kühl über uns. Ich hatte schon vollkommen vergessen, dass ich seit Minuten bitterlich fror, doch diese göttliche Gestalt vor uns war so faszinierend und beängstigend, dass die Kälte mir nichts antun konnte. Umso größer war nun meine Angst vor Luh'mias. Und um meine Schwester.

Das Licht, das von Luh'mias' Körper ausging sprang nun über Selmas Hand und die Berührung mit der Göttin über und wechselte in einem warmen Lila- und dann in einen Rotton. Sie Göttin begann ein melodisches Gedicht zu sagen. Leise echote ihre Stimme in der alten Mühle. Selma hatte die Augen geschlossen rührte sich nicht, und ich spürte immer mehr die Wand in meinem Rücken. Sie gab mir als einzige Halt, in dem Moment, als ich realisierte was vor meinen Augen geschah.

Immer mehr wurde Selma von dem roten Licht eingehüllt und irgendwann war es in dem kleinen Raum so hell, dass ich geblendet wurde und nichts mehr sah.

Ich sah nur noch, wie Selmas Körper langsam zu Asche zerfiel, ein magischer Windstoß die Körner in die Lüfte trug, während die transparente Göttin langsam verblasste.

Als ich meine Augen öffnete, war es dunkel und nur das einsame Blatt eines Baumes lag auf dem Boden. Braun und welk – wie meine tote Schwester.

 

Prolog

 

Ein lautes Krachen ertönte und Fisher sah die Balken hinunterstürzen. Er sprang zur Seite, wurde in eine große Staubwolke eingehüllt. Schreie durchfüllten die Straßen von Aerolithe. Fisher kniff die Augen zu, atmete den Staub ein, versuchte in all dem Wirr Warr Orientierung zu gewinnen und rappelte sich auf. Lautes Krachen ertönte, eine Druckwelle folgte und schleuderte den wieder stehenden jungen Mann gegen die nächste Hausfassade. Schmerz durchzog seinen Rücken und den Kopf, als er gegen den harten Beton knallte. Er hörte die aufgeregten Schritte der umher rennenden Menschen. Menschen, die versuchten sich in Sicherheit zu bringen, ihre Liebsten vor dem Tod zu bewahren. Doch sie alle, genau wie Fisher, wussten, dass es keine Sicherheit mehr gab.

Explosionen lösten sich in allen Ecken der Stadt, riesige Rauchwolken stiegen auf, Feuer entfachte und die einst glanzvolle Siedlung Aerolithe wurde unter Trümmern und Dreck begraben. Fisher konnte sich kaum bewegen, alles schmerzte ihm und als er vor lauter Staub und Rauch hustete, glaubte er ersticken zu müssen. Er merkte erst spät das Paar Militärstiefel, das auf ihn zutrat. Ruckartig wurde er nach oben gerissen. Seine Augen tränten vom Schmutz und Dreck, er konnte nur verschwommen erkennen, wer vor ihm stand. Sobald Fisher einigermaßen auf seinen beiden Füßen stand, wurde er unsanft von dem Mann weggeschleift, als wäre er ein lebloser Körper, den man nur aus dem Weg räumen wollte. Er protestierte, als eine erneute Explosion die Stadt erschütterte und weder er, noch der Militarist seine Worte verstehen konnten. Er wehrte sich, schlug um sich, versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu winden. Und dann ertönte ein dumpfer Schlag. Fisher sackte zusammen, fiel. Auf dem harten Boden liegend erkannte er nur noch die Schemen der Männer, die ihn wieder aufhoben, auf eine Ladefläche luden und von der brennenden Stadt wegfuhren. Bevor er das Bewusstsein verlor, fragte er sich, wie es so weit gekommen war…

 

 

Kapitel 1

 

»Darf ich fragen, wieso Sie nach mir schicken ließen, Sir?«

Fisher nahm auf dem rot gepolsterten Stuhl vorm Schreibtisch des Präsidenten Platz und zog seinen weißen Kittel zurecht. Er spielte kurz mit dem Gedanken ihn auszuziehen, doch schämte er sich für die Schweißflecke, die auf dem Stoff des blauen Hemdes zu sehen gewesen wären.

»Man verriet mir, dass Sie einer der leitenden Wissenschaftler im Projekt Cepheus seien-«

»Nein!«, unterbrach Fisher seinen obersten Chef und entschuldigte sich sofort, dass er ihn unterbrochen hatte, »Verzeihung. Nein, ich bin nur Assistent einer der leitenden Wissenschaftler…« Er versuchte im Gesicht des Präsidenten eine Regung festzustellen. Er schien verwundert zu sein. Seine rechte Hand ging zu einer beigen Akte auf dem Schreibtisch und er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

»Oh«, machte er, ehe er wieder zu Fisher sah, »Das tut wiederum mir leid, Mr Fisher. Offenbar hat meine Sekretärin da einen Fehler begangen. Aber nun denn«, der Präsident rückte seine Krawatte zurecht und lehnte sich im Sessel zurück, eher er weitersprach: »Sie haben trotzdem allen Zugang zu den Untersuchungsräumen. Ich habe Sie hergebeten, damit Sie mich über den aktuellen Forschungsstand informieren. Also, was gibt's Neues?«

Fisher nahm laut tief Luft und rutschte auf dem Stuhl herum. Die Ellbogen legte er auf den Armlehnen des Stuhls ab und strich sich eine der braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Nun, wo fange ich am besten an?«, stellte er sich selbst die Frage, »Vorgestern begannen wir mit den Auswertungen der Teleskop-Bilder. Das Hubble-III wurde, wie Sie sicher wissen, Sir, vor einigen Wochen erst eingerichtet und daher wussten wir noch nicht, ob es einwandfrei funktioniert. Wir konnten feststellen, dass es nur leichte Mängel an den Aufnahmen gab. Allerdings haben wir auf den Aufnahmen etwas Seltsames gefunden, Mr Barwell, Sir…«

Der Angesprochene, Präsident Barwell, setzte sich aufrecht. Er hatte Neuigkeiten geschnuppert. »Etwas Seltsames?«, fragte er nach und Fisher nickte unsicher.

»Auf einem der Bilder, das Crumbat-II und Ausläufer der Glacialis zeigt, ist im Osten eine Art Nebel zu sehen. Dr Anderson war der Meinung, es konnte eine ausgedehnte Aurora auf Crumbat-II sein, aber er wolle dem genauer nachgehen«, berichtete Fisher. Seine Hände waren schweißnass, er war selbst so aufgeregt über diese Entdeckung. Crumbat-II war einer der wenigen bekannten Planeten in ihrem Sonnensystem. Glacialis wiederum war die Sonne des Partner-Systems, dessen Bahnen das System, in dem sie sich befanden kreuzte. Crumbat-II war unbelebt und könnte auch nicht besiedelt werden. Seine Oberfläche versprühte giftige Gase, die sich in einer dünnen Atmosphäre ein paar hundert Meter über der Planetenfläche ansammelten. Wenn eine Rakete auch nur durch die Atmosphäre fliegen würde, würde sie innerhalb einer Zehntel-Sekunde verbrennen. Wie man das herausfand? Von Aerolithe aus hatte man einen Satelliten nach oben ins All geschickt und dieser kam durch falsche Berechnungen ab und durchbrach die Schicht, die Crumbat-II schütze. Die Wissenschaftler in der Siedlung konnten nicht einmal so schnell schauen, wie das Metall schmolz.

Das komplette Barwell & Sons-Institut war aus dem Häuschen gewesen, als es den Satelliten zerrissen hatte. Er sollte als Aufklärer im All herumfliegen und Daten zu weiteren Planeten und Sternen liefern. Mit einer Standbild-Kamera sollte er so mehr Informationen liefern, als man sie mit dem Hubble-III-Teleskop bekommen könnte.

»Höchst interessant…«, murmelte Barwell, der in seinem Kopf sicher schon die Rede für die Verkündung einer neuen Entdeckung probte. Fisher wollte ihm gerade erzählen, dass es noch einen weiteren interessanten Fund gab, doch plötzlich hörten beide Männer ein leises Surren. Das Fenster zur Linken Fishers stand offen und elegant flog nun eine Drohne in das Büro des Präsidenten. 

»Was macht die Drohne hier?«, fragte Fisher.

Barwell stand auf und beobachtete die Drohne, die sich nun zu seinen Füßen auf den Parkettboden setzte und ein seltsames Piepen verlauten ließ. Fisher stand ebenfalls auf, ging zu seinem Chef und ging in die Hocke. Vorsichtig fuhr er über das weiße Gehäuse und bewunderte die filigrane designerische Arbeit. Er klopfte vorsichtig auf das Gehäuse, um zu hören aus welchem Material sie geschaffen war. Es wirkte leicht wie Plastik, aber hart wie Metall. Entgegen seiner Erwartungen öffnete sich ein Verschlussmechanismus in der Drohne und das obere Teil der Maschine klappte hoch. Das Piepen war lauter geworden und unter dem Deckel kam ein Display mit vier digitalen Zahlen zum Vorschein. Langsam zählte der Countdown runter.

Als Fisher schwer schluckte und dann zum Präsidenten sah, konnte er an seinem Blick ablesen, dass er ebenfalls wusste, was das vor ihnen war.

 

Es dauerte keine 5 Minuten bis das komplette Gebäude in Aufruhr war. Unzählige Anzug- und Kittelträger flitzten durch das Institut, brachten wichtiges Forschungsutensilien und zuletzt sich in Sicherheit.  Barwell hatte Fisher angewiesen so schnell wie möglich das Gebäude zu verlassen, doch er widersetzte sich dem Befehl seines Bosses. Fisher schob sich durch die Gänge, in denen ihm Menschenmassen entgegenkamen. Es war schwer gegen den Strom zu laufen, doch Fisher musste schnell in sein Büro. Dort hatte er etwas Wichtiges vergessen. So schnell er konnte raste er das Treppenhaus hinunter vom zehnten in den dritten Stock des Kellers, wo sich die kleinen Labore und Büros der Assistenz befanden. Die Gänge waren leer, womöglich alle seine Kollegen schon in Sicherheit. Auf dem Weg hatte er sich seine Gedanken zur Bombe gemacht. Sie hatte bei der Entdeckung eine gute halbe Stunde angezeigt. Das war normalerweise genug Zeit, um alles und jeden in Sicherheit zu bringen. Dass der Anschlag-Täter das nicht bedacht hatte, wunderte Fisher. Zumal es keinen Sinn machen würde eine Bombe in den obersten Chefetagen zu zünden, gab es dort doch nicht allzu viele relevante Informationen. Wenn man auf das Barwell & Sons einen Anschlag verüben wollte, dann würde es doch mehr Sinn machen die Labore und Forschungsdaten zu zerstören?

Fisher war froh darüber, dass er vergessen hatte sein Labor abzuschließen, ehe er zu Barwell zitiert worden war. Es dauerte immer eine halbe Ewigkeit bis er seine Schlüsselkarte aus der Jackentasche gekramt hatte. So konnte er direkt in sein Labor. Und sah, dass es vollkommen verwüstet war.

»Was zum…?«, fluchte er leise, doch sogleich ging er zu einem kleinen Schrank in der Ecke des Raumes. Er ahnte schreckliches. Parallel zu seiner normalen Arbeit hatte Fisher an etwas geforscht und recherchiert, das ihn seit Jahren beschäftigte. Er hatte alle Unterlagen dazu in der Wand hinter dem Schrank versteckt, sodass niemand Zugang dazu erhalten konnte. Schlimme Vermutungen durchbrachen seine Gedanken, als er den Schrank etwas nach vorne schob und sah, dass die Fliese, hinter der sich die Unterlagen befanden, nicht mehr akkurat auf die Wand gedrückt worden war. Er zerrte die Fliese ab und sah ein leeres Fach. Natürlich, sie waren weg. Jemand muss all das Chaos im Gebäude genutzt hab, um unbemerkt in das Labor gekommen zu sein. Doch wieso wusste jemand über die Aufzeichnungen von Fisher Bescheid? Wer zur Hölle war der Täter?

Fisher schrie wütend auf, feuerte die weiße Fliese in seiner Hand auf den Boden, die in tausend kleine Teile zersprang.

»Verdammt, verdammt, verdammt!«, fluchte Fisher lautstark und griff sich verzweifelt an den Kopf. Jemand würde nun seine strenggeheimen Forschungen kennen, und wenn man ihn an Barwell verriet, wäre er seinen Job los. Doch was für ihn persönlich viel schlimmer war, war der Gedanke, dass nun jemand etwas gegen das System in der Hand hatte, sollten die Ergebnisse von Fishers Forschungen stimmen. Jemand würde ihm den Ruhm wegschnappen, wenn sich alles als richtig erwies. Nochmals schlimmer war, dass wenn jemand für ihn weiterforschte und die Entdeckungen weiterspinnen würde, konnte eine riesige Macht über die gesamte Menschheit des Planeten entstehen. In den falschen Händen, würden sie sich bald in einem Terror-Regime wiederfinden, aus dem so schnell kein Weg mehr führen würde.

Verzweifelt und wütend trat Fisher gegen alles, das ihm im Weg lag. Bücherstapel, Stühle, Gläser. Das Labor war sowieso schon zerstört und wenn hier gleich die Bombe hochging würde, wäre eh alles verloren. Vielleicht sollte er auch hierbleiben und mit seinem Arbeitsplatz untergehen. Er setzte sich vor den Schreibtisch auf den Boden, legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich durch das längere, braune Haar. Er starrte kurz an die Decke, ehe sein Blick zu der kleinen Digitaluhr auf dem Schreibtisch ging, die nun mit Sprung im LCD-Feld seitlich auf dem Boden lag. Noch 10 Minuten, ehe die Bombe hochgehen würde… Fishers Blick ging von der Uhr aus in eine der Zimmerecken und als der das kleine Gerät an der Decke sah, sprang er auf.

»Die Videokameras«, lachte er und begann zu grinsen. Mit einem Satz war er aus dem Büro und fand sich auf dem Flur wieder. Er rannte die Treppen hoch, wieder in einen der höheren Stöcke, dorthin, wo sich der Überwachungsraum befand.

Fisher musste im Foyer haltmachen, da es zwei unterschiedliche Treppenhäuser in die höheren Etagen und in den Keller gab. Schnellen Schrittes durchquerte er den großen, mit Marmor verkleideten Raum, wurde jedoch von einer Gruppe Männern aufgehalten.

»Mr Fisher!«, rief Präsident Barwell überrascht, als der junge Mann seinen Weg kreuzte. Barwell hielt Fisher am Arm fest und zwang ihn damit bei ihm zu bleiben.

»Was machen Sie denn noch hier? Sagt ich nicht, Sie sollen schleunigst das Gebäude verlassen?«, fragte Barwell vorwurfsvoll und sah seinen Arbeiter an, als sei sein zu spät nach Hause gekommener Sohn.

»Ich muss nur noch schnell sichergehen, dass- «, begann Fisher und wollte sich aus dem Griff seines Chefs befreien, doch dieser griff nur fester zu und schüttelte den Kopf.

»Nein!«, sagte er harsch, »Ich kann es mir nicht leisten Angestellte zu verlieren, Sie kommen mit uns und bringen sich in Sicherheit.«

Einer der Männer, der Barwell begleitete öffnete die Eingangspforte aus Glas, damit die Herren durchtreten konnten. Ein lauter Knall ertönte und Glas splitterte. Die Explosion traf die Männer mit einer Wucht, die sie auf den Boden drückte. Fisher war der Erste, der wieder zu sich kam. Der Kopf dröhnte, er hörte ein ständiges Piepsen durch den lauten Knall und war orientierungslos. Er stand auf, versuchte seine Augen zu öffnen, sah aber nichts durch den ganzen Staub. Er konnte nicht sagen, was vom Gebäude noch stand, aber das Erdgeschoss musste noch stehen, sonst würden sie jetzt wohl alle nicht mehr leben. Auch die Gruppe um Mr Barwell rappelte sich langsam wieder auf, die schwarzen Anzüge voller grauem Staub und Dreck.

»Mr Barwell, geht es Ihnen gut?«, rief Fisher durch den Rauch und Staub. Der Staub legte sich auf seine Lunge und er musste husten. Er konnte Barwells Antwort nicht verstehen, als ihm dieser zurief, dass es ihm und den anderen gut ging. Am Himmel dröhnten Propellermotoren und als Fisher versuchte einen Weg aus der Rauchwolke zu bekommen, sah er am Boden die Schatten von Bomberflugzeugen.

»Fuck«, fluchte er und schaute mit vorgehaltener Hand vor den Augen zum Himmel. Mindestens fünf Bomber kreisten über der Siedlung, bereit weitere Bomben abzuwerfen. Fisher schaute sich schnell um, suchte nach Zuflucht, oder fand nichts. Wenn sie ihre Bomben abwerfen würde, wäre es eh nirgends mehr sicher. Dann wäre es zu spät für alle hier in der Siedlung. Aerolithe war nicht groß, so gab es nicht viel Fläche, die man zerstören musste.

Ein hustender Mr Barwell trat aus der Wolke zu Fisher, der ängstlich gespannt in den Himmel schaute.

»Es ist die HBA«, sagte Barwell langsam, »Nur sie nutzen noch Boeings zum Angriff.«

»Nur wieso greifen sie überhaupt an?«, fragte Fisher und schaute den Präsidenten an.

»Ich weiß es nicht. Wir haben nichts, das sie interessieren könnte. Wir müssen ausharren, wir können nichts tun. Bringen Sie sich in einem der Bunker hinter dem Wall in Sicherheit, Fisher.«

Barwell legte Fisher väterlich die Hand auf die Schulter und der Angesprochene nickte. Zweifelhaft, dass er es jetzt noch bis hinter den Wall schaffen würde, doch was hatte er zu verlieren?

»Was ist mit ihnen, Sir?«

»Der Kapitän bleibt bis zuletzt auf dem sinkenden Schiff. Ich werde zusehen, wie die Stadt, die mein Vater errichtet hat zu Schutt und Asche zerfällt. Und wenn es sein muss, zerfalle ich mit ihr.«

Fisher nickte und ging seines Weges. Immer mit einem Auge in den Himmel gerichtet, ging er die sandige Straße entlang, während die Bomber die ersten Geschütze warfen. Es krachte, knallte, Druckwellen gleich Windstöße kamen, hinterließen ihre Spuren, während Feuer entfachten und alles unter sich begruben. Fisher beschleunigte seinen Schritt, doch als er um die nächste Häuserecke bog, blieb er überrascht stehen und sprang wieder hinter die Ecke. Männer, gekleidet in dunklen Uniformen, auf der Brust ein Emblem mit den Buchstaben HBA tragend, kamen die Straße entlang. Bedrohlich kratzten ihre Stiefel auf dem harten Sandstein, während die laut lachten und sich offenbar damit begnügten Aerolithe zu zerstören. Fisher hatte sich fest an die Wand gedrückt mit der Hoffnung, die Männer würden ihn übersehen, wenn sie an ihm vorbeigingen. Fisher wollte den Weg zurückgehen, doch plötzlich spürte er, wie die Wand hinter seinem Rücken zitterte und schon gleich krachten die ersten Fassadenteile direkt auf ihn herunter, gefolgt von Feuer, Explosionen, Lärm, Geschrei. Die Balken stürzten auf ihn, er wurde auf den Boden gedrückt. Sein Körper schmerzte, die Ohren klingelten und er spürte, wie jemand in seine Seite trat.

»Ist das nicht dieser Fisher-Typ?«, fragte eine dunkle Stimme. Es war einer der HBA-Männer, der mit seinem Stiefel auf Fisher herumhackte, als wäre er ein Stück Fleisch, das sie gleich essen wollten.

»Ja, ja, das ist er«, erwiderte eine andere Stimme, »Meinte Sheheza nicht, dass wir ihn lebend gefangen nehmen sollen?«

»Mhm«, murrte der erste Kerl wieder, »Wäre gut, wenn wir irgendwie an seinem Chip kommen könnten. Und am besten wäre es natürlich, wenn er sich nicht mehr erinnern könnte. Dann wäre die Bahn für Boss frei. Hast du'n Taser da?«

Der zweite Mann kramte in seiner Uniform und reichte dem anderen einen kleinen schwarzen Gegenstand.

»Dann lass uns mal seine Synapsen rösten, haha«, lachte er mit der dunklen Stimme, schaltete das Gerät ein und hielt es an Fishers Schläfe. Sein Körper vibrierte kurz, Fisher schrie innerlich vor Schmerz und fiel in eine tiefe Ohnmacht.

 

  Fisher wachte auf, als sein Kopf mit voller Wucht an die Fensterscheibe knallte. Ein dumpfes Geräusch zog durch den Stoß durch die kleine Fahrgastzelle und blinzelnd öffnete Fisher seine Augen. Sein Kopf war an die Fensterscheibe gelegt und draußen vor dem Glas zog karge Wüste an ihm vorbei. Er hob langsam den Kopf, spürte, dass der Aufprall bald eine kleine Beule hinterlassen würde und schaute sich dort um, wo er war.

Es war ein Wagen. Ein großer Van, vollbesetzt. Neben ihm saß ein bulliger Kerl, der entweder schlief oder schon tot war. Sein Kopf lehnte ebenfalls an der Fensterscheibe und durch den holprigen Fahrstil des Fahrers war es nur eine Frage der Zeit, ehe sein Kopf wie Fishers gegen die Scheibe knallte und er wach wurde.

»Guten Morgen, Buddy, bist du auch mal wach?«, sagte eine männliche Stimme und Fisher drehte den Kopf nach vorne. Im Gegenüber saß ein junger Mann, etwa in seinem Alter und grinste ihn an.

»Was?«, nuschelte Fisher und gähnte. Er hatte offenbar tief und fest geschlafen.

»Ach, das geht gleich vorbei. Ich bin schon vor etwa einer Stunde aufgewacht. Also ich glaube es war 'ne Stunde. Es hätten auch zwei sein können. Ich fühl mich so verloren ohne eine Uhr«, sagte er junge Mann und neigte seinen Kopf fragend hin und her. Dunkelrote Locken wippten auf seinem Kopf hin und her und der Blick seiner dunklen Augen lag immer noch auf Fisher. Er schwieg.

»Ich bin Crimson, wie ist dein Name?«, fragte der Fremde dann und grinste wieder breit. Zwei Reihen hübscher weißer Zähne kamen zum Vorschein und Fisher ertappte sich dabei, wie er sich fragte, ob Crimson wohl aus der Hauptstadt kam.

»Wo sind wir hier?«, fragte Fisher, anstatt auf Crimsons Frage zu antworten.

»Weiß nicht«, entgegnete dieser und richtete den Blick aus dem Fenster, »ich schätze mal irgendwo in der Wüste.«

»Ach was«, murmelte Fisher und schaute sich noch etwas um. Außer dem bulligen Kerl neben ihm und Crimson vor ihm, saßen nur noch zwei weitere Leute im Wagen: der Fahrer und ein älterer Mann auf dem Beifahrersitz. Der Platz neben Crimson war leer. Fisher fand den Aufbau des Vans witzig. In Aerolithe hatten sie auch Vans, aber diese hatten nur die beiden vorderen Sitze und die Rückbank, nicht noch zwei Sitze hinter Fahrer- und Beifahrersitz. Die Sitze waren aus schwarzem Stoff, der auch nicht mehr neu wirkte. Staub und Dreck lag darauf und Fisher wollte ihn lieber nicht anfassen. Er fuhr sich mit der Hand durch das braune Haar, das feucht und klebrig war. Langsam spürte er die Hitze, die im Wagen herrschte und ihn schwitzen ließ. Sein Blick ging nach unten auf seinen Körper. Er trug immer noch die Kleidung, die er anhatte, ehe Aerolithe angegriffen worden war. Offenbar war es noch der gleiche Tag. Das blaue Hemd und die dunkle Jeans waren schmutzig und hier und da fehlte ein Stofffetzen. Als käme er gerade vom Schlachtfeld. Nun ja, irgendwie tat er das ja auch.

»Nun sag schon, Buddy, wie heißt du?«, fragte Crimson erneut und Fisher blickte zu dem Rothaarigen auf. Erwartungsvoll hatte Crimson die Augenbrauen hochgezogen und wackelte kaum merklich mit seiner kantigen Nasenspitze. Fisher zog die Stirn kraus und setzte zu einer Antwort an.

»Ich heiße-«, er stutzte. Verdutzt über die Leere in seinem Kopf zog der die Augenbrauen zusammen und schaute unsicher von links nach rechts. Die Zahnräder in seinem Kopf begannen zu rattern und nach dem Wort Name zu suchen.

»Ich…ich weiß ihn nicht mehr«, sagte er dann leise, ungläubig.

Ebenso ungläubig war Crimsons Blick: »du weißt deinen Namen nicht mehr?«

Ehe Fisher mit dem Sprechen beginnen konnte, hielt der Van quietschend und die Türen wurden aufgezogen. Gewaltsam wurden Fisher, Crimson und der Bullige von ein paar Männern aus dem Van nach draußen gezogen. Man drehte ihre Arme auf den Rücken und schob sie in Richtung eines großen Gebäudes. Fisher wehrte sich, beschimpfte mehrmals den Mann, der ihn zur Eingangspforte brachte. Fisher hatte nicht einmal mehr Zeit, sich die Umgebung anzuschauen, bevor sich die große Pforte öffnete und er und die anderen in das Gebäude geschoben wurden.

Man brachte sie allesamt in einen kleinen Raum, wo ihnen Handschellen verabreicht wurden und sie warten sollten.

»Niemand macht nur einen Mucks!«, schrie ein glatzköpfiger Mann in Uniform. Es war die Uniform der HBA, wie Fisher erkannte. Der bullige Mann, der vorhin noch geschlafen hatte, knurrte den Uniformierten wütend an. Fisher wettete, dass der Bullige allein mit der Kraft seiner Muskeln die Handschellen auseinanderreißen könnte. Er tat es nur nicht. Stattdessen lehnte der Kerl sich gegen die Wand und schaute die anderen drei im Raum grimmig an. Der Verbliebene, neben Fisher und Crimson, war ein schlaksiger Mann in verlumpter Kleidung. Er hatte einen langen, grauen Bart und nur noch wenige Haare auf dem Kopf. Seine knochigen Handgelenke konnten fast von selbst aus den Handschellen fallen. Fisher und Crimson schauten sich lange fragend und auch etwas ängstlich an. Niemand wusste, wo sie waren, oder warum sie es waren. Niemand traute sich zu reden. Es war die HBA, Fisher hätte schwören können, dass sie den Raum überwachen ließen und diejenigen, die ein Plausch hielten auf der Stelle exekutieren würden.

Jeder der Vier stellte sich an eine Wand und beobachtete die anderen. Der Raum war und leer. Fisher beäugte den Bulligen und den Alten mit Vorsicht. Beide trugen ähnliche Kleidung. Eine beige Hose und ein dunkle kariertes Holzfäller-Hemd, sowie robustes Schuhwerk. Beides nur so vor Schmutz strotzend. Fishers Blick ging zu Crimson, der neugierig seine schmutzigen Fingernägel untersuchte, als habe er einen Schatz gefunden. Er trug eine kurze Hose aus Leinen, Sandalen und ein weites, lose an ihm herunterhängendes Leinenhemd. Fisher fragte sich, wieso sie hier waren. Was hatten sie gemeinsam, dass die HBA sie verschleppen würde? Das hatten sie doch gemacht, oder?

Die Tür zum Raum öffnete sich und zwei uniformierte Männer, vermutlich Wachen traten ein und stellten sich zu beiden Seiten der Tür. Sie verschränkten die Arme hinter dem Rücken und starrten geradeaus. Wenige Augenblicke später kam ein Mann mittleren Alters gezielt in den Raum hinein. Er trug einen dunklen Anzug, eine rote Krawatte und hatte gepflegtes, dunkelbraunes Haar. Das Paar Augen unter den zurechtgezupften Augenbrauen musterten die Anwesen genauestens.

»Gentlemen«, sagte der Mann erfreut und bat die Vier mit einer Handbewegung zur Mitte des Raumes. Alle tauschten einen unischeren Blick, ehe sie widerwillig von den Wänden zur Mitte gingen.

»Ich begrüße Sie alle ins unserem Working Center und hoffe Sie haben hier eine schöne Zeit. Irgendwelche Fragen?«, fragte der Mann und hob seine Augenbrauen, während er erwartungsvoll jeden einzelnen der Anwesenden ansah.

»Ja, schon«, meldete sich Fisher zu Wort und ging ein paar Schritte vor, »Wer sind Sie und wo wir sind wir überhaupt?«

Der Mann im Anzug lachte. Dann kam er auf Fisher zu und legte väterlich einen Arm um seine Schultern, »Mein Junge«, begann er dann, »Wenn ich Ihnen das verraten würde, dann wäre ja der ganze Spaß umsonst.« Wie aus dem Nichts boxte er mit dem freien Arm Fisher in den Bauch, der überrascht zusammensackte und sich an den Bauch fasste. Dafür, dass der Kerl nett aussah, hatte er eine ganz schöne Kraft, dachte er sich. Fisher saß in der Hocke auf dem Boden und sah dem Mann wütend hinter, der nun wortlos den Raum verließ. Auch die beiden Wachen gingen wortlos und schlossen die Tür hinter sich ab. Crimson eilte zu Fisher und fragte, ob alles okay sei. Der Bullige stand nebendran und schaute nur zu, während der Alte sich weggedreht hatte, als hätte er nichts mitbekommen.

Es dauerte eine Weile, bis wieder Wachen in den Raum kamen und jeden einzelnen von den Vieren wegbrachte. Fisher war der letzte und zuvor hatte man Crimson abgeholt.

»Wir sehen uns, Buddy!«, hatte dieser dem einzig Verbliebenen zugerufen und Fisher hatte sich ein müdes Lächeln abgerungen.

»Mitkommen«, machte die Wache, die gekommen war, um Fisher zu holen. Fisher wollte nicht mit, aber was blieb ihm übrig? Ewig in diesem leeren Raum bleiben konnte er auch nicht, dort würde er durchdrehen.

Die Wache, ein Mann, vielleicht Anfang der Dreißig, mit dunkelblondem Haar und einer polizeiähnlichen Mütze auf dem Kopf führte den jungen Mann durch einen sterilen grauen Gang.

Der Gang war lange und hin und wieder gingen rechts und links Türen ab. Alle verschlossen und die Neugier in Fisher war natürlich geweckt, wohin sie führten. Nachdem die Wache Fisher durch eine graue Doppelschwingtür geführt hatte, standen sie in einem großen Durchgangsraum. Gegenüber der Doppeltür befand sich eine Theke, hinter der eine ältere Frau auf einem TabCom herumtippte und hin und wieder von ihr aus links zu einer weiteren Wache blickte. Diese Wache stand an einer kleinen Durchreihe, vor der sich eine Schlange junger und alter Männer gebildet hatte. Fisher konnte den Alten und den Bulligen entdecken, aber nicht Crimson. Die Wache an der Durchreiche reichte jedem der Männer ein graues Packet. Fishers Wache zog ihn ruckartig, nachdem sie den Raum betreten haben zur Theke, fasst ihn am Kragen und zerrte ihn vor die ältere Dame. Sie war von zierlicher Gestalt, trug auf der Nasenspitze eine graue Brille inklusive schicker Kette für um den Hals und hatte kinnlanges blond-graues Haar. Der gelangweilte Blick ihrer grauen Augen ging erst von dem TabCom weg, als die Wache laut räusperte.

»Rechte Hand«, befahl die Frau, die Fisher als »Iris Mulligan« aufgrund des kleinen, goldenen Namensschildes auf dem Tresen identifizieren konnte.

»Was?«, fragte Fisher, doch ergriff die Wache sofort sein rechtes Handgelenk und streckte Iris Mulligan gewaltsam Fishers Hand vors Gesicht. Sie übernahm den Griff der Wache, bedankte sich bei »Henry« und tauchte Fishers Hand in eine Schale voller dunkelblauer Flüssigkeit. Dann zerrte sie an Fishers Hand, der schon halb auf ihrer Seite der Theke lag und hielt seine Extremität unter ein weißes Gerät auf ihrem Schreibtisch. Es piepste kurz auf und ein roter, länglicher Laser fuhr über Fishers Hand. Es kribbelte kurz und Iris drehte die Hand unter der Beleuchtung ein paar Mal herum. Dann ließ sie die Hand los und Fisher hielt sich das von den Griffen schmerzende Handgelenk.

»Linke Hand«, sagte Iris, als Fisher froh war, dass es vorbei war. Dieses Mal reichte er ihr freiwillig die Hand, damit sie dieser erneut in die Farbe tunken und unter den Laser halten konnte. Danach wurde Fisher allerdings noch nicht gehen gelassen. Er wurde ein paar Personalien angefragt, wie zum Beispiel sein Name. Doch er konnte sich immer noch nicht an ihn erinnern. Iris vermerkte auf einem der Formulare, die sie mit den Fragen ausfüllen musste ein »Nicht bekannt«.

Es vergingen fünf Minuten der Fragerei, ehe die Wache Henry den jungen Fisher weiterschob und er vor der Durchreiche stand. Die zweite Wache, ein schlaksiger Kerl mit grimmigem Blick musterte Fisher von oben bis unten und sprach dann von einem 5-73er und kurze Zeit später wurde eines der grauen Pakete, die Fisher bei den anderen bereits entdeckt hatte an ihn weitergereicht.

»Da drüben anstellen und umziehen«, sagte Henry und nickte nach rechts, wo eine Tür aus dem Raum führte.

Unsicher ging Fisher mit dem Paket beladen durch die Schwingtür und reihte sich erneut hinter den anderen ein. Schrittweise ging es voran und Fisher reckte sich nicht nur einmal, um sehen zu können, was weiter vorne sich ging. Die Männer gingen immer abwechselnd nach rechts und links. In der Mitte stand ein Mann in Militärkleidung und schrie. Es waren wohl Befehle. Wo war er hier gelandet? Was war das bloß für ein Ort? Es dauerte keine zehn Minuten, bis Fishers Vordermann nach links abgegangen war und Fisher trat nun einen Schritt nach vorne.

Der Militär hatte auf seiner Uniform Epauletten mit einer rot-goldenen Krone darauf und Fisher konnte sich daran erinnert haben in seiner Schulausbildung einmal gelernt zu haben, dass diese Abzeichen einen Major ausmachten. Der Major schrie Fisher drei Worte entgegen: »Rechts! Ausziehen! Gehorchen!« War er hier jetzt im offiziellen Schwulen-Puff der HBA oder wieso sollte er sich gleich ausziehen? Es war ihm nicht ganz geheuer zu Mute, doch er nickte und ging nach rechts.

Doch der Major zerrte ihn am Arm zurück und brüllte ihn an, es hieße »Jawohl, Sir«, also wiederholte Fisher die Worte und ging dann nach rechts ab.

Mit dem, was ihn dort, in einem kleinen, gefliesten Raum mit tropischen Temperaturen erwartete hatte er nicht gerechnet. Hinter fünf, jeweils einen Meter hohen Steinmauern befanden sich Duschsysteme, von denen 4 belegt waren. Jeder der Männer stand nackt unter der Dusche und wurde von einem Mann in grünem Schutzanzug genauestens geprüft.

Der Mann bemerkte den verloren im Raum stehenden Neuen und kam auf ihn zu. Er streckte ihm die in Gummihandschuhe gehüllte Hand entgegen und schaute ihm über einen Mundschutz und unter einer Haube hinweg an.

»Dr Anderson«, stellte er sich vor und versuchte das Rauschen der Duschen zu übertönen. Fisher konnte ihn trotzdem nicht verstehen. Doch die nachfolgenden Gesten waren unverkennbar die Aufforderung die Kleidung fallen zu lassen. Dr Anderson nahm Fisher das graue Paket ab, legte es zur Seite und Fisher begann sich vollständig zu entkleiden.

Im Nachfolgenden stellte er sich unter die letzte freie Dusche und ließ das eiskalte Wasser auf sich nieseln. Dr Anderson untersuchte ihn gründlich. Sehr gründlich. Fisher war das alles andere als angenehm, schließlich hatte er wie jeder andere Mensch auch seine Komfortzone und Privatsphäre. Offenbar kannte man beide Wörter bei der HBA nicht.

 

Impressum

Texte: Alle Rechte bei E.C. Cartrose!
Tag der Veröffentlichung: 25.07.2016

Alle Rechte vorbehalten

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