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Erstes Kapitel oder Schmetterlingskette


Sky



„Sky! Aufstehen, die Schule fängt gleich an! Du willst doch nicht wieder zu spät kommen, oder?“, weckte mich die schrille Stimme meiner Mutter. Träge öffnete ich erst das linke Auge, blinzelte und drehte mich murend wieder um. „Ich steh ja auf“, brummte ich und schloss das Auge. Sechs Sekunden später stand meine Mutter neben meinem Bett. „Aufstehen hab ich gesagt!“ Verschlafen schaute ich zu ihr hoch und blickte in den Lauf einer Wasserpistole und schrie auf. Offensichtlich hatte sie die aus dem Zimmer meines jüngeren Bruder geklaut. Schnell sprang ich aus dem Bett und lief ins Bad.
Fertig angezogen sprintete ich eine Viertelstunde später die Straße entlang. Glücklicherweise kam ich noch Rechtzeitig für meine Mathestunde. Herr Riep nickte mir anerkennend zu, als er in den Raum trat. Es war neu für ihn, dass ich pünktlich war.
Nach dem Unterricht führ ich mit dem Bus in die Stadt. Ich brauchte unbedingt noch neue Bücher, sonst würde ich mich die nächsten Tage zu Tode langweilen. Mit meinen Kopfhörern in den Ohren stieg ich aus dem Bus und fiel über die Bordsteinkannte. Einen Moment wunderte ich mich, warum sich mir der Boden so schnell näherte, bis mein Gehirn registrierte, dass ich es war, die dem Boden näher kam. Kurz bevor ich mit dem Kopf auf den Asphalt geknallt wäre und mir damit wahrscheinlich mein ganzes Gesicht verunstaltet hätte, riss mich jemand am Arm hoch. Benommen strauchelte ich gegen meinen Retter und hielt mich an ihm fest. „Geht’s dir gut? Hast du dich verletzt?“, fragte er mich und seine Stimme hörte sich an wie das Schnurren einer Katze. Nachdem ich mit den Beinen gewackelt und meine Arme geschwenkt hatte, nickte ich zufrieden und sah ihm ins Gesicht. „Alles super. Danke.“, bestätigte ich und erstarrte. Verwirrt legte ich den Kopf schief. „Ähm, oder auch nicht… irgendwie sind deine Augen lila.“ Seine schmalen Lippen hoben sich zu einem Lächeln und erwiderte zynisch: „Dann solltest du wohl mal zum Augenarzt gehen.“ Nickend starrte ich ihn weiter an. Es war mir einfach nicht möglich, den Blick von ihm zu wenden. Resigniert seufzte er. „Es sind Kontaktlinsen, okay? Ich bin übrigens Nuru.“ Er streckte mir seine Hand entgegen und ich nahm sie in meine. „Hi“, erwiderte ich nur und hielt seine Hand weiter fest. Offensichtlich leicht genervt wand er sich aus meinem Griff. „Hast du auch einen Namen?“ Perplex nickte ich. „Warum fragst du?“, sagte ich und zog die Stirn kraus. „Weil du ihn mir noch nicht genannt hast“, antwortete er und setzte nach: „Bist du sicher, dass es dir gut geht? Scheinst ein wenig verwirrt zu sein.“ Ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn. „Entschuldige. Ich heiße Sky.“ Er nickte nur. Er wollte wohl nichts mit mir zu tun haben. „War schön, dich kennen zu lernen“, warf ich ein und biss mir auf die Lippen, dann fügte ich hinzu: „Vielleicht sieht man sich mal wieder. Noch mal danke wegen… du weißt schon.“ Er nickte wieder. Ich steckte die Daumen in meine Hosentaschen und ging die Straße entlang zur Bücherei.
„Warte!“, rief Nuru hinter mir und ich schaute zurück. Skeptisch hob ich eine Augenbraue. Vielleicht wollte er doch etwas mit mir zu tun haben? Ich beobachtete ihn genauer, während er in seiner schwarzen, langen Röhrenjeans mit Nieten und silbernen Ketten, dem langen, ebenfalls schwarzen Mantel und dem T-Shirt in blutrot mit einem weißen Totenkopf auf mich zu gerannt kam. Dieser Gothic-Style war eigentlich nicht mein Typ, aber seine Augen faszinierten mich noch immer. Es waren keine - „Er wird meine große Liebe“ – Gedanken, sondern viel mehr etwas tiefes, als wären wir auf eine Art miteinander verbunden, die sich nicht beschreiben ließ. Ich schüttelte meinen Kopf. Was dachte ich denn da? So ein Schwachsinn! Bevor ich mich selber jedoch wieder zur Vernunft bringen konnte, stand er bereits vor mir und schaute auf mich herab. „Den hier hast du verloren.“ Mit abweisendem Blick hielt er mir meine Halskette mit dem kleinen Schmetterling vor die Nase. „Oh,“ machte ich und nahm sie entgegen. „Nochmals danke.“ Immer noch abwesend zuckte er mit den Schultern. „Keine Ursache. Soll ich dir helfen, sie umzuhängen?“, fragte er und ich stotterte: „Sicher.“ Seine Gegenwart nahm mich doch mehr mit, als ich es eigentlich wollte. Wann hatte ich das letzte Mal gestotterte? Das musste ewig her sein. „Dreh dich mal um“, bat er mich und nun schauten seine Augen mich an. Zur Glasscheibe gewandt sah ich ihm dabei zu, wie er an dem kleinen Verschluss der Kette herumhantierte. Eigentlich gaben wir ein hübsches Paar ab. Seine dunkelbraunen Haare und meine rotbraunen Haare schimmerten in der Nachmittagssonne. Auch wenn meine grauen Augen nicht einmal annähernd so spannend waren, wie seine, gefiel mir das Bild von uns beiden. Nuru riss mich aus meiner Träumerei, als er mir leise ins Ohr flüsterte: „Steht dir, die Kette.“ Dann drehte er sich um und ging davon.

Nuru


Verdammter Zufall! Warum musste ausgerechnet sie es sein, die ihm über den Weg lief? Warum hatte er ihr eigentlich geholfen? Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn er sie hätte fallen lassen. Natürlich wäre dann ihr hübsches Gesicht mit den vollen Lippen aufgeplatzt und wahrscheinlich hätte sie sich auch noch die Nase gebrochen, aber… „Nein.“ Wütend stampfte er mit dem Fuß auf. Wenigstens hatte er es geschafft, sich von ihr loszureißen. Ihr Duft war betörend gewesen und er hatte ihn auch jetzt noch, zwei Stunden später, wie eingeimpft in der Nase. Einfach war die ganze Angelegenheit wirklich nicht.
Langsam ließ er sich an der weißen Wand entlang rutschen, setzte sich auf den Boden und ließ den Kopf nach vorne fallen. „Ich hätte es wirklich besser wissen müssen“, murmelte er. Seine Fingernägel kratzten über die holprigen Steine des Weges und hinterließen kleine Furchen. Er malte eine geschlängelte Linie in die Erde und seufzte dann müde. Diese Welt war einfach nichts für ihn. Sky war tabu. Ein No-Go. „Lass die Finger von ihr!“, schäfte er sich selber ein und richtete sich wieder auf. „Du schaffst das schon…“, versuchte er sich selber Mut zu zusprechen, auch wenn er sich da nicht so sicher war. Mit gesenktem Kopf lief er weiter.

Zweites Kapitel oder der Auftrag


Sky



Nachdem ich mich durch das halbe Sortiment der Bücherei gewälzt hatte, gab ich auf. Die zwei Bücher, dir mir halbwegs zugesagt hatte, nahm ich mit und machte mich auf den Heimweg. Ich bog gerade um die Ecke zu der kleinen Wohnung, in der ich mit dem Rest meiner Familie wohnte, als mir ein Regentropfen auf die Nase fiel. „Auch das noch!“, schimpfte ich vor mich hin und rannte mit den Büchern unter der Jacke zur Haustür. Mein kleiner Schmetterling-Anhänger schlug mir gegen das Schlüsselbein. Ich hatte ihn zu meiner Geburt geschenkt bekommen und seitdem nicht einmal abgelegt. Wer ihn mir damals geschenkt hatte, wusste ich nicht und meine Mutter weigerte sich, es mir zu erzählen. „Irgendwann wirst du es wissen“, wurde sie nicht müde zu sagen, wenn ich sie danach fragte. An der Tür angekommen durchsuchte ich meine Jackentaschen mit einer Hand nach den Schlüsseln, fand sie aber nirgends. Bevor ich noch ganz nass wurde, klingelte ich. Zwei Minuten später summte es und ich flitzte nach oben. „Hallo Mama“, sagte ich und schlängelte mich an ihr vorbei. „Wo warst du denn so lange?“, fragte sie müde und zog ihre Stirn kraus. Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, musste sie alleine dafür sorgen, dass wir genug Geld für die Miete und Essen hatten. In letzter Zeit sah sie immer müder und kaputter aus, aber meinen Vorschlag, ihr zu helfen, hatte sie abgelehnt. „Ich war noch bei der Bücherei“, brummte ich leise und musterte ihr blasses Gesicht weiter. Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie meine und auch ihre leicht lockigen Haare hatte ich geerbt. Nur die Haarfarbe war von meinem Vater. Meine Mutter hatte blonde Haare. Nicht wasserstoffblond, sondern ein ausgewaschenes, leicht bräunliches Blond. Seit neustem fielen mir immer mehr graue Strähnen auf. Ein mattes Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. „Meine kleine Lesemaus“, sagte sie liebevoll und ging in die Küche.
Mit meinen Errungenschaften, die diese Mal wirklich mager waren, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Anstelle jedoch eines der Bücher zur Hand zu nehmen und mich in die Seiten zu vertiefen, schweiften meine Gedanken zu dem seltsamen Jungen. Hatte er wirklich lilafarbene Kontaktlinsen gehabt? Seine Augen wirkten so echt.


Nuru



„Ihre Mission ist noch nicht beendet, Nummer 098. Sie wissen, dass sie erst zurück können, wenn ihr Auftrag ausgeführt wurde.“ Er hieb mit der rechten Faust auf die Wand neben dem alten, klapprigen Telefon. „Ja, ja das weiß ich“, erwiderte er. „Rufen sie erst wieder an, wenn sie fertig sind. Auf Wiederhören.“ In der Leitung rauschte es und er ließ den Hörer auf den kleinen Holztisch fallen. Eine Weile blieb er noch vor dem Telefon stehen und starrte die weiße Wand an, dann wand er sich um und suchte seine Ausrüstung. Er musste so schnell wie möglich wieder weg von hier.

Drittes Kapitel


Sky



Es war Mittwoch, als ich Nuru wieder sah. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, als er mir gegenüber aus der Bank kam. Ich ließ meine Freundin Jasmin einfach bei H und M stehen und rannte über die Straße. Warum genau, wusste ich nicht, aber es fühlte sich richtig an. „Heeeeyyy! Nuru? Warte mal!“, rief ich, während ich ihm fast schon in die Arme flog. Er drehte sich ruckartig um und fing mich auf. „Hallo Sky.“ Er kratzte sich am Kopf, wohl verwundert, was ich hier machte. Da ich es selber nicht so genau wusste, blieb ich erst Mal wieder mit offenem Mund vor ihm stehen. „Was ist denn los?“, fragte er, nachdem ich eine Weile nichts gesagt hatte. „Äh.. ich hab dich nur von dort drüben gesehen und … ehrlich gesagt weiß ich auch nicht recht, warum…“, versuchte ich zu erklären und zeigte dabei mit meiner linken Hand in etwa in die Richtung, aus der ich gekommen war. „Ich glaube, deine Freundin war wohl nicht so begeistert darüber, dass du einfach abgehauen bist.“ Verwirrt schaute ich ihn an. “Woher weißt du, dass ich mit meiner …“, weiter kam ich nicht, denn da stand Jasmin auch schon neben mir und motzte mich an: „Sag mal, geht’s dir noch gut? Warum lässt du mich einfach stehen?!“ Wütend funkelte sie mich an bis sie Nuru sah. Sofort klärte sich ihr Blick und sie setzte ein kokettes Lächeln auf. „Ach so ist das“, murmelte sie in meine Richtung und stieß mir grinsend den Ellbogen in die Seite. Zwangsweise stellte ich die beiden einander vor. „Jasmin, das ist Nuru. Nuru, Jasmin.“

__________________________ Fortsetzung folgt...

Impressum

Texte: Leona Schwanenberg
Bildmaterialien: schwanenberg
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2012

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