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29.08.2012



17:56 Uhr. Montag. Rupert Straße. Ein bereits in die Jahre gekommener Mann verlässt das Café „Backfrisch“. Sein Mantel weht leicht im Wind. Unter dem linken Arm trägt er eine Papiertüte. Die Verkäuferin schaut dem Mann mit weit aufgerissenen Augen hinterher.
17:57 Uhr. Die Verkäuferin greift zum Telefon. Hektisch spricht sie in die Sprechmuschel. Der Mann verschwindet um die Ecke der Straße. Ein Herbstblatt fliegt über den Asphalt, weht am Abfluss entlang und bleibt dort ruhig liegen.
18:00 Uhr. Das Telefon wird zur Seite gelegt. Langsam lässt sich die Verkäuferin auf ihren Stuhl sinken und streicht sich die blonden Ponyfransen aus der Stirn. Die zersprungene Tasse liegt noch unangetastet auf dem gekachelten Boden.
Kurz vorher. 17:50 Uhr. Der ältere Mann betritt mit einem schwarzen Hut den Laden. Er setzt sich auf einen Platz nah am Fenster, lässt den langen Mantel an und wartet. Kurz darauf erscheint die Verkäuferin. Er bestellt einen Kaffee, schwarz und ohne Zucker. Sie dreht sich um, reicht dem jüngeren Mann seine Rechnung und streckt das Geld ein. Die Türglocke klimpert leicht, als dieser das Café verlässt.
17:52 Uhr. Der ältere Mann erhebt sich, dreht sich um und zielt mit seiner schwarzen Pistole auf die Verkäuferin. Erschrocken lässt diese die Tasse fallen, die sie zuvor in der Hand hielt. „Machen sie sich keine Sorgen. Öffnen sie die Kasse“, spricht der Mann sie freundlich an. Es klickt und die Kasse springt auf. „Geben sie mir das Geld, nur die Scheine. Münzen sind mir zu schwer.“ Sie gehorcht, packt alles fein säuberlich in die Papiertüte, die er ihr hinhält.
17:54 Uhr. Sie ist fertig und schaut ihn fragend an. Der Mann bleibt abwartend vor ihr stehen. „Wissen sie, Fräulein, wenn man so alt ist, wie ich es bin, hat man schon so viel erlebt. Was hab ich noch zu verlieren? Meine Kinder sind groß und brauchen mich nicht mehr, meine Enkelkinder freuen sich über den Anblick eines Fünf-Euro-Scheins mehr als über mein faltiges Gesicht. Vor drei Monaten starb meine geliebte Frau.“ In seinen Augenwinkeln bilden sich Tränen. „Es tut mir Leid. Ich wollte sie nicht mit meiner Geschichte langweilen, “ murmelt er und wischt sich hastig die Tränen mit dem Handrücken weg. „Machen sie es einmal besser als ich. Sie werden keine Cafés ausrauben müssen, damit sie wenigstens eine Person haben, die ihnen zwei Minuten ihres Lebens aufmerksam zuhört.“ Er schaut auf die Papiertüte.
17:56 Uhr. „Packen sie das Geld wieder aus. Ich brauche es nicht.“ Ihre Augen werden noch größer. Erstarrt schaut sie ihn an. Er nickt ihr zu und wartet. Mit einem leisen knistern wird die Tüte wieder geöffnet, die Kasse gefüllt. Der Mann lächelt, nickt noch einmal und nimmt die Papiertüte an sich. „Haben sie vielen Dank für das Gespräch, “ sagt er und geht hinaus. Die Verkäuferin starrt ihm hinterher.


29.08.2012 (2)



Hannah schaute sich unsicher um. Ihre dünnen Beinchen schlitterten über die zugefrorene Straße, ihr löchriger Mantel schlabberte um ihren ausgemergelten Körper und sie zitterte vor Kälte am ganzen Leib. Moritz, ihr kleiner Grauhaardackel, schlich ihr um die Füße. Hannah hob die Hand zur Stirn und wischte sich den Angstschweiß mit dem Handrücken weg. Die junge Frau vom Jugendamt war ihr nicht gefolgt, als sie über den kleinen Hinterhof ihres alten Zuhauses geflohen war. Erleichtert atmete sie aus. Sie durchwühlte ihre Manteltaschen nach dem wenigen Geld, was von den letzten Ersparnissen, die ihrer Mutter ihr vermacht hatte, übriggeblieben war. Ganz unten fand sie noch eine Münze. Viel würde sie sich davon nicht leisten können, aber ein belegtes Brötchen und ein Stück Wurst für Moritz sollten wohl drin sein. Zwei Ecken weiter stieß sie auf ein kleines Café. Sie hoffte, man würde sie nicht davon jagen, wenn sie verdreckt wie sie nun einmal war, etwas zu essen bestellte. Die Türglocke läutete kurz, als sie sich durch die Tür schob. Moritz blieb draußen sitzen und winselte leise. Hannah hob den Blick vom Boden und schaute sich das Sortiment des Cafés an. Sahnetorten, Schokotorten und ein großer Frankfurter Kranz stachen ihr ins Auge. Es war lange her, dass sie etwas Süßes gegessen hatte. Sehr lange. Ihr Magen grummelte. Neben den Leckereien entdeckte sie zwei Brötchen mit Frikadellen und drei mit Salami und Käse. Sie wog die Münze in ihrer rechten Hand und dachte nach. Frikadellen würden Moritz bestimmt schmecken. „Was darf es sein?“, schreckte die Stimme eines Mannes sie aus ihren Gedanken. Als sie den Blick auf ihn richtete, sah sie, dass er bereits kahle Stellen am Kopf hatte und einen sympathisch wirkenden, kinnlangen Bart trug. Er lächelte sie freundlich an. „Ein Frikadellen-Brötchen, “ murmelte Hannah undeutlich. Der Mann nickte und nahm es aus der Auslage, steckte es in eine Tüte und betrachtete Hannah dann gründlich. „Sag mal Kleine, was machst du so alleine hier?“ Hannah schaute ihn verwirrt an. „Ich hatte Hunger, “ nuschelte sie und legte die Münze auf die Glasscheibe. Der Mann nickte und reichte ihr die Tüte. „Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ Sie nickte stumm und erschrocken und drehte sich mit der Tüte zur Tür, wobei sie die Kellnerin mit dem Arm streifte. Diese lies vor Schreck ihr Tablett mit der Tasse fallen und schrie auf. Hannah wirbelte herum. „Oh nein, das wollte ich nicht!“ rief sie und hockte sich sofort hin, um die Scherben aufzusammeln. Der nette Mann hinter dem Tresen kam zu ihr, hockte sich ebenfalls hin und half ihr, die Scherben einzusammeln. „Es war doch nicht deine Schuld, Kleine.“ Kurz überlegte er, dann setzte er nach: „Weißt du was? Wenn du magst, dann lade ich dich zu einem Stück Schokotorte ein und du erzählst mir, was du in diesen zerrissenen Kleidern im Winter machst, ja? Dein Dackel da draußen bekommt auch eine Wurst von mir. Wie heißt der denn?“ Hannah schaute den Mann verwundert an und erwiderte „Moritz.“ Sie konnte es nicht glauben. Schokokuchen!! Nur für sie! Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.


04.09.2012



„Herzlich Willkommen meine Damen und Herren zur heutigen Vorlesung über den Neandertaler in uns.“ Lächeln! Immer schön Lächeln, denk dran, nur wer lächelt, lockt Menschen an. Oh, wer ist denn das da? Hübsch, sehr hübsch. Und der daneben? Nee, also wirklich nicht. Da würde doch jemand anders viel mehr zu… guck weg. Guck weg! In Ordnung. Was wollte ich sagen? Irgendwas sollte ich doch noch sagen. Ähhmm…Wo sind denn diese scheiß Blätter? Ich hatte mir doch alles aufgeschrieben! Blätter, kommt zu Papa. Ja wo seid ihr denn? Ahh.. „ Noch einmal herzlich Willkommen und vielen Dank, dass sie so zahlreich erschienen sind.“ Von wegen. Das waren aber auch schon mal mehr… Interessiert sich denn heute niemand mehr für meine Vorlesungen? Offensichtlich wohl nicht. Die gehen wohl alle lieber ins Kino. Pff… „Mein Name ist Dr. Klaus Weidenpesch und ich werde Ihnen in den folgenden zwanzig Minuten etwas über den Neandertaler erzählen.“ Ach ne, wirklich. Schön hast du das gesagt, sehr schön. Was als nächstes? Noch irgendwas zu beachten? Halt, was macht denn das kleine Mädchen da vorne. Bohrt die in der Nase? In meiner Vorlesung? Ich hab doch noch nicht mal richtig angefangen! Egal! Lass dir nichts anmerken! „Wie sie wahrscheinlich alle wissen, lebte der Neandertaler vor circa 30.000 Jahren.“ Eine lange Zeit, was man wohl alles in 30.000 Jahren machen kann? Wie viele Sekunden wären das denn? Moment, dafür müsste ich doch 30.000 mal 365 Tage und dann .. Klaus! Deine Vorlesung! Die Leute gucken ja alle schon. Lächeln! Einfach Lächeln dann wird das schon. „Forscher gehen davon aus, dass vier Prozent unserer heutigen Gene mit den Genen des Neandertalers überein stimmen.“ Na bei dem in der zweiten Reihe sind es wohl eindeutig mehr als nur vier Prozent, so wie der aussieht. Aussehen.. da war doch was. Anna wollte doch zum Frisör, genau. Wofür eigentlich? Sieht dann doch eh nicht anders aus… Die Mülltonne da vorne quillt ja schon über. Müsste mal gelehrt werden. „Was glauben sie, hat die Forscher und Biologen als nächstes interessiert? Was wollten sie herausfinden?“ Lassen wir doch einfach mal das Publikum mitmachen! Schließlich sind die nicht hier, um in der Nase zu bohren, oder? Vielleicht ja doch? Vielleicht hatten sie auch einfach keine Lust auf einen Nachmittag bei ihren Schwiegereltern? Ja, der da drüben sieht eindeutig so aus, als würde… Oh, da meldet sich jemand. „Ja bitte? Was glauben Sie denn?“ Als würde es mich wirklich interessieren, was diese junge Frau denkt. Wobei, hübsche Haare hat sie ja schon. Klaus! Was erlaubst du dir? Du hast eine Frau zuhause und zwei kleine Kinder. Deswegen machst du diesen blöden Job hier doch überhaupt! Hör endlich auf, andere… hm, ihre Augen sind auch nicht ganz ohne. Wenn sie jetzt noch intell… NEIN! Klaus! Du bist mindestens zwanzig Jahre älter als sie! Die fallen schon die Hälfte deiner Haare aus, also bitte, reiß dich doch endlich mal zusammen! Bist ja fast selber ein Neandertaler! Lächeln! Einfach lächeln.


10.09.2011


Ich schreite voran. Immer einen Fuß vor den anderen. Links, rechts. Links, rechts. Nicht nach vorne schauen. Nicht an den weiten Weg denken, der noch vor mir liegt. Aber auch nicht zurück Blicken. „Lebe im hier und jetzt“, geht mir durch den Kopf. Mein Blick ist auf den Bodengerichtet. Kurz nur, wie ein Wimpernschlag, sehe ich mal nach rechts, mal nach links. Entscheide mich, dorthin zu gehen, oder doch lieber in eine andere Richtung. Manchmal berührt mich jemand am Arm. Manchmal sehe ich einen Schatten, der neben mir läuft. Den gleichen Weg eingeschlagen hat. Doch meistens verschwindet er so schnell wieder, wie er gekommen ist. Ab und zu tun meine Füße weg. Manchmal auch mein Hals oder mein Kopf. Dann suche ich nach einer Bank, setzte mich hin und warte, bis ich weiter laufen kann. Ich weiß, irgendwann erreiche ich mein Ziel. Doch noch weiß ich nicht, was es überhaupt ist. Hab keinen Schimmer davon, was mich erwartet … aber das wird schon noch. Links, rechts. Links, rechts.

*****



Ich schreite durch die Welt. Grau in grau. Nichts rot, nichts blau.. nichts farbenfroh. Sehe kein Ziel. Sehe keinen Sinn. Nichts, was mir Kraft schenkt. Und so schleppe ich mich dahin. Stets auf der Suche. Doch nach was? Ich weiß es nicht. Weiß nicht einmal wirklich, dass ich etwas suche. Bis ich finde. Bis mein Herz anfängt zu strahlen, zu leuchten. Immer heller, um so näher ich komme. Dem kleinen Fleck *bunt* am Horizont. Verteilt das Licht, wie ein Regebogen. Gibt langsam allem seine Farbe wieder. Lässt mich von Schritt zu Schritt schneller laufen. Zu dem Bunten Punkt. Zu Dir.

*****




Ich wünsche mir ein Schloss, mit Fenstern bis zum Boden.
Im Garten einen Springbrunnen, mit Fischen dir drin toben.
Ein Wasserfall, der leise säuselt.
Mich Abends in den Schlaf wiegt.
Ein Himmelbett, auf dem man wie auf Wolken liegt.

17.01.2012


Montera ist ein ruhiges Dorf. Es ist schon lange her, dass ein Außenstehender durch diesen Teil der Provinz reiste und Neuigkeiten aus dem Lande König Jetsum mitteilte. So geschah es, dass keiner der Einwohner mitbekam, wie das Königreich langsam zugrunde ging. Eines Tages am frühen Abend, kam ein Bote herbei geeilt und berichtete, dass die Hexe Sonea aus dem Süden Plünderungen bis tief ins Landesinnere anführte und bald auch Montera erreichen werde. Die Bewohner waren in großer Sorge, waren sie doch den Soldaten der Hexe schutzlos ausgeliefert. Der Bote überbrachte außerdem die schlechte Kunde, dass die edlen Ritter an den Nordgrenzen gegen das Babarenvolk kämpften und nicht rechtzeitig bei den Einwohnern Monteras sein konnten, um sie zu unterstützen. Nur wenige Tage später schlugen die feindlichen Soldaten vor Montera ihr Lager auf, um bald mit der Plünderung zu beginnen. Aus Verzweiflung wandten sich die Einwohner an den weisen Dorfältesten, der bedauerlicher Weise auch nicht mit hilfreichen Vorschlägen dienen konnte. Er wies sie jedoch an, sich in den alten Katakomben an den Geist des unbekannten Königs zu richten und ihn um Hilfe zu bitten. Einige Männer machten sich nun auf und stießen bis zum Grab des unbekannten Königs vor. Sie flehten ihn an, den Dorfbewohnern zu helfen. Doch es blieb alles still. Sie boten ihm als Gegenleistung eine Jungfrau an, versprachen alles, zu tun was er wollte, wenn er ihnen doch nur helfen würde. Aber es rührte sich nichts. Frustriert machten sich die Männer auf den Heimweg, mit dem Gedanken beschäftigt, dass man nur noch fliehen konnte.
Während des Rückweges, kam den Männern aus einer Nische eine anmutige Frau entgegen. Sie war ihnen gefolgt und hoffte den Geist des unbekannten Königs besänftigen und überzeugen zu können, dem Dorf beizustehen. Bedächtig bewegte sie sich auf das Grab zu, kniete sich davor nieder, schloss ihre Augen und fing an zu flüstern:

„Mein werter König hörst du mich?
Gib mir die Ehre
dich zu sehen.
Die Angst besetzt mein Herz,
doch ist das nicht mein Schmerz.
Ich werde meine Liebe verlieren
nie wieder das wundervolle Gesicht meiner Mutter sehen.
Schwer wiegt meine Seele in der Brust
Meine Mutter ging von mir
Auch du liebtest jemanden,
was ist geschehen?
Wenn du auf deines Herzens Stimme hörst
Sagt mir, was deine Seele stört
Ich möchte dir zur Seite stehen
früher werde ich nicht von dannen gehen.“


Flüsternd kam eine sanfte Stimme aus der Dunkelheit: „Verloren habe ich einst meine Liebe. Meine Seele trägt durch den Schmerz tiefe Wunden.“ Die Frau hob vorsichtig ihre Lieder. Vor ihr stand schimmernd ein junger König. „Sagt mir werte Dame, wie soll ich eurem Dorf denn helfen? Ich bin gefangen in diesen Katakomben.“ Der König ging auf die kniende Frau zu und sprach weiter: „Einst liebte ich eine Frau. Allerdings hat man sie entführt. Ihr müsst wissen, sie war kurz davor unsere gemeinsame Tochter zur Welt zu bringen. Ich habe lange nach ihr gesucht, doch nie konnte ich sie finde. So trank ich das Gift einer Schlange und ließ mich hier bestatten, um ewig mit dieser Schmach zu verweilen.“ Mit kummervoller Miene wandte sich der König ab. „So warte doch, ich sehe deine Liebe, und es bereitet auch mir Kummer. Lass mich dir helfen, damit deine Seele den Frieden findet. Auch mich ereilte ein schlimmes Schicksal. Meine Mutter will in der Morgendämmerung das Dorf angreifen, welches dich um Hilfe bat. Sie wird beherrscht von Trauer und Zorn. Ich bitte dich, helf ihr. Sie wünscht sich wie du, dass dieser Alptraum endlich endet. Ich spreche zu dir als deine Tochter. Lange habe ich dich gesucht, Vater, um das hasserfüllte Herz meiner Mutter zu bezähmen. Sie starb bei meiner Geburt, doch ihre gequälte Seele weilt noch immer hier. Nur du, König Faran, der sie von ganzem Herzen liebt, kannst ihr helfen.“ Der König schluchzte nur leise Sonea und verschwand.
Die ersten Sonnenstrahlen kündeten den Morgen an. Die Soldaten waren breite für den Angriff. Doch noch hieß es, sich zu gedulden. Sonea schritt aus ihrem Zelt und verkündetet: „Nun wird es Zeit, wir werden Montera in Schutt und Asche legen!“ Die Soldaten stürmten auf das Dorf zu, doch auf halbem Weg, schrie die Hexe:“ Bleibt stehen!“ Diejenigen, welche aus Gier und Kampfeslust, noch weiter rannten, ließ sie kaltherzig in Flammen aufgehen und qualvoll verrecken. Langsam ging sie auf das Dorf zu, bis sie vor ihm stand. Mit gesenktem Kopf blickte er auf sie herab, der unbekannte König. Sanft, fast flüsternd, sagte er: „ Verzeih mir meine holde Königin. Ich ließ dich im Sticht, als du mich brauchtest. Lass deine Wut nicht an diesem Dorf aus, wenn eigentlich ich es bin, der sie verdient. Ich stehe nun vor dir, um meine gerechte Strafe entgegen zu nehmen.“ „Du hast Recht, in meiner größten Not standst du nicht an meiner Seite. Du hast mich aufgegeben und dich aus Feigheit selbst getötet. Aber ich gestehe dir, meine Liebe zu dir reicht noch immer bis über alle Grenzen. Ich kann und werde nicht über dich urteilen. Wie lange sehnte ich mich nach dir! Du bist derjenige, der an meiner Seite stehen soll, kein andere wäre diesem Platze würdig.“
Die Soldaten standen noch immer an Ort und Stelle, bis Sonea ihnen befahl, sich umgehend zurück zu ziehen. Im Schein der aufgehenden Sonne nahm der König, die Hand seiner Königin, beugte sich bedacht vor und gab ihr einen saften Kuss. Zusammen gingen sie, Hand in Hand, der Sonne entgegen, bis man nichts mehr von ihnen sah. Ihre Tochter schaute ihnen freudestrahlend hinterher.

11.04.2011


Ich schaute ihn an. Das war nicht sein ernst. Er hatte mich nicht wirklich die ganze Zeit belogen, oder?? Nein, das konnte ich nicht glaube. Wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt tot. Ich starrte ihn in den Boden. Dann durchzuckte es mich. Ich war eigentlich total gegen Gewalt. Doch in dem Moment war mir das egal. Ich hob meine Hand und schlug blitzschnell zu. Auf die rechte Wange. Dann dachte ich, das reicht nicht. Nur eine Backpfeife, für das, was er mit angetan hat? Nein. Ich hob die Hand wieder, wollte noch einmal zuschlagen. Doch diesmal war er schnelle. Er hielt meine Hand fest, bevor ich ihn treffen konnte. Ich blitze ihn noch mehr an und nahm die andere Hand. Doch jetzt hielt er auch diese fest. Ich wehrte mich. Ich versuchte, meine Hände frei zu bekommen. Ich wollte meiner Wut freien Lauf lassen. Wollte ihn weiter schlagen. Doch er war stärker als ich. Er liest mich nicht. Stattdessen drückte er mich weiter nach hinten, bis ich die Wand im Rücken spürte. Er war mir so nah. Ich starrte ihn an. Ich hatte ihn die ganze Zeit angestarrt, aber nicht wahrgenommen, weil ich so von meiner Wut besessen war. Jetzt wurde ich mir seiner bewusst. Auf einmal war ich nicht mehr wütend. Ich war bezaubert. Ich wollte immer weiter in seine Augen schauen. Er hatte mich in seinen Bann gezogen. Ich konnte mich nicht mehr wiedersetzten. Das verlangen flackerte in mir auf. Obwohl ich es nicht wollte. Obwohl ich mir sagte, dass ich noch sauer auf ihn war. Hätte sein müssen.
Und doch lehnte ich mich vor und küsste ihn. Küsste seine Lippen. Küsste ihn zum ersten Mal. Alles kribbelte. Mein ganzer Körper verlangte nach ihm. Er erwiderte den Kuss. Er drückte mich noch mehr an die Wand. Seine Hände, die meine die ganze Zeit über festgehalten hatten, verschränkten sich mit meinen. Verflochten sich. Der Kuss steckte voller Leidenschaft. Nach einer Weile lösten wir die Hände und seine wandersten über meinen Rücken und blieben auf meiner Hüfte liegen. Er Drückte sich immer mehr gegen mich. Meine Hände waren in seinen Haaren vergraben.
Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, hörten wir auf, uns zu küssen. Wir standen noch genau so dicht beieinander. Seine Nase berührte meine. Ich atmete dieselbe Luft wie er. Ich schmeckte ihn immer noch. Lange schauten wir uns in die Augen. Zwischendurch berührten sich unsere Lippen immer mal wieder. Ich konnte nicht denken. Wusste nichts mehr. Nur, dass ich immer in diese Augen schauen wollte. Nie mehr damit aufhören wollte, ihn zu schmecken, ihn so nah an mir zu spüren.

10.02.2011


„Anna?“ Sie lachte. „Anna, bist du das?“ Sie lachte noch lauter. Ich schüttelte genervt den Kopf. „Komm schon. Sag mir, ob du es bist oder nicht.“ „ Rate doch“, erwiderte sie keck. Ich seufzte erleichtert. „Du bist es. Du siehst klasse aus. Ich hätte dich nicht erkannt… wenn da nicht deine Augen wären, “ sagte ich. „Dafür hast du aber eben ziemlich verzweifelt ausgesehen, “ meinte sie. Ich zucke mit den Schultern. „Du hast aus deinem Kostüm ja auch ein großes Geheimnis gemacht. Woher sollte ich den wissen, ob das wirklich du bist? Bei den ganzen verkleideten Leuten.“ „Ja ist schon gut, jetzt kommt mit“, unterbrach sie mich und zog mich hinter sich her auf die Tanzfläche. Als ich stöhnte, drehte sie sich zu mir um.
„Du hast es mir versprochen, Nick.“ Sie schaute mich mit ihrem Hundeblick an. Ich gab auf. „Okay. Weil du es bist und du weißt, das ich meine Versprechen nicht breche.“ Mit diesen Worten ließ ich mich von ihr noch weiter auf die Tanzfläche ziehen.
Als sie sich jetzt wieder zu mir umdrehte, standen wir mitten unter dem Kronleuchter, der extra für den heutigen Maskenball dort angebracht worden war. Der DJ hatte gerade einen langsamen Song aufgelegt und um uns wiegten sich bereits alle zu der Musik.
Anna legte mir ihre Arme um den Hals und schaute zu mir hoch. Dann fingen wir an, uns hin und her zu schaukeln. Wir drehten uns. Ich vergaß alles andere um mich, versank vollkommen in ihren Augen, die so schön strahlten wie die Sterne am Himmel.
Wir drehten uns immer schneller. So schnell, das ich nicht mehr wusste, wo oben und unten, rechts und links war. Ich sah nur sie.
Es kam mir vor, als würden wir fliegen. Völlig losgelöst von der Erde, der Schwerkraft. Nur sie und ich. Ich und sie. Sonst nichts. Ich schloss die Augen. Zog sie näher zu mir. Wollte den Moment genießen.

Als ich meine Augen wieder öffnete, standen wir im hellen Sonnenlicht. Ich hörte Hufe trampeln. Kindergeschrei. Ich schaute mich um. Direkt neben uns war ein Zelt. Ein Tipi. Solche, die man aus den Zeichentrickfilmen aus dem Fernsehen kennt.
Was machten wir hier?? Gerade waren wir noch in der Turnhalle unserer Schule auf dem Maskenball und jetzt standen wir neben einem Indianerzelt.
Ich sah Anna an. Wollte wissen, ob sie auch so verwirrt war, wie ich. Doch sie fluchte nur vor sich hin.
„Wo sind wir hier?“, fragte ich. Sie schaute mich an, runzelte die Stirn und erwiderte: „ Ich würde vermuten, wir sind in Amerika. Dort gibt es doch solche Zelte, oder?“ Sie ließ das völlig unbeeindruckt.
„Und wie sind wir hergekommen? Und was machen wir hier überhaupt?“ Es machte mich wütend, dass sie das alles so locker sah. „Da gibt es noch etwas, was du nicht über mich weißt.“ Verlegen schaute sie auf den Boden. „Ich kann…“ weiter kam sie nicht.
Ein Mann, nur mit einem Lendentuch bekleidet und einem Sperrartigen Holzstamm in der Hand, stürzte auf uns zu.
Vor Schreck erstarrt blieb ich einfach wie angewurzelt stehen und schaute ihn an. Ich sah es schon kommen. Sah schon, wie er mich nieder rannte, oder womöglich mit seinem Sperr aufspießte. Da zog Anna mich zu sich. Schlang ihre dünnen Amre um meine Mitte und dann drehten wir uns. Schon wieder.
Ruckartig riss ich meinen Kopf herum und schaute ihr in die Augen. Wieder wurde ich ihn ihren Bann gezogen. Konnte mich überhaupt nicht gegen sie wären.
Dann, zwei Sekunden später, standen wir wieder in der Mitte der Turnhalle, als wären wir nie woanders gewesen. Völlig verdattert starrte ich Anna an. Was war das gewesen? Was hatte meine Freundin mit mir gemacht und wie hatte sie es gemacht?
Doch als ich sah, dass ihr die Tränen in den Augen standen, rückten die Fragen in den Hintergrund. Das konnten wir auch alles noch später klären.
Also nahm ich sie in den Arm, drückte ihren Kopf an meine Brust und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich bin da. Ich verlass dich nicht.“

31.03.2011


Samttatzen…
Kommt geschlichen
Wisst immer, wann ich euch brauche
Könnt Gedanken lesen
Könnt mir helfen
Gesund zu werden
Mir wärme schenken
Wenn es sonst keiner tut
Versteht mich ohne worte
Seit nicht böse
Seit nicht vorwurfsvoll
Hört zu und nehmt mich, wie ich bin
Stellt keine fragen
Seit einfach da.
Was würde ich nur ohne euch tun?
Würde verzweifeln
Nicht mehr wissen
Was ich machen soll
Doch ihr haltet zu mir.
Ohne zu Urteilen.
Bedingungslos…
Kann mir mein Leben nicht ohne euch vorstellen.




20.09.2012


Warum ist die Banane krumm?


Franz saß in seinem alten Holzschaukelstuhl und starrte an die gegenüberliegende Wand. Die Wand war weiß und hatte hier und dort kleine, dunkle Flecken, die von gestorbenen Mücken zeugten. Er zog die dunkelrote Heizdecke, die auf seinen Knien lag, ein Stück nach oben. In dem kleinen Kamin neben dem alten Tisch knisterte das Holz leise, als seine Ehefrau Mathilda herein kam. Sie schaute Franz an und lächelte sanft. „Wie geht es dir heute?“, wollte sie von ihm wissen, während sie auf ihn zu lief. Franz starrte weiter an die Wand, als würde er seine Frau weder sehen noch hören… und das tat er auch wirklich nicht. Franz war blind und taub, seit er vor etwa einem Jahr gefoltert worden war. Er war geradeso mit dem Leben davongekommen. Mathilda berührte in sanft am Arm und er hob den Kopf, verzog seine Lippen zu einem kläglichen Lächeln und starrte dann wieder auf die Wand. Seine Frau ließ sich neben ihn sinken, nahm seine Hand und beobachtete die züngelnden Flammen. „Weißt du, was ich heute in den Nachrichten gehört habe?“, murmelte sie leise. „Die Araber haben eine Atombombe gebaut und wollten sie über Amerika abwerfen. Franz! Sie wollten einen Anschlag verüben! Was sind das nur für schreckliche Zeiten?“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Warum können sich die Menschen nicht Gedanken darüber machen, warum die Banane krumm ist? Ich hab mal gehört, dass die DNS der Banane zu 50 % mit der des Menschen überein stimmt… Ist das nicht viel interessanter? Geht es denn immer nur um Krieg und wer wen zuerst umbringt?“ Eine kleine, glänzende Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und schlängelte sich über ihre Wange abwärts. „Als ich Studentin war, bin ich mit Plakaten auf die Straße gegangen und habe protestiert. Aber heutzutage? Wen interessiert es denn noch, was in der Welt vorgeht? Es kümmert sich doch jeder nur noch um sich selbst!“ Jetzt wütend geworden, wischte sie sich ruckartig die Tränen mit dem Arm weg und blitzte das Feuer an, als würde sich die Welt dadurch ändern. Resigniert ließ Mathilda den Kopf hängen und sprach mehr zu sich selber als zu ihrem Mann: „Ich werde mal zum Kühlschrank gehen und dir etwas zu Essen machen.“ Als sie aufstand, fing Franz, der die ganze Zeit still neben ihr gesessen hatte, plötzlich an sich zu bewegen. Langsam drehte er ihr den Oberkörper zu, bis das kleine Hündchen auf seinem Pulli sie anschaute und murmelte: „Keine Ahnung. Keine Ahnung!“ Mathilda war wie vom Donner gerührt. „Hörst du mich, Franz? Sag mir, kannst du mich wirklich hören??“ Vollkommen überwältigt schaute sie ihren geliebten Mann an und hoffte auf ein weiteres Wort von ihm, dass ihre Hoffnung bestätigen würde… Doch dieses kam nie. Franz drehte sich wieder weg, ohne auch nur noch einmal den Mund zu öffnen.


Impressum

Texte: Leona Schwanenberg
Bildmaterialien: schwanenberg
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2012

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