Etana
Sonnenstrahlen wanderten über die kleine, beschauliche Oase in der Wüste Afrikas. Sie ließen das Wasser funkeln und erstrahlen. Es glitzert, fast genauso, wie der Befehlshaber der kleinen Karawane, die gerade dort rast machte. Sein Hut war mit kleinen, funkelnden Steinen geschmückt, sein Gewand bestand aus strahlender Seide und trotz des trockenen, staubigen Sandes, durch den sie alle geritten waren, sah er aus, als wäre er einem Magazin für Maharadschas entstiegen. Sein Kamel stand an einer Palme angebunden am Wasser und trank. Es war ebenfalls überladen mit Schmuck. Die anderen 3 Kamele der kleinen Gruppe standen ein wenig abseits. Sie und ihre Reiter waren staubbedeckt und trugen schlichten Stoff ohne besondere Verzierungen. Unter den Reitern war ein junges Mädchen. Etana. Sie rieb gerade ihr Kamel trocken, als ihr Vater Ruguru zu ihr trat.
„Etana. Du weißt, dass wir bereits in 2 Tagen im Dorf sind, nicht wahr?“ Die Tochter nickte. „Wasch dich nachher in der Oase, wenn wir Männer alle schlafen. Du musst begehrenswert aussehen, sonst bekommen wir von deinem Ehemann nicht genügend Geld, um deine drei anderen Schwestern groß zu ziehen.“ Etana presste die Lippen aufeinander und wendete sich wieder ihrem Kamel zu. Der Vater ging zurück zum Feuer, das die anderen in der Zwischenzeit entfacht hatten, um Skorpione und andere Tiere fern zu halten. Etana lehnte sich an ihr Kamel, schloß die Augen und fing leise an zu schluchzen.
Nachts, als alle anderen bereits tief und fest schliefen, ging Etana zu der Oase. Vorsichtig fühlte sie mit einem Zeh, wie warm das Wasser war. Sie seufzte. Es war eiskalt. Auch wenn es Tagsüber fast kochend heiß werden konnte, so waren die Nächte immer noch eisig und das Wasser war bereits abgekühlt.
„Es hilft doch alles nichts. Wenn ich nicht baden gehe, wird Vater wütend werden.“, flüsterte Etana vor sich hin. Dann zog sie ihre Sachen aus und stieg in den kleinen Teich. Sie schwamm eine Runde, tauchte dann ihre Haare kurz unter und zog sich vor Kälte bibbernd wieder an. Wenigstens war es ein gutes Gefühl, wieder sauber zu sein, dachte sie.
Am nächsten Morgen wurden sie alle durch ein lautes Niesen geweckt. Der Auslöser dafür war Etana. Ihre Nase tropfte und war angeschwollen, ihre Augen rot umrandet und sie wirkte blas und eingefallen. Ihr Vater schaute sie entsetzt an. „Was ist denn mit dir passiert?“, wollte er wissen. Etana zuckte die Schultern und deutet auf ihre noch immer triefenden Haare. Der Vater schüttelte den Kopf. „Warum auch gehst du mit nassen Haaren ins Bett? Hättest du sie nicht trocken legen können?“, rief er aufgebracht. „Du weißt ganz genau, wie wichtig der morgige Tag für uns sein wird. Kannst du nicht einmal nachdenken?“ „A… aber.. du..“, setzte Etana an. „Sei still. Schieb es nicht auf mich. Du allein bist für deine Handlungen verantwortlich. Und so, wie du momentan aussiehst, kann man dich deinem Bräutigam auf keinen Fall präsentieren. Sieh zu, dass du wieder einigermaßen Ansehnlich aussiehst.“ Etana nickte stumm, stand dann auf und kroch aus dem Zelt. Draußen war es wieder warm und ein lauer Wind war aufgekommen. Etana fror jedoch immer noch. Nicht nur ihre Haare waren nass, auch ihre Kleidung klebte an ihrem Körper. Es erinnerte sie an früher, als sie mit ihrem besten Freund durch das Dorf getollt war. Sie hatten sich immer gewünscht, dass es regnet. Da dies jedoch nie passiert war, hatten sie nach einiger Zeit Eimer aus dem Brunnen geschöpft und sich gegenseitig einen wunderbare Wasserschlacht geliefert. Jedoch achteten sie aus lauter Freude nicht mehr auf den Stand der Sonne. Plötzlich standen sie im Dunkeln, völlig durchnässt und schlotterten vor Kälte um die Wette. Sie hatten richtig viel Ärger und eine lange, sehr schlimme Erkältung bekommen. Ein Glück, dass sie das damals überlebt hatten.
In Erinnerungen versunken ging sie zu ihrem Kamel, umarmte es und wünschte ihm einen guten Morgen. Dann suchte sie sich einen Platz, von dem aus sie niemand sehen konnte und entledigte sich ihrer Kleider. Glücklicherweise hatte sie noch ein zweites Gewand dabei. Auch wenn diese eigentlich für Morgen gedacht war, so blieb ihr jetzt doch nichts anderes übrig, als es anzuziehen. Höchst wahrscheinlich würde ihr Vater wieder meckern. Doch was sollte sie schon dagegen tun? Jedes Mal, wenn sie sich rechtfertigen wollte, wann immer sie in seiner Gegenwart etwas anderes tat, als das, was von ihr verlangt wurde, oder auch, wenn sie das tat, was von ihr verlangt wurde, war es ihm nicht recht. Immer machte sie in seinen Augen etwas falsch. Wenn sie so darüber nachdachte, war es vielleicht gar nicht so schlecht, endlich von ihm wegzukommen. Aber sie wusste nicht, was sie erwartete. Nachher war ihr Ehemann noch viel schlimmer, als es ihr Vater war. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Schnell wischte sie sie weg. Niemand sollte wissen, wie schwach sie war. Wie viel e s sie kostete, nicht davon zu laufen. Sie tat es nur für ihre Geschwister zu Hause. Sie sollten es besser haben, viel besser, als sie selber. Entschlossen reckte Etana ihren Hals in die Höhe, drückte den Rücken durch und stolzierte zurück zu ihrem Kamel Janosch.
Sie versorgte ihn mit Futter, striegelte noch einmal sein Fell und ging dann zum Wasser, um die Feldfalsche aufzufüllen. Danach holte sie ihre nassen Kleider, wusch sie noch einmal gründlich durch und hängte sie über einen Ast der kleinen Palme, die direkt neben ihrem Zelt stand. Die anderen bereiteten das karge Frühstück zu. Langsam wurde das Essen knapp. Sie waren nun schon 7 Tage unterwegs und noch nicht einmal auf ein Dorf gestoßen. Dort hätten sie bestimmt um ein wenig Brot betteln können. Doch so blieb ihnen nichts weiter übrig, als den mitgebrachten Maisbrei zu verzehren. Etana hoffte, dass ihre Kleider bis zum Aufbruch getrocknet sein würden, damit sie sie nicht in einen Beutel stopfen müsste und sie muffig rochen, wenn sie Morgen endlich in Marawi ankam. Sie setzte sich an das Feuer, nahm sich einen Schüssel und wartete darauf, dass Taji das Essen verteilte.
Wie immer bekam er zuerst etwas. Diesmal nahm er sich mehr als die Hälfte des ganzen Essens. Danach war Ruguru dran. Auch seine Schüssel war, als der den Topf an Jamil weiter reichte, beachtlich voll. Etana wusste schon jetzt, dass für sie mal wieder nur ein kläglicher Löffel voll übrig bleiben würde. Als der Topf, nachdem sich auch Nassir seine Portion erhalten hatte, endlich bei ihr ankam, waren nur noch Reste auf dem Boden. Etana versuchte gar nicht erst, sie in ihre Schüssel zu bekommen. Dabei würde nur wieder zu viel der kostbaren Masse verloren gehen. Stattdessen nahm sie ihren aus Wurzeln geschnitzten Löffel und kratze die Reste heraus. Als alle fertig waren, schmissen die vier Männer ihr schmutziges Geschirr in den Topf, drückten ihn Etana in die Arme und wandten sich einander zu. „Wollen wir noch eine Runde Karten spielen, bevor wir uns auf den Weg zu unserm nächsten Rast Ort machen?“, fragte Jamil die anderen. Er war ein begeisterter Kartenspieler, verlor jedoch andauernd. Seine Niederlagen hielten ihn aber nicht davon ab, es immer weiter zu versuchen. Die Abwechslung freute auch die anderen Männer und so begannen sie, die Karten auszuteilen. Etana machte sich in der Zeit auf den Weg zu dem kleinen Teich. Für die Männer war es selbstverständlich, dass sie den Abwasch erledigte. Schließlich war sie eine Frau und Frauen wuschen nun mal ab. Nie im Leben wäre einem der Männer eingefallen, die Schüsseln selber zu reinigen.
Etana nahm den Schwamm, den sie zusammen mit allen möglichen anderen Sachen vor ihrer Abreise von ihrer Mutter geschenkbekommen hatte und machte sich an die Arbeit. Es nütze nichts, zu protestieren. Hier war keiner, der ihr zugehört hätte. Schon gar nicht ihr Vater. Warum hatte Habib nicht mitkommen können? Er wäre nie auf die Idee gekommen, sie den Abwasch machen zu lassen und das auch noch ganz alleine. Aber Habib war bereits vor 3 Monaten verheiratet worden. Seit dem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Ihr Herz schmerzte, wenn sie daran dachte, wie einsam sie war. Nicht einmal ihren besten Freund hatte sie noch.
Nachdem sie alles blitz blank geschruppt hatte, trocknete sie es ab und verstaute es in den Taschen ihrer Kamels. Während sie es wieder sattelte, sprach sie mit ihm. „Ach mein Großer. Weißt du, es ist wirklich schwer. Morgen schon soll ich einen mir unbekannten jungen Mann heiraten. Ich kenne ihn doch garnicht. Ich weiß nicht einmal, wie alt er ist. Vielleicht ist er schon so alt wie mein Vater. Ganz dick und schmierig. Janosch, was soll ich nur tun? Ich wollte doch immer aus Liebe heiraten. Nie hätte ich gedacht, dass mein Vater einmal unser Land verkaufen muss. Offensichtlich bringt es nicht mehr genug Geld ein. Ich muss heiraten, damit es den anderen gut geht. Am liebsten hätte ich damals Habib geheiratet. Aber seine Familie wollte das nicht. Meinst du, er ist wenigstens glücklich? Meinst du, ich habe auch noch eine Chance, glücklich zu werden? Oh mein lieber Janosch. Wenigstens kann ich dich mitnehmen. Ich lasse nicht zu, dass dich mir irgendjemand wegnimmt."“ Etana fing leise an zu schluchzen. Das Kamel drehten den Kopf zu ihr und stupste sie an. Etana hob die Hand und strich Janosch über den Kopf. „Alle Aufsitzen. Wir reiten weiter.“
Nach einem langen Ritt durch die trockene Wüste, kamen sie an ein kleines Wüstendorf. Es war nicht viel größer als ihr eigenes. Am Brunnen füllten sie ihre Wasserflaschen auf und im Laden erstanden sie für jeden eine Hand voll frisches Obst und für die noch etwas zweistündige Reise am nächsten Tag Trockenfleisch und Brot. Nach ihren Einkäufen setzten sich die Männer an das große Feuer, das zu ehren der Besucher angestochen worden war. Etana durfte nicht zu dem Feuer gehen. Es gehörte sich nicht. Stattdessen setzte sie sich zu ihrem Kamel und schaute in den klaren Himmel. Sie beobachtete die Sonne, wie sie glühend und feurig unterging und wünschte sich, auch sie könnte so strahlen. Aber auch das gehörte sich nicht. Leise seufzte sie wieder, schloss die Augen und träumte davon, wie es wäre, wenn sie nicht Etana wäre. Wenn sie jemand anders wäre. Jemand, der mehr Selbstbewusst sein hatte. Jemand, der Stärker war, als sie es je sein würde.
Taji
Morgen schon. Morgenabend soll nun meine zukünftige Ehefrau ankommen. Mein Vater ist schon aufgeregt und scheucht unsere Diener den ganzen Tag umher, damit alles für die Ankunft unserer Gäste bereits vorbereitet ist. Ich ziehe mich lieber in die Bücherei zurück und geh auf Reisen. In Länder, die noch kein Mensch betreten hat, dort wo mich die Ansprachen meines werten Vaters nicht erreichen können. Aufgeregt bin ich nicht, denn dazu besteht kein Anlass. Es ist doch schon alles beschlossene Sache. Mein Vater bekommt zweidrittel der Ländereien von seinem Geschäftspartner und dafür wird er am Gewinn beteiligt. Normalerweise heuchle ich mein Interesse nur vor um nicht in eine Diskussion verwickelt zu werden, welche sich bis spät in die Nacht hineinzieht. Jedoch betrifft dieses Geschäft zum ersten Mal auch mich, denn um dieses Geschäft bestand zu halten muss ich die Tochter heiraten. Ich bin neugierig, was mich Morgen erwartet. Zur Begrüßung soll es ein großes Fest geben. Man hat mir befohlen bis zum Abend in meinen Gemächern zu bleiben, damit erst einmal das Geschäftliche vereinbart werden kann und erst hinzuzustoßen, wenn es darum geht mein Leben mit einem Mädchen zu verbringen, welches ich noch gar nicht kenne. So ganz verstehe ich nicht, warum ich es muss. Warum ich mich mit jemandem einlassen soll, den ich nicht kenne. Aber unsere Sitten lassen mir keine Wahl und auch mein Vater tut es nicht. Meine Eltern wurden ebenso vermählt, wie ich nun. Ich weiß, dass mein Vater mehrere Affären hat. Meine Mutter scheint ihn nicht glücklich zu machen, oder er will einfach mehr. Immer muss er im Mittelpunkt stehen. Aber auch das bin ich bereits gewöhnt. Morgen wird es nicht anders sein. Es dreht sich immer nur um meinen Vater.
Texte: ©leona schwanenberg
Bildmaterialien: ©schwanenberg und http://de.colourbox.com/preview/1525475-170357-junge-hubsche-frau-auf-dem-kamel.jpg
Tag der Veröffentlichung: 25.04.2012
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