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Prolog


Ach, Mädchen.
Wie kann es sein, dass du aussiehst wie Engel und Teufel? Beides gefangen in einem einzigen Körper. Ich sollte mich vor dir hüten und doch kann ich einfach nie genug von dir bekommen.
Es tut weh. Es tut mir in meinem verlorenen Herzen weh, deine Lügen erkannt zu haben.
All die Jahre. Die ganze Zeit dachte ich dich zu kennen.
Jede Sekunde. Jeder teure Augenblick war ein Hauch aus Nichts, getarnt als Gefühle.
Ich kann es dir nicht verübeln. Mir hat noch keiner je vertraut. Aber du. Du, mein Mädchen.
So kalt und hart von außen. Wunderschön und rein.
Ich dachte du wärst anders. Aber du kennst dich selber nicht. Tust so, als wärst du stark, wenn doch nur ein kleines Fünkchen dich zum Schmelzen bringt.
Schwarz, weiß.
Kalt, warm.
Du bist voller Gegensätze. So anders. So normal.
Trotzdem liebe ich dich.
Ach, Mädchen.
Mein Mädchen.
Mein Mädchen aus Schnee.

Dunkle Wege


Es regnete. Riesige Tropfen wurden auf die Erde geschickt, bereit ihre Reise fortzusetzen. Tausende prallten jede Sekunde gegen das Fenster. Fast schon erschien es mir, als wollte man nicht, dass ich die vor mir ausgebreiteten Schriften studierte.
Geschichten längst vergessener Kulturen, für die sich keiner mehr interessierte. Jahre hatte es gebraucht um diese Rollen in die Finger zu bekommen und nun sollte mich der Regen vor dem Entdecken alter Geheimnisse abhalten? Alleine schon der Gedanke daran war lächerlich.
Trotzdem wanderte mein Blick hinaus. Das Studierzimmer besaß eine direkte Sicht auf den einzigen markierten Weg, der zum Eingang des Anwesens führte. Somit konnte man unerwünschte Gäste vermeiden oder wahr wenigstens keinen Überraschungen ausgesetzt.
Dank der Dunkelheit war nicht sonderlich viel auszumachen. Bäume, die sich im Sturm hin und her bewegten. Ein Weg, der direkt vor die Tür führte. Und die Nacht.
Ich liebte sie. Sie war die einzige Gesellschaft, die ich zur Zeit dulden konnte. Die Einzige, der ich im Moment vertraute.
Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte ich mich nur so leicht von nichts ablenken lassen? Ich kannte die Finsternis und die Bäume und den Wind und den Weg. Sie waren mir allesamt nichts Neues und doch verlangten sie genau heute nach Aufmerksamkeit. Sie wollten, dass ich meinen Blick nicht mehr von ihnen lassen konnte. Sie wollten, dass meine Augen an ihnen klebten. Wieso nur? Was war anders?
Ich konnte auf meine Fragen keine Antworten finden, weshalb ich mich dazu entschloss sie einfach nicht zu stellen. Keine Fragen, keine Antworten.
Die Schriftrollen waren die einzige Veränderung. Und eine sehr gute noch dazu.
Ein Freund aus Manchester hatte sie von einem Freund aus Irland bekommen, der sie wohl einfach von einem anderen Freund gestohlen hatte. Es war mir herzlich egal. Hauptsache sie waren nun mein und es handelte sich um Originale. James hatte sie untersucht und mir versichert, dass es sich um keine Fälschungen handelte. Es war eine Schande, da es seit fünfzehn Jahren nicht mehr vorgekommen war und er bis dahin ein schönes Leben geführt hatte, wie mir erzählt worden war.
„Schade. Wirklich schade“, murmelte ich vor mich hin, obwohl sein Verlust nur meinen Gewinn bedeutete. Manchmal halfen Worte die Stille zu durchbrechen. Doch es brachte sich am Ende sowieso nichts. Ich war alleine. Und meine Gedanken waren mir schließlich schon bekannt, bevor ich sie aussprach. Meine Lippen konnten nur schon vorhandene Erkenntnisse verlassen, die keine Offenbarung darstellten. Niemand hörte meine Stimme. Niemand außer mir und Arthur, wenn er sich einmal blicken ließ. Aber der hörte nie zu. Wieso also reden?
Eine Strähne meines Haars löste sich aus dem gebundenen Zopf und ich beförderte es hinter mein Ohr, um meine Aufmerksamkeit nicht einem schwarzen Fleck vor meinen Augen widmen zu müssen.
Ich beugte mich über das Papier und las die ersten Zeilen. Mein Gehirn schien jede Silbe aufzusaugen, wie ein Geist die Seele eines Lebenden. Mir war, als ob sich ein neues Universum vor mir ausbreitete. Schon einige Male war dieses Gefühl über mich gekommen. Daran gewöhnen schien mir aber ein Privileg zu sein, das ich nicht verdiente.
Als ich mit der ersten Seite fertig war, rollte ich sie zusammen, stand auf und schmiss sie in den offenen Kamin. Das braune Ding mit den vielen Zeichen wurde vom Feuer gefressen, als wäre es seine liebste Nahrung. Wurde zuerst an den Seiten schwarz, bis die Flammen sich durch den gesamten Stoff gedrängt hatten und ihn zur Gänze verschluckte. Wissen einer Generation befand sich nun wieder neben seinen Entdeckern. In den Gräbern der Vergessenen. Und in meinem Gehirn. Kein anderer sollte daran teilhaben. Ich war egoistisch, dessen war ich mir bewusst, aber es kümmerte mich wenig.
Minuten verstrichen in denen ich mich vergewisserte, dass nichts als Asche übergeblieben war. Mein Gesicht wurde immer wärmer, bis ich dachte selbst im Feuer zu stehen. Erst dann wandte ich mich zurück zu dem Tisch und setzte mich wieder an den alten Stuhl, auf dem ich schon unzählige, unnütze Stunden verbracht hatte.
Aus einer Schublade kramte ich ein Stück Papier hervor, tauchte eine Feder in die Tinte und begann zu schreiben.
Sehr geehrter. Der Wind heulte auf und ich hielt inne. Der Sturm war heftiger geworden. Vor meinem inneren Auge konnte ich die kleinen Häuser sehen, die gerade vom Boden gerissen wurden und zitternde Körper auf der kalten Erde zurückließen. Ich konnte nicht anders als zu Schmunzeln.
Sehr geehrter Mr. Abermals störte mich die Natur. Und ein Klopfen.
„Herein“, rief ich nach draußen und Arthur kam in das Zimmer herein.
„Es tut mir leid Sie zu stören, Mister, aber es ist gerade Besuch für sie abgekommen.“
„Besuch?“, fragte ich erstaunt. Ich erwartete niemanden.
„Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie ungebetene Gäste einfach wieder fortschicken sollen? Wir bieten hier kein Heim für Arme an.“ Arthur verzog keine Miene. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, wie ich es von ihm gewohnt war. Langeweile und Kälte waren die einzigen Masken, die er aufsetzen konnte. Kein Lächeln. Kein Ärger. Er war genau wie ich es mir lobte. Ich hatte gut daran getan ihn einzustellen. Womöglich war es eine meiner besten Entscheidungen seit langem gewesen.
„Ich habe versucht die Person loszuwerden, aber sie lässt sich nicht davonjagen, Mister.“
„Ach, Arthur, wann schaffen Sie es endlich mich mit meinem Namen anzusprechen?“ Er schluckte. Obwohl ich ihm mehrmals versichert hatte, dass er mich nicht fürchten musste, solange er seine Arbeit richtig machte und sich gewisse Umstände nicht ergaben, erschien es mir, als würde er innerlich vor angst zittern. Ich musterte seine Knie, die aber fest verankert am Boden standen. Kein Anzeichen von Nervosität war ihm äußerlich anzumerken. Lediglich seine Stimme verriet ihn. Nach all der Zeit, all den Menschen, all den Lügen war ich geübt darin zu erkennen, wenn sich mein Gegenüber seiner Sache nicht sicher ist. Außerdem war da noch mein Name, den er sich weigerte auszusprechen.
„Wenn Sie ein Problem damit haben ihn zu nennen, warum verwenden Sie dann nicht ein einfaches Sir, anstatt eine Lücke hinter dem Mister zu schaffen?“
„Ich werde es versuchen, Sir.“
„Gut, Arthur. Und jetzt kümmern Sie sich um den Bettler.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, mit der schon so manche Besucher beseitigt worden waren. Mein Blick viel wieder auf den leeren Brief. Ich musste ihn unbedingt morgen abschicken.
„Aber es handelt sich um eine junge Dame, Sir.“ Ich hielt inne. Das änderte natürlich alles.
„Wenn Sie wollen lasse ich sie einfach draußen stehen und lösche die restlichen Kerzen aus. Ich glaube die Hunde...“
„Wir wollen doch gute Gastgeber sein und keinen falschen Eindruck bei der Lady hinterlassen oder Arthur?“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Jetzt schauen Sie mich nicht so an, gehen Sie lieber und lassen sie herein. Bringen Sie sie in die Bibliothek und ziehen Sie sich dann zurück.“
„Jawohl, Sir“, entgegnete er, deutete eine kleine Verbeugung an und drehte sich um.
„Ach ja, bevor ich es vergesse. Sie werden morgen in die Stadt fahren, um ein paar Besorgungen zu machen. Sie verstehen?“
„Natürlich.“ Arthur nickte und verließ das Zimmer zügig, ohne die Türe zu schließen.
Abermals fiel mein Blick auf die nicht geschriebenen Zeilen.
Das musste nun wohl warten.
Jeder der Schritte hallte, als ich den Gang entlang, in Richtung Eingangstor, ging. Es gab niemanden, der mich von der Seite her beobachtete, wie es früher bei den Nachtwachen der Fall gewesen war. Damals, als die Zeiten noch gänzlich anders gewesen waren. Doch die stets loyalen Diener befanden sich mittlerweile schön aufgereiht in den mit Asche gefüllten Urnen, die für spezielle Situationen immer bereit standen und sich als sehr nützlich erwiesen hatten. Ich konnte sie alle ja schwer einfach unter der Erde verfaulen lassen. Das hatten loyale Menschen nicht verdient. Nicht sie, die mir all die Jahre gedient hatten. Schließlich hatte es zu ihrer Zeit noch Werte gegeben, Worte eine Bedeutung gehabt. Es war nicht so gewesen, wie heute. Wo man seine Treue für eine Summe, die groß genug war, vergaß und seinem besten Freund heimlich von hinten erstach. Die Welt hatte sich verändert.
Und es gefiel mir auf eine Art und Weise.
Vor dem Tor angekommen, zögerte ich plötzlich. Meine Arme und Beine gaben auf. Mir war, als hätte der türmende Wind, der normalerweise nicht durch die dicken Mauern kam, einen Weg durch die Ritzen gefunden und vereiste mit seiner Kälte nun meine Glieder, um mich vor einem Fehler zu bewahren. Ich wollte umkehren, endlich den Brief schreiben und nicht weitergehen.
„So viele Jahre, mit so vielen Frauen und du hast immer noch angst vor ihnen?“, hörte ich Jeriks Stimme spöttisch. Die gesamte Runde hätte gelacht. Vor allem aber er.
Vielleicht war es nicht der richtige Tag, um eine Frau zu dulden. Vielleicht war es nicht der rechte Moment, um ihr in die Augen zu sehen. Vielleicht war es der falsche Augenblick, um gastfreundlich zu werden.
Vielleicht hoffte ich aber auch nur, dass sie es nicht war.

Impressum

Texte: Maya
Bildmaterialien: wehearit.com
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2013

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