IV.
F
risch geduscht und die Haare gestylt, machte sich Pedro auf den Weg zur Uni. Es war schon eine Woche her, dass Maria ihm zu verstehen gegeben hatte, sich in ihn verliebt zu haben, und nun wollte er endlich wissen, ob das stimmte.
Heute abend hatte sie ihn zum Essen eingeladen. Sie wollte selbst kochen – eine Paella, was auch immer das sein mochte. Er hatte keinen blassen Schimmer, was ihn da erwartete, aber eines wusste er genau: Heute war der Tag, an dem sie sich beide aneinander verlieren würden ...
Draußen wurde es bereits schummrig, an diesem doch relativ warmen Herbstabend, als er an ihre Zimmertür klopfte. Als sie ihm öffnete, stockte Pedro der Atem. So etwas wundervolles hatte er bisher noch nicht ge-sehen. Maria trug ein cremefarbenes Kleid, ihre Haare fielen in vielen Wellen sanft auf ihre Schultern und auf ihrem Haupt thronte ein golden schimmernder Haarreif.
Wie versteinert stand er vor ihr und bekam kein Wort heraus. Er muss ziemlich hilflos gewirkt haben, denn Maria nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit den Worten >>Ist etwas nicht in Ordnung? Gefalle ich dir etwa nicht?<< in das Zimmer.
Es duftete nach frisch zubereitetem Essen, nach Gewürzen, die er bis dahin nicht kannte, deren Namen er noch nicht einmal gehört hatte, und die er sicher auch nicht hätte schreiben können. Auf dem gedeckten Tisch brannten zwei Kerzen und tauchten den kleinen Raum in eine romantische Stimmung. Langsam begann er sich zu fangen.
>>Du siehst wunderschön aus<<, stammelte er, noch immer unsicher, ob er sie gleich in seine Arme nehmen und mit einer Flut von Küssen bedecken sollte.
Maria lächelte ihn an, hauchte ihm einen flüchtigen Kuss zu und bat ihn schließlich, Platz zu nehmen.
Während sie das Essen auftrug, verriet sie ihm das Rezept der Paella, und er dachte bei sich >wenn das so gut schmeckt, wie es klingt, freue ich mich schon jetzt auf den Nachtisch ...Sehnsucht...
Ich stehe am Fenster, schaue auf das bunte Treiben draußen im Park, und denke zurück, an meine
Kindheit.
Glücklich scheinen sie zu sein, die Menschen, in dieser friedlichen Stille. Froh und heiter tollen die Kinder umher, lachen und singen fröhliche Lieder.
Sie kennen noch keine Sehnsüchte, Ängste und Nöte, leben unbefangen in den neuen Tag hinein.
Wie werden sie einst die Welt erkennen, sich selbst dabei entdecken, erste Liebe und schmerzhafte Ent-täuschung dabei durchleben und lernen, mit Ängsten zu leben?
Wird es ihnen besser gehen als mir? Gern möchte ich noch einmal Kind sein und sorgenfrei leben, aber noch viel lieber möchte ich alle Menschen glücklich sehen, ohne Angst vor dem Morgen, in einer Welt, in der Liebe noch zählt, in der es Vertrauen gibt und Hoffnung.
Hoffnung und Vertrauen in eine bessere Welt sind es auch, die es mir ermöglichen, meinem Kind die Sorgen und Ängste zu nehmen, wenn es beginnt, sich selbst und die Welt zu erkennen.
Immer noch stehe ich am Fenster, schaue hinaus und merke nicht, dass es inzwischen dunkel geworden ist auf diesem Teil der Erde.
Maria legte die Gitarre zur Seite, nahm den Zettel und begann gespannt zu lesen, was er da gerade geschrieben hatte.
>>Das ist wunderschön<<, meinte sie dann, strich über seine Haare und küsste ihn. Er schluckte verkrampft und zündete sich eine Zigarette an, um seine Verlegenheit so gut es ging zu überspielen. >>Aber das ist kein Vergleich mit deinen Gedichten. Was du mir bisher davon gezeigt hast übertrifft alles, was ich bis jetzt in meinem Leben gelesen habe. Es ist schön, von deiner inneren Größe zu wissen und dich als Freundin zu haben ...<<
Dann schwiegen sie sich an. Maria starrte an die Decke und Pedro blickte durch das Fenster in die Dunkelheit, ohne wirklich etwas zu sehen.
Nach einer Weile sagte sie schließlich, ohne ihn anzusehen: >>Ich bin schwanger ...<< Ihr Blick wirkte dabei wie versteinert.
>Na toll!<, durchfuhr es ihn. >Nicht genug, dass sie IHN geheiratet hat, jetzt bekommt sie auch noch sein!!! Kind ...<
Wieder schwiegen sie einander an und plötzlich erkannte Pedro, welch absurde Gedanken da gerade von ihm Besitz ergriffen hatten. Was war nur in ihn gefahren? Sie gehörte ihm nicht! Er hatte kein Recht, so etwas zu denken. Und auch dieses Kind, das in ihr zu wachsen begonnen hatte, betraf nur sie und ihren Adrian. Oh, dieser verfluchte Adri-an. Warum musste es diesen Menschen geben. Wusste der überhaupt, welch großes Glück es für ihn war, dass sich Maria für ihn entschieden hatte? In Pedros Kopf hämmerten die Gedanken wild durcheinander, und als er es schließlich wagte, zu Maria zu blicken, sah er in ihr verzweifeltes Gesicht.
Vorsichtig setzte er sich zu ihr, legte seine Hand um ihre Schulter, zog ihr Gesicht sanft an sich, strich ihr über das Haar und flüsterte ihr zärtlich ins Ohr: >>Das ist wunderbar, ich freue mich für dich! Du wirst bestimmt eine ganz phantastische Mutter ...<<
Plötzlich brach es aus ihr heraus. Tränen begannen über ihr Gesicht zu rollen und sie schluchzte laut auf: >>Warum habe ich nicht besser aufgepasst ...?<<
Pedro hob seine Hand, wischte mit seinen Daumen zärtlich über ihre Wangen und küsste sie leidenschaftlich.
>>Was ist los?<< fragte er dann. >>Du hast dir doch so sehr ein Kind gewünscht. Freust du dich denn gar nicht?<<
>>Doch ...<<, sagte sie, >>aber gerade jetzt ... und du und ich ...<<
>>Ich weiß<<, erwiderte er tief bedrückt, >>das ist nichts für die Ewigkeit ... mit uns beiden ...<<
Wieder schluchzte sie laut. Pedro wiegte sie in seinen Armen und flüsterte zärtlich >>Ich liebe dich doch auch ... Wir sind uns einfach zu spät begegnet ... Wenn du lieber willst das
ich gehe ...<<
>>NEIN!<< rief sie, >>halt mich jetzt nur einfach ganz fest! Und lass mich bitte nie wieder los! Ich habe Angst vor dem, was uns erwartet ...<<
Er konnte nicht ermessen, wie viel Zeit so vergangen ist, aber als er wieder in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, waren die Kerzen schon ein gutes Stück abgebrannt. Maria lag noch immer in seinen Armen. Sie schien sich wieder gefangen zu haben. Sein Hemd war feucht von ihren Tränen.
>>Geht’s wieder?<< fragte er.
>>Ja!<< meinte sie, >>ist wieder alles in Ordnung ...<< Doch das musste eine der größten Lügen gewesen sein, die sie jemals ausgesprochen hatte.
Pedro setzte sich zurück an den Tisch und zündete sich eine weitere Zigarette an, zur Beruhigung der Nerven.
>>Gib mir auch eine!<< bat Maria. >>Die brauche ich jetzt. Und schenke uns noch ein wenig Wein nach!<<
Als sie sich zuprosteten, lächelte sie bereits wieder. Wie es jedoch in ihrem Innern aussah, war für Pedro nicht zu erkennen. Maria gelang es immer wieder gut, sich hinter ihren Masken zu verstecken, von denen er bis dahin noch nichts ahnte.
Inzwischen war es fast Mitternacht geworden. Pedro dachte daran zu gehen, denn heute würden sie bestimmt nicht mehr miteinan-der schlafen ... Damit würde er sie nur in einen weiteren, noch größeren Gewissensonflikt stürzen. Und das konnte und durfte er nicht zulassen. Zu groß waren seine Gefühle für Maria, die in diesem Augenblick so zerbrechlich wirkte.
Aber da sollte er Maria noch nicht gut genug kennen.
Es war in ihrem Gesicht nicht zu erkennen, ob sie getrieben wurde vom Verlangen nach dem letzten, noch fehlenden Schritt in der verbotenen Liebe zu Pedro, oder ob sie sich einfach nur für einen kurzen Augenblick von Ihrem Adrian befreien wollte.
Plötzlich schaute sie Pedro herausfordernd an und fragte dann: >>Soll ich dich mal schocken?<<
>>Mich kann man nicht schocken ...<<, erwiderte der und griff nach der nächsten Zigarette. Er ahnte, was nun kommt, und war sich immer noch nicht sicher, ob er es geschehen lassen sollte.
Maria öffnete den Reißverschluss ihres Kleides und streifte es sich von den Schultern, bis hinab zur Taille. Ihre Brüste wurden von einem rosefarbenen BH verhüllt. >>Und jetzt?<< fragte sie fordernd.
Er blickte sie an, ohne ein Wort zu sagen und zog genüsslich an seiner Zigarette.
Einen Augenblick später stand sie auf und ging zu ihrem Bett. Sie legte Kleid und BH ab und kroch unter die Bettdecke.
Pedro rauchte noch immer an seiner Zigarette, als er sie sagen hörte: >>Ich glaube, irgendetwas mache ich falsch.<<
>>Warum?<< fragte er.
>>Ich versuche die ganze Zeit einen Jungen zu verführen ...<<
>>Nein, nein, du machst nichts falsch.<<
>>Aber ich kann dich doch nicht „vergewaltigen“<<, warf Maria ein.
>>Das brauchst du auch nicht ...<< In diesem Augenblick hatte die Lust über die Vernunft gesiegt.
Ein letztes Mal zog er an seiner Zigarette und drückte sie im Aschenbecher aus, bevor er sich erhob, sich seiner Klamotten bis auf den Slip entledigte und sich neben Maria ins Bett legte.
Eine Weile lagen sie so beieinander, bis er sich plötzlich zur Seite drehte. Auch Maria tat dieses.
Pedro flüsterte >>Gute Nacht!<< als sie Rücken an Rücken lagen. >Was sie wohl gerade denkt?
*
Am Morgen erwachten sie Arm in Arm, und Pedro bemerkte in Marias Augen erneut dieses seltsame Glänzen, das ihm schon gestern auffiel, als sie versuchte, ihn zu verführen.
>>Hallo, guten Morgen!<< sagte er mit sanfter Stimme zu ihr. >>Hast du gut geschlafen?<<
>>Ja!<< flüsterte sie und gab ihm einen langen Kuss. >>Danke für letzte Nacht. Das war wunderschön. Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß dabei.<<
Er schob seine Lippen dicht an ihr Ohr. >>Stimmt, du warst großartig ...<< . Mitten im Satz brach er ab und wendete seinen Blick von ihr.
>>Was ist los mit dir, was hast du?<< In ihrer Stimme klang ein wenig Angst mit.
>>Ich weiß nicht<<, erwiderte er, >>meinst du, dass es richtig war, was wir getan haben? Immerhin bist du mit Adrian verheiratet. Ich fühle mich plötzlich so ...<<
>>Pst!<< Maria legte ihm ihre Finger auf die Lippen. >>Red’ nicht weiter. Ich will jetzt nur
diesen Augenblick genießen. Wir haben es beide gewollt ... Nimm mich einfach nur in deine Arme und halte mich ganz doll fest!<<
Sie umschlangen sich und vereinigten sich in einem Kuss, wie er intensiver und zugleich zärtlicher nie sein konnte.
Als sich ihre Lippen voneinander lösten, bemerkte Pedro, dass ihre Augen feucht wurden.
>>Willst du allein sein?<< fragte er beklommen. >>Es war wohl doch keine so gute Idee, miteinander zu schlafen ...<<
>>Nein!<< rief sie, >>ich bin nur so wahnsin-nig glücklich mit dir!<<, und kuschelte sich noch einmal eng an ihn. Am liebsten hätte sie die Zeit und die Welt angehalten.
Pedro atmete noch einmal den Duft ihrer Haare und genoss es, über ihre samtweiche Haut zu streicheln, bevor sie gemeinsam das Bett verließen und sich bereit machten, für diesen wunderschönen Tag.
Arm in Arm und einander mit Küssen bedeckend, verließen sie das Wohnheim der Uni.
Den Nachmittag verbrachten sie im Cafè.
Es sollte in den nächsten Wochen eine Art Zuflucht für Beide werden, wenn sie dem Alltag entfliehen wollten.
Texte: copyright Bild und Text: Maximilian Tubè
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2010
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