II.
E
s war Anfang Oktober, als sich eine Stimme aus Pedros Unterbewusstsein meldete. Doch noch verstand er nicht, was sie ihm sagen wollte, zu undeutlich drangen die Worte an sein Ohr, zu schemenhaft waren die Bilder, die vor seinen Augen auftauchten. Und warum sollte er sich Gedanken darüber machen. Er war ja glücklich, so wie sein Leben zur Zeit verlief. Erst als er einige Tage später, nach langer Zeit, zusammen mit Ted und Donaldo wieder seine Freunde aus Schwarzafrika in der Uni besuchte, wurde ihm plötzlich klar, worum es ging.
Seit Wochen hatte er nicht mehr an sie denken müssen, war ihm, als hätte es sie nie gegeben. Und jetzt schien sie wieder in sein Leben eindringen zu wollen.
Aber irgendwie war er auch glücklich darüber, dass Maria zurückkehren würde. Endlich könnte er sie wiedersehen, ihr sagen, was er für sie empfindet und ...
War er plötzlich wirklich so mutig, und was war aus seiner angeborenen Schüchternheit geworden? Kläglich musste er sich eingestehen, dass er keine Traute hatte, allein zu ihr zu gehen. So bat er Ted, mitzukommen.
>>Pedro!<< rief dieser, >>sie kommt zwar wieder hierher, aber sie ist nicht mehr frei, weder für dich, noch für einen Anderen!<<
>>Ich weiß<<, entgegnete ihm dieser, >>aber ich muss sie wiedersehen. Ich will noch so viel mehr von ihr erfahren, sie noch besser kennen lernen. Vielleicht können wir ja trotzdem Freunde bleiben. Und vielleicht hat sie ihn ja auch gar nicht geheiratet ... Lass uns am Wochenende nach ihr sehen, bitte!<<
>>Du spinnst!<< war Teds kurze Antwort. >>Nenne mir einen vernünftigen Grund, warum beide nicht inzwischen Mann und Frau sein sollten. Und einen weiteren, warum ich dir dabei helfen sollte, sie unglücklich zu machen.<< Er drehte sich um und ging. Pedro stand da, als hätte ihn die Welt ins Abseits geschoben, beschlossen, ihn nicht mehr zu brauchen. Sein Herz verkrampfte sich, wie zum Infarkt, und sein Hirn war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Schleier aus Tränen verwehrte ihm den Blick auf die Realität.
Missmutig machte er sich auf den Heimweg. Wenn es ihm doch nur gelingen würde, Teds Meinung zu ändern. Warum musste er selbst auch so ein Feigling sein. Zum ersten Mal in seinem Leben schien er jetzt ein Problem damit zu haben.
*
Eine Woche später trafen sich Pedro, Do-naldo und Ted am Abend bei Herrn Schrader, in der Weinstube. Pedro hatte in der Firma eine Prämie bekommen, und wollte das mit seinen Freunden feiern. Während sich diese ein „Herrengedeck“ schmecken ließen, genoss Pedro nach langer Zeit wieder einmal einen guten Schoppen Weißwein.
>>Sieh an, sieh an<<, lästerte Ted, >>vornehm geht die Welt zu Grunde. Wann hast du zum letzten Mal Wein getrunken? Das muss in einem deiner früheren Leben gewesen sein ...<<
>>Wie witzig<<, entgegnete ihm Pedro. >>Mir ist heute Abend einfach mal danach ...<<
Das Schmalz tropfte aus den Boxen der Stereoanlage, und Herr Schrader stolzierte, wie ein Pinguin in seinem schwarzen Anzug, durch die Wirtschaft.
Obwohl es ein lustiger Abend werden sollte, schwiegen sie sich auch nach zwei Stunden noch immer an. Pedro trug es Ted noch immer nach, wie dieser ihn vor einigen Tagen eiskalt abserviert hatte. Und so etwas will ein Freund sein ... Da kann ich mich ja gleich beim Dompfarrer anmelden, der denkt bestimmt nicht anders.
Endlich brach Donaldo die Stille. >>Lasst uns gehen!<< bat er, >>ich halt’ das hier nicht länger aus.<<
Ted grinste ihn nur an und Pedro schüttelte den Kopf.
>>Einverstanden<<, erwiderte er, >>aber wir nehmen noch eine Flasche Wein mit, ich habe noch Durst.<<
>>Muss das sein?<< Ted schien zu ahnen, dass dies nicht der wahre Grund dafür war. Doch er sprach nicht aus, was er dachte.
>>Ja<<, sagte Pedro spitz, >>das muss jetzt sein<<, und gab sich Mühe, nicht ganz so bockig dabei auszusehen.
Zwanzig Minuten später gingen sie durch den „Schwarzen Weg“, der seinen Namen zu Recht trug. Nicht eine Straßenlampe gab es hier, nur der Mond, der ab und an durch die Wolkendecke hervordrang, spiegelte sich in den vielen Pfützen auf ihrem Weg. Am Wegrand standen vereinzelt Sträucher und Bäume, und wenn es wieder stockfinster wurde, hatte die ganze Umgebung etwas wahrlich gespenstiges an sich.
Als sie in der Uni ankamen, nahm Pedro seine Brieftasche und holte Marias Zettel hervor. Wohnheim 3 stand da geschrieben, Zimmer 125. Sie machten sich auf den Weg und klopften kurz darauf an die Zimmertür. Doch es war nicht Maria, die ihnen öffnete. Ted hatte sich als Erster wieder gefangen und fragte nach ihr. Pedro schien das Herz in die Hose gerutscht zu sein. Er war bleich wie die Wand, und stierte starr auf die Ausgangstür.
>>Keine Ahnung wen ihr meint?<< war die kurze Antwort der Studentin.
Ted riss Pedro Marias Zettel aus der Hand und zeigte ihn der jungen Frau. Und siehe da, die Erinnerung kam zurück.
>>Ach die meint ihr, die ist dieses Semester im Wohnheim 2, Zimmer 102.<<
Artig bedankte sich Ted und schob seinen Kumpel durch die Tür ins Freie.
>>Also weißt du, das finde ich jetzt bestimmt nicht mehr lustig<<, wies er Pedro zurecht. >>Da mache ich das Ganze hier mit, obwohl ich es für absolut falsch halte, und du bekackst dich fast vor Angst ...<<
Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er Pedro vorwärts.
Als sie im anderen Wohnheim ankamen, maßregelte ihn Ted noch einmal mit einem strafenden Blick, bevor er an die Tür klopfte. Pedros Knie wurden weich, als sich einen Augenblick später die Tür öffnete, und Maria erschien.
Wieder erschlug ihn der Anblick ihres kupferfarbenen Haares, das sanft auf ihre Schultern fiel. Sie schien noch schöner geworden zu sein in den letzten Wochen. Sein Puls raste wie verrückt, und seine Atmung wurde flach und schnell. Vor seinen Augen begannen tausend kleine Sterne zu tanzen. So muss es sein, wenn man den Himmel betritt ...
Endlich brach Maria das Schweigen. >>Hallo<<, sagte sie freundlich, und schaute die Drei erstaunt an. >>Was macht ihr denn noch so spät hier?<<
Ted versetzte Pedro einen kurzen Ellenbogen-Check. Augenblicklich war dieser wieder in der Gegenwart angekommen und stammelte >>Was meinst du?<<
>>Es ist schon reichlich spät<<, erwiderte Maria, noch immer sehr freundlich.
Pedro blickte auf seine Armbanduhr.
Autsch!, es war bereits nach 22:00 Uhr.
>>Stimmt<<, sagte er dann, um seine innere Ruhe bemüht. >>Bist du sehr böse darüber? Wir wollten nur mal sehen, ob du wieder gut angekommen bist. Hast du trotzdem noch Lust auf einen Schluck Wein?<<
>>Ist schon in Ordnung<<, entgegnete sie, >>ich kann sowieso noch nicht schlafen, bin seit heute Abend erst wieder hier. Aber Lust auf Wein habe ich keine, die letzten Tage waren einfach zu stressig.<<
Sie gingen in die Raucherecke und machten es sich so gemütlich, wie nur möglich.
Maria erzählte von ihren Erlebnissen im ZV-Lager, von tagelangen Märschen mit etlichen Kilos Gepäck auf dem Rücken, nächtlichen Alarmübungen und jeder Menge Schinderei.
Gern hätte Pedro sie in die Arme genommen, sie gedrückt und gestreichelt, ihr so gezeigt, wie er mit ihr leidet. Doch daran war nicht zu denken. Er konnte es nicht tun, so sehr er es auch wollte. Diese blöde Schüchternheit ...
Die Flasche Wein begann in ihrer kleinen Runde zu kreisen, und irgendwann konnte auch Maria sich nicht mehr zurückhalten und kostete davon. Plötzlich war es schon wieder weit nach Mitternacht. >>Entschuldigt<<, sagte sie, >>aber ich muss heute wieder früh raus.<<
Als sie sich bereits verabschiedet hatten, fragte sie noch schnell: >>Was macht ihr eigentlich am nächsten Wochenende?<<
>>Bis jetzt noch nichts, warum?<<
>>Es ist Studentenfete in der Mensa. Wollt ihr nicht mitkommen?<<
>>Mal sehen<<, meinte Pedro, und musste sich bemühen, seine Freude über die Einladung zu verbergen. >>Tschau, und schlaf recht schön!<<
>>Ja, du auch!<< Mit diesen Worten verschwand sie in ihrem Zimmer.
Pedro fühlte sich wie auf Wolke Sieben, und konnte auf dem Heimweg an nichts anderes mehr denken, als an diese wunderbare Frau, in deren Zauber er gefangen war.
Und er war glücklich darüber, dass sie nichts von ihrer Hochzeit erzählt hatte. Er hätte es bestimmt nicht ertragen, neben ihr zu sitzen, und sich anhören zu müssen, wie froh sie ist, endlich ihrem Schatz das Ja-Wort gegeben zu haben.
Zu dumm, warum musste es noch einen anderen Mann in ihrem Leben geben, und warum hat er, Pedro, sie nicht schon viel früher kennen gelernt. Es hätte alles so einfach sein können ...
Texte: copyrigth Bild und Text: Maximilian Tubè
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2010
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