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Ausgangsfrage: Bin ich normal?

Kann man sich etwas mehr wünschen, als verliebt zu sein? Das erste Mal verliebt zu sein? Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber immer nur davon zu lesen, wie schön es ist, verliebt zu sein, immer nur zu sehen, wie verliebte Pärchen Händchen haltend durch die Gassen ziehen, immer nur romantische Liebeskomödien im Fernsehen zu sehen, das macht einen schon ganz schön fertig, wenn man es selbst noch nie erlebt hat. Noch dazu, wenn man schon 20 ist und noch nicht einmal ansatzweise verliebt war.
Man denkt sich vielleicht: Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen. Das kann von keinem Menschen stammen, der so was wie ich schon erlebt hat. Ich weiß nicht, wie es sich wirklich anfühlt, verliebt zu sein. Aber ständig vor Augen geführt zu bekommen, wie schön es ist, das macht es einem nicht gerade einfacher, es nicht zu wollen. Noch schlimmer wird es dadurch, das verliebt sein etwas ist, dass so ziemlich jeder kennt und schon erfahren hat.
Nur ich nicht.
Auch mein Sternzeichen ist Programm. Jungfrau. Keine Ahnung vom Sex, nur Spaß mit mir selbst. Was natürlich auch nicht schlecht ist, aber doch sehr einseitig. Zu dumm, dass ich zu den altmodischen Menschen gehöre, die ihr erstes Mal mit einem Partner haben wollen, der einen liebt und den man selbst auch liebt. Beim Küssen hab ich also auch noch keine Erfahrung. Bussi links, Bussi rechts, das beherrsch ich aus dem FF. Aber Zungenkuss? Hallo Fremdwort…
Ah, ich hör schon die vermeintlichen Experten aus der Klugscheißerecke rufen: „Geh mehr aus, misch dich unter Jungs in deinem Alter!“
Danke für den Tipp, ohne euch wäre ich niemals darauf gekommen. Ich muss mich unter Menschen mischen, um mich verlieben zu können? So eine komische Idee, daran hätte ich nie gedacht, vielen Dank.
Derweil heißt das neue Stichwort doch Online-Dating. Friendship.de, Partnerscout.de – Es gibt unzählige Seiten, die die ultimative Liebe versprechen. Mag sein, dass sich dort Unmengen weiterer Menschen verlieben. Oder glauben, sich verliebt zu haben. Oder es sich einreden.
Mich ausgenommen.
Was womöglich daran liegt, dass ich mich nicht bei so einem Portal angemeldet habe. Brauch aber auch nicht. Es gibt noch andere Internet-Orte, wo man nette Menschen kennen lernen kann. Über ein Forum und ein Online-Spiel, zum Beispiel, so wie ich es mache. Ja, ich habe viele, neue Menschen kennen gelernt, die mir inzwischen zur zweiten Familie geworden sind. Aber verliebt? Brauche ich das wirklich noch schreiben? Wohl kaum.
Die ersten Zweifler stellen schon flüsternd die Frage: „Ist sie lesbisch?“
Was soll ich dazu sagen? Leute, ich war noch nie verliebt, also auch nicht in eine Frau! Woher soll ich wissen ob ich homosexuell, heterosexuell oder sogar bi bin? Diese Weisheit über mich selbst wurde mir noch nicht offenbart.
Bin ich deswegen nicht normal? Wäre ich normal, wenn ich wüsste, in welche Sparte ich gehöre? Früher galt es absolut unnormal, homosexuell oder bi zu sein. Heute wird es toleriert, teilweise darf man sogar gleichgeschlechtlich heiraten. Ist es dann auch normal, nichts zu sein?

Für mich gibt es sogar ein Wort. Spätentwickler. Vor ein paar tausend Jahren hatte man in meinem Alter die Hälfte seines Lebens schon hinter sich und schon einen Haufen Kinder gezeugt. Dazu wäre ich zwar auch schon seit dem elften Lebensjahr fähig, aber, nein, ich bin ja Spätentwickler.
Bleibt mir also nichts anderes, als mich auf meine Karriere zu konzentrieren. Kein Freund, kein Kind, nichts, was einen ablenken könnte. Doch dafür muss ich erstmal eine Ausbildungsstelle finden. Hindernis lässt grüßen.
Bleibt sich die Ausgangsfrage: Bin ich normal?
Diejenigen, die mich für einen Spätentwickler halten, nicken mir jetzt freundlich zu und trösten mich. Wird schon noch. Dann, wenn du es am wenigsten erwartest wird’s funken. Scheiße. Ich erwarte es dauernd, was mach ich nun?
Ja, ja, die Klugscheißerecke sagt wieder: Ausgehen. Lasst bitte eure Statistiken stecken. Ich weiß, dass ich in keine Statistik passe.
Die Jungverliebten, die mit ihren dreizehn Jahren schon das erste Kind haben, schütteln nur den Kopf. Wie kann man mit 20 noch nie verliebt gewesen sein? Bis dahin haben sie schon drei bis 15 Bettgenossen gehabt.
Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank bin ich noch nie verliebt gewesen. Für Kinder muss man reif sein. Man sieht es an der neuen Generation. Frech und ungehorsam ein großer Teil. Wie hab ich gestaunt und bin zur Seite, wenn ein Zwölftklässler an mir vorbeiging, als ich selbst noch in der fünften war. Heute schubsen die Kleinen die Großen einfach beiseite, um sich durch das Schulhaus zu jagen. Die Putzfrauen schreiben völlig umsonst an die Tafel: Das unbekannte Ding unter dem Waschbecken ist ein Mülleimer. Darin werden die Dinge gestopft, die im Moment immer nur am Boden rum liegen.
Und woran liegt das? Womöglich daran, dass die Eltern zu jung sind und vielleicht eine Erziehung genossen haben, die ihnen selbst damals nicht gepasst hat. Da frägt man sich, welche Erziehung überhaupt die richtige sein kann. Auf alle Fälle sollte man aber schon etwas reifer sein und nicht selbst noch die Schulbank drücken.
Die Klugscheißerecke meldet sich natürlich wieder zu Wort. „Statistisch gesehen ist es im Moment wieder mehr gefragt, Kinder später zu bekommen. Mit 35, 40…“ Dann hab ich ja noch Zeit. Uff. Die biologische Uhr kann also leiser ticken.
Bleibt nur noch das Problem Nummer 1: Kein männliches Wesen (oder weibliches), für das mein Herz schneller schlägt.
Komm ich also wieder zurück zu meiner Ausgangsfrage: Bin ich normal?
Ich scheine zu keiner befriedigenden Antwort zu kommen. Also gehe ich das Problem von einer anderen Seite an. Was bitte ist normal? Kein Lebewesen auf dieser Welt ist mehr Individuum als ein Mensch. Warum? Weil gleichmachende Instinkte nur noch an zweiter Stelle stehen. Interessen beherrschen die Menschheit. Und durch die vielen wahnwitzigen Ideen, die diese Welt uns bietet, können Menschen den unterschiedlichsten Hobbys nachgehen. Schon mal einen Hund ein Modellflugzeug fliegen sehen? Eine Katze Motorrad fahren? Nein? Ich auch nicht. Vielleicht bieten sich dem Mensch zu viel Dinge, die er ausprobieren kann. Aber was macht das Menschsein aus? Eine partnerschaftliche Bindung bis ans Ende des Lebens? So oft kommt das in der Natur nicht vor. Frei ausgelebte Sexualität? Sex ist etwas in der Tierwelt, was der reinen Fortpflanzung gilt. Schon zwei mögliche Gründe, die mir nun unterstellen können, nicht Mensch zu sein. Und doch bin ich einer. Also muss es noch etwas geben, das frei von Sexualität, von Partnern und Liebe ist. Ich muss also nur noch herausfinden, was es ist. Der Glaube an eine Religion? Was machen dann unverliebte Atheisten. An ihre eigene Existenz glauben? Möglich. Der Schlüssel wäre also Glaube. Egal an was. Stellt sich die Frage, ob ich mich selbst umbringe, wenn ich den Glauben an mich verliere. Doch bis dahin hab ich ja noch meine Hobbys, mit denen ich mein Leben bunter gestalten kann.
Aber die hypothetische Frage, was normal ist, ist und bleibt ungeklärt. Normal für eine Gattung – für die Gattung Mensch – scheint mir nicht möglich zu sein, da sich dafür eine große Gruppe in ein Schema pressen lassen müsste. Völlig unmöglich.
Ich bin also unnormal. Die anderen aber auch. Bin ich also unnormaler als andere? Falle ich noch mehr aus dem Raster als die anderen? Wer weiß. Die Zeit wird es zeigen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Vorab sei gesagt, dass meine Person nichts mit dem Ich-Erzähler des Monologs zu tun hat - Ich habe weder angestrengt versucht Philosophisch, rhetorisch, mesanthropisch oder sontige -ischs zu sein: Ich hab einfach nur mal wild drauflos geschrieben

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