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Schlangen (griechisch ὄφεις ópheis; lateinisch serpentes, verwandt mit altgriechisch ἕρπειν herpein ‚kriechen‘) sind eine Unterordnung der Schuppenkriechtiere. Sie stammen von echsenartigen Vorfahren ab. Gegenüber diesen ist der Körper stark verlängert und die Extremitäten wurden fast völlig zurückgebildet.

(Quelle: Wikipedia)

 

Wer einer Utopie ins Gesicht geblickt hat, bekommt eine Schlange an den Hals. Ulrich Bergmann überwölbt das Reale und zieht es zugleich ins Mythische, auch als poetische Rücklage von abhanden gekommenem Wissen und übt sich in versuchter Nähe. Diese Prosa changiert, unterstützt vom gestalterischen Prinzip der Vermischung zeitlicher Ebenen, zwischen Adaption literarischer Liebesmythen, biblischer Anspielung, fiktionalem Schöpfertum und Beziehungstherapie. Schlangen spielen in der Kulturgeschichte und Mythologie und darauf aufbauend selbstverständlich auch in der Kunst und Literatur eine große Rolle: So verführte in der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte der Bibel eine Schlange Adam und Eva dazu, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu kosten. In den Schlangegeschichten von Bergmann wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Die Kernidee dieses Modells besteht darin, daß einander liebende Personen im Sinne der dialogischen Liebe miteinander handeln, wenn sich der Sinn der Gesamthandlung nicht aus der Summe isolierter Einzelhandlungen ergibt, sondern als „Sinneinheit“ auch die Rezeption der Leser durchwirkt. Bergmann schreibt mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, sie belehrt jedoch nicht. Lakonisch zusammengeschnurrt präsentiert Bergmann in den Schlangegeschichten, was sich im Kopf wieder auseinanderfalten muß. Er hinterfragt mit dieser Prosa die Praktikabilität moderner Paarbeziehungen zwischen Erinnerung, Mythos und Fluchtimpulsen. Das abgründige Gefälle zwischen Macht und Geist ist eines seiner Hauptthemen. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren jeweiligen Schlußpointen zum Schmunzeln oder Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

 

What's Love Got to Do with It?

Tina Turner

 

Die Einlassungen des Verstandes gegenüber den einfachsten Dingen laufen in den Schlangegeschichten auf ein unbestimmtes Ende zu, schließlich hat es der Autor mit einer exaltierten, manchmal auch maliziösen Frau zu tun. Das Formganze wird nicht durch metronomgenaues Durchschlagen der Poesie von außen übergestülpt, sondern entwickelt sich bruchhaft und widerspruchsvoll gerade aus der Verschiedenheit ihrer Bestandteile. Die Grenze, die ausschließt und zugleich auch einschließt wird zum wichtigsten Modus menschlicher Beziehung, zwischen Hier und Dort, Eigenem und Fremdem, Innen und Außen, Begegnung und Konfrontation, Identität und Alterität. Bergmann unternimmt den Versuch, die vielfältig abgestuften Erfahrungen von Begegnung zu konzeptualisieren, indem er in je unterschiedlichen Formen und Sprachen kulturelle Manifestationen von Liebe analysiert. Es handelt sich bei dieser Prosa um ein sprachlich ambitioniertes Kammerspiel. Bergmann folgt gleichsam als Schlangenbeschwörer ästhetischen Überzeugungen und bekennt sich zur gefährdeten Aufklärung. Für ihn gilt Singularität, alles wird gesetzt gegen die Zeitfalle des Modischen. Als Hüter mythologischer Bilder beschwört dieser Schriftsteller nicht nur das Buch der Bücher, er ist sozusagen als Flözgänger des Traums unterwegs. Auch seine Schlange ist mitunter ein arglistiges Weib, eines, das seine Ur-Ängste anregt. Die Liebe ist maximal von einer Exaktheit und von Beweisen entfernt, sie ist ein Gefühl, eventuell ein Zustand, das dionysische Fest wird vom Alltag unterbrochen. Dennoch bewertet er das Traumsymbol der Schlange mitnichten nur negativ. Und auch der Leser steht nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange, er wird gleichsam mit Mann’scher Ironie bedient. Bergmanns vielgestaltiges Werk reicht von intensiven Alltagsbeobachtungen über die Wiederbelebung historischer Figuren bis zur reinen Fiktion. Er ist ein Freigeist, ihm gelten nur die Regeln der Syntax, er geht mit kühler Distanz an allen kunstideologischen Prämissen und saisonalen Tendenzen vorbei, ohne sich in der Attitüde zu verhärten.

 

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.10.2010

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