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Art. 1 der Verfassung der central core unit Rome (Dream cell network ver. 8.4) (Cellution inc.)
[1] Liberae sunt nostrae cogitationes.


I.
Es war vor langer Zeit … meine Gedanken waren frei.


Es war nicht die beste Bar. Das Licht fiel aschfahl auf die dreckigen Tische. Es roch nach Schweiß und Verzweiflung. Regen trommelte an die blassen schwarzen Fenster. Der Wind zog leise durch die offenstehende Tür. An den Wänden hingen verblichene staubige Bilder, aus verblichenen Zeiten des kleinen Ortes. Der Wirt, ein alter Mann, haarlos, mit dreckigem Hemd, schaute rüber. In seinen grünen Augen spiegelte sich Elend. Der Whiskey, ohne Geschmacksverstärker, lag schmutzig gelb und schimmernd im Glas.

Er saß Ihm nun endlich gegenüber. Er hatte sich einen anderen Ort und eine andere Zeit für dieses Treffen vorgestellt.

„Rick, nehme ich an …“, sagte der Mann, dieselbe giftig gelbe stinkende Brühe im Glas vor sich. „Sagen Sie mir warum sie mich sehen wollten.“

Rick Waters sah ihm in die schwarzen und bedrohlich schimmernden Augen. Sie glänzten matt im dunklen Schein des flackernden elektrischen Lichts. Der andere blinzelte nicht einmal.
Rick sprach langsam und bedächtig. „Sie tragen den Namen "Dev"?“

Der Mann grinste, lehnte sich zurück und hob sein Glas. „Nicht im wahren Leben Mr. Waters. Nur in meinen Träumen. Belassen wir es dabei. Ich werde Sie auch nicht nach ihrem wahren Namen fragen Rick Waters.“

„Also Dev. Wieso diese Bar?“, fragte Rick und blickte zu den grauen Bildern vor ihm. Verblichene spielende Kinder auf einer Wiese. Dieser Ort hatte schon lange keine Kinderträume mehr erlebt.

Auch Dev schaute sich um und blickte danach wieder streng zu seinem Gegenüber. „Ich mag es hier. Kaum Leute und es hat etwas von dieser klassischen Noir Atmosphäre finden sie nicht auch? Es fehlen nur ein paar dreckige Neon-Röhren.“

„Wissen sie, ich hatte mir einen Ort gewünscht der ein wenig diskreter ist“, gab Rick zu verstehen.

Dev schüttelte ungläubig den Kopf und strich seine blonden fettigen Strähnen aus dem Gesicht. „Sie wissen dass kein Ort der Welt diskreter sein sollte als dieser hier. Liberae sunt nostrae cogitationes.“

„Wenn dem so wäre, wäre ich nicht hier“, sagte Rick und nippte an seinem Whiskey. Er schmeckte widerlich. Ein paar Gäste nahmen in ihrem Bereich Platz. Traurige Augen, Arbeiterkleidung und schmutzig im Gesicht. Wohl nichts Ungewöhnliches in einem Ort wie diesem.

„Das ist ein Grundsatzproblem. Vielleicht sind sie auch gar nicht hier Rick. Ich weiß es nicht. Ich habe Sie noch nie zuvor gesehen. Dabei kann ich mir Gesichter gut einprägen. Ich sehe Sie mit ziemlicher Sicherheit nie wieder. Sie werden mich nie wieder sehen. Sie wissen noch nicht einmal wo ich mich befinde.“ Dev machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck und holte eine Schachtel Lucky Strike aus der Tasche seines schwarzen abgetragenen Mantels. „Und so soll es auch bleiben Rick. Ich schätze mein bisschen Privatsphäre.“

„Deswegen bitten sie mich her“, Rick holte ein schwarzes Zippo hervor und reichte es Dev über den Tisch.

„Dies hier, ist alles temporär. Ein flüchtiges Konstrukt. Einzig und allein geschaffen für den Zweck unseres Treffens. Nicht perfekt, ich weiß, aber realistisch. Es ist traurig wie die Welt da draußen. Nass und kalt und voller Lethargie. Es soll folgendes heißen: Sie dürfen ruhig in aller Offenheit mit mir reden Rick. Ich würde mich nicht an einem öffentlichen Knotenpunkt mit der CCD treffen.“

Er war clever, dass musste sich Rick eingestehen. Er war aber auch gleichzeitig verloren in seiner eigenen Welt. Temporär oder nicht, sein Geisteszustand war labil. Der Mann war hochintelligent, was ihn noch unberechenbarer machte.

Der Codename „Dev“ war schon oft in den Dateien der Cell Crime Division erschienen. Früher hätte man den Mann einen Hacker, einen Computerterroristen genannt. Heute war er ein Informant. Jemand der die Weiten des Netzes überblicken konnte. Jemand der tiefer drinsteckte als die Cell Crime Division es jemals konnte. Niemand wusste wie Dev am Netz hing, oder ob er jemals offline gegangen war. Kein Mensch wusste wie er aussah, oder wie seine Stimme klang. In jedem Fall war Dev aber einer der wichtigsten Informanten der Behörde, die innerhalb des Netzes die Sicherheit überwachte. Dev musste seine Aktivitäten jedoch nicht beschränken. Seine Belohnung bestand in dem Privileg, im gesamten Netz so agieren zu dürfen wie er wollte. Rick Waters war seit zwei Jahren Ermittler der CCD.
In seinem aktuellen Fall lagen keinerlei Beweise vor, keine Zeugen, keine Spuren. Rick hatte keinen Partner. Es gab keine Partner bei der Arbeit im Dream Cell-Netzwerk. Die Ermittler waren am Ende. Es war nach der typischen Prozedur des CCD nun an der Zeit einen der Informanten zu befragen. Da es um ein simuliertes Tötungsdelikt ging, fiel die Wahl auf Dev. Man musste nur darauf warten dass Er jemanden empfing.

„Das ist mir klar“, gab der Detective zurück.

„Wissen sie Rick, Cell Crime ist inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr. Diese ganzen simulierten Morde. Ach wissen sie. Es gibt Menschen die turnt sowas an. Ich betrachte schon seit geraumer Zeit das was Sie und ihre CCD tun als pervertierten Jugendschutz“, Dev lachte laut über seine Bemerkung und schnippte dem Barkeeper zu.

„Wir haben geltende parlamentarische Gesetze gegen alle Arten von Cell Crime. Besonders gegen simulierte Tötungsdelikte. „Murder“ und „Terroism“ sind schwere Straftaten. Da stehen Freiheitsstrafen drauf“, gab der Detective zu bedenken.

„Die sie auch hier drin absitzen müssten. Nur hört mir irgendwie niemand zu wenn ich mal sowas wie ein Cell Prison verlange. Dass hier drin jemand einen anderen "Menschen" umlegt, heißt nicht dass er das auch draußen tut“, der Barkeeper stellte das Glas neben Dev ab und reichte ihm einen neuen Aschenbecher. Der Informant schüttelte den Kopf und schob seine Zigarettenschachtel zu Rick hinüber. „Entschuldigen sie bitte meine Unhöflichkeit Rick, möchten sie auch eine? Nehmen Sie sie. Hier drin ist das Rauchen keinesfalls gesundheitsschädlich wie sie wissen.“

„Ich will mich nicht dran gewöhnen Dev. Danke ihnen“, sagte Rick und schob die Schachtel zurück, nahm sein Glas in die Hand und schaute zu dem Informanten. „Und danke für dieses Beispiel. Wir sind dafür da, um zu verhindern das sich der Cell Crime Täter an sein Verhalten hier drin gewöhnt.“

„Das kann man nicht vergleichen Rick, auch wenn beides außerhalb der Mauern meines Gefängnisses durchaus gesundheitsschädlich ist“, sagte Dev und zündete sich eine weitere Zigarette an. „Sie können mich mit nichts mehr überraschen, Mr. Waters, es war ein Mord nehme ich an.“

„Das entscheidet ein Gericht“, gab Rick zurück.

Dev lachte laut auf. „Zumindest ist jemand hier drin gestorben.“ Der Informant verdrehte die Augen und schaute wieder zu Rick. „Ja ja, ich weiß. Das Opfer hat seine Aussage bereits gemacht und fühlt sich so als sei es wirklich gestorben.“

„Ganz so ist es nicht Dev. Wir hätten in diesem Fall keinen so teuren Informanten benötigt“, sagte der Detective.

„Schmeicheln sie mir nicht Mr. Waters. Ich werde noch rot, sofern das bei meiner momentanen Erscheinung möglich ist. Sagen sie mir doch nun bitte wieso sie meine treuen teuren Dienste benötigen“

„Frank Urban. So der Name des Opfers“, sagte Rick und holte einen Block und einen Bleistift hervor.

„Sein bürgerlicher Name oder sein Nick?“, sagte Dev und riss ungläubig die Augen auf. „Rick sie sind wirklich ein Paradoxon!“

Verblüfft schaute der Detective zurück. „Wie bitte?“, fragte er ungläubig.

„Sie schreiben hier wirklich mit Bleistift auf Papier? Das ist genauso absurd wie es faszinierend ist“, Dev lachte und nippte an seinem Glas. „Lassen sie mich raten Rick, sie sind ein motorischer Lerntypus.“

Rick schüttelte den Kopf. „Wissen sie, ich kann mir eben Sachen besser merken die ich schon einmal geschrieben habe.“

„Obwohl sie nichts von dem was wir hier bereden jemals auf diese Zettel dort schreiben werden“, gab Dev zurück und schaute nachdenklich auf den Block der geöffnet auf dem Tisch lag.

„Es ist doch nun mal der Gedanke der zählt“, sagte Rick und fing an etwas zu schreiben.

„Es ist schon seltsam. Wir könnten einfach alles innerhalb dieser Mauern erschaffen und wir geben uns mit der Darstellung unseres normalen Lebens zufrieden, nur so wie wir es gerne hätten. Unser Horizont, unsere Vorstellungskraft, ist wahrhaft limitiert.“

Rick schaute skeptisch zu seinem Gegenüber, das angestrengt um einen letzten Zug mit seiner Lucky rang. „Im übrigen Dev, trug Frank Urban den Nickname: „Meddle“.“

„Nie etwas von ihm oder einem "Meddle" gehört“, sagte Dev und hauchte blauen Zigarettenqualm in das dreckige Licht der Bar.

„Er war noch nicht lange im Netz aktiv. Es war selbst für uns schwierig den Mann zu finden. Haben ihn über die Accountdaten gefunden.“

Dev drückte langsam seine Lucky in den Aschenbecher vor ihm. „Hatte er das Verbrechen nicht gemeldet?“

Rick blickte streng zu dem Informanten hinüber. „Das konnte er nicht mehr. Er war bereits tot.“

„Aber er war noch eingeloggt ?“, Dev rieb sich angestrengt das Kinn und schnippte abermals zu dem Barkeeper hinüber.

„Das ist richtig. Urban war eingeloggt als es passierte und blieb auch weiterhin nach dem Cell Crime im Netz.“

„Der Täter müsste also aufgezeichnet worden sein“, sagte Dev und nahm einen weiteren Whiskey entgegen.

„Die Aufzeichnungen sind alle vernichtet worden. Das Terminal war bis auf die Log In-Daten völlig leer. Keinerlei Spuren. Die beiden Namen haben wir aus der ID-Card Urbans“, Rick klappte seinen Block zu und wartete auf eine Antwort. Ihm war bewusst dass die Geschichte sein Gegenüber mehr und mehr beunruhigte.
Dev antwortete nicht, also setzte Rick wieder an: “Das Opfer hat 26 Messerstiche. Verteilt über den gesamten Körper.“

Dev der seinen Blick gesenkt hatte schaute wieder zu Rick herauf. „Ich habe schon schlimmeres hier drin gesehen und erlebt …“

Rick unterbrach ihn. „Ja, nur die Sache ist die. Die Tötungen sind exakt dieselben.“

„Wie meinen Sie das?“

„Es soll folgendes heißen: „Meddle“ wurde im Dream Cell mit 26 Messerstichen getötet. Exakt zwei Stunden später ist Frank Urban tot in seinem Haus in New York mit ebenfalls 26 Messerstichen aufgefunden worden. Eine Mordwaffe wurde nicht entdeckt. Ich nenne das: "Akzessorisches Tötungsdelikt". Es ist das erste seiner Art. Der Täter ist der erste seiner Art.“

Nun hatte Rick die Fakten geklärt, er hoffte nun auf eine schlüssige Antwort des Informanten. Nur deswegen war er ursprünglich hergekommen.

Dev schaute aber nur ungläubig zu seinem Gegenüber. „Ein Accessory Killer. Eine interessante Theorie. Ein Zufall kann, bei dieser Sachlage, zumindest völlig ausgeschlossen werden. Welche Position bekleidete dieser „Meddle“?“

Rick dachte kurz nach klopfte rhythmisch mit seinem Bleistift auf den Block. „Er arbeitete bei einer Bank. Nichts Außergewöhnliches. Hier hatte er meines Wissens keinen Job. Er war auch keine große Nummer in den Central Core Units.“

„Das hätte ich auch gewusst Rick“, gab Dev schnippisch zurück. „Ein Motiv ist so in gewisser Weise unerklärlich. Es sei denn das es natürlich um etwas so triviales wie Rache ging, aber das ist ebenfalls auszuschließen denke ich.“

„Wieso Dev?“, fragte Rick.

„Wissen Sie. Dieser Accessory Killer. Dieses „Verbrechen“, so will ich es nun klassifizieren, soll etwas darstellen, eine gewisse Metaphorik vermitteln. Es hat nun mal eine gewisse Symbolik einen virtuellen Charakter zu „töten“ und auf dieselbe bestialische Art und Weise es seinem Alter Ego anzutun. So etwas ist keinesfalls ein Racheakt. Sie sagen das die Messerstiche an exakt denselben Stellen gesetzt wurden?“

„Das ist korrekt“, Rick schob ein paar Fotos über den Tisch. „Das sind ausschließlich Aufnahmen aus New York.“

Der Informant schaute auf die Fotos hinab. Frank Urban war ein großer Mann mit braunem Haar gewesen. Er trug bei seinem Tod ein dunkles Jackett und eine Jeans. Seine Leiche war über und über mit Blut bespritzt. Sein Hals war von den vielen Stichen zerfetzt worden. Die gegenüberliegende weiße Wand war in Blut getränkt. Frank Urban war mit geschlossenen Augen gestorben.

„Sagen sie Rick. Hatte Frank ständigen Zugang zu den Central Core Units?“, fragte Dev nachdem er von den Fotos aufgeblickt hatte.

„Er hatte einen Account der dies ermöglichte, aber auch das ist nichts Ungewöhnliches.“

„Es war eine private Session in der umgebracht wurde“, gab der Informant zu bedenken. „Der Täter muss sich in die Cell geloggt haben. Dazu müsste er vom Administrator eingeladen worden sein.“

„Könnte sich der Täter nicht anders Zutritt verschafft haben? Besteht eine solche Möglichkeit inzwischen?“, fragte Rick.

„Es muss das erste Cell Crime Delikt seit Jahren in einer privaten Session sein. Nicht wahr? Denn es besteht keine Möglichkeit in eine Single Cell zu kommen ohne eine Einladung seitdem Cellution die Dinger zugemacht hat. Die Firewalls die davor geschaltet sind, sind nicht zu durchdringen. Eher schmort einem das Hirn weg“, sagte Dev und zog angestrengt an seiner Zigarette.

„In der Tat. Es ist bereits drei Jahre her. Es ist der erste Vorfall seit dem Update von Cellution. Auch deswegen bin ich hier und rede mit ihnen.“

„Um auf ihre Frage noch einmal zu antworten: Nein es besteht im generellen keine Möglichkeit unerlaubt in eine Single Cell zu kommen. Die Dogs of War arbeiten da bereits seit dem Release des Updates dran, aber brauchbare Ergebnisse liegen noch nicht vor. Das einzige wozu sie in der Lage sind ist in privaten Sessions metaphysische Erscheinungen zu erzeugen.“

Die „Dogs of War“ waren eine der Organisationen mit denen es die Cell Crime Division, bei ihren Ermittlungen, immer wieder zu tun hatte. Ihre Mitglieder kämpften offiziell für die Freiheit des Geistes, von den Behörden wurde sie als eine der größten aktiven terroristischen Organisationen des Dream Cell Netzes angesehen. Allein die Mitgliedschaft sollte zu einer langjährigen Freiheitsstrafe führen. Ihre Informationen über die Dogs of War konnte die Cell Crime Division nur von Informanten wie Dev erhalten. Die Organisation hatte bereits mehrere Anschläge auf die Central Core Units geplant und ausgeführt. Einmal wurde ein halber Serverkomplex lahmgelegt was dafür sorgte das Dream Cell einen halben Tag stillstand. Schadensersatzklagen überfluteten die zuständige Betreibergesellschaft Cellution Inc.. Der Vorfall geschah laut einer offiziellen Stellungnahme aufgrund eines Betriebsfehlers. Die Existenz der Dogs of War sollte dringend vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Die Organisation fand daraufhin Wege in private Sessions von Dream Cell Usern einzudringen. Bei der Cellution Inc. wurden massive Sicherheitslücken beklagt. Die Gesellschaft reagierte mit einem großen Update für die privaten Sessions. Seitdem ist kein Vorfall von einem Eindringen in eine so genannte Single Cell bekannt geworden. Die Dogs of War beschränken sich seitdem auf gezielte Aktionen in den Central Core Units. Seit einiger Zeit senden sie durch das Netz kodierte Botschaften an vereinzelte User. Seitdem ist zumindest der Sprecher der Organisation unter dem Namen „Milcom“ bekannt. Ihr Ziel beschreiben die Dogs of War als eine „Revolution der Gedanken“. Sie fordern die völlige Abschaltung des Dream Cell-Netzwerks. Ein simuliertes Tötungsdelikt das als so genanntes Cell Crime unter Strafe steht haben die Dogs of War seit ihrem Bestehen nicht begangen.

Trotzdem fällt der Verdacht stets zuerst auf eine solche Organisation, dachte sich Rick. Die Dogs of War haben natürlich das technische Equipment und das Know How um eine solche Sache durchzuziehen. Doch diese Geschichte passt nicht in ihre bisherige Vorgehensweise. Sie sind zwar in gewisser militant im Dream Cell aufgetreten und waren entschlossen gegen das Netz vorgegangen. Doch eine Tötung eines anderen Menschen außerhalb des Dream Cell passt nicht zu ihren Ansichten und Zielen. Aber es muss natürlich jedem Tatverdacht nachgegangen werden.

„Meinen Sie die Dogs of War könnten trotzdem irgendwas mit der Sache zutun haben Dev?“, fragte Rick.

„Es erscheint unwahrscheinlich. Obwohl Milcom in seinem letzten Statement den „Tod aller Träume“ gefordert hat, was auf ein aggressiveres Auftreten der Dogs schließen lässt. Ihre letzte Aktion liegt auch schon ein paar Monate zurück. Auszuschließen ist es natürlich nicht, die Dogs haben schon andere dreckige Sachen gemacht. Dennoch, einen Menschen umgebracht haben sie bisher nicht. Aber was ist mit der anderen Seite Rick?“

„Wen meinen Sie speziell?“, gab der Detective verwirrt zurück.

„Cellution natürlich. Ermitteln Sie auch in diese Richtung? Ich meine sobald die Dogs etwas anstellen, oder planen ist Cellution mit ihren Maßnahmen nicht weit weg. Damals als die Dogs das erste Mal auftraten war Cellution jedes Mittel Recht um deren Existenz zu verschleiern. Ich habe damals üble Gerüchte gehört. Simuliertes Waterboarding und Menschen die verschwunden sind. Und das nicht nur aus dem Netz. Meddle könnte auch zu einer Organisation wie den Dogs gehört haben. Damit wäre auch sein unstetes Auftreten in den Central Core Units zu erklären.“

Rick runzelte die Stirn. „Dafür bezahlen wir sie Dev? Dafür dass sie mir Märchen andrehen wollen? Das unser Opfer zu den Dogs of War gehört hat und Cellution ihn aus dem Weg räumen wollte, um die Existenz einer Terrorgruppe zu vertuschen die sowieso schon jeder Bürger kennt?“

„Es ist eine Theorie. Was hat Meddle hier sonst so getrieben?“

„Soweit wir das beurteilen können sind seine privaten Sessions meist pornographischer Natur gewesen. Nichts Wildes. Das meiste von dem Zeug war selbst geschrieben. Ein paar Sessions waren gekauft.“

„Haben sie die Logg Historys für mich?“, fragte Dev. „Wir müssen nachsehen wie der Täter in die letzte Session kam.“

„Darüber haben wir in den Daten nichts gefunden. Es scheint als sei der Täter auf einmal in der Cell aufgetaucht“, gab Rick zurück.

„Auch im Dream Cell ist 2 + 2 = 4. Das Netz muss sich natürlich auch den Naturgesetzen beugen. Das gilt auch für einen Accessory Killer. Alles beruht auf einer gewissen Kausalität, auch das Erscheinen des Täters muss somit auf eine Ursache zurückzuführen sein. Er kann somit nicht einfach erschienen sein. Sein Eintreten in die Session muss Spuren hinterlassen haben“, sagte der Informant und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Rick zuckte mit den Schultern. „Ich hab die Daten nicht dabei Dev, sie sind auf dem Space des CCD.“
„Connecten sie ruhig, wenn sie wollen verschlüssele ich das Signal“, schlug Dev vor und gestikulierte durch die Luft.

Rick nickte und stand auf. Er breitete die Arme vor sich aus und zog einen Kreis. Innerhalb dieses von ihm beschrittenen Kreises erschienen helle Schriftzeichen in der Luft. Rick wischte durch die gleißenden Zeichen und tippte auf den Schriftzug „CCD HQ“. Laut sprach er seinen Namen aus und eine Stimme erklang.
„Willkommen Detective Richard William Waters. Welche Information wünschen sie?“

„Case File 98/6778. Logg History ID Meddle“, gab Rick an.

„Erbitte Codierungsnummer.“

„Waters 61661.“

„Danke 61661. Beginne Datenübermittlung in unbekanntes Single Cell Network.“

Mitten in dem leeren Raum vor Rick öffnete sich ein virtuelles Fenster. Hell strahlend erschien ein Textsymbol das sich zirkulierend durch den Raum bewegte. Der Detective griff danach und legte es auf den Tisch vor Dev, wo es sich zu einer dreidimensionalen Fläche ausbreitete die neon farbend glühte. Auf der Fläche erschienen Textsymbole und Zahlenkombinationen, die Logg In Daten des Opfers. Dev streckte seine Hand aus und wischte ein paar Seiten der Daten davon. Er zündete sich eine neue Zigarette an und beugte sich über die glühende Fläche.

„Dies ist der letzte Logg In“, murmelte Er und wischte weiter wild mit seiner Hand über die Daten. „Genau hier müsste die besagte private Session angefangen haben.“

Rick vermerkte dies in seinem Block und beugte sich ebenfalls über den Tisch.

„Die Session dauerte 12 Stunden. Natürlich auch bedingt dadurch dass das Opfer drei Stunden lang eingeloggt war obwohl es physisch gar nicht mehr am Leben war korrekt?“, fragte der Informant.

„Soweit wir wissen“, antwortete Rick und schaute hoch zu Dev.

„Ergo dauerte die Session bereits neun Stunden als der Täter das simulierte Tötungsdelikt vollendete. Es ist aber nicht anzunehmen dass der Täter erst nach neun Stunden in die Session kam. Es finden sich bereits hier Spuren, auch wenn dies relativ schwierig zu lesen ist. Wie sie bereits erwähnten sind fast alle der Daten vernichtet worden“, sagte Dev und hob schnell seine Hände, weg von der Fläche auf dem Tisch, und wirbelte mit ihnen vor sich in der Luft. Vor ihm erschienen zwei hell aufleuchtende Fenster in denen Logg In Daten zu lesen waren. Mit der Zigarette in der Hand wies er auf das linke Fenster.

„Das hier ist seltsam. Das System gibt in der Session den Logg In eines einzigen registrierten Users an. Das seltsame ist das an Meddle selbst keine Anfrage geschickt wurde und Meddle selbst niemanden eingeladen hat. Zumindest ist dies aus der Datei noch ersichtlich. Also laut der Daten war über den gesamten Zeitraum nur ein User in der Session. Der Täter muss aber trotzdem in die Single Cell gelangt sein. Das könnte er aber theoretisch nur falls die Firewall nicht aktiv gewesen wäre und er von der Single Cell gewusst hätte. Es finden aber minütlich Millionen von privaten Sessions statt.“

„Das hilft uns nicht weiter“, sagte Rick.

„Es ist ebenfalls fraglich wieso der Täter bei der Löschung der Dateien bewusst auf diese Datensätze verzichtet hat. Das ergibt offensichtlich keinen Sinn. Der Täter muss hier mit der Absicht gearbeitet haben uns etwas hinterlassen zu wollen.“

„Warum sollte er das tun? Aus perversem Vergnügen?“ fragte Rick und schüttelte den Kopf während er angestrengt auf das linke Fenster schaute. Er griff in seine Jackentasche und zog eine Brille hervor.

Dev lachte erneut und schüttelte den Kopf. Danach wies er erneut auf den vor ihren Augen ablaufenden weiß strahlenden Datenstrom.
„Worauf ich ursprünglich hinaus wollte Rick ist folgendes“, Dev fuhr mit der Hand durch die Daten und ein einziges Fenster mit einer Liste aus hell aufleuchtenden Lettern materialisierte sich vor seinem Gesicht. „Es ist ungewöhnlich dass das System die Logg Ins in so kurzen Abständen speichert. Besonders dann wenn es sich um eine private Session handelt. Sehen Sie.“

Dev schaute angestrengt auf die Zahlenkombinationen vor ihm, Rick hatte Schwierigkeiten seinem Gedankengang zu folgen.
„Das Dream Cell-Network speicherte den Logg von Meddle hier das erste Mal, danach wurde der Logg nach drei Minuten und 26 Sekunden wieder gespeichert und danach in einem Intervall in immer wieder gleichen Abständen.“

Rick schaute Dev streng in die Augen. „Ist das abnormal? Könnte er nicht einfach einen schlechten Ping gehabt haben?“

Dev grinste und drückte seine Zigarette mit nervösen Bewegungen in dem Aschenbecher aus. „Natürlich besteht die Möglichkeit eines schlechten Pings Rick. Aber das erklärt nicht das hier.“ Dev wies mit dem Zeigefinger auf die Zahlencodes vor seinen Augen. „Und genau das Rick, ist der Grund ihres Besuches.“

Der Detective bemühte sich etwas aus den Zahlen lesen zu können. In diesem Job konnte man der digitalen Sprache schnell überdrüssig werden. „Der Logg von Fran fand dort um 16:35 Uhr statt. Der Logg danach wurde um 16:31Uhr gespeichert. Danach wieder eine Speicherung um 16:38 Uhr.“

Dev nahm einen letzten Schluck aus seinem Glas. „Derjenige der sich um 16:31 Uhr die Session loggte ist ihr Täter Rick.“

„Hat er das übersehen? Will der Täter dass wir ihn so finden? Ist eine ID vorhanden?“, fragte Rick schnell.
„Ganz so einfach will er unser Täter es uns wohl nicht machen“, sagte Dev und schaute durch den Raum. „Denn die ID die sich um 16:31 Uhr in die Session loggte ist die von Frank Urban selbst.“

„Das ist unmöglich“, sagte Rick barsch. „Das Netz muss etwas falsch aufgezeichnet haben.“

„Das Netz macht keine Fehler“, gab Dev zurück.
„Besonders nicht in privaten Sessions mit so geringen Datenmengen.

„Das heißt …“

„Genau das Rick“, sagte Dev und stand auf. Er umkreiste den Tisch und beugte sich zu Rick herunter der noch immer auf seinem Stuhl saß. „Das Opfer war zweimal in der Session. Ob es ihnen gefällt oder nicht. Das Opfer muss gleichzeitig auch ihr Accessory Killer gewesen sein.“ Dev ging zur Tür der Bar.

Rick stand ebenfalls auf und drehte sich zu dem Informanten. „Das kann doch nicht alles sein Dev. Dafür werden sie nicht bezahlt. Nicht für Schauergeschichten.“

Dev trat einen Schritt von der Tür weg und schaute zu Rick herüber. „Ich habe keine Prosa vorgetragen. Ich habe Ihnen lediglich die Fakten vorgelesen. Es steht alles in den Aufzeichnungen. Ich muss zugeben dass ich ebenfalls etwas beunruhigt bin. Ich habe so etwas auch noch nie gesehen.“

„Sie sagen also dass Frank sich selbst umgebracht hat Dev. Zumindest in seiner Session ?“

„Ihn hat jemand umgebracht der seine ID hatte. Also quasi seine Digitale DNA. Laut den Daten die Dream Cell aufgezeichnet hat.“

„Sind diese IDs zu fälschen? Gibt es Informationen darüber?“, fragte Rick und trat an Dev heran.

„Es ist nicht unmöglich dass jemand anderer einen Account benutzt, auch wenn sie aufgrund des Datenstroms, mit dem User verknüpft zu sein scheinen. Aber das derselbe Logg koexistent in einer Session vorhanden ist, ist nicht möglich. Ich werde mich weiter umhören müssen. Ich nutze meine Kontakte zu den Dogs of War“, sagte Dev und wandte sich zum gehen.

„Sie wissen wie sie mich finden?“, fragte Rick. Aber
Dev war schon zur Tür heraus.

Und die Lichter verblassten um ihn herum. Die Welt verschmolz mit der nahenden Dunkelheit. Wirre Zeichen, Zahlenreihen in der Ferne. Ein blasser Strahl aus Sonnenlicht. Blitzendes Metall. Er erwachte, stand auf einem Hügel vor ihm der gleißende Sonnenschein. Weite Wiesen, grün zog sich durch die Ferne. Aufragende Felsen. Der blaue Himmel, weiß getränkt. Um ihn herum Stimmen. Wirres Geheule gellte aus der Ewigkeit. Das Licht wurde wärmer. Alles verschwamm. Er fühlte den Tod. Näher an seiner Seele. An seinen Gedanken, die starben. Ewige Leere, Unendlichkeit aus Licht, ohne Schatten.

Ein Techniker schaute zu ihm herunter.

„Alles klar Detective Waters ? Wir haben sie direkt nach dem Logg von den Schirmen verloren.“

„Wo war ich?“, fragte Rick und hob den Kopf von dem metallenen Tisch. Er hatte starke Kopfschmerzen.

Er fühlte sich leer. Er hasste diese andere Welt, die zu seinem Zuhause geworden war. Er hasste diesen Ort, dem er sich nicht verbunden fühlen konnte. Er wollte den Schmerz nie mehr spüren, den er empfand wenn er an seine Heimat dachte.

Er hatte es sich anders vorgestellt.

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Tag der Veröffentlichung: 20.11.2010

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