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Es war Nacht. Die Umgebungsstraße lag leer da, von schwachem Laternenlicht beleuchtet. Mitten auf der Straße lief ein Mädchen ander Seite eines hochgewachsenen Jungens. Sie taumelte betrunken, doch fand sie Halt an einem Arm des Jungen, der ihn lachend um ihre Schulter legte. Ihr Fußgelenk umspielte ein Band an dem Glöckchen befestigt waren. Die Nacht war still, man hörte nur dasPatschen ihrer nackten Füße auf dem warmen Asphalt begleitet von dem Klimpern der Glöckchen.
Es war Sommer, eine klare Sommernacht. Scheinwerfer tauchte auf und die beiden eilten zum Bordstein und setzten sich auf die Kante. Die Straße lag nahe an einer Siedlung, die mit ein paar vereinzelten Bauernhäusern ein Dorf ergab.
"Hast du gesehen, wie das Kleid dieser Rorhaarigen verrutscht ist?" fragte das Mädchen lachend.
"Ja, das war schwer zu übersehen." sagte er schmunzelnd.
Sie legte den Kopf an seine Schulter und blinzelte in den Nachthimmel, Er lächelte und wollte ihr über das Haar streichen, zog jedoch seine Hand zurück. In dem Ein-Familienhaus hinter ihnen, dass genauso aussah wie alle in der Siedling, ging ein schwaches Licht an und Musik ertönte. Das Mädchen hob den Kopf und schwenkte ihren Oberkörper zur sachten Musik. Langsam erhob sie sich, nahm die Hand des Jungen und zog leicht daran, als Zeichen, dass er aufstehen solle. Er stand auf und seine große Gestalt umschloss sie und wiegte sie im Takt. Er nahm ihre Hände und drehte sie gekonnt. Seine Hände sanken auf ihre Hüfte und sie schwang in Harmonie mit seiner. Barffuß tanzten sie sich über die Straße, die Musik nur noch in ihren Herzen, Sie ließ ihn los, etwas ausser Atem. Doch er tanzte weiter, ließ sich von der Musik seines Herzens und den Geräuschen der Nacht leiten. Graziös und elegant bewegte sich seine Gestalt mit unmenschlicher Leichtigkeit und voller Leidenschaft. Inzwischen waren sie wieder vor dem Haus angekommen, aus dem die Musik klang. Es war (?) von (?), was in ihre Ohren drang. Das Mädchen war ihm gefolgt, wie hypnotisiert. Die Musik verstummte, der Junge blieb stehen, etwas beschämt, doch lächelnd. Sie gingen schweigend nebeneinander her in die Siedlung.
Nach langer Stille sagte sie:
"Du tanzt wunderschön." Er blickte zu Boden. "Seid wann.." - "Es ist nicht nur ein Hobby für mich", er unterbrach sie sanft aber bestimmt.
"Es ist eine Lebensweise- meine Lebensweise. Ich und meine Famile ziehen viel umher, da muss man sich eine Methode überlegen, damit fertig zuwerden." - " Aber ihr seid doch schon recht lange hier", sie blickte ihn an.
" Morgen ein Jahr", erwiderte er.
"Natürlich kann man in einem Jahr Freundschaften schließen, aber wenn du weißt, dass sie nicht von Dauer sein wird, lässt du dich nur ungern darauf ein. Immer fremde Menschen um dich herum, das ist nicht unbedingt das Leben, welches man sich mit 16 wünscht. Meine große Schwester hat sich ab ihrem 14. vollkommen isoliert, mit 18 ist sie abgehauen und wollte ihren Traum Schauspielerei zu studieren durchsetzen. Ich hab schon lang nichts mehr von ihr gehört. Bei uns Zigeunern ist es so, dass man nicht mehr zur Familie gehört, wenn man sie verlässt und die Traditionen missachtet. Wir leben nicht mehr so abgeschotten wie unsere Vorfahren, doch immer noch glauben die Älteren unsere Gruppe daran, dass der Kontakt zur Außenwelt als "unrein" gilt." Bei diesen Worten verzogen sich seine Gesichtszüge zu einem sarkastischen Grinsen.
"Aber wir gehören jetzt keiner Sekte an oder so, wie es viele denken", bemerkte er mit einem Seitenblick auf das Mädchen.
"Wir passen uns dem Glauben des Landes an in dem wir uns niederlassen."

Sie schaute ihm entschuldigend in die Augen: " Tut mir leid für dich, dass mit deiner Schwester." Er lächelte.
" Das brauch es dir nicht. Selbstmitleid ist nicht so mein Ding. Ich habe gelernt damit klarzukommen. Ich schließe die Augen und tanze, manchmal nur in meiner Vorstellung, doch es hilft. Es erzeugt das Gefühl von Freiheit. Mein Leben ist wie eine Bühne auf der ich stehe mit großem Publikum. Ich tanze mie meinen Weg, habe zwar Augenkontakt mit einzelnen Leuten, wechsele aber kein Wort. Bekomme Dinge von dem Publikum zugeworfen, doch nur wenige behalte ich, die meisten geraten in Vergessenheit. Am nächsten Abend sind es wieder fremde Menschen und die Show beginnt von vorne."
Seine dunklen Augen blickten das Mädchen an. Sie lächelte in sich hinein.
"War das jetzt sehr absurd?", fragt er lachend.
"Achwas, nein, ich kenne nur niemanden, der so spricht wie du," sagte sie," ich frag mich, was passiert, wenn man hinter die Kulissen guckt."
Er sagte grinsend:" Hat noch niemand probiert, das wagst du dich nicht."
Er packte lachend das immer noch beschwipste Mädchen an den Beinen, hob sie hoch und warf sie sich regelrecht über die Schulter und sprang über eine der, wie mit dem Zentimetermaß geschnittene Hecke eines Vorgartens.Im Vorgarten hatte er, durch die Dunkelheit, ein großes Trampolin entdeckt, auf das er sie nun behutsam warf. Sie sprangen zusammen, von einem leichten Adrenalin-Kick gekitzelt, bis plötzlich ein Licht im Haus anging. Sie warfen sich auf den Rücken. "Psst!", machte der Junge und legte dem Mädchen eine Hand auf den Mund. Sie kicherte leise vor sich hin und verstummte schließlich. Man sah einen Schatten durch das Fenster, der eine Treppe hinunter huschte, inne hielt, sich aufmerksam umschaute und wieder nach oben schlich. Das Licht erlosch. Die beiden prusteten hinter hervorgehaltener Hand los.
" War der nackt?", fragte das Mädchen lachend. Die Junge nickte nur und versuchte angestrengt nicht laut los zu lachen. Sie kicherten noch ein wenig, bis sie, mit der Zeit, mit den Augen in den Sternen hängen blieben und zur Ruhe kamen.
Wolken waren aufgezogen, die Nacht verdunkelte sich und es sah nach Regen aus.
Das Mädchen zog einen Joint aus ihrer Tasche, steckte ihn in de Mund und der Junge zündete ihn mit einem Zippo an. Rauch stieg in den Nachthimmel und bildete abstrakte Figuren. Das Mädchen hielt dem Jungen den Joint vor die Nase, dieser zog einmal und gab ihn ihr zurück. Langsam blies er den Rauch in die Luft und er schloss die Augen. Die Zeit rann stumm vor sich hin.
"In einer Pirouette springst du über Probleme, an denen andere verzweifeln. Tänzelst zwischen Scherben her, an denen fremdes Blut klebt. Verstummt die Musik, gehst du in Ehre.", hauchte er.
"Spinner!", gab sie grinsend zrück.
"Na komm", sagte er udn stand auf, sprang vom Trampolin und hielt ihr das fremde Gartentor auf. Mit einem Knicks ging sie hinaus und er folgte ihr. Sie hörten es hinter sich zufallen.
Heimlich fielen die ersten Tropen auf ihre Haut. In einem immer schneller werdenden Rythmus prasselten sie nun auf den warmen Asphalt und jeder eizelne hinterließ eine dunkle Spur, die mit der Zeit in einander übergingen. Das Mädchen drehte sich ausgelassen im Regen und hielt ihr Gesicht gen Himmel. Der Junge blieb stehen und sog den Geruch in sich ein, das Mädchen tat es ihm gleich.
"Es riecht nach Leben, findest du nicht?", sagte er. Sie nickte.
"Trotz ihrer dunklen Farbe steckt so viel Leben in ihr. Die Dunkelheit trägt ein angenehmes Kitzeln des Risikos mit sich, die kühle Briese einen Hauch von Gefahr." - " Du bist schon seltsam. Es sollte eindeutig mehr von deiner Sorte geben. Du faszinierst mich.", gab sie zu.
Mittlerweile waren beide komplett durchweicht, doch die Wolken entluden sich weiter über ihnen, als hätten sie etwas nachzuholen.
" Du solltest nach Hause gehen, irgendwie hast du ein paar Tropfen abbekommen." , sagte er und begutachtete sie belustigt.
"Ja, das stimmt wohl. Wie kommt das bloß?", sie grinsten. Es war eine unangenehme Situation, in der niemand wirklick wusste was er machen sollte.
"Ok", sagte sie langgezogen, "Ich werde dann mal gehen..." Sie wandte sich um.
" Mach´s gut, mein Mädchen." , sagte er, nahm ihre Hand und küsste sie mit einer Verbeugung. " Mach´s besser", erwiderte sie lächelnd. Im Weggehen zog er sich seine nasse Kapuze über.
Sie rief ihm hinterher:
" Pass gut auf deine Füße auf, ohne sie wirst du den Kopf verlieren." Das Mädchen drehte sich um und flüsterte :" Mein kleiner Tänzer".

Es ist Nacht, eine warme Sommernacht. Konturen zeichnen sich Stück für Stück aus der Dunkelheit ab. Eine Frau. Sie schlendert zur Umgebungsstraße, verlangsamt ihr Tempo und setzt sich schließlich auf die Bordsteinkante.
Nicht nur im Winter ist die Straße grau.
Auch in Sommernächten liegt sie so hoffnungslos da.
Erst der Geruch von Sommerregen auf ihrem warmen Asphalt macht es mir sympathisch, dieses trostlose grau.
Es ist nicht der Regen vor meinem Gesicht, der mir die Sicht verschwimmen lässt. Es ist die Flut an Erinnerungen, die die Realität so unwirklich scheinen lässt.

Eine Träne tropft auf den warmen Asphalt, hinterlässt eine dunkle Spur und verschwindet.
Ach, wie vergänglich.




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Tag der Veröffentlichung: 19.06.2010

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