Das Licht viel auf einen mit smaragdenen Steinen besetzten Silberkelch, den der König in der Hand hielt. Tausende grüne Lichtpunkte tanzten über die Wände, den Tisch und die versammelten Menschen, die starr dasaßen wie Statuen in einer untergehenden Sonne. Jeder Blick ruhte auf dem Falten durchzogenen Gesicht des Hochkönigs, und alle warteten, dass etwas passierte. Das er irgendetwas sagte.
Als der König seine Stimme erhob klang es wie Donner und die Steinwände gaben es verstärkt wieder. "Dies, werte Könige der vereinten Lande, ist das vermutlich letzte vollzählige Zusammentreffen, das hier in den Hallen von Feuerstadt stattfinden wird. Im Angesicht der drohenden Katastrophe müssen rasche Entschlüsse getroffen werden. Die Zeit ist nun gekommen, an dem die Götter entscheiden, ob das Böse Oberhand gewinnt, oder ob die Könige und Hochkönige weiter regieren. Die Zeiten sind schwer, besonders für die Müller, Schmiede und Bauern, doch auch die Schneider, Maler und Zauberkundigen stehen am Rande ihrer Existenz. Der Rat hat sich zusammengefunden, um über mögliche Vorgehensweisen zu entscheiden und zu diskutieren. Den Krisenstab leiten Ser Thollanar und Ser Gra'ham." Damit ließ er den Kelch sinken und die Diskussion nahm ihren Anfang. Nun begann ein wirres durcheinander auf Rufen, Bitten und Fragen. Es wurde so stark von den Wänden reflektiert, das ein undefinierbares Brummen entstand, welches das Verstehen seines Nachbarn unmöglich machte. "RUHE!" Ein Mann, der in einem schwarzen Umhang mit üppigen goldenen und roten Stickereien gekleidet war, brüllte mit kraftvoller und stolzer Stimme, sodass alle durcheinander quasselnden Stimmen erstarben und alle Blicke auf ihm ruhten. "Lasst uns nicht über das Befinden und den Krisenstand des einzelnen streiten wir müssen einen konstruktiven Entschluss treffen, der unser Land rettet. Das Böse gewinnt immer mehr Macht und am letzten des Winters wird es zuschlagen, das sind noch genau einhundertsieben Sonnenuntergänge. Wir haben keine Zeit mehr." Ein untersetzter Mann mit schlohweißen schulterlangen Haaren sah ihn finster an. "Und was soll ich denn meinem Volk erzählen? Das Volk erwartet von einem Vorbild wie mir, dass alles geregelt wird und sie ohne Angst und Kriminalität leben können. Was soll ich denen denn erzählen, die ihr Tagewerk durch harte Arbeit verrichten um ihr Brot zu verdienen damit sie ihre Familien ernähren können?" Der Mann in dem schwarzen Gewand funkelte mit den Augen. "Das ist Sache des Königs. Wenn du damit nicht zurechtkommst, dann werden wir jemanden für diese Aufgabe finden." Der Untersetzte war nicht minder wütend und sah seinem Gegenüber direkt in die Augen. "Du hast nicht das Recht so mit mir zu reden, Bruder! Ich verstehe es ein Land zu führen, jedoch scheint das bei dir nicht der Fall zu sein." Der Hochkönig räusperte sich laut, als beide in ein hitziges Gefecht auszuufern drohten. Der Wortschwall verebbte und Stille kehrte ein. Der Mann der direkt rechts vom Hochkönig saß blickte angespannt in die Runde. "Berichte von meinen Spionen erzählten etwas von einer fernen Insel in dem nördlichen Eismeer, wo sich unser Feind verstecken soll. Es wurde zahlreich bestätigt, denn auf der Insel wurde Kriegsmaschinerie und Proviant für eine Armee unbeschreiblichen Maßes beobachtet." Ein dunkelhäutiger Mann lachte laut auf. "Dann greifen wir mit der gesamten Streitmacht der Königreiche an um der Gefahr ein Ende zu bereiten!“. „Sei kein Narr!“ meldete sich ein anderer zu Wort. „Sie würden uns zerquetschen wie einen Käfer, bevor wir überhaupt in die Nähe der Insel kommen.“ Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Raum. „Das stimmt!“. „Sie sind einfach zu stark!“. „Finsternis ist ihre Ressource, und davon gibt es da genug!“. Abermals musste jemand das Stimmengewirr unterbrechen. „RUHE!“. Diesmal sprach der Untersetzte. „Der Informant sprach von einem Schrein, mit dem die Kreaturen der Unterwelt am Leben gehalten werden.“, sagte er und vollführte eine undeutliche Handbewegung in Richtung der Eingangstür, in der die Sitzung tagte. „Schaffen wir es ihn zu zerstören wird die Armee nur halb so stark sein, und wir werden siegen!" der Hochkönig beugte sich vor. "Und wie sollen wir auf den Schrein zugreifen, wenn direkt davor die millionenstarke Armee aus Untoten und anderen Finsterlingen darauf wartet das gesamte Königreich zu überfallen und auszulöschen?" Der Untersetzte lächelte etwas. "Mit einem Mann der Tarnung, ein Meister des Schwertes, ein verdeckter Operator und ein hervorragender Gauner." Der Mann in dem schwarzen Umhang sah ihn skeptisch an. "Wer soll die Fähigkeiten haben sich in einem Territorium zu bewegen, in dem er nicht bemerkt werden darf und zusätzlich noch ein Artefakt zerstören soll, das so viel dunkle Macht verkörpert?". Der Untersetzte konnte einen Anflug von Häme nicht unterdrücken. "Ich spreche von Thu'viel, deinem Sohn!"
Winter, Thornfold.
Thu'viel war überrascht, dass er in einem Ritt an nur drei Tagen von der Wüstenstadt Nargoth bis in die kalten Regionen von Thornfold gekommen war, und der Kälteumschwung trug nicht unbedingt mild zu seiner schon schlechten Laune bei. Er lenkte sein Pferd zu einem Stall und bezahlte einen Pferdeknecht mit einer Silbermünze, damit er es in einen Stall stellte und es mit Hafer und Wasser fütterte. Thornfold sah aus wie aus dem Nichts entstanden. Die Häuser standen kreuz und quer durcheinander und verwinkelte Straßen und undurchsichtige Gassen ließen keinen Einblick zu. Im Zentrum stand die Festung, deren Burgzinnen verbittert auf die vorbeiziehenden Leute starrten. Ganz im Norden befand sich der Elfengarten, ein prächtiges monumentales Gebilde, in dessen Türmen, die meilenweit über dem Erdboden hingen, Ruhe und Entspannung gefunden werden konnte. Eine riesige Mauer umschloss das weitläufige Gelände. Meterhohe Obelisken, Rundbögen und Gärten bildeten eine angenehme und ruhige Atmosphäre, fernab von dem alltäglichen Lärm und Pferdegeruch. Direkt dahinter lag die Residenz des Hochkönigs Arkanor, dessen Schloss Rabenfeste allein so groß war wie halb Thornfold. Das war auch das Ziel Thu'viels. Doch vorher wollte er zur Festung, um seinen Auftrag fertigzustellen, den er von seinem alten Schwertmeister erhalten hatte. Er überquerte die steinerne Brücke die über einen vereisten See führte, sodass man direkt zum Burgtor gelangte. Auf der anderen Seite, im Burginnenhof, herrschte geschäftiges Treiben. Ein Zauberkundiger rief hinter seinem Stand der Menge zu und versuchte sie dem Schmied zu entlocken, dessen Stand direkt neben ihm mit Schwertern und Rüstungsteilen beluden war. „Nur bei Fargh finden Sie die besten verzauberten Gegenstände zu einem unverschämt guten Preis! Beutel, deren Innenleben größer ist, als es von außen aussieht, Wanderstäbe, deren Ende niemals abnutzen wird und Amulette gegen die finstersten Dämonen und Flüche! Nur solange der Vorrat reicht, also schlagen Sie zu!“. Die Diskussion wurde vom Schmied fortgesetzt, der nun seinerseits mit schallender Stimme seine Waren pries. Gegenüber von den Ständen stand ein breites einstöckiges Haus, welches den Eingang zu den unterirdischen Minen verkörperte, in denen Edelsteine aller Art gesucht wurden. Direkt davor stand ein Blumenbeet, in welchem die für diese Gegend bekannten kristallblauen Eisrosen prächtig gediehen und ein süßliches Aroma über die kalte Luft der Stadt legten. Am Ende der Straße stand ein breiter Bau, in dem sich die örtliche Kaserne, das Lazarett, der Waffenmeister, Kampf- und Übungsräume und ein Zugang zur Burgmauer befanden. Das Gebäude war sehr prunkvoll in seiner Einrichtung. Ein hellblauer Teppich mit schwarzem Rand und dem Wappen des ältesten Hauses aus der Stadt, der Familie Thora'orka, deren Oberhaupt der Waffenmeister Skortag war, schmückte den aus hellen Dielen gezimmerten Boden. Jedmöglicher Ort war mit Bücherregalen vollgestellt, sodass der Eindruck vermittelt wurde in einer riesigen Bibliothek zu sein. Zwei Treppen, eine links und eine rechts vom Eingang, führten in die höher gelegenen Etagen, in denen sich die Büros, die Schlafgemächer und das Lesezimmer befanden. Im Erdgeschoss dominierte in seiner Größe das Lazarett, welches hunderte kranke und verletzte Bewohner Thornfolds beherbergte. Der Keller war der Ort, wo er sich mit Skortag treffen wollte. Der Keller bestand aus einem langen Flur, an dessen Ende ein riesiger gemauerter Raum mit allerlei Puppen, Schwertern, Lanzen und Proviant im Falle einer Belagerung war. Rechts und links des Flures führten Türen zur Waffenkammer, die nur im Notfall aufgeschlossen war, zu den Übungsräumen und dem Büro des Schwertmeisters. Letzteres war die erste Tür, die sich auf der rechten Seite befand. Er klopfte dreimal, dann wurde ihm geöffnet. In der Tür stand ein kleiner, zur Glatze neigender, dickbäuchiger Mann in einer ledernen Weste, der aus seinen kleinen Augen zu ihm hoch sah und dessen purpurrotes Gesicht pure Freude ausstrahlte. "Thu'viel, mein Junge! Endlich bist du wieder da!" Er drückte ihn an sich, ließ ihn jedoch gleich wieder los. "Du wirst es nicht glauben, aber kein geringerer als der Hochkönig selbst war hier und wollte dich sprechen. Der Hochkönig Hochselbst! Er ist ja so ein stolzer und erhabener Mann. Ich hatte grade Unterricht mit einigen meiner Lehrlinge, da kam er hinein und du glaubst nicht wie die Schüler gestarrt haben, es war schon fast ein wenig peinlich." Thu'viel lächelte in sich hinein. Den Hochkönig zu treffen war für einen normalen Bürger so gut wie unmöglich. Thu'viel war Gra'hams Sohn und somit ein Königskind. Sein Draht zu seinem Vater war jedoch nicht sonderlich gut und noch schlimmer zu seinem Onkel. Die Brüder teilten sich zudem zwei Königreiche, deren Grenzen dauerhaft durch blutige Grenzkriege belastet wurden. Die dreizehn Königreiche waren ihm nur durch die Könige bekannt, die bei mancher Sitzung des Hochkönigs vertreten waren. Er selbst hatte bisher nur drei dieser verschiedenen Länder gesehen, Störmtal, die Nargothwüste und die nordwestliche Steppe Manravias. Und alleine das war schon mehr, als der durchschnittliche Bürger jemals zu Gesicht bekam. Thu'viel verstand die Leute. Das Unbekannte zu finden fürchteten sie weit mehr als von dem Unbekannten gefunden zu werden. Er verspürte nicht den Drang nach Abenteuern wie die Reisenden, die er ab und an in den Städten und Dörfern sah, aber er spürte ihren Eifer, ihre Unbeirrtheit, ihre Lust nach der Ferne, zu riesigen Wasserfällen aus purem Gold, zu Schätzen, die aus nichts als Edelsteinen bestanden und nach fremden Städten und Ländern. Für Thu'viel war es unverständlich das eigene Leben derart auf das Spiel zu setzten. Niemals würde er seine Heimat verlassen, um dauerhaft unterwegs zu sein, im Heu oder in Höhlen nächtigend, nur ernährt von Früchten und Käfern und besessen von dem Drang nach noch mehr Freiheit und noch mehr Natur. Es schüttelte ihn, dass es dreizehn Königreiche gab, von denen er nicht wusste wo sie waren, wie sie hießen und wie weit sie weg waren. Selbst der Ritt in die nächsten großen Städte, Nargoth in der Westwüste und Weltende im hohen Norden direkt am Meer hinter den Sturmgipfeln, erschien ihn wie eine endlose Reise. 'Der Mensch hört erst dann auf zu rasten, bis er im geheiligten Land wiedergeboren wird.' dachte er bei sich, während Skortag sich schwerfällig in einen großen Sessel fallen ließ, und auf einen anderen direkt vor ihm deutete. Thu'viel achtete gar nicht auf ihn, denn sein Blick schweifte über die verstaubten Regale und das seiner Ansicht nach sehr charmant eingerichtete Büro, welches eher als Wohnzimmerbibliothek bezeichnet werden könnte. Doch aus irgendeinem Grund fiel ihm gerade jetzt auf, dass kein einziger Gegenstand in den letzten Jahren seine Position geändert hatte. 'Die Zeit vergeht und all das, was war, wird mitgenommen, so ist das Leben den älteren Bevölkerung.' dachte er, während er sich die Unmengen an Büchern besah, die in den hohen Eichenregalen standen. Widerwillig wandte er den Blick ab und ließ sich in den Sessel fallen. "Dein Blick spricht Bände", sagte Thu'viel amüsiert. "Also erzähl, was du mir die ganze Zeit schon erzählen möchtest." Ein unangenehmer Ausdruck legte sich auf Skortags Gesicht. "Der Hochkönig, möge er ewig leben, kam und wollte dich treffen, weil er einen Auftrag für dich hat, der entscheidend für das Königreich ist und über das Überleben aller Kreaturen dieser Welt entscheidet." Thu'viel hatte mit Allem gerechnet, außer mit dem. "Nein! Ich werde mich dem Königshaus nicht beugen! Es ist doch nur ein Vorwand um mich aus der Reserve zu locken, und bestimmt ist mein Vater dafür verantwortlich. Das sieht ihm ähnlich, mich versuchen einzuspannen und mich zu isolieren. Ich lebe jetzt seit fünf Jahren im Bürgerviertel und bisher hat er nicht versucht mich zu kontaktieren, und es ist mir auch Recht so!" Zornig wollte er aufstehen und gehen, doch Skortag hielt ihn zurück. "Dein Vater tat dies nur um dich zu beschützen. Ich weiß du verstehst diese Handlung im Moment noch nicht, doch der Tag wird kommen, an dem du es erfährst, doch weder heute, noch morgen ist dieser Tag.“ Thu’viel wollte gerade etwas erwidern, doch Skortag schüttelte den Kopf. „Nein, Thu’viel!“. Skortag erhob sich und ging zu seinem Schreibtisch und öffnete eine Schublade. Dann warf er Thu'viel ein Beutel zu, der nach dem Gewicht zu urteilen prall gefüllt war mit Silbermünzen. „Das ist für dich. Ich habe es für dich angelegt für den Fall, dass du es eines Tages gebrauchen kannst. Dieser Tag ist nun gekommen. Sieh es als Bezahlung für deinen erledigten Auftrag.“ Thu'viel schüttelte den Kopf ob der Großzügigkeit. „Der Auftrag, das Oberhaupt der Fraktion Ost zu beschatten, ist in keinster Weise mit diesem Vermögen zu entgelten!“, sagte Thu’viel und fuchtelte mit dem Beutel vor Skortags Nase herum. „Du wirst es brauchen.“, erwiderte dieser. „Es werden in Bälde Zeiten anbrechen, in denen du darauf zurückgreifen musst.“ Thu‘viel verdrehte die Augen, doch Skortag kam ihm abermals zuvor. „Der Hochkönig wird dir alles erklären. Und nun solltest du gehen, meine Schüler warten. Thu‘viel verstaute missmutig den Beutel in seiner Tasche. Dann lächelte er Skortag noch ein letztes Mal zu und verließ dann das Zimmer.
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In der nördlichen Promenade, direkt vor dem Elfengarten, standen dutzende Stände mit Waren aller Kategorien. Da gab es Fleisch, Obst, Gemüse, Fisch, Gewürze, Kleidung, Waffen, Rüstungsteile, Allzweckware und viele andere Gegenstände. Marktschreier standen an jeder Ecke und verursachten ein ohrenbetäubendes Gebrüll in dem das Hufgetrappel der Pferde der patrouillierenden Soldaten unterging. Auf westlicher Seite der Promenade sah er einige Kontrahenten der Fraktion, der er angehörte. Vier vorherrschende Fraktionen bildeten einige hundert Mann starke Gruppen, die die Stadt in vier Areale einteilte. Die Fraktionen West, Ost, Nord, und Süd agierten im Untergrund bildeten ein Machtgefüge, in dem viele Bürger des jeweiligen Gebiets involviert waren. Während zwischen Fraktion West, Süd und Nord eine Art Waffenstillstand herrschte, war Fraktion Ost allen anderen feindlich gesonnen. Thu'viel selbst war die rechte Hand des Vorstands der Fraktion Ost, welcher sich aus dem Waffenmeister Skortag, Thang'roar, einem Schmied aus dem Zentrum, und dem Zauberkundigen Forth' Dahol zusammensetzte. Die Gebietsstreitereien wurden oft durch Kämpfe ausgetragen, die sich auf versteckten Plätzen abspielten. Der Verlierer wurde dann vom eigenen Vorstand degradiert und die Gewinnerpartei konnte ihren Einflussbereich noch ein wenig weiter vergrößern. Da nur mit dem Körper gekämpft wurde und nicht mit Stahl, waren die weniger Starken auf Begleitschutz angewiesen, besonders in den Grenzgebieten. Thu'viel selbst hatte mehr als das doppelte des jetzigen Gebietes erobert, was ihm auch zur Position des Vorstandsstellvertreters verholfen hatte. Das machte ihm natürlich etliche Feinde, was ihn schon häufig in missliche Lagen gebracht hatte. Gerade wollte er in eine Seitenstraße abbiegen, als er von etwas kleinem Hartem am Kopf getroffen wurde. Blitze und Sterne tauchten in seinem Kopf auf und er viel wie ein Sandsack in sich zusammen. Es dauerte nur einige Sekunden, dann war er wieder bei Besinnung und rappelte sich auf. Ein pochender Schmerz an seinem Hinterkopf veranlasste ihn die Zähne zusammenzubeißen. Er drehte sich um und sah drei Männer mit schelmischen Gesichtern auf ihn zukommen, die Fäuste drohend erhoben. "Ah, die wohlgesonnen Untertanen des West-Imperiums! Was kann ich denn für euch tun? Verärgert, weil ich euren Feldherrn Hrorzar besiegt und sein Gebiet übernommen habe?" Thu'viel lachte herzhaft auf, doch die bulligen Kontrahenten knirschten wütend mit den Zähnen. Der größte lachte spöttisch auf. "Wir sind nicht wegen Beleidigungen hier sondern wegen der Ehre, der Macht und unserem Hass." Damit hob er die Hände und rief laut aus. Die Menge um ihn herum blieb stehen um ihm zuzuhören. "Ich, Tarfolk, Vorsitzender des Westareals fordere Thu'viel, dem Hurensohn, der meinen treuesten Kämpfer umgebracht hat zum Gebietskampf heraus." Thu'viel war froh, dass dieses Königreich nicht seinem Vater gehörte, hier wusste niemand wer er wirklich war, und das war auch besser so. Ihm machte etwas ganz anderes Sorgen. Der Kodex eines jeden gehobenen Mitglieds einer Fraktion schrieb im Falle einer Herausforderung, bei der es um die gesamte Existenz des Sektors ging, vor, dass man sie auf der Stelle annehmen musste. Aber wenn er das tat, gefährdete er nicht nur sein Rang, sondern auch aller, die dem Fraktion Ost angehörten. Aber er hatte keine Wahl. Er zog seinen Mantel aus und stellte sich Tarfolk entgegen. Beide hoben die Fäuste und sahen sich in die Augen, es ging um ihr Leben.
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Faustschlag um Faustschlag wurde es für die Kämpfenden immer schwerer, ihre eigenen Verteidigungen aufrecht zu erhalten, die Schläge des Gegenübers zu parieren und auszuweichen. Während Thu'viel versuchte die Verteidigung mit Flankenhieben zu umgehen, griff Tarfolk immer frontal an. Sie schnauften wie erschöpfte Pferde und keiner gewann die Oberhand. Als Thu'viel die Arme Tarfolks zur Seite bog und ihm die Nase brach, stolperte dieser nach hinten und rief seiner Leibgarde etwas zu. Der bullige muskelbepackte Mann zückte ein Schwert und ging nun ebenfalls auf Thu'viel los. Seine grimmigen Augen fixierten dabei Thu'viels Kopf. Der wich weit zurück, stolperte jedoch als die dritte Wache im ein Bein stellte. Er viel der Länge nach hin und ehe er aufspringen und ehe er überhaupt irgendetwas tun konnte, war die Wache schon über ihm und das Schwert blitzte gefährlich auf. Gerade als Thu'viel dachte, dass es nun aus war, spritzten rote Tropfen auf sein Gesicht und aus dem Brustkorb der Wache ragte ein Stück eines Schwertes heraus. Sie fiel um und hinter ihr erblickte er... "Trav'hel!" Der sagte kein Wort und drückte ihm ein Schwert in die Hand. "Kämpfe!" zischte er und warf sich auf die Wache, die soeben von links angeschlichen kam. Tarfolk kam auf ihn zu. Er war leicht angeschlagen. Mit einem Aufschrei ging er auf ihn los und die Schwerter blitzten funkensprühend auf. Im darauffolgenden Gefecht wurde Thu'viel klar, dass Tarfolk ihm niemals das Wasser reichen konnte. Nach einer Parade Thu'viels reagierte er zu spät und verlor die Kontrolle. Thu'viel schlug ihm das Schwert zur Seite und rammte ihm das freudige durstige Schwert in den Leib. Mit starrem Entsetzen im Gesicht viel Tarfolk nach hinten, genau in dem Moment, in dem Trav’hel die Wache niederstreckte, der Vorstand Thu'viels Fraktion um die Ecke geschlendert kam um der Hochkönig auf einem prächtigen von goldenem Zaumzeug bespanntem schneeweißem Schlachtross die Straße herab geritten kam. Thu'viel konnte nicht verhindern, dass alle das Spektakel sahen. Der Hochkönig selbst war ein bärtiger Mann mit grauen Haaren und einer Narbe, die quer über das ganze Gesicht verlief. Sein schlichter kastanienbrauner Mantel verlieh ihm etwas erhabenes, die hohe Krone vermittelte Macht und Autorität. Nun bildete sich eine Menschentraube um die drei Leichen, dem Vorstand des West-Fraktion, Thu'viel, Trav'hel und dem Hochkönig und seiner Leibgarde. Der Blick von Forth' Dahol wanderte über die Leichen, blieben kurz auf dem toten Körper Tarfolks hängen und ruhten dann auf Thu'viel. "Was ist hier geschehen?" Thu'viel beachtete ihn gar nicht und wandte sich stattdessen dem Höchkönig zu. "Erhabener Hochkönig. Majestät. Ich entschuldige mich für diesen unschönen Anblick, den euer stets wachsames Adlerauge erblicken muss." Er verneigte sich tief und sprach dann zum Boden weiter. "Ich musste ihn töten, denn er hat es gewagt im Laufe einer Sonnenwanderung mehrfach den Kodex zu brechen. Er ist mit Bewaffnung in einen Kampf getreten, hat einen nicht dem Vorstand angehörendem Mitglied eines Sektors zum Gebietskampf herausgefordert und die Richtlinien des Einzelkampfes missachtet. Sein Gebiet wird von der Ost-Fraktion übernommen und die Fraktion West existiert nicht mehr.“ Der Hochkönig stieg von seinem Schlachtross und trat vor Thu’viel. Seine Macht war so gewaltig, dass den umher stehenden Passanten die Nackenhaare zu Berge standen. Thu’viel blickte nach unten, denn er hätte es nicht gewagt, Arkanor persönlich in die Augen zu sehen. „Du hast weise gehandelt, das steht außer Frage. Einen ehrenhafteren Sieg hättest du wohl kaum erringen können.“ Thu’viel sah zu Trav’hel hinüber. „Doch das hätte ich, denn wäre mein treuester Freund nicht an meiner Seite gewesen, dann stünde ich jetzt nicht hier und könnte über belanglose Nichtigkeiten sprechen, während der Herr aller Königreiche mich um eine Audienz ersucht hat.“ Arkanor lachte lauthals. „Mein Junge, auch noch wortgewandt wie ich sehe. Du scheinst besser geeignet für die Aufgabe, als manch einer vermuten würde. Nun gut“, sagte er und stieg wieder in das Pferd. Er winkte ihn zu sich heran. Dann flüsterte er, sodass nur Thu’viel es hören konnte. „Ich erwarte dich bei Sonnenuntergang in Rabenfeste. Dann sprechen wir von einem Auftrag für dich, der dich zum mächtigsten Mann aller Königreiche machen könnte. Heja!“ Und im Galopp ritt der König der Festung entgegen, und war schon bald um die Ecke verschwunden. „Was hat das alles zu bedeuten?“ fragte Thang’roar in die Runde. Wütend schaute Forth‘ Dahol von Thu’viel zu Trav’hel. „Das würde uns alle interessieren. Wie kommt ihr dazu so feige und töricht zu sein den Kodex zu brechen, unser Imperium auf das Spiel zu setzen, ein öffentliches Gemetzel anzuzetteln und obendrein, und das geht besonders an dich, Thu’viel, den Hochkönig in Frage zu stellen und ihm frech wie ein Lausbube zu antworten?“ Thu’viel wollte sich abwenden, doch der Magier hielt ihn fest. Thu’viel riss sich los. „Lass mich los. Der Hochkönig hat bei mir selbst um eine Audienz erbeten. Der Kodex wurde nicht von uns gebrochen, sondern von denen.“ Er wies auf die Leiche Tarfolks. „Das Imperium habe ich aufs Spiel gesetzt, weil ich laut Kodex nicht anders konnte als das Gebiet zu verteidigen, denn Kodexnummer 18 Abschnitt D lautet: Wenn ein gehobenes Mitglied die Vernichtung seines Reiches in Erwägung zieht und dafür stichhaltige Beweise vorbringen kann, dann kann er ein anderes gehobenes Mitglied zum Kampf herausfordern, wobei der Verlierer stirbt und sein Reich an den Gewinner abtritt. Desweiteren hat er mich heraus gefordert und attackiert, an einen versteckten Platz zu flüchten wäre nicht mehr möglich gewesen. Und falls du es noch immer nicht bemerkt hast: Ich habe unseren größten Kontrahenten eliminiert, sein Reich unterworfen und unserer Fraktion Ruhm gebracht!“ Und mit diesen Worten winkte er Trav’hel zu, ging die Straße entlang und wartete auf den Sonnenuntergang.
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Trav’hel mochte ein guter Kämpfer und ein noch besserer Freund sein, jedoch nach Rabenfeste konnte und wollte er ihn nicht mitnehmen, sein Egoismus hinderte ihn daran. Schließlich hatte der Hochkönig ihn auserwählt und nicht Trav’hel. Gespannt wie eine Bogensehne wartete er an dem vereisten See, der von den Ansässigen als der Frostweiher bekannt war und das ganze Jahr kein einziges Loch besaß, sondern bis tief auf den Grund zugefroren war. Die aus Thristylerz gewonnenen Leuchttropfen, die die unterste Steinreihe bedeckte und sie so zum Leuchten brachte, warf ihr gespenstisches blaues Licht auf die Umgebung und ließ alles auf eine Art und Weise unwirklich aussehen. Niemand kam sonst hierher, denn den meisten Leuten bekam die Kälte nicht, für Thu’viel war es eine willkommene Abwechslung. Da der See durch breite Kiefern verdeckt wurde, sahen ihn Reisende fast nie. Er fand das schade, denn der See hatte etwas Mystisches an sich. Der Ort, an dem sich Thu’viel befand, es war ein kleiner Erdhügel, der eine kleine Versenkung hatte, erspähte er hier und da zwischen den Bäumen einzelne Farbflecken, die von einem Wanderhut, einer Stoffhose oder einer Rüstung herrührten. Ansonsten war die Ruhe hier perfekt, wenn man mal davon absah, dass Bären brummten, Vögel zwitscherten und die gedämpften Rufe der breiten Marktstraße zu ihm herüber wehten. Nur hier fand er Ruhe und als Resultat auch seine Eindrücke und besonders sich selbst. Das war eine Prozedur, die er jeden Abend vollführte, ihm jedoch hämische Bemerkungen einbrachte, weil sie nicht verstanden. Thu’viel sah nun etwas genauer hin. Er sah eine verirrte Maus, die ihre Umgebung nach essbarer Nahrung durchstöberte, einen nicht mehr ganz gesund aussehenden Fuchs, der auf dem rechten Vorderbein hinkte und elend aussah mit seinem dreckigen verfilztem Haar, weiter oben in den Bäumen etliche Vögel, beim Singen, beim Werben und beim Krakeelen. Ein leises Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Schritte näherten sich, doch es war kein Mensch. Es ging auf vier Füßen und war groß. Ehe er begriff was los war wurde er zur Seite gerissen und kugelte den kleinen Abhang hinunter, bis er auf dem See lag und eine zottige Gestalt über ihm sein Gesicht ableckte. „Vurnivor, was machst du denn hier?“ Es handelte sich um einen Silberwolf, welcher vereinzelt im tiefsten Süden vorkam, sein Vater hatte ihm den Wolf mitgebracht, aus einer Eiswüste namens Dorrovan, die in der Nähe der Festung Silberstadt lag. Auf einer Insel soll der Wolf geboren worden sein, genannt Eisfeste, doch er konnte sich nicht im Entferntesten ausmalen wo sie sich befand. Die Schultern des Wolfes reichten Thu’viel bis zur Brust, das hieß dass sein Kopf in der Höhe Thu’viels Hals war. Er liebte diesen Wolf, er war der einzige der immer für ihn da war, egal wie schlecht die Zeiten standen, und auch wenn er kein Wort verstand, so tröstete es Thu’viel doch ungemein, dass der Wolf da war und ihm seine Wärme spendete. Vurnivor kugelte sich ein und legte sich hin, die Schnauze auf die Pfoten gelegt und die wissenden braunen Augen in die Ferne gerichtet. Das silbergraue Fell glitzerte in der Sonne und ließ den Wolf unwirklich erscheinen. Eine Weile saßen sie so da, nur begleitet von den Geräuschen der fernen Stadt und der von Hufgetrappel erfüllten Luft. Als es langsam Zeit war und die Sonne die obersten Baumspitzen berührte, machten sie sich auf den Weg in Richtung Zufahrtsstraße. Die hereinbrechende Dunkelheit zwang die Reisenden, die Händler und die Jäger mit vollgepackten Karren und Pferden in die Stadt. Thu'viel mischte sich mitunter sie und lauschte verschiedensten Gesprächsfetzen, die durch die verbrauchte Luft zu ihm ans Ohr drangen. Rabenfeste blickte mit bösen Zinnen auf ihn herab und die Türme, die das Tor flankierten griffen nach ihm. Die breite Steintreppe endete in einem kleinen Burghof, in dem einige Geschäfte gerade schlossen. Eine weitere Treppe hinab und er stand inmitten meterhoher Mauern, die einem kleinen Park umgrenzten, von dem aus man bequem zur Kapelle, den umliegenden Gemächern und dem Schlossgrund kam. Er wandte sich nach links und ging in einen langgezogenen Komplex, der das Foyer des Schlosses bildete. Vier Wachen bewachten eine mit Gold verzierte Eichentür, deren Intarsien aus seltsam deformiert aussehenden Dämonen bestanden. Die Wachen kreuzten die Schwerter vor der Tür und bedeuteten ihm das immer noch blutige Schwert abzugeben und durchsuchten ihn nach anderen Waffen. Als er für ungefährlich anerkannt wurde, stießen die Soldaten die Tür auf und Thu'viel durfte passieren. Vurnivor ließ er draußen warten und ließ ihn mit anklagendem Gesicht hinter sich zurück. Der Thronsaal bestand lediglich aus steinernen Wänden, mit Gravuren versehene in sich selbst gedrehte Steinsäulen und dem goldenen mit Samt bezogenen Thron, auf dem stolz der Hochkönig saß. Thu'viel kniete nieder und senkte das Haupt dann richtete er sich auf. Arkanor sah ihn aufmerksam an. "Ein Königskind verneigt sich nicht." sagte er mit seiner uralten Stimme, die mit entschiedener Endgültigkeit durch den Raum hallte. "Eben darum", gab Thu'viel zurück, "ist es besonders wichtig Treue und Loyalität zu bewahren und sich nicht hinzugeben wie ein überheblicher betrunkener Adelsmann." Der Hochkönig lehnte sich zurück und lächelte. "Wortgewandt, sehr wortgewandt. Da du eben von Loyalität und Treue gesprochen hast, wie ich gesehen habe hast du im Moment alle Hände voll zu tun. Du hast soeben dein Gebiet fast verdoppelt und bist die oberste Instanz nach den drei Gründungsmitgliedern. Ich habe trotzdem einen Auftrag für dich, dem du meiner Ansicht nach gewachsen bist." Thu'viel sah ihn ungläubig an. "Warum sucht ihr gerade mich aus? Es gibt genug andere, die besser sind als ich." Arkanor unterbrach ihn. "Es zählt kein können, es zählt Intelligenz, Durchhaltevermögen, Willen und Stärke, physisch und mental. Die Aufgabe ist wie ein Kiesweg. Nicht steil, aber sehr holprig." Er läutete eine Glocke zu seiner Rechten und einige Diener kamen herein. Sie brachten einen Tisch, auf dem eine ausgerollte Karte lag. Arkanor deutete feierlich darauf. "Das ist die Welt, wie du sie kennst und wie sie mit viel Pech bald nicht mehr aussehen wird. Thu’viel blickte auf die Karte. Er sah die Welt, so wie er sie kannte, zum ersten Mal und er war überwältigt von ihrer schieren Größe. Sie hieß Arvaniel und bestand aus zwei Kontinenten und mehreren riesigen Inseln, vielerlei kleinerer Art. Im Westen lag der Kontinent Mogroth mit seinen Königreichen, zu denen auch Störmtal gehörte, dessen Hauptstadt Thornfold war. Alerien, der Ostkontinent, lag auf der anderen Seite der Welt. Beide Kontinente hatten im Süden eine Landzunge, die in die Mitte zeigte und wo sich beide trafen, dort war Bruchland, abertausende Inseln wie abgehackte Stücke des Festlandes und eine Hauptinsel. Südlich von Mogroth befand sich die Insel Eisfeste, das weiße Massiv mit den kilometerhohen Klippen. Im hohen Norden, zentral gelegen befand sich ein unförmiger Umriss, über den augenscheinlich kaum etwas bekannt war. Als Thu'viel danach fragte, verzog der Hochkönig missmutig das Gesicht. "Das, mein Junge, ist die Residenz des Bösen, das Tor zur Unterwelt und der Untergang allen Lebens." Thu'viel sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz." Der Hochkönig ging auf und ab und seine Schritte hallten von den Wänden wieder. "Natürlich verstehst du nicht, weil es eine ältere Geschichte ist als du dir vorstellen kannst. Ich werde sie dir erzählen, im Gegenzug wirst du dein Wort geben den Auftrag anzunehmen und auszuführen." Thu'viel runzelte die Stirn. "Was ist das für ein Auftrag? Jemanden töten? Ein Dokument sichern?" Der Hochkönig blieb stehen. "Nein. Du wirst in die Hölle reisen, den Schrein der Toten zerstören und ein Bataillon führen, um den Sieg über das Böse zu erreichen in einer Schlacht, die über das Leben der bekannten Erde entscheidet." Thu'viel lachte unwillkürlich laut auf. Arkanor sah ihn finster an. "Ich kann mich an keinen Witz erinnern." Thu'viel verstummte sofort und schalt sich innerlich für seine Unverfrorenheit. "Majestät, es tut mir sehr leid, aber meint Ihr nicht auch, dass ein ranghoher Offizier dafür besser geeignet wäre, als einen Straßenjungem wie mich? Ich verstehe nichts von Schlachten mit Millionen von Menschen, nichts von der Süße des gezielten Mordes und am wenigsten kann ich den Teil eines riesigen Heeres führen." Arkanor sah ihn ernst an. "Kann ein einfacher Straßenjunge das vollbringen, was du vorhin so glorreich bewiesen hast? Dein Onkel hat deine Fähigkeiten gelobt und uns versichert, dass nur du der richtige für diesen Auftrag sein kannst. Ich erkenne fähige Krieger sofort und damit ihre Stärke und ihr taktisches Geschick. Keiner außer dir wäre besser dafür geeignet." Thu'viel spürte wie kalter Zorn in ihm emporstieg. Sein Onkel war dafür verantwortlich, dass er in der Gosse aufgewachsen war. Und somit für sein Schicksal. "Natürlich ist mein Onkel dafür, dass man mich in den Tod schickt, ansonsten hätte er ja seinen Titel mit einem Familienmitglied teilen müssen." Der Hochkönig schüttelte den Kopf. "Familienstreitigkeiten sind belanglos und haben gegenüber dem Auftrag eine untergeordnete Rolle. Du wirst den Auftrag ausführen. Andernfalls werde ich andere Methoden in Erwägung ziehen." Die bis dahin vorherrschende Güte war gänzlich verflogen und nun sah Arkanor gefährlich aus. "Ich will dich daran erinnern, dass du soeben ein öffentlichen Mord begangen einen Freund des Königshauses ausgeschaltet und nebenbei gegen das Gesetz des öffentlichen Kampfes, des Führens einer Waffe in öffentlichen Bereichen verstoßen und Zivilpersonen gefährdet hast. Außerdem ist es Tarfolks Familie gesetzlich erlaubt eine Fehde gegen dich anzuzetteln, da du sie mit seinem Tod öffentlich beleidigt hast. Deine Ressourcen sind erschöpft, das weißt du, denn die Beweislage spricht gegen dich." Thu'viel fand keinen Ausweg aus seiner Lage, das Gesetz, dass er sich nur selbstverteidigt habe, half ihm nicht weiter, denn eine Herausforderung fiel nicht in die Situation. Ihm blieb keine andere Wahl. Entweder er starb durch die richterlichen Folgen, die seine Handlung nach sich zog oder erst später, falls er den Auftrag annahm. Es war zweifellos Selbstmord sich in feindliches Territorium zu begeben, wenn er überhaupt so weit kam. "Was wenn ich scheitere?" fragte er und sah Arkanor direkt in die Augen. Die Falten im Gesicht des Hochkönigs vertieften sich. "Dann wird die Welt untergehen." Thu'viel dachte nach. Dann nach einigen geschlagenen Minuten hatte er seine Entscheidung getroffen. "Ich werde es versuchen." Arkanors Gesicht entspannte sich. "Gut, dann werde ich dir jetzt eine Geschichte erzählen, die nur die Hochkönige wussten und die ihnen Untertanen Könige der Königreiche. Alles begann mit einem König, der sein Reich allein regierte, als es noch keine Königreiche gab. Es war zu Zeiten in denen Bruchland hieß noch Raviel und war fest mit den Kontinenten verbunden und nicht auseinandergesplittert. Der König, der Blutschild genannt wurde, schaffte ein Reich, welches die beste und glücklichste Ära Arvaniels bildete. Doch er wollte mehr und versank in den schwarzen Tiefen der Magie und sie fraß ihn innerlich auf." An dieser Stelle unterbrach Thu'viel ihn. "Moment, MAGIE?". "Lass mich zu Ende erzählen." fuhr der Hochkönig ihn unwirsch an. "Ja, Magie, sie existiert. Auf jeden Fall verdarb die Magie ihn und er wurde böse. Er begann ungnädige und verachtungswürdige Strafen auszusprechen, er verlangte Steuern von allen Bürgern, um sich zu bereichern. Eines Tages entdeckte er eine Formel, die einen Draernirf beschwor, das sind seltsame dunkle Wesen, mit stechend roten Augen und sie saugen ihrem Opfern die Lebenskraft aus den Adern und dem Herz. Zwar sind sie sehr schwer zu besiegen, aber irgendwie schaffte Blutschild es, einen Draernirf zu besiegen und mit seiner Gerissenheit und Bosheit ihn sich mit Hilfe eines uralten dunklen Zaubers Untertan zu machen. Blutschild saugte ihn in sich auf, ein zweites böses Wesen in einem Leib und gemeinsam, mit Blutschilds Körper und Unberechenbarkeit und der Präsenz des Draernirf, der alleine durch seine Aura des Bösen die Menschen bewegten schreckliche Dinge zu vollbringen und sie mit den stummen Qualen ihrer Seelen, von Ängsten gejagt, ihr Elend selbst zu beenden. Von dem Moment an, in dem sich der Draernirf in Blutschilds Körper einnistete, waren sie eine neue Wesenheit, die es noch nie gegeben hatte. Sie hießen von nun an V'rathgar, und das heißt übersetzt 'Bezwinger des Todes'. Er wollte seine persönliche Armee und erschuf ein Höllenportal, mit dem er tote Kreaturen in Körpern von Menschen wiederbeleben konnte, um eine uneingeschränkte Herrschaft zu erreichen. Das alles geschah im Geheimen und als die Armee zu groß wurde, um unentdeckt zu bleiben, flüchtete er nach Norden zu der einsamen Insel, die du vorhin erwähntest. Die Nordinsel wurde seitdem die Residenz des einstmaligen Königs." Thu'viel dachte angespannt nach. "Wenn wie konnte er solange überleben? Wenn es so lange her ist, dann müsste es doch einen Nachfolger als König geben?" Arkanor lächelte. "Du vergisst die schwarze Magie. Zum heutigen Tage für dein Verständnis ist das absolut vertretbar. Es stimmt, V'rathgar hat drei Kreaturen gezeugt. Alle drei sind Draernirf, was anatomisch und biologisch eigentlich unmöglich ist. Aber er hat geschafft Nachkommen zu zeugen. Vorgith, Zark und Krag'raz heißen sie und sind mindestens genau so durchtrieben wie ihr Vater und Meister. So lebt er — und das ist für dich sicher unverständlich — seit fast 700 Jahren auf der Insel." Thu'viel schnappte nach Luft. Der Hochkönig überging das und fuhr fort. "Am Leben gehalten durch seinen eigenen Zauber und durch den Draernirf wurde er immer gerissener und eignete sich unvorstellbar viel Wissen an. Er errichtete einen Wall aus purer Finsternis, durch den einige Segelschiffe fuhren wollten. Man fand die Leichen als das Schiff im Hafen anlegte. Bei allen handelte es sich um Selbstmord. Eine Schleuse gibt es jedoch, auf westlicher Seite ist eine Art Tor, das keinen Zauber an sich selbst und auf der Insel zuließ. Somit ist das der einzige Weg hinaus und hinein. Jedoch ist bisher niemand zurückgekommen. Die Insel wird Tol Srnga genannt. Der Finsterwall, der unter den Menschen bereits Weltend heißt, ist auch der Grund dafür, das Kaum etwas über sie bekannt ist. Alte Karten und Skizzen zeigen einen Vulkan, der zentral über die Insel wacht. Und an dessen Spitze befindet sich auch das Höllentor, die Todespforte. Dieses Tor hat eine solch dunkle Magie, dass es alles Leben auf der Insel vernichtet hat, es hält die Untoten am Leben, lässt Skelette auferstehen und bringt immer mehr Brut hervor, deswegen muss es zerstört werden. Ohne es können die Untoten nicht leben. Und du wirst es zerstören. Das ist deine Aufgabe. Du musst es schaffen, du bist die letzte Hoffnung. Morgen beginnt deine Reise, du hast genau 77 Tage und Nächte Zeit. Ich weiß du hast viele Fragen, ich sehe es dir an. Aber das hat Zeit, bis du zum ersten Ziel deiner Reise kommst. Die Wüstenstadt Nargoth, im Palast des Königs wirst du Antworten erhalten." Thu'viel hatte keine Einwände, er meinte, dass je weniger er wusste, desto sicherer er war und desto weniger Angst er hatte, denn die Nachricht, das Magie im Spiel war, versetzte ihm einen herben Stoß in die Magengrube. "Und nun ruh dich aus", fuhr Arkanor fort. "Morgen beginnt die Reise in aller Frühe. Wenn der Stern Agaethir die Baumwipfel berührt, sei am Westtor der Stadt. Alles was du brauchst wirst du dort finden. Eine geruhsame Nacht, Thu'viel." Und damit ging er und ließ ihn alleine in der Halle allein.
Texte: Copyright by Adrian Remke
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Tag der Veröffentlichung: 16.10.2012
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Widmung:
für die Menschen, die zu mir stehen