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EINLEITUNG

Da sich die Geschichte in der Provinz Bennirock, im Lande Balfur des Staatenbundes Guldenfever abspielt und in der Stadt Wilston ihren Anfang nimmt, ist es nicht verwunderlich, dass es sich dabei um ein reines Fantasieprodukt handelt, was auch sonst……
Balfur ist ein Land, das fast ausschließlich von Ackerbau und Viehzucht lebt, Technik ist zwar kein Fremdwort, jedoch ist man noch nicht weit über den Beginn der Industriellen Revolution hinausgelangt.
Es gibt Maschinen, elektrischen Strom, und viele andere Dinge, die für eine industrielle Gesellschaft Grundvoraussetzung sind.
Dennoch gehört Balfur nicht zu den industrialisierten Staaten, sondern lebt überwiegend von der Agrarwirtschaft. Balfur ist ein abgelegener Teil dieser Welt, was für den Beginn unserer Geschichte ausschlaggebend ist.
Die Landschaft besteht aus Hügeln und weiten Ebenen. Gebirgige Regionen gibt es nicht, lediglich einige schroffe Verwerfungen, zerklüftete Hügellandschaften, die jedoch relativ selten sind.
Die Menschen in Bennirock, speziell in Wilston sind liebenswert, hübsch und geduldig.
Sie leben bestimmt nicht hinter dem Mond, obwohl sie manchmal einen eigenartigen Charakter, eine sonderbare Lebensweise erkennen lassen, die nicht leicht zu durchschauen ist.
Das mag allerdings an unserer Betrachtungsweise liegen, schließlich ist ihre Welt mit der unseren nicht zu vergleichen.
In Bennirock gibt es Dinge, die es bei uns nicht gibt, bei uns gibt es Dinge, die in Bennirock undenkbar sind. Also setzen wir uns damit auseinander, unvoreingenommen, objektiv, völlig entspannt und werden alles vergessen, was wir je gelernt haben.
Die Geschichte beginnt in Bennirock, entfernt sich jedoch nach kurzer Zeit von dort und kehrt niemals zurück, verliert sich im Nebel der Geschichte........


VORWORT

Einst lebte in einem Fernen Land, weit entfernt von dem Gebiet, in dem unsere Geschichte beginnt, ein sehr mächtiger und hoch geehrter Zauberer.
Die Welt in die er hineingeboren worden war, verfügte nicht über Wissenschaft in unserem Sinne, dennoch musste man auf die vielen Annehmlichkeiten der Zivilisation nicht verzichten. Grund dafür war nicht Wissenschaft, sondern Magie und Zauberei.
„Ha!“ Werden Sie sagen, „wie soll Zauberei denn Strom erzeugen?“
Kein Problem, Die Zauberer ersannen erstaunliche Lösungen, zur Erzeugung von Strom erschufen sie Bugels.
Das sind menschengroße kugelige Dinger, deren einziger Lebenszweck es ist, Zeit ihres Lebens mittels eines Tretwerkes Dynamos zu betreiben, die elektrischen Strom liefern. Das heißt, die Bugels fahren ihr ganzes Leben lang Rad, verbrauchen dabei keinerlei Nahrung und haben auch sonst keine Ansprüche.
Unser Zauberer hatte Großen Anteil an der Erschaffung der großen Elektrizitätswerke seines Landes.
Unendliche Reihen von radelnden Bugels, Reihen, die sich im gelblich schwefeligen Dämmerlicht der endlosen Dynamohalle verloren, die der Zauberer bei seinem letzten Besuch besichtigt hatte.
Kein Geräusch war zu hören, als das andauernde, endlose Summen der Dynamos.
Aber natürlich tauchten dann, sehr zum Ärger der Zauberer, die Bugelrechtler auf, die mit der Annahme daherkamen, die Bugels führten ein trostloses und eintöniges Leben.
Es dauerte einige Monate, in denen unter den Zauberkundigen ausgiebig beraten wurde, dann schuf man einen halbintelligenten Bugel, der Auskunft über die Lebensbedingungen geben sollte.
Die Bugelrechtler hatten natürlich Unrecht.
Nur Radeln war wichtig für den Bugel, nichts sonst, er wollte nichts anderes und unser halbintelligente Bugel fing fast an zu randalieren, als man ihn ausfragte, statt ihn an das Tretwerk zu lassen.
Einen Erfolg hatten die Bugelrechtler aber dennoch.
Vorher hatte man die fast ausgebrannten Bugels einfach magisch entsorgt, nun wurden sie einer anderen Verwendung zugeführt.
Während ihrer endlosen Arbeit verloren die Bugels immer mehr an Substanz, bis sie schließlich zu klein geworden waren, die Dynamos weiter zu drehen.
Jetzt nach dem Auftreten der Bugelrechtler wurden die Altbugels dazu eingesetzt, Kinderspielzeug mit Licht und Effekten zu versorgen. Da taten sie sehr zum Leidwesen der geplagten Eltern noch jahrelang ihren Dienst. Die Spielzeuge leuchteten, tröteten, sangen, quietschten und randalierten fast ohne Unterbrechung.
Sagte ich schon, dass Bugelmord, auch der an Altbugeln verboten und strafbar war? Auch dies war ein Erfolg der Bugelrechtler, welche die Zauberergilde fast in den Wahnsinn trieben.
Dieses Gesetz wurde denn auch von Zeit zu Zeit gebrochen und wegen der Zahl der Straftaten und einzulochenden Straftäter begann die Obrigkeit bald großzügig darüber hinwegzusehen.
Die Spielzeugrandale nahm dann auch deutlich ab.
Aber zurück zu unserem Zauberer.
Der lebte auf einem weit entfernten Kontinent und führte den Titel „Blüte der Zauberkraft“.
Sein Zauberlehrling hieß Piseloh und stammte von einer Ratte ab.
Na jedenfalls behauptete der Zauberer das mit Vehemenz.
Piseloh hatte natürlich keinen Titel, jedoch erhielt er von dem Zauberer den Beinahmen „Blüte der Blödsinnigkeit“.
Dennoch war Piseloh unserem Zauberer bedingungslos ergeben, was eigenartig anmutet, da der ihn pausenlos schikanierte, ihm keinen Lohn zahlte, ihm wenig Nahrung und Kleidung zukommen ließ.
Weshalb es den Zauberer und seinen Lehrling, in die Provinz Bennirock zog, hatte einen Hintergrund, der den Magikus dazu veranlasste, seine Herkunft, den Namen und auch den seines Gehilfen abzulegen und zukünftig zu verleugnen.
Die Blüte der Zauberkraft hatte in der Hauptstadt eine wichtige Position inne. Er war der oberste Zauberer der Zunft. Ihm unterstand der gesamte Zaubererzirkel, das waren nicht weniger als 49 Magier und Zauberer von akademischen Graden.
Die Blüte der Zauberkraft schuf Dinge, verschönerte, zerstörte und veränderte was man ihm auftrug, und das stets mit Erfolg.
Bis zu diesem einen verfluchten Tag.
Der Zauberer hatte ein großes Experiment vorbereitet, ein wirklich großes.
Nur einige wenige Dinge mussten noch getan, einige Zutaten dem gleißenden und funkelnden Sud hinzugefügt werden, der in dem Zaubertiegel brodelte.
„Immer nur links herum rühren,“ wies er Piseloh an, „immer links herum.“ Und Piseloh rührte links herum. Im links herum rühren war er wirklich großartig.
Aber dann hatte er hatte Piseloh damit beauftragt, dem glitzernden und leuchtenden Inhalt des Kessels ein himmelblaues Ingredienz hinzuzufügen.
Das tat Piseloh auch, nur war sein Augenlicht nicht so gut, wie es nötig gewesen währe, in dem Halbdunkel des Zauberlabors die richtigen Farben zu unterscheiden.
Er verwechselte das Blau mit dem Türkis, der Flasche die daneben stand.
Natürlich traf auch unseren Zauberer eine Mitschuld.
Nie durften Tränke und Ingredienzien nebeneinander aufbewahrt werden, die absolut gegensätzliche Wirkungen hatten, das stand in jedem Zaubererlehrbuch zu lesen. Schon das Vermischen zweier solcher Substanzen hätte ungeahnte Katastrophen heraufbeschwören können, was zum Beispiel allein dadurch geschehen konnte, dass die Behältnisse von ihrem Brett fielen und die Substanzen sich auf dem Boden mischten.
Des Zauberers entsetzter Aufschrei kam eine halbe Sekunde zu spät, das Unheil nahm seinen Lauf.
Piseloh fügte dem Gebräu die falsche Substanz hinzu.
Es entstand eine Mischung von ungeheurer Potenz, ein Elixier, dessen zerstörerische Kraft ungeheuer sein musste, soviel konnte die Blüte der Zauberkraft allein aus der Kombination der Zutaten erkennen.
Es handelte sich um eine besondere Mischung, eine solche hatte es nie zuvor gegeben.
Das Zaubergebräu hatte eine bestechende Intelligenz, und war zudem mit der Gabe der Sprache ausgestattet.
Eine Sekunde lang war der Zauberer über diese Fügung fast glücklich, genau bis zu dem Augenblick, da die Mischung zu sprechen begann und ihm seine erschütternde Mitteilung machte.
Sie verkündete dem entsetzten Zauberer, jener Blüte der Zauberkraft, mit gelassener Stimme, dass sie sich nach genau fünfhundert Klicks entladen würde.
Sie gab dem Zauberer auch die exakte Zerstörungskraft an, mit der sie zu explodieren vorhatte.
Die Versuche des Magikus, sie herunterzuhandeln, zu einer kleinen bis mittleren Verpuffung, schlugen fehl.
Auch der Versuch, die Substanz zu bestechen, ihr ein fast unendliches Leben zu versprechen, war nicht erfolgreich.
Die Mischung wollte allen ihre Zerstörungskraft demonstrieren.
Das ist ja auch der Lebenszweck solch zerstörerischer Zaubermittel.
Immerhin empfand der Zauberer es als eine faire Geste, dass die Mischung ihn und Piseloh warnte.
So blieben Piseloh und seinem Chef gerade etwa fünf Minuten, den Zerstörungskreis zu verlassen.
Das war knapp genug und sie brachten es gerade so fertig, sich mittels einiger Transportzauber auf einen Hügel, knapp außerhalb des Wirkungsbereiches jener Entladung heraus zu transportieren.
Von einem Hügel herab beobachteten sie die Welle, welche exakt die Hälfte der Hauptstadt, pulverisierte.
Menschenleben kamen nicht zu Schaden, lediglich Sachen und Gegenstände, Häuser, eben alles, was von Menschenhand hergestellt war.
Es handelte sich um eine besondere Mischung, auf die sich der Zauberer eine Menge hätte einbilden können, währe ihre Entdeckung ohne größere Katastrophe erfolgt.
Unser Magikus konnte sich gut vorstellen, was der König empfinden würde, sich nackt, ohne jede Kleidung, ohne Bett, ohne Schloss, umgeben von nackten Dienern und Zofen, auf dem bloßen Erdboden wiederzufinden.
Ebenso würde es natürlich der Hälfte aller Stadtbewohner gehen.
Die Strafe würde entsprechend ausfallen, da war sich der Zauberer sicher. Verletzter Stolz bei Bürgern, Adligen, aber vor allem bei dem König erforderte eine exemplarische Strafe von augenscheinlicher Härte.
Es würde sicherlich nur einige Minuten dauern, eine Peitsche in den unversehrten Häusern aufzutreiben, das für den angenehmsten Fall, aber auch ein Henkerbeil würde sich finden lassen.
Strafen vermittels solcher Hilfsmittel, lagen durchaus im Bereich des normalen Strafmaßes.
Darauf mochte der Zauberer lieber nicht warten und wandte sich überstürzt zur Flucht.
Diese Flucht dauerte viele Monate.
Er hatte natürlich Recht gehabt, um die Ehre des wütenden Königs wieder herzustellen, wurden das halbe Heer und eine Unmenge von sehr fähigen Zauberern aufgewandt.
Oft waren ihnen die Berittenen des Königs dicht auf den Fersen und oft entkamen er und sein Gehilfe lediglich aufgrund seiner überragenden Zauberkünste.
Und so schwor er der Zauberei ab, jetzt und für immer.
Er zerbrach seinen Stab und vernichtete alle zauberischen Hilfsmittel, was ihm einen großen Teil seiner Macht nahm, doch er hatte ja beschlossen, der Zauberei hinfort zu entsagen.
Zu diesem Zweck suchte er sich das Stückchen Erde, das niemals zuvor einen Zauberer hervorgebracht hatte.
Hier wollte er ein ehrbares Leben fristen, in Anstand und Ehren alt werden.
Und jetzt ist der Punkt erreicht, wo wir endlich anfangen, am besten stellen wir den heutigen Zauberer einmal vor.


ENGELMANN UND DIE FOLGEN

Die Jahre, die Ewald Engelmann, wie er nun hieß, in Balfur verbracht hatte, hatten die ehemalige Blüte der Zauberkraft sehr verändert.
Es war ein rundlicher, jovialer Mittfünfziger aus ihm geworden. Seine erste Ehefrau, mit der er eine behinderte Tochter hatte, war bereits wenige Jahre nach seinem Eintreffen gestorben. Seine zweite Ehefrau galt als außerordentliche Schönheit und es verwunderte viele Menschen, dass sie sich ausgerechnet Engelmann zum Gemahl gewählt hatte.
Ewald Engelmann war von beeindruckender, nein, sein Erscheinungsbild ging darüber weit hinaus, er war von von außerordentlich imposanter Gestalt.
Er dominierte seine Mitmenschen und das keineswegs nur körperlich.
Das war nicht nur auf seine außerordentliche Körpergröße und Kraft zurückzuführen, durchaus nicht.
Der Knecht Willeck überragte Engelmann fast um Haupteslänge, ein Riese, der jedoch in Gegenwart, des Bürgermeisters zur Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfte.
Ewald Engelmann besaß jene Ausstrahlung, diese Kraft, die Jedermann zu beeinflussen und fast jeden zu überzeugen vermochte. Diese Eigenschaften hatten ihn zum Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters gemacht, und nach nur einem Wahlgang war er dann auch dazu ernannt worden. Dieses Amt hatte er nun bereits seit vielen Jahren inne, da sich niemand gegen ihn zu behaupten wusste.
Engelmanns äußeres Erscheinungsbild war über jeden Zweifel erhaben.
Stets trug er nadelgestreifte, zweireihige Anzüge, darunter eine Weste und ein gerüschtes Oberhemd dessen Kragen meist von einer ausladenden Fliege oder einer grellbunten Krawatte verziert wurde.
Es ging das Gerücht, er würde seine Anzüge selbst zum Baden nicht ablegen.
Stets umwehte ihn ein Duft erlesensten Parfums und ein Hauch eines exklusiven Rasierwassers.
Ein kleiner Goldreif zierte seinen Ringfinger, nicht protzig, lediglich mit einem kirschkerngroßen Aquamarin verziert.
Engelmann strahlte Würde aus, atmete Ruhe und Gelassenheit.
Nichts schien in der Lage zu sein, dieses Bild von Gediegenheit und frommer Lebensart zu beeinträchtigen.
Bei den vielen kleinen Gelegenheiten, den öffentlichen und privaten Auftritten, hatte er stets Größe bewiesen sein untadeliges Auftreten war zu jeder Zeit Gegenstand ungeteilter Bewunderung.
Wie an jedem Tag erhob sich Ewald Engelmann am Kopfende des Tisches und sprach das Dankgebet, worauf Frau Engelmann, sie stand, wie gesagt, in dem Ruf die schönste Frau der kleinen Stadt zu sein, die Tafel aufhob.
Böse Zungen lästerten allerdings, es sei leicht, die schönste Frau der Stadt zu sein, wenn es außer ihr nur vier Frauen unterhalb der Fünfzig gäbe, von denen Amalie Finnert verkrüppelt sei, während Suse Kitting unter einem bösartigen, nässenden Kopfgrind leide. Die anderen beiden seien Bauersfrauen, die keine Zeit hätten, sich um ihr Aussehen sonderlich zu sorgen.
- Allerdings waren das nur die bösen Zungen, die solcherart über Frau Engelmann redeten, nur wirklich böse Zungen -
Alle Familienmitglieder, außer dem Bürgermeisterehepaar noch die Tochter Agatha aus Engelmanns erster Ehe und Herrn Engelmanns alte, fast taube Mutter, erhoben sich.
Auch der Advokat Nimmerlein, so hieß der ehemalige Zauberlehrling Piseloh nun, der bei den Engelmanns in Kost und Logis stand, erhob sich, wobei er seinen Rock straff zog.
Nimmerlein unterstützte den Bürgermeister bei seinen dienstlichen Obliegenheiten, die mannigfaltiger Natur waren, worauf wir später noch näher zu sprechen kommen werden.
Nun hatte die Familie Engelmann eine besondere Leidenschaft. Sie liebten das häusliche Musizieren über alles und Engelmann selbst hielt seine Familie, wie auch den Advokat Nimmerlein immer wieder dazu an, sich in dieser Kunst zu üben.
Leider war es jedoch so, dass kein Mitglied der Familie Musikverstand und Talent zum Musizieren mitbekommen hatte.
Anfangs, als Herr Engelmann anno `88 in nach Wilston gezogen war, hatte es viel Ärger um dieses Musizieren gegeben, jedoch war man schließlich der Persönlichkeit und der Unverfrorenheit des Bürgermeisters unterlegen.
Die Folge des allmittäglichen Musizierens war, dass in allen Häusern der kleinen Stadt die Fenster um die Mittagszeit geschlossen wurden.
Die Geschäfte machten Mittagspause, da ohnehin niemand auf der Straße weilte. Auch die Kinder wurden zum Mittagsschlaf in die Häuser geholt.
Nur im Hause des Bürgermeisters taten sich die Pforten und Laden auf, und je beharrlicher er mit den Konzerten fortfuhr, desto billiger wurden die Preise der angrenzenden Grundstücke, die für sich zu erhandeln er seinem Advokat Nimmerlein überließ.
Dies war eine der vielen interessanten Aufgaben, die Nimmerlein in Engelmanns Diensten zu verrichten hatte.
So hatte des Bürgermeisters Grund und Boden schon beachtlich an Umfang gewonnen.
Ihm gehörten ein kleiner Birkenhain, sechs nahe gelegene Häuser, die nun allerdings am Verfallen waren, sowie drei kleine Weiher, vier Tümpel, einige Hektar Wiese und sogar etwas von dem angrenzenden Ackerland. Das Getreide dort wollte nicht mehr so recht gedeihen. Als Bauer Gutbrodt stattdessen Rüben pflanzte, waren diese riesig groß geworden, fast wie Kürbisse, jedoch innen waren sie hohl und moderig. Als der Bauer sie verdrossen unterpflügte, stank der Boden einen Monat lang bestialisch nach Exkrementen.
Auch der Anbau von Salat und Kohl zeigte niederschmetternde Ergebnisse, und als die schließlich angepflanzten Tomaten wie rote, matschige Säcke an den Gewächsen hingen, die auch noch widerlich rochen, gab Gutbrodt auf und verkaufte seinen Grund.
Nimmerlein war wieder einmal zur Stelle, ein neues Grundstück reihte sich in den Besitz Engelmanns ein.
Ob der Grund für das Misswachstum von Getreide und sonstigen Feldfrüchten nur im Engelmannschen Musizieren zur Mittagszeit zu suchen war, wer wusste das schon zu sagen, und eigentlich hatte auch niemand Lust, sich darüber Gedanken zu machen. Natürlich gab es auch in diesem Falle einige üble Verleumder, die dem Bürgermeister den Umgang mit schwarzer Magie nachsagten, aber das waren, wie schon bemerkt, nur die üblen Verleumder die es wohl überall geben muss.
Man soll auch nicht denken, der Bürgermeister sei ein raffgieriger und schlechter Mensch, der seinen Nächsten um sein Vermögen brächte. Ewald Engelmann war stets damit befasst, Gutes zu tun. Die Abfälle seines Tuns die er am Wegesrand auflas, nahm er mit stillem lächeln und demütigem Gebet entgegen. Bestimmt war auch niemand da, außer einigen Besserwissern selbstredend, der ihm dabei eine böse Absicht nachgesagt hätte.

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Auch an diesem Tag versammelten sich einmal mehr alle Familienmitglieder und Herr Nimmerlein im Musikzimmer. Martha, das Hausmädchen, legte sich, nach dem sie alle Fenster und Türen geöffnet hatte, vorsorglich mit Migräne ins Bett und verstopfte ihre Ohren mit "Ohrix- total- taub- spezial- Ohrstöpseln". Die Öffnung aller Türen Fenster und sonstiger Löcher sollte eine gute Durchtönung des Hauses zur Folge haben, so jedenfalls stellte Ewald Engelmann es stets dar. (Durchdröhnung nannte Martha diesen Vorgang heimlich)
Die Instrumente wurden nun gestimmt, was mit allgemeinem, verbissenem Ernst geschah. Ein Spiegel löste sich unter den Ansturm der Akkorde in einem Inferno von Splittern auf, was der Bürgermeister mit einem irritierten Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm.
Forsch probierte er den Ton erneut, eine Fensterscheibe hörte auf zu existieren, verwandelte sich in feinen Glasstaub.
Kopfschüttelnd veränderte Engelmann die Spannung der Saite.
Das klingeln nach dem Hausmädchen verhallte ungehört. (Ohrix- total- taub- Spezial- Ohrstöpsel)
Herr Engelmann machte darüber eine Eintragung in sein geistiges Sündenregister und wandte sich wieder der Musik zu.
Auch auf die anderen Mitglieder des Orchesters muss noch kurz eingegangen werden. Frau Engelmann war von außerordentlicher Schönheit. Stets schlicht gekleidet sah sie immer reizend aus.
In der Stadt wurde sie ca. 18 bis 20 Jahre jünger geschätzt, als ihr Gatte, der es auf ein Alter von 49 Jahren brachte.
Sie stammte aus einem weit entfernten Ort, zu dem sich Herr Engelmann seinerzeit zu seiner Brautwerbung hinbegeben hatte.
Frau Engelmann war, was die Musik anbelangte, ebenso unbegabt wie die übrigen Beteiligten.
Sie betätigte das Schlagzeug mit der Kraft und Überzeugung, die ein Spielfilmregisseur braucht, um einen Vulkanausbruch glaubhaft darzustellen.
Es gibt ernstzunehmende Zeugen die behaupten, das Dach des Hauses sei bei den heftigsten ihrer Soloeinlagen mindestens zehn Zentimeter gehüpft.
Agatha, die Tochter Engelmanns aus erster Ehe, war ein dickes, dummes, tollpatschiges Trampel.
Dies nicht nur bildlich gesprochen sie war tatsächlich sehr zurückgeblieben und im Alter von 23 Jahren mit dem Verstand einer Zehnjährigen ausgerüstet.
Sie betätigte das Cello, und auch ihre Kunst ließ das Haus oft in seinen Grundfesten erbeben.
Herrn Engelmanns alte Mutter war fast taub, deshalb hatte man Ihr, damit sie mittun konnte, ein besonders lautes Instrument zugedacht, eine sehr schöne Trompete, die stets funkelte und glänzte, da die alte Dame sie fast den ganzen Tag über polierte und wienerte.
Dieses herrliche Instrument war durch die gesamte Stadt in allen nahe gelegenen Bauernhöfen bei guter Witterung und günstigem Wind sogar bis nach Bohndorf dem fünf Kilometer entfernten Nachbarort, zu hören.
Herr Nimmerlein, ein hölzerner verknöcherter Mann, der in seiner äußeren Erscheinung einer faltigen und vertrockneten Ratte glich und in den Vierzigern stand, handhabte Pikkoloflöte und Posaune.
Herr Engelmann selbst war mit Sicherheit Meister im Spielen der Violine, der Erfinder des sogenannten Schrägtonsounds.
Engelmann begab sich in Positur, und holte mit dem Fidelbogen kräftig aus, wobei er eine Nelke köpfte, die traurig aus der Vase auf dem Flügel herabhing. Einen Moment lang herrschte absolutes Schweigen, kein Ton war zu vernehmen und wahrscheinlich hätte ein herabfallendes Haar donnerndes Gepolter verursacht. Wie vor einem Orkan, einem Vulkanausbruch hielt die Natur den Atem an…………

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Da nun alles so weit gediehen war und außerdem die Zeit reif, dem Bürgermeister einmal ordentlich auf die Finger zu hauen, sandte das Schicksal Methusalem Bohngarten.
Niemand am Ort kannte ihn. Wer war er, wo kam er her?
Kein Mensch wusste etwas über ihn und doch war sein Erscheinen für die folgenden Ereignisse von ausschlaggebender Bedeutung.
Methusalem war ein Landstreicher, zumindest können wir ihn einmal so bezeichnen, schließlich kennen wir ihn noch nicht und sein Äußeres ließ diesen Schluss durchaus zu.
Er war über dreihundert Jahre alt (Nicht vergessen, wir sind in Bennirock, da gibt es Leute, die so alt werden).
Bohngarten war ziemlich klein gewachsen, trug einen feuerroten Bart und schlurfte auf enorm großen Füßen einher. Die Schuhgröße widerstand jeder Schätzung, so dass Bohngarten gezwungen war, sein Schuhwerk selbst anzufertigen, teilweise mit beklagenswertem Erfolg. Seine übrige Bekleidung bestand aus einer Sammlung ausgebleichter und verschossener Lumpen, die ein wenig apartes Lochmuster aufwiesen.
Dieser Herr Methusalem ging seiner Würde gemäß, und die hatte er sich im Laufe von dreihundert Jahren reichlich erworben, am Stock. Ein beeindruckender Stock, geschnitzt aus einem Eichenprügel, verziert mit erstaunlich detaillierten Kopfmodellen verschiedener Tiere.
Den Knauf des Stockes zierte eine faustgroße Silberkugel, die unglaublich lebensechte Arbeit eines Silberschmiedes, der einen hervorragend dargestellten Wolfskopf aus dem Silberknauf herausgearbeitet hatte.
Zwar hätte Bohngarten dieses Stockes nicht bedurft, doch seiner Meinung nach war ein Gehstock seinem Alter angemessen, und er humpelte sogar einwenig um diese Überzeugung zu unterstreichen.
Auch hatten Wegelagerer und Händel suchende Ganoven diesen Stock schon sehr schmerzhaft zu spüren bekommen.
Der Stock gehörte zu Methusalem wie ein Arm oder ein Bein, war Bestandteil seiner Erscheinung.
Bohngartens Äußeres gab weiterhin zu der Vermutung Anlass, dass es sich bei ihm um einen Musikanten handele, schleppte er doch einen gewaltigen, haarigen Dudelsack auf dem Rücken mit sich herum.
Das Instrument schien aus einem Ziegenbalg gefertigt zu sein, offenbar in mühseliger Handarbeit, und auch die Pfeifen schienen selbst geschnitzt und verziert.
Dieser Herr Bohngarten hatte nun in der Nähe der Stadt ein Grundstück erworben, zu einem sensationell niedrigen Preis und nur um ein Weniges schneller, als der erfolgsgewohnte Advokat Nimmerlein.
Zunächst scheinen nun die Ereignisse vorgezeichnet, hier der lärmende Bürgermeister samt seiner Familie, dort der erboste Nachbar.
Aber nein, es gab noch andere Elemente die Einfluss auf
Das Geschehen nehmen sollten.

Da war zunächst Urtel, die tausend Jahre alte, unbeschreibliche Hexe.
Auf ihre Erscheinung gehen wir später näher ein.
Urtel gehörte zu den naturverbundenen Hexenwesen, die lange Zeit in einem Zustand der Erstarrung verbrachten, um sich zu regenerieren. Dazu begaben sich diese besonders begabten Frauen meist in Baumwipfel, mit denen sie optisch verschmolzen und für den normalen Menschen nicht mehr sichtbar waren, und das oft über Jahrhunderte, je nachdem, wie lange der Baum lebte.

Es wird dem geneigten Leser, der es gewohnt ist, einwenig zwischen den Zeilen zu lesen, nicht entgangen sein, daß der Bürgermeister trotz seiner Absage an das Zauberwirken über einige außergewöhnliche Kräfte gebot, die er zwar behutsam, doch durchaus in seinem Sinne einzusetzen verstand. Zwar versagte er sich die Zauberei im allgemeinen, doch konnte er es nicht unterlassen, von Zeit zu Zeit vermittels einiger Handbewegungen und erlernter Worte Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen

Was er genau tat, ist noch nicht offenbar geworden, doch das wird schon noch.

Aber auch Methusalem Bohngarten verfügte über ähnliche Kräfte, die jeden übernormalen Spürsinn zum Vibrieren bringen konnten.
Schließlich, doch das war nicht das ganze Geheimnis, stammte er von einem alten Druidengeschlecht ab, einem Geschlecht überaus begabter druidischer Zauberer.
Als der Bürgermeister und Methusalem auf so begrenztem Raum aufeinander trafen, erfolgte ein mittlerer, übernatürlicher Tusch. So wurde die uralte Hexe Urtel geweckt, die sich seit vielen Jahrhunderten im Geäst der alten Steineiche, nur wenige Meter vom dem Haus entfernt aufhielt, das nun Methusalem Bohngarten gehörte.

Jahrelang hatten die Engelmanns musiziert, ohne dass etwas geschah, es musste erst Methusalem Bohngarten erscheinen um einen kritischen Zustand zu erzeugen, eine hochbrisante Situation, die zu einer explosiven Entladung drängte.

Folgende kritische Situation ergab sich nun:
Hier das Haus des Bürgermeisters, das Orchester eben zum gewaltigen Schlag ausholend.
Dort die gewaltige alte Eiche, in der die Hexe Urtel gerade verschlafen die Augen öffnete und schließlich, nur wenige Meter entfernt das Haus, in das gerade der alte Methusalem Bohngarten einzog.

Diese Punkte bildeten ein Dreieck, in dessen Mitte, gleich weit von jedem von ihnen entfernt, sich ein Maulwurfshügel befand. Allerdings gibt es in Bennirock keine Maulwürfe und überhaupt ist dieser Hügel im Moment noch ohne Bedeutung.
Mit anderen Worten, der kommt erst später dran, gehört aber ebenfalls zu den Dingen, die zu ihrer Zeit entscheidenden Einfluss auf die Ereignisse haben werden.

Da hatte der abtrünnige Zauberer sich in eine erstaunliche Situation hineinmanövriert, als er beschloss ausgerechnet an diesem Ort sein restliches Leben zu verbringen, an diesem Ort, der noch niemals einen bemerkenswerten Zauberer und keine anderen magischen Geschöpfe hervorgebracht hatte.

Der Vorrede ist nun genug Zeit geopfert worden. Treten wir nun ein in die einzigartige Geschichte um den Juniebaum die zunächst eher nach einer Katastrophe als nach einem Abenteuer anmuten möchte.

Crescendo

Das Orchester beginnt mit einem Tusch.
Voller Panik wirft Methusalem die Tür seiner Behausung ins Schloss. Durch das Geäst der Steineiche wogt es wild, die Hexe reißt verstört die Augen auf.
"HI, HI, Äh, HIII !!! Donnerwetterwasissndasfürnkrach?"
Etwas anderes fällt ihr im ersten Moment nicht ein.
Wieder wogen die Äste und Zweige des Baumes.
"Welch Getöse, was für eine Kakophonie! Doch ist es noch nicht Zeit und Ort für die Begegnung mit dem Herrn der Finsternis!"
Sie sammelt sich zu einem Hexenspruch in dem von Spinnenbeinen und Katzenhaaren die Rede ist und schleudert ihren Bann gegen den Ursprung des unbeschreiblichen Getöses.

Methusalem Bohngarten wirft die Tür hinter sich ins Schloss, panisch.
Kalk prasselt in großen Fladen von der Decke der Diele.
"Reichlich stark, wie?"
Der Dudelsack antwortet ihm mit einem Qietscher.
"Wollen wir den Krach zum Schweigen bringen?"
Mit dröhnendem Bass bejaht das Instrument.
Nicht dass Methusalem den Balg des Dudelsackes gedrückt hat, schließlich trägt er ihn auf dem Rücken. Das Ding benimmt sich wie ein lebendiges Wesen.
Methusalem, der vor zwei Jahrhunderten bei einem begnadeten Zauberer in die Lehre gegangen ist, sendet einen Bannstrahl mittlerer Stärke gegen die Verursacher dieses Lärmes.
Der Erfolg tritt sofort ein.
Eine tiefe Stille senkt sich über die geschundene Natur.
Was ist geschehen?

*******************

Eben noch war alles normal. Engelmann strich die Saiten der Viola Bratsche zu einem wilden Crescendo, wollte gerade eine weitere Steigerung versuchen, als das Orchester von den Zaubersprüchen berührt wurde. Eine träge Bewegung ging durch den Raum.....
Der Bürgermeister sprang auf. Mit wirrem Blick starrte er den Dunghaufen an, der klebrig von seiner Schulter hing. Auch der Fiedelbogen hatte sich in eine stinkende Masse verwandelt.
Herr Nimmerlein erstarrte ob des ungewöhnlichen Geschehens, erst nach Sekunden bekam er aufschreiend mit, dass sich die Pikkoloflöte in seiner Hand in einen ekligen Wurm umgebildet hatte.
Unter Frau Engelmanns kraftvollen, musikalischen Betätigungen verwandelte sich das Schlagzeug in undefinierbare, matschige Substanzen, die aufspritzend nach allen Seiten flogen.
Agathe geigte mit einem verrotteten Besenstiel auf einer toten Gans herum, die sie statt des Cellos am Halse hielt, und die alte Frau Engelmann rannte schreiend zum Wasserhahn.
In was sich ihre Trompete verwandelt hatte, konnte niemand erkennen, nur stank es von dort, wo die alte Dame stand, wahrhaft pestilenzartig.
"Wer oder was zum Teufel war das?"
Engelmann schrie vor Zorn, während er das feuchte, stinkende, Unaussprechliche von seiner Schulter schüttelte.
Der Lappen, der sonst seine Stirne trocknete, diente nun zum Reinigen seiner übel befleckten rechten Hand.
Es fehlte nicht viel und Engelmann hätte sich in ein vor Wut sabberndes Monstrum verwandelt. Aber halt, keine Zauberei, das hatte er sich geschworen.
Dennoch gelang es ihm nach kurzer Zeit wenigstens äußerlich die Ruhe wiederzufinden.
Prüfend blickte er sich um, das gesamte Ausmaß des Schadens überschauend. Vom Wasserhahn kam das prustende Gurgeln der alten Dame.
Mitleidig wollte Herr Engelmann zu seiner Tochter eilen, die verstörten Blickes auf die tote Gans starrte, die noch dazu einen halb vergammelten Eindruck machte.
Hierbei rutschte der Bürgermeister auf irgendeinem Exkrement aus, das in der Stube herumlag und fiel gegen den Flügel, der sich als weich, stinkend und nachgiebig erwies, so weich, dass er fast über Engelmann zusammenschlug.
Schnaufend und ächzend befreite er sich daraus.
Seine Selbstbeherrschung begann bereits leicht zu bröckeln.
Mit vorquellenden Augen starrte er auf das Chaos, das in dem Raum herrschte. Buchstäblich jeder feste Gegenstand hatte sich in undefinierbares geruchsintensives Material verwandelt.
Es stank wahrhaft fürchterlich.
Eben taumelte die alte Dame ekelgeschüttelt von dem Wasserhahn zurück, der sich noch nachträglich zu einem unbeschreiblichen Gallerteklumpen gewandelt hatte.

"Wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird mir das büßen, so wahr ich Engelmann heiße!"
Er keuchte es, während er zur Zimmertür stürzte.
Jetzt war es mit der Selbstbeherrschung bei dem Bürgermeister endgültig vorbei.
Die zur Durchtönung geöffneten Türen hatten den Gestank mittlerweile im ganzen Haus verbreitet, weshalb das Hausmädchen auch sofort ohnmächtig wurde, als sie die Tür ihres Zimmers öffnete, wohl aber auch, weil ihr der Bürgermeister gegenüberstand, total verdreckt, schmierig und widerlich riechend.
Der fing die Ohnmächtige auf, der sich so ein gut Teil des allgegenwärtigen Aromas mitteilte.

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Methusalem maß der Sache wenig Bedeutung bei. Schließlich hatte er den Erfolg seiner Bemühungen nicht verfolgen können und er hatte seine Ruhe, mehr wollte er nicht erreichen.
Von Urtel, der Hexe und der Tatsache, dass sie zur selben Zeit wie er mit hexerischen Mitteln in Aktion getreten war, konnte er nichts wissen.
Auch Urtel war zufrieden und lehnte sich dösend im Geäst zurück. „Noch ein Viertelstündchen“, murmelte sie verschlafen.

Als nämlich beide Bannsprüche zur selben Zeit auf das gleiche Ziel projiziert worden waren, hatte sich ihr Sinn verändert, ihre Kraft vervielfacht, es war etwas ganz anderes herausgekommen, als Bohngarten und Urtel gewollt hatten.
Das ist nämlich eine der unangenehmen Komplikationen von Hexen- und Zaubersprüchen, dass sie ein überaus unangenehmes Eigenleben entwickeln können, wenn sie ungenau formuliert werden, oder durch Einwirkung von Magie oder anderer äußerer Ereignisse außer Kontrolle geraten.

Ein wichtiger Grundsatz für Zauberei und Hexerei jeglicher Art ist es, immer genau zu formulieren und jede Störung auszuschalten, nur so kann ein Zauberspruch perfekt gelingen. Dies ist eine Voraussetzung die wir alle stets beherzigen sollten.

Objektiv gesehen war die Angelegenheit relativ glimpflich verlaufen, es hatte keine Verletzten gegeben, keine unumkehrbaren Verwandlungen nichts was nicht zu reparieren währe.
Das empfand allerdings Engelmann keineswegs.
Er fühlte sich angegriffen und sann auf Vergeltung.
Abgesehen von seiner würdigen Schale war der Bürgermeister ein rachsüchtiger, leicht erregbarer, ja cholerischer Mensch.
Seine Selbstbeherrschung hatte wirklich lange gehalten, aber nun war sie fort, Engelmann war zu einem wutschnaubenden, zornbebenden Wüterich geworden.

Zunächst jedoch herrschte nun Ruhe, und die war Methusalem Bohngarten heilig.
Eigentlich war er ein ziemlich fauler Patron, nur wenn ihn die Umstände zwangen, dann konnte er äußerst aktiv werden. Umständlich besah er sich sein neues Zuhause vom Keller bis zum Dachboden, fand natürlich sofort heraus, wo sich die Hausgeister aufhielten, behelligte sie jedoch vorerst nicht, da sie ihm ungefährlich erschienen.
Methusalem liebte den Frieden und respektierte auch kleine Geister und Gespenster in seiner Umgebung, wenn die ihm nicht auf die Nerven gingen. (Methusalem hatte schon selbstmörderische Gespenster erlebt, die es gewagt hatten, seine heilige Ruhe zu stören. Diese hier schienen nicht dazu zu gehören und so richtete er sich auf eine friedliche Zeit ein.)
In der Küche fand er einen großen, gemauerten Kamin, in den er seinen Kessel hängen wollte.
Oh, sein gesamtes Mobiliar, Küchengeräte, Bücher, er führte alles mit sich, geschrumpft und verkleinert passte alles in seinen Ranzen.
Natürlich behielten all die Geschrumpften Gegenstände ihr natürliche Gewicht, aber dafür hatte er einen Schwebezauber parat, der es ihm leicht machte, den nun zentnerschweren Ranzen zu tragen.
Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis er sein neues Zuhause eingerichtet hatte.
Schließlich musste er jedes Ding in das richtige Format bringen. Manche Sachen waren so winzig, dass er sich erst mit der Lupe davon überzeugen konnte, um was es sich handelte.
Am schwierigsten war es, unter den ganzen Winzigkeiten überhaupt erst die Lupe zu entdecken.
Als der Abend hereinbrach, hatte er es geschafft, setzte sich in seinen überdimensionalen Ohrensessel und träumte beim Prasseln des Kaminfeuers vor sich hin. Später am Abend beschloss er einen Rundflug zu machen und verließ das Haus in der Gestalt einer Drossel durch das rückwärtige Fenster.

Die Hexe Urtel hatte, nachdem Ruhe eingekehrt war, den Baum verlassen, eine wunderschöne Frau mit rehbraunen Augen und hervorragender Figur. (So sehen die Hexen in Bennirock nun mal aus.)
Eine Handbewegung und ein luftiges Sommerkleid umhüllte ihren Körper.
Eine Minute später stand eine winzige strohgedeckte Kate neben der Steineiche und weitere zehn Minuten später verkündete ihre lustige Stimme, dass sie am Werk war.
Sie hexte hier einwenig und auch dort um in Form zu kommen.
Den Nachmittag widmete sie dem tausendjährigen Hexenkalender, denn Urtel war eine traditionsbewusste Hexe. Die grässliche Musik hatte sie längst vergessen. Gegen Abend setzte sie sich vor ihre Kristallkugel um einwenig die nähere Zukunft zu erkunden.

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Anders Herr Engelmann. Während die Familie eifrig arbeitete um das Musikzimmer wieder in einen erträglichen Zustand zu versetzen, etwa drei bis vier Kubikmeter Exkremente mussten fortgeschafft werden, war der Bürgermeister in seinem Studierzimmer eifrig am Werk.
Es blieb ihm nichts übrig, als Zauberei einzusetzen, um das Haus vor dem Zusammenbrechen zu bewahren. Fast der gesamte innere Kern hatte mittlerweile angefangen, sich in halbflüssige, zähe Materialien zu verwandeln. Erst nachdem er mittels seiner Zauberkräfte die Statik wieder stabilisiert hatte, konnte das Aufräumen beginnen.
All das hatte seine Wut ins Unermessliche gesteigert.
Sein ehemaliges Handwerk hatte ihn gelehrt, dass es eine Menge Möglichkeiten gab, Macht und Zerstörung auszuüben.
Dabei war die musikalische Minimalzauberei das geringste Kunststück, das er verstand.
Es hatte ihn einige Zeit gekostet, dahinter zu kommen, wer für den Flurschaden in seinem Musikzimmer verantwortlich war.
Zu seiner Verwunderung fand er gleich zwei Verursacher. Es ging bereits auf den Abend zu, als er mit den Gegenmaßnahmen beginnen konnte. Eben sah er in seiner Kristallkugel das Haus, in dem sich Methusalem eingerichtet hatte. Rauch stieg aus dem Kamin auf. Also, schloss Engelmann, war der Bewohner daheim.
Was er nicht sehen konnte, war eine kleine schwarze Drossel, die auf der Rückseite des Hauses durch ein Fenster davonflog. Händereibend ging Engelmann zu seinem Materialschrank hinüber und holte einen Block Kitt heraus, den er mit Muße geschmeidig machte. Anschließend formte er ein überraschend genaues Abbild des Hauses in der Kugel. Als ihm die Plastik gelungen schien, holte er einen schwarzen Stab aus dem Schrank und beschrieb damit um die Kristallkugel, in der immer noch das Haus zu sehen war, einen Kreis. Anschließend sprach er einige Worte über dem Kitthaus, ergriff es und warf es in das prasselnde Kaminfeuer. Sekundenbruchteile später schien das ganze Innere der Kristallkugel in Flammen zu stehen.

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Methusalem Bohngarten hatte seinen abendlichen Rundflug beendet. Wie stets bevorzugte er für seine Exkursion die unauffällige Gestalt einer Drossel, in die er sich gern verwandelte um unauffällig Erkundungsflüge durchzuführen. Einige hundert Meter von seinem Haus entfernt, landete er im Wipfel einer Steineiche und wurde so unmittelbar Zeuge des Ereignisses. Von einer Sekunde zur anderen stand sein Heim in hellen Flammen und hätte er sich darinnen befunden, hätte er das mit dem Leben bezahlt.
Als er den magischen Kreis bemerkte, der um sein Haus herumführte, ging ihm ein Licht auf.
Ganz offenbar war hier ein weiterer, sehr fähiger Zauberkundiger am Werk.
Nur Glück hatte ihn davor bewahrt, gebraten zu werden. Wenige Minuten später war nichts von seinen Anwesen übrig, als ein Haufen staubfeiner Asche.
Ein wenig ratlos blickte er sich um und bemerkte die winzige Kate die unter ihm, dicht neben dem Baum stand, auf dem er sich niedergelassen hatte.
Er fand es merkwürdig, dass er dieses Gebäude vorher nicht bemerkt haben sollte, stand es doch ganz nahe neben seinem Haus.
Just im diesem Moment flog unten die Tür auf und eine schemenhafte Gestalt schoss mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf einem Besen daraus hervor.
Eine plötzliche Ahnung großer Gefahr veranlasste ihn, sich so schnell wie möglich von der Kate fortzubewegen. Voller Panik und mit aller Kraft flog er davon, schaffte es gerade so und landete abgehetzt im Geäst einer Rotbuche, während in der Ferne die Kate in einem ähnlichen Feuersturm abbrannte, dem auch sein Haus zum Opfer gefallen war.
Methusalem war noch nie in seinem Leben wütend gewesen, es sei denn, er wollte so scheinen und tat darum, als ob.
Auch heute war es nicht anders, nur ein Anflug von Ärger umwölkte seine Stirne. Offenbar handelte es sich um wirksamen Zauber und viele seiner Hilfsmittel waren mit seinem Haus verbrannt.
Nur das, was er in seinen Brustbeutel stets mit sich führte, stand ihm noch zur Verfügung. Denken wir jedoch an den Inhalt seines Ranzens, so wisse wir, dass er damit wohl auch nicht völlig hilflos sein würde.
Ein rascheln ließ ihn aufhorchen. Direkt unter ihm landete gerade Urtel die Hexe. Sie war so zornig, dass sie die Gestalt des schönen Mädchens kaum aufrecht erhalten konnte. Dauernd wechselten Farbe und Form ihres Körpers.
Methusalem hatte von Hexen gehört, doch noch nie eine gesehen.
Trotzdem war er sich völlig sicher, das war eine und sie war sauer..
Urplötzlich wandte sie den Kopf, Methusalem begegnete einem Blick unerhörter Wut und verzehrenden Hasses. Sofort erkannte er, was die Stunde geschlagen hatte, ganz offensichtlich hielt sie ihn für den Übeltäter, der ihre Kate zerstört hatte. Es war klar, was sie tun würde und Methusalem griff selbst an, um ihr zuvorzukommen. Unhörbar zischte sie einen Zauberspruch gegen ihn, im gleichen Moment, als sich sein eigener gegen sie richtete. Winzige Augenblicke zuvor hatte Engelmann die beiden Widersacher in seiner Kristallkugel geortet und einen weiteren tödlichen Bannstrahl gegen sie geschleudert. Seiner Rachsucht war noch immer nicht Genüge getan.
Damit war wohl das Schicksal von Urtel und Methusalem besiegelt. Hoben sich ihre Zauberformeln auch gegenseitig auf, so würden sie doch von Engelmanns Bannstrahl vernichtet werden. Hier aber kommt nun die vierte Kraft ins Spiel.

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Inmitten des Geschehens befand sich besagter Maulwurfshügel.
Es wohnte natürlich kein Maulwurf darin, denn wie wir wissen gab es in dieser Welt gar keine Maulwürfe.
Nein, dort lebte Furitor Nargenhans, seines Zeichens Zwerg, und wie sollte es anders sein, Zauberer.
Wie schon gesagt, Engelmann hatte mit der Wahl dieses Ortes nicht gerade das große Los gezogen.
Auch Nargenhans war ein Flüchtling, wie Engelmann, allerdings aus anderen Gründen.
Er hatte sich an diesem Ort angesiedelt, weil er durch einen übermächtigen Zauberer von seinem Besitztum, der Moorburg, vertrieben worden war.
Hier, in der Sicherheit, die ihm das Musizieren der Engelmanns bot, brütete er darüber, die Moorburg zurückzuerobern. Jede Aktivität jenseits der normalen fünf Sinne war ihm verhasst, barg sie doch die Möglichkeit in sich, sein Inkognito zu zerstören, denn sein Gegner war noch immer auf seiner Spur.
Nargenhans war allerdings ein mächtiger Flüchtling
Eine Front übersinnlicher Gewalten umtobte ihn zum wiederholten Mal, was ihn sehr verdross, und nachdem er sich über Richtung und Verursacher klar geworden war, ergriff er sofort Maßnahmen. Er konzentrierte sich, dann sandte er einen Bannspruch von gewaltiger Wirkung gegen alle drei Kontrahenten.
Herr Engelmann hatte die rechte Hand mit seinem Zauberstab erhoben, wie ein Dirigent der zu einem Tusch anhebt, als der Zauber ihn berührte. Verschiedene Zaubersprüche großer Stärke trafen aufeinander und veränderten sich in ihrer Wirkung. Wie schon erwähnt, sind Bann- und Zaubersprüche sind eine äußerst empfindliche Materie. Werden sie in ihrer Abfolge gestört, verändern sie sich oft auf völlig unvorhergesehene Weise.
Das war auch jetzt der Fall. Die Zaubersprüche von Urtel und Methusalem, der Bannstrahl von Engelmann gegen die beiden, und der Bannspruch des Zwerges verwoben sich in einander und bildeten ein Konglomerat, dass drei höchst bemerkenswerte Einzelergebnisse zeitigte.
Der Zauberstab in Engelmanns Hand wurde weich und glibberig, der Arm durch ein gewaltiges Gewicht heruntergerissen. Ein unaussprechlich schleimiges und stinkendes Lebewesen starrte ihn gierig an. Entsetzt stellte der Bürgermeister fest, dass er statt seines Zauberstabes den Schwanz dieses Ungetüms in der Hand hielt. Mit einem erstickten Aufschrei des Ekels schleuderte er ihn von sich.
Das monströse Ding richtete sich mit entzücktem Grunzen auf und begann auf ihn zuzukriechen. Das Ding war groß wie ein Schrank, hatte die Körperform einer Schnecke und keine Gliedmaßen.
Aber es besaß eine Menge Zähne in seinem überdimensionalen Rachen.
Gottlob war es langsam wie eine Schnecke, sodass der Bürgermeister sich zu Gegenmaßnahmen aufraffen konnte.
Eine Fülle von Zauberformeln fielen ihm ein, leider hatte er in der Aufregung Teile davon einfach vergessen.
Man muss auch bedenken, dass Engelmann dieses Handwerk schon lange nicht mehr ausübte.
Er geriet beinahe in Panik.
Das Ungeheuer befand sich zwischen ihm und der Tür, die eben von dem Hausmädchen geöffnet wurde.
Mit einem erschreckten Aufschrei sank sie erneut in Ohnmacht, wobei sie mit leichtem aufklatschen von hinten auf das Monstrum fiel.
Dadurch irritiert verlangsamte es seinen Vormarsch einwenig.
Eine Sekunde überlegte Engelmann grinsend, wie Martha wohl jetzt riechen mochte, dann sammelte er sich grimmig zu Gegenmaßnahmen. Der erste verunglückte Zauberspruch veranlasste das Ungetüm Blasen zu werfen, aus denen es jetzt zusätzlich noch widerlicher stank.
Engelmanns zweiter Versuch verschaffte dem Untier Stummelfüße, auf denen es sich nun schneller auf ihn zu bewegte. Der Bürgermeister sah nur einen Ausweg, er musste sich selbst in ein Ungetüm verwandeln und diesen Ekel dort qualifiziert bekämpfen.

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Ganz anders erging es Methusalem und Urtel.
Der Alte, eben noch ein leichter Vogel, verwandelte sich in ein nilpferdähnliches Geschöpf und prasselte mit beachtlichem Getöse aus der Krone des Baumes herab. Anstelle der hübschen Urtel stand da plötzlich ein unglaublich fettes Weib, und als sie einen Schritt vorwärts tun wollte, stolperte sie über ihren unförmigen Busen und fiel lang hin. Methusalem und die Hexe blickten sich verstört an.
Nargenhans erfuhr den Misserfolg seiner Aktion aus der magischen Kugel die er um den Hals trug.
Aus der Art, wie sich sein Zauberspruch verändert hatte, als seiner auf die Sprüche der Anderen traf, schloss er, dass es sich bei seinen Kontrahenten nicht um Nachwuchsmagier handeln konnte.
So beschloss er, sie alle an der alten Eiche zu versammeln, um mit ihnen zu reden. Er tippte gegen die Kugel, in der sich die drei Gestalten spiegelten, die missgestaltete Urtel, der nilpferdige Methusalem und Engelmann, der sich gerade in ein zahnbewehrtes Monster verwandelte. Furitor Nargenhans schleuderte erneut eine Zauberspruch gegen sie.

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Der Bürgermeister saß nun auf dem Fußboden.
Zwei mächtige, grünschuppige Hinterläufe stützten seinen pfannkuchenartigen Körper, der mit einer stahlharten Schuppenhaut bedeckt war.
Obenauf thronte ein gewaltiger Schädel mit einem schreckenerregenden Gebiss.
Seine Bekleidung, ein feiner Nadelstreifen-Anzug, hing in Fetzen um ihn herum.
Lediglich die Krawatte baumelte als merkwürdiges Artefakt an seinem säulenförmigen Hals. (Man merke auf: Ein Monster mit Krawatte)
Das Schleimwesen stoppte denn auch ziemlich irritiert und brach in ein blobberndes Gelächter aus, dann machte es sich auf dem Weg. Engelmann holte mit der gewaltigen, keulenförmigen Pranke aus, als er von dem erneuten Zauberspruch des Zwerges berührt wurde.
Mit dem ekeligen Ungetüm, das er eben bekämpfen wollte, ging eine sensationelle Veränderung vor. Als würde die Luft aus ihm gezogen, schrumpfte es zusammen und verschwand mit einem ärgerlichen Grunzlaut, der von einem schmatzenden Plopp begleitet wurde.
Der Bürgermeister verspürte plötzlich den dringenden, absolut zwingenden Wunsch, sich schnellstens an der alten Steineiche einzufinden.
In der Eile fielen ihm keine magischen Schutzmittel ein, ja nichteinmal ein Spruch, um sich zurückzuverwandeln.
Martha, das Hausmädchen, erwachte in dem Moment aus ihrer gnädigen Ohnmacht, als Engelmann eilig über sie hinwegstieg, da sie nochimmer in der Zimmertür lag.
Der Anblick des über ihr stehenden Monstrums raubte ihr abermals die Fassung und nachdem sie der Gestalt einige Sekunden mit wirrem Blick und offenem Mund nachgesehen hatte, fiel sie erneut in eine tiefe, schwarze Ohnmacht.

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Das Geschick von Urtel und Methusalem unterschied sich nicht wesentlich von dem Engelmanns.
Auch sie verspürten plötzlich den dringenden Wunsch, zu der alten Steineiche zurückzukehren, von der sie gerade geflohen waren. Urtel raffte ihren unmäßigen Busen zusammen und trottete los, Methusalem, immer noch als Nilpferdgeschöpf hastete keuchend hinterher.
Durch einen kleinen, gekeuchten Zauberspruch holte er einen Dudelsack aus seinem Brustbeutel hervor, den er sich über die Schulter warf. Er hätte sich jetzt von dem Zwang befreien können, doch mittlerweile war er neugierig geworden, mit wem er es wohl zu tun haben mochte.
Die alte Eiche stand, abgesehen von dem Brandfleck, der von der kleinen Kate Urtels herrührte, harmlos am Rande des kleinen Wäldchens. Ihr näherten sich auf Kollisionskurs der Zwerg Nargenhans auf seiner dressierten Reitheuschrecke "Kolibri", ein Ungeheuer mit Krawatte, hinter dem sich bekanntlich der Bürgermeister des kleinen Ortes verbarg, ein Nilpferd, das einen Dudelsack auf dem Rücken trug und eigentlich Methusalem Bohngarten war, sowie eine fette Frau, die Urtel hieß, von Beruf Hexe war, und genug damit zu tun hatte, ihren unförmigen Busen zu schleppen.

DUELL DER MAGIER

Fast gleichzeitig trafen die vier Parteien am Ort des Geschehens ein.
Urtel ließ erschöpft die Arme sinken, worauf sie, durch das befreite Gewicht gezogen, vorwärts taumelte und mit dem schnaufenden Nilpferd Methusalem zusammenstieß. Dessen Dudelsack entfuhr hierbei ein schriller Ton.
Der sollte nicht ohne Wirkung bleiben, handelte es sich doch um ein Zauberinstrument großer Wirkungskraft. Jeder Ton, den das Instrument aussandte, hatte irgendeine zauberische Wirkung.
In diesem Falle betraf sie die Reitheuschrecke Kolibri, auf der eben der Zwerg am Ort des Geschehens eintraf.
Unversehens bäumte sie sich auf und warf Nargenhans mitten im Sprung ab, sodass er recht unsanft in einer Kleeblüte landete.
Und die Ursache?
Urplötzlich, ohne Vorwarnung, war die Heuschrecke von einer Woge hoher Intelligenz überrollt worden, und sie erkannte im gleichen Augenblick, daß die Verrichtung niederer Arbeiten, zum Beispiel als Reittier zu dienen, mit ihrer Würde hinfort gänzlich unvereinbar sei. Gleichzeitig kam sie zu dem Entschluss an die Universität zu eilen, um dort verschiedene, ihrer Intelligenz angemessene Wissenschaften zu studieren. Sofort setzte sie diese Einsicht in die Tat um und machte sich, unter Zurücklassung des fluchenden Zwerges schnurstracks auf die Reise.

Leider war ihr auf ihrem Weg nur Unheil beschieden. Während der Immatrikulation wurde sie nämlich unachtsamer Weise von einem Anmeldeformular erschlagen. Ein Umstand der niemandem zu denken gab, lediglich ein ältlicher Gehilfe, der diesen Job schon seit Jahren versah, wischte mit ärgerlichem Grunzen den Unrat fort. Ein Vorgang, der uns zu denken geben sollte, was immer er uns auch bedeuten will.

Doch bleiben wir am Ort des Geschehens. Mit urweltlichem Brüllen, das sollte seinen Zorn zum Ausdruck bringen, traf nun auch Engelmann ein. Unglücklicherweise blieb er mit der Krawatte im Geäst eines kräftigen Gesträuches hängen, wonach er unsanft auf dem Bauch landete. Mehr oder weniger lädiert, prustend und schnaufend stand man sich gegenüber, während ein jeder seine Blessuren rieb.
Nargenhans der Zwerg hatte sich zu übermäßiger Größe aufgeblasen, er maß nun fast einen Meter. Den Kopf zierte eine rote, unmäßig lange Zipfelmütze, am Körper trug er einen weiten, weinroten Umhang. Riesige Füße steckten in mächtigen Galoschen, die Hände wirkten in ihrer Größe fast quadratisch. Ein mächtiger, weißer Vollbart umrahmte das Gesicht. Er ließ den Blick auf die gewaltige Knollennase, zwei flinke Äuglein und, was besonders auffiel, eine gewaltige, bläuliche Beule auf seiner Stirne frei, die von seinem Sturz herrührte, als sein Reittier ihn abwarf.
Die Blicke der Beteiligten wanderten hin und her.
Plötzlich begann Urtel zu kichern und Sekunden später wälzten sich alle vor Lachen grölend am Boden.
Wenn man sich einmal vorstellt, wie sie aussahen, ist diese Reaktion nur zu verständlich. Die nächste Viertelstunde verbrachten sie damit, sich halbwegs zu restaurieren, wozu sie sich ihrer Zauberkünste bedienten.
Nur Engelmann hatte einige Probleme.
Er war von allen am meisten irritiert und verwandelte sich versehentlich zunächst in einen Frosch, dann in einen Geier mit Affengesicht, bevor ihm die Rückverwandlung gelang. Jetzt bemerkte er, dass er außer seiner lädierten Krawatte keine Kleidung am Körper trug und fand das überaus peinlich. Nach einigen vergeblichen Versuchen saß er endlich mit den anderen in einer Runde, wobei er noch ärgerlich einige welke Blätter aus Ärmeln und Hosenbeinen schüttelte, Überreste eines missglückten Bekleidungsstückes.
Nachdem sie ihre ursprüngliche Form und ihr ehemaliges Aussehen zurückgewonnen hatten, bemühten sie sich ernsthaft, die Situation zu klären, was jedoch erst nach einer geraumen Zeit und einer Reihe von Missverständnissen gelingen wollte. Engelmann bekam einiges über seine musikalischen Familienrunden zu hören, griente aber nur in sich hinein, als man ihm vorwarf, der Grund für die zunehmende Verödung des Städtchens zu sein. Er kam gar nicht auf die Idee, von seinen musikalischen Runden zu lassen. Das jedoch verärgerte Methusalem sehr, der auf seiner Ruhe bestand. Nargenhans jedoch fand, die Musik sei für seine Sicherheit wichtig und Methusalem solle gefälligst weiterziehen, wozu der natürlich keine Lust hatte. Urtel fand die Geräuschentwicklung ebenfalls unzumutbar und schlug sich auf Methusalems Seite.
Somit standen sich plötzlich zwei Parteien gänzlich unterschiedlicher Auffassung gegenüber.
Es schien keinen Ausweg zu geben, der nächste Streit lag in der Luft.
Ein jeder hielt bereits seine Zauberutensilien in der Hand, bereit zur fürchterlichen Auseinandersetzung, als dem Zwerg die rettende Idee kam.
Beschwichtigend hob er die Hände.
"Haltet ein, keine Feindseligkeiten. Wir sollten einen Wettbewerb austragen. Wer Sieger ist, bestimmt, was geschieht. Ich denke, das wird die beste Möglichkeit sein, dass wir uns in Frieden trennen können!"
Alle Beteiligten sprachen zunächst durcheinander.
Einerseits wollte grundsätzlich niemand von den drei anderen etwas davon wissen, andererseits war die Aussicht, sich mit den Mitteln der Zauberei zu bekämpfen, von einem so überwältigenden Reiz, dass man sich doch allgemein dazu hingezogen fühlte.
Auch für Hexen und Zauberer sind solche Wettstreite sehr selten, manch ein magisch begabtes Lebewesen nimmt in seinem ganzen Leben an keiner solchen Auseinandersetzung teil. Schließlich, nach mehreren Minuten angestrengter Diskussion, entschied man sich für einen einfachen Geländelauf. Einem jeden sollte es erlaubt sein, alle nur denkbaren Tricks anzuwenden, die es den anderen erschwerten, das Ziel zu erreichen. Dabei hatte man sich natürlich selbst so schnell wie möglich zum Zielpunkt zu begeben. Der Sieger sollte über den Ausgang des Konfliktes entscheiden, entweder, dass Engelmann das Musizieren aufgab, oder aber dass Methusalem und Urtel weiterzogen. um woanders einen neuen Hausstand zu gründen. Eine Strecke von etwa fünf Kilometern war abgesteckt worden. Ziel sollte die Steilwand eines Hügels sein, der hinter einer Bodenwelle erkennbar war.

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Vor dem Beginn der Auseinandersetzung hatte man noch eine halbe Stunde Ruhe und Entspannung angesetzt.
Alle hatten sich auf die Seite begeben und meditierten um sich zu entspannen. Urtel hexte einwenig herum, um sich warm zu machen. Sie ließ kleine Wölkchen über den Himmel rasen, die sich über große Kumuluswolken hermachten und sie verspeisten. Hierdurch änderte sich ihre Konsistenz derartig, dass sie als Wasserfladen zu Boden klatschten. Nargenhans hatte eine fette Raupe gesichtet, die verzweifelt versuchte, seinem Einfluss zu entrinnen. Abwechselnd vergrößerte er sie auf die Größe eines Hundes, ließ sie fliegen, oder trieb sonst einen Schabernack mit ihr. Gerade hatte er sie zur Größe eines Schweins aufgeblasen, als Urtel, die das mit einem Seitenblick bemerkte, einen kleinen Pfeil auf die Ballonraupe abschoss. Die platzte explosionsartig und überschüttete den Zwerg mit ekligem, gelben Schleim.
Der revanchierte sich, indem er Urtel ihre feuchten Wolkenmassen um die Ohren schlug. Engelmann, der Zeuge dieser kleinen Auseinandersetzung geworden war, hielt sich vor Lachen den schmerzenden Leib.
Nur Methusalem blieb von allem ungerührt und entlockte seinem Dudelsack einige schrille Töne. Mehrere Blumen wuchsen zu riesiger Größe, ein Felsbrocken wurde lebendig und bohrte sich in den Boden, kam wieder hervor und verspeiste ein meterhohes Gänseblümchen.
Methusalem war verblüfft, hatte er den Stein belebt, oder war der vorher schon lebendig gewesen?
Noch bevor Methusalem versuchen konnte, ihn zurückzuverwandeln ertönte aus einem riesenhaften Trompetenpilz, der als Signalgeber fungierte, ein schmetternder Ton, der die Streiter zum Sammeln rief.

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Es gab natürlich keine Startlöcher. Jeder stand in mehr oder weniger gelockerter Haltung an der Startlinie und wartete auf das Signal vom Pilz.
Jetzt!
Der Trompetenpilz sandte einen so mächtigen Signalton aus, dass ihm die Lamellen aus dem Trichter flogen.
Schlagartig änderten alle Teilnehmer ihre Gestalt.
Nargenhans flitzte als kleiner Vogel los, der Bürgermeister hatte sich in ein Laufwesen mit ellenlangen Beinen verwandelt, Methusalem hatte seinen Dudelsack bestiegen, der auf vier Beinen wie ein Rennpferd dahin galoppierte.
Urtel saß auf ihrem Besen und verfolgte den Vogel.
Dessen rechtes Bein begann plötzlich zu wachsen, er bekam Übergewicht und stürzte ab. Der Besen der Hexe hüpfte jetzt in wilden Bocksprüngen und warf Urtel ab. Noch ehe sie etwas tun konnte, wirbelte sie durch die Luft und es bedurfte schon einiger Hexenkünste, dass sie sich beim Aufschlag nicht verletzte. Engelmann stolperte und klatschte in einen plötzlich entstandenen Pfuhl, eines seiner ellenlangen Beine hatte sich in einen Baum verwandelt und Wurzeln geschlagen. Methusalem hingegen steckte mit seinem Reittier unterdessen in einem klebrigen Morast fest und zauberte verzweifelt herum, um sich zu befreien. Einige Sekunden waren alle damit beschäftigt, sich zu sammeln, dann legten sie mit neuem Eifer los. Dem etwaigen Beschauer der aus einiger Entfernung auf diese Szene sehen mochte, bot sich ein apokalyptisches Bild.

Der feste Boden warf Blasen, riesige Krater entstanden aus dem Nichts, Bäume flogen durch die Luft und prügelten in der Gegend herum. Sümpfe entstanden und verschwanden wieder. Gigantische Ungetüme und ekelhafte Horrorgestalten erhoben sich und zerbarsten. Die Woge von Zerstörung schob sich auf den Hügel zu, eine kilometerbreite Schneise absoluter Verwüstung hinter sich lassend. Ein Erdbeben nach dem anderen erschütterte den Boden. Als die Woge der Vernichtung noch etwa einen Kilometer von dem Hügel entfernt war, erwachte der Dudor.

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Das Erwachen ging langsam vor sich, schließlich hatte er etliche hunderttausend Jahre lang geschlafen, genauer gesagt, seit der Erschaffung dieser Hügelkette, die sein Werk war. Der Dudor war einer der ganz wenigen "echten Alten". Seine Macht war fast unermeßlich und noch niemand hatte je erfolgreich seine Kräfte mit ihm messen können. Eine bestimmte Gestalt besaß das Wesen nicht, er erschien in der jeweiligen Form, die ihm angemessen erschien.
Augenblicklich fühlte er sich in der Gestalt eines Hügels sehr wohl.
Sein erwachender Verstand registrierte das Chaos, das sich ihm näherte. Seine verschlafenen Sinne wurden durch die erdbebenartigen Erschütterungen aufgerüttelt. Als er bemerkte, daß die Verheerung nicht natürlichen Ursprunges war, wehrte er sich schnell und entschlossen.
Als er den Schlaf endlich abgeschüttelt hatte, war die Bedrohung bereits wieder verschwunden.
Drei- vierhundert Meter von dem Hügel entfernt klaffte ein hundert Meter durchmessendes, zylindrisches Loch im Boden, einfach aus der Welt herausgestanzt.
Es herrschte wieder Ruhe. Der Dudor blinzelte müde, schloß sein eines Auge und schlief sofort wieder fest ein.
Lediglich die Schneise der Verheerung und das riesige Loch zeugten noch von den Vorfällen der jüngsten Vergangenheit.

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Was war mit den Streitern geschehen? Gerade hatte Urtel eine riesige Erd- und Gesteinsmasse auf Nargenhans geworfen, der sich als Straußenvogel aufgemacht hatte, um mit mächtigen Sätzen zu enteilen. Sie selbst hatte sich in einem Dornengestrüpp verfangen, das ihre vielen Spinnenbeine umklammert hielt. Methusalem war in eine Erdspalte gestürzt und schlängelte sich in Form einer Natter eben wieder daraus hervor. Der Bürgermeister war als Einziger zur Zeit unbehelligt geblieben. Er erkannte seine Chance und setzte zum Spurt über die letzten hundert Meter an. Niemand konnte ihn noch aufhalten.
Das Ereignis erfolgte ohne Vorwarnung.
Es gab einen schrecklichen Ruck und irgendetwas packte die vier Streiter mitsamt dem Erdboden auf dem sie standen und schleuderte sie in eine abgrundtiefe Schwärze.
Ein grauer Nebel umfing sie, den sie zerteilten, dann hüllte Schwärze sie ein, die Dunkelheit der absoluten, lichtlosen Finsternis. Der Untergrund schien sich wie rasend zu drehen. Verzweifelt klammerte sich jeder an das, was er gerade erreichen konnte. Gleichzeitig mit der Dunkelheit wurde es unmenschlich kalt. Voller Panik krochen die Vier aufeinander zu, nachdem sie sich in dem tosenden Geräuschinferno schreiend verständigt hatten.
Noch immer rotierte der Boden wie rasend. Die vier Magier hielten sich, einen Kreis bildend, bei den Händen. Die eisige Kälte kroch durch ihre Körper.
Nur wenige Minuten blieben ihnen bis zum Erfrierungstod, das wussten sie.
So sammelten sie sich zu einem Bannspruch von unglaublicher Kraft.
Entweder würde er sie retten, oder sie alle waren dem Tode geweiht.
Nachdem sie den Zauber abgesandt hatten, verloren sie das Bewusstsein in dem Wissen, alles getan zu haben, was in ihrer Kraft stand.

TALAN

Dolgon war ein Krieger Talans. Er stammte aus der mittleren Belaubung und seine Familie gehörte zu den begüterten Clans, aus denen immerwieder hervorragende Soldaten hervorgegangen waren. Da seine Familie einflußreich war, war es für sie ein Leichtes gewesen, ihn in die ruhigen Gefilde der Bodenabwehr abkommandieren zu lassen. Dolgon liebte Abenteuer und Aufregung, er hätte gerne an den Kriegen in der oberen Belaubung teilgehabt. Ihm war der Aufenthalt in der Bodenabwehr eher verhasst.
Ruhig saß er in seinem Unterstand und erwehrte sich mit einem langen Stab eines mächtigen mückenähnlichen Ungetüms, das ein Ei in seinem Unterstand ablegen wollte. Gerade zur rechten Zeit stieß er den Stab voraus und behinderte das Schwirren eines Mückenflügels. Das Insekt bekam Übergewicht und torkelte in die Tiefe, wo es sich wieder fing um zu einem erneuten Versuch anzusetzen. Hierbei hatte es ein Ei verloren, das hinunterstürzte und sofort ein Opfer der gefräßigen Wollkopfraupen wurde, die in großer Zahl dort unten lauerten.
Dolgon machte einen Strich auf seiner Holztafel. Es war die Nummer zwanzig gewesen. Die Hartnecker, wie sie die Mücken nannten, verfügten maximal über fünfundzwanzig Eier. Der Angriff würde also bald zuende sein.
Es rumpelte in Hintergrund und durch die rückwärtige, enge Tür des Unterstandes zwängte sich ein anderer Talaner herein. Er war ebenso muskulös wie Dolgon und ebenso wie bei diesem bedeckte dichtes, blondes Haar seinen Schädel.
Auffallend an ihnen waren ihre großen und ungemein kräftigen, mit Greifzehen versehenen Füße. Ansonsten waren sie völlig menschlich. Sie staken in einfachen, schmucklosen grauen Uniformen. Ihrem Alter gemäß, sie waren beide noch junge Männer, trugen sie nur wenige Rangabzeichen. Während Dolgon berichtete, was sich in der letzten Wachperiode ereignet hatte, wehrte er zum vierundzwanzigsten Male den Hartneck ab, der frustriert das Weite suchte. Der Neuankömmling hieß Tarr.
Er übernahm nun die Wache, während Dolgon sich an die Zoglam-Maschine begab um sich einen anregenden Trank zu brauen.
Ruhe herrschte im Unterstand und Tarr verschaffte sich mit einem Rundblick einen allgemeinen Überblick der Lage um die Befestigung.
Abgesehen von einigen herumwuselnden Wollkopfraupen gab es nichts, was seiner Aufmerksamkeit wert gewesen währe.
Eben setzte Dolgon den Holzbecher mit dampfendem Zoglam an die Lippen, da stürzte die Welt ein. Anders kann man das, was da geschah, nicht beschreiben.
Eine viele Tonnen schwere Masse krachte unmittelbar vor dem Unterstand auf den Boden, ohne daß man hätte sehen können, woher sie gekommen war. Ein Getöse wie von einem mittleren Weltuntergang erschütterte die Umgebung von Dolgon und Tarr. Dem Talaner entfiel der Holznapf und fluchend sprang er auf, seine verbrühten Beine reibend.
Dolgon taumelte durch den Raum und prallte schmerzhaft gegen den Rand seines Liegebrettes. Die Zoglam-Maschine polterte zu Boden und das verschüttete
Zoglam-Pulver verbreitete einen unangenehmen Geruch.
Auch Tarr war zu Boden gestürzt und rappelte sich gerade mühselig wieder auf. Draußen war nichts zu sehen. Schwere Staubschwaden wallten durch die Luft. Es stank penetrant nach Schwefel.
Die beiden Talaner umfaßten ihre Waffen um den Unterstand bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.

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Urtel, Engelmann, Methusalem und Nargenhans waren ohnmächtig. Die beißende Kälte und vor allem der Schock hatten ihnen das Bewußtsein geraubt.
Den Zauberspruch hatten sie noch absenden können, doch was würde auf sie warten, falls es gelang, aus dem eisigen Nichts zu entkommen.
Ein Rudel Wölfe mochte auf sie warten, eventuell auch ein wütendes Monster.
Sie waren in ihrer Ohnmacht wehrlos, einen Beschützer hatten sie auch nicht.
Oder gab es Jemanden, der ihnen helfen würde?
Erinnern wir uns zurück......
Die Vorbereitung zum Zauberturnier.
Nargenhans hatte Urtel die nassen Wolkenlappen aus Rache links und rechts um die Ohren gehauen.
Methusalem Bohngarten hatte mit seinem Dudelsack einige Gänseblümchen zu Baumgröße anwachsen lassen und den mannshohen Felsbrocken zum Leben erweckt, der dann wiederum einen der Gänseblümchenbäume genüßlich verspeiste. Als schließlich das Signal ertönte, war der lebendige Felsblock losgerannt, erschreckte ihn das Trompetengeräusch doch sehr. Kurz vor dem Hügel hatte er sich, da er sich im innern der Erde sicherer wähnte, eingegraben. Wie der unglaubliche Zufall es wollte, handelte es sich bei seinem Erdversteck natürlich genau um den Erdkloß, den der Dudor ins Nirgendwo schleuderte.
Nachdem das Drehen und die Erschütterungen aufgehört hatten, kroch das Felsenwesen an die Oberfläche zurück.

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Grauer, stinkender Staub umwallte alles, als das Steinwesen die Oberfläche erreichte. Mit allen seinen dreizehn Augen vorsichtig ausspähend und sichernd kroch es ganz hervor. Jeder unvoreingenommene Beobachter hätte sich vermutlich auf den Hosenboden gesetzt, ein Felsklotz mit dreizehn Augen und einem gewaltigen Rachen hätte ihm sicherlich einiges Erstaunen abgenötigt.
Das Felsentier hatte Hunger.
Das Gänseblümchen war ein delikater Happen gewesen, nur etwas bitter. Die Kreatur machte da durchaus unterschiede. Vielleicht sollte er es einmal mit etwas lebendigem, etwas tierischem versuchen. Kaum gedacht, wurde sein Hunger übermächtig. Suchend kroch es umher.
In dem Moment hob sich der Staub einwenig und er sah sie liegen, vier Wesen, die sich an ihren vorderen Gliedmaßen festhielten und einen Kreis bildeten. Witternd schob es sich näher heran. Ob diese da lebten, ob sie ihm schmecken würden? Nur der Hunger beherrschte nun sein Denken.
Plötzlich raschelte es neben ihm. Einige seiner Augen auf der rechten Körperseite nahmen eine schnelle Bewegung wahr. Eine riesige Kakerlake kroch eben über den Rand des kleinen Plateaus. Sie hatte ein mit spitzen Zähnen bewehrtes Maul und lief zielstrebig auf die Bewusstlosen zu.
Das war nun freilich zweifellos ein Lebewesen, überlegte das Felsending und stürzte sich auf die überraschte Assel.
Die Versuche sich zu wehren waren völlig wirkungslos, ihre Angriffe prallten harmlos von dem steinernen Körper ab.
Er teilte sich aus dem überdimensionalen Ungeziefer drei Portionen auf und fraß eine gleich auf.
Wie das schmeckte!
Sofort verspürte das Ding erneut Hunger und die zweite Portion war augenblicklich verschwunden. Argwöhnisch sicherte das Geschöpf nach allen Seiten, vielleicht würde Jemand versuchen, ihm die Beute abzujagen. Schnell vertilgte er nun auch noch das letzte Stück und bemerkte zufrieden, dass ihm nun niemand mehr etwas davon wegnehmen konnte. Nun fand es, dass es Zeit war, sich wieder der vier Gestalten zu widmen, die noch immer regungslos dalagen. Zufrieden rülpsend trottete es darauf zu. Ihm zunächst lag Methusalem Bohngarten. Unaufmerksam trat das Felsentier näher und berührte dabei versehentlich den Dudelsack. Der gab ein quietschendes Geräusch von sich.
Schlagartig, und wäre der lebende Felsen ein Mensch gewesen, hätte er sich darüber gewundert, war der Nebel verschwunden. Eine warme, freundliche, grünliche Atmosphäre umgab die Bewusstlosen. Der Stein besah sich die Liegenden genau. Er kannte sie, da war er sich sicher.
Jener dort, der Bärtige, der musste sein Herr sein.
Glücklich rutschte er zu ihm heran.
Etwas schlangenartiges glitt durch das Gras und griff nach seinem Herrn. Das Steinwesen schnappte danach und hielt einen grünen Tentakel im Maul. Neugierig zog er daran.
Das Ding wurde immer länger.
Das Steinwesen zog jetzt mit aller Kraft, und solche steinernen Ungetüme sind alles andere als Schwächlinge. Der Tentakel spannte sich wie eine Klavierseite. Plötzlich wölbte sich der Boden auf, ein grünes, kugeliges Ding schoss daraus hervor und knallte gegen den Stein. Der fühlte sich angegriffen und machte rasch fünf Portionen daraus.
Gerade als er die letzte Portion, wiederum nach argwöhnischem Sichern, verspeist hatte, erwachte Methusalem.

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Jeden Knochen im Leibe spürte er und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, er würde tatsächlich seinen Stock benötigen um sich aufzurichten. Wild flog sein Bart, als er den Kopf schüttelte, um den Nebel um seine Gedanken loszuwerden. Nur ganz dunkel konnte er sich an die letzten Ereignisse erinnern. Irgendjemand oder Irgendetwas hatte sie ins Nichts, ins ewige Vergessen geschleudert und es grenzte an ein Wunder, dass sie überhaupt noch am Leben waren.
Mit einem schnellen Blick überzeugte er sich davon, dass es seinen Gefährten gut ging, dann sah er sich um.
Ungläubig rieb er sich die Augen. Eine ungeheure, titanenhafte Blättermasse erstreckte sich über ihm, soweit er zu sehen vermochte. Die Krone des Baumes, und ein solcher war es, unter dem er lag, war so gewaltig, dass er den gesamten Himmel ausfüllte.
Nirgends ein Ende, nur knapp über dem Horizont konnte man einen schmalen Streifen des blauen Firmaments erkennen. Der restliche Sichtbereich war durch den Baum völlig ausgefüllt. Daher rührte das grünliche Dämmerlicht, über das er sich nicht sofort klar geworden war.
Mit einem Schlag war Methusalem glockenwach.
Hastig richtete er sich auf und prallte mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Der Anblick des maulbewehrten, vieläugigen Steines brachte ihn fast um den Verstand und es dauerte eine geraume Weile, bis er seine eigene Schöpfung wiedererkannte. Das Felsenwesen schnappte in die Luft und fing eine mindestens meterlange Mücke. Schnell machte es drei Portionen daraus und schenkte eine davon Methusalem.
Der übergab sich fast vor Ekel, als ihm das noch zuckende Mückenfragment unter die Nase gehalten wurde und schenkte es dem Steinwesen schnell wieder zurück. Das hatte in seiner Verfressenheit genau auf diese Geste sehnsüchtig gehofft, verspeiste dankbar die Portion und beschloss, dieses Menschenwesen hinfort als seinen geliebten Herrn anzuerkennen. "Wir werden dich Pluto nennen", brummte Methusalem, während er sich um die drei anderen Freunde kümmerte. Pluto war es zufrieden.
Ununterbrochen wurden sie nun von mehr und mehr Insekten angegriffen. Die Tiere hatten enorme Ausmaße und voller Erregung bemerkte Engelmann, der mittlerweile, wie auch die Anderen, wieder bei Bewusstsein war, eine drei Meter lange Libelle. Die Angreifer wurden immer mehr und die Situation wurde langsam schwierig.
Auch Pluto hatte mittlerweile Mühe, alle Angreifer von seinen Freunden fernzuhalten. Da er nun keinen Hunger mehr hatte, teilte er seine Beute in mehr und mehr Portionen auf und nahm nur noch gelegentlich ein Häppchen zu sich.
So zerteilte er zum Beispiel die nächste Assel in 27 Portionen, von denen er zwanzig an seine Freunde verschenkte. Angewidert warfen sie die Ungezieferfragmente von sich, während Pluto plötzlich die Freude des Apportierens für sich entdeckte und den Ekel ständig wieder anschleppte. Schließlich wurde es der Hexe zuviel. Ein Zauberspruch und der Unrat lag auf einem Haufen.
Ein weiterer Zauberspruch! Feuer!
Nur wenn man den Dreck verbrannte, konnte man ihn endgültig beseitigen. Also: "Flamme, flamme!"
Aber nichts flammte!
Urtel versuchte es abermals, wieder ohne Erfolg.
Nun probierten es auch die Anderen, schließlich galt die Entzündung von Feuer als eine leichte Übung.
Auch ihnen war kein Erfolg beschieden.
Engelmann zauberte eine Schachtel Zündhölzer herbei, doch auch sie funktionierten nicht.
"Ergo.....", brummte Methusalem in seinen Bart, "wo immer wir auch sein mögen, auf einer anderen Welt, in einer anderen Zeit oder wo und wann auch sonst, ein popeliger Verbrennungsvorgang funktioniert hier nicht!"

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Dolgon und Tarr starrten hinaus.
Sie konnten einfach nicht glauben, was sie sahen.
Vier Gestalten waren auf einem überdimensionalen Erdkloß direkt am Fuße Talans gelandet.
Ein riesiger Stein hüpfte darauf herum und tötete die Massen der angreifenden Ungeziefer.
Er hielt alle Viecher von den Menschen fern. Erstaunt bemerkte Dolgon, dass dieses Monstrum das Ungeziefer verspeiste. Von Ekel geschüttelt richtete der Krieger sich auf. Eine schlimme Unterlassungssünde hatte er begangen.
Das Oberkommando musste dringend benachrichtigt werden.
Er riss das Talanofon von der Gabel und schaltete sich in den allgemeinen Gesprächssalat ein.
Das Prioritätszeichen verschaffte ihm augenblicklich einen freien Kanal zum Oberkommando. Dolgon berichtete in knappen Worten über die zurückliegenden Ereignisse.
Ein ärgerliches Schnauben drang aus der Hörmuschel. "Sie haben wohl zu viel Edel-Zbick gesoffen!"
Der Krieger hatte erhebliche Mühe, den General zu überzeugen.
"Ich komme selbst", schnaufte der schließlich, "und wehe ihnen, es ist eine Ente!"
Der General, der sich in der oberen Belaubung aufhielt, schwang sich in die enge Talan-Expreßkabine, die mit enormer Geschwindigkeit abwärts schoss.
Kaum eine halbe Stunde später befand sich General Altan der Jüngere bei Dolgon und Tarr im Unterstand. Gut konnte er die vier menschlichen Gestalten erkennen, die sich, gefolgt von dem lebendigen, ewig herumspringenden und Ungeziefer vertilgenden Felsen in Richtung auf Talan in Bewegung gesetzt hatten.
General Altan gab Stamm-Alarm.

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Die vier Gefährten und das Tier machten sich auf den Weg zum Stamm. Er war ohnehin die einzige Landmarke, die in der herrschenden, grünen Dämmerung erkennbar war.
Allein der Stammdurchmesser betrug sicherlich viele hundert Meter. Die Borke hatte eine grob zerklüftete Beschaffenheit und war von grauer Farbe. Genaueres konnte man bei der gewaltigen, hochragenden Masse nicht erkennen.
Erst als sie näher herankamen, schälten sich die Einzelheiten heraus.
In die Baumrinde waren Treppen hineingearbeitet, Strickleitern hingen hier und dort herab, große Erker mit schießschartenähnlichen Fenstern konnte man erkennen.
Einige von diesen Erkern wirkten wie komplette Festungen.
Aber obwohl alles einen intakten Eindruck machte, ließ sich Niemand blicken.
Unverdrossen marschierten die Vier mit ihrem Pluto weiter.

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Seitlich an ihrem Wege klaffte ein großes Loch im Boden, aus dem nun ein bösartiges Zischen erfolgte. Ein vier Meter langer Salamander schob sich über den Rand und sah sie aus wütend funkelnden Augen böse an. Pluto, immer noch mit seinem Beschützerinstinkt versehen, baute sich vor der Echse auf. In diese Rolle hatte er sich mittlerweile gut hineingefunden. Das Echsenwesen war geringfügig irritiert.
Es verhielt und starrte Pluto mit boshaften Augen an. Die gespaltene Zunge züngelte unablässig hin und her.
Pluto erschien ihm uninteressant.
Mit einem Satz sprang die Echse los und warf dabei das Steinwesen zur Seite. Pluto fing sich jedoch sofort wieder und packte das Monstrum beim Schwanz und hielt es fest.
Sogleich teilte er sich eine Portion ab, die er erst einmal zur Seite legte. Der Salamander wurde fast verrückt vor Schmerz und Wut.
Vehement sprang er Pluto an.
Der kostete den Kopf und der Kampf war vorbei.
Von nun an, so entschloss er sich, sollte Riesensalamander sein Lieblingsgericht sein.
Von vorne näherte sich eine neue Gefahr. Ein Rudel von mindestens hundert haarköpfigen Raupen näherte sich ihnen überraschend schnell. Das Ungeziefer hatte eine braungrüne Farbe und raupten auf kurzen Gehwarzen daher.
Trotzdem bewegten sie sich behände und fix.
Der Kopf dieser Raupen war unverhältnismäßig groß. sein gesamter Umfang war mit einem dichten, langhaarigen Fell bedeckt, das sehr an Schafwolle erinnerte.
Der Körper, der ledrig glatt und völlig haarlos war, stand dazu in auffallendem Kontrast.
Dass die Dinger gefährlich waren, bewiesen die mit rasiermesserscharfen Zähnen ausgestatteten Rachen der Tiere. In Anbetracht der Menge der Angreifer wäre wohl auch Pluto machtlos gewesen, doch der war ohnehin damit beschäftigt, sich den Wanst mit Salamander vollzuschlagen.
Nargenhans blies die Raupen mit dem bewährten Zauberspruch auf und ließ sie alle platzen. Es gab jedes Mal ein dumpfes Geräusch, das sich wie ein hohles Plopp anhörte.
Nach dieser Ablenkung gingen sie zügig weiter.
Pluto war etwas muffelig, weil er keine Raupe zum Kosten abbekommen hatte. Durch angreifende Mücken, Zecken, Asseln und Spinnen, die auch in reichlicher Zahl vorhanden waren, bewegten sie sich auf den Stamm des Baumgiganten zu. Eine Unmenge toten Ungeziefers blieb hinter ihnen zurück.
Schließlich erreichten sie den Fuß des Baumes. Einer der großen Erker befand sich etwa in Mannshöhe. Nirgends war ein Eingang oder Aufstieg zu entdecken. Die Baumrinde war hier unten zweifellos künstlich geglättet worden, jede Unebenheit war sorgfältig mit Werkzeugen entfernt worden. Zum Aufstieg blieb offensichtlich nur der Erker. Nargenhans stieg auf die Schultern des Bürgermeisters und steckte den Kopf in eine der Schießscharten. Ein Schrei und er plumpste von Engelmanns Schulter herab. Schimpfend hielt er sich das Gesicht mit beiden Händen. Irgendjemand oder Irgendetwas hatte ihm von innen mit einem harten Gegenstand auf die Nase geschlagen. Die schwoll auch sofort kirschrot und zu enormer Größe an.
"Ist das eine Art, jemanden zu begrüßen", keifte er.
Der Zwerg schäumte vor Zorn. Methusalem schwang den Dudelsack von seiner Schulter und spielte eine kleine Weise. Der Erfolg war beachtlich.
In dem Unterstand öffnete sich mit vernehmlichem Klicken eine Tür, die vorher nicht vorhanden gewesen war. Aus der Öffnung kollerten sichtlich überrascht drei Gestalten.
Nargenhans, nun zu imposanter Größe gewachsen, schnappte sich den, der immer noch die Schöpfkelle in der Hand hielt, entriss ihm das Gerät und drosch es dem Verblüfften ebenfalls auf die Nase.
Mühselig rappelte sich General Altan auf.
Nach der Erkenntnis, dass die fettesten Leute meist auch die dicksten Posten bekleiden, jedoch auch aufgrund der vielen Orden, die seine Brust schmückten, sprach Urtel ihn an.
"Wir entbieten euch freundliche Grüße. Wir sind Reisende und hier draußen ist es nicht gerade sehr angenehm.
Warum also, lasst ihr uns nicht ein, da wir doch der Hilfe bedürfen? Kennt ihr keine Gastfreundschaft?"
Verzweifelt bemühte sich der General, etwas von seiner verlorenen Würde zurückzuerlangen. Umständlich klopfte er den Staub von seiner Uniform und ordnete die Phalanx von Orden auf seiner Brust, die doch ziemlich in Unordnung geraten war.
„Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihr irgendwelche Hilfe benötigt hättet.
Das Ungeziefer hingegen schon eher.“
Gerade wollte er seine Rede fortsetzen, da lag er bereits wieder im Unrat. Zweifellos hatte Pluto den General vor der angreifenden Assel gerettet, doch war er dabei dem Mann auf den rechten Fuß gestiegen. Die Talaner gingen aufgrund ihrer enormen Greiffüße barfuß. Deshalb konnte man die schnelle Veränderung des großen Zehs des Generals gut verfolgen, der innerhalb weniger Sekunden das Aussehen einer überreifen Tomate annahm. Ein Gurgeln von Schmerz und Zorn entfuhr dem Kriegsmann, während Pluto ihm versöhnlich ein Stück Assel reichte. Vor Ekel würgend und auf einem Bein hüpfend rettete sich der General in den Unterstand. Dolgon und Tarr schwankten zwischen Lachen und Entsetzen, war der General doch ein gefürchteter Vorgesetzter.
Pluto aß seine Portion selbst.
Aus dem Dunkel des Unterstandes erscholl ein scharfer Befehl.
Im Nu waren sie von zwanzig Kriegern umstellt, deren angelegte Armbrüste eine deutliche Sprache redeten.

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Die erste Reaktion war, die Krieger mit einigen Zauberformeln durcheinander zu wirbeln, doch nach einem kurzen Blick des Einverständnisses ließen sie es sein.
Schließlich waren sie in Frieden gekommen und nicht, um den riesigen Baum, der diesen Menschen offenbar Lebensraum bot, zu erobern.
Da sie außer ihren Kleidern nichts bei sich trugen, gab es auch nichts zu entwaffnen, was den General sichtlich in Verlegenheit brachte.
Der Zeh war mittlerweile zur Größe einer Kartoffel angeschwollen.
Nun, da die Situation bereinigt schien, war für den General der Moment gekommen, eine Rede zu halten. Bei dem Bemühen, sich abermals in Positur zu stellen traf ihn ein weiteres Missgeschick. Er trat mit dem unverletzten Fuß auf einen Dorn, der sich tief in die Sohle bohrte. Urtel, die maßgeblichen Anteil an der Entwicklung hatte, lächelte hintergründig, ihr waren Ansprachen verhasst.
Davon war nun auch keine Rede mehr. Fußwund und hinkend schleppte sich Altan, gestützt von zwei Kriegern, wieder in den Unterstand hinein, den er eben erst verlassen hatte. Die Gefährten wurden wortlos abgeführt.
Mit einem dumpfen Laut schloss sich die Tür hinter ihnen.

DAS TALANER-THING

Ein düsteres Dämmerlicht herrschte in den Höhlen und Gängen des Baumes, durch die sie geführt wurden.
Geschäftig eilten Talaner hin und her.
Tausende mussten es sein, überlegte Engelmann, die in diesem Baum lebten. Ein Gewirr von Gängen und Kavernen durchzog die Baumrinde, in denen sich der Unkundige unbedingt verirren musste.
Nach mehreren Minuten angestrengten Fußmarsches gelangten sie an einen geräumigen Lift.
Hier trafen sie den General wieder, der mittlerweile auf einer Sänfte lag, die von mehreren Männern getragen wurde.
Tarr war durch den Schlag mit der Schöpfkelle noch ziemlich lädiert, aber Nargenhans hatte sich mit einem Zaubersprüchlein selbst kuriert.
Mit dem lebenden Stein gab es Probleme. Er passte einfach nicht durch normale Türfüllungen. Die Folge war, dass er sie kostete und damit entsprechend erweiterte. Sehr zum Unmut der Talaner.
Der Versuch, ihn zurückzulassen, kostete mehrere dicke Bohlentüren, Türblätter und Rahmen.
Folglich nahm man lieber Umwege in Kauf und benutzte Laderampen und Lastenfahrstühle.
Deshalb wartete der General in seiner Sänfte auch bereits in der Kabine des Lifts.
Die Kabine des Lifts ruckte an und mit steigender Geschwindigkeit ging es aufwärts.
Noch immer war kein Wort gesprochen worden, außer der Ansprache Urtels.
Die Fahrt dauerte fast zwanzig Minuten, dann hielt die Kabine mit einem sanften Ruck.
Ein langer, halbdunkler Raum tat sich vor ihnen auf.
Rechts und links zweigten kleine Zimmer ab die stark an Haftzellen erinnerten.
Jeder wurde in einen Raum gesteckt.
Pluto blieb bei Methusalem.
Zwar hatten die Talaner versucht, die beiden zu trennen, doch bezahlten sie diesen Versuch mit Beulen und blauen Flecken.
Schließlich gaben sie es auf.
Alle bis auf Pluto fanden bequeme Betten vor, und nach den überstandenen Anstrengungen fielen alle, kaum dass sie sich niedergelegt hatten, in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung.

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Meistens bewegte es sich kaum, seine dreizehn Augen waren jedoch stets offen und sahen alles.
Stunden vergingen, Pluto bekam wieder Hunger. Unter der Decke der kleinen Stube surrte eine große Mücke.
Kein Untier, wie die draußen, nur etwa drei Zentimeter lang.
Trotzdem weckte sie Plutos Jagdinteresse.
Völlig unbeweglich hockte das Steintier auf dem Boden.
Die großen, blauen Augen verfolgten die Mücke bei jeder Bewegung.
Pluto war sehr geduldig.
Das Ungeziefer machte nun Anstalten, sich auf dem Herrn niederzulassen um sich an ihm zu laben.
Pluto war das ein Gräuel.
Mit einem Grunzlaut sprang er hoch und packte das Insekt.
Nun kann man Plutos Sprünge nicht gerade anmutig oder elegant nennen. Mit der Grazie eines halbvollen Kohlensackes sprang er hoch und knallte auch ebenso wuchtig auf den Boden zurück.
Mit der einen Seite landete er auf Methusalems Dudelsack, der ein quäkendes Geräusch von sich gab, mit der anderen brach er mit Donnergetöse durch den Fußboden, der natürlich auf nichts weniger ausgerichtet war, als auf vollgefressene, tonnenschwere Steinmonster. Trotz aller Mühen und vergeblicher Gegenwehr krachte er in das darunter liegende Stockwerk.
Das Quietschen des Dudelsackes, begleitet von dem berstenden Donnergepolter weckte Methusalem ziemlich unsanft.
Es war tatsächlich ein äußerst unangenehmes Erwachen, denn bei dem Versuch sich zu orientieren, in dem Raum war es stockdunkel, stürzte er hinter Pluto her in das Loch, wobei er sich schauderhaft weh tat.
Hier unten war es nicht ganz so finster. Ein dämmeriges Licht erfüllte den Raum, ohne dass Methusalem sich über den Ursprung klar werden konnte.
Das Felsentier saß vor einem Regal, in dem offensichtlich Nahrungsmittel gelagert waren und stopfte Unmengen davon in sich hinein.
Sicherlich war das hier ein Nahrungsspeicher, dennoch wirkten diese Speisen auf Methusalem eher unappetitlich, ja sogar ekelig. Trotzdem war er sich sicher, dass es sich um Esswaren handelte.
In diesem Moment bemerkte Pluto ihn und drückte ihm etwas von der widerlichen Paste ins Gesicht und in den Mund, die hier in den Regalen lagerte.
Der Alte übergab sich fast.
Der Geschmack, dieser Geruch, es war kaum auszuhalten.
Die Substanz hatte war von klebriger, schmieriger Konsistenz und für den menschlichen Verzehr völlig ungeeignet.
Verzweifelt und vergeblich bemühte sich Methusalem, das Zeug aus seinem Bart zu entfernen, der sich in einen matschigen Strunk verwandelt hatte.
Das war die Höhe!
Nichts konnte Methusalem mehr verdrießen, als wenn seinem Bart Gewalt angetan wurde.
Erst als er merkte, dass seine Zauberformeln wirkungslos blieben, raffte er sich zusammen, ließ alle Verwünschungen und Flüche aus seinen Sprüchen heraus und im Nu normalisierte sich der Zustand seines Bartes. Inzwischen wurde es auf den Gängen laut. Natürlich war der Krach, den sie verursacht hatten, nicht unbemerkt geblieben.
Auch der Quäkton des Dudelsackes hatte mit seiner magischen Wirkung erheblich zu der fürchterlichen Verwirrung beigetragen, die mittlerweile fast ganz Talan erfasst hatte.
Eine ganze Lawine von Flöhen, Läusen und Wanzen wälzte sich durch die Gänge von Talan und die ersten Krieger auf dem Wege zu den Zellen wurden von dem Ungeziefer fast aufgefressen.
Noch nie hatte es auf dem Riesenbaum derartiges gegeben.
In völliger Verwirrung, doch überaus zornig, stürmten die Soldaten in die Zelle von Methusalem, um dann sofort, völlig überrascht, durch das Loch im Boden zu stürzen.
Sie brachten eine Menge Ungeziefer mit, das sich sofort eifrig über Methusalems Bart hermachte.
„Der Bart, schon wieder der Bart!“
Dem Alten war es, als verlöre er den Verstand.
Vor Zorn waren ihm alle gängigen Zaubersprüche entfallen.
Wie wild raufte er seinen Bart und sah kurze Zeit später aus, wie ein räudiger Köter.
Die Talaner ergriffen ihn an Armen und Beinen und schleppten ihn hinaus.
Pluto folgte von selbst, wobei er einen Türrahmen herausriss und verspeiste.
Methusalem bemühte sich redlich, das Ungeziefer wieder zum Verschwinden zu bringen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen wurde ihm klar, dass er dazu seinen Dudelsack benötigte und der lag in seiner Zelle.
Er versuchte Pluto danach zu schicken.
"Das Steintier war jedoch zu dämlich, ihn zu begreifen und beäugte ihn nur verliebt.
Schließlich machte es den Versuch, an Methusalem hochzuspringen.
Die Talaner trugen Methusalem weiter.
Der Alte war bewusstlos.
Einige blaue Beulen und Quetschungen verunzierten nach dieser Attacke von Pluto seinen Körper.
Das Steintier trottete grämlich und schuldbewusst hinter dem Trupp her.

*******************

Die Verhandlung fand in einem langgestreckten Saal statt.
In seiner Mitte erhob sich ein großer Zylinder, der bis zur Decke reichte. Er maß etwa einen Meter im Durchmesser und strahlte in so hellem Licht, dass er den Saal gut ausleuchtete.
Die Halle selbst, das bemerkte Urtel trotz allen Zierrates an den Wänden, war mit Werkzeugen aus der Rinde des Baumes herausgearbeitet worden. Da es sich offenbar mit dem gesamten Reich der Talaner so verhielt, war das eine beachtliche Leistung.
Was ihr allerdings auch in den Sinn kam, war der Vergleich mit Schmarotzern, Rinden-Bohrwürmern, wie es sie auch in Bennirock gab. Am Ende des großen Raumes befanden sich fünf Sessel, in denen vornehme Talaner Platz genommen hatten.
Ihnen gegenüber standen einige Bänke, auf die man die Gefährten befahl. Methusalem war immer noch angeschlagen, doch sein Blick klärte sich bereits wieder.
Fünfzig talanische Elitekrieger standen mit angelegten Armbrüsten um sie herum.
Ein leiser Gong ertönte und Stille senkte sich über die Versammlung.
Einer der vornehmen Talaner, er war mit einer flammendroten Robe bekleidet, ergriff das Wort, indem er aufstand, wobei er eine beachtliche Fettmasse hochzuwuchten hatte.
"Fremdlinge!
Ich bin Truan, der Fürst dieses kleinen Reiches der Talaner. Ihr seid in unsere Interessenssphäre eingedrungen, indem ihr euch ganz unbeschreiblich aufgeführt habt. Ein großer, materieller Schaden ist uns entstanden, ganz zu schweigen von den Demütigungen, denen Krieger und Offiziere durch euch ausgesetzt waren.
Ihr habt Altan den Jüngeren, unseren General, verletzt und verspottet, ihr habt den Krieger Tarr verwundet. Ein großer Teil unserer Nahrungsmittel wurde durch dieses Monster vernichtet. In unserem Lebensbereich habt ihr schlimme Verwüstungen angerichtet. Ungeziefer tobt durch die Gänge, Schmarotzer, die wir bisher nicht kannten.
Bisher hatten wir mit euch Geduld. Wir haben euch nicht unfreundlich behandelt. Allerdings mussten wir euch überprüfen, da ihr aus der lebensfeindlichen Außenwelt kamt, aus der seit mehr als achthundert Jahren niemand mehr zu uns gelangte. Ihr hättet eine neue bösartige Spielart unserer feindlichen Umwelt sein können.
Wir hatten vor, euch als Freunde in unserer Mitte aufzunehmen, doch jetzt müssen wir um eine Erklärung ersuchen, eine ausreichende Erklärung, sonst sind wir gezwungen, euch unserer Gerichtsbarkeit zu übergeben.

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Engelmann war es, der sich berufen fühlte, ihre Verteidigung zu übernehmen. Kurz schilderte er die Situation, in der sie sich seit Ihrer Ankunft befanden, ohne näher auf ihrer Herkunft und die Gründe ihrer Anwesenheit einzugehen. Der Bürgermeister, der einen ernsten und würdigen Eindruck machte, erzielte sichtlich Wirkung, als er mit den Worten schloss: "Seht, wir sind Fremde und mit euren Sitten und Gebräuchen nicht vertraut. Ein Ungemach hat uns hierher verschlagen. Seitdem sind viele dumme Dinge geschehen, die wir nicht verursachen wollten.
Wir werden uns bemühen, den Schaden zu ersetzen, oder dafür Dienste zu leisten. Wenn ihr uns erklärt, wie wir uns zu bewegen haben, werden wir uns in Zukunft daran halten."


DER BAUM

Die Würdenträger unterhielten sich leise. Bevor sie jedoch zu einer Entscheidung gelangten, passierte etwas dramatisches. Der Zylinder, der den Raum erhellte, begann rhythmisch zu flackern. Zur gleichen Zeit ertönte ein nervtötendes Pfeifen. Die Würdenträger sprangen auf und entwickelten eine hektische Betriebsamkeit.
Das Eingangsportal sprang auf, ein Melder salutierte vor dem Fürsten und sprudelte eine Meldung hervor, von der die Gefährten nur so viel verstanden, dass der Baum angegriffen wurde.
Trotz aller Aufregung verlief alles in geordneten Bahnen.
Ein rasches Kommen und Gehen herrschte, überall eifrige Betriebsamkeit, doch keine Panik. Anweisungen wurden gegeben, die Krieger, auch ihre Bewachung, rückten ab.
Ein anderer Würdenträger wandte sich mit einem Befehl an Dolgon, der zu ihnen herüberkam. Mit einer entschuldigenden Geste wandte er sich an die Vier, die fast vergessen auf ihren Bänken hockten und bat sie, ihm zu folgen. Sie passierten wieder einige Gänge und wurden dann in ein freundliches Quartier geführt. Nachdem Dolgon einige Worte mit einem Krieger gewechselt hatte, wurde Essen aufgetragen. Die Kameraden verspürten längst einen nagenden Hunger. Jeder erhielt eine Schüssel mit vier dampfenden Näpfen, die darin eingelassen waren.
In jedem dieser Näpfe befand sich, Methusalem schauderte zurück, jener unappetitliche Brei aus der Speisekammer, in die er mit Pluto gestürzt war. Die drei Anderen kosteten ganz unbefangen von der Masse und der Alte bemerkte verwundert, dass es ihnen offenbar schmeckte.
Neugierig kostete nun auch Methusalem und war verblüfft.
Der Geschmack hatte sich völlig verändert. Ein feiner Duft von Fichtennadeln hing in der Luft über der Schüssel. Die Masse in der ersten Schale schmeckte süßlich, die in der zweiten leicht herb. Die Dritte enthielt einen säuerlich erfrischenden Brei, die Paste in der vierten Schale schien leicht gesalzen. Mischte man die einzelnen Substanzen, erhielt man ein sehr schmackhaftes Mahl, das offenbar auch sehr gehaltvoll war. Lediglich die Esswerkzeuge waren einwenig ungewohnt und machten ziemlich viel Mühe. Doch bald beherrschten sie auch deren Handhabung.
Nach kurzer Zeit waren alle gesättigt und setzten sich zu Dolgon, der bereits eher fertig geworden war, um einen großen, runden Tisch. Während das Geschirr abgeräumt wurde, die Teller und auch das Essbesteck bestanden, wie die Gefährten bemerkten, aus Holz.
Dolgon der Krieger forderte sie auf, sich um den Tisch zu gruppieren. Dann gab er einen groben Abriss der talanischen Geschichte.

Dolgon erklärt

"Vor langer Zeit lebten die Menschen auf dem Erdboden.
Sie bestellten Felder, hielten Tiere und erfreuten sich an der blühenden Natur. Es war eine schöne und grüne Welt, voller Blumen, Gräser, Bäume und was es sonst an Vegetation gab. Auch Tiere gab es in Hülle und Fülle.
Doch die Menschen dieser Zeit waren Perfektionisten.
Ihr Streben ging dahin, den Menschen so viel Annehmlichkeiten wie möglich zu schaffen. Sie veränderten die Natur zu ihrem Vorteil, rotteten Unkräuter und viele Insekten aus. Sie bestellten den Boden und düngten ihn immer stärker um mit geringem Aufwand so viel wie möglich zu ernten. Lange Zeit taten sie das.
Sie holzten Wälder ab, bauten aus dem Holz Häuser. Die Wege wurden befestigt, damit man möglichst erschütterungsfrei fahren konnte.
Kurz, man tat alles, die Natur zu knechten und zu zerstören.
Lange Zeit ging das gut.
Plötzlich jedoch trat eine Wende ein.
Die Pflanzen begannen zu sterben, Tiere verendeten ohne ersichtlichen Grund. Das geschah zur gleichen Zeit und überall. Fieberhaft begann man zu forschen, neue Pflanzen und Tierarten zu schaffen, die in der zerstörten Umwelt überleben konnten. Das war jedoch wiederum ein Fehler.
Statt die Welt wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, versuchte man, sie noch weiter zu verändern.
Einige Experimente gelangen, die Juniebäume entstanden auf diese Weise. Andere Versuche schlugen fehl. Es entstanden riesige Insekten und anderes Ungeziefer von unglaublicher Größe. Große, kaltblütige Echsen wurden erschaffen.
Diese Tiere wüteten unter den Menschen verheerend und rotteten sie fast aus.
Die wenigen Überlebenden scharten sich um die zwölf Juniebäume, die inzwischen zu stattlicher Größe herangewachsen waren und begannen auf ihnen zu leben.
Mit Werkzeugen wurden ganze Höhlensysteme in die dicke Baumrinde getrieben.
Zunächst waren es nur Zufluchten, später wurde dies unsere Welt. Wir achteten peinlich darauf, den Baum nicht zu schädigen. Nur so konnten wir unseren Lebensraum erhalten. Diese Welt konnten wir leicht verteidigen, da wir uns in der Abwehr des Ungeziefers mehr und mehr vervollkommnen.
Soweit die Überlieferung.
Schließlich gab es nur noch wenige Dinge, die den Menschen auf und in den Juniebäumen gefährlich werden konnten. Im Laub, woher auch immer sie kommen, tauchen von Zeit zu Zeit ganze Invasionstruppen von mörderischen Schnecken auf, die wir Todesschnecken nennen. Solche Invasionen kosten stets viele Opfer. Dann gibt es noch die heimlichen Mörderbohnen, die zwar einzeln auftreten, jedoch ebenfalls sehr gefährlich sind.
Zu der letzten, schlimmsten Gefahr komme ich etwas später.
Die Menschen hatten also wieder eine halbwegs sichere Heimstatt, die ihnen Nahrung und Schutz versprach. Die Juniebäume standen in regem Kontakt. Wenn auch nur selten Karawanen zwischen ihnen verkehrten, die Wege waren weit und gefährlich, so verständigte man sich doch mit Lichtsignalen von Baumkrone zu Baumkrone. Da plötzlich riss der Kontakt zu einigen Juniebäumen ab. Ganz unvermittelt, innerhalb weniger Wochen gingen die Juniebäume ein.
Baum um Baum starb.
Damals wuchs ein Knabe heran, der aus einer Sippe mit großen magischen Fähigkeiten hervorgegangen war. Von seinem Vater und Großvater hatte er das Wissen von Druidengenerationen übernommen. Er vermochte, das Wissen zu sammeln und zu verwerten. So wurde er zum vollkommensten Magier aller Zeiten.
Sein Name war Fartan.
Unter Zuhilfenahme seiner Fähigkeiten erkannte er, dass das Sterben der Bäume auf das Wirken von wühlenden Nagern gewaltiger Größe zurückzuführen war.
Das war die dritte, große Gefahr für die Menschen. Ihr müsst wissen, dass sich die Wasser der Welt sehr weit in die Tiefe zurückgezogen haben und nur die Wurzeln der Juniebäume vermögen noch, sie zu erreichen.
Um den gewaltigen Baum zu ernähren, fließen ungeheure Saftströme durch diese Wurzeln.
Wird ein bestimmter Anteil der Wurzeln zerbissen, dann stirbt der Baum innerhalb sehr kurzer Zeit ab. Unser Zauberer kämpfte gegen diese schlimmen Feinde, doch merkwürdiger Weise widerstanden die Wühler allen magischen Angriffen Fartans.
Er stellte fest, dass sie durch einen fast unzerstörbaren Zauber geschützt waren, den selbst er nicht zu durchdringen vermochte.
Also gab es nur eine Alternative, den Baum zu schützen.
Fartan errichtete um Talan einen magischen Schild, der die Wühler am Vordringen hinderte. Bis heute, viele Jahrhunderte nach Fartans Tod, hat der Schild gehalten. Die Zivilisation auf dem vielleicht letzten, lebenden Juniebaum nahm einen ungestörten Verlauf.
Die Menschen entwickelten sich wieder zu einiger Größe.
Trotzdem ist das Ende in Sicht, der Tag an dem es auch mit Talan vorbei sein wird.
Fartan, der Zauberer ist sei langer Zeit tot.
Nachkommen, die es ihm gleichtun konnten, gab und gibt es nicht.
Wir haben zwar auch einen Druiden, doch dessen Fähigkeiten reichen lange nicht an das Können von Fartan heran, obwohl er sein Bestes gibt.
Seit einigen Jahrzehnten können wir beobachten, dass sich die Wühler immer näher an Talan heran arbeiten.
Offensichtlich wird der Schildwall schwächer und wird irgendwann zusammenbrechen.
Aber selbst wenn das nicht passiert, ist das Ende vorgezeichnet. Talan ist ein sehr alter Baum, der irgendwann eingehen wird.
Dieser Tag ist auch nur noch wenige Generationen entfernt.
Talans Früchte, die auf den Boden fallen, können keinen neuen Baum hervorbringen, denn erstens werden sie sofort von dem Ungeziefer vertilgt und zweitens hätten sie unter dem Baum auch nicht genug Licht sich zu entwickeln.
Man müsste eine Frucht unter dem Baum hervorschaffen und so gegen alle verfressenen Untiere schützen, dass sie sich entwickeln kann, bevor Talan stirbt.
Einige Versuche in dieser Richtung kosteten einen hohen Preis und waren erfolglos.
Insgesamt büßten bei den drei vorausgegangenen Versuchen mehr als siebentausend Soldaten ihr Leben ein.
So wie es jetzt aussieht, haben wir keine Wahl, als auf das Ende zu warten, das in wenigen Generationen eintreten wird."
Dolgon hatte geendet und die Gefährten hingen ihren Gedanken nach. "Was heißt Junie", fragte Nargenhans.
Dolgon hob verblüfft die Augenbrauen. "Ihr müsst von weit herkommen, wenn ihr das nicht wisst.
Wir haben zwei Jahreszeiten, Artor und Junie.
Während des Artor schläft der Baum.
Es wird kalt und wir ziehen uns tief in unsere Höhlen und Gänge zurück. Viele von uns sterben in dieser Zeit.
Manche fallen der Kälte zum Opfer, manche dem Hunger, wenn unsere Vorräte nicht ausreichen.
Im Junie werden die Blätter, die sich im Artor braun verfärbt haben, wieder grün. Der Baum treibt Blüten, die durch den Wind bestäubt werden.
Von den Früchten, die daraus entstehen, leben wir. Das Ernten ist ein mühseliges und gefährliches Geschäft, da es freischwebend vonstatten geht.
Das Mark wird aus den Kernen der großen Nüsse geholt und in Vorratskammern bis zum Verbrauch gelagert. Die Nüsse sind zum Transport zu schwer, deshalb müssen Erntekommandos die Nuß entern und ein Loch hineinbohren. Viele Talaner sind dabei trotz aller Sicherungsmaßnahmen bereits abgestürzt. Entweder rutschten sie ab oder die Nüsse fielen bei der Ernte von selbst hinunter. Manchmal trifft man auch auf einen Bohrwurm.
Das sind bösartige Viecher, welche die Nüsse leer fressen. Ein Mensch, der ihnen begegnet, ist verloren.
Trotzdem muss diese Arbeit getan werden, damit wir überleben.
Wenn ihr bereit seid, werde ich euch unsere Heimat zeigen.
Seid vorsichtig, wenn ihr mir folgt. Ihr müsst immer genau das tun, was ich euch sage. Es lauern mehr Gefahren im Baum, als ihr denkt. Außerdem findet gerade irgendwo im Geäst eine Schneckeninvasion statt. Ihr sollt alles sehen, unseren Lebensraum, die Städte, die Früchte, von denen wir leben und auch unsere Feinde. Nur eine Bitte des Rates habe ich euch noch zu übermitteln. "Bitte lasst das Ungeziefer wieder verschwinden und haltet euer Ungeheuer zurück, dass es nicht zu viel Schaden anrichtet." Die vier Gefährten waren beeindruckt von Dolgons Erzählung. Eine völlig neue Welt hatte sich ihnen eröffnet. Sie wussten, dass das, was sie erfahren hatten, nur ein Bruchteil des Wesentlichen war, aber sie waren interessiert daran, alles zu begreifen.

Der Dudelsack wurde Methusalem gebracht. Wieder einmal gab es eine Panne. Der Bote hatte trotz der Warnungen den Balg einwenig gedrückt, versehentlich, wie er beteuerte, und war von den Folgen auf das heftigste betroffen. Als er zurückkam, war er ein völlig verwildertes, zugewachsenes und entnervtes Haarbündel.
Aus allen Löchern seines Körpers und von jedem Quadratzentimeter Haut hingen dichte Haarbüschel herab.
Auch aus Mund und Nase spross es ganz erstaunlich.
Um ein Haar wäre der Krieger erstickt.
Methusalem bereinigte die Situation, indem er eine lustige Weise auf dem Dudelsack spielte. Augenblicklich verschwand die übermäßige Haarfülle, gleichzeitig hörten auch die Läuse und Wanzen zu existieren auf. Dolgon war beeindruckt, die anderen klatschten Beifall, Methusalem verneigte sich gemessen.

DER ANGRIFF

Wieder waren sie durch lange Flure und Gänge, über Treppen und Rampen gegangen. Nach und nach gerieten sie außer Atem. Dolgon zeigte ihnen Höhlen und Gelasse, riesige Hallen und Kavernen, die sie durchwanderten. Nie verlor er die Orientierung und seine Kraft schien unerschöpflich. Schließlich quälten sie sich hinter ihrem Führer eine endlos scheinende Wendeltreppe hinauf. Fast wollte sie der Mut verlassen, sie waren bereits Stunden geklettert, so schien es Methusalem, da gelangten sie an eine schwere Tür. Ein bewaffneter Posten bewachte sie.
Er grüßte zackig, als er Dolgon gewahrte.
Vor dem Durchschreiten des Portals waren einige Formalitäten nötig, wegen des Kriegszustandes, wie Dolgon erläuterte.
Niemand, der nichts auf dem Kriegsschauplatz zu suchen hatte, durfte das Tor passieren, das machte Dolgon ihnen klar.
Den Kriegern, die dem Angriff standzuhalten hatten, war es verboten, das Schlachtfeld zu verlassen. Auch hier unter der Bevölkerung des Riesenbaumes gab es den einen oder anderen Mutlosen, der gerne den Schauplatz der Kämpfe verlassen hätte.
Lediglich Kuriere mit entsprechenden Befehlen oder Personen, die eine Sondererlaubnis hatten, waren von dieser Regelung ausgenommen.
Nachdem alle Formalitäten mit den Torwachen erledigt waren, traten die Gefährten durch ein riesiges Portal, das direkt aus der Borke des Baumes herausgehauen war, in die grüne Dämmerung der Krone des Baumgiganten hinaus.
Der erste Eindruck war überwältigend.
Schummeriges, smaragdenes Dämmerlicht umgab sie.
Die Gefährten standen auf einem Ast des Riesenbaumes, der die Breite zweier Fußballfelder hatte. Um sie herum ein unglaublich weitläufiger, mit diffusem Grünlicht erfüllter, endlos erscheinender Dom.
Atemlos staunte Engelmann in das diffuse Grün, in dem alle festen Umrisse bereits nach wenigen Metern verschwammen.
Eine feuchtwarme Atmosphäre machte zunächst das Atmen schwer, es dauerte aber für die Neuankömmlinge nicht lange, bis sie sich daran gewöhnt hatten.
In dem Dämmerlicht, das keine genaue Einschätzung von Entfernungen zuließ, konnten sie außer dem nächsten Abschnitt ihres Weges nur wenig erkennen.
Der Krieger musste die Umgebung genauestens kennen, oder er verfügte über Augen, die dieser Beleuchtung besser angepasst waren, denn er schritt rüstig aus.
Unterdessen suchte die Runde der unfreiwilligen Gefährten die Umgebung nach dem Kampfgeschehen ab, sie konnten jedoch nichts entdecken.
"Talan ist ungeheuer groß", erklärte der Krieger, als er ihre suchenden Blicke bemerkte. "Man kann hier nicht weit sehen, das geht mir genau so wie euch, und außerdem verschlucken die Blättermassen fast jeden Laut." Auch Engelmann war aufgefallen, dass hier eine fast erstickende Stille herrschte.
Dolgon erklärte weiter: „Wenn wir uns in die Randregionen der Krone, bei und Belaubung genannt, bewegen, wird es heller, was aber nicht unbedingt ein Vorteil ist. Dort sind die angreifenden Insekten und sonstigen Flugmonster sehr häufig, und schon manch ein unvorsichtiger Talaner fiel ihnen zum Opfer.
Allerdings sind wir sehr fruchtbar und auch sehr zahlreich, so dass die Bevölkerungszahl nicht schwindet. Natürlich sind wir auch bewaffnet und setzen uns nach Kräften zur Wehr. Aber ebenso rasch wie wir sie töten, vermehren sich die Ungeheuer auch.
Hätten wir mehrere von euren Steinwesen, so würde dieser Spuk rasch ein Ende haben.
Doch leider, das habt ihr ja erzählt, gibt es nur dieses eine und niemand weiß, ob und wie es sich vermehren kann.
Aber lasst euch nun die drei Belaubungsregionen zeigen, die untere, die mittlere und die obere Belaubung.
Die untere Belaubung wird überwiegend von den Handwerkern bewohnt, welche die Rohstoffe unseres Baumes beschaffen und verarbeiten.
Die Mittlere Belaubung beherbergt unsere hochgestellten Persönlichkeiten, die adligen und die Regierungsmitglieder, sowie die Beamten.
Vermutlich haben sie diesen Lebensraum gewählt, weil er von allen der sicherste ist.
In der oberen Belaubung, auch Außenbereich genannt, leben die Kriegerfamilien mit ihren seit Generationen gepflegten Traditionen.
Aber Gefahr lauert dennoch überall im Baum, haltet deshalb genau Ausschau, damit ihr nicht Opfer dieser Bösartigkeiten werdet.“
Der Ast, auf dem sie sich nun voran bewegten, hatte immer noch die Breite mehrerer Meter.
Nun kamen sie auch häufiger an herabbaumelnden Strickleitern und kunstvollen Hängebrücken vorbei.
Dolgon erklärte: "Wir befinden uns nun in der unteren Belaubung.
Hier befinden sich, wie ich euch schon erzählt habe, unsere Werkstätten, in denen Bekleidung und alle sonstigen Dinge des täglichen Bedarfes hergestellt werden.
Zu diesem Zweck verwenden wir alle Materialien, die Talan hervorbringt."
Nun sahen sie zum ersten Mal talanische Frauen, die lange Fasern aus abgeschnittenen, meterlangen Blättern zogen. Andere Talanerinnen hängten diese Fasern zum Trocknen auf. Bereits getrocknete Stränge wurden mit hölzernen Schlegeln geklopft und in viele dünnere Stränge aufgetrennt.
Methusalem bemerkte mit einen leichten Grinsen in seinen Bart, dass die Frauen der Talaner ganz außerordentlich hübsch waren. Lediglich die Greifzehen an den Füßen beeinträchtigten dieses Bild ein wenig.
Urtel prüfte unterdessen die Stoffe mit der Hand und stellte verwundert fest, wie weich und wollig sie sich anfühlten.
Die Gefährten kamen an Seilereien, Spinnereien, Webereien und Färbereien vorbei.
Es gab einige Betriebe, deren Arbeitsweise sie nicht verstanden, andere Dinge hingegen erschienen ihnen umständlich und primitiv.
Sie kamen zum Ende einer Fertigungskette, bei der ein langer gesponnener Faden auf eine große Spule gewickelt wurde. "Aus diesem Material fertigen unsere Männer und Frauen in Handarbeit warme Bekleidung an.
Die beschäftigungsarmen Wintermonate werden auf diese Weise gut genutzt.
Es gibt zwar Betriebe, die Bekleidung in maschineller Fertigung herstellen können, doch beschäftigen wir sie lieber zur Fertigung von Gebrauchsstoffen, die nicht der Herstellung von Bekleidung dienen.
Die handgearbeiteten Stoffe sind weicher und wärmer.
Wir benutzen zu ihrer Herstellung zwei kleine Haken, mit denen wir den Faden zu einer Stoffbahn verschlingen. Daran arbeiten alle Frauen und Männer."
Während Dolgon weiter erklärte, folgten sie der eigentümlichen Straße immer weiter.
Der Ast, den sie nun benutzten, wurde schmaler und Pluto, sonst ein absolut erdgebundenes Wesen, kämpfte schwer mit seinem Gleichgewicht.
Sie befanden sich augenblicklich auf einem Blattstängel, der einen Durchmesser von etwa zwei Metern hatte und auf dessen Wölbung das Gehen nicht ganz ungefährlich war. Hinzu kam, dass der Untergrund in dem geringen Luftzug ganz ordentlich hin und her schwang.
Pluto schlingerte herum und hatte Mühe, nicht abzurutschen.
Nargenhans beobachtete das ungeschickte Herumturnen des Steinklopses und versuchte angestrengt herauszufinden, auf welche Weise er sich überhaupt bewegte, denn Beine oder Füße waren nicht zu sehen. Dennoch erschienen die Bewegungen gar nicht unelegant, wenn auch im Moment etwas unsicher.
Nach einigen Metern traten sie auf ein großes Blatt hinaus, dessen Ausmaße sich im dunstigen Grün verloren.
Hier arbeiteten Gruppen von Talanern und Talanerinnen daran, die Blatthäute abzuziehen und den so gewonnenen Rohstoff in Ballen aufzurollen.
„Das,“ so erklärte Dolgon, „ist das Rohmaterial, aus dem später, wenn das Material getrocknet wurde, die feinen , weichen Fasern herausgelöst werden.“
Er wies auf die vielen verschiedenen Ballen.
„Ihr seht, dass der Rohstoff, den wir Maskal nennen, von unterschiedlicher Dicke und Qualität ist. Das bedingt verschiedene Verwendungsmöglichkeiten, von industriellen Stoffen, bis hin zu feinstem Kleidertuch. In kleinen Manufakturen werden die Fasern, die ihr hier seht, versponnen und zu den verschiedensten Materialien weiter verarbeitet. Natürlich werden nicht nur Stoffe daraus gefertigt, aus diesem Material wird von Bodenbelägen bis hin zu Seilen alles gefertigt, was man sich vorstellen kann. Aber lasst uns nun zurück gehen, es gibt an anderen Stellen weitere interessante Dinge zu sehen.“

********************

Erneut traten sie auf den Blattstängel hinaus.
Urplötzlich peitschten zwei Lianen herab und umschlangen den Steinriesen. Dolgon stieß einen Warnschrei aus und sprang mit einem weiten Satz auf das Blatt zurück. Die vier Kameraden folgten, wobei sie behände einigen heranpeitschenden Lianen oder Tentakeln auswichen. Pluto kämpfte unterdessen mit einer ganzen Anzahl von grünen Fangstricken, die ihn gepackt hatten. Hier und dort kostend fand er gefallen an der Sache und verspeiste einen großen Teil seiner Fesseln mit offensichtlichem Wohlbehagen. Schließlich begann er an dem restlichen Gestrüpp zu ziehen.
Die Lianen waren nun gespannt, wie Gitarrensaiten.
Pluto zerrte weiter.
Wie man weiß, waren seine Kräfte wahrhaftig nicht gering.
Der Erfolg blieb dann auch nicht aus.
Plötzlich löste sich ein grünes Etwas aus dem Laub zu ihren Köpfen.
"Eine grüne Bohne", staunte Engelmann.
So sah das Ungetüm, das auf Pluto zuflog, tatsächlich aus, nur war es erheblich größer.
Der Körper ohne die tentakelartigen Lianen mochte etwa einen Meter lang sein.
An der vorderen Seite besaß es ein kleines, mit äußerst scharfen Zähnen versehenes Maul, mit denen es nach dem lebenden Stein schnappte.
Das Ungetüm flog geradewegs in Plutos geöffneten Rachen.
Das Steinwesen rülpste zart, dann trat es, als sei gar nichts geschehen, hinter den anderen auf das leicht schwankende Blatt.
Dolgon war sichtlich nachdenklich geworden und blickte Pluto interessiert an. "Die Mörderbohnen sind eine große Bedrohung für uns. Viele Talaner fielen ihnen bereits zum Opfer.
Meist treten sie in Rudeln auf. Sie sind es auch, mit denen auf der anderen Seite des Baumes im Moment gekämpft wird.
Trotz aller Anstrengungen gelang es uns nicht, diese Feinde zu vernichten. Der Baum ist zu weitläufig. In letzter Zeit scheinen sie sich gar noch zu vermehren.
Die Angreifer zählen zu Tausenden und unsere Verluste werden auch immer erheblicher."
In den letzten Minuten hatten sie ein eintöniges Pochen vernommen, das nun ständig lauter wurde.
Dolgon lächelte zufrieden, doch auch etwas wehmütig. "Der Angriff wurde abgeschlagen doch der Blutzoll war wieder sehr hoch."
Mit diesen Worten setzte er seinen Weg fort.
Mit einer umfassenden Gebärde wies er auf die vor ihnen liegende Ebene. "Hier weiden unsere Herden." Aus dem Dämmerlicht schälten sich einige unförmige Gestalten. "Blattläuse!" Staunte Urtel. "Wir nennen sie Ultries. Sie geben uns den Zbick, ein erfrischendes, nahrhaftes Getränk, die ideale Ergänzung zu unserer sonstigen Nahrung, die ihr ja bereits kennt. Lässt man den Zbick stehen, so vergärt er und es entsteht eine berauschende Flüssigkeit, die auch noch sehr gut schmeckt. Der Bürgermeister lächelte verständnisinnig. "Sie hätten nicht zufällig einwenig davon bei sich?"
Lächelnd nestelte Dolgon eine Flasche von seinem Gürtel.
"Aber verraten sie das bitte nicht unserem General. Der Genuss dieses Getränkes ist im Dienst bei Strafe verboten."
Der Bürgermeister versicherte ihm das und tat einen tiefen Zug.
Beißend und süß rann das Zeug durch seine Kehle.
Die Augen Engelmanns wurden rund und ein kurzer, keuchender Husten beutelte seinen Körper. Immer noch einwenig nach Luft schnappend tat er einen weiteren Zug.
Dolgon entwand ihm die Flasche. "Vorsichtig, sie sind das nicht gewöhnt." Er grinste spitzbübisch. "Das Gebräu kann verheerende Folgen haben." Engelmann rülpste verhalten und bemerkte, dass seine Knie sich in Pudding zu verwandeln begannen.
Müdigkeit vortäuschend setzte er sich nieder, während die anderen zu den Ultries hinüberwanderten.
Es handelte sich um über zwei Meter hohe Dinger auf sechs spinnendünnen Beinen. Sie waren mit einem Saugstachel ausgerüstet, der im Blattinneren steckte. Dolgon führte sie zu dem Leittier, das eine große hölzerne Glocke um den Hals hängen hatte.
Die Ultries besaßen einen nur faustgroßen Kopf. Das Saugrohr wuchs aus dem Brustbereich des Körpers hervor. Der Minikopf trug ein einzelnes Facettenauge, dessen Grundfarbe ein sattes Grüngelb war.
Große wabbelige Beulen bedeckten den Rumpf eines jeden Tieres. Die Ultries wirkten unförmig und aufgequollen, mit einem Wort, unglaublich hässlich. "Diese Beulen liefern uns den Zbick," erklärte Dolgon. "Man muss nur etwas drücken, dann kommt es heraus." Er überließ es den Freunden, auszuprobieren, wie es sich damit verhielt. Methusalem drückte, erfolglos. Er fasste kräftiger zu und wischte sich unflätig fluchend den weißlichen Saft aus dem Bart, mit dem er sich von oben bis unten bespritzt hatte. Urtel, der es nicht anders ergangen war, reinigte sich mit einem Tuch Gesicht und Arme.
Nur der Zwerg hatte sich zurückgehalten.
Nun, nachdem er gesehen hatte, wie es seine Kollegen falsch gemacht hatten, wollte er den anderen nun Anschauungsunterricht geben.
Mit vorsichtigen Bewegungen begann er aus einer besonders großen Drüse Zbick herauszustreichen. Es gelang wunderbar, Nargenhans fühlte sich wie ein Ultriemelker.
Allerdings war die Haut der Drüse, mit der er gerade beschäftigt war, besonders dünn und gerade bei einem besonders vorsichtigen Melkversuch riss sie auf.
Der Zwerg sah aus, als hätte Jemand einen Eimer Milch über seinem Kopf ausgeleert.
Schnaufend fuchtelte er mit den Armen in der Luft herum und konnte wegen seiner verklebten Augen kaum etwas sehen.
Dolgon wälzte sich, vor Lachen völlig atemlos, am Boden.
Nachdem er sich etwas erholt hatte, entschuldigte er sich gutmütig lächelnd bei den Dreien. "Es gehört schon etwas Übung dazu, ein Ultrie zu melken." Die Tiere hatten sich durch die Ereignisse nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Beim Melken der Blasen, auch wenn diese platzten, empfanden die Blattsauger eine Art Erleichterung, da die Ansammlung des Zbick einen schmerzhaften Druck verursachte.
Die beschmutzten Magier hatten sich mittlerweile durch entsprechende Zaubersprüche gereinigt.
Urtel war an die Blattkante herangetreten.
Je näher sie dem Rand kam, um so mehr wippte der Boden.
Dolgon riet ihr, sehr vorsichtig zu sein. Abstürze aus dieser Höhe überlebte niemand.
Urtel traute ihren Augen nicht. Etwa zwanzig Meter tiefer, schräg rechts unter ihr sah sie ein anderes, sehr großes Blatt, auf dem sich, Urtel rieb sich die Augen, einige kleine Hütten, Ställe, Heuschober und abgegrenzte Weide-Areale befanden.
Es war ein idyllisches Bild. Währe der Untergrund nicht ein Blatt gewesen, die Kühe nicht abstoßend hässliche Ultries, man hätte meinen können, auf einen kleinen Bergbauernhof hinunterzublicken.

TODESSCHNECKEN

Nach einer langen, doch sehr interessanten Wanderung durch die ungeheure Weite und Vielfalt Talans, gelangten sie zur Hauptstadt Solon. Engelmann hatte sich als äußerst lästig erwiesen.
Er war sturzbesoffen, torkelte herum, sang unflätige Lieder und wäre mehr als einmal beinahe vom Blatt oder Ast gefallen.
Am schlimmsten war jedoch das Grölen, eine Gesangsdarbietung, die sich in würdiger Weise dem häuslichen Musizieren der Engelmannschen Familie anschloss.
Für die Zuhörer war sie absolut unzumutbar.
Urtel bannte die Stimme mit einem Zauberspruch. Ein kleiner Kiekser, Engelmann war stumm.
In der Stadt herrschte reges Leben. Hunderte von Talanern quirlten durcheinander. Es gab kleine Geschäfte, Werkstätten und Wohnungen. Gerade voraus erblickten sie ein kleines Geschäft, vor dessen Tür einige weiße Tische aufgestellt waren. Zoglameria stand über dem Eingang.
Dolgon machte den Freunden klar, dass Zoglam den Einfluss des Edel-Zbick neutralisieren konnte, wenigstens teilweise, schränkte er dann kleinlaut ein.
Sie betraten die Zoglameria und nahmen auf einer der vielen Bänke Platz. Sie wurden schnell bedient.
Aber als das Getränk dann blaugrün, dampfend und mächtig schlecht riechend vor ihnen stand, hatte niemand mehr Durst.
Ausgenommen natürlich Dolgon, der das Gebräu sichtlich genoss.
Also überließ man drei der fünf Becher Pluto, dem der Geruch nichts ausmachte.
Allerdings bekleckerte er sich bei dem Versuch, den Zoglam in Portionen einzuteilen, was ihn einigermaßen verdross.
Engelmann wurde unterdessen von zwei Zaubersprüchen festgehalten und Nargenhans schüttete ihm den Zoglam in den Hals. Er spuckte und prustete, doch es half ihm nichts. Er musste alles trinken.
Ein leichter Quietschlaut entrang sich seiner Kehle und der Bürgermeister lief blaurot an.
Schnaufend und nach Luft ringend schaute er sich mit irrem Blick um.
Die Hexe gab ihm seine Stimme zurück und Engelmann brüllte vor Wut und Ekel los.
Er fluchte laut und anhaltend, was die Gefährten zu einem Lachsturm reizte.
Einer der übrigen Gäste baute sich vor ihrem Tisch auf. Es war ein riesiger, wüst aussehender Talaner, dem die Rauflust aus den Augen schaute.
Mit übertriebenem Zorn brüllte er Engelmann an, er solle das Maul halten und der Zoglam sei der beste Talans. Er forderte Engelmann auf, hinter dem Tisch hervorzukommen, er wollte es ihm dann schon zeigen. Engelmann, Bürgermeister einer kleinen Gemeinde, war ein Mann von Ruhe und Besinnung. Von seiner Veranlagung her war er gar nicht in der Lage, sich zu schlagen. Außerdem ließ seine körperliche Verfassung dergleichen nicht zu.
Seine Augen trieften und die Knie waren weich wie Quark.
Entschlossen, dem aufdringlichen Menschen Benehmen beizubringen, griff Methusalem nach seinem Dudelsack, doch Nargenhans handelte bereits.
Er blies sich zur vielfachen Größe auf, so groß, dass er den Raufbold um eine Haupteslänge überragte.
Mit fahlem Gesicht wich dieser zurück, doch wurde er von dem Monsterzwerg ergriffen, ein Klaps auf sein Hinterteil und er flog wie von einem Katapult geschnellt durch die Zoglameria. Bänke, Tische und andere Gegenstände mit sich reißend landete er in einer Ecke, aus der er kriechend, doch mit erstaunlicher Geschwindigkeit den Raum verließ.
Engelmann ging es deutlich besser.
Von dem Zoglam hatte er sich etwas erholt, der Rausch war ebenfalls fast abgeklungen.
"Ein Teufelszeug!" Immer wieder brummte er die Worte vor sich hin. Dabei blieb offen, ob er den Zoglam meinte, oder den Edel-Zbick. Dolgon hatte diese Szene sichtlich genossen.
Nur sehr mühsam konnte er die immer wieder durchbrechende Heiterkeit unterdrücken. Der Wirt der Zoglameria erschien fast kriechend vor Angst, war dann jedoch hocherfreut, als Dolgon den Schaden bezahlte und noch Einiges darüber hinaus. "Ich habe ein Spesenkonto erhalten," erklärte er auf Engelmanns Frage. "Allerdings wäre mir das der Spaß auch wert gewesen, wenn dem nicht so wäre." Eine junge, sehr hübsche Talanerin brachte neue Getränke, diesmal handelte es sich um eine kühle, wenig gesüßte Limonade. Sie schmeckte so gut, dass Engelmann sich sofort einen ganzen Krug davon bestellte. "Das Zeug hilft mir, den Zoglam zu vergessen." Er lächelte verschmitzt und goss die Limonade in sich hinein. Währenddessen beobachtete er die Talanerin. Sicherlich war sie nach Urtel eine der hübschesten Frauen, die er jemals gesehen hatte.
Urtel aber war schließlich eine Magierin und wie viel von ihrem Aussehen echt war, ahnte Niemand.
Dieses junge Mädel hätte zu Hause sicherlich Aufsehen erregt, wären da nicht diese Greiffüße gewesen, mit denen alle Talaner ausgerüstet waren. Nicht unbedingt hässlich, überlegte er, nur äußerst ungewohnt.
Der schmetternde Klang eines Hornes riss ihn aus seinen Überlegungen.
Alarm!
Das dumpfe, röhrende Tuten wiederholte sich in gleichmäßigen Sekundenabständen.
Dolgon war aufgesprungen.
„"Um Himmels Willen, das ist ein Schneckenalarm!"
Auf der Straße herrschte Chaos und unbeschreibliche Panik.
Die Talaner rannten in völliger Auflösung hierhin und dorthin um sich in Sicherheit zu bringen.
Wenige Augenblicke später wurde der Grund der allgemeinen Hysterie erkennbar. Eine große Anzahl riesiger roter Schnecken kroch die Hauptstraße entlang. Die Ungetüme mussten mehrere Meter lang sein.
Die Mäuler waren mit riesigen, dolchartigen Zähnen bestückt.
Die Geschwindigkeit dieser Todesschnecken, der ernstesten Bedrohung des Talanischen Volkes, wie Dolgon versichert hatte, war beachtlich.
Ihr Aussehen war tatsächlich furchterregend.
Die Haut war schrundig und tief geriffelt, papieren, fast mumienartig, wirkte sie, tatsächlich wie von vertrockneten Mumien.
Ihre Lebendigkeit bewies jedoch das Gegenteil, wenn sie auch unglaublich alt aussahen.
Der Kopf war gedrungen und wies mehrere Stielaugen auf, darunter der entsetzliche Rachen.
Hinter sich ließen sie eine bräunliche, übelriechende Schleimspur zurück, deren Geruch durch einen milden Luftzug zu den Kameraden herübergeweht wurde.
Methusalem, der besonders geruchsempfindlich war, übergab sich beinahe.
Pluto rannte los. Das war ein Eldorado für das verfressene Felsenwesen. Voller Gier warf er sich auf das nächstbeste Schneckenwesen und teilte es in mehrere Portionen. Was dann geschah, war neu.
Nie zuvor hatte Pluto so reagiert.
Der Stein stieß einen Schrei des Ekels aus und spie das Schneckenstück, das er soeben genussvoll verspeisen wollte, von sich.
Voller Abscheu, ja regelrechter Panik stürzte Pluto zu den Gefährten zurück und verbarg sich hinter ihnen.
Methusalem erschien es gar, als zittere das Steinwesen.
Den Freunden verschlug es den Atem.
Pluto als Kampfgefährten zu verlieren, veränderte die Situation grundlegend.
Methusalem wagte einen letzten Versuch und schickte Pluto erneut gegen die roten Schnecken, die jetzt in breiter Phalanx die Straße entlang krochen. In hündischer Ergebenheit sprang das Steintier erneut auf die Schnecken zu und zerfetzte eine. Ein Qietschlaut entrang sich dem Felsenwesen. Der Ekel musste Pluto fast wahnsinnig gemacht haben.
Er torkelte zurück und raste völlig ohne Orientierung davon. Wie von einer Tarantel gestochen stürmte er auf den Rand des Astes zu und verschwand mit einem letzten Qietschlaut in der Tiefe.
Die Freunde standen wie versteinert. Konnte Pluto den Sturz aus mehreren hundert Metern überstehen?
Zunächst jedoch gab es drängendere Probleme.
Hunderte von Schnecken wälzten sich aus verschiedenen Richtungen auf sie zu. Sie waren völlig umstellt.
Dolgon hatte sich kreidebleich an die Wand zurückgezogen. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. "Zaubern wir?" Fragte Urtel. "Zaubern wir!" Antwortete Methusalem.
Jeder holte zu seinem furchtbarsten Bannspruch aus, die Schnecken sollten auf einen Schlag verschwinden. Keine Wirkung!
Voller Entsetzen bemerkten sie, dass sie den Schnecken mit ihrer Zauberei nicht beizukommen vermochten.
Die Ungeheuer waren nur noch wenige Meter entfernt.
Engelmann reagierte zuerst. In Sekundenschnelle hatte er sich in ein stachelbewehrtes Ungeheuer verwandelt. (Er hatte schließlich Erfahrung, wir erinnern uns an das Krawattenmonster)
Auch Urtel und Nargenhans verwandelten sich in Drachen, die mit gefletschten Zähnen auf die Schnecken zustürzten.
Methusalem hatte etwas Anderes ersonnen.
Eine Rüstung aus schimmerndem Metall umgab seinen Körper.
An seiner Hüfte erschien ein prächtiges Schwertgehänge.
Dolgon griff sich an den Kopf.
Trotz seiner Todesangst blieb ihm soviel Raum zum Überlegen, dass ihm das Gebaren der Gefährten wie das Spiel übermütiger, und dabei halbverrückter Kinder erschien.
Doch sein Lebensmut steigerte sich deutlich, als er die folgenden Ereignisse beobachtete.
Das Engelmannmonster warf Schnecke auf Schnecke von dem Ast herunter. Außerdem wälzte es sich über den Boden und spießte dabei mit seinen langen Stacheln viele von ihnen auf.
Urtelmonster biss in eine der Schnecken hinein und plötzlich, während sie sich übergab, verstand sie Pluto.
Der Geschmack war tatsächlich unvergleichlich widerwärtig.
Es zeigte sich, dass die Monstergruppe den Schnecken überlegen war. Mehr und mehr der gefährlichen Ungetüme stürzten in die Tiefe. Methusalem dagegen hatte es schwerer. Mit gespreizten Beinen stand er vor Dolgon, den er mit seinem Körper deckte.
Er köpfte ein Ungeheuer nach dem anderen, bis seine Arme anfingen schwer zu werden.
Der Kampf war schon fast vorbei, da geriet sein linker Arm in die Fänge einer Schnecke und fast wären die Zähne durch das Metall gedrungen.
Er wurde heftig gequetscht und Methusalem schaffte es mit mühe, die Schnecke zu enthaupten.
Nach einer Stunde harten Kampfes hatten die Schnecken ihre erste Niederlage auf Talan erlitten.
Bisher hatten sie ihre Angriffe stets irgendwann abgebrochen, nachdem sie ein fürchterliches Blutbad hinterlassen hatten.
Heute nun, hatten sie zum ersten Male selbst einen hohen Blutzoll entrichtet.
Überall lagen die Körper getöteter Schnecken herum.
Aufatmend nahmen die Gefährten die Rückverwandlung vor und ließen sich befreit auf einer Schwelle nieder.
"Euch möchte ich nicht zum Gegner haben." Dolgon war von den Fähigkeiten seiner Begleiter sichtlich beeindruckt.
Besonders bedankte er sich bei Methusalem, der sein Leben gerettet hatte. Verlegen massierte der seinen immer noch schmerzenden Arm. Mittlerweile betraten die ersten Talaner wieder die Straße.
Statt voller Begeisterung über den Sieg wirkten sie niedergeschlagen und hoffnungslos. Dolgon verwirrte das ebenso, wie die Gefährten.
Er ergriff einen der vorübereilenden Talaner am Arm. Auf seine Frage hin, sah der Mann ihn traurig an. Man konnte sehen, dass er nur mühsam die Fassung bewahrte. "Das Haus von Süßlar Bittermann wurde durch die Schnecken zerstört, völlig zerstört." Der Mann schlich trübsinnig weiter. Schlagartig wich Dolgons Freude über den Sieg lähmendem Entsetzen. Das war die Katastrophe.

EIN MONOPOL UND SEINE FOLGEN

Die vier Magier verstanden natürlich kein Wort.
Erst nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihnen, Dolgon aus seinem dumpfen Brüten zu reißen.
Mühsam erklärte er die Zusammenhänge: Süßlar Bittermann war der einzige Monopolist Talans.
Das Monopol, das er innehatte, basierte auf der Erfindung eines seiner Vorväter, die er mit der Hilfe eines Druiden gemacht hatte.
Diese Erfindung war für die Ernährung des Baumvolkes von entscheidender Bedeutung.
Das Grundnahrungsmittel der Talaner bestand aus dem Inhalt der riesigen Talannüsse. Das Nussmark wurde zur Erntezeit in halsbrecherischer Aktion von den sogenannten Erntearmeen eingebracht.
Hierbei wurde ein Stoßtrupp auf eine Nuss geschickt, der ein Loch zu bohren hatte, danach rückte die Hauptmacht der Erntearmee nach um die Nuss leer zu räumen. Die Hauptgefahr bestand darin, dass die Nuss während des Ernteeinsatzes herabfiel. Einen Absturz aus der vollen Höhe des Baumes hatte noch Niemand überlebt.
Außerdem fielen die Herabgefallenen auch sofort dem riesenhaften Ungeziefer unter Talan zum Opfer. Eine weitere Gefahr bestand darin, dass die Nuss bereits einen Bewohner hatte. Die gefährlichen Bohrwürmer fraßen gerne Talaner. Es war schwer, eine befallene Nuss zu lokalisieren, da die Bohrwürmer die Bohrlöcher an der Nussoberfläche mit ihrem Kot zuschmierten. Da die Farben gleich waren und das Licht in der Krone Talans stets diffus grünlich, war das Erkennen fast aussichtslos. Viele Talaner verloren so ihr Leben. Doch das Mark der Nüsse war es, worauf es ankam. Es enthielt Alles was die Talaner zum Leben benötigten. Allerdings hatte diese Masse einen derart widerlichen und ekelerregenden Geschmack, dass es zur Ernährung völlig ungeeignet erschien. Methusalem erinnerte sich mit Grausen an die Vorratskammer in die er so unfreiwillig eingebrochen war.
Irgendwann in grauer Vorzeit hatte ein Vorfahr des Süßlar Bittermann ein Gerät entwickelt, das in der Lage war, die Nusssubstanz derart zu verändern, dass sie genießbar wurde. Ohne Hinzufügen irgendwelcher Stoffe verwandelte der Brei sich in dieser Maschine in genießbare, ja schmackhafte Speisen, in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen, die noch zusätzlich variiert werden konnten. Die Mahlzeit, die sie auf dem Baum genossen hatten war noch frisch in ihrer Erinnerung.
Leider hatte die Maschine des Süßlar Bittermann nur eine begrenzte Kapazität.
Sie konnte kaum mehr Lebensmittel veredeln, als gerade gebraucht wurden, da die Bevölkerung trotz aller Verluste an Menschenleben in den letzten Jahrhunderten kräftig angestiegen war.
Größere Vorräte gab es nur von dem unbehandelten Rohmaterial und damit von einer Stunde zur anderen kaum noch genießbare Nahrungsmittel auf Talan.
Eine neue Veredlungsmaschine zu bauen kam nicht in Frage, da die Konstruktionspläne ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis der Bittermannsippe, bei dem Kampf ebenfalls vernichtet worden waren.
Die Frage war, wie lange die Vorräte überhaupt reichen würden.
Dolgon verfügte durch seine hochgestellte Familie über zahlreiche Informationen, so auch über die Größe der Vorräte.
Es handelte sich um etwa zwanzig Tagesrationen, bei Rationierung entsprechend länger.
Die Lage der Baummenschen war äußerst bedrohlich geworden.
"Ich glaube, wir übernehmen jetzt einwenig die Initiative." Engelmann wandte sich an Dolgon und bat ihn, ihnen einen Beratungsraum zur Verfügung zu stellen. "Was ist mit Pluto," fragte Urtel unvermittelt. Methusalem kratzte sich am Kopf. "Wenn Pluto noch existiert, weiß er sich alleine zu helfen, bis wir uns um ihn kümmern können. Ich beabsichtige ohnehin, bald nachsehen zu gehen.
Ist er jedoch tot, ist unsere Sorge ohnehin vergebens." "Kümmern wir uns also um vordringliche Probleme," bemerkte der Bürgermeister und schritt voran, hinter Dolgon her.
Dolgon führte sie in das Gemeinschaftshaus, das am Rande eines kreisrunden Platzes aufragte. Hier gab es ein kleines Konferenzzimmer, in dem mehrere Tische und Stühle zu einem Kreis angeordnet waren. Dolgon zog sich diskret aus dem Raum zurück.

Tuartas Flehen

Engelmann begann die Aussprache: "Bringen wir das Alles einmal unter einen Hut.
Auf dieser Welt gibt es eine Menge Magie.
Ein großer Magier hat vor langer Zeit diesen Baum vor dem Untergang bewahrt.
Die Wirkung dieses Zaubers schützt und erhält den Baum noch immer. Auch das Fehlen jeglicher Verbrennungsvorgänge würde ich magischem Wirken zuschreiben.
Warum konnte unsere Zauberei den Schnecken nichts anhaben?
Ich glaube, da wir nun einmal hier sind und an einen Rückweg nicht zu denken ist, wird es am sinnvollsten sein, mehr über die Druiden dieser Welt in Erfahrung zu bringen. Ja es dürfte sogar von existentieller Wichtigkeit für uns sein.
Die Frage der Nahrungsmittelbeschaffung ist ebenfalls von vordringlicher Bedeutung. Weiterhin erscheint es mir wichtig, dass wir die Wühlungeheuer beseitigen und eine Möglichkeit ersinnen einen neuen Juniebaum zu pflanzen. Eigentlich sind das Lebensaufgaben, jede einzelne von ihnen, doch wir haben nur ganz wenig Zeit zur Verfügung.
Außerdem liegt es in unserem Interesse, den Menschen hier zu helfen, da wir nicht wissen können, ob es uns gelingen wird, diese Welt je wieder zu verlassen." Alle redeten durcheinander. Hatten sie das Recht sich einzumischen? Sollten sie es tun und konnten sie es überhaupt? Tatsache war, würden sie nichts unternehmen, würde die Zivilisation der Talaner wahrscheinlich zugrunde gehen. Hatten sie also eine Wahl?

*******************

Seit Stunden waren sie unterwegs. Nach ihrer Unterredung hatten sie eine zehnstündige Ruhephase eingelegt. unterdessen hatte Dolgon seiner Regierung Bericht erstattet. Die Talanischen Führer hatten ihnen Freibriefe erteilt, überall hinzugehen, alle Sperren zu passieren. Dolgon sollte auch weiterhin ihr Begleiter und Führer durch den Talanischen Dschungel sein. Fasim der Druide des Juniebaumes, er war es den sie aufsuchen wollten, wohnte in der Kronenspitze des Baumes. Hunderte von Metern mussten sie in die Höhe steigen. Die Wege waren schlecht und einige Male pendelten sie sich an Strickleitern über schwindelnde Abgründe.
Urtel schimpfte einwenig.
Da der Baumzauberer sicherlich ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte, hätte er ihnen diesen anstrengenden Aufstieg sicherlich ersparen können. Nach einer besonders unangenehmen Kletterstrecke trocknete Engelmann sich die Stirne mit dem Ärmel. "Wenn ich geahnt hätte, was meine Hauskonzerte für folgen haben, hätte ich das Musizieren bei Strafe verbieten lassen.
" Meter um Meter kletterten sie unterdessen eine Strickleiter empor, wie Fliegen an einer Schnur. Der Abgrund gähnte unermesslich tief unter ihnen.
Den Boden konnten sie von hier aus nicht sehen. Dort, tief unten, wo das diffuse Dämmerlicht endete, dort musste er sein.
Dort war auch Pluto. Ob er noch lebte?
Nach vielen Stunden erreichten sie eine Plattform.
Hier begannen sie das Nachtlager aufzuschlagen. Urtel und Engelmann waren am Ende ihrer Kräfte angelangt.
Der Zwerg, dessen eiserne Kondition sprichwörtlich war, sah ebenfalls erschöpft aus und auch Methusalem schnaufte wie ein Asthmatiker.
Selbst Dolgon, der in diesem Baum aufgewachsen war, war die Müdigkeit anzumerken.
Sie aßen einen Teil ihrer Tagesrationen und legten sich zur Ruhe. Die Wachen wurden verteilt und bald senkte sich der Schlaf über die ermüdeten Kletterer.
Die Dämmerung war vehement hereingebrochen und wenige Minuten später war es bereits rabenschwarze Nacht.
Nargenhans, der die erste Wache hatte, nestelte Hardor, die kleine Wahrsagekugel von seinem Hals. Sie spendete ein milchiges Licht, das die Umgegend einwenig erhellte.
Nach ihm hatte Methusalem Wache. Er war froh, dass er etwas Licht hatte und langweilte sich, da nichts geschah.
Um Mitternacht war Urtel an der Reihe.

*******************

Bereits seit vielen Stunden hatte sie es bemerkt. Sie würde die Gruppe verlassen müssen. Ein Treffen aller Hexen würde stattfinden, der Meister selbst den Vorsitz führen. Diesem Ruf konnte sie nicht widerstehen. Außerdem war es nicht die Bestimmung einer Hexe von Urtels Format, sich in fremden Juniebäumen herumzutreiben.
Trotzdem, das ahnte sie, würde sie die Gefährten wiedersehen.
Ganz begrenzt und ohne Einfluß auf das Wann und Warum, war sie von Zeit zu Zeit in der Lage, die Zukunft zu erkennen.
Und eben geschah es. Sie sah sich, am Himmel schwebend, eine von Vielen, eine unglaubliche Macht, sie sah, wie sich der Boden der Welt auftat, den Gefährten zu helfen, eine gewaltige Schlacht zu schlagen, die Freunde mitten im Kampfgeschehen.
Doch ehe sie erkennen konnte, ob sie selbst an dem Kampf gegen einen offensichtlich furchtbaren Feind mittat, oder ob sie an einer anderen Stelle kämpfen würde, verblasste die Vision.
Urtel saß wieder auf der Plattform und hielt Wache. Aus einer Falte ihrer Schürze nestelte sie einen winzigen Besen hervor, einige Zauberworte und er hatte die richtige Größe.
Im weichen Licht der Kugel bestieg sie ihn und schaute noch einmal traurig auf die Gesichter der Schlafenden herab.
Da hörte sie eine Stimme. Ein Singsang, ganz leise, sehr traurig und unglaublich einsam:

"Die Sonne sinkt,
der Tag sich neigt,
hüllt dich in sein Schattenkleid".

"Niemals soll ich die Sterne mehr sehn,
den Wind erfühlen,
die Sonne, so schön".

"Nie mehr vernehmen der Grille Gesang,
das Rauschen des Baumes,
nächtelang".

"Die Tage vergehen, die Nächte voll Gram,
seit einst ein Unhold
mein Glück mir nahm".

"Doch flieht nicht mein Leben,
nie verlässt mich die Pein,
wird bis zum Ende mein Gefährte sein".

Die Hexe fühlte sich schmerzlich berührt. Das Lied war so traurig, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Kein Zweifel, die Stimme drang aus der Kugel, aus Hardor. Sie stieg von dem Besen herunter und trat an die Kugel heran.

"Jeder Vers dieses Liedes unfaßt ein Jahr,
tausend sind's
seit ich glücklich war".

"Eintausend Jahre in endloser Not,
doch nun naht das Ende,
bin ich bald tot".

*******************

"Wer bist du?" Fragte Urtel in die Kugel hinein.
Der Singsang verstummte. Völlig überrascht erklang eine Stimme: "Wer ist's, wer spricht da mit mir?"
"Wer bist du," fragte Urtel abermals etwas ungeduldig.
"Ich bin Tuarta, die Hexe des Baumes Talan".
Noch immer klang sie ungläubig und zitterig.
"Wer bist du denn," fragte sie dann. "Ich bin die Hexe Urtel," antwortete die.
"Kannst du mich befreien?" "Woher soll ich das denn wissen?
Ich weiß ja nicht einmal, wo du bist." Urtel hatte natürlich längst bemerkt, dass die Stimme ihren Ursprung nicht in Hardor, der Kugel, hatte.
Doch sie stellte fest, dass es mit der Kugel möglich war, die Gedanken der Hexe Tuarta zu fokussieren.
Entschlossen schwang sie sich auf ihren Besen und flog, die Kugel vor ihr Gesicht haltend, los.
Nach einigen Orientierungsfehlern hatte sie das Prinzip begriffen.
Hardor spendete ihr nur wenig Licht und so verlor sie in der Dunkelheit, trotz der Hilfe der Kugel, des öfteren die Orientierung.
Nach längerem Suchen gelangte sie schließlich doch ans Ziel.
Sie Landete auf einem dicken Ast, an dem eine etwa zehn Meter lange Walze klebte. Es war ein tonnenförmig aufgeworfenes, braunes Ding, dessen Oberfläche überraschend glatt war und kalt wie Metall.
Das Objekt erwies sich als überaus stabil.
Urtel hexte nacheinander die verschiedensten Dinge herbei, die Walze zu knacken, Sägen, Äxte, Vorschlaghämmer, doch nichts half.
Auch mit Sprengstoff versuchte sie es, doch sie hatte vergessen, dass es keine Verbrennung auf dieser Welt gab, es geschah nichts.
Urtel versuchte nun alle Zaubersprüche, deren sie sich entsann, die etwas bewirken konnten, doch alle ohne Erfolg.
Freilich gab es etwas, das der anderen Hexe helfen konnte, doch sollte sie es wagen?
Der Spruch der Auflösung war ein machtvoller Gegenzauber, der jeden zur Zeit wirkenden Zauber aufhob.
Bei einem derart vernetzten und verwobenen magischen Gewebe, wie es auf dieser Welt herrschte, barg ein solches Vorgehen unkalkulierbare Risiken.
Die Wühlungeheuer würden freigesetzt, vielleicht war gar der ganze Baum Zauberwerk.
Die Talaner würden eine interessante Überraschung erleben, wenn er plötzlich verschwand.
Doch die Bindung der Hexen untereinander war äußerst stark.
Ihr blieb gar keine Wahl. Außerdem, das wusste sie, war ein Teil der hier wirkenden Magie von unbekannter Struktur und würde dem Spruch der Auflösung sicherlich widerstehen.
Jedenfalls war das zu hoffen.
Die Gefahr war zwar sehr groß, trotzdem würde sie das Wagnis eingehen. Urtel sammelte sich zu einem Gegenzauber ungeheurer Kraft.

*******************

Fasim lag auf seinem Lager und döste vor sich hin.
Seit Fartans Tod, vor sehr langer Zeit, war er der Zauberer des Juniebaumes. Ursprünglich war er Dichter und nur Gehilfe des gewaltigen Zauberers gewesen. Als Zauberlehrling war er nur dritte, bestenfalls schlechte zweite Wahl. Er hatte das gewusst und sein Bemühen um die große Magie war deshalb eher nachlässig gewesen.
Poet und Schöngeist war er, Zauberei entsprach nicht seiner Veranlagung. Und so hatte er seine Aufgaben bei dem Meister mehr schlecht als recht erfüllt, war jedoch, obwohl er sich vieles oberflächliche von Fartan abgesehen hatte, nie in die Tiefe der Geheimnisse vorgedrungen.
Seit Fartan tot war, hatte er sich redlich bemüht, war jedoch über den damaligen Stand des Wissens und Könnens nicht wesentlich hinausgelangt, da er nicht über die Hinterlassenschaft des Großen Mannes verfügen konnte.
Fartan hatte seinen plötzlichen Tod nicht vorausgesehen und so waren die Sicherungen, die seinen Besitz vor unbefugtem Zugriff schützten, erhalten geblieben.
Fasim war auch heute nicht in der Lage, diese Sperren zu beseitigen.
Die Sache mit den Nahrungsmitteln hatte ihn interessiert. Ja, er konnte sie genießbar machen, doch ein entsprechendes Gerät zu schaffen, war ihm nicht gelungen.
Er konnte nur jedes Stück einzeln genießbar machen, doch da hätte er auch jeden anderen Stoff nehmen und ihn in Nahrungsmittel verwandeln können.
Den ganzen Juniebaum mit Nahrung zu versorgen lag außerhalb seiner Macht. Da wäre er von morgens bis abends beschäftigt gewesen.
Also behielt Süßlar Bittermann sein Monopol.
Die Gefahr der Wühltiere hatte er nicht zu bannen vermocht und auch der Befreiungsversuch, den er Tuarta gewidmet hatte war erfolglos geblieben. Fasim kam sich wie ein Versager vor.
Von der großen Magie hatte er sich mehr und mehr abgekehrt und beschränkte sich überwiegend auf die Pflege seiner wenigen Pflanzen, die in großen Kübeln vor dem Tor seiner schlossartigen Behausung wuchsen. Seit drei Tagen wusste er um die Anwesenheit sehr mächtiger Magier hier auf Talan. Drei Zauberer und eine Hexe, nichts, was man mit einer Handbewegung abtun konnte.
Er ließ sie durch einen seiner Mitarbeiter überwachen und erfuhr, dass sie sogar ganz außerordentlich qualifiziert waren.
Ob sie eine Bedrohung für ihn darstellen würden? Er wusste es nicht, doch er wusste, dass ihm jeder von ihnen vielfach überlegen war, da war er ganz realistisch.
Kam es zur Auseinandersetzung, so war er jetzt bereits verloren.
Er hoffte, dass es sich um vernünftige Wesen handelte und er würde ihnen keinen Grund liefern, sich an ihm zu vergreifen. Dass die Hexe das Gefängnis der Baumhexe so schnell gefunden hatte, fand er bemerkenswert.
Interessiert und einwenig amüsiert betrachtete er, was sie tat.
In Fartans alter Kristallkugel nahmen sich ihre Bewegungen verzerrt und etwas grotesk aus.
Verärgert stellte er zum hundertsten Mal fest, dass er es in den tausend Jahren seit Fartans Tod, noch immer nicht geschafft hatte, sie korrekt einzusetzen.
Plötzlich schreckte er aus seinem Grübeln hoch. Was tat die fremde Hexe dort? Er kannte diese Bewegungen der Beschwörung.
Sie wollte den Spruch der absoluten Auflösung anwenden. Als Fasim das begriff, war es bereits zu spät. Das Baumschloss war ein rein magisches Produkt und bevor er etwas tun konnte, löste sich alles in grauen Rauch auf.
Seine Behausung, seine Bücher, die Bekleidung, alles verschwand. Nackt hing Fasim an einem dünnen Ast. Unter ihm gähnte der Abgrund.

*******************

Methusalem, Nargenhans, Engelmann und Dolgon schreckten aus dem Schlaf hoch. Ein Geräusch hing in der Luft, ein Ton, den zuvor nie jemand von ihnen gehört hatte.
Ein kreischendes Dröhnen ließ den Baum erzittern, die ganze Welt schien zu erbeben.
Es hörte sich an, als werde eine rostige Eisentür von enormer Größe in ihren verrotteten Angeln bewegt. Mit einem tiefen, rollenden "Dong" verstummte das Geräusch. Die drei Zauberer blickten sich fassungslos an. Natürlich war ihnen augenblicklich klar, was sich zugetragen hatte.
Das Phänomen wurde in den entsprechenden Zauberbüchern ausführlich beschrieben. Meist wurde es unter der Rubrik "Gefährliche Komplikationen" aufgeführt.
Das Zittern des Baumes hörte auf.
Offenbar war das Ende noch nicht gekommen. Alle außer Dolgon wussten, dass Urtel am Werk gewesen war, schließlich waren sie alle Magier, doch niemand wusste warum sie es getan hatte. Sicher hatte sie einen triftigen Grund gehabt, den Spruch der Auflösung zu sprechen. Allerdings waren die Folgen unabsehbar. Die Grabungeheuer würden ihren Angriff auf Talan unverzüglich beginnen. Nun mussten sie die Ungeheuer aufhalten, sonst war das ganze Volk zum Tode verurteilt.
Ein prasseln und Rascheln unterbrach die fassungslose Stille.
Urtel, etwas abgekämpft, landete mit ihrem Besen.
Hinter ihr saß Tuarta, die Hexe des Baumes. Die war mit der attraktiven Urtel überhaupt nicht zu vergleichen.
Sie entsprach genau dem Bilderbuch-Klischee einer Hexe, genau wie man sich eine solche vorstellt. Gewaltig ragte die warzenübersäte Hakennase aus ihrem runzeln- und faltendurchfurchten Gesicht hervor, das von einem Haarschopf undefinierbarer, doch überwiegend gelblich- grauer Farbe, umrahmt wurde.
Die Hexe war spindeldürr und die zerfetzte Kleidung hing an ihr, wie an einer Vogelscheuche. Skelettartige Hände mit habichtkrallenartigen Nägeln vervollständigten das Bild.
Drei kariöse Kuchenzähne konnten die Freunde bewundern, als sie den Mund öffnete, um die Kameraden mit überraschend tiefer Stimme zu grüßen.
Engelmann verzog das Gesicht über ihre Erscheinung. Allerdings bemerkte er in gleichen Moment, dass er völlig nackt war.
Sein Anzug hatte sich mit dem Spruch der Auflösung verflüchtigt. Blitzschnell bedeckte er seine Blöße mit den Händen. Tuarta brach in ein kicherndes Lachen aus.
"Tausend Jahre war ich gefangen und nun nach meiner Befreiung gleich solch ein Anblick. Aber, du solltest nicht nach meinem Äußeren gehen," sie deutete auf Engelmann, "du siehst auch nicht gerade wie Adonis aus.
"Ich bin Engelmann," hub jener an. "Ich bin Engelmann, ich bin Engelmann," äffte sie ihn nach. "Ich weiß längst wer ihr seid, Urtel hat es mir erzählt. Lass also den Quatsch."
Der Bürgermeister klappte mit konsterniertem Gesichtsausdruck den Mund zu.
"Wir sollten keine Zeit verlieren. Wenn wir Talan retten wollen, ist höchste Eile geboten. Die Zeit ist knapp und der Baum ist in höchster Gefahr. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir vielleicht das Schlimmste verhüten, höflich sein können wir hinterher lange genug".
"In Ordnung", brummte Nargenhans. "Bevor wir uns jedoch besprechen, wären wir über einige Erklärungen sehr dankbar." Tuarta schilderte kurz ihre Befreiung, ohne jedoch auf den Grund ihrer Gefangenschaft einzugehen.
Der Zwerg blickte Urtel ernst an. "Gab es keinen anderen Weg, als den Spruch der Auflösung?" Urtel schüttelte den Kopf. "Du solltest wissen, dass ich ein solches Risiko nicht ohne Not eingegangen wäre.
Ich habe damit euch alle in eine schwierige Situation gebracht, das weiß ich, zumal ich an ihrer Beseitigung nicht mitarbeiten kann.
Das Band, das uns Hexen verbindet, ist sehr stark, ich musste so handeln."
"Was meinst du, damit, dass du nicht helfen kannst," fragte Engelmann. "Leider muss ich euch jetzt und hier verlassen. Der Meister hat nach mir verlangt und seinem Befehl muss ich folgen." Mit traurigem Gesicht reichte sie dem Zwerg seine magische Kugel zurück. "Es tut mir Leid, dass wir uns hier trennen müssen, doch wenn alles gut geht, sehen wir uns wieder und können einen späteren Teil des Weges gemeinsam zurücklegen.
Tuarta wird mich würdig vertreten.
Ihr werdet mich nicht verstehen, doch keine Hexe darf sich dem Ruf des Meisters widersetzen.
Außerdem kann ich euch später viel besser helfen, euch wahrscheinlich aus einer lebensbedrohenden Lage retten, wenn ich jetzt gehe.
Mit den Wühlern werdet ihr auch ohne mich fertig.
Denkt an meine Worte."
Mit traurigem Gesicht trat sie aus dem Kreis der Gefährten, schwang sich auf ihren Besen und verschwand augenblicklich.
Ohne Worte blickten sich die Freunde an.
Durch Urtels Fortgang war eine schmerzliche Lücke entstanden. Während einer Reihe sehr ungewöhnlicher Abenteuer hatte sich ein sehr enger, kameradschaftlicher Ring um die Gruppe geschlossen.
"Du bist doch auch eine Hexe, warum konntest du bleiben," fragte Methusalem, indem er sich zu Tuarta umwandte.
"Das ist einfach zu erklären. Seit tausend Jahren war ich gefangen, nicht in der Lage, an den Treffen teilzunehmen.
So wurde ich verbannt, der Ruf des Meisters betrifft mich nicht mehr. Vielleicht kann ich am nächsten Treffen wieder teilnehmen, Urtel wird meine Sache vortragen."
Ihre Stimme war sehnsuchtsvoll, wie Engelmann bemerkte.

TRAAN

Hardor, die magische Kugel des Zwerges, hing von einem Zauberspruch gehalten, in der Mitte der Runde. Sie spendete ihr milchiges Licht, das der ganzen Gruppe ein gespenstisches Aussehen verlieh.
Seit einer Stunde war die Aussprache bereits im Gange.
Es hatte eine geraume Zeit gedauert, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen.
Tuarta, das hatten die Freunde feststellen können, war eine intelligente und pfiffige Mitstreiterin und es bereitete ihnen keine Mühe, sie in ihre Gruppe zu integrieren.
Bis sie allerdings ein so gutes Verhältnis zueinander haben würden, wie zu Urtel, würde es noch einige Zeit brauchen.
"Ich stimme den Ausführungen Dolgons zu," meinte sie gerade.
"Wir müssen unbedingt Fartans, des alten Zauberers Unterlagen finden. Solche Dinge gehen bekanntlich niemals verloren und sein Wissen wird uns sicherlich weiterhelfen können."
"Wie aber kommen wir an diese Sachen heran," fragte Engelmann sichtlich ratlos.
Die alte Hexe kratzte sich geräuschvoll ihren verfilzten Schopf. "Fasim, der närrische und machtlose Zauberer, der einst Fartans unwürdiger Gehilfe war, müsste es eigentlich wissen. Wir werden ihn suchen." "Wüsste er, wo diese Unterlagen sind, hätte er sie längst für sich selbst geborgen.
Damit hätte er sich zu viel größerer Macht aufschwingen können, als zu der, die er jetzt zur Verfügung hat."
"Es sei denn, er konnte nicht," unterbrach Tuarta Dolgons Überlegungen. "Wie dem auch sei, es bleibt uns ohnehin keine Wahl," brummte Methusalem und wandte sich achselzuckend ab.
In diesem Moment schwang sich ein unbekleidetes Individuum von einem Ast zu ihren Köpfen herunter.
Fluchend und schimpfend baute er sich vor ihnen auf.
"Ein närrischer Zauberer, Fartans unwürdiger Gehilfe bin ich?
Ihr Alleskönner hättet mich mit eurer Zauberei beinahe umgebracht." Verärgert Riss er einen kleinen Zweig ab, beschrieb eine kreisförmige Bewegung und war augenblicklich mit einem wallenden, blumenbedruckten Sarong bekleidet.
Der Zauberer war sehr dürr und endlos lang.
Ein langer, unglaublich dünner Hals trug den mächtigen, fast völlig haarlosen Schädel.
Trotz der weit vorstehenden Zähne und seiner allgemeinen Hässlichkeit wirkte er dennoch nicht unsympathisch.
Beherrscht wurde das Gesicht nämlich von einem Paar lustiger, blauer Augen, die von buschigen Brauen gekrönt wurden.
Irgendetwas Verschmitztes war an ihm, als er sich nun an Tuarta wandte. "Ich habe einiges von eurem Gespräch mitbekommen, während ich dort oben saß. Ob ich närrisch oder unwürdig bin, kann ich nicht sagen, doch bin ich nie ein geborener Magier gewesen, wie Fartan einer war.
Ich fing seiner Zeit nicht als Zauberlehrling bei ihm an, sondern lediglich als Gehilfe.
Ich kochte das Essen, wusch und reparierte für ihn und hielt das Haus in Ordnung.
Vom Zaubern bekam ich nur wenig mit und es interessierte mich auch nicht sehr.
Als der gewaltige Fartan starb, wurde ich, ohne es zu wollen, sein Nachfolger, da er keinen Lehrling ausgebildet hatte.
Natürlich wollte ich die Aufzeichnungen erlangen, doch sie sind durch einen Zauber geschützt, den ich nicht überwinden konnte.
Vor vielen Generationen hatte Fartan ein Zauberrefugium an der Wurzel Talans, in der Nähe der Hauptwurzel.
Dieser Bereich war mir und allen anderen seit Äonen versperrt.
Vielleicht können wir ihn nun, da ihr den Spruch der Auflösung gesprochen habt, betreten. Ich verlange als Gegenleistung dafür dass ich euch dorthin führe, dass ihr mich mitnehmt.
Zumindest solange, wie ihr euch auf Talan aufhaltet, werde ich euer Begleiter sein.
Entscheidet euch schnell, die Zeit ist knapp, hört ihr?"
In der Ferne erklang ein Geräusch, eine Mischung aus Schaben und Stampfen, dann ein Grölen wie von einer Herde wütender Zyklopen.
"Das sind die Grabungeheuer. Sie müssen bemerkt haben, dass die Barriere verschwunden ist. Von diesem Moment an, bis zur Vernichtung des vermutlich letzten Juniebaumes bleiben uns höchstens zehn Stunden, in denen wir die Katastrophe verhindern können." In allerhöchster Eile brach die Truppe auf.
Der Weg zurück war wesentlich einfacher, als der Aufstieg. In einem aus groben Zweigen geflochtenen Transportkorb wurden sie über zweihundert Meter abgeseilt.
Schon nach etwas mehr als einer Stunde langten sie bei einem Aufzug an. Während der Lift mit halsbrecherischer Geschwindigkeit abwärts raste, verständigte Dolgon über Talanofon die Regierung des Baumes. Klugerweise verschwieg er den Grund für den Zusammenbruch der Sperre. Nach einer halben Stunde rasender Fahrt langten sie im untersten Geschoss an. Der Keller, in den sie gelangt waren, war feucht und moderig. Schimmel klebte an der Decke und von der Decke tropfte Wasser, das auf dem Boden in großen Lachen langsam versickerte.
Ein stetes, dröhnendes Rauschen erfüllte den Gang. "Die Stimme des Giganten," flüsterte Dolgon andächtig. "Hier sind wir im Bereich der Wurzeln, die aus großer Tiefe das Wasser heraufholen, das den Baum und uns am Leben erhält. In diesen Wurzeln herrscht ein erstaunlicher Flüssigkeitsdruck, daher auch das Rauschen. Die Flüssigkeit, die hier heraufgezogen wird, gelangt in die entlegensten Winkel des Baumes. Jedes Blatt wird von hier versorgt. Daher ist auch erklärlich, dass eine Unterbrechung nur weniger Wurzeln durch die Wühlungeheuer den Tod des Baumes zur Folge hat."
Der moderige Bodenbelag vor ihnen wies keine Trittspuren auf. Hier hatte sich seit Ewigkeiten niemand aufgehalten. Schweigend setzten sie den Weg fort. Nur das eintönige Plitsch- Platsch der Wassertropfen unterbrach neben den Geräuschen ihrer Schritte die Stille. Nachdem sie einige Zeit marschiert waren, gelangten sie in eine längliche Halle. "Hier, in der Mitte dieser Halle, beginnt die Sperrzone. Versuchte man diese Linie zu überschreiten, so war es, als liefe man gegen eine steinerne Wand.
Nichts war zu sehen, der Blick konnte ungehindert durchdringen, trotzdem wurde man am Weitergehen gehindert. Dieses Hindernis vermochte ich nie zu überwinden. Schließlich, vor hunderten von Jahren gab ich es auf. Donnerwetter, es ist verschwunden." Unbehindert überschritten sie die Raummitte.
An einer riesigen verrosteten Tür machten sie Halt. "Das ist Metall," schrie Engelmann vor Überraschung auf. Gespenstisch echote es aus dem umgebenden Gewölbe: "Metall...etall...tall...lall...lall" "Wo es keine Verbrennung gibt, kann es auch keine metallene Tür geben." Engelmanns Überlegung war sicherlich richtig. Niemand vermochte sich diese Tür zu erklären. Allen war es plötzlich, als vernähmen sie ein leises, spöttisches Kichern. Es war ein schauriges Geräusch, das den Menschen eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Nargenhans, der die Spitze der Gruppe hielt, hob Hardor hoch, um die Tür in Augenschein zu nehmen. Hardors milchiges Licht hatte längst die Beleuchtung des Ganges ersetzt, die weit hinter ihnen zurückgeblieben war.
Die Klinke war in Kopfhöhe angebracht und es kostete den Zwerg einige Mühe, sie zu bewegen.
Ein grollendes, rumpelndes Rollen ertönte, als der Flügel sich öffnete. Muffiger Geruch nach toter, abgestandener Luft nahm ihnen für Sekunden den Atem. Langsam schwang das schwere Tor auf und enthüllte einen domartigen, dunklen Raum von respektabler Größe. Am anderen Ende dieser Halle war eine halbrunde Öffnung zu erkennen, aus der es wie zuckende Flammen gloste. Überall in dem großen Raum standen Tische und Bänke herum, die mit Schriftrollen und dicken Büchern überladen waren. Einige Gegenstände, wie Töpfe, Stäbe, Flaschen mit Pulvern und Flüssigkeiten in den verschiedensten Farben standen in willkürlicher Unordnung herum. Das Alter war an den Dingen offenbar spurlos vorüber gegangen. Ein schauriges Geräusch, wie ein langgezogenes, nicht enden wollendes Stöhnen erfüllte den Raum. Hinter den Eingetretenen schloss sich die Pforte mit Donnergepolter. Alle Anstrengung, kein Zauberspruch vermochte sie zu bewegen. Fluchend ließ Nargenhans von der störrischen Tür ab. Er fluchte ausgiebig.
Tuarta versuchte einen Hexenspruch, der sich gegen das Portal richtete. Der Erfolg war eher unangenehm, denn die Macht, die sie freigesetzt hatte, prallte jetzt wie ein Querschläger durch den Raum, platzte auseinander und setzte viele glutheiße Funken frei, die auf die Gefährten herabregneten. Einer von ihnen traf Methusalems Bart und versengte ein Drittel des Haarwustes.
"Immer mein Bart," fluchte er, "Warum immer mein Bart?"
Hektisch klopfte er die letzten Funken aus dem versengten Etwas und blickte Tuarta grimmig an. Aus der flammenden Öffnung ertönte nun ein Geräusch. Ah, es war eine Stimme, aber was für eine.
Sie klang wie ein saugendes Keuchen. "Tretet näher," wiederholte sie ihre Aufforderung, als keiner der Gefährten reagierte. Wie aus weiter Ferne ertönte ein leises Lachen.
Zaudernd traten sie näher an die Öffnung heran. Ein kleiner, altarartiger Schrein befand sich in der Mitte des kleinen Raumes, in den die Öffnung führte und der ansonsten völlig leer war.
Auf dem Schrein lag aufgeschlagen ein dicker Foliant.
Von ihm ging dieses glosende, flackernde Leuchten aus.
Wieder sprach die keuchende Stimme: "Ich bin Traan, das Buch Fartans. Er ist seit langer Zeit tot. Ich aber existiere, bin unsterblich.
Durch mich erlangt ihr die Lösung aller, wirklich aller eurer Probleme. Fragt mich, doch berührt mich nicht.
Großes Unheil würdet ihr heraufbeschwören.
Talan würde vernichtet. Doch befolgt ihr meine Ratschläge, könnt ihr ihn retten. Wenn das gelungen ist, sucht mich wieder auf.
Das wird nicht einfach sein, doch ich allein bin in der Lage, den "Garobal" zu vernichten. Ein zweistimmiger Aufschrei ließ die Gefährten zu Nargenhans und Tuarta herumfahren.
"Tod und Teufel," schrie der Zwerg. Noch nie hatten sie ihn in diesem Zustand gesehen. "Garobal! Er nahm mir die Moorburg! Mein Heim, mein Reich, fünfhundert Jahre habe ich gebraucht um sie zu vervollkommnen, dann kam er und ich musste fliehen.
Mit viel Glück bin ich ihm entkommen."
"Mich fesselte er vor tausend Jahren an diesen Baum, tausend Jahre voller Qual, voller Einsamkeit," fiel Tuarta ein. "Eine lange Zeit," fuhr Nargenhans fort, "floh ich über Abgründe und bodenlose Schluchten, durch finsteren Urwald, tosende Flüsse und durch die Halbwelt der schwindenden Geister. Dort verlor er meine Spur.
Seinetwegen haben sich unsere Wege gekreuzt.
Der Garobal! Er ist das absolut Böse und er ist mächtig,....unglaublich mächtig".

DIE ERSTE AUFGABE

"Ich bin Traan, das Buch der Bücher! Fartan schuf mich einst, zusammen mit dem Tobel, dem Binder des Geistes. Jahrhunderte dauerte es, mich zu erschaffen, Seite um Seite, bis zur Vollendung.
Auch die Art und Weise, wie der Garobal, der Bewahrer des Bösen, der Vater der Hinterlist und der Grausamkeit, vernichtet werden kann, steht in mir geschrieben.
Doch der Tobel beging eine Hinterlist.
Um mich zu besitzen, versuchte er Fartan zu töten.
Der Zauberer jedoch erkannte die Gefahr gerade noch rechtzeitig und tötete den Tobel nach langem, harten Kampf. Doch geschwächt, wie er war, erwies er sich für den Garobal als leichte Beute.
Auch jetzt noch war es ein schlimmer Kampf, der die Oberfläche des Planeten verwüstete.
Schließlich jedoch unterlag Fartan einer Hinterlist des Garobal und dieser nahm ihm das Leben.
Nun hatte der Garobal keinen ernsthaften Feind mehr.
Von mir, dem Buch des Zauberers, einem weiteren, mächtigen Gegner, ahnte er nichts. Wenn ihr Talan rettet, wird jedoch meine Existenz offenbar werden. Zunächst müsst ihr ihn nur einige Zeit aufhalten. Das wird euch alle Kraft abverlangen. Die Vernichtung des Bösen wird jedoch meine Aufgabe sein. Ich muss dazu jedoch völlig rein sein. Keines Menschen Hand darf mich berühren, bis es soweit ist.
Tut ihr es dennoch, wird der Schrecken ewig herrschen können.
Setzt euch nun nieder und hört, was ich zu sagen habe.
Eure erste Aufgabe wird es sein, die Wühlungeheuer aufzuhalten.
Auch das Nahrungsproblem der talanischen Bevölkerung ist zu lösen. Außerdem muss die Voraussetzung geschaffen werden, einen neuen Baum heranzuziehen. Doch zuerst eure Aufgabe, die Ungeheuer abzuwehren. Lauscht meinen Worten."

*******************

Dolgon schwirrte der Kopf. Zweifellos hatte er miterlebt, wie sich Menschen mit einem Buch unterhielten.
Von dem eigentlichen Gespräch verstand er nichts, nur ein eigentümliches Raunen drang an sein Ohr.
Er, der Nicht-Magier, war auf eigenartige Weise aus dem Gespräch ausgeschlossen.
Nargenhans sah er etwas zeichnen, Tuarta bewegte die Hände in einem seltsamen Rhythmus.
Die Haare standen allen wirr vom Kopf ab, auch der halbverbrannte Bart des Zwerges reckte seine versengten Spitzen hierhin und dorthin. So vom Ansehen her war es eine komische Szene, doch dem Krieger war überhaupt nicht nach Lachen zumute, eher nach schleunigster Flucht.
Das unverständliche Gemurmel brach plötzlich ab, der Krieger konnte wieder verstehen, was gesprochen wurde. "Geht nun und erledigt eure Aufgabe. Es ist nicht gewiss, dass es Euch gelingt.
Diese Möglichkeit existiert gleichberechtigt neben einer Reihe weiterer. Einige davon bergen Tod und Verderben für einige oder alle aus eurer Gruppe.
Doch solltet ihr Erfolg haben, so erkauft ihr euch damit nur eine Eintrittskarte zu einem Spiel, bei dem eure Chancen immer geringer werden.
Euer Einsatz jedoch ist stets euer
Leben. Bald schon werdet ihr auf den Garobal treffen.
In diesem Kampf wird euch vielleicht Hilfe von einer Seite zuteil werden, von der ihr sie nicht erwartet.
Verzagt also nicht, kämpft um euer Leben und das dieser Welt!
Brecht nun auf, es ist Zeit."
Der kleine Raum, in dem Traan lag verdüsterte sich zusehends und im milchigen Schein der magischen Kugel des Zwerges verflüchtigte sich das Buch zu grauem Nebel.

DIE UNGEHEUER

Die Welt lag in frösteligem Zwielicht, als sie den Baum verließen. Es war unangenehm feuchtkalt unter dem gewaltigen Überhang des Baumes. Nichts bewegte sich.
Das Ungeziefer, von dem es am Fuße des Baumes bekanntlich Unmengen gab, tauchte nicht auf.
Eine ganze Menge toter Rieseninsekten lagen herum. Was mochte hier geschehen sein? In einiger Entfernung türmten sich vier hausgroße Hügel auf, die vorher nicht da gewesen waren.
"Darunter sind die Wühler," erklärte Tuarta. "Sie verdrängen mit ihren riesigen Leibern den Erdboden, dadurch entstehen diese Hügel.
" Genau nach dem Plan, den sie mit dem Buch besprochen hatten, brachen sie auf. Jeder bewegte sich auf einen der Hügel zu. Nargenhans und Methusalem übernahmen je einen Hügel, während Tuarta mit Engelmann und Fasim im Verein mit Dolgon sich dem dritten und vierten Hügel zuwandten. Die Hügel waren etwa fünfhundert Meter entfernt. So hatten sie in dem unwirtlichen Gelände ein ordentliches Wegstück zurückzulegen. Noch immer tauchten keine Insekten auf. Mit steigender Sonne wurden auch die Wühler wieder lebendig. Aus der Nähe hörte sich ihr Grölen apokalyptisch an.
Langsam begannen die Hügel auf den Baum zuzuwandern. Alle Gefährten hatten ihre Standorte mittlerweile erreicht. Sie streckten die Arme in die Luft, ein Donnergrollen, die Erde öffnete sich. Zauberer Hexe und Krieger stiegen in die Tiefe, das Reich der Wühlungeheuer hinab. Obwohl sich die Ereignisse zur selben Zeit abspielten, muss die Erzählung eine zeitliche Abfolge einhalten.

NARGENHANS

Als sich auf seinen Befehl hin der Boden öffnete, starrte der Zwerg zunächst einige Sekunden in das finstere Loch hinab. Einige Augenblicke später fasste er sich ein Herz und stieg in die dunkle Öffnung hinunter. Mit seinem Zauberbefehl hatte er eine Rampe geschaffen, die in einer sanften Neigung in die Tiefe führte.
Nargenhans trug einen mächtigen Knüttel bei sich, der ihm bei seiner gefährlichen Aufgabe helfen sollte.
Keines der Wühlungeheuer war leicht zu besiegen, doch hatte ihnen das Zauberbuch mitgeteilt, wo die Achillesfersen der monströsen Angreifer, die alle von verschiedener Art waren, lagen.
Dementsprechend hatten sie sich alle mit den entsprechenden Utensilien ausgerüstet, die erforderlich waren, ihnen zu begegnen und sie nach Möglichkeit zu vernichten. Dass erheblicher Mut für die bevorstehende Aufgabe erforderlich war, wusste Nargenhans bereits von dem Zauberbuch, wie viel Mut jedoch, das erfuhr er erst in dem Moment, als das Riesentier auftauchte.
Ein Rachen, riesenhaft, überwältigend, mit messerscharfen, fast mannslangen Zähnen, umrahmt von einem Haargestrüpp, jedes Haar so dick wie ein Finger.
Als das Ungetüm losbrüllte, wirbelte der Zwerg, vom Atemstrom getrieben, wie ein welkes Blatt durch die Höhlung.
Das Dröhnende Gebrüll ließ ihn sofort ertauben.
Der Knüttel entfiel seiner Hand.
In diesem Moment traf ein Sonnenstrahl das Untier. Wie ein lähmender Schlag ging es durch das Ungeheuer.
Abrupt blieb es stehen. Der Rachen, zum Brüllen aufgerissen, blieb weiter fassungslos offen stehen.
Jetzt oder nie! Nargenhans raffte das Holz vom Boden auf und hetzte mit riesigen Sätzen auf das halboffene Maul des Ungeheuers los.
Gewaltig stieß er sich ab und überwand im Sprung die schwertartigen Zähne des Wühlers. Es kam ihm gar nicht zu Bewusstsein, dass er sich gerade freiwillig in den Rachen eines Drachen begeben hatte. Entschlossen stellte er den Knüttel senkrecht. Gerade zur rechten Zeit. Eben schloss das Ungetüm sein Maul. Doch es gelang nicht völlig. Der Knüttel verhinderte das. Das Ding war offenbar so überrascht, dass es zu brüllen vergaß. Mit zwei großen Sätzen sprang der Zwerg in den Schlund des Ungeheuers. Der Schluckreflex riss ihn in die Tiefe.
Zunächst war das gar nicht so schlimm, nur stank es bestialisch um ihn her.
Durch den schleimigen Schlund raste er hinab und klatschte in einem großen Hohlraum zu Boden.
Eine Knietiefe Pfütze umgab ihn, in der schleimige, schlangenartige Dinger ihr Unwesen trieben.
Der Zwerg zuckte vor Ekel zusammen, als ihn eines der Schlangentiere am Bein berührte.
Auch das Licht seiner Kugel gab dem Zwerg keine Beruhigung.
"Nur aus dem Inneren kannst du es vernichten, von Außen ist es gegen Verletzung und jede Zauberkraft gefeit."
So hatte Traan gesprochen.
Jetzt, im Innern des Magens konnte der Zwerg dem Ungetüm Einhalt gebieten.
Der Gestank brachte Nargenhans fast um den Verstand.
Die Luft war zum Schneiden dick und enthielt kaum Sauerstoff.
Eile war geboten, zumal er bemerkte, dass die Flüssigkeit am Boden des Magens seine Füße verätzte.
Der Zauberspruch verstärkte die Stimme des Zwerges zu einem welterschütternden Dröhnen.
Mit fürchterlicher Stimme sprach er den mächtigen Zauberspruch, den ihn das Buch gelehrt hatte.
Es war ein überaus machtvoller Zauber, der Berge versetzen konnte.
Die Bewegungen des Ungetüms hörten schlagartig auf.
Ganz plötzlich war der Tod über die Kreatur gekommen.
Es dauerte eine geraume Weile, bis Nargenhans genug Kraft und Mut gesammelt hatte, sich mit seinem Messer aus der Tierleiche zu befreien.

DIE HEXE UND DER BÜRGERMEISTER

Finster war es in dem Loch.
Unheimlich dröhnte das Geräusch des sich nähernden Ungeheuers. Engelmann führte einen langen Stab mit sich, an dessen einem Ende ein Stoffballen befestigt war, den sie mit einer bräunlichen Flüssigkeit getränkt hatten.
"Das Auge auf seiner Stirn, nirgendwo sonst ist das Monstrum verwundbar.
Schafft ihr es jedoch, ihm die Flüssigkeit ins Auge zu bringen, so wird es augenblicklich sterben."
So hatte das Buch gesprochen und mit einigen Zauberworten einen flachen Tiegel mit der bräunlichen Flüssigkeit herbeigerufen.
Das Graben und Schleifen war näher gekommen.
Tuarta und Engelmann waren an die Grabenwand getreten, um das Ungetüm in der richtigen Position zu empfangen.
Dann brach es durch die Wand. Durch das Licht fühlte es sich nur wenig gestört.
Es erkannte Engelmann und Tuarta augenblicklich als Feinde und handelte entsprechend.
Aus der Seitenwand brachen mit dröhnendem Gepolter schwarze, riesige Greifklauen hervor, von denen eine Tuarta packte, während Engelmann der anderen mit knapper Mühe entging, indem er auf das Ungeheuer zu
sprang.
Tuarta schrie gellend, während Engelmann den zuschnappenden Riesenkiefern auswich.
Unterhalb des Nasenhöckers sprossen aus dem Kopf des Ungetüms armdicke Borsten.
Der Bürgermeister nahm den Stab quer in den Mund und begann behände, die Barthaare empor zu klettern, während das Wühltier vergeblich versuchte, ihn abzuschütteln.
Furcht verleiht bekanntlich Flügel und Engelmann turnte, obgleich nicht gerade von sehr sportlicher Gestalt, mit affenartiger Geschwindigkeit empor.
Hinter ihm schrie Tuarta in höchster Not. Engelmann hatte das Riechorgan des Ungeheuers erreicht, das Auge darüber hielt der Lindwurm jedoch fest geschlossen.
Eine Grabklaue schwang auf den Bürgermeister zu, um ihn herunterzuwischen.
Er hielt sich an dem Riechorgan fest und tauchte darunter hinweg. Fast wäre er eingeatmet worden.
Nur durch einen verzweifelten Klimmzug rettete er sich.
Bei dieser Aktion entfiel ihm der Stab mit dem getränkten Lumpenkopf. Zwar griff er danach, erwischte jedoch nur den Stoffballen, der ihm aus den Fingern glitschte und vor dem Monstrum auf den Boden kollerte. Einwenig der Flüssigkeit war an seiner Hand haften geblieben.
Dies war die letzte Chance, die er noch hatte.
So schnell er konnte, schwang er sich auf das Riechorgan, wobei er wiederum nur mühsam der Grabklaue entging, die nach ihm angelte. Verzweifelt bemühte er sich, nichts von dem bräunlichen Leim an seiner Hand abzuwischen.
Es blieb das ewige Geheimnis des Monstrums, warum es eben in diesem Moment das Auge öffnete.
Ohne auf seine Umgebung zu achten sprang Engelmann los. Im gleichen Moment erkannte er, dass er abstürzen würde, ob Erfolg oder nicht. Er erreichte das halboffene Auge mit der Hand und klatschte die braune Substanz hinein, während er gleichzeitig den Halt verlor und aus mehreren Metern Höhe hinunterstürzte. Sehr schmerzhaft prallte er unten auf und verlor fast das Bewusstsein.
Der Schmerz nahm ihm den Atem und für Sekunden konnte er sich nicht bewegen. Als der furchtbare Rachen ihn fast erreicht hatte, schloss er mit seinem Leben ab.
Doch ehe das Monster ihn endgültig packen konnte, starb es.
Mit einem letzten Schnaufen brach es zusammen.
Mühsam rappelte Engelmann sich hoch, um Tuarta aus der Umklammerung der Grabkralle zu befreien.
Die Hexe stöhnte nur ganz schwach.
Sie war offenbar sehr schwer verletzt. Mit dem Messer aus seinem Gürtel begann der Bürgermeister die hornigen Krallen des toten Wühlers aufzubrechen, ein sehr mühseliges Unterfangen.

*******************

Auch Methusalem betrat den Weg in die Tiefe nicht ohne zu zögern.
Das Vertrauen in seine Kraft war wesentlich zusammengeschmolzen, seit er hier zum ersten Mal mit einer Magie konfrontiert worden war, die der seinen weit überlegen war, ja die er nicht einmal verstand.
Der Dudelsack, sein treuer Gefährte, war ihm nur ein geringer Trost. Zum ersten Mal in seinem langen Leben zitterte Methusalem vor Furcht. Irgendwie musste es ihm gelingen, auf die Rückseite des Ungetüms zu gelangen. Hier sollte sich eine Drüse befinden, die für das Ungeheuer lebenswichtig war und die er durch Zauberei zerstören konnte. So schnell es ging, buddelte er sich eine Nische, in die er sich hineinquetschte.
Leider war sie nicht sehr tief und da Methusalem einen beachtlichen Leibesumfang hatte, ragte sein Bauch zentimeterweit daraus hervor. Zu weiteren Grabaktionen blieb keine Zeit mehr, da eben die Wand unter dem Ansturm des Ungeheuers zusammenbrach.
Ein schuppiger Riesenwurm schob sich hervor, stutzte kaum, als er das Licht bemerkte, und begann, sich an Methusalem vorbeizuschieben. Bereits nach kürzester Zeit wurde die Sache unangenehm.
Der Druide bemerkte, wie die Knöpfe seiner Hose und Jacke abplatzten. Sein Hemd öffnete sich und für Methusalem begann eine entsetzliche Tortur. Die harten Schuppen kratzten seinen Bauch entlang und scheuerten die Haut auf. Er wand sich in dem engen Loch, um dem schmerzhaften Ansturm auszuweichen.
Im hinteren Teil des Ungetüms gingen die Schuppen in gummiartige, weiche Höcker über.
Diese begannen nun, Methusalems Bauch zu massieren.
Methusalem war außerordentlich kitzelig.
Er quietschte vor Lachen und bog sich unkontrolliert hin und her. Zwischen Lachen und Fluchen stieß er unsanft gegen den Dudelsack, der gab einen quäkenden Laut von sich und es begann zu schneien. Methusalem vergaß sein Lachen.
Es wurde unmenschlich kalt in dem Loch. Mit letzter Kraft packte er das Instrument und entlockte ihm ein paar frostige Töne. Der Schneesturm hörte auf.
Vom Druck befreit und halb erfroren kollerte er aus dem Loch, kaum in der Lage, sich zu bewegen, so unterkühlt und steifgefroren war er.
Erst nach Sekunden dämmerte ihm, dass das Ungeheuer, das er jagen sollte, längst vorbei war.
Voller Schmerzen raffte er sich auf und rannte hinterher.
Glücklicherweise bewegte sich der Wühler nicht besonders schnell und Methusalem holte langsam auf.
Er musste sich vor herabfallendem Geröll hüten und öfter als einmal stolperte er über irgendwelche Erdbrocken oder Kot, den das Tier zurückgelassen hatte.
Schließlich tauchte der Wurmschwanz vor ihm auf. Die Drüse leuchtete diffus in grünlichem Licht.
Der Dudelsack war wieder halbwegs aufgetaut und Methusalem riss ihn an die Brust.
Hierbei stolperte er wieder einmal und klatschte mit Gesicht und Oberkörper in einen riesigen Kotfladen, den der Wurm verloren hatte. Trotzdem versäumte er keine Sekunde sondern rief aus dem Dudelsack eine Tonfolge hervor, die ihm Traan beigebracht hatte.
Die Wirkung war enorm. Die Drüse platzte wie eine Granate und überschüttete ihn zu allem Ungemach mit einem Berg übelriechenden Schleimes.
Gleichzeitig begann das Ungeheuer zu toben. Es war, als schüttele sich die Erde.
Methusalem rannte, was er konnte.
Hinter ihm brachen ganze Abschnitte des Tunnels zusammen. Steine prasselten herunter und verletzten ihn am Kopf.
Als das Toben schließlich aufhörte, stand er vor einer Mauer aus Erde und Gestein. Der Gang war verschüttet. Mühselig und fast am Ende seiner Kraft, begann er sich frei zu graben.

FASIM UND DOLGON

Dolgon und der Zauberer waren auf Talan aufgewachsen.
Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatten sie gegen Ungeheuer jeder Art gekämpft.
Ihre Angst vermochten sie zu beherrschen, wenn es um wesentliche Dinge ging, und hier ging es um den Erhalt ihrer Welt.
Fasim war sich darüber klar, dass sie beide die schwächste Gruppe darstellten, die den Ungeheuern gegenübertreten sollte.
Andererseits wusste er, dass sie dieses eine Ungetüm töten mussten.
Dolgon, der Krieger ging voran.
Er hielt in seiner Hand ein kurzes Schwert, das er der Zauberkraft des Buches verdankte.
Mit ihm konnte er das Monstrum verletzen, wenn auch nicht töten.
Er hatte die Aufgabe, das Ungetüm abzulenken und ihm einige seiner zwanzig Stielaugen abzuschlagen,
während Fasim mit seiner Zauberei den Saugstachel des Wühlers außer Funktion setzen sollte. Dies war die einzige Stelle, an welcher der Wühler verwundbar war.
Im Verhältnis zu den Aufgaben der Anderen erschien das eigentlich einfach zu sein. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Fasim ein Zauberer minderer Qualifikation und Begabung war.
Er hatte sich überwiegend mit der Erschaffung schöner Dinge, wie Blumengärten, hübscher Anlagen und Häuser einen Namen gemacht und so grübelte er, während sie in die Tiefe stiegen, verzweifelt über dem Ende des Zauberspruches, den er von Traan gelernt hatte, der ihm aber nicht mehr einfallen wollte.
Sein Kopf war leer und nur einige untaugliche Fragmente von Zaubersprüchen fielen ihm ein. Mit Donnergepolter durchbrach der Wurm die Wand. Dolgon, zeitlebens ein Krieger der ersten Klasse, dekoriert mit den höchsten Auszeichnungen für Tapferkeit, war hier zum ersten Mal seit dem Erscheinen der Fremden in seinem Element.
Noch ehe das Riesentier reagieren konnte, sprang er vor und schlug ihm zwei seiner überdimensionalen Stielaugen ab, wobei er dem gewaltigen Saugstachel des Ungeheuers geschickt auswich.
Der Stachel maß in der Länge leicht vier Meter, seine Dicke etwa einen halben. Der Riese stieß ein Grölen äußerster Wut und entsetzlichen Schmerzes hören, schnellte herum und versuchte Dolgon zu erreichen. Nur knapp entging der den Grabschaufeln des Riesen. Das Grölen ließ die beiden Talaner sofort ertauben. Immer wieder versuchte das Ungeheuer den Krieger mit Grabschaufeln oder Zähnen zu erwischen, doch Dolgon wich ein ums andere Mal aus.
Fasim bemühte sich nach Kräften um seine Zauberei, doch da ihm der letzte Teil des Spruches einfach nicht einfallen wollte, richtete er nichts aus.
Der Krieger hatte bereits acht Stielaugen abgeschlagen, doch auch er geriet langsam in Bedrängnis.
Allmählich erlahmte seine Kraft. Weiter und weiter wurden die beiden Männer an die Rückseite der Spalte zurückgetrieben.
Das Ende war absehbar. Fasims Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Eine Chance hatten sie noch, er mußte den Zauberspruch des Buches mit einem von den seinen kombinieren.
Das mochte funktionieren oder auch nicht, aber es war die letzte und einzige Hoffnung, die sie hatten.
Fasim versuchte es.
Nichts geschah.
Nur noch Sekunden verblieben den Männern.
Der Zauberer wandelte den Spruch nochmals ab und versuchte es erneut. Diesmal war der Erfolg ganz außerordentlich.
Der Saugstachel verwandelte sich innerhalb einer Sekunde in eine riesige Blüte. Dolgon ließ vor Überraschung sein Schwert fallen.
Die Gefahr für den Riesenbaum war vorbei, doch ihre eigenen Probleme waren nicht geringer geworden.
Talan drohte von der Riesenblüte sicherlich keine Gefahr mehr, doch der zahnbewehrte Rachen schob sich näher und näher heran. Der Weg hinaus war durch das Ungetüm versperrt.
Nichts konnte die beiden noch retten.
Plötzlich gab es ein rollendes Gepolter und ein großer Felsbrocken kollerte die Erdrampe herunter.
Lange hatte Pluto gewartet, wieder auf Menschen zu treffen.
Der Sturz aus riesiger Höhe hatte ihm kaum Schaden zufügen können. Furchtbar hatte er in seinem Heißhunger unter dem Ungeziefer gewütet, das um den Baum hauste.
Dass die Freunde bei ihrem Marsch zu den Wühlern nicht auf Rieseninsekten gestoßen waren, lag zum größten Teil an seinem Einsatz.
Nun endlich hatte er wieder Menschen gefunden und ein Ding, offensichtlich einen Feind, den es zu vernichten galt.
Pluto machte sich an die Arbeit.
Im Laufe der letzten Tage hatte er durch reichliche Ernährung erheblich an Masse zugenommen. Da ihm bisher kein Gegner an Kraft gleichgekommen war, stürzte er sich ohne zu zögern auf das Ungetüm. Durch Plutos Erscheinen waren die Männer zunächst verblüfft, auch Dolgon hatte Pluto nicht sofort wiedererkannt.
Erleichtert hasteten sie die Rampe empor, die durch das Umwenden des Wühlers freigeworden war.
Hinter ihnen schien die Welt in Fetzen zu gehen. Es krachte und rumpelte, als prallten Berge aufeinander. Das Wühltier grölte, dass Talan in seinen Grundfesten erbebte. Dolgon und Fasim bemerkten nur die Erschütterungen, da sie noch immer völlig taub waren.
Riesige Felsbrocken flogen durch die Luft, die ganze Szene hüllte sich in Staub.
Pluto stand zum ersten Mal einem gleichwertigen, ja überlegenen Gegner gegenüber.
Zwar hatte er riesige Portionen aus dem Ungeheuer herausgerissen, das aber hatte seinerseits von Pluto große Stücke abgeschlagen und es war nur noch eine Frage der Zeit bis seine Größe soweit verringert sein würde, dass er dem Ungeheuer nicht mehr gefährlich werden konnte und wie weit er in der Größe reduziert werden konnte, ohne zu sterben, das wusste niemand. Dolgon, der sich inzwischen wieder hochgerappelt hatte, sah Pluto in Not. Im Kampfgetümmel konnte er sein Schwert liegen sehen. Im nächsten Moment stürmte er die Rampe hinunter und packte es mit beiden Händen.
Mit dem Mute der Verzweiflung stürzte er sich erneut in das Kampfgeschehen und hieb dem Monstrum ein weiteres, das elfte Auge ab. Zu sehen war kaum etwas.
Der Staub machte das Atmen fast unmöglich.
Wieder und wieder hieb er mit dem Schwert drauflos. Plötzlich bemerkte er, dass sich das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden begann.
Nur noch drei Stielaugen waren dem Ungeheuer geblieben, in seinem Kopf und dem Hals klafften riesige Wunden, die Pluto geschlagen hatte, als es sich zur Flucht entschloss. Schwerfällig und schmerzerfüllt grölend grub es sich mit seinen lädierten Greifklauen einen Gang, der von Talan wegführte.
Die Gefahr war vorbei.
Alle atmeten befreit auf.
Der Juniebaum würde fortan in Sicherheit sein, da ihm der letzte Wühler mit seinem deformierten Saugstachel nicht mehr gefährlich werden konnte.
Mühsam kämpften sich Dolgon, total erschöpft und Pluto, auf ein Drittel seiner Größe zusammengeschlagen, wieder zu Fasim an die Oberfläche. Dort konnten sie sehen, wie sich der Wühler mit beachtlicher Geschwindigkeit von ihnen entfernte.
Verglich man die Geschwindigkeit die er dabei an den Tag legte, mit der, die er bei seiner Ankunft vorgelegt hatte, so war klar, dass er sich in voller Panik befinden mußte.
Niemals wieder würden wurzelzerstörende Wühlungeheuer den Riesenbaum in Gefahr bringen.
Für diesmal hatten die Freunde einen umfassenden Sieg errungen.

ÜBERLEGUNGEN

Langsam, kriechend und stöhnend, die anderen humpelnd und keiner ohne Kratzer, Beulen oder sonstige Blessuren, trafen sie sich am vereinbarten Treffpunkt.
Tuarta war am schwersten mitgenommen.
Ein Stachel der Greifklaue war in ihren linken Arm gedrungen und hatte eine offene, offensichtlich vergiftete Wunde hinterlassen. Die Hexe hatte hohes Fieber. "Irgendetwas muss an dem Stachel gewesen sein." Engelmann verschaffte mit einigen gekonnten Zaubersprüchen seinen ärgsten Blessuren Linderung und reinigte auch sein verdrecktes Äußeres. Er wandte sich an Methusalem, der wie ein wandelnder Misthaufen in der Landschaft herumduftete. "Du solltest etwas gegen diesen unverschämten Gestank tun."
Während sich Alle restaurierten, setzte er sich zu der Hexe. Hier jedoch war all ihre Zauberkraft vergebens. "Verdammt, warum können wir uns selbst heilen, sie aber nicht?" Es war Fasim, der diese Frage stellte. Engelmann hob eine Augenbraue und blickte ihn entnervt an.
"Es sollte dir, der du dich Zauberer nennst, aufgefallen sein, dass wir es hier mit einer sehr mächtigen, überaus schwarzen Magie zu tun haben, eben jener, welche die Wühler erschaffen hat.
Ohne Hilfe des Buches wären wir denen auch nicht gewachsen gewesen. Hier sieh!" Er formte aus den beiden Händen einen Kreis, den er über die Wunde der Hexe hielt. Fasim blickte hindurch und prallte zurück. Was normal wie eine zentimetertiefe Stichwunde aussah, entpuppte sich bei einem Blick durch die Hände als eine blasenwerfende, schwarzverfärbte, matschige Wunde, die sich offenbar ständig vergrößerte.
"Wir haben unser Gehör restauriert und alle unsere Wunden geheilt. Den Dreck haben wir von unseren Körpern entfernt, doch das hier das überfordert unsere Möglichkeiten doch gewaltig.
Ich habe Angst, sie wird sterben.
Das Fieber ist erschreckend hoch. Lange kann sie dem nicht widerstehen." "Ganz gleich, was ihr Verlust für uns bedeutet, so hat sie von Traan die Anweisungen zum Bau der Maschine des Süßlar Bittermann erhalten, weil sie eine Bewohnerin des Baumes ist."
Nargenhans stützte den Kopf in die Hände. "Die Talaner werden sterben, wenn sie stirbt. Ihr erinnert euch, dass das Buch verschwunden ist."
"Wir könnten einen Berg Lebensmittel herzaubern!" Diesmal hob Engelmann beide Augenbrauen. "Deine Unwissenheit ist fast schmerzhaft. Willst du ewig hier bleiben und für das Essen der Talaner sorgen?
Du könntest nie hier weg. Ein schwieriges Unterfangen ist es außerdem. Du kannst ja nicht mit einem Spruch verschiedene Esswaren herzaubern. Brot braucht ebenso einen eigenen, wie Butter und jede Wurstsorte.
Um den Talanern ihre gewohnte Nahrung zu verschaffen, müssten wir herumexperimentieren ohne zu wissen, ob wir je Erfolg hätten. Bevorratungen im großen Stil gehen auch nicht.
Die Sachen würden nach kurzer Zeit schlecht werden. Wir alle
müssten unser restliches Leben hier verbringen, ununterbrochen mit der Erzeugung von Lebensmitteln beschäftigt.
Den lieben langen Tag müssten wir herumzaubern um alle Bedürfnisse zu befriedigen.
Du solltest dir überlegen, was du vorschlägst, denn so geht das mit Sicherheit nicht." "Unsere einzige Möglichkeit ist also, Tuarta zu retten," überlegte Fasim laut vor sich hin.
Er war nicht beleidigt, wusste er doch, dass er kein besonders hervorragender Magier war. "Ich glaube, ich weiß eine Lösung," verkündete er dann. "Vor einigen hundert Jahren lebte auf einem anderen Juniebaum ein anderer, großer Druide. Er war berühmt wegen seiner hervorragenden Heilkunst, allerdings auch wegen vieler anderer Fähigkeiten.
Es wurde ihm nachgesagt, er könne jede Krankheit heilen, wirklich jede. Auch mit den Auswirkungen schwarzer Magie habe er sich befasst. Ich weiß definitiv, dass der große Fartan ihn einmal aufsuchte um sich wegen einer Verletzung die er sich bei einem Versuch, mit schwarzer Magie umzugehen, zugezogen hat, Hilfe zu holen.
Der Druide, Golfoon hieß er, heilte Fartan auch beeindruckend schnell.
Er riet meinem Meister, den Umgang mit schwarzer Magie aufzugeben. Alle Verletzungen, Krankheiten und Wunden, Vergiftungen und sogar Verletzungen durch schwarze Magie könne er heilen, teilte mir Fartan einmal mit.
Er könne sogar tote zum Leben erwecken, wenn sie noch nicht in Verwesung übergegangen seien.
Aber selbst bei denen hielten ihn nur seine ethischen Prinzipien zurück, erwecken könne er auch jene.
Fartan hat niemals übertrieben. Wir können seinen Worten unbesehen glauben.
Golfoon lebte vor nunmehr fast tausend Jahren im Wipfel des benachbarten Juniebaumes Talbar. Talbars Wurzeln wurden von den Wühlern zerstört.
Nun müsst ihr wissen, dass der Tod eines Juniebaumes eine sehr langwierige Sache ist.
Die Saftströme kommen zum Erliegen und langsam entlaubt sich der Baum.
Dennoch kann er, je nach seinem Wachstum, noch eine lange Zeit stehen bleiben.
Noch vor zweihundert Jahren konnte man Talbars Skelett an klaren Tagen erkennen, sogar das Anwesen des Druiden war oft erkennbar.
Ob bewohnt, Ruine oder nicht, das war freilich auf diese große Entfernung nicht erkennbar.
In den letzten zwei Jahrhunderten wurde durch die zunehmende Versteppung und die damit verbundene Staubentwicklung, die Sicht so schlecht, dass selbst ich, von Talans Spitze aus, Talbar nicht mehr zu erkennen vermochte. Allerdings glaube ich nicht, dass das Baumskelett bereits gefallen ist.
Wir Druiden und Zauberer haben bekanntlich ein langes Leben jedoch soll Golfoon bereits vor tausend Jahren sehr alt gewesen sein.
Doch bei seiner medizinischen Begabung halte ich es durchaus für möglich, dass er noch dort oben auf Talbars knorrigen Wipfelästen lebt. Auf jeden Fall ist er Tuartas einzige Chance, da bin ich mir sicher." Methusalem richtete sich schwerfällig auf. "Wir werden also eine Expedition zusammenstellen. Kommt aber zunächst mit zum Baum. So etwas verlangt eine Ausrüstung und außerdem haben wir etwas Schlaf bitter nötig.
Nur etwas Schlaf....." Brabbelte er vor sich hin, während er mehr torkelnd als gehend dem Baum zustrebte.

DER LANGE WEG

Talbar war weit. Viele Kilometer entfernt, hinter einer felsigen Hügelkette hatte er einst gestanden.
Die Ungeheuer hatten die Wurzeln durchgenagt und der Baum starb innerhalb kurzer Zeit ab.
Hier und heute, hunderte von Jahren später, hofften die Reisenden zwischen den Welten, ihn noch stehend vorzufinden.
Sie hofften sogar auf einen bestimmten Überlebenden der Katastrophe. Ein sicherlich mehr als optimistisches Unternehmen, so dachte Methusalem, als er durch den feinen Staub watete.
Er ahnte, dass die Anderen mit ihm einer Meinung waren.
Trotzdem, wie sollten sie sich anders entscheiden?
Verdrossen stapfte er weiter.
Am frühen Morgen waren sie aufgebrochen. Der Sonnenaufgang war natürlich in dem Dickicht des Riesenbaumes nicht zu bemerken. Auch am Boden herrschte noch absolute Finsternis.
Angriffe von Insekten und anderem Viehzeug hatte es nur wenig gegeben und nach den Erfahrungen des gestrigen Tages neigte Methusalem dazu anzunehmen, dass Pluto unter den Asseln und Schaben, Raupen und Wespen furchtbar gewütet haben mußte.
Viele von ihnen gab es offenbar nicht mehr.
Pluto schleppte das Gestell, das sie gebaut hatten. Auf ihm lag Tuarta in tiefer Bewusstlosigkeit.
Dem Felsenwesen machte das zusätzliche Gewicht nichts aus.
Die Sonne stieg langsam höher.
Stunde um Stunde quälten sie sich durch den fast knietiefen Staub voran. Trotz aller angewandten medizinischen Künste hatte das Fieber nicht nachgelassen, es war eher noch angestiegen.
Tuartas ganzer Körper war von handtellergroßen, roten Flecken bedeckt. Ihr Gesicht erschien verquollen und aufgedunsen, dabei war es unnatürlich blass.
Als es Abend wurde, beratschlagten die Freunde.
Sie saßen um ein kleines Lagerfeuer, das sie mit dem Bruchholz unterhielten, das sie unterwegs gefunden hatten.
Es mußte etwas geschehen, das war allen klar, sonst hatte Tuarta nur noch wenige Stunden zu leben.
Zwar waren sie der Hügelkette bereits wesentlich nähergekommen, jedoch war abzusehen, dass Tuarta bei der augenblicklichen Reisegeschwindigkeit keine Aussicht hatte, ihr Ziel lebendig zu erreichen.
Noch mindestens zwei Marschtage lagen vor ihnen.
Tuartas Lebenserwartung betrug nach optimistischsten Prognosen noch maximal fünf Stunden. "Es muss doch einen Weg geben, ihr Leben zu erhalten, es muss einfach. Auf jeder Welt gibt es Heilpflanzen, auch magische, warum hier nicht? Wir brauchen die Situation doch bloß so zu halten wie sie ist, nur solange, bis wir den Baum, oder besser sein Skelett, erreicht haben. Fasim, du kennst diese Welt am besten, gibt es kein Mittel, das wir nutzen könnten?" Der Zauberer wiegte bedächtig den Kopf. "Vor tausend Jahren gab es solche Dinge. Aber ihr seht doch selbst, was von der Welt übriggeblieben ist. Trotzdem können wir uns auf die Suche machen.
Schließlich ist es egal, wo Tuarta stirbt und vielleicht gibt es ja eine Chance.
Bevor Fartan starb, benutzte er zu Zauberzwecken manchmal eine Heilpflanze, vielmehr den Saft ihrer Blätter. Ja ich erinnere mich jetzt, Ammon Latal nannte er sie.
Sie war ein machtvolles Kraut.
Jede Krankheit konnte sie heilen, wenn man sie richtig anzuwenden verstand.
Auch gegen schwarze Magie half sie.
Versteht mich richtig, nichts außer großer Magie heilt eine Wunde, die durch schwarze Magie verursacht wurde, doch vermag der Saft aus den Blättern dieser Pflanze solche Krankheit für kurze Zeit aufzuhalten.
Um diese Pflanze zu gewinnen verwandelte sich der große Magier in einen Adler.
Stets kam er mit einigen Büscheln in seinen Fängen zurück.
Da er nie lange fort war, kann der Ort, wo sie gedieh, nicht sehr weit entfernt sein.
Ich habe den Ort nie gesehen, doch der Meister sprach von einem kleinen herzförmigen See, an dessen Ufer Ammon Latal wachsen sollte." Allgemeine Konfusion.
Man redete durcheinander.
Gab es diese Pflanze noch, und wenn ja, würde sie helfen?
Nargenhans entschloss sich, den Versuch zu wagen.
Während Fasim ihm das Aussehen der Pflanze beschrieb, verwandelte der Zwerg sich in einen weißköpfigen Adler.
Nachdem Fasim seinen Vortrag beendet hatte, schwang sich der Vogel mit wenigen, kraftvollen Schlägen seiner Schwingen empor, erhob sich in die Luft, kreiste kurz über dem Lagefeuer und ließ sich dann von einer Warmluftströmung empor
tragen. Höher und höher schraubte er sich empor. Die Nacht auf dieser Welt war nicht völlig schwarz.
Zwar gab es keinen Mond, doch die Sterne strahlten und funkelten mit brilliantener Helligkeit und tauchten alles in dämmeriges Zwielicht.
Hell war es nicht, doch hell genug für Adleraugen.
Nargenhans entging nicht die geringste Einzelheit.
Öde und leer erstreckten sich die staubigen Ebenen unter ihm.
Nichts unterbrach das eintönige Grau des Bodens.
Dort vor ihnen, das mußte Talbar sein. Riesig ragte das verdorrte, blattlose Baumskelett vor ihm auf.
Er stand also noch, hatte die Jahrhunderte überdauert.
Nach seinen Eindrücken mußte er noch um einiges größer gewesen sein als Talan.
Einzelheiten vermochte er im Sternenlicht nicht zu erkennen und um nachzusehen fehlte ihm die Zeit.
Allerdings meinte er vage die Umrisse der Behausung des Druiden auszumachen.
Sollte der tatsächlich noch leben?
Sollte das der Fall sein, war seine Mission um so wichtiger.
Der Zwerg riss sich von dem düsteren Bild los und flog weiter.
Das Skelett des Juniebaumes war eine gute Landmarke und so entfernte sich Nargenhans, einen riesigen Kreis darum fliegend, langsam von ihm. In dem trüben Licht entdeckte er Reste einiger zerfallener Ansiedlungen. Wie Groß sie einst gewesen sein mochten oder ob es sich um eine einzige, riesige Stadt gehandelt hatte, er konnte es nicht unterscheiden.
Teilweise hatte der allgegenwärtige Staub alle Zeichen zugedeckt, manchmal waren auch gerade noch die Umrisse der Grundmauern zu erkennen.
Dort, wo auch sie nicht mehr zu sehen waren, wurden alle weiteren Überlegungen über Begrenzungen oder Größen zu bloßen Spekulation. Nargenhans hätte gern versucht, mehr darüber zu erfahren doch die Prioritäten seiner Mission zwangen ihn dazu, jeden Gedanken daran aufzugeben. Aber später, das schwor er sich, würde er zurückkehren um mehr über die ehemalige Bevölkerung zu erfahren.
Bei diesem Gedanken ahnte er bereits, dass es dieses Später nicht geben würde, für keinen von ihnen.
In dem herrschenden Dämmerlicht glaubte Nargenhans in einiger Entfernung eine Spur von Grün zu erkennen.
Nur einwenig Grün aber es stach aus dem alles überdeckenden Grau hervor wie ein Signallicht.
Ja, es war die Oase, nein es war irgendeine Oase, verbesserte er sich schnell. Nur nicht zu früh jubilieren, um so furchtbarer würde ihn ein Misserfolg treffen. Die Oase sah aus wie ein schimmerndes, schwärzliches Loch, grün umsäumt, das Jemand in die Ödnis der Wüstenlandschaft gestanzt hatte. Bereits bei seiner Landung erkannte der Zwerg, dass seine Suche nicht vergebens gewesen war.
Da standen sie. Es waren große, kräftige Pflanzen mit fleischigen, grünen Blättern.
Die Blätter hatten Lanzenform und strotzten vor Saft. Eine wunderschöne leuchtend gelbe Blüte mit violettem Zentrum krönte das Wunderwerk. Dem Zwerg, der von Natur aus ein besonderer Pflanzenfreund war, zerriss es fast seine Seele, als er die herrlichen Blumen unten an der Wurzel abschnitt und sie zu einem Bündel zusammenband.
Nargenhans trank etwas von dem Wasser und legte eine kurze Rast ein. Das Leben eines Vogels war doch anstrengender, als er geglaubt hatte.
Er beendete seine Mahlzeit und wollte sich eben wieder zurückverwandeln, als etwas völlig unerwartetes geschah.
Ein donnernder, vielfältig nachhallender Gong ließ die Erde erbeben.
Die Vibrationen waren so stark, dass es den Zwerg glatt von den Beinen riss.
Überall wölkten Staubfahnen in den grauen Nachthimmel empor. Scheppernd und hallend lief der Glockenton aus.
Er hatte dieses Geräusch hassen und fürchten gelernt.
Mit seiner begrenzten Macht hatte er dem Verursacher der Töne nur geringfügigen Widerstand entgegensetzen können.
Trotz allen Kampfes hatte er die Moorburg verloren.
Die Furcht war fast übermächtig.
Der Garobal, der Bewahrer allen Übels, der Vernichter des Lebens, Verteidiger des Unrechts, Herr des Grauens, und was der Titel, die er sich im Laufe seines Jahrtausende langen Lebens erworben hatte mehr waren, er hatte diese Welt wieder betreten.
In heller Panik beendete Nargenhans seine Verwandlung. Mit kräftigen Schlägen seiner Flügel, das Pflanzenbündel fest in den Klauen, flüchtete er vor dem Garobal.
Flüchtete er tatsächlich?
Der Zwerg konnte sich diese Frage selbst nicht beantworten.
Wären da nicht die Gefährten gewesen, möglicherweise hätte er sich auf den völlig aussichtslosen Kampf eingelassen.
Völlig in Gedanken rammte er auf seinem Flug einen anderen Vogel, der kreischend das weite suchte.
Er war ziemlich außer Atem, als er das Lagerfeuer schließlich erreichte. Wegen des Geräusches waren seine Reisegefährten fast in Panik ausgebrochen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Nargenhans sich soweit erholt hatte, dass er über das Geräusch und seine Ursache berichten konnte. Unterdessen begannen Methusalem, der Bürgermeister und der Baumzauberer begannen, die mitgebrachten Blätter auszupressen.
Dazu wickelten sie die Pflanzenteile in ein Tuch und drehten sie, so fest es ging, zusammen. Fasims Teil der Arbeit bestand darin, den blaugrünen Saft, der durch die Poren des Tuches drang, in einem hölzernen Napf aufzufangen. Das Holzgefäß war fast randvoll, als der Saftstrom versiegte. Der Baumzauberer füllte die Flüssigkeit in eine Feldflasche und verdünnte sie anschließend mit der gleichen Menge Wasser.
Danach nahm er einen kleinen Löffel vom Gürtel und tröpfelte der sterbenden Hexe einen Schluck zwischen die aufgesprungenen Lippen. So behutsam ging er dabei vor, dass Tuarta nicht einmal husten mußte. Mit dem vom Saft noch feuchten Tuch rieben sie ihren gesamten Körper ab. Schon Minuten später ging es Tuarta sichtlich besser.
Die Farbintensität der Flecke ließ nach und ihr keuchendes, stoßweises Atmen beruhigte sich zusehends. Auch das Fieber begann zu sinken, was die Gefährten erfreut bemerkten. Das Bewusstsein erlangte die Hexe jedoch nicht zurück.
Es war bereits Nacht, als die übermüdeten Gestalten sich zur Ruhe legten. Wenig Schlaf hatten sie noch vor sich und am nächsten Tag warteten weitere, furchtbare Strapazen.
Bis zum einschlafen hing jeder von ihnen für sich düsteren Spekulationen über die Zukunft nach. Seit der Garobal in der Welt Talans erschienen war, waren die Aussichten ganz und gar nicht mehr rosig.

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Die Morgensonne brachte keine neuen Erkenntnisse.
Der Hexe ging es unverändert, aber immer noch verhältnismäßig gut.
Fasim flößte ihr mehrmals täglich einen Löffel voll Ammon - Latal - Saft ein.
Auch heute ertrug Pluto das zusätzliche Gewicht ohne zu murren und so kamen sie gut voran.
Gegen Mittag überschritten die Gefährten die Wasserscheide des Hügels und konnten nun das Skelett des Baumes, den riesenhaften Überrest Talbars, des einst mächtigen Juniebaumes erkennen.
Er war nur noch eine halbe Tagesreise entfernt und ragte wie eine verkrüppelte Hand in den fahlen Himmel.
Die allgemein fröhliche Atmosphäre, der die Gruppe sonst meist unterlag, war einer düsteren, gedrückten Stimmung gewichen, wozu auch die Strapazen der Reise ihren Teil beitrugen.
Hoch in der von Wind und Sand glattgeschliffenen Höhe des Stammes konnten sie das Palastartige Haus Golfoons, des Druiden erkennen. Von hier unten, einen halben Tagesmarsch entfernt, konnten keine Anzeichen von Verfall festgestellt werden.
Alle Reste der einst mächtigen Baumrinde waren jedoch der tausendjährigen Erosion zum Opfer gefallen. Jeder Versuch, den Stamm von außen zu ersteigen, mußte, das war deutlich zu erkennen, zum scheitern verurteilt sein.
"Abgesehen von den Veränderungen durch Wind und Wetter, sieht das Haus aus, wie vor tausend Jahren, nichts hat sich verändert," sinnierte Fasim vor sich hin.
"Ich erinnere mich, Golfoon nannte es das Sieben - Welten - Haus. Was das zu bedeuten hat, weiß ich nicht, weil Fartan mich bei seinem Besuch draußen zurückließ, als er den Druiden besuchte.
Einmal sagte er, das Haus sei die Nabe der sieben Welten, was immer das auch bedeuten mag."
Engelmann schüttelte unwirsch den Kopf.
"Das ist alles wirklich lange her, tausend Jahre sind auch für Golfoon eine lange Zeit. Vermutlich wird er gar nicht mehr am Leben sein.
Außerdem scheint es keine Möglichkeit zu geben hinaufzugelangen. Wenn wir es als Bergsteiger versuchen wollten, währen wir bis an unser seliges Ende unterwegs, ganz abgesehen davon, dass wir nicht die nötige Ausrüstung haben.
Schnaufend setzte sich der korpulente Bürgermeister auf einen Stein und wischte sich die Schweißperlen von seiner hohen Stirn.
Nargenhans wiegte bedächtig den Kopf.
"Es gibt einen Weg, doch unter Umständen machen wir den Garobal auf uns aufmerksam. Wir könnten eine magische Brücke schlagen.
Wenn wir alle unsere Kräfte zusammentun, schaffen wir es sicher. Natürlich ist es möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, dass der Garobal unsere Zauberei bemerkt, doch ehrlich gesagt sehe ich keine andere Möglichkeit.
Direkt vor dem Haus Golfoons befindet sich eine große Veranda.
Wenn ihr nichts dagegen habt, schlagen wir dorthin die Brücke."
Da es tatsächlich unmöglich war, den Baum auf anderen Wegen zu ersteigen, stimmten die Gefährten widerstrebend zu.
Konzentriert begannen sie mit der Errichtung ihres magischen Bauwerkes.

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Der Garobal schlief . Sein Weg durch Zeiten und Räume war lang und selbst für ihn sehr beschwerlich gewesen. Als er feststellen mußte, dass im Lande der Juniebäume nichts mehr in seinem Sinne lief, hatte er sich sofort auf den Weg gemacht.
Zeit galt dem Garobal nichts. Er hätte den Niedergang des letzten aller Juniebäume und den unaufhaltsamen Untergang der Talaner in Ruhe abgewartet.
Es war die Agonie vor dem Tode, die der unaussprechlich böse Garobal besonders genoss. Er wusste, dass die Talaner nicht in der Lage sein würden, einen neuen Juniebaum wachsen zu lassen und seit Fartans Tod wurde die Barriere, die den letzten und einzigen Lebensraum der Baumbewohner vor seinen Kreaturen, den Wühlungeheuern schützte, von Jahrhundert zu Jahrhundert brüchiger und schwächer.
Mitten in diese Empfindungen von Erwartung und Zufriedenheit hinein waren die Todesschreie seiner Geschöpfe gedrungen und hatten die Monstrosität aufgeschreckt.
Etwas entscheidendes war im Lande des letzten Juniebaumes geschehen und mit Verwirrung und Erstaunen hatte er zur Kenntnis genommen, dass ihm ein neuer, alter Feind erstanden war. Es handelte sich dabei gewiss nicht um diese unwichtigen Zauberer, die auf mysteriösen Wegen in seinen Bereich eingedrungen waren, sondern um das lebende Buch Traan, das von Fartan und dem Tobel, seinem verräterischen Freund, geschaffen worden waren, bevor er den gewaltigen Zauberer vernichten konnte.
Der Garobal war realistisch genug um zu erkennen, dass sein Erfolg über den damaligen Feind nur der Hinterlist des Tobels zu verdanken war.
Um so besorgter war er deswegen über die Hinterlassenschaft des großen Zauberers.
Das Buch konnte ein wirklich ernstzunehmender Feind sein. So war der Garobal nach Talan gereist.
Er hatte sich sehr beeilt, mußte jedoch bei seiner Ankunft feststellen, dass das Buch aus seiner Reichweite entkommen war. Einige Zeit lang spürte er mit seinen übernatürlichen Sinnen nach dem Gegner, konnte jedoch nicht den geringsten Hinweis auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort herausfinden.
So unangenehm das auch zunächst für ihn sein mochte, so hoffte der Garobal doch, Traan in Kürze aufzustöbern.
Zunächst jedoch galt es den Juniebaum zu zerstören.
Hier brauchte er sich nicht sonderlich zu beeilen, der Riesenbaum konnte ihm schließlich nicht davonlaufen.
Um die kleine Gruppe magisch begabter Personen sorgte sich das böse Ungeheuer nicht.
Sie würden ihm als kleine Beigabe ebenfalls zum Opfer fallen, und für sie hatte er sich eine besondere Gemeinheit ausgedacht, eine Besondere Form ewiger Folter, der er auch Fartan nach dessen Niederlage zugeführt hatte.
Ewig leiden würden sie, genau wie ihr großmächtiges Vorbild es noch immer tat.
Der Garobal war ermattet von seiner Reise und legte sich mitten im wüsten Land nieder um zu ruhen.
Kurze Zeit später war er eingeschlafen.
Träume kannte seine Bosheit nicht und so schlief er tief, als die Weggefährten ihre magische Brücke errichteten.
Das Ungetüm hatte sehr feine Sinne, die ihn im Falle einer Gefahr sicher geweckt hätten, doch das magische Bauwerk erschien ihm nicht wichtig genug, eine Gefahr für ihn darzustellen, und so wälzte er sich nur unruhig auf die andere Seite und schlief weiter.
Es war ein tiefer Schlaf und wie für alle Dinge, die den Garobal betrafen, war die Zeit bedeutungslos.
Es konnte lange dauern, bis er erwachte, doch wehe dem, der ihm dann im Wege stand. Auf denjenigen wartete die grauenhafteste Überraschung, die sich das boshafteste Gehirn aller Zeiten ausdenken konnte, in der Zyklopenschmiede von Hagremm wartete das Trool auf sie und darauf freute sich der Garobal.
Ihre Not und Pein würden seine Speise sein.

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Zitternd und flirrend stand die magische Brücke in der Luft, fadenscheinig, wie aus Spinnweben gemacht und doch unvergleichlich fest und haltbar.
Beherzt traten die Gefährten auf das fast unsichtbare Gespinst, das sich in weitem, gläsern leuchtenden Bogen zur Krone des Mächtigen Talbar, des gewaltigen Baumskelettes schwang.
Fest war die Brücke, wie aus Stein gemauert, nur ein feines, fast unmerkliches Zittern war unter den Schritten der Gruppe zu spüren.
Daran mochte jedoch überwiegend Pluto schuld sein, dessen Geschmeidigkeit in der Bewegung noch immer zu wünschen übrig ließ.
Auf dem Gipfel der Brückenwölbung, die sie nach stundenlangem Marsch erreichten, konnten sie weit ins Land sehen.
Sie erblickten den Garobal, eine riesige, schwarze, menschenähnliche Gestalt, die schlafend am Boden lag.
Sein dröhnendes Schnarchen war ein Begleitlaut, über den sie sich bereits seit geraumer Zeit Gedanken gemacht hatten.
Erschreckend und beängstigend wirkte die liegende Gestalt und jeder der Anwesenden ahnte, dass nur der Schlaf des Ungetüms sie im Augenblick vor Schaden bewahrte.
Weit hinter dem Garobal schienen in der dunstigen Ferne hohe und schroffe Berge aufzuragen.
Dolgon, den sie danach fragten, wusste nichts darüber zu berichten.
Nie hatte einer seiner Vorfahren den Juniebaum zu längeren Wanderungen verlassen.
Es währe auch kein Talaner sehr weit gekommen.
Zügig schritten sie voran, immer das Schreckgespenst im Nacken, dass der gewaltige, übermächtige Feind erwachen könnte.
Gegen Mittag konnten sie die Mauern des Druidenhauses deutlicher erkennen.
Es wirkte eher wie ein Palast, eine Burg.
Gewaltsames Eindringen würde hier wohl nicht in Frage kommen.
Das Gemäuer schien vom Lauf der Zeit unberührt und wirkte aus der Entfernung uneinnehmbar.
Eine meterdicke Umfassungsmauer umgab das Bauwerk, über welche die Brücke hinwegführte und sie im gepflasterten Innenhof absetzte.
Es war Engelmann völlig unerklärlich, wie das morsche Geäst das abgestorbenen Riesenbaumes gewaltige Gewicht zu tragen vermochte. Mächtiger Zauber mußte hier am wirken sein, ein alter Zauber, den der Spruch der Auflösung nicht zerstören konnte.
Das gab Hoffnung, dass Golfoon, der Druide, entgegen allen Erwartungen, doch noch am Leben sein könnte.
Am Ende ihres Weges wartete eine kleine Veranda, die in den Innenhof hinausragte.
Drei steinerne Stufen führten empor und der Eindruck von Leben und Bewohntheit des Gebäudes verstärkte sich bei den Gefährten.
Üppig wuchernder, doch sorgfältig gestutzter Efeu umrahmte das Gesims und in großen steinernen Bottichen blühten bunte, nie gesehene Pflanzen und sogar mannshohe, sorgfältig beschnittene Bäumchen.
Dieser Anblick entlockte Fasim, dem Schöngeist, Ausrufe des Entzückens, während Engelmann die magische Brücke mit einigen Gesten und einem abschießenden Fingerschnippen verschwinden ließ.
Nichts erinnerte hier daran, dass sich die Freunde auf einer monströsen, steinernen Plattform, hunderte von Metern über dem Boden, im Geäst eines abgestorbenen Juniebaumes befanden.
Auch Dolgon war von der Blütenpracht in den Steinkübeln überwältigt.
Er hatte in seinem Leben kaum blühende Pflanzen zu sehen bekommen, lediglich die Schmarotzerlianen, die Talan von Zeit zu Zeit überwuchern wollten und die von den Bewohnern des Baumes mit viel Aufwand bekämpft wurden, brachten manchmal unscheinbare, weiße Blüten hervor. Die Blüten des Juniebaumes selbst unterschieden sich in ihrer Färbung kaum von dem übrigen Blattwerk, da sie auf Bestäubung durch Insekten nicht angewiesen waren.
Entzückt lief der Krieger von einem Beet zum anderen und bewunderte die hunderte von verschiedenen Arten, Formen und Farben.
Methusalem trat als erster auf die schwere, hölzerne Pforte zu, die einen ungewöhnlich massiven Eindruck machte.
An ihr war ein großer, hölzerner Schlegel befestigt, der in der Form einer sorgfältig geschnitzten Faust ausgeführt war.
Der Zauberer betätigte den Schlegel mit Kraft und ein dumpfes, dröhnendes "Bong" ertönte, nicht als währe der Schlegel auf Holz getroffen, es klang eher, als bestünde das Portal aus gegossener Bronze.
Alle warteten auf eine Reaktion, doch nichts geschah.
Methusalem besah sich das Gemäuer aus der Nähe.
Die Burg war aus einem undefinierbaren, grauen Gestein erbaut, das kaum Unebenheiten aufwies.
Ein Versuch, die Wand mit seinem Messer zu ritzen, bestätigte ihm seine Vermutung.
Der Baustoff war hart wie Granit.
Erneut betätigte er den Schlegel und diesmal war das Geräusch noch lauter und hallender, als beim ersten Mal.
Die anderen Gefährten hatten sich mittlerweile ebenfalls um das Tor versammelt. In ihren Gesichtern spiegelte sich die Spannung.
Nur Tuarta, deren Zustand nun, da die letzten Reste des Ammon Latal aufgebraucht waren, wieder kritisch geworden war, lag bewusstlos auf der Trage, welche die Gefährten an dem Felsenwesen befestigt hatten.
Der Verfall der Hexe schien jetzt erneut mit Riesenschritten voranzuschreiten und mit hoffnungslosem Gesicht flößte Dolgon ihr eben den letzten Löffel des Saftes ein, der vom dauernden Verdünnen fast farblos geworden war.
Wieder betätigte Methusalem den Klopfer, diesmal mit aller Kraft.
Ein unheimliches Donnergetöse ließ die Burg in ihren Grundfesten erbeben.
Einen Moment lang schien der ganze Baum zu zittern.
Kaum war der Lärm diesmal abgeklungen, öffnete sich die Pforte langsam und leise knarrend.
Der finstere Rahmen des Portals wurde von einem riesigen Menschen fast vollständig ausgefüllt, der ganz in schwarzes, düsteres Leder gekleidet war.
Seine Hautfarbe war fast ebenso dunkel, nur um die gesamte, untere Hälfte seines Gesichtes spross ein mächtiger, gelblich- brauner Bart.
Den Kopf bedeckte ein fester Lederhelm, unter dem eine wallende, blonde Haarmähne hervorschaute.
In der rechten Hand trug der Mann eine überdimensionale Keule, die insgesamt fast so groß war, wie der Körper Methusalems.
Dennoch benahm sich der Riese so, als hätte sie kein Gewicht.
"Was wollt ihr und warum macht ihr einen solchen Krach?" Fragte der Kriegsmann mit tiefer, dröhnender Bassstimme.
Engelmann übernahm es, zu antworten.
"Wir kommen von weit her und wollen den Druiden Golfoon in einer wichtigen Angelegenheit sprechen."
Der gewaltige Mensch zog den Lederhelm vom Kopf und kratze seine verfilzten Haarschopf."
Es sind Besucher angekündigt," verkündete er zur Überraschung aller Anwesenden, "doch sollte es sich um sieben Personen handeln, das sah der Meister voraus.
Die Zeit stimmt, doch ich zähle nur sechs. Ich nehme an, dass ihr die Leute seid, die Golfoon erwartet, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass ich euch abweisen muss, wenn ihr nicht sieben Personen seid.
Der Meister sagte, dass nur die vollständige Konstellation der "Sieben" Aussicht hat, in der folgenden Auseinandersetzung erfolgreich zu sein.
Die Sieben ist eine magische Zahl, die den Erfolg oder Misserfolg eurer Mission maßgeblich bestimmen wird.
Wo also ist das siebente Mitglied eurer Gruppe?"
In diesem Moment geschah etwas völlig unerwartetes.
Hardor, die kleine Kugel, die der Zwerg an einem Band um den Hals trug, begann rhythmisch zu leuchten.
Der gewaltige Mensch bemerkte es mit gerunzelter Stirn und trat einen Schritt zurück, wobei er seine riesige Keule hob.
In diesem Augenblick begann Hardor zu sprechen.
Seine bemerkenswerten Fähigkeiten hatte die Kugel bereits bei der Errettung der Hexe Tuarta erkennen lassen.
Diesmal erklang die Stimme der Hexe Urtel aus dem Kristall, zunächst leise, wie von weit her, dann fester und deutlicher werdend.
"Ich bin das siebente Mitglied des Bundes, lass uns nun herein!"
Nicht nur der gelbhaarige Riese war überrascht, während er nun widerspruchslos die Tür freigab, auch die Gefährten blickten die Kugel verblüfft an.
Es war eigenartig, die Stimme Urtels zu hören, ohne sie in der Nähe zu wissen.
In diesem Moment bemerkten sie erst, wie sehr ihnen die Hexe fehlte. Andererseits hatte es wenig Sinn, sich über dieses Ereignis den Kopf zu zerbrechen.
Urtel würde es zu gegebener Zeit erklären.
Dem Zwerg fiel auf, dass der Riese das Steinwesen offensichtlich als vollwertiges Mitglied der Gruppe anerkannte.
Das war ein Umstand, der Nargenhans zu denken gab.
Vielleicht war doch etwas mehr an Pluto, als er bisher angenommen hatte. Irgendwie wollte es ihm nicht in den Kopf, dass der gefräßige Stein ein Nebenprodukt irgendeiner Zauberei sein sollte und dieser Verdacht erhärtete sich durch das Verhalten des Kriegers noch mehr.
Ein finsterer Flur nahm sie nun auf, von dem viele Türen nach beiden Seiten abzweigten.
Der Krieger schritt jedoch an ihnen vorbei und führte sie geradewegs in eine domartige Halle.
Bis auf einige Sitzgelegenheiten war der Raum völlig leer.
Engelmann erschien die Halle wie ein siebeneckiges Kirchenschiff, durch dessen Kuppeldecke fahl die Sonne hereinleuchtete und den ganzen Saal diffus erhellte.
Jede der sieben Wände wies eine mehrere Meter durchmessende, fensterartige Öffnung auf, die jedoch allesamt mit gewaltigen Laden verschlossen waren.
Der Riese wies die Gruppenmitglieder an, auf den Sitzgelegenheiten Platz zu nehmen.
Während die Gefährten der Aufforderung folgten, gab es bei Pluto, der es den anderen nachmachen wollte, den bereits bekannten, ständig wiederkehrenden Zwischenfall.
Der Schemel, den das Steinwesen sich ausgesucht hatte, brach unter dem Tonnengewicht zusammen und Pluto, der sich in seinem Element fühlte, verspeiste die Überreste behaglich.
"Ich werde euch nun in aller kürze meine Geschichte erzählen," begann der Riese, nachdem er seine Irritation über Plutos Ungeschick abgeschüttelt hatte.
"Mein Name ist Senfbart. Die Bewohner Talans, die sich unter euch befinden, werden meinen Namen und meinen Ruf vielleicht aus alten Überlieferungen noch kennen.
Vor tausend Jahren gehörte ich dem wandernden Volk der Tusta an.
Wir folgten den Grabungeheuern und plünderten die Siedlungen der hoffnungslosen Bewohner, wenn die Bäume zu sterben begannen. Ernsthaften Widerstand hatten wir nur selten zu überwinden.
Bis zu dem Tag, da wir versuchten, Talbar, den Juniebaum zu plündern, dessen Wurzeln eben von den Wühlern zerstört worden waren, lebten wir von unserem Raub sehr gut.
Viele Baumbewohner fielen unseren Angriffen zum Opfer und auch bei Talbar war das nicht anders.
Wir rotteten die gesamte Bevölkerung des Baumes aus.
Dabei folgten wir keinen ethischen Gesichtspunkten, doch immerhin bewahrten wir die Bewohner vor langem Siechtum und dem Sicheren Hungertod.
Ich will damit die Handlungen meines Volkes nicht beschönigen, doch taten wir, was in der Natur überall vorkommt.
Wir töteten das waidwunde Lebewesen, das die Fähigkeit zum Überleben verloren hatte.
Monate verbrachten wir auf Talbar, ohne die Festung des Druiden Golfoon erobern zu können.
Da er sich jedoch nicht zum Kampf stellte, glaubten wir, er sei feige und hätte Angst vor uns. So begann mein Volk, den großen Golfoon zu unterschätzen.
Was wir nicht wissen konnten, war, dass der große Druide während der ganzen Zeit gar nicht in seiner Festung weilte.
Golfoon befand sich auf einer Forschungsreise in einer der sieben Welten, deren Nabe dieses Haus ist, woher der Ausdruck Sieben - Welten - Haus rührt.
Er wusste nichts von der Zerstörung des Baumes durch die Ungeheuer und er ahnte auch nichts von unserem Überfall auf die überlebenden Bewohner.
Nach Monaten, als der Druide schließlich zurückkehrte, hatten wir den Baum bereits fast vollständig ausgeplündert und waren dabei, Pläne zu ersinnen, wie wir die Festung des Magiers dennoch erobern könnten. Zumindest wollten wir das Haus aus der Krone herunterstürzen lassen. Den Mitgliedern meines Stammes war es unerträglich, eine uneinnehmbare Festung zurückzulassen.
Mitten in eine dieser Besprechungen platzte die Nachricht von der Rückkehr des Druiden.
Golfoon hatte Waffen, von denen wir zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hätten.
Krankheiten und Seuchen rafften mein Volk innerhalb weniger Tage dahin. Die wenigen Überlebenden vernichtete Golfoon mit seiner Zauberei.
Ich sah ihn wie einen Racheengel auf einer der Zinnen seiner Burg stehen. Er sandte Marschzauber aus, die in Form glänzender Kugeln die Gänge und Höhlen Talbars durchstöberten und jeden Mann, jede Frau meines Volkes töteten.
Es blieb niemand übrig, lediglich mich verschonte der Druide.
Golfoon stellte mich vor die Wahl, ihm zu dienen, oder ebenfalls zu sterben.
Zuerst wollte ich den Tod und versuchte auch mehrfach, meinen Bezwinger zu erschlagen.
Der alte Zauberer bewies mir jedoch, wie unzulänglich meine Bestrebungen waren.
Schließlich führten wir ein Gespräch und Golfoon überzeugte mich, dass von meiner Existenz das Überleben der ganzen Welt abhängen konnte.
Es war nicht leicht für mich, tausend Jahre unter ihm zu dienen.
Er brachte mir viel von dem bei, was er wusste und konnte, doch über viele Jahre hatte ich nur den einen Wunsch, ihn zu töten.
Doch die Zeit heilt die meisten Wunden und auch ich genas von meinem Zorn.
Heute weiß ich, dass nicht mein Volk, doch die Art zu leben, zu töten, zu unterdrücken, ein Geschwür im Körper dieser Welt war, das der Druide vertilgt hat.
Nach dem Fall Talans währen wir ohnehin zugrunde gegangen, da wir keine andere Art zu leben kannten, als uns von den Früchten der Arbeit anderer zu ernähren.
Talan war schließlich der letzte Juniebaum und auch der letzte auf unserer Liste.
Ich bin sicher, an dem Zauberer Fartan währen wir ohnehin nicht vorbeigekommen.
Soweit zu mir.
Ihr wisst nun, mit wem ihr es zu tun habt.
Fast tausend Jahre habe ich hier ausgeharrt und auf die Erfüllung der Prophezeiungen durch meinen Meister gewartet, mit Erfolg, wie es jetzt scheinen will.
Doch der böse Garobal hat viele Möglichkeiten der Täuschung.
Auch ihr könnt seine Geschöpfe sein.
Deshalb sollt ihr eine kleine Probe bestehen, bevor ihr Golfoon persönlich gegenübertreten dürft.
Es handelt sich um keine besondere Leistung, die euch abverlangt wird, ihr sollt lediglich erkennen, was hinter den Fensterladen dieses Raumes verborgen ist. Jeder von euch wird hierbei etwas anderes zu sehen bekommen. Erkennt ihr, was hinter den Fenstern ist, wird das ein ausreichender Beweis eurer Identität sein.
Ist auch nur einer unter euch, der diese Aufgabe nicht lösen kann, werde ich euch alle töten und glaubt mir ruhig, hier in diesen Hallen ist mir nichts und niemand gewachsen, außer meinem Meister Golfoon."
Jetzt sprang Engelmann verunsichert auf.
"Was ist mit Tuarta? Sie liegt auf den Tod darnieder, sie hört nichts, sieht nichts und erkennt folglich auch nichts."
Der senfgelbe Bart des Riesen verzog sich zu einem Lächeln.
Er zog eine kleine silbrige Phiole aus einer kleinen Tasche.
"Dieser Trank wird sie für die Dauer der Prüfung genesen lassen.
Danach, wenn ihr nicht die seid, für die ihr euch ausgebt, wird sie sterben. Er drückte Nargenhans das Gefäß in die Hand und wirbelte unvermittelt auf dem Absatz zu Engelmann herum.
"Versucht keine Zauberei! Ich bin selbst ein Zauberer, von Golfoon in Jahrhunderten geschult, und ich bemerke das.
Jeden weiteren derartigen Versuch müsste ich als feindliche Handlung werten und entsprechend ahnden." Bei diesen Worten schien Senfbart noch gewaltiger zu werden. Drohend ragte sein Schatten über den Gefährten auf.
Engelmann schnaufte einwenig und ließ es bei dem Versuch bewenden.
Er war sich keineswegs sicher, dass der Riese ihnen überlegen war, doch für eine Auseinandersetzung bestand keine Veranlassung.
Die Spannung, die für Augenblicke aufgekommen war, wich.
Alle atmeten auf.
Unterdessen flößte Nargenhans Tuarta den Trank aus der Phiole ein. Bereits nach wenigen Augenblicken verblasste die ungesunde Röte der Haut und weitere Sekunden später schlug die Hexe die Augen auf.
In aller Eile teilte ihr der Zwerg mit, was sie wissen mußte, während Senfbart zum ersten Fenster hinübertrat.
"Es ist Zeit, mit den Proben zu beginnen," dröhnte seine Stimme.

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Mit Donnergepolter löste sich ein schwerer Riegel unter seinen Händen und knarrend schwangen die Fensterflügel auf.
"Du!" Senfbart wies auf Nargenhans, der gehorsam auf das Fenster zutrat.
Dunkelheit. Nur einige helle Sterne leuchten durch die abgrundtiefe Schwärze. Langsam gewöhnten sich die Augen des Zwerges an die Finsternis und schemenhaft konnte er Gebäude erkennen, die kreisförmig einen Stollen umgaben, der senkrecht in die Erde zu führen schien.
Nargenhans erkannte, was er sah, zumindest die oberirdischen Teile der Anlage.
Mit vorquellenden Augen stöhnte der Zwerg, während er sich an dem Fensterladen festkrallte. "Das ist die Moorburg, meine Heimat, mein Zuhause. Der Garobal hat mich von dort verjagt."
"Probe bestanden!" Dröhnte Senfbart.
"Nun du!" Sein Finger wies auf Dolgon, während er bereits ein zweites Fenster öffnete.
Grünliches Licht flutete herein. Ein riesiges Baumblatt breitete sich vor Dolgons Augen aus. In der Mitte erhob sich ein schmuckes Holzhaus mit säulengestütztem Vorbau.
Eine junge Frau trat heraus und bedeckte die Augen mit der rechten Hand., ein Zeichen von Trauer und Sorge.
Fröhlich hüpfte ein etwa dreijähriges Mädchen die Treppe herunter und umschlang quietschend die Beine der jungen Frau.
"Nami, meine Frau und Zala, meine Tochter," lächelte Dolgon stolz.
"Bestanden!" Grollte Senfbart, während er das Steinwesen heranwinkte, das mit beträchtlichem Getöse, doch folgsam wie ein Hund herübertrottete.
Als Senfbart den dritten Flügel öffnete, bot sich den Beschauern ein erstaunliches Bild.
In einer mächtigen Felsenhöhle lag ein gewaltiger Felsklotz.
Wie Pluto verfügte er über eine Unzahl von Augen, die den gesamten Körper bedeckten. Ein urweltliches Grummeln ging von dem mächtigen Steinwesen aus, gegen das Pluto klein wie ein Krümel wirkte.
"Pluto ist gar nicht mein Geschöpf," staunte Methusalem.
"Richtig!" Antwortete Senfbart mit einem Lachen. "Du hast ihn nur zu dir geholt."
Pluto stieß ein kleines Geräusch, halb ängstlich, halb liebevoll, ähnlich dem Schrei einer Robbe, hervor und musterte seinen Größeren Artgenossen mit aufgerissenen Augen.
"Auch bestanden!"
Alle atmeten erleichtert auf. Mit Pluto hatten sie am meisten Schwierigkeiten erwartet.
Ein dunkler Raum erschien, als Tuarta unter Aufbietung aller Kräfte und nach Aufforderung durch Senfbart zum Fenster taumelte, das dieser geöffnet hatte.
Die Erklärungen des Zwerges hatten die Hexe ins Bild gesetzt, doch erschien es zweifelhaft, ob es ihr gelingen würde, hinüberzugehen.
Trotz des Heiltrankes war sie noch immer dem Tode näher als dem Leben.
Schließlich hielt sich Tuarta schweratmend am Fensterrahmen fest. Fürchterliche Schmerzen durchfluteten ihren ausgebrannten Körper, doch sie wusste, dass dies die einzige Hoffnung für sie darstellte, am Leben zu bleiben.
Der Finstere Raum wurde durch eine glühende Esse erhellt, in deren Flackerlicht eine finstere, unheimliche Gestalt stand, deren Umrisse nur ganz undeutlich zu erkennen waren.
Es begann penetrant nach Schwefel zu riechen und Engelmann hielt sich affektiert die Nase zu.
Die Hexe sank vor dem finsteren Mann auf die Knie.
"Meister!" hauchte sie, "hier bin ich!"
"Sei wieder willkommen in unserer Mitte. Ich weiß von deinem Missgeschick, Urtel hat für dich gesprochen."
Seine Stimme klang scharf wie ein Schwert, als er weitersprach.
"Du und Urtel, ihr sollt wissen, dass es nur zu ganz seltenen Gelegenheiten erlaubt ist, sich in die Geschicke der Menschen einzumischen.
Diese Zeit nähert sich ihrem Ende, doch ich habe zugestimmt, dass ihr noch einmal eingreifen dürft.
Dieser Zeitpunkt ist nahe.
Danach jedoch müsst ihr euch aus dem Wirken der Sterblichen zurückziehen.
Dies ist meine Botschaft an dich und Urtel.
Jetzt jedoch will ich mich wieder meinen eigenen Angelegenheiten widmen. Ich lasse mich nur ungern zitieren und ließ es nur deshalb zu, weil mich eine alte Freundschaft mit dem großen Golfoon verbindet.
Lebt denn wohl und macht eure Sache gut."
Das Bild verblasste und statt des dunklen Raumes erschien eine urwüchsige Berglandschaft in dem Fenster, die von glühenden Vulkanen beherrscht wurde.
"Bestanden!" Brummte Senfbart, während er den Laden schloss.
Ächzend schleppte sich Tuarta zu ihrem Sitzplatz zurück, während Senfbart auf Hardor deutete.
Die Kugel schwebte zum Fenster, das der Riese nun öffnete. Zwei graue Feldsteine standen auf einer gepflegten Wiese, die verblüffend zwei gebeugten Frauen ähnelten.
"Marun und Hasab," klang Urtels Stimme aus der schwebenden Kugel. "Erst sprachen meine Schwestern des Meisters Eid, dann verspotteten sie ihn."
Tief traurig war ihre Stimme und während Senfbart sein "Bestanden" verkündete, öffnete er den nächsten Fensterladen und winkte Methusalem heran.
Ein wundervoller Garten lag vor den staunenden Gefährten, herrliche Blumen, fruchttragende Bäume, Büsche, behangen mit bunten Beeren, alles umspielt vom Gesang hunderter von Vögeln." Salaana!"
Lachte Methusalem, "mein Landhaus, meine Gärten. Vor fast hundert Jahren verließ ich diesen Ort um einem ganz eigenartigen Ruf zu folgen, der mich schließlich hierher führte. Bald schon, bald komme ich zurück."
"Auch du hast bestanden," brummte Senfbart vor sich hin, "wenn ich auch nicht glaube, dass du dein Versprechen wahr machen wirst."
Bevor Methusalem über diese orakelhafte Andeutung nachdenken konnte, winkte Senfbart den letzten Kandidaten heran.
Der Bürgermeister trat zögernd näher.
Das war seine Studierstube, genau wie er sie verlassen hatte.
Die unangenehmen Überreste des Schleimmonsters waren natürlich entfernt worden.
Eben öffnete sich die Tür und Frau Engelmann warf einen Blick hinein, jedoch ohne etwas ungewöhnliches zu sehen.
Kopfschüttelnd schloss sie sie wieder.
"Mein Haus," stöhnte Engelmann, "meine Frau und dort liegt mein Zauberstab.
Hätte ich ihn doch nur wieder.
"Bestanden," grollte die Stimme des Riesen.

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"Tuarta wird bald wieder genesen sein," lächelte Senfbart, als sich alle wieder hingesetzt hatten. "Golfoon wird sich persönlich darum kümmern. Durch die Fenster habt ihr die Möglichkeit, euch mit den Dingen zu rüsten, die euch wichtig sind und die ihr in eurer Welt zurücklassen musstet.
Auch Dinge, die zerstört wurden, werden euch zur Verfügung stehen.
Du kannst deinen Zauberstab holen," brummte er Engelmann zu, der durch das Fenster in sein Arbeitszimmer langte und den Stab ergriff.
Nargenhans blickte auf das Bild, das sein Fenster ihm nun zeigte.
Er sah in einen kleinen Raum, in dessen Mitte ein kleiner Schrein stand. Darauf lag ein kleiner, silberner Dreizack, dessen Zinken in kaltem blauen Feuer leuchteten. "Mein Zatl!" Schrie Nargenhans und warf sich förmlich in den angrenzenden Raum.
Methusalem war durch die Öffnung gestiegen und hatte seinen gepackten Ranzen ergriffen, der dort unversehrt auf dem Boden stand.
Auch Pluto war mit einem erstaunlichen Satz durch das Fenster gesprungen und tummelte sich um das gigantische Steinwesen herum, das müde gähnte.
"Das ist sein Vaterstein." Erläuterte Senfbart dem zurückgebliebenen Dolgon, der Tuarta die Schweißperlen von der Stirn tupfte.
Nach dieser Erklärung verließ der gelbbärtige Riese den Saal durch eine Seitentür.
Dolgon war bis an die Grenze seiner Auffassungsfähigkeit belastet.
Er wusste kaum noch, wo ihm der Kopf stand.
Für einen jungen Mann, der im eher stumpfsinnigen Einerlei des Juniebaumes aufgewachsen war, war dies die äußerste Grenze. Mehr konnte er einfach nicht ertragen.
Eine milde, freundliche Stimme sprach ihn an und ließ ihn herumfahren. Ein gebeugter Greis unbestimmbaren Alters war eingetreten.
Er war in schneeweiße Gewänder gehüllt und ein ebenfalls weißer Haarschopf fiel in groben Wellen von seinem Haupt.
Sein silberner Bart reichte fast bis zum Boden.
"Mein Freund, du hast viel gesehen und erlebt.
Dabei hast du dich als verlässlicher und treuer Kamerad erwiesen." Selbstvergessen strich er durch seinen langen Bart.
"Ich bin Golfoon, der Druide."
Die Stimme des alten Mannes war freundlich und bestimmt.
Er stützte sich auf einen knotigen Stock, während er weiterredete.
"Du hast die Freunde gut geführt, doch bei den folgenden Ereignissen kann deine Anwesenheit nicht mehr von Nutzen sein.
Du würdest dich nur unnötig in Gefahr bringen, gingst du weiter mit. Steige durch jenes Fenster dort und gehe zu deiner Familie.
Hier werde ich nun deinen Platz einnehmen.
Zusammen mit Senfbart werden wir in der folgenden Auseinandersetzung die Plätze sechs und sieben an deiner und Urtels Stelle einnehmen.
Urtel kann uns im Moment auch noch nicht folgen, sie ist zur Zeit beim Rat der Hexen um etwas Großes vorzubereiten.
Wenn alles vorbei ist, wirst du deine Freunde wiedersehen.
Geh jetzt," brummte der alte Mann unwillig, "ich mag keine Abschiedsszenen.
Dolgon gehorchte Zögernd, doch Augenblicke später flog seine junge Frau in seine Arme und gleich darauf kam das kleine Mädchen quietschend herbei und bedeckte sein Gesicht mit feuchten Küssen.
Die letzten der Gefährten hatten unterdessen den Saal wieder betreten. Zuletzt kam Pluto.
Seine Augen leuchten nun in einem tief dunkelblauen Feuer.
Wie von Geisterhand bewegt krachten jetzt die Laden vor die Fenster, die Riegel rasteten ein.
Während Golfoon sich mit Tuarta beschäftigte, betrat Senfbart wieder den Raum.
Kurz erläuterte er den Gefährten die Lage.
"Ich werde Dolgons Stelle einnehmen und Golfoon wird an Platz Nummer sieben für die Hexe Urtel mitgehen.
" Der riesige Krieger hatte die Keule abgelegt und trug nun eine Stange bei sich, die aus rotglühendem Metall zu bestehen schien.
Unterdessen hatte Golfoon, der sich kaum die Zeit genommen hatte, sich den Gefährten vorzustellen, Tuarta auf eine Trage gelegt, die auf seinen Wink hin aus dem Nichts erschienen war.
Sein Singsang erfüllte den Raum.
Es war ein einschläfernder Gesang und alle Anwesenden verspürten plötzlich, wie die Müdigkeit mit Macht über sie hereinbrach.
Die Strapazen der vergangenen Zeit forderten nun ihr Recht von den erschöpften Mitgliedern der Runde.
Immer ferner klang die Stimme des Druiden, die Anwesenden fielen in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

DIE MACHT DES GAROBAL

"Hört mal, ihr faules Gesindel! Nichts als Pennen im Kopf, ¬hoch mit euch, ihr müde Bande!"
Tuarta war genesen und mit ihrer Gesundung war auch ihr wenig einnehmendes Wesen wieder zu Tage getreten.
Schlaftrunken erhoben sich die Gefährten.
Senfbart brach in dröhnendes Gelächter aus.
"Du gefällst mir, Alte!" Prustete er.
"Der Jüngste bist du auch gerade nicht," gab Tuarta den kleinen Seitenhieb zurück.
Senfbart brummelte irgendetwas Unverständliches in seinen Bart und wandte sich ab.
Methusalem grinste in sich hinein. Man lernte halt nie aus, doch Eitelkeit hatte er von Senfbart, dem menschlichen Ungeheuer am wenigsten erwartet.
Golfoon hatte in der Mitte des Saales Platz genommen und schaute den Erwachenden zu, die sich den Schlaf aus den Augen rieben.
Auf sein Klatschen hin schoben sich wie von selbst zwei gewaltige Servierbretter herein, die mit Speisen überladen waren.
Die Esswaren wurden in herrlichen Kristallgefäßen gereicht, die jedoch eigenartiger Weise die Hitze der Speisen bewahrten, jedenfalls kühlten sie bis zum Ende des Essens nicht merklich ab.
Herrliche geeiste Kristallkaraffen enthielten köstliche Getränke, die im Geschmack ganz unvergleichlich waren.
Die Runde der Gefährten griff mit sichtlichem Genuss zu, was dem Druiden einigen Spaß bereitete.
"Ihr wisst," begann Golfoon, nachdem alle gesättigt waren, "dass der Garobal unser nächster Gegner sein wird.
Wir dürfen uns nicht der Hoffnung hingeben, das Monstrum zu besiegen, dazu haben wir nicht die Macht.
Der Garobal ist die Essenz des Bösen und es ist nicht an uns, ihm Einhalt zu gebieten.
Das vermag nur Traan.
Wir haben nur die eine Hoffnung, das Buch zu finden und gegen das Ungeheuer zu verwenden.
Ob es uns freilich helfen wird, wage ich nicht zu beurteilen.
Solche Zauberwesen wie Traan haben ihren eigenen Kopf und möglicherweise auch ganz eigene Ziele.
Dennoch müssen wir den Versuch starten, sonst sind Talan, der letzte Juniebaum und alle Menschen auf ihm verloren.
Außerdem, und das sollten wir auch bedenken, macht der Garobal vor nichts halt.
Auch eure Völker, Stämme und Familien werden ihm früher oder später zum Opfer fallen.
Vor dem Garobal gibt es keine Sicherheit, in keiner Welt, zu keiner Zeit. Greift also zu und esst, was ihr vermögt.
Es könnte für lange Zeit die letzte Mahlzeit sein.
Hoffen wir, dass es keine Henkersmahlzeit wird.
Wenn Senfbart und ich euch begleiten, sind wir alle vielleicht mächtig genug, dem Garobal ein ärgerliches Stirnrunzeln abzuringen.
Traan ist der Weg, aber möglicherweise gelingt es uns, genug Zeit herauszuschinden, dass wir das Buch suchen und benutzen können.
Es geht nur darum, das Ungeheuer bei seinem Erwachen lange genug aufzuhalten, dass wir Zeit haben, Traan zu finden. Dies war auch der letzte Wille von Fartan, dem Erschaffer des Buches.
Er wollte es gegen seinen größten Feind, seinen Überwinder eingesetzt wissen.
Nun, Freunde, wenn ihr euch erquickt habt, lasst uns aufbrechen, unsere Zeit ist knapp bemessen.

*******************

Der Garobal erwachte.
Träge rieb er sich den Schlaf aus seinen drei Augen.
Das "absolut Böse" war von riesiger Gestalt.
Zwar konnte er jede erdenkliche Körperform annehmen, fühlte sich jedoch in der Gestalt eines dreiäugigen Menschen am wohlsten.
Schwerfällig erhob sich der Garobal.
Für ihn, den Riesen, stand Talan nur etwa drei bis vier Schritte entfernt. Der gewaltige Baum reichte dem Ungetüm gerade bis zum Gürtel.
Er streckte sich und stieß ein zufriedenes Grunzen aus.
Eigentlich war sein Versuch fehlgeschlagen.
Vor tausend Jahren hatte er diese Welt zum letzten Mal betreten und seine Höllenkreaturen zurückgelassen um zu erleben, wie sie sich gegen diese Menschenwürmer durchsetzten, sie vernichteten.
Zuerst war alles nach Plan verlaufen und Juniebaum um Juniebaum fiel den Monstren zum Opfer.
Die meisten Menschen starben dabei.
Doch dann geschah etwas, mit dem der Garobal nicht gerechnet hatte. Auf einen Schlag, ja fast zur gleichen Sekunde, wurden alle seine Helfer getötet.
Das geschah, nachdem seine zweite Angriffsfront, die Todesschnecken bereits die erste, vernichtende Niederlage hinnehmen mussten.
Nachdem er fast alle Juniebäume und alle auf ihnen lebenden Menschenwürmer vernichtet hatte, bedeutete dieses Ereignis einen unerwarteten, bösen Rückschlag.
Die Baumwesen hatten Hilfe erhalten, Hilfe durch einige Zauberer und Hexen. Gerade das letztere war ihm unverständlich, da Hexen sich im allgemeinen aus seinen Geschäften heraushielten.
Außerdem war da noch etwas anderes, eine Präsenz

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Tag der Veröffentlichung: 20.01.2010

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