Jürgen Kummer
Die Wonne, die du liebst…
Ein genussreiches Abenteuer in einer fernen Welt
Roman
Leseprobe, Auszug aus Teil 1
Schriftart und Satz weichen bei dieser Bildschirmdarstellung vom gedruckten Buch ab.
Du sollst jeden Tag ausschlafen.
Du sollst nur arbeiten, wenn Du lustig bist.
Du sollst lecker und ausgiebig speisen.
Du sollst mancherlei Getränken zusprechen.
Du sollst Dich mit Artgenossen amüsieren.
Du sollst Dich nicht wie doof vermehren.
Kingsize I, Wonnarch von Massurgo
Prolog
Am 20. August 1977 startete die Raumsonde Voyager II an Bord einer Titan IIIE Centaur-Rakete von Cape Canaveral zu einer Reise ohne Wiederkehr in unser Sonnensystem und weit darüber hinaus.
Zwei Jahre später übertrug sie atemberaubende Bilder vom Gasriesen Jupiter und wurde von seiner Anziehungskraft weiter zum Saturn katapultiert, den sie am 25. August 1981 in einem Abstand von 124.000 Kilometern passierte. Dabei sandte sie einzigartige Bilder des Planeten und seiner Ringe zur Erde.
Im Jahr 2015 wird sie mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 15,5 Kilometern pro Sekunde als kosmische Flaschenpost unser Sonnensystem verlassen. Ihre Energiereserven werden ungefähr im Jahr 2025 erschöpft sein, dennoch wird sie ihre Mission in die Unendlichkeit für alle Zeiten als Botschafterin der Erde fortsetzen.
An Bord von Voyager II befindet sich eine Art Schallplatte aus einer vergoldeten Kupferlegierung, die dem Universum von der Existenz der Menschheit künden soll. Sie enthält wissenschaftliche Daten über uns und unseren Standort im All und darüber hinaus Bilder, Geräusche und Musik des Planeten Erde.
Obwohl die Sonde mit der vielfachen Geschwindigkeit einer Pistolenkugel durch den Weltraum rast, wird sie in den nächsten Jahrtausenden voraussichtlich nicht auf intelligentes Leben stoßen.
Doch möglicherweise gerät sie in fünf Millionen Jahren, nach einer Wegstrecke von ungefähr 258 Lichtjahren, in ein Sonnensystem mit einem bewohnten Planeten, der von zwei Monden umkreist wird.
Was dann passieren könnte, ist vielleicht genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die Existenz der Menschheit im Universum.
Alte Legenden
Vorsichtig nahm er das abgegriffene Buch aus seiner Schutzhülle. Er trug Handschuhe, damit sein Fell das brüchige Papier nicht verletzen konnte.
Seit sie den antiken Bunker vor einigen Monaten bei Aus- grabungen unter dem Königspalast entdeckt hatten, verbrachte er in diesen düsteren Räumen, tief unter der Oberfläche seines Heimatplaneten, viel mehr Zeit, als in seinen freundlichen und hellen Arbeitsgemächern im Palast.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Rodwer Chatar hatte sich Taim Isonmaisaid, einer der bekanntesten Historiker Massurgos, in der untersten von siebzehn Etagen mit einer kleinen Bibliothek und einer bescheidenen Sammlung seltener Artefakte aus der alten Zeit eingerichtet.
Der alte Bunker war noch gut in Schuss. Die beinahe tausend Jahre seit dem Großen Krieg
waren fast spurlos an ihm vorbei gegangen, trotzdem war es ein unheimlicher Ort voller Rätsel und Geheimnisse.
Der Raum, in dem sich die Wissenschaftler eingenistet hatten, war in grünliches Dämmerlicht getaucht, das sich auf unerklärliche Weise von selbst einschaltete, wenn sie die Einstiegsluke öffneten und wieder erlosch, wenn sie den Raum verließen. Niemand wusste, welche uralte aber augenscheinlich noch immer intakte Energiequelle die kleinen, in der niedrigen Decke eingelassenen Lampen speiste und auch nach fast einem Jahrtausend für eine angenehme Belüftung des Bunkers sorgte. Das Mikroklima hier unten hatte sich als geradezu ideal zur Lagerung und Erhaltung alter Schriften erwiesen.
Taim setzte sich auf einen einfachen Stuhl. Um besser lesen zu können, hatte er einen Behälter aus milchigem Glas mit Leucht- würmern dabei. Vor seinem Abstieg hatte er die nützlichen Tierchen noch gut gefüttert und nun gaben sie, sozusagen als Gegenleistung, ein angenehm warmes Licht ab. Sorgfältig positionierte er seine Leselampe, schlug voller Ehrfurcht das Büchlein auf und begann zu lesen.
Der Text war viele Jahrhunderte alt, lückenhaft und zu großen Teilen völlig unleserlich. Wie die meisten Texte seiner Zeit, war er in Altwusel verfasst, der etwas schwerfällig anmutenden Sprache der Vorfahren. Als Historiker war Taim Isonmaisaid der alten Sprache selbstverständlich mächtig. In vielen Unterweisungsinstituten wurde Altwusel noch immer gelehrt, es gehörte zu den Grundlagen wonnischer Bildung. Dieser Text war so alt wie der Bunker selbst und eines der wenigen Zeugnisse aus der Zeit vor dem Großen Krieg.
Die schwierigste Aufgabe für die Forscher bestand darin, bei seiner Interpretation Wahrheit von Fiktion zu unterscheiden, denn noch immer konnte niemand mit Bestimmtheit sagen, was dereinst diesen schicksalhaften Weltenbrand entfacht hatte. Warum waren die beiden antiken Völker der Wahrwusel und der Gwelg mit der geballten Macht ihrer nuklearen Waffenarsenale übereinander hergefallen?
Taim las die alte Schrift wieder und wieder, immer in der Hoffnung, irgendwo zwischen den Zeilen auf mögliche Antworten zu stoßen und den unleserlichen Passagen doch noch das eine oder andere Geheimnis entreißen zu können.
Die Geschichte handelte vom Flug der Vorfahren zur Cepea, einem der beiden Monde, die den Planeten Massurgo seit Anfang aller Zeiten umkreisten. Dieser technische Kraftakt war die zweite und gleichzeitig die letzte Raumfahrtmission der alten Zivilisation vor dem Großen Krieg gewesen. Die Cepea-Mission war eine Geschichte voller Rätsel. Alles sprach dafür, dass die ersten Kampfhandlungen, der damals verfeindeten Völker, noch während des Starts der großen Trägerrakete begonnen hatten.
Taim Isonmaisaid und seine Zeitgenossen standen mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Grauen und Unverständnis vor den Hinterlassenschaften der Alten, deren ungeheures technisches Wissen in der Zeit nach dem Großen Krieg fast vollständig verloren gegangen war.
Nur wenige Bewohner Massurgos hatten das über Jahrzehnte hinweg tobende Inferno überlebt. Beide Völker waren kurz vor der Ausrottung gestanden und doch war es den wenigen Überlebenden gelungen, sich im Laufe der letzten neunhundert Jahre wieder zu einer funktionierenden und friedlichen Gemeinschaft zusammen zu finden.
Noch immer stieß das Volk der Wonnewusel, wie sich die Bewohner Massurgos nun nannten, tief in den Wäldern oder bei Grabungen auf rätselhafte Maschinen der alten Zivilisation. Das beste Beispiel war das riesige, zerbeulte Ding, hier, im untersten Geschoss des alten Bunkers. Die wenigen Wissenschaftler, die von seiner Existenz wussten, nannten es nur das Artefakt
.
Schon zweihundert Jahre vor Taims Geburt waren Arbeitswusel bei Erweiterungsarbeiten zum königlichen Weinkeller auf diesen Bunker gestoßen. Der damalige Regent, Kingsize IX, ein begeisterter Historiker, hatte spontan beschlossen, bei der Ausgrabung selbst mit Hand anzulegen. Dummerweise traf er gleich am ersten Tag seines Einsatzes mit seinem Spaten den Zünder einer alten, voll funktionsfähigen Bombe.
Nach der Trauerzeremonie und der Wahl des neuen Königs waren die Grabungsarbeiten nicht wieder aufgenommen worden und der Bunker geriet in Vergessenheit. Erst im achten Regierungsjahr seiner Wonne, Kingsize XIV, entdeckten ihn Taim Isonmaisaid und Rodwer Chatar erneut. Der lebensfrohe Wonnarch war darüber allerdings längst nicht so erfreut, wie die beiden Forscher. Seiner Überzeugung nach sollten Wonnewusel nach vorne blicken und die alten Zeiten ruhen lassen. In tage- langen, zähen Verhandlungen gelang es den wissensdurstigen Gelehrten jedoch, ihrem Regenten eine Genehmigung für weitere Grabungen abzuschwatzen.
Nur wenige Tage später hatten die beiden mit Hilfe fleißiger Arbeitswusel den Eingang des Bunkers freigelegt. Die gepanzerte Tür war durch die Detonation der Bombe fast zweihundert Jahre zuvor so stark beschädigt worden, dass es ihnen mit vereinten Kräften gelang, sie aufzustemmen. Todesmutig drangen die Historiker in das unheimliche Bauwerk vor und stießen im untersten Raum auf das Artefakt
.
Atemlos, gleichermaßen von Furcht und Entdeckerwonne überwältigt, starrten sie auf das merkwürdige Zeugnis einer überlegenen Technologie. Es war so hoch wie drei Wonnewusel und niemand hatte die geringste Ahnung, welche Funktion es einst gehabt hatte und warum es hier unten stand. Das Schlimmste aber war, dass sie es nicht einmal untersuchen konnten.
Als wollten sie ihre Nachfahren verspotten, hatten die Alten das Artefakt
hinter einer durchsichtigen, aber undurchdringlichen Wand aufgestellt. Alle Versuche, die Wand zu durchbohren oder zu umgehen, waren seitdem ergebnislos verlaufen. Immer wieder hatten sie versucht, sich dem Artefakt
von allen Seiten zu nähern, waren aber immer nur auf steinhartes, undurchdringliches Material gestoßen.
Die Alten hatten das Objekt gut geschützt und Taim vermutete, dass sie ihre Gründe dafür hatten. Seit Jahren sammelte er gemeinsam mit Rodwer Zeugnisse der alten Zivilisation. Dabei handelte es sich meist um kleinere Funde, wie das zerschlissene Büchlein, das Taim nun vorsichtig aufschlug.
All diese Zeugnisse längst vergangener Zeiten waren handlich und leicht zu transportieren. Alle, außer dem Artefakt
. Deshalb hatten sie aus der Not eine Tugend gemacht und die wertvollsten Teile ihrer Sammlung hier herunter geschafft. Damit war nicht nur alles schön beieinander, die unersetzlichen Stücke waren auch gut aufgehoben.
Obwohl ihm jedes Mal vor Ehrfurcht das Fell zu Berge stand, wenn er die letzte Luke öffnete und das geheimnisvolle grüne Licht ganz von selbst zu leuchten begann, zog es Taim Isonmaisaid immer wieder magisch an diesen Ort, tief unter dem Palast. An drei Wänden des großen, quadratischen Raumes standen die Magazine mit den antiken Relikten und Regale mit Fachbüchern. Die Mitte des Raumes beherrschte ein großer ovaler Tisch. Die vierte Wand war die besagte transparente Wand, hinter der das Artefakt
ruhte. Immer wenn Taim über die Wunder der alten Welt nachdachte, fühlte er sich durch die Gegenwart des fremdartigen Objekts inspiriert.
Hier unten hatten er und Rodwer die ersten Zeugnisse der antiken Raumfahrt ausgewertet. Hier war ihre Aufsehen erregende Arbeit über den Flug zu Elvo entstanden, dem mächtigen roten Mond, der Massurgo auf einer sehr nahen Umlaufbahn umkreiste.
Elvo war der erste Himmelskörper, den die Ahnen mit ihren unglaublichen Raumfahrzeugen erreicht und auch betreten hatten. Taim glaubte, in alten Dokumenten sogar Hinweise auf ein Habitat mit einem geologischen Labor gefunden zu haben, das die Raumfahrer vermutlich für spätere Missionen auf Elvo hinterlassen hatten. Nicht wenige seiner Kollegen belächelten ihn wegen dieser Behauptung. Aber eines Tages, so hoffte der Forscher, würden auch die Wonnewusel technisch in der Lage sein, in den Weltraum vorzustoßen. In jener fernen Zukunft würden sie vielleicht wieder auf Elvo landen, das Labor finden und damit die Theorien eines längst zu Staub zerfallenen Wissenschaftlers namens Taim Isonmaisaid endlich bestätigen. Vielleicht würden die Wonnewusel dann auch erfahren, was auf dem Rückflug passiert war.
Während ihrer Forschungen waren Taim und Rodwer immer wieder über Hinweise auf ein seltsames Ereignis gestolpert. Es musste sich während der Rückkehr der Raumfahrer nach Massurgo zugetragen haben und schien der Auslöser für eine dramatische Zuspitzung der politischen Lage auf Massurgo gewesen zu sein. Wenn man den lückenhaften alten Berichten glauben durfte, hatten die Ahnen nur wenig später eine zweite, noch erstaunlichere Weltraummission gestartet. Sie waren zur Cepea geflogen, dem zweiten Mond ihres Heimatplaneten, fast dreimal so weit von Massurgo entfernt wie Elvo.
Auch wenn die Beweislage äußerst dünn war, so waren sich die Wissenschaftler der Gegenwart darüber einig, dass die Cepea-Mission wirklich stattgefunden hatte und dass kurz vor ihrem Start der Große Krieg ausgebrochen war.
Texte: Titelbild und Text: Copyright by Jürgen Kummer
Tag der Veröffentlichung: 02.04.2011
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