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Kommen se rein, es ist offen!
Guten Tag, sie wollen sich die Wohnung ansehen, richtig? Sie wundern sich, dass die Mieterin noch hier ist? Ja warum denn nicht? Ick hab schließlich fast mein ganzes Leben hier verbracht. Sie warten auf den Vermieter, nicht wahr? Na der Fischbach kommt bestimmt noch, sie sind ja auch früh dran. Was sagen sie? Er hat gesagt, die Wohnung wäre leer? Na, sie sehen ja, dass sie das nicht is. Nu machen se erst mal die Türe zu, sonst weht’s mir noch weg, hahaha. Kommse näher, kommen se, ick beiße nich.
Schauen se sich ruhig um, mir macht das nichts. Hier hat alles seine Geschichte. Meine Geschichte. Die Möbel hier, mit denen habe ich gelebt, die haben viel gesehen. Manche Stücke hier sind fast so alt wie ich. Bald sechzig Jahre bin ick hier, seit meiner Hochzeit immer nur hier gewohnt. Na hier im Flur ist ja nicht viel zu sehen, der ist nur zum Durchgehen. Kommen se, kommen se, gehen wir ins Wohnzimmer.
Ja, das ist alles alt hier. Alte Sachen für alte Leute. Ick hab ja zum Schluss nix mehr groß gebraucht. Aber das richten sie sich ja sowieso alles ganz anders ein. Die Tapete mit dem Braun und dem Orange, das war mal in den Siebzigern modern. Das haben mein Willy und ich uns damals so eingerichtet. Ist jetzt ziemlich zerschlissen, aber ick hatte ja dann keinen mehr, der mir das neu gemacht hätte. Oder der Couchtisch, schauen se mal, der ist noch zum Hochdrehen und Ausziehen. Und die Kacheln in der Mitte, das haben damals viele gehabt. Wie oft ham wir hier gesessen. Abends zum Fernsehen, oder sonntags zum Kaffee, oder wenn die Familie kam. War immer eng dann. Schön kuschelig hat der Willy dann immer gesagt, hihihi. Und die Luft, wenn se alle ihre Zigaretten oder die Zigarren anhatten. Gaaaaanz dicke Luft dann. Können sie’s riechen? Rauch geht nie mehr ganz raus. Selbst der Fernseher stinkt so, aber der fliegt eh raus. Der geht zwar noch, aber der ist uralt. Kennen sie noch die Marke? Telefunken. Markengerät!
Sie krausen die Nase so. Ist muffig hier, was? Na so riechen alte Leute halt, das kennen sie doch von der eigenen Oma, oder? Gucken se nicht so pikiert, ick darf sowas sagen. Bin selber alt, ick weiß wie sowas riecht. Da kommen se auch noch hin. Aber sie haben ja noch Zeit. So ein junges Ding, wie hier vor mir steht. Na machen se da mal das Fenster auf, ick kann nicht mehr so wie früher. Früher, ja, da bin ich immer regelmäßig noch in den Körnerpark gegangen. Ne alte Frau braucht doch auch mal frische Luft. Aber zum Schluss konnte ich nicht mehr so und der Arbeitersamariterbund, die haben mir nur jemand zum Putzen und Einkaufen geschickt. Ausgang war in meiner Pflegestufe nicht vorgesehen, hihihi. Ach das ist nicht komisch? Na wissen se, icke finde das sehr komisch, wenn man ein Leben lang sich krumm gemacht hat und zum Lebensabend hin muss man für‘n bisschen Hilfe betteln. Hier nach hinten raus, sehen se auf’n bissken Wiese und’n paar Bäume. Ist schön so inner Stadt auch mal ein bissken Grün. Det muss sein! Aber jetzt können se nicht viel erkennen, ist ja schon duster jetzt um die Jahreszeit.
Ja, die letzte Zeit hab ick nicht viel mehr Grün gehabt. Hab ja gesagt, ick kam nicht mehr raus mit den ollen Beinen. Die wollten nicht mehr so wie früher. Und keiner da, der sich kümmert. Na ick hab ja auch Pech gehabt. Der Willy, der hatte Ende der Achtziger seinen dritten Infarkt und da durfte ich ihn zu Grabe tragen. Bin seit über zwanzig Jahren Witwe. Willy liegt gar nicht weit von hier, ick hab sein Grab auch immer schön ordentlich gehalten, nur am Ende, da konnte ick nicht mehr. Jahahaha und ick hatte doch keinen der sich kümmert. Na nu haben Willy und ich viel Zeit für einander. Kommen se, ick zeig Ihnen die Küche. Hier, das isse. Ist noch tadellos in Ordnung, nicht wahr? Ick war immer sehr sauber und die letzten Jahre hab ick auch nicht mehr gekocht. Mit dem Rheuma in den Fingern ging dat nich mehr so, da kam dann immer fahrbarer Mittagstisch. Ist sie nicht sauber? Resopal beschichtet und in weiß, das war damals auch ganz modern, sowas hat man sich als Hausfrau gewünscht. Ick habe immer schön gekocht für meine Männer, nicht so wie das Fertigzeug, was man mir vonner Wohlfahrt gebracht hat. War oft lauwarm. Aber man muss ja dankbar sein, was meinen se, was wir fürn Dreck manchmal nach Fünfundvierzig essen mussten. Aber der Willy, sagt immer, ick hätte nen goldenen Kochlöffel verdient, hihihi. Aber der ist ja nun schon lange tot.
Genau wie der Dieter, wat mein Ältester war. Was habe ich damals geweint, hier am Küchentisch, als sie mir das gesagt haben. Hab mir ja mit der Gerti, meiner Schwiegertochter nie so gut verstanden, aber damals hab ick hier am Tisch gesessen mit dem Kopf in den Armen und sie hat mir in den Arm genommen. Totgefahren hat ihn einer! Können se sich das vorstellen? Tooootgefaaaaahren! Und ick hatte doch den Willy schon nicht mehr. Na da hab ick dann wieder schwarz angezogen., alte Frauen dürfen oft schwarz tragen. Ist nicht unbedingt eine Gnade, alle zu überleben, oh nein, hihihi. Werden se auch noch merken. Nu gucken se doch nicht so böse, lassen se einer alten Frau doch mal ein klares Wort, ick kann doch nix mehr als reden!
Nicht das sie denken, dass ick alle überlebt habe, eh eh eh, neiiiiiin. Mein Jüngster, der Ralf, der ist noch da. Ist aber schon vor Jahren nach Westdeutschland rüber und hat bei Daimlers Karriere gemacht. Um seine arme alte Mutter… na für die hat er dann keine Zeit mehr gehabt. Hat sich da drüben sein Leben aufgebaut. Anfangs hat er ja immer noch geschrieben, aber das wurde auch immer weniger. Zum Schluss kamen nur noch die Karten zum Geburtstag und zu die Feiertage. Aber Morgen, da kommt er, zu meinem großen Tag, hihihihi, jaaaaaa morrrgennn ist mein groooooßer Taaaaaag!
So, hier ist nu das Schlaaaaafzimmer. Hihihi, was man da alles machen kann, nicht? Sie haben doch einen Freund, nicht wahr? So ein hübsches, juuuuunges Mädel. Da wird im Schlaaaaafzimmer nicht nur geschlaaaaafen, hehehe. Ick weiß das, ick war ja auch man jung. Nicht wahr. Sie gucken ja so ängstlich. Sie wern sich doch vor ner alten Frau nicht fürchten? Eh eh eh, ick tu ihnen nüscht, keene Sorge. Ick bin nur noch ein bisschen in meiner Wohnung, wo mein Leben war. Hören se mir doch noch’n bisschen zu. Keine Sorge, die Tür geht bald wieder auf. Det versprech ick Ihnen. Wir beede quatschen einfach noch‘n bissken, wie dat die Weibsen so tun. Sie atmen ja so schwer. Schweeeer aaaaatmen, ja das kenne ich. Ging mir auch so, als ick meinen Anfall bekam. Hihihi, keine Luft, ja? Da! Machen se dieses Fenster da auch noch auf. Mir hat keiner aufgemacht, als ick keine Luft bekam, machen se auf, machen se auf. Da kriegen se wieder Luft, ist ja ein bisschen stickig hier, nicht? Ick hab halt nach ner Weile ein bisschen gemieft, hihihi, ist doch normaaaaal in dem Zustand!
Nu von draußen die Luft, das ist auch nicht so richtig frisch, det sind die Abgase. Was meinen se, wie der Verkehr hier auf die Buschkrugallee zugenommen hat, seit die Mauer auf ist. Ooohh was hab icke da immer rausgeschaut, als die Beine nicht mehr so wollten. Konnt ja nicht mehr raus. Und als die mir holen kamen, war dat ne Uffregung! Da hat auch keiner ans Fenster gedacht. Aber jetzt ham sie ja freundlicherweise aufgemacht. Hach ja, hihihi. Jetzt kann ick rauuuuuus. Zu meinem grooooßen TAAAAG. JAAAAHAHAHAHAAAAAAAaaaaaaahhhhhhh……

Hallo? Hallo? Ist hier jemand? Ach da sind sie ja, Tagchen, Fischbach mein Name. Ich hab vor der Haustür auf sie gewartet. Eigentlich hätte die Wohnung ja gar nicht auf sein dürfen. Sie haben sich schon umgeschaut? Ja? Und? Schöner Schnitt, nicht war? Aber sie sind ja ganz bleich. Wird wohl die Luft gewesen sein. Hier ist seit dem Tod der alten Mieterin nicht gelüftet worden. Wie sie ausgesehen hat? Na, die alte Frau Krusewitz war so ein richtiges altes Muttchen: klein und ein bisschen gekrümmt. Und immer so einen Schürzenkittel an. Weißhaarig und viele Falten halt. Sie zittern ja, ist Ihnen nicht gut? Hier soll eine alte Frau gewesen sein, die genauso aussah? Na, na, wir wollen doch keine Gespenster an die Wand malen. Sie ist aus dem Fenster entschwunden? Ne alte Frau? Sie nehmen doch keine Drogen oder sowas? So jemanden will ich im Haus nicht haben. Sind alles ruhige Mieter. Na wird wohl doch die Luft gewesen sein. Und? Die Wohnung? Wollen sie sie?
… Schade, dann bin ich wohl umsonst gekommen, aber wenn Ihnen die Wohnung nicht gefällt … kann man wohl nichts machen. Ist aber nicht wegen der ollen Möbel hier, oder? Der ganze Krempel, der kommt nämlich übermorgen raus. Ach so, daran liegt es nicht…
Wann die alte Krusewitz verstorben ist? Das weiß ich gar nicht so genau. Wissen sie, das war sehr traurig. Gefunden hat man sie erst nach drei oder vier Tagen. Ja, sie hatte wohl einen Herzinfarkt. Aber es war ja keiner da, der sich um sie gekümmert hat. Morgen ist die Beerdigung. Ihr Sohn ist extra aus Stuttgart angereist.

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Tag der Veröffentlichung: 19.04.2009

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