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1. Kapitel

Es war an meinem 15. Geburtstag, als sich mein Leben schlagartig änderte.

Meine zwei besten Freundinnen, Linny und Andrea, hatten eine kleine Party für mich vorbereitet, oben in der Waldhütte, ein wenig ausserhalb des idyllischen Dorfes in der Nähe von Zürich, wo ich aufwuchs.

Ich liebte mein Leben und schaute voller Zuversicht und einem Haufen Ideen in meine Zukunft. Ich wollte das Gymnasium erfolgreich abschliessen, um danach an der pädagogischen Hochschule zu studieren und mich zur Logopädin ausbilden zu lassen. Ich war gesund und dankbar dafür, deshalb wollte ich anderen Menschen, die nicht so viel Glück hatten wie ich, helfen. Meine soziale Ader kam wahrscheinlich daher, dass mir meine Eltern beigebracht hatten, dass nicht alles selbstverständlich ist und man es als Geschenk sehen sollte, wenn man ein gesundes, glückliches Leben hat.

Ich wusste nicht genau, wen meine Freundinnen zur Party eingeladen hatten und was mich genau erwartete. Sie liessen sich jedes Jahr etwas Spezielles für mich einfallen, wofür ich sie liebte. Voller Vorfreude schnappte ich mir meinen Drahtesel und machte mich auf den Weg zum Waldrand. Ich schaute mit einem Lächeln zur Sonne. Was für ein schöner Tag es war!

"Pass auf!!", hörte ich plötzlich Linny schreien, die mir auf der Hauptstrasse mit dem Fahrrad entgegen kam. "Achtung, Auto!!" Erschrocken schaute ich zur Seite. "Nein!!", schrie ich verzweifelt und wollte ausweichen. Ich hörte quietschende Reifen, krächzende Bremsen und spührte, wie ich über den Hubraum geschleudert wurde. Danach wurde es schwarz zum mich herum…


2. Kapitel

"Wo bin ich? Was mache ich hier?", fragte ich, bevor meine Augen sich langsam an das helle Licht gewöhnten. "Oh, Gott sei Dank!", flüsterten meine Eltern gleichzeitig und standen aus ihren Sesseln auf. Meine Mutter strich über meine Wange und sagte liebevoll: "Es wird alles gut, Amy. Du bist im Krankenhaus. Ein Auto hat Dich angefahren." Meine Erinnerung kam schlagartig zurück und wie aus einem Reflex heraus versuchte ich, mich zu bewegen, um zu wissen, ob alles in Ordnung war. Doch es war nichts in Ordnung. "Ich…ich spühre meine Beine nicht. Was ist los? Ich kann sie einfach nicht bewegen.", kam es schockiert über meine Lippen und ich fühlte, wie sich ein Meer aus Tränen in meinen Augen bildete.

"Amy, die Ärzte haben gesagt, Du…", begann meine Mutter, "Was wir Dir sagen möchten, Schatz, ist…", sprach mein Vater weiter. Traurig schaute ich die beiden an. "Sind meine Beine gebrochen oder gelähmt?", hauchte ich verzweifelt. Die Blicke meiner Eltern sagten mir mehr als tausend Worte. Sie erklärten mir so vorsichtig, wie möglich, wenn man so etwas überhaupt vorsichtig erklären konnte, dass ich nicht mehr würde laufen können.

„Nein, das darf nicht wahr sein!!“, krächzte ich. „Ich…ich liebe alles, was mit Bewegung zu tun hat! Ich jogge und schwimme gerne, ich liebe es, Fahrradtouren mit meinen Freundinnen zu unternehmen und ich kann niemals 2 Stunden auf einem Stuhl sitzen, ohne zwischendurch aufzustehen…ich…das darf einfach nicht wahr sein…“ Ich schluchzte, weinte, schrie. Wollte nicht wahr haben, dass das Schicksal SO ETWAS mit mir vor hatte. Ich hatte Träume. Und keiner dieser Träume beinhaltete mich in einem Rollstuhl.

Nach drei Tagen konnte ich nach Hause. Meine Eltern, Verwandten, Linny, Andrea und ein paar andere Schulfreunde hatten mich im Krankenhaus besucht. Sie waren alle für mich da, sorgten für mich und wollten nur das Beste. Und trotzdem fühlte ich mich alleine, unendlich alleine. Denn ich war nicht mehr so wie sie. Mir wurde klar, dass ich nie ein normales Leben würde führen können.

Ich gewöhnte mich nur schwer an meinen Rollstuhl. Ich konnte es einfach nicht ertragen, die warmen Sommertag auf dem Sitzplatz hinter unserem haus zu verbringen. Ich wollte schwimmen, Spass mit meinen Freunden haben. Ich wollte frei sein, frei wie ein Vogel. Doch das würde ich mit einem fahrbaren Unterteil niemals können.

Linny und Andrea waren oft bei mir, worüber ich mich richtig freute. Sie waren für mich da und liessen mich nicht im Stich. „Hör zu, Amy“, sagte Andrea eines Nachmittags, als wir drei am Ufer des Zürichsees waren und dabei die winkenden Leute auf einem Schiff beobachteten, welches sich seinen Weg durchs Wasser bahnte, „Linny und mich macht es traurig, dass es Dir so schlecht geht. Wir möchten, dass Du wieder mehr lächelst.“ „Ich weiss“, kam ich dazwischen, „ich möchte auch wieder lächeln können. Ich möchte wieder glücklich sein und mich auf meine Zukunft freuen. Aber sag mir wie? Ich bin ein Krüppel, auch wenn es niemand so betitelt. Aber es ist doch wahr.“ Linny und Andrea schauten mich traurig an. „Rede nicht so, Amy. Du bist kein Krüppel. Du bist ein wundervoller Mensch. Weisst Du, es kommt nicht darauf an, welches Schicksal einen trifft, sondern darauf, was man daraus macht.“ Sie hatte gut reden. „Und deshalb haben wir ein bisschen Geld zusammen gelegt und schicken Dich auf eine Schiffahrt, welche in Frankreich startet und Dich nach Irland bringt, das Land Deiner Träume. Von Dort fährst Du dann mit einer kleinen Gruppe Leuten per Hausboot über den Fluss Shannon.“ „Ihr habt…was? Irland? Wow, ich…“, war alles, was ich sagen konnte. „Ja“, sprach Andrea weiter. „Vielleicht können wir Dir damit ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Und Du wirst sehen, dass Du Dich trotz Rollstuhl frei fühlen kannst, denn so ein Hausboot kann ganz schöne Strecken zurück legen, und der Shannon ist lang.“

Ich lächelte.

Fortsetzung folgt...

Impressum

Texte: Das Copyright für den Text und das Titelbild liegt bei Mary C. Rose.
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch denjenigen Menschen, die mit einem Handycap leben. Und all denen, die es mögen.

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