Der Fremde
Derselbe Weg, dieselben Menschen.Eintönig könnte man mein Leben beschreiben, aber das war es nicht, nie. Und einfach erst recht nicht.
Wie immer machte ich einen kleinen Abstecher zu meinem Lieblingscafé und ging das Stück bis zu mir zu Fuß. Es waren nur wenige Meter und die frische Luft löschte die Hitze, die in diesen noch kühleren Märztagen einem um die Nase wehte. Außerdem war es entspannend nur das Rauschen der Seine zu hören, der direkt vor meinem Haus entlang floss.
Mit meinem Job als Gärtnerin verdiente ich nicht gerade ein Vermögen, aber meine Vorfahren hatten anscheinend schon von meinen bizarren Wünschen geahnt und gut vorgesorgt. Zum Glück, denn nur so konnte ich meinen kleinen Betrieb und das alte Herrenhaus, das seit mehr als 100 Jahren in Familienbesitz ruhte, halten. Überall blühten Wildrosen und kleine Krokusse, die sich den Weg zur Sonne bahnten.Ja, Frühling war eine tolle Zeit.Eine zeit, in der ich die Schatten meiner Vergangenheit vertreiben konnte..dachte ich zumindest.
Als ich an einem regnerischen Abend den Weg zu meinem Haus entlang hetzte, vernahm ich dieses entsetzliche Geräusch : Das mir so gut bekannte Schreien. Hör auf!Nicht schon wieder, du träumst wieder nur, das ist alles Einbildung,versuchte ich mir einzureden.
Meine Therapie hatte gerade gewirkt, mein Therapeut war zufrieden und ich hatte meine Leben wieder einigermaßen in die Bahn gelenkt. Wieso brachten mich also ein paar harmlose Schreie so aus der Ruhe.Aber es waren keine einfachen Schrei.Ich kannte diese Schreie.Oh ja, ich kannte sie.
Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu getrieben hatte, dem Geräusch zu folgen, doch ich tat es. Es kam von dem Fluss. Nun ,es wäre nichts Beunruhigendes, hier trieben sich öfters frisch verliebte Jugendliche herum, die im Spaß schrien. Aber diese Schrei, die immer lauter und grässlicher wurden, konnte man nicht zu der Sorte „Vergnügungsschreie“ zählen.
Das Licht in dem alten Hausboot war gedämpft. Ich kannte den Inhaber, es war ein seltsamer Mann in mittlerem Alter. Immer einen Hut auf und im langen Mantel gekleidet.Er stammte nicht aus dieser Gegend und ich mied es, zu viel Kontakt mit ihm zu haben.
Ich trat noch einen Schritt näher, um durch das Fenster spähen zu können, als mich etwas von hinten packte und weg zerrte. Ich wehrte mich gegen die stählernen Griffe, ich versuchte um mich zu schlagen, aber dieser Jemand war stärker, viel stärker. In meinem Schockzustand half mir selbst mein Selbstverteidigungskurs nichts. „ Bleiben Sie ruhig, bitte. Ruhig bleiben, dann wird Ihnen nichts geschehen.“ Nein, ich ertrage so etwas nicht noch einmal! Der feste, schmerzhafte Griff um meinen Arm, die Hand auf den Mund gepresst:all das kannte ich und plötzlich war alles wieder da, die Schreie, die Schmerzen,pure Panik, das ekelhafte Lachen des Widerlings!Alles!
Nachdem er mich fast vor mein Haus gezerrt hatte, ließ er meine Arme frei, hielt mich aber dennoch am Handgelenk fest. Ich wollte gerade beginnen zu schreien, als er mir seinen Polizeiausweis vor die Nase baumeln ließ. „ Sie sind in Sicherheit, Madame Claire Cosa.“ Ein Polizist? Was lief denn hier ab? War ich in einen schlechten Krimi geraten? Vor Schock und Panik wurde mir schwindelig, mein Körper fiel in sich zusammen und dann sah ich nur noch Schwarz.
Paris 25. März 1995
In einem Stadtteil nahe Paris wurde der lang gesuchte Adriano Capellione gefasst. Der Machthaber der Organhandel- Szenerie wurde bei einer erneuten Tat dank einer Augenzeugin und dem schnellen Handeln eines Polizisten ertappt. Er sitzt zur Zeit in Untersuchungshaft.
Der Organhandel betrieb er in einem unauffälligen Hausboot, nahe eines Spazierwegs entlang der Seine. Capillione gab sich zu Tarnung als ein mittelloser Reisender aus.
Bei einer Trauerfeier am Montag dem 27. März können Angehörige der Opfer und Trauernde in einem Trauergottesdienst gegen 16.00 Uhr in der Kathedrale Notre- Dame de Paris Abschied nehmen.
Paris kann wieder ruhig schlafen.
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2011
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