Schrei nach Unterstützung
Spätdienst. Mein Kollege Martin und ich sitzen im Aufenthaltsraum in der Wache und genießen unsere kurze Pause mit Pizza und eiskalter Cola. Heute geht es zu wie in einem Taubenschlag. Die Kollegen schwirren hektisch durch die Wache, machen einen kurzen Zwischenstopp zum Essen und eilen danach sofort wieder zum nächsten Einsatz.
Jana und Julia sind gerade auf dem Weg zu einem fünfzehnjährigen Suizidenten.
Martin hat ein komisches Gefühl im Bauch, irgendetwas passiert heute noch. Bloß nicht, denke ich mir, der Tag ist bis jetzt nicht gerade langweilig gewesen und wir haben auch noch genug Schreibarbeiten, die bearbeitet werden müssen.
Trotzdem fahren wir wieder raus. Streifenfahrt durch die Stadt. Im Funk ist es gerade relativ still, Martin und ich plaudern über Reiseziele und halten Ausschau nach Verkehrssündern.
„Wir brauchen hier Unterstützung“, schreit eine weibliche Stimme plötzlich über Funk. Das ist doch Julia, denke ich mir und funke die Leitstelle an. Plötzlich ist es total hektisch, der Adrenalinspiegel explodiert mit einem Mal und der Puls fängt an zu rasen. Keiner kommt durch am Funk, weil alle gleichzeitig funken und wissen wollen, wo die Kollegen Hilfe brauchen.
Endlich dringt die Leitstelle durch. Thomasstraße 8. Wir fahren mit Blaulicht und Horn. Wenn Kollegen Hilfe brauchen, dann zählt jede Sekunde, denn es ist quasi die eigene Familie, die in Not ist. Rote Ampeln, Häuserzeilen und Kreuzungen ziehen rasend schnell an uns vorbei und doch kommt es mir vor, wie eine Ewigkeit.
Wir sind die ersten vor Ort. Ich springe aus dem noch rollenden Fahrzeug und renne auf das Haus zu. Julia, Jana und der Suizident kommen uns schon entgegen. Den beiden Mädels steht der Schweiß auf der Stirn und die Augen tränen.
Der Suizident ist gefesselt und wehrt sich nicht mehr. Auch ihm tränen die Augen. Pfefferspray.
Der Suizident kommt in den Rettungswagen und wird auf der Trage fixiert. Noch völlig außer Atem erzählen Julia und Jana, dass sie Pfefferspray einsetzen mussten.
Nachdem klar wurde, dass der Suizident in eine Psychiatrie eingewiesen wird, sei die ganze Familie von ihm ausgerastet und habe sich auf die beiden geschmissen und sich gegen die Einweisung gewehrt.
Gut, dass die Rettungssanitäter und der Notarzt schon vor Ort waren und mithelfen konnten. Julia und Jana sind in Ordnung, die Situation beruhigt sich langsam.
Martin und ich fahren dem Rettungswagen mit dem Suizidenten hinterher, um die Einweisung in die Psychiatrie zu unterstützen. Noch rast mein Puls, ich schwitze und meine Hände zittern leicht.
Adrenalin.
Ich bin froh, dass den beiden nichts passiert ist und stolz auf unseren Zusammenhalt. Wie eine richtige Familie.
Wenn mein Kollege und ich mal in so einer Lage sind, können wir sicher sein, dass uns auch so schnell geholfen wird.
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2011
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