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Harte Nacht

Samstag 21:00 Uhr. Nachtschicht.
Ich habe mich freiwillig dazu bereit erklärt heute Dienst zu machen. Als Unterstützung fahre ich mit Manni, meinem Dienstgruppenleiter raus.

Eigentlich hätte ich heute frei gehabt, aber als Praktikantin im zweiten Jahr der Ausbildung nutze ich jede Gelegenheit um mehr Praxiserfahrung sammeln zu können.
Die vergangene Woche war ruhig gewesen. Nur ein paar Pkw-Kontrollen, einige Schwertransporter mit maroden Bremsen oder völlig übermüdeten Fahrern. Sonst nichts. Vielleicht war dies die berühmte Ruhe vor dem Sturm.

Alles begann relativ harmlos mit dem Einsatzbefehl „Streitigkeiten, möglicherweise häusliche Gewalt“.
Zwei Streifen machten sich auf den Weg. Leider hatte sich der Querulant schon aus der gemeinsamen Wohnung entfernt und es wurde lediglich eine Strafanzeige geschrieben. Einige Zeit später erhielten wir den Hinweis auf den Aufenthaltsort des Mannes und fuhren dorthin. Ebenfalls Fehlanzeige. Letztendlich haben wir ihn doch zu Hause angetroffen und ihm einen Platzverweis für diese Nacht erteilt. Er zeigte sich einsichtig, alles lief ruhig ab.

Währenddessen waren zwei weitere Streifenwagenbesatzungen meiner Dienststelle mit einem Suizidenten auf der Flucht beschäftigt. Per SMS hatte der Mann angekündigt, sich umzubringen.
Da es dutzende von Hinweisen auf einen möglichen Aufenthaltsort gab, wurden zahlreiche Örtlichkeiten angefahren. Dennoch konnte der Mann nicht gefunden werden.
Nach drei Stunden wurde er endlich gefunden. Lebend! Er hatte sich in einem Gebüsch versteckt, genau gegenüber von unserem Streifenwagen. Hatte uns die ganze Zeit stillschweigend beobachtet. Jetzt redete er. Ja, er wollte sich umbringen, das ganze Leben läuft mies und er kann einfach nicht mehr so weiter leben. Mit einem Schal wollte er sich erhängen, erzählt er. Der Sinnlosigkeit entfliehen. Die Kollegen bringen den Mann in das nächste Krankenhaus. Ein Arzt untersucht ihn. Körperlich fehlt ihm nichts, aber seelisch muss ihm geholfen werden.
Zwangseinweisung.

Der nächste Einsatz, ein Betrunkener Fahrgast der in einem Taxi randaliert. Manni und ich fahren als einzige zum Einsatzort. Der Taxifahrer hat uns erzählt, dass der Randalierer gegen die Tür getreten hat und nicht bezahlen wollte. Seine weibliche Begleitung blickte die ganze Zeit peinlich berührt zu Boden. Ich habe mit dem Randalierer gesprochen, total betrunken, aggressiv und uneinsichtig. Dazu wollte er sich von mir als Frau ohnehin nichts sagen lassen. Ohne Sterne auf der Schulter und dann noch als kleine Frau hat man es nicht so leicht. Trotzdem hab ich die Sache in den Griff gekriegt und meine Maßnahmen durchgesetzt.
Der Mann ging ständig von einer Stelle zur nächsten, immer hin und her. Ausreden lassen wollte er mich auch nicht. Und dann diese ständigen Diskussionen. Haben Sie dafür eine rechtliche Grundlage? Immerhin schafft er es uns zu siezen und nicht respektlos zu duzen.
Ich habe versucht beruhigend auf ihn einzureden, versucht einen Draht zu ihm zu bekommen. In der Ausbildung habe ich gelernt, wie ich mit den verschiedensten Charakteren umgehen muss, damit eine Situation nicht eskaliert. Mein schulmäßiges Vorgehen bewirkt dieses Mal das Gegenteil. Er wurde lauter.
Ich hab weiter versucht ruhig mit ihm zu reden und ihm vorgeschlagen ein paar Meter zu gehen. Einige Schritte weg von dem erzürnten Taxifahrer und seiner Freundin. Das hat funktioniert und wir konnten unsere Maßnahmen durchsetzen. Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Platzverweis.

Danach kam es Schlag auf Schlag. Einsatz in der „KuFa“, das ist eine der örtlichen Diskotheken; „Kulturfabrik“. Eine Person wird vom Sicherheitsdienst festgehalten, offenbar gab es an der Garderobe eine Auseinandersetzung.
Ein scheinbar harmloser Einsatzanlass. Weit gefehlt.
In weiser Voraussicht sind wir mit mehreren Streifenwagen dahin gefahren und es stellte sich heraus, dass dies genau richtig war.
Der Jugendliche, der sich die Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften geliefert hatte, erwartete uns vor der „KuFa“. Mit einer Platzwunde am Kopf, hat er die Auseinandersetzung offenbar körperlich verloren. Ich frage ihn, ob er einen Arzt braucht, aber den will er nicht. Seine Freundin steht daneben. Panik in ihren Augen. Sie redet wild auf ihn ein. Er soll sich von einem Arzt behandeln lassen, Anzeige erstatten. Er will nicht.
Er will nur noch nach Hause und die Sache vergessen.
Die Sicherheitskräfte schildern uns den Tathergang. Er wollte nicht bezahlen. Letztendlich hat seine Freundin für ihn bezahlt.
Auf einmal rennt ein anderer Jugendlicher wie von der Wespe gestochen weg. Fluchtartig versucht er den Parkplatz der „KuFa“ zu verlassen. Alle Kollegen hinterher, Jagdfieber! Zwei Kollegen beenden seine Flucht. Er hatte nicht genug Geld dabei, um seine Getränke zu bezahlen. Ein Freund von ihm bietet sich an, seine Rechnung zu bezahlen und das Personal der „KuFa“ drückt ein Auge zu.

Plötzlich werden wir von Sanitätern angesprochen, im Sanitätsraum liegt eine aufsässige Person. Der junge Mann hat auf dem Boden der Disco geschlafen und steht unter Drogen oder massivem Alkoholeinfluss. Manni, ein weiterer Kollege und ich begleiten die Sanitäter.

Im Sanitätsraum warten schon Sicherheitskräfte und ein total desorientierter, betrunkener und verbal aggressiver Jugendlicher. Er will sich nicht behandeln lassen.
Manni zählt dem Jugendlichen auf, was er für Möglichkeiten hat. Entweder er verlässt jetzt die Disco und geht nach Hause oder er kommt mit uns mit. Vor Manni haben eigentlich alle Respekt, er ist groß, kräftig und durchsetzungsstark.
Der Typ hat gar nicht reagiert. Mit Engelszungen hat Manni auf ihn eingeredet. Woher nimmt er diese Geduld? Irgendwann wurde ihm das aber zu bunt und er hat ihn zum aufstehen aufgefordert.

„Definieren Sie aufstehen!“ kam dann nur von dem Jugendlichen.

Ich muss sagen, die Definition war eindeutig und konnte keinesfalls missverstanden werden.
Während ich per Funk die Personalien von dem Jugendlichen abfrage, sehe ich im Augenwinkel, wie Manni und der andere Kollege den Jugendlichen mit ein paar Tricks zum Stehen bringen. Der Jugendliche wehrt sich mit Händen und Füßen. Den Funkspruch an die Leitstelle muss ich kurzfristig unterbrechen und meine Kollegen unterstützen. Wir drehen ihm schulmäßig die Hände auf den Rücken und legen die Handfesseln an.

Die Eingriffstechniken, die wir lernen, können auch von kleineren, nicht so kräftigen Personen durchgeführt werden. Das ist gerade für mich als Frau sehr praktisch. Während mein Kollege meinen Funkspruch zu Ende bringt, führen Manni und ich den Jugendlichen mittels Transportgriff aus der „KuFa“ und setzen ihn in den Streifenwagen. Ich nehme hinter Manni auf der Rückbank Platz.
Neben mir der gefesselte Jugendliche. Er ist immer noch aggressiv.

„Du siehst gut aus, ich stehe auf Frauen in Uniform“. Mir liegt ein Spruch auf den Lippen, aber ich schlucke ihn herunter. Die Situation ist aufgeheizt genug, da muss ich nicht noch Öl in das Feuer gießen.
Auf einmal fängt er an, seinen Kopf ständig hin und her zu bewegen, gegen das Fenster zu schlagen. Alles Zureden hilft nichts, ich muss den Jugendlichen festhalten, damit er sich nicht selbst verletzt.

An der Wache angekommen, führen Manni und ich den Jugendlichen mit einem Transportgriff in das Gewahrsam. Der wehrt sich heftig. Auf der Treppe, die in den Wachbereich führt, lässt er sich fallen und zieht uns mit runter. Langsam werde ich sauer, aber Manni sorgt mit seiner ruhigen Art dafür, dass die Situation sich wieder beruhigt und auch ich wieder ruhiger werde.
Im Gewahrsam spielt der Typ den sterbenden Schwan, will nicht aufstehen, kann sich nicht alleine ausziehen. Der Arzt durchschaut ihn und bescheinigt die Haftfähigkeit. Ein paar Beleidigungen können wir uns noch anhören, dann wird die Tür abgeschlossen.
Warum sind die Jugendlichen heutzutage so respektlos der Polizei gegenüber frage ich mich. Irgendwie macht mich das traurig. Früher war das nicht so, aber früher war wohl eh alles anders.

Mittlerweile sind alle fünf Zellen im Gewahrsam belegt. Wenn die Kollegen im Einsatz weitere Festnahmen durchführen oder eine hilflose Person zur Wache bringen, müssen entweder vorher andere entlassen werden, oder die Kollegen müssen zu einer anderen Wache mit freien Zellen fahren. Es ist ein kommen und gehen diese Nacht und ich hab das Gefühl, jede weitere Person ist schlimmer. Jeder will mehr diskutieren und kennt sich rechtlich besser aus als du. Häufig werden wir bei solchen Aktionen bedroht, uns werden rechtliche Konsequenzen angedroht. Es ist schwierig ruhig zu bleiben, wenn uns unser Beruf erklärt wird und uns erläutert wird, was wir alles falsch machen. Es ist wichtig ruhig zu bleiben. Das lernt man mit der Zeit.

In der anschließenden Einsatznachbereitung sagt Manni mir, dass er stolz auf mich ist, den Transportgriff merkt er sich jetzt. Er findet es gut, dass ich trotz der Provokationen ruhig geblieben bin. Das ist wichtig, dass ich nicht die Beherrschung verliere und Ruhe bewahre.

Zwei Minuten vor Feierabend, kommt noch ein Einsatz. Schlägerei vor dem Hauptbahnhof. Ungefähr 10 – 20 Beteiligte. Direkt gegenüber von unserer Wache.
Auf der Straße kommen uns zwei Typen entgegen, einer davon blutüberströmt. Ich springe aus dem Wagen und will helfen. Hilfe ist nicht erwünscht.

Ich fordere den Typen auf, sich auf eine Treppe im Hauseingang zu setzen, nicht das der uns noch wegklappt.
Keine Reaktion. „Von dir lasse ich mir nix sagen, was willst du überhaupt?“
Wenn ich so bluten würde und mir eine Flasche über den Kopf gehauen worden wäre, ich wäre für jede Hilfe dankbar!

Auch der Kumpel von ihm wird immer aggressiver. Hilfe, wo sind die Kollegen? Ich fühle mich unsicher und hilflos. Ich bin nur 1,66 m groß und zierlich. Mir gegenüber stehen zwei groß gewachsene, muskulöse und dazu noch aggressive Typen.
Ich weiche instinktiv einen Schritt zurück.
Endlich treffen zwei weitere Streifen ein.
Nun sind wir schon mal mit 6 Polizisten vor Ort, okay mit fünfeinhalb, ich bin ja noch keine richtige Polizistin.
Trotzdem viel zu wenig für die vielen Personen. Es herrscht Chaos, viele Geschädigte, viele Zeugen und viel Lärm!
Ich stehe mittlerweile alleine mit 5 Personen da, Manni kümmert sich um zwei aggressive Zeugen und die anderen Kollegen sind bei den anderen Geschädigten und Zeugen. Es herrscht eine aggressive Stimmung und wir müssen in der Durchführung unserer Maßnahmen sehr auf Deeskalation achten.
Bei mir stehen der Geschädigte, zwei Kumpels von ihm und zwei junge Frauen. Alle Personen sind stark alkoholisiert und aggressiv.
Alle haben Migrationshintergrund und sprechen nur gebrochen Deutsch. In ihrem Herkunftsland lässt man sich als Mann nichts von einer Frau sagen. Das sind alles Faktoren, die ich beachten muss, aber diese Faktoren dürfen mich nicht daran hindern, meine Maßnahmen konsequent durchzuführen.
Ich versuche beruhigend auf den Geschädigten einzuwirken. Biete ihm Hilfe für die Verletzung an. Es bringt nichts, der Geschädigte kommt in drohende Körperhaltung auf mich zu. Die Arme drohend erhoben, den Körper stark angespannt.
Er hat einen aggressiven Gesichtsausdruck und schreit in gebrochenem Deutsch: „Was willst du, lass mich, ich hau dich weg!“.
Obwohl ich mich total unwohl fühle und Angst habe, bleibe ich ruhig und bitte ihn, sich auf den Treppenvorsprung zu setzen und ruhig zu bleiben.
Wir wollen ihm nur helfen und ihm nichts Böses. Dann mischt sich seine Freundin ein, was wir von ihrem Freund wollen und uns „verpissen“ sollen.
Ich bleibe immer noch ruhig und fordere sie auf, mir ihren Personalausweis zu zeigen. Wenn sie eine Zeugin ist, dann brauchen wir ihre Personalien für das spätere Strafverfahren.
„Wer will das wissen“, schreit sie mich an. Ich erkläre ihr, dass die Polizei ihre Personalien benötigt und dass sie diese angeben muss. Ansonsten begeht sie eine Ordnungswidrigkeit.
Am liebsten würde ich zurückschreien, aber ich weiß genau, dass sie mich nur ärgern will. Ich versuche mich nicht provozieren zu lassen und bleibe immer noch ruhig. Es wäre leichtsinnig jetzt anders zu reagieren und laut zu werden.
Mir stehen 5 aggressive Personen gegenüber. Ich würde sicher den Kürzeren ziehen.
Bei der Freundin zeigt meine ruhige Art Wirkung, sie gibt mir sofort den Personalausweis. Nach kurzer Überprüfung schicke ich sie ein paar Schritte weiter, damit die Situation übersichtlicher wird.
Auf einmal läuft mein Geschädigter los.
Ich höre mich Stopp rufen, so geht das nicht.
Sie müssen hier bleiben.
„So, was willst du? Du kannst mich mal, ich gehe wohin ich will“. Er baut sich vor mir auf, lässt seine Muskeln spielen und kommt immer näher. Jetzt wird es kritisch und mit ruhigen Worten ist hier nicht mehr viel zu machen. Dennoch will ich nicht, dass ein Geschädigter aufgrund seines Verhaltens in eine Zelle gebracht wird. Das ist Irrsinn.
Ich fordere ihn auf, stehen zu bleiben, mit mehr Nachdruck in der Stimme. Mache mich groß und baue mich ebenfalls auf. Nicht so leicht mit 1,66m Körpergröße, aber ich versuch trotzdem mich durchzusetzen.

Der Typ kommt mir immer näher, bedrohlich nahe. Irgendwie sehe ich das alles durch einen Nebel, auch meine Anweisungen kommen mir verschwommen vor. Angst? Klar hab ich Angst, was ist wenn mir der Typ eine langt. Die Kollegen sind alle total weit weg und ich hab körperlich nichts gegen den auszurichten. Mein Pfefferspray! Bis ich das hab, lieg ich schon dreimal auf dem Boden.

In letzter Minute wirft sich ein Kollege dazwischen. Macht eine klare Ansage und der Typ kommt zur Besinnung. Setzt sich wieder hin und wir können weiter den Sachverhalt aufnehmen. Die Situation ist jetzt viel entspannter, aber dennoch geprägt von einer aggressiven Grundstimmung. Das Ende vom Lied, diverse Platzverweise und Strafanzeigen.
Wenn mein Kollege nicht gewesen wäre, ich will nicht darüber nachdenken.

Mir zittern die Knie und die Hände. Ein richtiges Kribbeln habe ich im ganzen Körper.
Nach dem Einsatz ist endlich Feierabend. Leider nicht für meine Gedanken.

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Texte: Copyright by me!
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2011

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