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Prolog


Seit dem Abheben der Air Force One vom Luftwaffenstützpunkt Nähe Washington war noch keine halbe Stunde vergangen. An Bord befanden sich Thomas Blanc, Präsident der Vereinigten Staaten, Außenminister Michael Parker, der übliche Mitarbeiterstab und ein Dutzend CIA-Agenten, die für die Sicherheit des Präsidenten verantwortlich waren. Die Boeing befand sich bereits in Reiseflughöhe auf dem Weg nach London, wo Blanc zu einem Staatsbesuch erwartet wurde. Es versprach ein ruhiger Flug zu werden.
Die Kabine des blausilbernen Großraumjets glich einem Bü-rokomplex. Hektisches Treiben, Funktelefone, Computer, Faxgeräte, – man hätte glauben können, mitten im Großraumbüro der New York Times zu sein. Die abgeteilte Präsidentenkabine kam einem komfortablen Apartment gleich, in dem es an nichts fehlte. Bisher gab es keinerlei besondere Vorkommnisse, nicht einmal die geringsten Turbulenzen. »Bitte sorgen Sie dafür, dass ich in den nächsten zwei Stunden nicht gestört wer-de«, wies Präsident Thomas Blanc einen CIA-Agenten an.
»Geht in Ordnung, Sir.« Der Agent, ein Mann mittleren Al-ters vom Typ Bodybuilder, setzte sich in einen Sessel vor der Tür zur Präsidentenkabine, die sich im Obergeschoss des Jum-bojets befand. Die Tür ließ er nicht mehr aus den Augen und er wies jeden zurück, der sich der Kabine näherte. »Der Präsi-dent will nicht gestört werden«, wiederholte er mehr als hun-dert Mal.
Ein anderer Agent eilte aus der Bürokabine herbei. Ihm war deutlich anzusehen, dass etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein musste. In seiner rechten Hand hielt er ein mehrseitiges Fax, auf dessen Titelblatt in großer Schrift stand: Streng Geheim - An den Präsidenten der Vereinigten Staaten – unverzüglich vorzulegen. Als er gerade an seinem Kollegen vorbei wollte, streckte dieser ein Bein aus. »Stopp - der Präsident will nicht gestört werden.« Der Satz fiel monoton, wie von einer synthetischen Computer-stimme.
»Ist mir egal. Ich muss ihn unbedingt sprechen.«
»Kommt gar nicht in Frage. Er hat angeordnet, dass nie-mand zu ihm darf. Und wenn er niemand sagt, dann meint er niemand. Verstanden?«
»Hör zu«, erwiderte der zweite Agent. »Es gibt gewiss nicht viele Dinge, die es rechtfertigen, den Präsidenten zu jeder Ta-ges- und Nachtzeit zu stören. Aber einen dieser Gründe halte ich hier in der Hand.« Er wedelte mit dem Fax.
»Was ist das? Eine Kriegserklärung?«
»Deine Witze waren schon besser. Lass mich endlich durch! Oder willst du dem Chef erklären, warum er das Fax nicht sofort vorgelegt bekommen hat?«
»Ist es wirklich so dringend?«
»Ja, verdammt. Gib endlich den Weg frei!« Er wurde lang-sam ungeduldig und trat seinem Kollegen leicht gegen den Fuß.
»Na schön, aber auf deine Verantwortung! Ich will hinterher keinen Anschiss bekommen.«
Könnte dir aber nicht schaden, dachte der CIA-Mann, der das Fax in der Hand hielt.
Wütend über seinen übereifrigen Kollegen betrat er die Prä-sidentenkabine und durchquerte sie eilig. Thomas Blanc saß am anderen Ende entspannt in einem Sessel und war gerade damit beschäftigt, einige Unterlagen zu studieren. Er zeigte sich ungehalten über die Störung. Es war ihm immer schon zuwider gewesen, wenn seine Anordnungen missachtet wurden. Erst recht in Momenten wie diesem, bei dem er sich leger ge-kleidet in eine Art Privatsphäre zurückzog.
»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Keine Störun-gen.«
»Bitte entschuldigen Sie, Sir. Wir haben ein sehr wichtiges Fax erhalten mit dem Hinweis, es Ihnen unverzüglich auszu-händigen. Es kommt vom Pentagon und es sieht so aus, als ob es wirklich sehr wichtig sei und Sie unverzüglich Kenntnis davon erhalten sollten.« Blanc legte seine Unterlagen aus der Hand und sah den CIA-Mann prüfend an. Er gewann den Eindruck, dass der Mann aufgeregt war. Da er von der kleinen Auseinandersetzung vor seiner Kabinentür nichts mit-bekommen hatte, vermutete er den Grund bei dem Fax, das er immer noch in der Hand hielt.
»Okay, geben Sie es mir.«
»Es ist soeben vom Pentagon durchgegeben worden«, be-merkte der Agent, während er die Papiere dem Präsidenten überreichte. Blanc legte das Deckblatt beiseite, überflog die drei Seiten und überzeugte sich, ob der Absender tatsächlich das Pentagon war. Die Absenderkennung ließ keinen Zweifel aufkommen: Es war das Verteidigungsministerium.
Das Fax enthielt einige gestochen scharfe Schwarzweiß-Fotos, Angaben zu einem Koordinatensystem und ein kurzes Statement von einem hohen Mitarbeiter des Pentagon. Auf dem unteren Rand des ersten Fotos war ein kurzer Text abge-druckt: 2006-07-12-09-18-29 KH-2. Der Aufdruck auf den üb-rigen Fotos unterschied sich lediglich in der Uhrzeit.
Die Satelliten des Key Hole Programms waren der ganze Stolz der USA. Es handelte sich um die leistungsstärksten Aufklärungssatelliten, die je in den Orbit geschossen worden waren. Drei Stück befanden sich derzeit im All, alle konnten vom Kontrollzentrum aus mühelos in jede gewünschte Flug-bahn navigiert werden. Ihre Kameras arbeiteten nach einem Radarprinzip. Sie lieferten so hochauflösende Fotos von der Erdoberfläche, dass Schlagzeilen in Zeitungen deutlich zu entziffern waren, selbst durch eine geschlossene Wolkendecke hindurch. Man sagte, ihre Fotos seien vergleichbar mit Auf-nahmen aus nur einem Meter Entfernung. Ein enormer tech-nischer Fortschritt, der streng geheim gehalten wurde.
Blanc blätterte die Seiten hin und her, betrachtete intensiv die Fotos, las wieder und wieder das Statement, wobei sich seine Miene immer mehr verfinsterte. »Das kann doch nicht sein«, resümierte er kopfschüttelnd und sah den Agenten fra-gend an. »Irrtum ausgeschlossen?« Er hoffte, ein Nein zu hö-ren.
»Ja, Sir. Kein Irrtum möglich. Wir haben uns die Richtigkeit bestätigen lassen«, antwortete der Agent überzeugend. Er war sich absolut sicher, dass es sich hier um eine ernste Sache han-delte. »Die Aufnahmen sind keine zwei Stunden alt und wur-den nach der Datenübermittlung sofort an uns gefaxt«, ergänz-te der CIA-Agent.
Präsident Blanc stand auf und ging in der Kabine auf und ab, das Fax in der Hand. »So etwas gibt es doch gar nicht. Das kann es einfach nicht geben, oder?«
»Ich fürchte doch, Sir.«
»Wer weiß von diesem Papier?«
»Nur Sie und ich, Sir. Ich habe es persönlich aus dem Fax-gerät genommen und bin direkt zu Ihnen gekommen, nach-dem ich die Bestätigung vom Pentagon erhalten hatte.«
»Gut. Kein Wort zu irgendjemand – verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Mr. Parker soll zu mir heraufkommen – sofort!« Die Stim-me des Präsidenten bekam einen energischen Unterton. »Und stellen Sie eine Telefonverbindung zum Pentagon her.«
»Dieses Fax hat ihn ziemlich aufgeregt«, berichtete der CIA-Agent seinem Kollegen, nachdem er die Präsidentenkabine verlassen hatte. »Da läuft irgendeine große Sache. Er will so-fort Parker deswegen sprechen und mit dem Pentagon telefo-nieren. Du solltest Parker sofort reinlassen – wenn du mich fragst.«
»Natürlich lasse ich den Außenminister zu ihm.«
»Ich meine nur, falls du wieder so eine Nummer wie eben abziehen willst.«


1


Verflucht, dachte der grau melierte Mann, der erst zwei Tage zuvor seinen dreiundsechzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Damals warst du entschlossen, dein Leben wegzuwerfen. Er starrte auf eine Walter PP Kaliber 7,65, die er seit Jahren be-saß. Illegal, versteht sich. Die Waffe lag auf seinem Schreib-tisch, halb von Zeitungsbergen verdeckt. Er hatte etwas in der Schreibtischschublade gesucht und dabei die Pistole entdeckt. Feigling, dachte er. Hab es doch nicht getan. Dann lächelte er. Sorgfältig verstaute er die Pistole, verschloss die Schreibtisch-schublade und legte gerade den Schlüssel in das Geheimfach in einem antiken Schrank, als das Telefon läutete.
Philipp hatte die Rufmelodie alter französischer Apparate eingestellt. Entsprechend schrill war der Klang. Das Telefon befand sich neben einer alten Schreibtischlampe mit grünem Schirm, die einen Teil des Schreibtisches dezent beleuchtete. Ansonsten lag das Arbeitszimmer in einem schummrigen Licht. Es war schon spät.
Philipp setzte sich an seinen Biedermeier-Schreibtisch mit den Intarsien und der auf Hochglanz polierten Schellackober-fläche, nahm den Hörer ab, drückte auf eine Taste und meldete sich mit Hallo, wie es in Frankreich üblich war. Längst hatte er sich an die Gewohnheiten und Sitten angepasst. Frankreich war seine neue Heimat geworden, die er unter gar keinen Um-ständen mehr missen wollte. Eine sonore Männerstimme drang an sein Ohr. »Philipp, bist du es?«
»Ja, hier ist Philipp Simon.«
Faber meldete sich, der seit Jahrzehnten Philipps Anwalt in Berlin, Freund und enger Vertrauter war. Er war der einzige Mensch, der wusste, wo Philipp nach seiner überstürzten Ab-reise zu finden war, damals, nachdem Melanie Simon und der Fotograf des Nachrichtenmagazins BONJOUR auf so tragische Weise ums Leben gekommen waren, und die Atommafia Phi-lipp selbst nach dem Leben trachtete.
»Was ist los?«, fragte Philipp. »Um diese Zeit muss es mich wirklich interessieren. Immerhin ist es schon nach zweiund-zwanzig Uhr.«
»Ich wollte dich ja früher anrufen, aber du warst den ganzen Tag nicht zu erreichen.«
»Man wird doch wohl noch aus dem Haus gehen dürfen, ohne das Handy mitzunehmen.« Mit müden Augen wie aus dunklen Höhlen sah Philipp aus dem Fenster. Von seinem Arbeitszimmer aus konnte er den Eiffelturm sehen, der sich hell erleuchtet vom Abendhimmel abhob. Seit vielen Jahren wohn-te er in dieser eleganten Wohnung direkt an der Seine, nur wenige hundert Meter von dem Tunnel entfernt, in dem da-mals Lady Diana bei einem zweifelhaften Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Es gab immer noch Menschen, die dort Blumen niederlegten.
»Bist du noch da?«, fragte Faber.
»Ja, ja. Entschuldige, ich war etwas abwesend.«
»Ich dachte schon, die Verbindung sei unterbrochen.«
So ging es Philipp in letzter Zeit öfter. Er war müde gewor-den und seine Gedanken verloren sich in Tagträumen.
»Was ist los mit dir?«, wollte Faber wissen. »Bist du etwa krank? Du hast sicherlich zu viel gearbeitet in letzter Zeit. Und dein Buch hat dich sehr mitgenommen. Da kommt vieles wie-der hoch. Du solltest Urlaub machen, mal richtig ausspannen.«
»Ach was, ich fühle mich prima. Weshalb rufst du an?«
»Dein Verleger hat mich gebeten, dir eine Nachricht zu-kommen zu lassen. Du sollst eine Telefonnummer anrufen.«
»Hm.«
»Hörst du mir eigentlich zu?«
»Sicher.«
»Hast du getrunken?«
»Quatsch. Einen kleinen Ricard, aber sonst keinen Trop-fen.«
»Ich mache mir eben Sorgen. Ich glaube, ich komme mal nach Paris und sehe nach dem Rechten.«
»Unsinn. Mir geht es gut, alles okay. Was ist das für eine Nummer, die ich anrufen soll?«
Faber gab eine Handynummer durch. »Es handelt sich um eine Frau Meiwald. Kennst du sie?«
»Nie gehört«, antwortete Philipp gleichgültig.
»Bist du sicher? Sie scheint dich jedenfalls zu kennen. Oder welchen Grund sollte sie sonst haben, dich um Hilfe bitten zu wollen. Und es scheint dringend zu sein.«
Jeder glaubt, nur seine Belange seien wichtig und dringend, und die anderen haben alles stehen und liegen zu lassen, um sich darum zu kümmern, dachte Philipp. Lasst mir doch ein-fach meine Ruhe. Er sah auf die verschlossene Schublade, in der seine Pistole lag. Die Ruhe könnte ich mir für immer ver-schaffen.
»Du rufst doch an?«, fragte Faber. Einen Dreck werde ich tun, dachte Philipp. »Es gehe um Leben und Tod, sagt dein Lektor.« Darum ging es damals auch, und was war dabei he-rausgekommen? Ein menschliches Wrack wurde aus mir.
»Mal sehen.«
»Ich habe meine Aufgabe erfüllt«, betonte Faber. »Ob du nun anrufst oder nicht, musst du wissen. Denk nach, ob du diese Frau vielleicht doch kennst.«
»Mach ich«, log Philipp, drückte einen Knopf auf dem Tele-fonapparat und unterbrach damit die Verbindung.
Sein Körper fing plötzlich zu zittern an, Schweiß brach aus und das Blut pochte in den Schläfen. Unter Atemnot schob er einige der Zeitungen zur Seite, bis auf dem Schreibtisch eine kleine Pillendose sichtbar wurde. Diese Anfälle kamen stets ohne Vorankündigung. Seit gut drei Jahren litt er unter Herzin-suffizienz, nahm regelmäßig Medikamente zur Blutdrucksen-kung und gegen vermehrte Ausschüttung von Stresshormo-nen. Er öffnete die Pillendose, nahm zwei Tabletten heraus und schluckte sie hastig.
Nun musste er warten, bis das Mittel wirkte. Unsicher ging er ins Schlafzimmer. Einen Moment hinlegen kann nicht scha-den. Auf der Diele fiel sein Blick in einen mannshohen Spiegel. Du bist alt geworden, flüsterte er, als er sich im Spiegel sah. Schwere Lider lagen über den Augen, das graue Haar wurde immer dünner, Falten im ganzen Gesicht. Trotzdem, für dein Alter hast du dich gut gehalten.
Es vergingen nur wenige Minuten, bis es ihm besser ging. Das Blut hörte auf zu pochen, der Schweißausbruch klang ab, nur etwas Kopfschmerzen blieben. Dagegen hilft eine Parace-tamol, dachte er und griff ein weiteres Mal zur Pillendose. Nun noch eine kalte Dusche und dir geht es wieder blendend. Bis zum nächsten Anfall.
Philipp ließ sich in einen tiefen Ohrensessel fallen und ver-drängte den Anruf seines Anwalts. Er schaltete das Licht eines modernen Deckenfluters ein, der sich mit seinem Messingge-stell harmonisch in die antike Umgebung integrierte. Ein wei-ches Licht verbreitete sich. Auf dem Parkettfußboden lag ein schwerer runder Teppich in blauer Grundfarbe und von etwa drei Metern Durchmesser. Darauf stand ein Marmortisch, um den wuchtige dunkelbraune Ledersessel gruppiert waren. Einer davon war der Ohrensessel, in dem Philipp nun saß.
In den französischen Fenstern spiegelte sich die nächtliche Silhouette von Paris, gekrönt vom kunstvoll illuminierten Eif-felturm. Die gegenüberliegende Wand verdeckte vollends ein rustikales Bücherregal, in dem sich ein Buchrücken an den anderen reihte. In dieser Umgebung fühlte er sich am wohls-ten, wenn er in Ruhe gelassen werden wollte, um über vielerlei Dinge sinnieren zu können. Meist schloss er dabei die Augen und döste.
Plötzlich war da Melanies Stimme, was ihn keineswegs in Erstaunen versetzte oder beunruhigte. Oft vernahm er in Tag-träumen die Stimme seiner verstorbenen Frau, die er so sehr geliebt hatte. Er führte lautlose Gespräche mit ihr, besonders dann, wenn er Rat oder Trost suchte. Als er das Buch über seine Recherchen in Sachen Plutoniumhandel schrieb, nahm er oft ein solches Zwiegespräch mit Melanie auf und bat sie, doch einen kritischen Blick auf die Manuskriptseiten zu werfen. Er wusste, wie irrsinnig das war, so irrsinnig wie die Zeit, in der er lebte.
Ruf diese Frau an, hörte er Melanie sagen. Ruf sie an.
Warum sollte ich das tun? Ich kenne sie doch gar nicht.
Faber sagte, es gehe um Leben und Tod. Du bist vielleicht der Einzige, der dieser Frau helfen kann. Willst du dir Schuld aufladen?
Welche Schuld?
Vielleicht kannst du ein Leben retten? Es geht um Leben und Tod. Du erinnerst dich an Fabers Worte?
Ich wüsste nicht, wen ich retten könnte.
Du musst anrufen, um es zu erfahren. Tu es der unbekann-ten Frau zuliebe. Sie glaubt, dass nur du ihr helfen kannst. Tu es um deinetwillen. Tu es um meinetwillen. Ruf an!
Er schloss die Augen, Melanie war verstummt. Menschenle-ben stehen auf dem Spiel? Das war damals auch so gewesen. Hätte ich nur nicht dieses Buch geschrieben. Alles ist wieder so präsent wie damals, scheußlich. Was nützt es, wenn der Roman innerhalb kürzester Zeit Platz zwei der Bestsellerliste erobert hat, aber alles wieder vor Augen ist?
Philipp gehörte zu den besten Journalisten des Landes, mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter sogar der Pulitzerpreis. Damals schrieb er für das Nachrichtenmagazin BONJOUR, das von einem knochigen Zweiter-Weltkriegs-Veteran geführt worden war. Philipp erinnerte sich noch genau daran, als er im Arbeitszimmer seines Chefs stand und den Auftrag erhielt, in Sachen Plutoniumhandel zu recherchieren. Unversehens fand er sich zwischen den Fronten der Russenmafia wieder.
Er schreckte auf. Warum erinnerte er sich plötzlich an all das, was so weit in seiner Vergangenheit lag? Was war mit dem Schwur, mit dieser Vergangenheit, die ihn fast das Leben ge-kostet hatte, für alle Zeiten abzuschließen? Konnte man dies überhaupt? Philipp hatte die Erkenntnis gewonnen, irgend-wann komme unweigerlich der Zeitpunkt, an dem jeder mit seiner eigenen Geschichte endgültig abschließen musste. War es nun soweit? Aufgearbeitet hatte er die Erlebnisse nie. Dafür blieb keine Zeit, angesichts seiner überstürzten Abreise aus Deutschland, seiner Flucht. Und immerhin führte ihn seine Reise scheinbar ziellos um den ganzen Erdball, bis er erst zwei Jahre später in Paris seine neue Heimat gefunden hatte.
Vielleicht war alles auch ganz anders. Philipp entschloss sich, noch ein wenig an die Luft zu gehen. Es war zwar schon kurz vor Mitternacht, aber was zählte das schon in einer Stadt wie Paris. Hier hörte die Geschäftigkeit nie auf. Irgendwo gab es immer noch ein Bistro, in dem er an einem Tisch auf dem Trottoir ein Glas Wein oder einen Espresso genießen konnte. Und oftmals traf er bei diesen nächtlichen Bistrobesuchen Freunde oder Bekannte, mit denen er bis in die frühen Mor-genstunden philosophieren konnte. Philipp liebte das und er war frei. Niemand drängte ihn, er konnte am nächsten Morgen schlafen, so lange er wollte. Oder so lange, bis der Pariser Stra-ßenlärm mit Hupkonzerten in sein Dach-Apartment drang. Selbst diesen Lärm liebte er. Niemals würde er aus dem Zent-rum von Paris wegziehen.
In dieser Nacht jedoch war es anders als sonst. Der Anruf seines Anwalts beschäftigte ihn. Insbesondere dachte er dar-über nach, wer diese Frau sein könnte, die so dringend um seine Hilfe ersuchte. Und was sollte das überhaupt für eine Hilfe sein?

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Tag der Veröffentlichung: 16.06.2009

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