In unserem Treppenhaus, die Wohnung war für das Tier zu warm, lebte lange Zeit ein Chinchilla in einem hellen, zum Käfig umgebauten Kleiderschrank.
Diese Tiere leben in den Anden oberhalb der Baumgrenze und benötigen ein eher kühles, trockenes Umfeld mit vielen Klettermöglichkeiten.
Er war der letzte von drei Brüdern und konnte schon als Veteran bezeichnet werden.
Anton, so sein Name, war ein ruhiger, angenehmer Geselle. Er fraß überwiegend Heu und getrocknete Blüten und liebte es, sich in der dicken Schicht Holzspäne, die am Boden seines Käfigs angehäuft waren, Höhlen und tiefe Mulden zu scharren. Wohl deshalb ging von seinem Käfig immer ein angenehmer Duft nach Heu und frisch geschlagenem Holz aus. Ein Duft, der hier bei uns auf dem Land, noch jedem vertraut ist, Mensch und Tier.
Koko beachtete wohl deshalb den dämmerungsaktiven Bewohner des Käfigs so gut wie gar nicht. Zumal Anton schon zum Haus gehörte, als Koko als neugieriger, aufgeweckter Jungkater im Altern von 12 Wochen einzog.
Einmal ergab sich jedoch die Gelegenheit, das Innere des Käfigs genauer zu untersuchen. Anton hatte sich zu einem nachmittäglichen Schläfchen in seinem Häuschen in der oberen Etage des Käfigs zurückgezogen und aus Erfahrung wusste ich, dass er dort auch bleiben würde. Als junges Tier hatte er täglich Freilauf in der Wohnung erhalten und hatte das auch gründlich und weidlich ausgenutzt. Nun aber, mit fast 15 Jahren, war er ruhiger geworden und begnügte sich mit den Kletter- und Versteckmöglichkeiten die ihm sein Käfig bot.
Ich reinigte den Käfig von den Hinterlassenschaften des Bewohners – was gut mit Handbesen und Kehrblech erledigt werden konnte – und achtete nicht weiter auf Koko, der deutlich hörbar die Treppe herunter gestürmt kam. Wie fast immer war er zu schnell und rutschte am Treppenabsatz mit dem Hinterteil gegen das Buntglasfenster. Rumms. Auch das nichts Neues.
Das plötzliche Gewicht auf meinem Rücken war jedoch etwas Neues, für Koko jedenfalls. Bisher war er mir noch nicht ins Genick gesprungen, wie es seine Gefährtin Filou ab und an mal unverhofft tat.
Wenigsten ließ er, anders als Filou bei diesen Gelegenheiten, die Krallen drin.
Da standen wir nun. Ich, gebückt mit dem Handbesen in der Hand und einem neugierigen Kater auf dem Rücken. So mussten sich die Bremer Stadtmusikanten gefühlt hatten.
Mit einem leise fragenden Mrrriauuu
sprang Koko auf eines der an der Wand des Käfigs befestigten Brettchen und schaute mich nachdenklich an. Was er dabei über die absonderlichen Angewohnheiten von Menschen im Allgemeinen und mich im Besonderen dachte, war ihm deutlich an der braun getupften rosa Nase abzulesen. Ich verpasste ihm einen gutmütigen Stüber und versuchte ihn sanft aber bestimmt aus dem Käfig zu bekommen.
Vergeblich. Wenn Koko nicht wollte, dann wollte er nicht. Und wann bekam er schon mal die Gelegenheit diesen seltsamen Behälter von innen zu erkunden?
Anton, der von dem Lärm in seinem Haus aufgewacht war, schob den Kopf durch die Öffnung und lugte neugierig von oben auf uns herab. Koko sah in zunächst nicht und da Chinchillas auch für gewöhnlich keine Laute von sich geben, konnte er ihn auch nicht hören.
Erst das leise Scharren von Krallen ließ ihn nach oben schauen.
Mrrri
! Mit einem Satz war er vom Brettchen auf meinen Rücken und von dort zu Anton auf dessen Balkon gesprungen. Da standen sie nun – Auge in Auge.
Keiner von beiden schien sich bewusst zu sein, dass sie durchaus in die Kategorie „Jäger und Beute“ gehörten. Sie standen nur stumm da und beäugten sich. Anton huschte ganz aus seinem Häuschen und hockte sich auf den Hinterbeinen aufrecht hin. In dieser Haltung konnte er dem stehenden Koko durchaus ins Gesicht sehen, was den mutigen und starken Kater einen Schritt zurückweichen ließ. Mit einer solchen Größe seines unbekannten Gegenübers hatte er wohl nicht gerechnet.
Vorsichtig beschnupperten sie einander und Koko schien den Chinchilla mit einem sanften Nasenstüber zum Herumtollen auffordern zu wollen. Immerhin war er erst knapp neun Monate alt und noch sehr verspielt.
Ich beobachtete die Begegnung atemlos, immer darauf vorbereitet einzugreifen, sollten für Anton gefährliche Instinkte in Koko erwachen. Als nichts weiter geschah entspannte ich mich und genoss den possierlichen Anblick.
Irgendwann schien Anton das Interesse an dem großen Tier vor sich zu verlieren und zog sich wieder in sein Haus zurück. Koko, der gerade mal mit der Vorderpfote durch den schmalen runden Eingang kam, tatzte noch einige Male nach ihm und maunzte bettelnd. Als er jedoch keinen Erfolg hatte, verlor er auch das Interesse an dem Käfig und erinnerte mich mit einem deutlichen Mrrrrrjauuuu
daran, dass er Hunger hatte. Dann sprang er gewandt aus dem Käfig und baute sich hoheitsvoll in meiner Augenhöhe auf der Treppe auf.
Lachend beendete ich die Säuberung des Käfigs und verschloss die aus einem vergitterten Rahmen bestehenden Türen sorgfältig.
Diese Begegnung zwischen Kater und Chinchilla wiederholte sich so nicht mehr, doch wann immer Koko am Käfig vorbei kam – und das geschah mehrmals am Tag – tatzte er gegen das Gitter und maunzte auffordern. Hin und wieder streckte Anton den Kopf aus seinem Häuschen.
Falls er gerade wach war, schien er mit Koko tatsächlich zu spielen. Er sprang auffordern von einem Brettchen zum nächsten und vollführte geradezu einen Tanz vor Kokos Augen, der nur zu gerne mitgespielt hätte.
Als Anton dann an Altersschwäche starb und der Käfig weggeräumt worden war, stand Koko oft an der Stelle und maunzte leise. Manchmal klang es fast traurig.
Wenige Wochen später ergab sich für meinen ältesten Sohn die Gelegenheit, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen: Bartagamen als Haustiere.
Seit rund zwei Wochen teilt sich Koko deshalb sein Hausrevier nun mit zweien dieser zahmen und harmlosen Echsen. Sie leben in einem großen Terrarium im Wohnzimmer – einem Ort, der Koko stets frei zugänglich ist.
Da wir die Bartagamen vor allem deshalb übernommen hatten, weil der Vorbesitzer wegen seiner zwei Katzen um das Wohlergehen der „Bärtigen Drachen“ – so der englische Name dieser Tiere – fürchtete, waren wir natürlich gespannt, wie Koko auf sie reagieren würde.
Zunächst einmal geschah gar nichts. Die Bartagamen verhielten sich ruhig. Ihre Rückenzeichnung, die von Farbe und Form sehr an Baumrinde und Felsen erinnert, machte sie in ihrem als Steppenterrarium mit Felsen, Rindenschwarten und viel Sand eingerichteten Terrarium fast unsichtbar. Hinzu kam, dass das Schiebefenster erst ab knapp 80cm Höhe beginnt und auf einer hölzernen Blende aufgesetzt ist, die das Herausrieseln von Sand verhindern soll. Eine Höhe also, die Koko nicht ohne sich aufzurichten einsehen konnte.
Nach und nach wurden die beiden Echsen lebhafter und eines abends als Koko seine vom Schneematsch feuchten Füße im Haus wärmte, wurde er das erste Mal aufmerksam auf die beiden neuen Mitbewohner.
Neugierig wie er nun mal war, schlich er ans Terrarium heran und stellte sich davor auf. Mit gestreckten Hinterpfoten konnte er gerade so hineinsehen.
Die Bartagamen waren auf der Suche nach ihrem Lebendfutter – Grillen – ziemlich flott im Terrarium herumgerannt und fasziniert beobachtete er die Tiere. Er geiferte nicht, wie er es bei Vögeln machte, die er am für ihn unerreichbaren Futterhäuschen beobachten konnte.
Seine Ohren waren jedoch aufmerksam nach vorne gerichtet und gespitzt, der Schwanz schlug hin und her.
Plötzlich stoppte eine der Bartagamen im Inneren des Terrariums, für ihn nicht sichtbar ihm direkt gegenüber hinter der hölzernen Blende.
Wie es für Bartagamen üblich ist, verharrte das Tier erst mal reglos um sich dann plötzlich an der Blende aufzustellen und nach draußen zu starren – genau in Kokos verdutzte Mine.
Der Kater blieb wo er war und streckte die Nase gegen das Glas, wohl um Witterung aufzunehmen. Inwiefern ihm das gelang, kann ich nicht sagen. Beide verharrten aber reglos und betrachteten sich gegenseitig.
Als die Bartagame dann noch ihren Bart aufstellte – einen Kehlsack am Hals, der als Drohgebärde aufgestellt werden kann, was die darauf sitzenden Stacheln und die schwarze Haut sichtbar werden lässt – hatte Koko genug.
Mit einem leisen, empörten Maunzer in meine Richtung, ergriff er die Flucht und ward seither nicht mehr am Terrarium gesehen.
Eine andere Tierart jedoch schien ihm weniger gefährlich zu sein.
Unter dem Terrarium der Bartagamen, in einem vorne offenen stabilen Untergestell, steht ein ausrangiertes Aquarium in dem Grillen und Heimchen als Lebendfutter für die Echsen gehalten werden. Da hier nur eine luftdurchlässige Abdeckung aufliegt und das Glas eines Aquariums bekanntlich durchsichtig ist, ist Koko hier ein oft gesehener Zuschauer.
Das quirlige Wuseln der Heimchen – in allen Größen von winzig bis 3cm groß und zirpend – hat es ihm angetan. Werden die Tierchen ihm zu ruhig, ermuntert er sie durch auffordernde Pfotentatzer gegen das Glas, was meist den erwünschten Effekt hat.
An den Deckel kommt er nicht heran. Der Duft jedoch, der ihm daraus entgegenweht, muss sehr angenehm sein.
Es hat jedoch auch sehr praktische Seiten, einen jagdbereiten Kater im Wohnzimmer zuhaben. Erst neulich entkamen zwei Heimchen auf dem Weg von Aquarium ins Terrarium um dann schnurstracks in Kokos Magen zu landen – nach ausgedehnter Spielrunde natürlich. Diese kleinen, hopsenden Dinger schienen ihm jedenfalls geschmeckt zu haben, denn er forderte nachdrücklich und lautstark Nachschub an. Die Blicke, die von mir zum Aquarium gingen und das eindringliche Mrrrrijau
ließen keinen anderen Schluss zu.
Ich tat ihm den Gefallen nicht.
Tag der Veröffentlichung: 30.01.2011
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