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„Nein!“ Vier Buchstaben. Ein Konsonant, der zweimal genannt wird und das Produkt eines Huhns. So ein simples Wort, aber mit einer verheerenden Wirkung, wenn man es im falschen Moment gebraucht. Die Gedanken daran, bringen mich noch um den Verstand. Wieso habe ich nicht die einfachere Variante gewählt? Zwei Buchstaben und keine von weithergeholten Wortspielereien. „Ja!“
Ich habe es vorher schon so oft benutzt, wieso dieses Mal nicht? Was hätte es in diesem Moment für einen Unterschied gemacht „Ja“ anstatt „Nein“ zu sagen? Ich wäre mit einer wohlbekannten Stimmung, einer gewohnten Situation und gängigen Folgen konfrontiert gewesen. Aber nein, ich wollte endlich einmal durchgreifen, die Situation ändern, mich nicht mehr benutzen und vor allem, nicht mehr ausnutzen lassen. Wie kam ich nur zu der Überzeugung, dass genau an diesem Tag der Zeitpunkt war, mir nicht mehr auf der Nase herumtanzen zu lassen? Wieso wollte ich gerade an diesem Freitag nicht mehr für ihn einstehen, ihm nicht mehr helfen? So plötzlich? Hätte es etwas gekostet, noch einmal „Ja“ zu sagen? Nein. Und habe ich nicht in seiner Stimme gehört, dass es ein echter Notfall war? Doch. Aber ich ignorierte alle Zeichen, denn zu oft schon habe ich ihm aus der Patsche geholfen, zu oft schon versprach er mir das Blaue vom Himmel und alles was ich sehe sind tränenreiche Wolken in einem vom Sturm gerodeten Plätzchen Erde. Ich hatte genug und es war mein Recht „Nein“ zu sagen.
Erbärmlich, ich versuche mich mit jenem Recht zu trösten, dass doch eigentlich Schuld ist am ganzen Vorfall. Es ist eben eine Tatsache, dass das gute Recht die Dinge nicht immer richtig macht. Ich könnte mich auch mit dem Schicksal trösten. Das Schicksal wollte nämlich, dass es soweit kam. Lady Fortuna hat gesprochen und somit wäre nicht ich diejenige, die entschieden hätte, nicht ich die Person, die Schuld ist an seinem Tod.
Ich starre die Tasten an. Nein, ich kann die Schuld nicht auf ein Abstraktum lenken, will selber gerade stehen für mein „Nein“. Wir müssen letzten Endes für alle unsere Worte gerade stehen. Dumm nur, dass das mit der Sprache so eine unzulängliche Sache ist. Wir missbrauchen ihre Worte in Situationen extremer Rage, verschlucken sie in Trauer, färben sie Rosa in Verliebtheit, dann wiederum fehlen sie uns genau dann, wenn wir sie am dringendsten bräuchten. Ja, und am Ende wählen wir in den richtigen Situationen bestimmt die falschen Worte. Ist das vielleicht die Erklärung für meine momentane Misere? Wäre es denn überhaupt eine solche, ohne all diese Worte? Diese Frage bleibt ungeklärt, genau so wie die Frage nach dem Sinn meines Handelns. Mein Bruder ist und bleibt tot. Ihm nützt mein Jammern und Bedauern nichts und mich macht es fertig. Und doch liegt es wohl in der menschlichen Natur, nicht nur in Punkto Sprache des Öfteren zu versagen, sondern auch wenn es darum geht einen Sinn im Leben und Sterben zu entdecken.
Was geschehen ist, ist passiert. Ändern kann ich nichts mehr, versagt habe ich vielleicht und weitergebracht haben mich die ganzen Gedanken bis jetzt noch nicht. Man sagt, was bleibt ist das Lernen, denn nur das bringt uns im Endeffekt weiter. Ich lerne also, dass „Nein“ ein schlechtes Wort ist und mich unglücklich macht. Stopp, genau das ist jetzt falsch, denn „Nein“ ist Sprache und Sprache ist Willkür, es kann nicht gut oder schlecht sein. Also, zweiter Versuch: Ich lerne mit Schuld umzugehen und das bringt mich viel weiter als im Selbstmitleid zu versinken, nur weil ich mich für das Geschehen verantwortlich machen will. Ich lerne weiter zu leben, lerne zu akzeptieren, dass Sinnsuche oft ein sinnloses Unterfangen ist und Mitgrund für viel menschliches Leid. Ein anderer Gedanke kommt noch auf: Eigentlich habe nicht ich, oder meine Wortwahl ihn umgebracht. Er tat es selbst.
Geht es mir damit nun besser? „Nein!“ (Verdammt, wie werde ich diese Vier wieder los?), denn ich fühlte mich Zeit seines Lebens für ihn verantwortlich, weil unsere Mutter auf ganzer Linie versagt hatte. Wessen Fehler muss ich hier jetzt eigentlich ausbaden? Meinen? Seinen? Ihren?
Ich stoppe hier meine Gedanken, die sich einmal mehr im Kreise drehen. Es gibt wohl einfach Dinge, die man akzeptieren und nicht verstehen muss. Zeit und ein paar Tränen und ich werde bereit sein weiter zu leben.
Ein Anruf. Meine Freundin braucht schon wieder dringendst Hilfe. „Ja!“, ich darf nicht anders…

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Tag der Veröffentlichung: 18.09.2009

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