Das Haus
31. Juli 1973
Morgen sollte es losgehen. Die erste Fuhre mit Hohlblocksteinen sollte geliefert werden. Um fünf Uhr in der Frühe mussten wir zum Abladen bereit auf der Baustelle sein.
Lieber Himmel was hatte ich mir da eingebrockt, als ich Walter fest versprochen habe: „Klar Schatz, ich helfe dir, ich lasse dich doch das Haus nicht allein bauen. Ich wollte ja auch, dass wir bauen, um für unsere Kinder mehr Platz und ein schönes zu Hause zu errichten.“
Ja, so hatte ich großmundig getönt, und nun? Hatte ich nun doch Angst vor der eigenen Courage?
Niemals!
Am nächsten Morgen um fünf Uhr waren Walter und ich pünktlich auf der Baustelle. Es wird schon nicht so schlimm werden, und übrigens habe ich ja Heute frei, brauch dann nicht zur Arbeit.
Von unserer täglichen Arbeit, ich als Sekretärin und Walter als Meister für Wärmeversorgung und Chef von mehreren Umformstationen zur Versorgung mit Fernwärme für die Neubaugebiete der Stadt und auch Eigenerzeugungsanlagen für Alt- und Traditionsbauten, hatten wir uns frei genommen. Denn ich glaubte, nach dem ersten Steineabladen würde ich keinen Muskel mehr regen können. Na, mal sehen wie`s wird.
Vor ungefähr 3 Jahren hatten wir uns für den Bau eines Eigenheimes angemeldet. Zwar bewohnten wir eine sehr schöne und auch große Wohnung bei sehr netten Vermietern, die uns trotz unserer 10 Kinder in ihre Mietwohnung aufgenommen hatten, aber wir hatten uns, als wir noch nicht wussten, dass wir es einmal mit Wohnraum so gut treffen würden, in den Kopf gesetzt: „Wir bauen uns ein Haus.“
Es hatte nicht lange gedauert, bis wir einen Kredit über 80.000 DDR Mark bewilligt bekommen hatten. Für uns ging das alles ein bisschen schneller, denn wir waren ja eine sehr kinderreiche Familie mit unseren 10. Da war es für die Behörden selbstverständlich, dass Genehmigungen nicht lange auf sich warten ließen.
Nun war Walter vor ein paar Tagen auf der Baustelle gewesen, und zusammen mit einem Baggerfahrer hatte er die Baugrube ausgehoben.
Da gab’s schon ein Malheur. Der Ölschlauch war geplatzt und Walter hatte einen Strahl Öl über sich bekommen. Seine Jacke war hin. Doch das war nicht so schlimm, es war eine Jacke, die für die Bau-Arbeiten vorgesehen war.
II
Der Wecker rasselte unbarmherzig. Es war 4:00 Uhr in der Früh. Der Tag hatte sich schon angemeldet. Es schien ein schöner Tag zu werden, die Sonne ging auf.
„Aufstehen, mein Schatz, die Steine warten!“ Walter rief schon aus dem Bad. Ich räkelte mich, streckte meinen Körper und schwang mich dann aus dem Bett.
Wir frühstückten. Die Kinder schliefen noch selig und süß. Sie brauchten erst gegen 6:30 Uhr aufzustehen. Heute mussten sie ganz allein zu Recht kommen. Die Großen hatten die Aufgabe übernommen dafür zu sorgen, dass alle pünktlich in Schule, Kindergarten und zur Arbeit kamen. Aber wir wussten, auf unsere Kinder ist Verlass. Sie hatten auch alle, das heißt die Großen, dem Hausbau zugestimmt, obwohl wir ihnen gesagt hatten, dass sie dann zu Hause noch ein wenig mehr mit helfen müssten, als sie es bisher bereits getan hatten. Bei uns gab es schließlich immer viel zu tun. Denn 10 Kinder machten Arbeit; und da wir nicht wollten, dass man den Kindern am äußeren ansah, dass sie aus einem kinderreichen Haus kamen, hatten wir sie dazu erzogen, dass alle mit zufassen mussten. Sie waren immer ordentlich angezogen, waren Erwachsenen gegenüber nett und höflich und zu Hause war es sauber und ordentlich. Wir waren stolz auf unsere Kinder.
Aber ich schweife ab.
Wir verließen leise die Wohnung und gingen zur Straßenbahnhaltestelle. Bis zu unserer Baustelle hatten wir es nicht weit. Es war kurz vor 5:00 Uhr, als wir dort ankamen. Einige andere Bauherren waren schon anwesend.
Der LKW mit Anhänger manövrierte noch an die richtige Stelle. Dann ging es los.
Ich stieg auf den Anhänger. Walter half mir hoch. Hier war jetzt mein Arbeitsplatz. Ich sollte die Steine hinunter reichen, Walter und die anderen Männer nahmen sie entgegen. Sie schichteten sie am Rand auf, von wo man sie später dann zu den jeweiligen Baugrundstücken bringen konnte. Na, ja, das Hinunterreichen werde ich noch hinkriegen, dachte ich bei mir und stellte im gleichen Moment fest, dass ich die einzige Frau auf der Baustelle war.
Natürlich war ich auf dem Lastwagen nicht allein oben. Ein oder zwei Männer gaben die Steine, die auf dem Wagen ja auch in einigen Reihen übereinander waren, herunter, und ich reichte sie dann vom Rand des Wagens hinunter.
Rund 20 kg wog ein Stein, und scharfkantig waren sie. Aber ich hatte stabile Handschuhe an, die uns die Offiziere der Armee, die ebenfalls mit bauten, zur Verfügung gestellt hatten, damit ich mir die Hände nicht gleich bei den ersten Steinen total kaputt machte. Schließlich hatte ich Sekretärinnenhände.
Die Handschuhe hatten uns bereits beim Rohden des Geländes gute Dienste getan. Denn hier hatte sich einmal eine Rosenzucht befunden. Die war im Laufe der Jahre, da sie nicht mehr betrieben wurde, verwildert. Diese verwilderten Rosenstöcke zu entfernen, war schon eine fiese Arbeit gewesen. Ehe uns die Handschuhe der Armisten zur Verfügung standen, hatte es viele zerstochene Hände gegeben. Nun und heute sollten mir die Handschuhe wieder gute Dienste tun.
Die erste halbe Stunde spürte ich noch nicht viel von der Anstrengung und nach den 2 Stunden, nachdem der Lastzug leer war, spürte ich gar nichts mehr.
Ich glaubte nur, mein Rücken wäre durchgebrochen. Zum ersten Mal kamen mir Zweifel. Wie sollte ich so eine Schinderei nur durchhalten und nebenbei auch noch arbeiten gehen, ja und der Haushalt und die Kinder mussten ja auch noch versorgt werden.
Walter sprach mir Mut zu: „So eine Schinderei ist es ja nicht jeden Tag, und die Kinder, das weißt du doch, die werden zu Hause schon den Laden schmeißen. Unsere Großen sind doch vernünftig. Die fassen doch mit zu. Glaub mir. Es wird schon gut gehen und außerdem wirst du dich schnell an diese Bauarbeiten gewöhnen.“
Ich gewöhnte mich daran, ich musste mich daran gewöhnen, denn schließlich hatte ich „a“ gesagt und musste halt auch „b“ sagen.
Die Baugrube war nun fertig ausgehoben. Hierbei hatte unser zukünftiger Schwiegersohn Wolfgang kräftig mit geholfen. Er pickerte mit der Spitzhacke teilweise kleine Felsstücke aus den Ecken der Grube. Wir hatte ein Stück Land erwischt, durch das sich eine Felsplatte zog. Wolfgang musste sich ziemlich schinden.
III
Es war ein heißes Wochenende im August. Die Menschen suchten in den Freibädern sich zu erfrischen, wir waren auf unserem Baugrundstück. Das Fundament musste gegossen werden. Walter hatte die Banketten eingeschalt. Unsere Große war mit ihrem Freund zusammen mit gekommen, um zu helfen. Angela musste zu Hause bleiben. Sie konnten wir hier bei der Bauerei nicht gebrauchen, denn sie war schwanger mit unserem ersten Enkelkind.
Das war auch noch so eine Bescherung gewesen, als Wolfgang und sie uns gebeichtet haben, dass Angela ein Baby erwartet. Sie war gerade mal 17 Jahre alt und noch in der Lehre als Krankenschwester. Aber nun war an der ganzen Situation nichts mehr zu ändern, und wir mussten versuchen, das Beste draus zu machen. Da unser Mädchen nicht mit bauen konnte, hatte sie zu Hause die Versorgung aller übernommen. Das war ja auch schon eine riesen Erleichterung.
Jedenfalls wurde an diesem Wochenende das Fundament gegossen. Ich stand am Betonmischer. Wieder so eine anstrengende Arbeit. Wolfgang löste mich nach einer Weile ab. Conni und Gerhard halfen ebenfalls tüchtig mit. Das heißt Gerhard war mehr am filmen mit unserer Kamera. Am meisten filmte er Connis Dekollete. „Gerhard, lass den Blödsinn und pack lieber mit an!“ Walter trieb immer wieder zur Eile. Der gegossene Beton musste immer wieder bewässert werden, damit er nicht zu schnell trocken wurde.
Am Mittag brachte Angela, unsere werdende Mama, mit den kleinen Geschwistern, Sören im Kinderwagen und Marlies und Lutz rechts und links am Wagen, das Mittagessen, das sie zu Hause bereitet hatte, auf den Bau. Während sie das Essen den Berg hinauf schob, sorgten Anja, Christine und Gisela zu Hause für Ordnung. Die Kinder erledigten mehr oder weniger fleißig ihre Aufgaben.
Unsere fleißigen Helfer und wir machten unsere verdiente Mittagspause.
Dann ging die Schufterei weiter.
„Du bist ein Sklaventreiber, mein lieber Mann. Bei dieser Hitze und dann so arbeiten. Das kannst auch nur du verlangen. Guck mal, die anderen sind nicht auf ihren Baustellen. Die erholen sich zu Hause.“ „Willst du bald einziehen, oder sollen wir ewig hier auf die Baustelle rennen?“ Walter kannte kein Erbarmen. Er war eben vom „Fach“ ein Handwerker durch und durch. Dachdecker, Maurer, Klempner, Zimmermann, Fliesenleger, er konnte einfach alles. Deshalb hatte er auch die Bauleitung für einige andere Bauherren übernommen. Wir bauten Reihenhäuser. Unseres stand am Anfang einer Reihe und war in dieser Reihe das Größte, da wir die meisten Kinder hatten und somit den größtmöglichen Platz benötigten.
Zurzeit waren wir jedoch in unserer Reihe die einzigen, die mit dem Bau angefangen hatten, unsere Nachbarn hatten noch nicht alle die Baugenehmigungen oder es fehlte noch an anderen wichtigen Unterlagen.
Wir waren jedenfalls mit allen unseren Kräften am Bauen. Die Kinder, die schon eine Schaufel halten konnten, gingen am Wochenende mit und siebten Sand und Kies, die Größeren, die bereits Hohlblocksteine tragen konnten, schafften die Steine an den Rand der Baugrube und stapelten sie dort, so dass Walter sie zu Mauern zusammen setzen konnte, ich stand am Mischer und sorgte für die richtigen Mischungen zum Vermauern. Nach ein paar Wochen war ich schon fast perfekt. Es kam nur selten vor, dass mal eine Mischung zu dünn oder zu dick war.
„Anja und Tine, könnt ihr mal wieder ein paar Schaufeln Sand sieben? Papa braucht noch Mörtel zum Mauern, ich muss noch ein paar Mischungen machen.“ Unsere drei Mädels hatten bisher fröhlich herumgetobt. Aber nun waren sie sofort bereit, ein wenig mit zu helfen. Anja, die älteste von den dreien, schnappte sich die Schaufel und fing an den Sand auf das große Sieb zu schaufeln. Natürlich passte das den Kleinen nicht. Sie wollten auch Sand sieben. Na, ja und so viel kleiner waren sie ja nicht. Jedenfalls gab es erst einmal eine große Streiterei. Christine wollte sich die Schaufel von Anja holen. Sie packte den Stiel, Anja hielt fest und riss ihn der Kleineren aus den Händen. Anja drehte sich so schnell und – schlug mit der Schaufel an Tines Kopf. Na, da gab es eine große Heulerei, sicher hatte der Schlag auch sehr wehgetan. „Hört bloß auf, wenn ihr euch so benehmt, verzichte ich auf eure Hilfe. Ihr schlagt euch noch gegenseitig tot.“ Ich war sauer. Voller Schuld kamen die zwei zu mir. „Mutti, nicht böse sein, so schlimm war es doch nicht. Wir sind jetzt auch ganz fleißig das versprechen wir dir, und wir teilen uns in die Arbeit. Einmal Tine, einmal Anja, einmal Gisela.“ Was sollt ich nur mit den Rangen anfangen, denen konnte man einfach nicht böse sein.
IV
Auch die zukünftigen Schwiegersöhne, der eine mehr, der andere weniger, halfen ab und zu mit. Wolfgang, der Papa von unserem ersten Enkelkind packte sich die Schubkarre voll Steine und fuhr sie an das Haus heran und auf die erste Decke, damit Walter die Wände mauern konnte. Er packte sich immer mehr Steine in die Karre, so wie er es von seinem zukünftigen Schwiegervater gesehen hatte. Der hatte ihn ein paar Mal gewarnt, er solle nicht zu viele Steine nehmen, damit es keinen Unfall gäbe. Aber er wollte sicher keine Schwäche zeigen.
Plötzlich ein Rumpeln, ein Krachen, ein Stöhnen!
Da war es geschehen. Wolfgang war mit der viel zu vollen Karre von der Bohle abgerutscht und in dem Graben gelandet. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig vor der herunterstürzenden Karre und den Steinen retten, so dass er keine ernstlichen Verletzungen davon getragen hatte.
Aber Walter war stinksauer. Er schimpfte fürchterlich mit Wolfgang. „Hast du denn nicht begriffen, was ich dir gesagt habe? Meinst du ich will wegen dir in den Knast kommen. Ich habe hier die volle Verantwortung für alle und alles. Solltest du meine Anweisungen nicht befolgen, werde ich lieber auf deine Hilfe verzichten“.
O, weih, das war der erste ernsthafte und leichtsinnige Zwischenfall. So etwas durfte auf keinen Fall wieder passieren.
Wolfgang entschuldigte sich ziemlich kleinlaut. Es war ihm sichtlich peinlich, dass er seinen Schwiegervater so böse gemacht hatte. Ab sofort arbeitete er sehr gewissenhaft und vorsichtig.
Das Haus wuchs zusehends, und es machte immer mehr Spaß, daran zu arbeiten.
Es lief aber auch alles so gut, weil unsere Kinder sehr lieb waren und gespannt darauf warteten, dass das Haus endlich fertig wurde. Sie halfen, wo sie nur konnten. Angela, unsere Schwangere, sorgte dafür, dass alle etwas zu essen bekamen. Wenn Mama und Papa abends geschunden von der Arbeit heim kamen, stand das Abendessen auf dem Tisch, und der Badeofen war geheizt, so dass wir uns vom Stress des Tages erholen und vom Bauschmutz reinigen konnten.
Am nächsten Morgen ging es dann wieder zur Arbeit, Walter in seine Umformstationen, ich in mein Büro, und von dort zum Feierabend gleich wieder auf den Bau.
Oft waren die größeren Mädchen mit von der Partie. Die Jungen und auch klein Marlies waren noch zu klein. Wir waren immer darauf bedacht, dass bei der schweren Arbeit niemandem etwas passiert. Doch nicht immer waren kleinere Unfälle zu vermeiden.
V
Es regnete mal wieder. Anja, Christine und Gisela waren an diesem Schlechtwettertag mit am Haus, von dem nun schon die gesamte erste Etage stand. Die Deckenteile waren auch schon verlegt. Walter hatte dafür gesorgt, dass wir zu allen Teilen, die wir benötigten so schnell wie möglich Zugriff bekamen. Das war ja in der DDR gar nicht immer so einfach. Zwar wurden wir als kinderreiche Familie meist vorbildlich unterstützt, ob finanziell oder auch materialmäßig, aber man musste eben auch selber sehr hinterher sein, um alles, was man zum Bau eines Hauses benötigte, heran zu bekommen. Aber mein Mann war ein Organisationstalent, nicht nur für sich bzw. für uns, nein auch für unsere späteren Nachbarn, für die er die Bauleitung übernommen hatte.
Jedenfalls war an diesem Tag fürchterliches Regenwetter, Aber das hielt uns niemals davon ab, an unserem Haus zu arbeiten. Die drei Mädchen hatten Regenmäntel an und freuten sich, dass sie im Regen herumtoben konnten.
„Seid ja vorsichtig und steigt nicht auf die Leiter. Die Sprossen sind nass und ihr könntet abrutschen und euch wehtun.“ Ich hatte meine Warnung noch gar nicht richtig ausgesprochen, da – ein Poltern und Geschrei! „Mutti, Tine ist von der Leiter gestürzt. Sie liegt unten im Graben, schnell komm.“ Walter und ich rannten aus dem Haus. „Ich hab es euch doch gesagt, ihr sollt nicht auf die Leiter. Könnt ihr nicht hören?“ Wir sahen uns unseren Unglücksraben an. Sie stand schon wieder auf den Beinen. Wir halfen ihr aus dem Graben heraus. „Es ist gar nicht schlimm. Mir tut nur das eine Bein ein bisschen weh. Aber ich kann schon wieder laufen.“ Tine verbarg den Schmerz, denn sie hatte ein sehr schlechtes Gewissen.
Gott sei Dank war nichts Schlimmeres passiert, und unser Kind gesund und munter und noch ganz. „Ich hoffe, das war euch eine Lehre. Bei Regen darf man nicht auf Leitern herum klettern. Ist das klar?“ Walter sah sie alle drei noch einmal sehr streng an. „Ja, Papa!“ Kleinlaut und schuldbewusst sahen sie ihren Vater an.
Walter hatte kurz bevor wir den Bau begonnen haben, mit einem Studium angefangen, um sich in seinem Arbeitsbereich, der Wärmeversorgung, noch weiterzubilden, und seinen Meisterabschluss zu machen. Nun hatte er jeden Freitag und Samstag Unterricht. Diese Tage, bzw. Abende fehlten uns natürlich auf dem Bau. Aber mein lieber Mann hatte für diese Zeit Arbeit für die Kinder und mich.
Wir gingen auf den Bau, siebten Sand und schafften Steine ran. Das war eine körperlich schwere Arbeit. Ich tat mir 5 bis 7 Steine in die Schubkarre, fuhr diese an das Haus und stapelte die Steine, Silvia hing sie an eine Zugvorrichtung, die Walter uns gebaut hatte, und gemeinsam zogen wir die Steine hoch in die obere Etage, Conni nahm sie dort ab und stapelte sie oben, damit Walter sie dann vermauern konnte.
An diesem Sonntagvormittag hatten wir viel geschafft. Wir waren stolz auf uns. Als ich am Nachmittag zusammen mit Walter wieder am Bau ankam, und er gleich auf die obere Etage kletterte, rief er mich ganz erschrocken. Ich kletterte die Leiter hoch. „Guck mal, was ihr gemacht habt. Ihr solltet doch die Steine nicht auf ein Deckenteil stapeln. Siehst du, das biegt sich ja schon durch. Schnell jetzt muss ich zusehen, dass ich so schnell als möglich wieder Steine vermauere. Mach gleich mal eine Mischung, damit ich anfangen kann. Und denk beim nächsten Mal dran, Steine entgegen der Deckenteile stapeln. Heute haben wir Glück gehabt, dass das Teil nicht gebrochen ist.“
VI
Der Geburtstermin für unser erstes Enkelkind rückte näher. Der werdenden Mutti ging es ganz gut. Angela versorgte uns trotz ständig wachsendem Bauchumfang gut mit Speisen und Getränken, und sie hielt – unterstützt von allen Geschwistern, die schon in der Lage waren zu Hause mit zuzufassen, den Haushalt in Ordnung. Auch unser jüngster Spatz, der ja ebenfalls noch ein Baby war, wurde von ihr versorgt. Unser kleiner Sören war gerade 18 Monate alt und sollte schon Onkel werden.
Aber wir freuten uns alle auf das Baby. Trotz der vielen Arbeit, die wir zurzeit hatten, erwarteten wir unser neues Familienmitglied mit großer Spannung.
Am 1.Oktober erblickte unsere süße kleine Dominique das Licht der Welt. Mama und Töchterlein waren wohlauf. Die Kleine wurde von allen Familienmitgliedern liebevoll und mit Hallo begrüßt. Ganz besonders stolz waren die kleinen Tanten.
Es war inzwischen Anfang Dezember. Wir hatten geschuftet ohne Rücksicht auf Verluste. Wir hatten Sand und Kies gesiebt, Beton und Mörtel gemischt, Steine heran gekarrt und gestapelt, Walter hatte die vielen Wände gemauert, es wurden Deckenteile verlegt. Kräne standen dicht am Haus und hievten die schweren Deckenteile in die Höhe und dorthin wo sie hin gehörten, jeden Tag nach Feierabend und jeden Samstag und Sonntag bei Wind und Wetter waren Walter und ich auf dem Bau, und die Kinder ebenfalls sehr oft, wenn ihre Hilfe benötigt wurde. Als die Tage kürzer wurden, hatte Walter große Scheinwerfer am Haus montiert, damit wir nicht schon bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause mussten.
Nun war es Dezember und fast schon Weihnachten. Ich hatte in diesem Jahr nicht viel Zeit für die Weihnachtsgeschenke der Kinder. Die musste unsere große Tochter besorgen, denn für sie war das nicht so schwer, sie war im Handel beschäftigt. Sie bekam von Mama einen Wunschzettel und das nötige Kleingeld, um die Geschenke zu besorgen.
So hatte jeder in der Familie, der schon dazu in der Lage war zu helfen, seine Aufgaben für „das Haus“ zu erledigen. Denn wenn die Kinder Arbeiten zu Hause erledigten, konnten Mama und Papa auf den Bau.
Es schneite und war kalt geworden. „Wir müssen trotzdem zum Haus. Ich muss die Oberen Mauern noch fertig machen, damit wir die obere Decke legen können.“ Walter meinte, das müsse unbedingt sein, denn wir bekämen den Kran nicht zu einer anderen Zeit und schließlich möchte er das Haus wasserdicht bekommen.
Der Termin für die Lieferung der Deckenteile stand fest. Der Kran war bestellt. Aber – es schneite, was vom Himmel wollte. Die Erde war so aufgeweicht, dass die Männer mit den schweren Tiefladern und mit dem Kran nicht an die Baustelle heranfahren konnten. Es musste eine Lösung her. Einer der Bauarbeiter vom damaligen Bau- und Montage-Kombinat besorgte einen günstigen Zwischenlagerplatz in der Nähe des Flughafens.
Nun hieß es warten, warten, dass wir endlich trockenes oder kaltes Wetter bekamen, damit die Anfahrtwege für die Fahrzeuge fest und zugänglich waren.
Es vergingen ein paar Tage. Dann war es endlich soweit. Wir konnten die Deckenteile heran transportieren.
Das war ein Akt!
Wir hatten einen Kran am Flughafen für das Aufladen der Teile, ein Kran stand am Aufgang zur Straße, die einige Treppenstufen höher als unser Haus war. Dieser Kran hob die Teile vom LKW und reichte sie hinunter in die Nähe des Hauses. Dort stand der dritte Kran und hob die Teile auf unser Haus. So entstand die abschließende Decke. Unser Haus war ein Haus mit Flachdach.
Die Bauleute nahmen sich kaum Zeit für eine Pause. Aber unsere Kinder und ich hatten für kräftige Mahlzeiten gesorgt, so dass in jedem Falle für das stärkende leibliche Wohl genügend vorhanden war.
Ein Glück, dass Walter für große Scheinwerfer an unserem Haus gesorgt hatte. Es war bereits stock dunkel, als die Männer erschöpft die Arbeiten abgeschlossen und sich mit ihren großen Fahrzeugen in Richtung Feierabend begeben hatten.
Für uns war noch kein Feierabend. Die Baustelle musste aufgeräumt werden. Mir klebten die Gummistiefel schwer an den Füßen. Ringsherum war der Boden fast grundlos. Überall war tiefer Matsch. Aber alles Stöhnen half nichts. Wir mussten die Kabel zusammenrollen und in die Baubude bringen und alles Werkzeug, das wir gebraucht hatten, ebenfalls.
Ich stapfte unentwegt im Schlamm hin und her. „O, so`n Mist, Walter komm mal her, bitte, mein Stiefel ist im Schlamm stecken geblieben. Ich kann mich nicht mehr halten. Bitte komm, schnell!“ Walter kam und half mir aus meiner misslichen Situation. Wir mussten beide lachen, obwohl mir erst gar nicht zum lachen gewesen war. Mein Stiefel war voller Schlamm, mein Fuß auch. Nun musste ich auch noch diesen blöden Stiefel sauber machen, denn den brauchte ich morgen ja wieder, und bis dahin musste er trocken, oder wenigstens so gut wie trocken sein. „Wie schön ist es, ein Bauherr/-frau zu sein. Meinst du nicht auch, mein Schatz? Immer wieder gibt es irgendeine missliche oder auch lustige Situation. Ich glaube, wir werden uns ganz gern an unsere Bauzeit erinnern.“
Ich konnte mich über mein Missgeschick gar nicht beruhigen. Es muss doch zu lustig ausgesehen haben, wie ich schwankend und balancierend im dicksten Schlamm stand und versuchte, so einigermaßen trockenen Fußes heraus zu kommen.
VII
Der Tag war sehr lang. Wir kamen in stockdunkler Nacht erst heim. Dort erwarteten uns ein liebevoll gedeckter Tisch und ein heißer Badeofen. Die Kinder waren schon in den Betten. Ich ging noch einmal in die Kinderzimmer und gab allen ein „Gute-Nacht-Küsschen“.
Unsere zwei „Großen“ lagen noch wach in ihren Betten. Das Baby schlummerte friedlich in seinem Bettchen neben ihrer Mama. Ich konnte immer noch nicht darüber fertig werden, dass ich nun mit 36 Jahren bereits Oma war, da ich doch selber noch diesen kleinen Pummel Sören hatte. Ich erzählte den Großen noch von unserer Aktion auf dem Bau. „Aber wir haben es geschafft. Die Deckenteile liegen, das Haus ist in voller Höhe fertig. Jetzt muss oben das Dach noch dicht gemacht werden. Damit werden Papa und ich wohl morgen anfangen.“
„Was, morgen anfangen?“ Walter stand im Zimmer, frisch gebadet und schon wieder vollkommen fit, „wir werden die Abdichtung morgen fertig machen müssen. Es ist Winter und jeden Tag kann es schneien. Da muss das Dach dicht sein. Wir haben nicht ewig Zeit!“ Sprach mein Mann, sagte den Kindern „gute Nacht“ und verschwand.
„So ist euer Vater, aber ich weiß ja, wir wollen fertig werden, und der Innenausbau wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Ja, und so werde ich, ohne zu murren, morgen wieder mit auf den Bau gehen.“
Es war ja immerhin der 23. Dezember und morgen war Heilig Abend.
Walter stellte, bevor wir am Morgen auf den Bau gingen, den Weihnachtsbaum noch auf, damit die Kinder ihn schmücken konnten. Wir wollten nicht den ganzen Tag auf dem Bau verbringen, aber bis Mittag musste sein.
Ich stand am Mischer und mischte den Beton, schaufelte ihn aufs Förderband und Walter verteilte ihn in die Fugen zwischen den Deckenteilen. Es war eine sauschwere Arbeit und es war kalt. Die Handschuhe, die ich an hatte, wärmten die Hände kaum. Der Rücken schmerzte, ich bekam die Arme bald nicht mehr hoch, um den groben Kies in den Mischer zu schaufeln. Mir liefen die Tränen, die Wangen hinunter.
„Wir machen gleich Schluss, noch eine Mischung!“ Walter sah, dass ich nicht mehr konnte. Es war auch inzwischen schon weit nach Mittag. Die Kinder würden schon auf uns warten, denn schließlich sollte der Weihnachtsmann ja die Geschenke bringen.
Wir hatten es wirklich geschafft. Die Fugen zwischen den Deckenteilen waren dicht. Nun war es nicht mehr so schlimm, wenn es schneite. Das Dach hielt erst einmal die Nässe von drin fern. Wir räumten die Baustelle auf und machten uns auf den Heimweg.
Der Kaffeetisch war gedeckt. Die Kinder freuten sich, als wir endlich kamen. Jetzt hieß es schnell duschen und sich schön für den Weihnachtsmann machen.
In einigen wenigen freien Stunden hatte ich zusammen mit den großen Töchtern die Geschenke für die Kleinen verpackt und allein dann einige Sachen und Geschenke für die fleißigen Großen.
Es war wie in jedem Jahr ein schönes Weihnachtsfest. Am ersten Feiertag hatte ich frei. Das heißt an diesem Tag ignorierten wir unseren Bau. Nein, das stimmte nicht ganz. Wir ignorierten die Arbeiten, aber Walter und ich gingen am
Nachmittag nachsehen, ob alles in Ordnung war. Es war!
Zu Hause waren inzwischen auch unsere zukünftigen Schwiegersöhne eingetroffen. Wolfgang schleppte sein kleines Mädchen herum.
„Verwöhne die Kleine nicht so sehr!“ Ich ermahnte den jungen Papa. Klein Nicki war wirklich ein süßes Püppchen. Eigentlich war sie für unsere kleineren Kinder und unseren jüngsten Sohn wie eine kleine Schwester und nicht wie eine Nichte. Die ganze Situation war ohnehin lustig. In Omas und Opas Schlafzimmer stand ein Kinderbettchen mit ihrem kleinen Sohn und im Schlafzimmer der beiden großen Töchter stand das Kinderbettchen in dem das Enkeltöchterchen schlief. Die junge Mama war oft von den Anstrengungen des Studiums als Krankenschwester und den Pflichten einer Mama so müde, dass sie nachts ihre Kleine nicht weinen hörte. Gut, dass die große Schwester noch mit in dem Zimmer schlief, sie weckte dann Mama Angela.
Unsere Familie hatte sich innerhalb kurzer Zeit um drei Mitglieder vergrößert – zwei Schwiegersöhne und ein Enkelkind. O, hoffentlich geht das nicht so weiter. Zum ersten Mal dachte ich darüber nach, dass sich die Familie ja im Laufe der kommenden Jahre enorm vergrößern könnte. Aber da würden noch viele Jahre ins Land ziehen.
Außerdem bauten wir ja für den Fall jetzt unser Haus!
Ja, das Haus!
Am ersten Weihnachtsfeiertag legten wir eine kurze Erholungspause ein.
Aber das Haus sollte ja fertig werden. Also zogen Walter und ich am 2. Feiertag wieder auf den Bau, nein, jetzt schon in den Bau. Denn jetzt hatte unser Haus bereits eine provisorische Haustür. Es gab noch so viel zu tun. Der Ringanker musste auf dem Dach gelegt, und der Schornstein musste hoch gemauert werden.
Ich bewunderte meinen Mann, wie er die ganzen Arbeiten so in Eigenregie erledigte, und wie er genau die für den Schornstein gelassenen Aussparungen traf. Es dauerte nicht viele Tage und unser Haus hatte einen Schornstein.
Und wer mischte den „Mops“ für die ganzen Maurerarbeiten? Natürlich ich! Es machte mir inzwischen so viel Spaß an dem Haus mit zu bauen, dass mir die Arbeiten gar nicht mehr schwer fielen. Meine Hände hatten sich längst an die Schaufelei des Kies` und Zementes in den Mischer gewöhnt. Am Tag war ich Sekretärin, da hatte ich zarte Sekretärinnen Hände und an den Wochenenden und am Abend, wenn ich eigentlich Feierabend hatte, verwandelte ich sie in Arbeiterhände. Das ging wunderbar.
Der Innenausbau war nun in vollem Gange.
Jetzt brauchte ich nicht mehr so viel zu helfen. Ich musste nur da sein und kleine Handlangerarbeiten verrichten. Nun war es nicht mehr so schwer. Walter machte fast alle Arbeiten selber. Er zog die Strippen fürs Licht und die Elektrogeräte, er machte fast die ganzen Arbeiten an und für die Heizung, er verputzte die Wände, die er selber alle gemauert hatte, er hatte den Schornstein hoch gemauert, er machte die gesamten Wasser- und Abwasser Installationsarbeiten. Mit anderen Worten, er tat alles, damit wir mit dem uns vom Staat genehmigten Kredit von 80.000,- Mark der DDR auskommen konnten. Nur wenige Handwerksmeister – so der Elektromeister und die Heizungsmeister – nahmen seine Arbeiten ab und erklärten sie für vorbildlich und in Ordnung.
Unsere Eigenleistungen, die wir bringen mussten, hatten wir fast erfüllt und Walter würde noch mehr erbringen.
Aber unser Kredit reichte doch nicht ganz, denn wir hatten uns einige Sonderwünsche erlaubt. So hatte Walter, als gelernter Dachdecker, eine besondere Dachkonstruktion erarbeitet und auch verwirklicht. 5000,- Mark benötigten wir unbedingt noch.
Wir stellten einen Antrag und – nach nicht mal 2 Wochen waren die zusätzlichen Gelder genehmigt. Eine Familie mit 10 Kindern hatte halt doch einige Privilegien.
Nun war längst schon ab zu sehen, wie schön unser neues zu Hause werden würde. Die Kinder kamen jetzt immer und begutachteten ihre zukünftigen Zimmer. Wir konnten es alle kaum noch erwarten, hier einzuziehen.
Eines Tages kam ich auf die Baustelle und ….
„Walter, bist du nicht gescheit, wie kannst du das Kind da oben anbinden und so schwere Arbeit machen lassen. Hättest du gewartet, bis ich da war.“
Oben auf dem Dach stand unsere Christine. Walter hatte sie mit einem dicken Strick an den Schornstein angebunden, und das Kind hatte cm für cm das Förderband von einer Dachecke auf die andere verschoben.
„Was du nur für Angst hast, dem Kind kann gar nichts passieren und sie hat ihre Sache so gut gemacht. Was Tine, wir zwei haben gut zusammen gearbeitet. Warst fleißig, mein Kind!“ Walter war stolz auf seine kleine Tochter.
VIII
Spaß hatten Walter und ich nochmals bei dem Einbringen des Estrichbodens. Dafür hatte mein Schatz auf irgendwelche Empfehlungen hin einen Fachmann angestellt. Dieser war bereits ein etwas älterer Meister. Er arbeitete gut und sehr schnell. Das lustige an der Geschichte war, dass er unbedingt für jedes Zimmer, das zu bearbeiten war, einen Kasten Bier benötigte. Aber das Bier war nicht für den Fußboden, sondern für seinen trockenen Hals, wie er uns immer schmunzelnd erklärte. Das war nicht gerade billig für uns, denn wir hatten alles in allem 13 Zimmer und die Kelleräume noch zusätzlich. Aber was machte das schon – Hauptsache unsere Fußböden waren gerade – und das waren sie.
Ich freute mich am meisten auf das wunderschöne große Bad, das ebenfalls von Walter selber gefliest und gestaltet worden war. Leider hatten wir nur gelb geflammte Fliesen erhalten und als Auflockerung einige schwarze Glasfliesen. Erst dachte ich, na das wird ja aussehen. Aber als ich unser Bad dann nach seiner Fertigstellung sah, gefiel es mir großartig. Ja, es war halt in der DDR nicht so ganz einfach, sich alle Wünsche zu erfüllen. Aber wir hatten Glück, denn wir hatten einen Papa, der uns viele Wünsche erfüllen konnte.
Er war einfach ein großartiger Organisator, der durch kleine oder auch größere Tauschgeschäfte oder gegenseitige Hilfe meist die Engpässe zu überwinden wusste. Hier musste sich eben jeder bemühen und sich auch in schwierigen Situationen zu helfen wissen, dann konnte man doch einiges erreichen.
Das wurde uns wieder bewusst, als wir mit unserem Haus soweit fertig waren, dass wir hätten einziehen können.
Es wurde wieder Weihnachten, und wir freuten uns auf die strahlenden Augen unseres Enkelkindes, das zum ersten Mal den Weihnachtsbaum bewusster sah.
Im Februar wollten wir einziehen in unser neues Haus. Aber da gab es noch ein Problem.
Der Grund und Boden war noch nicht erschlossen. Es gab noch keine Wasserversorgung in das Haus und keine Abwasserversorgung vom Haus weg.
Der Betrieb, der sich verpflichtet hatte, diese Arbeiten zu erledigen, ließ uns hängen.
In der DDR war es so, dass bestimmte Baubetriebe die Eigenheimbauer unterstützen mussten, und hier lag die vertragliche Verpflichtung vor, aber der Vertrag war noch nicht erfüllt worden.
Natürlich ließ sich mein Bauherr das nicht bieten. Wir setzten, nachdem alle Beschwerden und Aufforderungen nicht geholfen hatten, einen Brief an unsere Regierung in Berlin auf. Schließlich hatten wir unsere Wohnung bereits gekündigt, für die auch schon ein Nachmieter feststand. Wir mussten im Januar aus dieser Wohnung raus.
Und wo sollten wir dann hin mit unserer großen Familie? Wir drohten auf Kosten des verantwortlichen Betriebes in ein Hotel zu ziehen.
Aber das brauchten wir nicht. Es dauerte nicht lange und wir bekamen von Berlin den Bescheid, dass der Betrieb unverzüglich die Arbeiten durchzuführen hat.
Nun ging es sehr schnell. Die Erschließungsarbeiten wurden unter ziemlich schwierigen Bedingungen durchgeführt, da es Frost gegeben hatte, und der Boden ziemlich schwer auf zu schachten war.
Anfang März waren aber alle Rohre verlegt und die Gräben sollten demnächst verfüllt werden.
Wir wohnten seit 16. März in unserem wunderschönen neuen Haus. Wir waren glücklich, hatten so viel Platz mit all unseren Kindern.
Es war ein kalter Winter. Wir brauchten keine Kohlen mehr zu schleppen, denn jetzt hatten wir endlich eine Heizung für das ganze Haus. Es kam immer warmes Wasser aus der Leitung. Es war wunderschön.
Wenn, ja wenn …..
Drei Tage wohnten wir in dem Haus.
Es war wirklich furchtbar kalt draußen. In der Nacht war es bis tief in den Boden gefroren.
Das war nicht gut, denn unsere Leitungsgräben waren noch nicht verfüllt und --- das Wasser war eingefroren.
Meine Güte, was nun?
Eine Großfamilie – und kein Wasser! Wettermäßig gab es keine Besserung bzw. einen Hinweis auf Erwärmung.
Walter holte den verantwortlichen Betrieb zu Hilfe.
Fünf Männer wurden geschickt, um Abhilfe zu schaffen.
Es wurden Matratzen auf die Rohre gestapelt, Fahrzeugreifen wurden auf den Rohren verbrannt, alle möglichen und unmöglichen Versuche wurden unternommen, um uns wieder mit Wasser zu versorgen.
Alle paar Minuten kam ein Arbeiten ins Haus und rief: „Wie sieht es aus, liebe Frau K. läuft es wieder!“
Nein, es lief nicht. Ich glaubte schon nicht mehr daran, dass das Wasser wieder laufen würde, da hörte ich ein leises „tropf, tropf, tropf“ aus der Küche.
Es tropfte, und es dauerte nicht lange, und es kam ein dünner, dann ein stärkerer und endlich ein richtig starker Wasserstrahl aus allen offenen Leitungen.
Ich rannte vor die Tür. „Männer, das Wasser sprudelt wie verrückt!“
Ich glaube, ich konnte hören, wie die Steine vom Herzen der Arbeiter fielen.
Nun wurden die Rohre aber alle abgedeckt, um ein nochmaliges einfrieren zu verhindern. Ein sofortiges Zufüllen der Gräben war ja bei dieser Kälte nicht möglich. Die Erde war viel zu stark gefroren.
Mir war das alles eigentlich ganz egal, Hauptsache ich hatte wieder Wasser, damit ich meine kleinen und großen Schätzchen sauber halten und mit sauberen Sachen versorgen konnte.
20 Jahre wohnten wir in diesem wunderschönen, mit so viel Liebe und Enthusiasmus von uns fast allein erbauten Haus. Viele schöne und weniger schöne Erlebnisse gab es in dieser langen Zeit.
Aber das wäre ein anderes Kapitel.
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2009
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