Neben dem Haus in dem ich wohne, steht ein Müllhäuschen, besser gesagt wohne ich, wie man das heutzutage wohl nennt, in einer so genannten Wohnanlage mit einer größeren Anzahl von Wohneinheiten.
Das besagte Häuschen steht dort nun also schon gute vierzig Jahre und hat immer brav seinem Zweck gedient. Nicht, dass ich es persönlich die ganze Zeit mitverfolgt hätte, wie es mit all dem Müll fertig geworden ist die ganze Zeit. Denn damals war ich noch nicht einmal geboren, als es in jungen Jahren seinem Zweck übergeben wurde. Aber es war immer sehr fest und solide gebaut gewesen und hatte einige schicke kleine Details wie eine lange Eisenstange an der Seitenwand, an der wohl viele Male ein schwerer Teppich nach Strich und Faden geklopft worden waren, was in dieser Zeit wohl nicht so selten war. In seinem leuchtend weißen Anstrich bot es zu seiner Jugendzeit wohl einen durchaus schicken Anblick. Auch sein betoniertes Flachdach, das mit hübschen großen Kieselsteinen bedeckt war, bot bei Regen keinen Anlass sich über unnötigen Lärm zu beschweren, wie das vielleicht bei dünneren Wellblechdächern hätte der Fall sein können.
Da stand es nun das Häuschen mit seiner praktischen hölzernen Schwingtüre. Dieser musste man, bei geschickt gewähltem Timing, nur einmal einen Schwung geben, damit man mit dem Mülleimer reinstürmen, ihn auskippen und im gleichen Moment wieder aus dem Häuschen rauszuschlüpfen konnte. Kam man auch nur einen Augenblick zu spät wurde der Spalt zwischen Tor und Tür so klein, dass man nicht mehr durchpasste ohne dabei anzuecken und man musste der Tür noch einmal zum Schwingen anhalten.
Im Laufe der Jahre hatte das Häuschen dann allerhand zu tun. Der Wohlstand wuchs, auch bei den Mietern der Wohnanlage und so hatte es Jahr für Jahr mehr Müllmengen in seinem Bauch aufzunehmen. Aber es hielt sich wacker und verrichtete brav seine Arbeit. Auch im Sommer als es anderen stank, wenn sie einmal nicht in den Urlaub fahren konnten, fing es nicht an stinkig zu werden und nahm alles auf, wie es auch daher kam.
Im Lauf der Jahre hatte man allmählich sogar das Gefühl, das es hier nie wieder weg wollte und an diesem Platz seine Wurzeln geschlagen hatte. Mit den Bäumen und Büschen aus der nächsten Umgebung hatte es sich so angefreundet, dass wenn man sich ihm im Sommer aus einer anderen Richtung als der Eingangstür näherte, man manchmal dachte, es wäre zwischen ihnen verschwunden und hätte sich ein bisschen in die freie Wiese gleich neben dran gelegt. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass auch das Häuschen inzwischen in die Jahre kam. Wenn man nicht ab und zu sein Dach etwas genauer angesehen hätte, das inzwischen schon ganz schön bemoost war, hätte man es auf den ersten Blick sicherlich auch nicht erkannt. Und auch im Spätherbst, wenn das heruntergefallene Laub der Bäume seine Dachrinne regelmäßig verstopfte merkte man allmählich, dass es schon die eine oder andere Hilfe benötigt hätte. Auch seine Wände glänzten Außen nicht mehr in dem strahlenden Weiß wie einst, von Innen ganz abgesehen, wo es im Laufe der Jahre von Gebrauch einige heftige Schrammen abbekommen hatte. Trotz allem stand es, seinem hohen Alter entsprechen noch ganz gut da und hätte mit ein paar kleinen Reparaturen und einem Anstrich gut und gerne noch ein dutzend Jahre dort gestanden ohne jemanden großen Ärger zu machen, wenn nicht dieses verhängnisvolle Jahr gekommen wäre, in dem sich alles änderte.
Es war Winter geworden und dieses Mal ein richtiger, mit viel Schnee und Eis. Da es wie gesagt recht stabil gebaut war, machte ihm die Schneelast von einem Meter kaum etwas aus. Anders dagegen verhielt es sich mit seinen Freunden, den Bäumen und Büschen in seiner Umgebung. Sie hielten sich wochenlang tapfer, doch eines Nachts als zu dem vielen Schnee den sie trugen auch noch ein Sturm kam, gaben die meisten von ihnen auf und knickten unter der Last zusammen.
Als es bald danach endlich Frühjahr wurde, stand das Häuschen nun ziemlich einsam auf seinem Fleck und hoffte auf neue Kameraden, aber wie schon gesagt, es war das Jahr der Veränderungen.
Die Welt hatte sich verändert und mit ihr der Eigentümer des Häuschens, den die Wohnanlage war in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Und weil, wenn so etwas passiert die Leute alles immer neu und besser machen wollen, wurde auch das nette Häuschen kritisch betrachtet und musste ein neues Kleid bekommen. Da jetzt Farbe wieder modern war bekam es auch gleich einen neuen Anstrich verpasst. Es wurde antrazit-grau mit mattrotem Sockel gestrichen, weil das einfach in die moderne Zeit passt. Und weil man nun schon einmal dabei war, alles neu zu gestalten, montierte man auch noch eine neue Dachrinne dran und die alte Teppichstange weg. Die war zugegebenermaßen in den letzten fünf Jahren nie mehr von jemandem benutzt worden und daher fiel es auch weiter keinem auf, als sie auf einmal verschwunden war.
Etwas länger dauerte es mit wirklichen Reparaturen, auf die es sich nach all der Zeit schon so riesig gefreut hatte. Sein Dach war mit der Zeit vom Moos grün geworden. Das hatte es aber ohne Murren zugelassen, um seine Freunde die Bäume und Büschen nicht zu verletzen, die jeden Herbst ihr Laub auf seinem Dach abluden. Aber jetzt war es zu viel geworden und es hätte sich schon gefreut, wenn es einen neuen Hut bekommen hätte und man den Kies auf seinem Dach ausgetauscht hätte. Stattdessen war nur einmal ein kurzes Reinemachen des Daches angesagt und dann war die Angelegenheit für die Eigentümer auch schon erledigt gewesen.
Die Tür, deren eine Angel kaputt gegangen war, spiegelte die innere Verfassung des Häuschens danach wieder. Sie hing schief und traurig herunter. Da die neuen Eigentümer aber nach Außen ein gutes Bild abgeben wollten, konnte sie es nicht zulassen, dass das Häuschen einen so traurigen Anblick lieferte und sie beschlossen die Tür neu zu gestalten. Die kaputte Angel wurde ausgetauscht und so hing die Tür jetzt nicht mehr schief nach unten, sondern fiel leicht nach Innen. Dies wäre womöglich allen Beteiligten nicht weiter aufgefallen, wenn die Verantwortlichen nicht auf die glorreiche Idee gekommen wären, ein Schloss in die alte Schwingtüre einzubauen.
Über vierzig Jahre hatte das Häuschen allen die zu ihm wollten, Einlass gewährt und jetzt auf einmal sollte es den Leuten nur noch mühevoll Einlass gewähren? Sollte in seinem Inneren auf seine alten Tage nun auf einmal wertvolle Rohstoffe gelagert werden oder war es etwa schon so alt, dass es sich gegen Vandalen in diesen ach so unsicheren Zeiten nicht mehr behaupten konnte?
Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass die neuen Hausbesitzer entweder sehr auf ihre Sicherheit bedacht waren und deshalb sogar ihren Müll schützen wollten, oder keine so netten Leute waren, wie sie vorgaben zu sein, denn außer dass es tatsächlich ein neues Schloss an seine Türe bekam geschah mit seinem Inneren rein gar nichts.
Es bekam keinen Anstrich, auch keinen grauen und auch seine Schrammen wurden nicht geheilt. Da war es zu Recht etwas sauer darüber und revanchierte sich das eine oder andere Mal damit, dass es seine Tür nur widerwillig wieder öffnete als es von jemandem betreten wurde. Das Schloss war nämlich keineswegs so fachgerecht eingebaut worden, wie man sich dies bei einem neuen Schloss wünschen würde. Das Häuschen hatte einen stillen Kampf gegen die Ungerechtigkeit, mit der es die letzte Zeit behandelt worden war, aufgenommen.
Doch es sollte noch nicht die letzte Zumutung sein, die es in diesem Jahr zu ertragen hatte.
Weil der Platz des Hausmeisters abgeschafft worden war und jetzt jeden Tag fremde Leute kamen, die für das Häuschen und die Wohnanlage sorgen mussten, war nirgends Platz für die Geräte die sie bei ihrer täglichen Arbeit brauchten. Der Winter nahte und irgendwo mussten die neuen Sachen nun endlich untergebracht werden. So wurde kurzerhand beschlossen ein weiteres kleines Häuschen für die Sachen zu bauen. Das alte Häuschen freute sich schon, dass es endlich nicht mehr so alleine sein würde. Aber die Freude hielt nicht lange. Eines Tages lud ein Lastwagen ein paar Holz und Blechteile neben ihm ab. Das Häuschen fragte sich natürlich zu Recht, was denn das sei und machte sich seine Gedanken darüber. Die Teile waren ziemlich groß und lang und sahen nicht gerade stabil aus. Als zwei Männer unmittelbar hinter ihm zu graben anfingen ahnte es nichts Gutes. Es waren die Fundamente auf dem das neue Häuschen gebaut werden sollte.
Zwei Tage später hatte es endgültig Gewissheit. Die Teile, die die Männer angekarrt hatten, waren die Einzelteile dieser Blechhütte, die sie ihm unmittelbar ohne sich großartig Gedanken darüber zu machen in seinen Rücken stellten.
Da standen sie nun wie ein sehr ungleiches Geschwisterpaar. Das Häuschen, aus festem Stein und Beton stabil gezimmert und mit der Umgebung verwachsen und die neue Wellblechhütte, etwas wackelig, an dass alte Häuschen angelehnt, mit neuem noch matt glänzenden Metallkleid, beinahe so als ob es noch nicht selber stehen könnte.
Das Häuschen machte sich seine Gedanken:
Wie sollte das nun weitergehen? Wir werden es sehen.
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2009
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