Liebe oder andere Drogen
Donnerstag, der 08.01.2009, 7:00Uhr, wurde ich in den OP überstellt. Ohne Angst, in vollkommener Ruhe und gefühlter Sicherheit sah ich dem unvermeidlichen Eingriff entgegen.
Das war nicht immer so. All die vorangegangenen operativen Eingriffe stürzten mich in regelrechte Todesängste. Angst nicht mehr aus der Narkose zu erwachen, Angst nicht mehr für meine Kinder da sein zu können, Angst eine weitere Einschränkung der Lebensqualität davon zu tragen. All diese giftigen Gefühle überkamen mich diesmal nicht, obwohl ich wusste dass diese OP die anspruchsvollste war, derer ich mich je unterzogen hatte.
Einen Tag vor dem geplanten Eingriff checkte ich im Krankenhaus ein. Es folgten die üblichen Voruntersuchungen. Labor, EKG, Lungenröntgen, Aufklärungsgespräch mit der Oberärztin und für mich zuständige Chirurgin. Bei den möglichen Komplikationen die sie mir zu erklären versuchte, stellte ich meine Ohren auf Durchzug. Ich wollte gar nicht wissen was in XY-Prozenten alles schief gehen könnte. Ich war mir so sicher, dass alles zu meiner Zufriedenheit verlaufen würde. Und was das allerwichtigste war, ich hatte absolutes Vertrauen zu meiner Ärztin.
Doch dann wurde mein angstfreies Dasein doch noch auf die Probe gestellt.
Da ich die Wochen vor der Operation viele entzündliche Prozesse im zu operierenden Bereich hatte, musste ich mich einer relativ unangenehmen CT-Untersuchung unterziehen.
Ich wusste bereits was da auf mich zukommen würde, durfte ich doch diese Untersuchung schon einmal im November über mich ergehen lassen. Damals überfiel mich während dieser Untersuchung eine sehr heftige Panikattacke.
Ich warnte, aufgrund meiner Erfahrung die CT-Assistentin vor, dass ich bei der letzten Untersuchung, während des Implizierens des Kontrastmittels, eine Panikattacke bekam.
„Ich schaffe das“, suggerierte ich mir während der gesamten Untersuchungsvorbereitung.
Für den Notfall wurde dann noch eine Ärztin hinzugezogen.
Sie schoben mich in diese enge Röhre und ich konzentrierte mich auf den schönsten Platz auf Erden, mein Zuhause. Ich spürte mein Herz bis zum Hals schlagen und begann tief aus- und einzuatmen. Dann wurde das Kontrastmittel injiziert.
Dieses Mittel durchdrang jede Zelle meines Körpers, spürbar. Von der Zungenspitze bis zum kleinen Zeh stand mein Körper unter Feuer. Doch ich dachte nur an Zuhause und an die Liebe die ich zu meinen Kindern empfand.
Endlich hörte ich die erlösenden Worte: „Frau G. Sie können normal weiteratmen (man muss während des letzten Teiles der Untersuchung den Atem anhalten).
Immer noch lag ich in dieser Röhre. Die Ärztin kam herein und stellte sich hinter meinen Kopf. Nervös hantierte sie am Infusionsschlauch herum, klopfte auf die Spritze in der das Kontrastmittel war und schüttelte sichtlich verwundert den Kopf.
„Frau G.“, sagte sie, „es tut mir außerordentlich leid, wir müssen den letzten Teil der Untersuchung nochmals wiederholen. Der Impuls, der die Kontrastmittelgabe steuert, hat nicht richtig funktioniert. Sie sollten eigentlich 150ml injiziert bekommen, tatsächlich haben Sie aber nur 60ml bekommen. Ich kann mir nicht erklären wie das passieren konnte. Schaffen Sie es noch einmal?“
Ich nickte, was blieb mir denn auch anderes über. Also alles wieder von vorne. Und ich war wieder souverän. Geschafft!
Grünes Licht für die am nächsten Tag geplante OP, gab mir dann der Arzt, der den Befund der CT-Untersuchung schließlich auswertete.
Ich war erleichtert und unglaublich stolz auf mich, dass ich trotz technischer Pannen so ruhig geblieben war. Dass dies nicht der letzte Ausfall der Technik sein sollte, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Dr. Kaspar führte mit mir dann das Anästhesie Aufklärungsgespräch. Ich kann nur sagen- Nomen est Omen! Er war ein ganz lustiger Kerl und nebenher überzeugte er mich durch Kompetenz. Ich fühlte mich mehr denn je in guten Händen.
Er legte mir ans Herz, dass ich mir eine so genannte Schmerzpumpe vor der Operation setzen lassen sollte aus zweierlei Gründen.
Erstens seien die Schmerzen nach diesem Eingriff „nicht von schlechten Eltern“, und zweitens sei diese Art der Schmerzbekämpfung körperlich schonender, als der Einsatz von Opiaten i.v.
Ich verneinte dankend und erklärte ihm dass ich sowieso kaum Schmerzmittel zu mir nehmen würde, da ich „hart im Nehmen“ wäre. Er schmunzelte nur und meinte ich würde nach einem derartigen Eingriff wohl kaum ohne Schmerzmittel auskommen. Zumindest sei es ihm noch nie untergekommen. Irgendwie musste er mein Unbehagen, bezüglich des Setzens einer Schmerzpumpe zwischen meine Wirbelkörper, gespürt haben und er fragte mich wovor ich denn solche Angst hätte.
"Schmerzen beim Einführen der Nadel zwischen meine Wirbel, Verletzung der Nerven-Lähmung! So ähnlich ging es mir nämlich einmal, und ich brauchte erstmal ein halbes Jahr um mich erst aus dem Rollstuhl zu kämpfen und weitere 5 Jahre um ohne Gehilfen und Orthesen gehen zu können."
Geduldig hörte er mir zu- und - er hatte die Gabe all meine Ängste und Bedenken zu zerstreuen, so ich doch noch einwilligte.
Ich telefonierte noch mit meinen Kindern um mich zu verabschieden, da mich die Krankenschwester informierte, dass ich um 7:15Uhr in den OP transferiert werden würde.
Die Stimmen meiner Lieblinge zu hören, stimmte mich etwas traurig und stumme Tränen benetzten meine Wangen.
„Tief ein- und ausatmen, es ist alles gut“, beruhigte ich mich selbst. Ich nahm mein Glücksbärchen, welches mich schon bei den anderen Operationen begleitet hatte, und drückte ihn fest an mich. Er roch so gut, nach Zuhause, und ich wusste er würde mich auch wieder dorthin zurück bringen.
Diesmal mussten mir die Schwestern wohl ein sehr starkes Beruhigungsmittel zur OP Vorbereitung gegeben haben, denn ich bekam kaum den Transfer vom Zimmer zu den Operationssäälen mit. Nur kurze Sequenzen blieben in meiner Erinnerung haften. Zum Beispiel das Setzen der Schmerzpumpe. Den Einstich verspürte ich schon kaum mehr, denn da verabschiedete ich mich schon ins Traumland. Dr. Kaspar hatte also Recht behalten, es tat überhaupt nicht weh.
Kurz wurde ich wieder wach als die Narkose bei mir eingeleitet wurde. Der Anästhesist fragte mich an welch schönen Platz auf dieser Erde er mich denn schicken dürfte.
„An einen Fluss, links und rechts davon sollen grüne, saftige Wiesen sein“, äußerte ich lallend meinen Wunsch.
„Dann werde ich Ihnen mal ein Märchen erzählen“, erwiderte der Arzt. „Sie sitzen an einem wunderschönen, blauen Fluss. Da schwimmen drei Enten vorbei. Mama Ente, Papa Ente und…“ Ich lachte innerlich über diesen netten Arzt der einer fast 40jährigen ein „Gute-Nacht-Märchen“ zu erzählen begann. Dann wurde es dunkel um mich.
„Versuch die Füße rüber zu heben“, ich versuchte zu eruieren woher diese Stimmen kamen, die sich so durchdringend und hektisch anhörten.
Aha, ich bin wohl fertig mit der OP, dachte ich mir, das ging aber schnell. Ich hatte das Gefühl gerade mal 5 Minuten geschlafen zu haben.
Hört auf an mir herum zu ruckeln, ich will noch schlafen, gab ich vermeintlich meinen Unmut zu erkennen, ich hatte so einen schönen Traum. Eigentlich war es nicht wirklich ein Traum, denn dieser war so voll gepackt mit Emotionen und alles spürte sich so echt und lebendig an.
Ganz anders als in meinen sonstigen Träumen. Und ich träumte immer oft und intensiv, aber ich kann mich an keinen Traum erinnern der so voller gefühlter Emotion, und der so „farbecht“ war.
Vor mir stand so eine Art Gartenpavillon. Ich ging auf diesen Pavillon zu und entdeckte darin eine Katze. Die schönste, nein, gar die allerschönste Katze die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Diese Katze, ich musste, wollte sie haben. Ich war fasziniert von diesem schönen Wesen. Als ich näher kam entdeckte ich noch drei kleinere Kätzchen. Zwei, die schon etwas selbstständiger waren und ein Kätzchen das weiter weg von seinen Geschwistern lag. Ganz klein und hilflos und noch um ein vielfaches schöner als die große Katze. Eigentlich war ich ja nun so gar kein „Katzenmensch“, aber dieses süße Ding hatte es mir angetan. Das Fell dieses Kätzchens glänzte in Farben wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. An den Versuch dieser Farbe eine Bezeichnung zu geben, bin ich bis heute gescheitert, aber ein silbriges Blau würde es am ehesten beschreiben.
Ich verspürte eine Liebe in mir, diese Liebe übertraf jedes Gefühl von Zuneigung, dass ich jemals erfahren durfte. Nicht einmal das Glücksgefühl nach der Geburt meiner Kinder, kommt annähernd an dieses „Liebesgefühl“ heran, dass ich für dieses Kätzchen empfand.
Halten wollte ich es, behüten und beschützen, bewahren vor allem Leid. Ich empfand es als meine Pflicht, aber im positiven Sinne, für dieses Kätzchen zu sorgen. Ja, ich wollte unbedingt Verantwortung für dieses Wesen übernehmen. Während ich so vor dem Babykätzchen saß und vor Liebe zerfloss, hörte ich jemanden sagen: „Telefon für dich“
Erkennen oder sehen konnte ich niemanden, aber ich wusste dass es jemand war den ich gut kannte, „Wer ist es denn?“, fragte ich nach. „Dein Cousin Günther“, erwiderte diese Person.
„Günther?“, ungläubig wiederholte ich den Namen. „Blödsinn, das kann gar nicht sein, Günther…er…er…er ist..ist tot, ihr vergackeiert mich“. Jemand drückte mir das Handy in die Hand und am anderen Ende der Leitung hörte ich eine Stimme, seine Stimme. Ungläubig presste ich das Handy an mein Ohr und wollte schon sagen, wer auch immer das sei, er solle mit seinen kranken Scherzen aufhören. Doch soweit kam es gar nicht. Halb links hinter mir stand plötzlich jemand und er sagte: „ Glaub es doch, ich bin es wirklich“. Gerade noch hörte ich die Stimme am Telefon, und nun stand sie wie aus dem Nichts neben mir. Ich drehte mich zur Seite und konnte es kaum fassen. Da stand mein Cousin, lebendig, wirklich und wahrhaft lebendig. Seine großen, dunkelbraunen Augen funkelten und strahlten. Er war schlanker als zu Lebzeiten und irgendwie war sein Körper feiner in seiner Struktur. Er wirkte so lustig und fröhlich und er hüpfte fast übermütig von einem Bein auf das andere, sprang und tanzte herum, und er lachte ausgelassen. Ich konnte nicht umhin als auch zu lachen und mich von seiner Heiterkeit und Leichtigkeit anstecken zu lassen. Das Ganze war mir erst ein wenig unheimlich, und doch war es so ein intensives, ja fast ekstatisches Gefühl das meinen gesamten Körper durchströmte. „Komm mit Cousinchen, ich muss dir unbedingt etwas zeigen“, sagte Günther und zupfte aufgeregt an meinem Ärmel. Ich ging ein paar Schritte mit ihm mit, doch mit einem Mal erinnerte ich mich an das Kätzchen und diese Liebe, die ich für das kleine Wesen empfand. Ich drehte mich um und sah, dass wir uns schon erheblich von diesem Pavillon entfernt hatten. Unbedingt wollte ich meine Pflicht erfüllen, für dieses Lebewesen da sein, es aufwachsen sehen.
„ Komm wir müssen da jetzt weg“, drängte mich mein Cousin. Ich sah ihn an und mich durchströmte wieder diese Ekstase von Glück, Leichtigkeit und Freiheit. Günther umfasste mein Handgelenk und zog mich mit sich. Wir gingen einen Bürgersteig entlang. Es sah dort fast so aus wie in dem Dorf in dem wir aufwuchsen. Wir überquerten die Strasse und vor uns stand ein Baum. Ich glaube es war ein Kirschbaum, denn er war übersäht mit Blüten in allen nur erdenklichen Rosafarben. Dieser Baum war überirdisch schön und bildete einen massiven Kontrast zu dem Grau der Strasse. Und der Duft, der von ihm ausging war unbeschreiblich.
Plötzlich musste ich wieder an das Kätzchen denken und ich riss mich von Günther los. „Nein, ich kann noch nicht hier bleiben“, rief ich ihm noch zu. Dann wurde es finster.
„Heb den Fuß hinüber“, hörte ich abermals eine Schwester sagen. Ich lag in so einer weichen, warmen, orangen Matratze, und man versuchte mich augenscheinlich umzubetten.
Mit all meiner Kraft versuchte ich mitzuhelfen. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht mein gesundes Bein anzuheben, von meinem Gelähmten ganz zu schweigen.
„Ich kann mein linkes Bein nicht anheben, ich habe eine Lähmung“, ließ ich diese Schwester wissen und ich war fest der Meinung dass sie mich gehört hatte.
„Was, die ist gelähmt?“, fragte die Schwester bestürzt nach. „Nein“, wieder meinte ich ihr zu antworten, „nur mein linkes Bein. Vor 3 Jahren, während einer Bandscheiben-OP ist es passiert“. Wieder wurde es dunkel um mich und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.
Als ich das nächste Mal erwachte überkam mich Panik. Ich versuchte zu atmen, bekam aber kaum Luft. Nur ein Röcheln und Rasseln war zu hören, immer wenn ich versuchte einzuatmen. Aber diese heiß ersehnte Luft schien nicht meine Lungen zu füllen.
Oh Gott, was ist bloß los, ich ersticke,
panikartige Gedankenstürme tobten durch meinen Kopf. Ich konnte mich nicht bewegen, und doch versuchte ich den Grund meiner Atemnot zu ergründen.
Mühsam öffnete ich meine Augen, das grelle Licht schmerzte, und ich schielte nach rechts und links. Da, da ist es was mir die Luft raubt
, kommunizierte ich stumm mit mir. Aus meinem Mund ragte ein Schlauch. Die haben vergessen beim Umbetten den Tubus wieder anzuschließen
, schoss es mir durch den Kopf, und, warum bin ich überhaupt intubiert?
Hallo, Hilfe, Hallo,
panisch versuchte ich auf mich aufmerksam zu machen. Niemand nahm mich wahr, obwohl doch mindestens 4 Pfleger vor meinem Bett standen.
Wieso hilft mir denn niemand?
Immer panischer wurde ich und versuchte dieses Ding, das in meiner Kehle steckte und mir den Atem raubte, herauf zu würgen. Vergeblich! Ich röchelte weiter vor mich hin.
Gut dann beiß ich es eben ab,
war mein nächster Gedanke und ich versuchte aufs Neue mein Problem zu lösen. Doch so sehr ich meine Zähne auch in diese „Maulsperre“ bohrte, es war mir nicht möglich dieses harte Etwas zu zerbeißen.
Ich aktivierte letztendlich all meine Kräfte und schlug mit der Hand auf das Seitenteil des Bettes. Endlich, sie hatten mich gesehen. Irgendetwas piepste neben mir ganz laut, dass es das Überwachungsgerät war, das meine Sauerstoffsättigung anzeigte, wusste ich damals nicht. Ich war der Meinung dass ich Selbst es war die das Pflegepersonal auf mich aufmerksam gemacht hatte.
Was dann geschah, entzieht sich meiner Erinnerung. Das Letzte was ich noch weiß, ist, dass die Uhr, die geradeaus hing, 15:05Uhr anzeigte.
15:30Uhr. Wieder aufgewacht verspürte ich eine sehr starke Übelkeit. „Mir ist so schlecht“, flüsterte, nein, krächzte ich unter größter Anstrengung und meinte zu spüren, dass dieses Tubusdingens aus meinem Hals entfernt worden war.
Der nächste Moment war mit Hoffnung gefüllt, denn als sich der nebelige Schleier vor meinen Augen lichtete, sah ich meinen damaligen Lebenspartner, verhüllt mit Mundschutz und sterilem Kittel, mit einem Arzt sprechen.
Sie standen nahe an meinem Bett und ich versuchte meinem Mann die Hand entgegen zu strecken. So sehr brauchte ich ihn jetzt. Doch er sah mich nur kurz an, drehte sich um und ging. Die automatische Türe öffnete sich und ich starrte ungläubig darauf. Er war wirklich gegangen, hatte mich alleine zurück gelassen.
Die Übelkeit erreichte nun den Grad des Unerträglichen, und ein Pfleger kam und spritze mir etwas.
„Sie sind auf der Intensivstation, aber es geht Ihnen den Umständen entsprechend gut“, klärte mich der Pfleger auf. Ich war so müde, und doch wollte ich mit meinen Worten nicht hinter dem Berg halten. „Wie kann es mir gut gehen…,“ begann ich meine Worte, doch sprach ich sie nicht zu Ende, da ich mich wieder in Morpheus Armen flüchtete.
Auf der Intensivstation zu liegen war keine angenehme Erfahrung.
Ich wurde aus meiner schönen, samtschwarzen Ruhe gerissen, weil mich das Pflegepersonal aufsetzte, und jemand sagte: „nimm den Schmerzkatheter heraus, der nützt nichts mehr“
Sind die bescheuert,
dachte ich, was geben die mir nun gegen die Schmerzen?
Denn diese waren, ohne übertreiben zu wollen, höllisch.
Ich war so wütend. Da willigte ich dieser dämlichen Schmerzpumpe zu, und dann funktionierte das Ding nicht. Nebenbei rochen alle auch noch so intensiv nach allem Möglichen: Parfum, Handcremen, Zigarettenrauch. Abermals kroch Übelkeit in mir hoch.
Diese Leute da um mich MACHTEN MICH UNGLAUBLICH WÜTEND!
Sie waren laut, hektisch und haben gestunken.
Auf einer Intensivstation gehört jegliche Art von Gerüchen verboten,
dachte ich böse, das werde ich denen allen noch sagen.
Als sie mich endlich wieder zurücklegten, und ich mich von dieser Anstrengung erholen wollte, musste ich mich wieder einmal übergeben, oder treffender gesagt, überwürgen, denn in mir hatte ich ja nichts mehr.
Keine Sekunde war verstrichen, da kam eine Schwester gelaufen und drückte mir meinen Kopf vor an die Brust, eine andere fühlte meinen Puls, und wieder Eine spritze irgend ein Mittel in einen meiner Zugänge, von denen ich zur Genüge hatte. Ein Pfleger lief derweil hektisch zum Telefon und informierte einen Arzt. Dieses Szenario wiederholte sich während meines Aufenthaltes auf der Intensivstation des Öfteren. Und jedes Mal bekam ich Angst, weil ich dachte mein Zustand würde sich verschlechtern. Dabei wollte ich doch nur eines- hier raus und LEBEN.
Doch sobald mir diese Mittel gespritzt wurden, ging es mir schlagartig besser.
Hin und wieder wurde ich wach, weil diese komische Matratze so nervte, auf die sie mich gelegt hatten. Diese ließ in Intervallen Luft aus und pumpte sie nach und nach wieder ein.
Wenn die Luft in der unteren Körperregion entwich, sackte mein Gesäß ab, und ich lag auf einem irrsinnig harten Untergrund, zumindest empfand ich es so. Außerdem schmerzte diese Liegeposition fürchterlich an meinem frisch operierten Bauch. Ich hasste diese Matratze. Überhaupt war ich in dieser Phase sehr wütend, was nun so gar nicht meinen, sonst so sanftmütigen Wesen entsprach.
Dieses Mal schlief ich lange. Denn als ich meine Augen das nächste Mal öffnete, war es dunkel, und die Uhr an der Wand vor mir zeigte halb Zwölf an. Keiner von dem Pflegepersonal war zu sehen. Rechts und Links von mir lagen zwei alte Männer und die Geräte an denen wir „hingen“ piepsten im monotonen Gleichklang.
Ich wünschte mir jemanden vom Personal zu sehen, denn ich kam mir so verloren vor. Mich zu bewegen war unmöglich und ich hatte furchtbare Schmerzen.
Jeder Atemzug tat mir weh, den Bauch beim Atmen anzuheben, versuchte ich tunlichst zu vermeiden. Auch mein Brustkorb schmerzte sehr, mein linkes Schlüsselbein fühlte sich an als hätte man es mir mehrfach gebrochen. Meine Unterarme, die auf irgendetwas Höherem gelagert waren, waren unter den dicken Verbänden eingeschlafen.
Ich bewegte meine Finger so gut ich es konnte, wieder und wieder, doch meine Hände wollten nicht aufwachen.
Auf einmal erschien in diesem lichtkargen Raum eine Gestalt. Endlich, es ist doch noch Personal da, atmete ich erleichtert auf. Als ich aber genauer hinsah, dachte ich zu halluzinieren.
Da stand ein Exfreund von mir und lächelte mir zu.
Das kann nicht sein, nein, das KANN NICHT WAHR SEIN,
kein Wort verließ meine Lippen und ich drehte meinen Kopf zur Seite um ihn nicht sehen zu müssen.
Das kann nicht Markus sein. Markus ist vor 9 Jahren gestorben, er hat sich das Leben genommen. Oh Gott, bin ich vielleicht auch schon tot? Nein, das kann gar nicht sein. Ich atme, ich spüre die Schmerzen, ich denke.
Diese und noch viel mehr solcher Gedanken schossen mir in Bruchteilen einer Sekunde durch den Kopf.
„Nein, bitte nicht“, diese Worte musste ich wohl laut ausgesprochen haben, denn nun stand der Pfleger neben mir und fragte was ich denn nicht wolle.
Kurz überlegte ich, doch dann sprudelte es doch aus mir heraus. Dass ich nicht wisse ob ich noch lebe oder doch schon tot sei, weil er aussähe wie ein verstorbener Exfreund von mir. Und das Letzte was ich wollte, wenn ich denn schon tot sei, wäre meinem Ex als Ersten zu begegnen. Er lächelte nur und sagte es gäbe wohl von jedem Menschen einen Doppelgänger und sein Name sei Chris. Für heute Nacht wäre er mein mir zugeteilter Pfleger.
Ich drehte meinen Kopf zur anderen Seite um ihn nicht sehen zu müssen, ich war so verwirrt, so eine frappierende Ähnlichkeit aber auch.
Chris stellte sich ans Fußende des Bettes und wartete. Als er merkte dass ich weiterhin vermied ihn anzusehen, meinte er, es wäre schön wenn ich mich dazu durchringen könnte, mich ein wenig mit ihm zu unterhalten. Auf seiner Station hätte er nämlich nicht oft die Gelegenheit mit einem seiner Patienten zu sprechen.
Da ich putzmunter war, und noch dazu große Schmerzen hatte ließ ich mich dann doch noch auf ein Gespräch ein. Er konnte ja nun wirklich nicht mein verstorbener Freund sein, denn vor mir stand ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Als Erstes sagte ich ihm dass meine Hände eingeschlafen wären, und „nicht um die Burg“ aufwachen wollten. Er erklärte mir, dass dies nach dieser langen OP normal wäre, bedingt durch die Lagerung.
„Wie lange wurde ich denn operiert?“ Neugierig geworden fragte ich nach, denn laut meiner Chirurgin sollten es nicht mehr als drei Stunden werden.
„7 Stunden“ war seine Antwort und ich war geschockt. Solange hatte ich nicht gerechnet.
„Und warum bin ich auf der Intensivstation?“ Gespannt wartete ich wieder auf seine Antwort
„Sie wollten nicht mehr atmen“, ich hörte zwar was er sagte, aber irgendwie kam es nicht bei mir an, weil mich wieder starke Schmerzen plagten und ich stöhnte auf.
Da stand auch schon wieder eine andere Schwester neben mir und hing eine weitere Infusionsflasche neben die vielen Beuteln und Flaschen die da schon hingen. Die Schmerzen klangen ab und ich schlief wieder ein.
Höllische Schmerzen und Übelkeit unterbrachen wieder meinen Schlaf. Gott sei Dank hatte ich ja einen aufopferungsvollen Pfleger. Er lenkte mich mit seinen Gesprächen ab. Wir plauderten über Reiki und Akupunktur. Er war sehr interessiert an dem was ich zu erzählen hatte.
Dann fragte er mich woher ich denn käme. Als ich ihm erzählte dass ich ursprünglich von der Gegenüberliegenden Seite Niederösterreichs komme und woher genau, sagte er dass er genau dort auch Verwandtschaft hätte.
„Vielleicht sind Sie ja doch mit meinem Exfreund verwandt, das würde diese verblüffende Ähnlichkeit erklären“. Leider verneinte er diese Frage.
Immer wieder ließen mich die Schmerzen aufstöhnen. Chris begann mit mir Atemübungen zu machen und ich…ich begann leise zu beten. Mein Pfleger stand neben mir und betete mit mir gemeinsam. Ich war so dankbar jemanden in diesen schweren Stunden bei mir zu haben, der mich in allem was ich tat unterstützte und mich ernst nahm.
Das Gas, welches während der OP in meinen Körper geblasen wurde schmerzte unglaublich. Dagegen half auch kein Schmerzmittel. Das musste mein Körper ganz alleine schaffen. Wenn mich wieder die Übelkeit plagte, öffnete Chris das Fenster hinter mir. Die Luft tat so gut, sie war so klar und rein. Und sie war kalt, eisigkalt, denn wir hatten in dieser Nacht minus 10 Grad. Mir war so kalt, doch das war mir egal, denn die Übelkeit verschwand durch die frische Luft. Und Chris meinte sowieso wir bräuchten keine chemischen Keulen, wir bekämen das auch so hin. Hin und wieder kam eine seiner Kolleginnen und sah nach dem Rechten. Sie kontrollierte den Monitor und entnahm mir Blut über den arteriellen Zugang. Es verwunderte mich nur dass sie nie ein Wort zu Chris sagte, geschweige denn ihn ansah, so als würde sie ihn nicht einmal wahrnehmen.
Es war so halb drei Uhr morgens als ich Chris fragte wann ich denn die Intensivstation verlassen dürfte, und er meinte wenn ich weiterhin so brav meine Atemübungen mache, würde ich in etwa 10 Stunden hier weg dürfen. Ich freute mich sehr über diese Aussage, denn ich wusste, wenn ich hier raus war, hatte ich es geschafft.
Irgendwann, als Chris zum wiederholten Male es Zustande gebracht hatte, mich ohne Medikamente von meinen Schmerzen und der Übelkeit zu befreien, sagte ich zu ihm: „Wissen Sie, ich habe gar keine Angst mehr vor dem Tod, denn wenn ich jetzt sterben würde, wäre dies hier einfach nur vorbei.“ Er lächelte und nickte „Ja, genauso ist es“, dies waren seine letzten Worte, ehe ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Es war taghell als ich wieder erwachte und es herrschte geschäftiges Treiben auf der Station.
Ich versuchte unter den vielen Menschen meinen „Engel“ Chris zu entdecken, um mich bei ihm für diese fürsorgliche Betreuung in dieser, für mich so schweren Nacht, zu bedanken. Zu meinem Bedauern konnte ich ihn nirgends entdecken. Dafür stand ein anderes bekanntes Gesicht vor meinem Bett und winkte mir zu.
„Wie geht`s“, fragte mich Dr. Kaspar augenzwinkernd. „Danke, schon besser“, antwortete ich krächzend, und wunderte mich, dass es mich so anstrengte zu sprechen, ging es doch des nächtens noch ganz gut. Wahrscheinlich habe ich mit meiner Schwätzerei heute Nacht meine Stimme überstrapaziert,
schlussfolgerte ich in Gedanken und versuchte mich an einem Lächeln.
Die Schwester vom Tagdienst stellte sich bei mir vor, und begann mich zu waschen. Sie erzählte mir etwas, wie mein Kopf hätte ausgesehen wie eine überreife Pflaume als ich aus dem OP hier herüberkam, weil ich während der OP kopfüber hing. Muss ja ein toller Anblick gewesen sein.
Chris sollte Recht behalten. Da sich meine Sauerstoffwerte soweit gebessert hatten, konnte ich wenige Stunden später die Intensivstation verlassen. Der weitere Heilungsverlauf lief rasant ab. Die Ärzte mitsamt dem Pflegepersonal konnten gar nicht glauben wie ich von Minute zu Minute aufblühte. Klar, ich hatte noch Schmerzen, doch diese waren Nichts im Vergleich zu jenen die ich auf der Intensivstation hatte. Und auch meine linke Hand wollte nicht mehr aufwachen. Es dauerte einige Monate bis meine Hand wieder voll funktionsfähig war.
Da ich so tolle Genesungsfortschritte machte, durfte ich das Krankenhaus am 8. Tag verlassen. 4 Tage vor dem eigentlichen Entlassungstermin. Am Freitag, also drei Tage nach der Entlassung, sollte ich nochmals in die Ambulanz kommen um die Klammern entfernen zu lassen, von denen ich 32 Stück mein Eigen nennen durfte.
Aufgeregt saß ich im Warteraum. Ich hatte, für alle Personen die mich betreut hatten, Dankeskarten geschrieben. Was mir gar nicht so leicht gefallen war, weil ich durch die Einschränkung in meiner Hand, kaum schreiben konnte. Nichts desto Trotz ließ ich mir es nicht nehmen, mich auf diese Weise zu bedanken für die hervorragende Betreuung, denn bei Gott, ich habe schon andere Dinge während meiner „Krankenhauskarriere“ erlebt.
Als mir meine Chirurgin entgegenkam, strahlte ich übers ganze Gesicht. Noch vor der Ambulanz übergab ich ihr die Karte mitsamt einem Schutzengel, denn sie war für mich mein Schutzengel. Sie hatte sich wirklich ehrlich darüber gefreut, mehr als ich dachte.
„Frau G., wir sind ja so heilfroh, dass Sie das alles so toll überstanden haben. Mein Kollege, der Sie mit mir operiert hat, hat sich auch jeden Tag über Sie erkundigt. Sie haben uns ernsthafte Sorgen bereitet.“ Ich verstand kein Wort von dem was sie versuchte mir zu sagen. Dann aber erzählte sie mir, dass es während der OP technische Probleme gab, und sie die Operationsmethode ändern mussten. Dies aber nahm mein sowieso schon geschundener Körper übel und ich verabschiedete mich…Herz- und Atemstillstand.. knapp zwei Minuten kämpften die Ärzte um mein Leben.
Nun schloss sich für mich der Kreis. Die blauen Flecken und Schmerzen auf meinem Brustkorb erklärten sich nun von Selbst.
Trotz der Tragik, die diese Geschichte in sich barg, dankte ich ihr und machte mich noch auf den Weg zur Intensivstation um dem „wahren Engel“ Chris noch meinen zutiefst empfunden Dank auszusprechen. Ich hoffte ihn auch anzutreffen.
Ich läutete an und wartete bis ich eingelassen wurde. Die Stationsschwester begrüßte mich freundlich, und sogar mit meinem Namen. „Junge Patienten vergisst man nicht so schnell“, erwiderte sie als ich sagte dass ich erstaunt sei, dass sie sich noch an meinen Namen erinnere.
Ohne Umschweife drückte ich ihr dann das Geschenk für Chris in die Hand. Sie sah mich etwas verwirrt an.
„Frau G., ich muss Sie enttäuschen. Es gibt auf unserer Station keinen Pfleger namens Chris“
„Vielleicht habe ich ja seinen Namen nur falsch verstanden“, konterte ich sogleich
„In der Nacht, als Sie hier auf Station lagen, hatten nur zwei Schwestern Dienst, und auch zu sprechen wäre Ihnen unmöglich gewesen, denn Sie waren die ganze Zeit über intubiert“
Nun war es an mir, sie verwirrt anzusehen.
Ein Gefühl der absoluten Liebe, das zeigte sich mir in einem wunderschönen Traum - oder war es doch kein Traum sondern die Auswirkungen der Medikamente? Was war die Wahrheit, was Fiktion? Wer weiß das schon…
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2011
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