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Der Anfang

Sie waren jung, verliebt und glücklich. Hm, wenn das der Anfang einer Geschichte sein soll, dann geht es doch bestimmt ganz düster weiter. Mal sehen...

Also: jung und verliebt und außerdem hatten sie Semesterferien. Und es ging natürlich in die Stadt der Liebe, wohin denn sonst. Da Er dort Freunde hatte, die gerade für einen Monat nach Australien zum Campen gefahren waren, gab es eine freie Bude. Sie war begeistert, Er natürlich auch - schon allein weil Sie so begeistert war.

Sie zogen durch Museen, durch die Straßen, durch die Lokale. Sie genossen die unbeschwerte Zeit miteinander. Aber eines Tages sagte Er: „Ich habe eine Stimme gehört, wir müssen hier weg. Heute“.
„O nein,“ rief sie aus - „Nicht schon wieder deine Stimmen!“ Denn das war nicht zum ersten Mal, dass er meinte, Stimmen zu hören. Besser gesagt, immer die gleiche freundliche Stimme, die ihm Ratschläge gab oder Hilfe anbot. Die Stimme sprach meistens bei Nacht, natürlich hörte nur Er allein diese Stimme. Seine Freundin war sogar eifersüchtig auf diese Stimme, denn es schien ihr, Er mag die Stimme beinahe mehr als Sie. „Das ist doch lächerlich, es ist nur eine körperlose Stimme, mehr nicht!“ - pflegte Er zu sagen.

Diese Stimme riet ihm einmal, Biologie zu studieren. „Siehst du, wenn ich auf die Stimme nicht gehört hätte, hätte ich Philologie studiert, und dann wären wir und vielleicht nie begegnet“ - sagte Er. Für Sie war das ein ernstzunehmendes Argument. Übrigens hat die Stimme Ihm abgeraten, mit den Freunden nach Australien campen zu gehen. Nun, Paris ist auch nicht schlecht - Stadt der Liebe usw.

„Die Stimme sagt mir, wir sollen nach England, und Stonehenge besuchen. Heute fahren wir ab!“ - manchmal konnte Er ganz resolut sein, besonders wenn es darum ging, eine Anweisung der Stimme zu erfüllen.
„Warum das denn?“ - fragte sie empört. - „Ich will nirgendwohin. Ich habe Stonehenge schon auf einem Bild gesehen, und einen Film dazu, und... Last uns hier bleiben, hier ist es so schön.“
Sie reckte sich auf dem breiten Bett, das fast die ganze Bude ausfüllte. Er aber fing schon an zu packen.
„Weißt du, die Stimme meldet sich nicht so oft, wenn sie schon etwas mitteilt, dann muss ich einfach zuhören. Es ist bestimmt wichtig. Nur einen Blick auf Stonehenge und gleich wieder zurück, OK?“
Was blieb Ihr übrig, als zu nicken. So war es ja immer in ihrer Beziehung. Sie entschied über alles - nur nicht darüber, ob man auf die Stimme hören sollte oder nicht.

„Warum darf ich nie diese Stimme hören?“ - fragte Sie Ihn.
„Ist nichts für Frauenohren!“ - sagte Er und lachte.

Sie fuhren ab und waren gegen Mitternacht bei Stonehenge. Mitternacht - das ist schon eine besondere Zeit. Wenn man irgendwo um Mitternacht erscheint - dann kann die Sache auch schief gehen.

„Halt, auf die Bremse treten!“ - schrie Sie erschreckt. Er trat auf die Bremse. Gerade noch rechtzeitig: Hunderte Augen strahlten im Licht der Autoscheinwerfer gelblich zurück. Ausdruckslose Augen, alle gleich. Beide Menschen saßen zuerst geschockt im Auto, dann lachten sie laut: „Das sind ja nur Schafe! Eine große Schafherde!“ - rief Er erleichtert.

Sie warteten ab, aber die Schafe bewegten sich nicht, sie hatten es offensichtlich nicht eilig.

„Ich versuche, den Hirten zu finden!“ - sagte Er entschlossen und wollte aus dem Auto steigen. Sie zerrte ihn zurück: „Warte ab, die Schafe werden schon von selbst weggehen. Oder versuche langsam vorwärts zu fahren.“ Doch das Auto sprang nicht mehr an. Auch die Scheinwerfer erloschen. Beiden Menschen wurde es unheimlich, sie fühlten sich ungeschützt und der Natur ausgeliefert.

Draußen war es stockdunkel, nirgendwo ein Licht, kein anderes Auto weit und breit. Stille. Nicht einmal der Mond schien. Die Schafe waren im Dunkeln eher zu erahnen als zu erkennen. Die Menschen zitterten und hofften umsonst darauf, dass sich eine freundliche Stimme meldet und ihnen einen guten Rat gibt. Einen Rat hätten sie gerne gebraucht.

Irgendwann schien es den beiden, dass es wärmer wurde, schön wohlig warm. Ihr Zittern legte sich, die Körper entspannten sich - Sie und Er schliefen ein, eng umarmt.

Sie wachten auf, als die Sonne schon hoch im Himmel stand. Sie wachten auf und wurden von der Helligkeit geblendet. Sie sprangen auf ihre Beine - es war kein Auto mehr da. Nur eine unendliche grüne Fläche bis zum Horizont, nur der blaue Himmel mit der strahlenden Sonne. Und die Schafherde, die in einiger Entfernung graste. Sonst nichts.
„Und - wo ist alles? Ich meine, unser Auto?“ - fragte Er.
„Und wieso sind haben wir mitten in Stonehenge geschlafen?“ - antwortete Sie und schaute zu den stummen Steinen.
„Und wo ist die Straße? Und wo sind andere Menschen?“ - fragte Er wieder.
„Haben wir nicht bemerkt, dass wir über dem Feld gefahren waren?“ - wunderte Sie sich.
„Wo ist aber wirklich unser Auto? Und mit ihm unsere Papiere, Geld? Wer hat es geklaut?“ - ärgerte Er sich.
„Wir müssen den Hirten finden. Wir müssen uns durchfragen. Wir müssen die Polizei alarmieren“ - rief Sie.
Er holte sein Handy. Aber es gab natürlich kein Netz.

Sie gingen auf die Herde zu, die Schafe schauten ruhig und gleichgültig zu den beiden Menschen und grasten weiter. Weit und breit kein Hirte. Aber in einiger Entfernung erblickten sie einige Hunde. Vielleicht ist der Hirte dort? Doch je näher sie kamen, desto unheimlicher wurde es ihnen.
„Halt“ - sagte Er plötzlich. - „Das sind keine Hunde“.
„Sondern?“
„Wölfe. Das ist ein Wolfsrudel. Und sie kommen auf uns zu.“
„Nein“.
„Doch. Versuchen wir ruhig zu bleiben. Wegrennen hat keinen Sinn, die Tiere sind auf jeden Fall schneller als wir. Ganz ruhig. Sie sind bestimmt an Schafen mehr interessiert als an uns.“ - flüsterte er.
„Woher weißt du das?“ - wollte sie wissen.
„Ich weiß es nicht. Ich hoffe es nur“ - sagte er traurig.

Und sie ergaben sich ihrem Schicksal.

***

„Wolfi, kannst du bitte woanders spielen, du machst mich ganz nass!“ - beide Menschen saßen am Ufer des Flusses, dass sie - nicht sonderlich einfallsreich - Blue River genannt haben. Neben ihnen tobten drei freche Wolfsbabys und plantschten im Wasser.

„Kannst du dich erinnern, wie wir uns vor dem Toro und seinem Rudel erschreckt haben?“ - fragte Sie lachend.
„Ja, wir dachten damals, unsere letzte Stunde schlägt gleich“ - Er lachte zurück.
„Dabei wollten sie nur spielen. Schafe sind keine guten Spielgefährten, irgendwie sind sie zu scheu. Nun, Schafe bleiben Schafe - auch hier“ - sagte Sie.
„Hier...“ - wiederholte Er wie ein Echo. -“ Wir haben nach einem Jahr immer noch nicht verstanden, was Das hier alles ist. Und die Stimme meldet sich nicht mehr“.
„Wahrscheinlich kein Netz“ - scherzte Sie.
„Weißt du noch, wie wir nach anderen Menschen gesucht haben? Wie viele Tagesmärsche wir gelaufen sind, bis unsere Füße wund geworden waren?“ - sprach Er.
„Bis unsere Schuhe kaputt waren, bis unsere Kleider zerschlissen waren. Bis wir so aussahen, wie wir jetzt sind!“ - und Sie kicherten beide. Tatsächlich, sie waren beide nackt, denn einerseits gab es niemanden, vor dem sie sich schämen sollten, und andererseits blieb es in diesem Hier immer gleich warm.

„Und wir trafen niemanden. Keine menschliche Seele. Keine Spuren von Gebäuden, von Straßen, von irgendeiner Zivilisation.“ - sagte Er. - „Nur dieses stumme Stonehenge“.
„Vielleicht gibt es noch Menschen irgendwo?“
„Ich glaube nicht. Wir haben nie ein Flugzeug gesehen, nie - ein Schiff. Nichts. Vielleicht sind wir in einer neuen Welt gelandet, die nur von Tieren besiedelt ist. Und von uns.“ - vermutete Er.
„Und was für liebe Tiere sind es!“ - rief Sie begeistert und streichelte den kleinen Wolf. Ein großer und ziemlich ungelenker Bär setzte sich neben den Menschen und schien den Sonnenaufgang zu bewundern. Er kaute an einem wilden Apfel.

„Na, schmeckt es dir, Petzi?“ - fragte Sie und lehnte sich an den großen warmen Körper. - „Das hat doch gedauert, bis wir verstanden haben, dass die Tiere, egal wie gefährlich sie aussehen, Pflanzenfresser sind.
„Ja, das verstehe ich immer noch nicht - wozu habe ich Biologie studiert, wenn ich die Tiere nicht verstehe?“ - regte Er sich auf.
„Aber du kommst doch mit allen Vierbeinern gut zurecht. Mit Vögeln übrigens auch. Sie lieben dich doch so!“ - antwortete Sie und zeigte auf eine große Schlange, die sich um seinen Arm gewickelt hatte.
Er stupste den Schlangenkopf mit seiner Nase, das Tier streckte seine zittrige flinke Zunge heraus und tastete sein Gesicht ab.
„Wie auch immer, wir verstehen diese Welt nicht, wir wissen nicht einmal, was sie ist und wie wir hier gelandet sind - aber ich mag sie, unsere Welt!“ - sagte Er und legte sich auf den Rücken, Arme unter dem Kopf, und schließ die Augen.

Sie stand auf, bewunderte seinen starken Körper eine Weile. Dann spürte Sie einen leichten Hunger. Auf der Suche nach Essbarem wanderte Sie verträumt zum kleinen Hain in der Nähe. Seltsame Bäume wuchsen dort, solche gab es nirgendwo - jedenfalls nicht dort, wo die beiden Menschen schon gewesen waren. Sie mochte diesen Hain, dort war es so schattig im Sommer - und in dieser Welt war immer Sommer. Dort blühten die Bäume und Sträucher mit bunten duftenden Blumen, die Sie an Rosen erinnerten. Jetzt hat Sie entdeckt, dass ein Baum Früchte trug - faustgroße gelb-rote Kugeln, sie sahen appetitlich aus, weich, saftig.

Sie pflückte zwei davon und trug sie zurück zu ihm.
„Schau, was ich gefunden habe! Sind bestimmt lecker!“ - rief Sie.
Dann schaute sie die Frucht noch einmal genauer an. „I-i-i, da ist ein Wurm drin!“
Er betrachtete auch die Frucht in ihren Händen und sagte: „Das ist kein Wurm, das ist eine Raupe“ Und sie warfen beide gleichzeitig die gelb-roten Kugeln in einem großen Bogen in den Strom. Diese tanzten und hüpften auf der Wasseroberfläche und verschwanden bald aus der Sicht.

***

Der Alte war heute zufrieden. Es hat lange gebraucht, bis er diese zwei Menschen gefunden hat, Menschen, die für seine Zwecke passten: jung, ineinander verliebt, psychisch und physisch gesund und nicht dumm. Menschen, von denen mindestens einer imstande war, seine Stimme im Lärm der hektischen Menschenwelt zu erkennen und der diese Stimme auch ernst nahm. Na ja, vielleicht werden sie auch ihre Kenntnisse in Biologie gebrauchen - immerhin hat Er eine Raupe von einem Wurm in der Frucht unterscheiden können. Der Alte schmunzelte leise. Dann verfinsterte sich sein Gesicht: ,Arme Eltern, sie sind untröstlich: Ein schrecklicher Unfall hat zwei junge Leben dahingerafft. Warum kann ich nichts erschaffen ohne etwas zu zerstören. Vielleicht soll ich nächstes Mal gezielt nach Waisen suchen. Hm... Das wird schwierig. Aber insgesamt ist mir diese Welt doch gut gelungen‘ freute sich der Alte. ,Und besonders bin ich auf meinen Trick mit der Raupe stolz - das wäre doch so dumm, die beiden aus meinem Paradies verjagen zu müssen. Außerdem sind nicht alle Teile dieser Welt so schön warm geraten. Nun ja, ich muss an die Arbeit. Diese Welt hat sich erfolgreich abgenabelt und geht ihre Wege, ab morgen beginne ich mit einer neuen - doch jede Welt, die ich erschaffen habe und noch erschaffen werde, wird mein Zeichen tragen: das steinerne Gebilde, die Menschen Stonehenge zu nennen pflegen.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2012

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