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„Und immer wieder entflammst du in dir
Wie eine Pechfackel lohenden Zunder.
Und brennend fragst du, ob größere
Freiheit dir wird, oder ob alles, was dein,
Zuschanden geh‘n soll? Ob Asche nur bleibt
Und Staub, der mit dem Winde vergeht?
Oder ob auf der Asche Grund
Strahlend ein Diamant erscheint,
Der Morgen des ewigen Sieges...“

Cyprian Kamil Norwid (1821 - 1883), polnischer National-Dichter


"Mensch, kannst du bitte schneller sein! Wir haben keine Sekunde mehr! Alois!" - die Mutter riss ungeduldig seinen Arm.
"Du tust mir weh!" - in seinen Augen standen Tränen.
"Hör auf zu heulen! Los jetzt!" - die Mutter schnappte sich seine Geige, schob ihm die Notenmappe zu, er schaffte es nicht, sie fest zu halten und die Noten flogen über die ganze Diele.
"Wie kann man so ungeschickt sein!" - die Mutter sammelte die ungehorsamen flüchtigen Blätter und stopfte sie in die Mappe, die Blätter schauten traurig hinaus und zeigten ihre umgeknickten Ecken.

Das Auto raste los, in den steilen Kurven wurde es Alois schwindelig, doch er wusste - er durfte kein Wort sagen. „Nicht meckern!“ - das war Gesetz.

Geigenstunde. Wohlklang und Qual. „Arbeiten!“ „Aufpassen!“ - das war die Mutter. Alois blickte ängstlich zu ihr, ihr Gesicht war verschlossen, der Mund - ein dünner Faden, die Augen - schmale Schlitze. „Sie hasst mich!“ - dachte er, - „Warum hasst sie mich so?“ Sein Lehrer seufzte tief und zeigte ihm wieder die Bogenstriche: hier gestoßen, dort - gebunden. Und schon wieder machte er es falsch, und schon wieder hörte er: „Arbeiten!“

Und trotzdem: er sang leise zu der Sonate von Mozart, er schwang mit ihren Höhen und Tiefen mit und vergaß alles Schlimme.

***

Alois liebte Musik und hasste sie zugleich, seine Mutter liebte ihn abgöttisch und war zu ihm manchmal grausam. Sie kaufte ihm teure Geschenke und gab ihm eine Ohrfeige, wenn er statt eines C einen Cis spielte. Woher kam ihr Traum, aus ihm einen Musiker zu machen? Das war nicht ihr Jugendtraum, sie meinte, sie hatte gar keinen Jugendtraum gehabt. Vielleicht hatte dieser Traum etwas mit seinem früh verstorbenen Vater zu tun? Er konnte gut geigen, wurde allerdings Bibliothekar. War er mit seiner Arbeit und mit sich selbst zufrieden? Alois würde es nie erfahren, denn es gab keine Tagebücher von seinem Vater, und seine Mutter erzählte nie von ihm. Warum? War sie enttäuscht, dass ihr Mann von fünf Jahren ihrer Ehe vier Jahre im Krankenhaus verbracht hat? Sie saß allein mit dem Baby, sie hatte keine Verwandtschaft hier, die nächsten Verwandten lebten in Polen. Zu weit weg...

Ihr Mann starb, sie blieb im großen Haus, schwarze und weiße Fliesen in der Diele, altmodische Möbel, knarrende Holztreppen. Sie zog Alois groß, sie liebte ihr Kind und sie mochte schicke Kleider und Diamanten, sie ließ keinen Mann mehr in ihr Leben. Mutter und Sohn lebten zurückgezogen, sie bekamen nur selten Besuch.

"Wir Slawen sind musikalisch!" - meinte die Mutter.
"Wir Deutschen auch", - erwiderte Alois.
"Du bist doch ein Halb-Slawe!"
"Eigentlich will ich nur ich selbst sein und sonst nichts!"

Geigenunterricht und Klavierstunden, Vorspiele und musikalische Wettbewerbe, die Alois, je älter er wurde, desto öfter gewann. Streit und Versöhnung, mit den Jahren weniger Streit, dafür mehr Entfremdung.

Endlich geschafft: Aufnahmeprüfungen in der Musikhochschule erfolgreich bestanden. Dann kam die Trennung ohne Tränen, aber auch ohne Freude. Alois mietete ein kleines Bungalow, damit er ungestört üben könnte, sein Flügel zog um, seine Geige nahm er mit. Die Mutter fuhr in die Einsamkeit mit ihrem teuren Auto, und Alois freute sich auf sein neues Leben in Freiheit. Er wusste nicht, was er mit seiner Freiheit anfangen sollte - er suchte Gesellschaft, er hoffte auf neue Freundschaften und auf eine Freundin.

Er traf ihn... Besser gesagt, Andreas kam auf ihn zu. Andreas? Nein, die Dozenten wurden hier nicht geduzt, er hieß also Herr Dr. Gladow.
"Ihre Mutter hat mir erzählt, sie käme aus Polen", - fing er an. „Wann hat sie es geschafft, mit ihm zu reden?“ - wunderte sich Alois.
"Meine Vorfahren sind ja vor den Kommunisten aus Russland geflohen, danach mussten sie vor den Nazis fliehen - sie kamen aber zurück, ich bin gerne ein Deutscher", - sagte Andreas. Er sagte es und wartete auf eine Reaktion.
"Nun, ja, ich auch", - murmelte Alois. Er schaute seinem Dozenten in die Augen: blaue kühle Augen mit einem seltsamen Glanz. Schlank, obwohl nicht mehr jung, graue Schläfen, dünne Lippen. Ein bekannter Pianist, immer wieder auf Welt-Tournee unterwegs. Ein schöner Mann.

Nach zwei Wochen war schon alles geschehen und es war schön und doch seltsam und anders, als Alois je geträumt hatte. Er nahm es hin als eine Gegebenheit: ich bin so, wie ich bin. „Ich will ich selbst sein, mein Leben leben, so, wie mich das Schicksal führt“.

"Glaubst Du an Gott?" - fragte ihn Andreas.
"Ich glaube, dass es Ihn gibt, doch ich weiß nicht, wie Er ist", - antwortete der junge Mann unsicher.
"Glaube, dass Er das Beste für dich tut; alles, was mit dir geschieht - das ist das Beste für dich", - sprach Andreas.
"Glaubst du es?"
"Ich versuche es jeden Tag", - Andreas wirkte auf einmal verschlossen und unzugänglich.

Seiner Mutter konnte Alois es nicht beichten und freute sich, dass sie nicht nach seinem Privatleben fragte. Dafür war sie übermäßig stolz, dass er mit einem berühmten Pianisten zusammen musizierte, und fuhr oft zu seinen Vorspielen und Konzerten hin. Andreas grüßte sie stets mit einem galanten Handkuss und gemeinsam gingen sie in das beste Restaurant der Stadt. Alois‘ Mutter schwärmte von seinem wunderbaren Freund und schien nichts bemerkt zu haben. Im Rückblick verstand Alois, dass sie bestimmt alles wusste, doch irgendwie gefiel es ihr, dass ihr Sohn unverheiratet blieb und und nicht im Besitz einer fremden Frau.

Das Schönste an seiner neuen Lebenssituation war, dass er sich unabhängig fühlte - nicht nur fühlte, sondern war es tatsächlich geworden! Er hatte ein Einkommen, ein sehr gutes sogar, denn das Duo Al&An wurde immer bekannter - der Name Gladow öffnete viele Türen, die nicht wieder verschlossen wurden. Die beiden Künstler - ein reifer und ein ganz junger - waren echte Virtuosen.
Alois erinnerte sich sogar wehmütig an seinen manchmal schmerzvollen Geigenunterricht und zum ersten Mal dankte er seiner Mutter dafür, indem er ihr ein Diamantenkollier schenkte, dass allerdings ein etwas falsches Bild über die Größe seiner Gage vermittelte.

War er glücklich? Bestimmt war er das! Er fühlte sich geborgen und sicher - Andreas kümmerte sich um Kontrakte und um den Finanzangelegenheiten, Andreas wusste alles und noch mehr. Andreas war schön und er was weise, und er liebte ihn und... Wo war diese kleine Wunde, die ab und zu schmerzte? Wo war dieser kleine Kratzer, der den Glanz minderte?

Vielleicht - dieser Rausch, in dem sie beide lebten: Geldrausch und Arbeitswut. Sie probten, bis sie fast umfielen, sie reisten um die Welt, bis sie Flughäfen und Hotels nicht mehr sehen konnten - doch dann kam noch ein Angebot, und schon wieder spielten sie Szymanowski-Symphonien und Wieniawski-Konzerte,
Und dann natürlich glänzte Andreas beim Wohltemperierten Klavier und Alois bewunderte ihn. Manchmal reiste Viola mit und dann kamen Opern-Arien zu ihrem Repertoire dazu. Viola meinte, von den beiden gehe Ruhe aus und sie fühle sich in ihrer Gesellschaft ungezwungen. Ob Alois bei dem Anblick der hübschen Sängerin wirklich so ruhig blieb, wie sie es dachte?

Das Geld floss auf ihre Konten und es war mehr als genug. Andreas kaufte eine Penthouse-Wohnung und beide freuten sich über den weiten Blick über den Hamburger Hafen. Die Wohnung wurde schick eingerichtet und mit Antiquitäten voll gestellt, für die Andreas eine Schwäche hatte: Drachen mit goldenen Schuppen und lachende Buddhas, Liebespaare, fein mit Tusche gemalt und unzählige Ansichten von untergegangenen Städten. Andreas kaufte Vorhänge mit Quasten, Möbel mit bestickten Ornamenten. Alois mochte keine Quasten und noch weniger mochte er Nippes.

"Mensch, kannst Du dich bitte schneller fertig machen, wir kommen sonst zu spät zum Konzert! Du bist manchmal so langsam", - hörte er einmal von seinem Freund. Andreas hatte recht, wie immer hatte er recht. Er war älter und klüger ... und das war ein Problem, das war auch der kleine Kratzer, der so weh tat.

Und doch waren sie glücklich, denn sie hatten ihre Musik: Klänge, in denen sie beide die Stimme Gottes zu hören hofften.

Es vergingen Jahre, Alois war Mitte Dreißig, und sein Leben verlief zwischen Konzerten und Feiern, zwischen Paris und New York, zwischen Hongkong und dem lieben Hamburg. Das Leben war für die nächsten sieben Jahre fest verplant, für die weiteren fünf Jahren gab es auch bereits erste Planungen. Manchmal schien es ihm, dass alles, was in seinem Leben geschehen soll, schon geschehen war, und er sah schon sein Alter kommen: Hoffentlich wird Andreas noch lange leben, und sie werden immer weniger reisen und mehr daheim am Kamin sitzen und sich an die vergangenen Zeiten erinnern. Oder sie zögen irgendwohin um, wo es warm ist. Und dort würden sie auf der Terrasse sitzen und sich erinnern und einander ihre Lieblingssonaten vorspielen...

"Meinst Du, wir leben richtig?" - fragte er Andreas, als sie nach einem Auftritt in einem teuren Restaurant saßen und jeder von ihnen mit einem ziemlich unverdaulichen Gericht zu kämpfen hatte.
"Wie meinst Du das?" - ein Schatten flog über das Gesicht seines Partners und Alois entdeckte, wie schütter sein Haar geworden war und dass seine Hände mit Pigmentflecken übersät waren. - "Meinst Du, dass wir zusammen sind, ist falsch?"
"Nein, so nicht. Aber wir leben so, als ob..." - Alois überlegte lange, - "Nun, als ob es ausser uns keine Menschen auf dieser Welt gibt".
"Wieso? Wir leben doch von den Menschen! Davon, dass Menschen zu unseren Konzerten kommen, dass sie unsere Musik kaufen um sie daheim oder wo auch immer zu hören. Ich verstehe Dich nicht, mein Lieber!"
"Aber diese Menschen... die sind für uns alle gleich, irgendwie ohne Gesicht..."
"Wenn ich auf der Bühne stehe, sehe ich nur meinen Flügel - und dich, Alois!"
Es entstand eine kleine Pause. „Und was sehe ich? Nicht einmal meine Geige, denn ich schaue in - in die Leere? Zu Gott? Ich weiß es nicht...“ - Alois kaute weiter an seinem Steak und versank in seinen Träumen. Er versuchte sich auch nur an ein Gesicht aus dem Publikum zu erinnern, doch was er sah, war eine rosafarbige Masse von Stirnen, Nasen, Wangen und klatschenden Händen. Das war alles.

"Wenn ich sterbe, vergiss mich nicht, versprichst du es?" - fragte Andreas unerwartet.
"Warum? Warum redest du vom Sterben? Wer weiß, wer von uns früher tot ist..." - Alois fühlte sich unangenehm berührt, er dachte, Andreas sei fast so alt, wie seine Mutter. „Dann habe ich doch zwei Eltern, auf eine seltsame Weise. Und bin immer noch ein Kind... Das ewige Kind“ - Alois seufzte.

Es war dunkel und warm, eine schöne samtene Sommernacht - und morgen erwarteten sie keine Proben, nur Entspannung und vielleicht ein Gang durch die Stadt, ohne Ziel.
„Welches Ziel hat mein Leben?“ - fragte sich Alois, als sie in das außen grüne und innen elfenbeinfarbige Auto mit einer wilden Katze auf der Motorhaube eingestiegen waren. - Und antwortete sich selbst: „Klar, Musik machen, Geld verdienen und Geld ausgeben, und arbeiten, und leben... Ist es nicht genug?“
"Nein!" - hörte er jemanden sagen und zuckte zusammen - doch es war nur Andreas, der gerade telefonierte. Mit wem eigentlich?
Bitte nur eine einzige Arie aus „Eugen Onegin“, du weißt, Tschaikowski mag ich nicht besonders, obwohl ich ein Russe bin...
„Ach so, Viola, auch eine Nachtschwärmerin...“

Es war drei Uhr nachts, als sie durch die leeren Straßen von Hamburg fuhren. Eine stille und geheimnisvolle Zeit, in der Ruhe und Freiheit herrschten. Beide Straßenseiten vollgeparkt, das Grün der Bäume wirkte unnatürlich im gelben Licht, fast alle Fenster - schwarz. Im Unterschied zu Andreas fuhr Alois nie zu schnell, daher war er meistens am Lenken, wenn sie durch eine Stadt fuhren. Auf den Autobahnen übernahm gerne sein Freund das Steuern und sauste auf der Überholspur dahin; Alois mochte es nicht, aber Andreas blieb hart. „Uns Russen liegt es im Blut, dieses schnelle Fahren, wir können nicht anders“ - jede Diskussion war somit beendet.

Alois sinnierte über die Reise nach Venedig, die ihnen in drei Tagen bevorstand: drei Auftritte in Scoula St. Theodoro, unerträgliche feuchte Hitze, doch er mochte diese seltsame Stadt.

Die schlanke Statuette vorne an ihrem großen Auto glänzte - und plötzlich hüpfte etwas Rundes und Blinkendes zwischen den geparkten Autos auf die Straße und gleich hinter diesem Ding sprang jemand Kleiner direkt unter die Räder. Fürs Bremsen war zu es spät, und Alois versuchte auszuweichen und riss das Lenkrad nach links, und wich doch nicht aus und traf etwas Weiches und im gleichen Augenblick wurde er vom Licht des Transporters geblendet, der ihm entgegen kam und im nächsten Augenblick wurde er von dem unerträglichen Metall-Knirschen betäubt, das von allen Seiten zu kommen schien. Sein Auto prallte auf die parkenden Fahrzeuge an der gegenüber liegenden Straßenseite und blieb stehen.

Der Schmerz war unerträglich, sein Körper war ganz Schmerz. Alois dachte, er würde gleich ohnmächtig, doch das wurde er nicht und er musste sehen: er sah Andreas, der unwirklich bleich war, aber kein Blut, nirgends, er sah den Transporter wie in der Zeitlupe umkippen und noch weiter eine schwarz gekleidete Frauenfigur knien, ihm den Rücken zugewandt und jemanden in ihren Armen haltend - er ahnte, wen. Danach glitt sein Blick zurück zu seinem schmerzerfüllten Körper und blieb auf seinem Händen stehen, die Hände waren rot und klebrig und aus der linken Hand steckte ein Knochenstück heraus... Erst jetzt kam die erlösende Dunkelheit und Alois rutschte einen endlosen Hang herunter, immer weiter, unbekannten Zielen und Zeiten entgegen, einem Ende oder einem neuen Anfang...

Er traf Jemanden, der Ihn liebte, doch sich nicht zeigen wollte. Er fühlte loderndes Feuer an seiner Haut und er hatte Angst, zu verbrennen und er sehnte sich danach, geläutert zu werden. Er fühlte einen Kuss des Abschieds an seiner Stirn und eine Berührung des Neubeginns an seiner Hand. Er hörte Gebete in allen Sprachen der Welt und alle Zungen schrieen nach Erlösung und nach Vergebung und jemand sprach: „Ob Asche nur bleibt und Staub, der mit dem Winde vergeht? Oder ob auf der Asche Grund strahlend ein Diamant erscheint...“

„Ich bin nur Asche und ich bin nur Staub, ich bin nicht tot, doch ich lebe nicht. Ich habe aufgehört zu sein und trotzdem bin ich noch. ... Hilf mir, ich vergehe!“ - betete er zu Dem, Der ihn liebte.

Und er wachte auf, und war wieder da und lag flach und hilflos und starrte gegen die weiße Decke und blinzelte, und schloss wieder die Augen, denn das Licht war grell. Doch seine leichte Bewegung wurde bemerkt und er wurde angesprochen. Angeheult, angeschrieen, angefleht.
„Gott sei gelobt, bist Du wieder hier! Alois, mein Junge! Ich hatte solche furchtbare Angst um Dich, das ist so entsetzlich, was passiert ist und ich habe die ganzen Tage nur geweint!“ - die vage Gestalt seiner Mutter erschien in seinem Blickfeld, als er wieder die Augen aufmachte.

"Tage?" - flüsterte er.
"Drei Tage warst Du weg, drei ganze Tage! Eine Ewigkeit!" - weinte die Mutter.
"Ein Kind... Was ist mit dem Kind?" - seine Lippen gehorchten ihm nicht.
"Nichts ist mit diesem Kind, es wird schon bald gesund, aber..." - sie brach ab.
"Aber?"
"Werde erst einmal gesund, das ist das Wichtigste jetzt! Gott sei dank, bist Du aufgewacht! Ich lasse gleich eine Kerze anzünden für die Heilige Jungfrau Maria, dass sie dich errettet hat!"
„Bin ich ihr dort begegnet? War das ihr Feuer? Und auch ihre sanfte Berührung?“ - Alois versuchte, zurück in die Welt seiner Träume zu kommen, doch der Weg blieb versperrt.

Er war hier, in seiner gewohnten Welt, die ihm ihre grausame Seite zeigte. Er wusste nicht, dass es diese Seite gibt. Er war gezwungen, seine neue Existenz zu ertragen, eine schwere Bürde aus bleiernen Tatsachen.

Das Kind hatte einige Knochenbrüche erlitten, wurde aber nicht lebensgefährlich verletzt, und das war schön. Sonst war nichts mehr schön...

Andreas war tot. Er wurde nicht verletzt. Er starb an Herzversagen infolge des schweren Schocks. Alois hat gar nicht mitbekommen, dass sein Freund seit einigen Jahren Herztabletten nehmen musste, die gegen seine Herz-Rhythmus-Störungen helfen sollten und doch nicht halfen.

Der linke Arm von Alois war gebrochen, ebenso seine linke Hand. Der Arm hatte keine Kraft mehr und die Finger gehorchten dem Geiger nicht. Alles andere an seinem Körper war in Ordnung, nur die Seele war wie eine klaffende Wunde...

Er stand an der Glaswand seiner Wohnung und schaute hinaus auf das Wasser. Er war fast gesund und er war todkrank. Er hatte Zeit und er brauchte sie nicht: was sollte er mit der Zeit anfangen, in der es keinen Andreas gab und in der keine Musik ertönte? Er versuchte seiner Geige einige Laute zu entlocken, aber die Laute waren grob und falsch. Er legte die Geige zurück in den Kasten und als er ihn schloss, dachte er, dass er das Instrument nie wieder in die Hand nehmen werde.

Er betrachtete alle die Statuetten, die Andreas so liebevoll gesammelt hat und schmiss eine gegen die Glaswand. Der kleine Drache zerschellte und seine Schuppen glänzten auf dem Teppich. Die Glaswand war offensichtlich bruchfest.

Dann stürmte er aus der Wohnung, winkte ein Taxi herbei und fuhr ins Krankenhaus, um Max Timme zu besuchen. Auf der Kinderstation war es bunt und still. Gemalte Tiere an den Wänden sahen mit ihren dunklen Farben etwas bedrohlich aus und jemand hustete und weinte, entweder weil er hustete, oder er hustete, weil er weinte. Alois wurde es unheimlich... Er machte vorsichtig die Tür ins Zimmer 7 auf: vier Betten, eines davon leer. Auf dem anderen saß ein Kind und spielte auf dem IPad, in seiner Hand steckte eine Kanüle und es war haarlos. Alois‘ Lippen begannen zu beben. Noch ein Kind schlief zusammen gerollt. Zwei dunkle große Augen starrten Alois an und eine unerwartet helle und feine Stimme sagte: „Ich weiß, wer Du bist!“
Hier lag er - dieser Max, den Alois in der schicksalhaften Nacht nur einen Augenblick gesehen hatte und lieber gar nicht gesehen hätte. Alles wegen ihm - wäre sein blinkender Flummi nicht mitten in der Nacht auf die Straße gerollt, wäre er nicht selbst hinter her gesprungen - wäre nichts passiert. Andreas wäre am Leben, sie wären jetzt in Venedig und hätten dort fürchterlich geschwitzt. Das Leben wäre in Ordnung...

„Was hast Du in der Nacht da gemacht?“ - Alois wollte eigentlich etwas ganz anderes fragen: „Wie geht es Dir?“ oder „Was brauchst Du?“
"Ich weiß, ich bin an allem schuld", - sprach Max ganz leise. „Max Timme, sechs Jahre alt, lebt zusammen mit seiner Mutter, Vater unbekannt, Mutter - studierte Philologin, arbeitslos, Hartz-IV- Empfängerin“ - erinnerte sich Alois. „Warum ist sie ohne Arbeit? Wer stellt schon solche Fragen...“ - Alois hätte die Frage gerne gestellt, doch sie wäre bestimmt unbeantwortet geblieben.
Max, ein schmales Gesicht, dunkle Löckchen, fast wie ein Mädchen. Auch seine Augen - riesig, dunkel und traurig.
"Sie wollte unbedingt nach Hause, hat sich mit diesen Leuten gezankt mitten in der Nacht, hat mich geweckt - und los! Pack dein Zeug, wir gehen! Der doofe Ball - den hab‘ ich weggeschmissen, das war alles wegen dem passiert!" - Max schaute schüchtern und bittend zu Alois hoch. - "Ich habe gehört, was die von der Polizei geredet haben - dein Freund ist da gestorben, alles wegen mir und dem Ball, und... Kannst du mir verzeihen?“ - Tränen flossen über seine Wangen, und Alois schluckte und schaute weg.
"Wann darfst du nach Hause?" - fragte er.
"Weiß ich nicht, vielleicht bald. Meine Beine tun nicht mehr weh, nur laufen kann ich noch nicht. Und was ist mit deinem Arm?"
"Gebrochen... Es wird schon, nur meine Geige kann ich nicht mehr spielen".
"Warum nicht?" - wunderte sich Max.
"Meine Finger wollen nicht mehr, sie sind krank geworden".
"Darf ich deine Geige einmal sehen? Ich habe noch nie eine gesehen!" - Max wurde wieder etwas fröhlicher und Neugier zeigte sich auf seinem Gesicht.

"Sie... Was machen Sie denn hier?" - die Tür flog auf und eine hoch gewachsene und magere Frau trat ein. - "Was für eine Frechheit, hier zu erscheinen, nach allem, was Sie meinem Kind angetan haben! Das arme Kind kann nicht schlafen und weint Tag und Nacht - sehen Sie, jetzt heult er schon wieder! Maxi, ich bin bei Dir! Der böse Onkel geht gleich und kommt nie wieder!" - Frau Timme umarmte Max und schon wieder sah Alois: eine Frauengestalt, kniend, hält jemanden auf ihren Armen - die Nacht, immer wieder diese Nacht!
"Ich bin nur vorbei kommen um zu fragen, wie es Max geht!" - meinte Alois und spürte, dass er bleiben wollte. Spürte, dass er an diesem fremden Leben teil haben wollte, weil dieses Leben sein Leben zerstört hat, weil diese zwei Menschen sich in sein Leben auf eine unverschämte und tragische Weise eingemischt haben. Warum soll er jetzt gehen?
"Es geht ihm schlecht, ganz schlecht!" - Frau Timme hielt immer noch Max‘ Kopf in ihren Armen; Alois sah, dass der Junge versuchte sich zu befreien, wurde aber fest gehalten. Es erinnerte Alois an seine Mutter und er dachte, er müsste vielleicht zu ihr umziehen, aufs Land. Dachte - und verwarf diesen Gedanken...
"Was kann ich für Sie und für Max tun?" - fragte er vorsichtig.
"Ja, was denn? Nichts, Sie haben schon alles getan!" - Max‘ Mutter sah plötzlich wie ein Luftballon, aus dem die Luft entweicht. - "Ist egal... Es wird schon..."
Alois bückte sich zu der Frau: „Vielleicht brauchen Sie Geld, damit Sie und Max einen schönen Urlaub machen können, später, wenn er wieder laufen kann? Ich kann gerne helfen, das wäre gar kein Problem!“
"Geld? Ja... Wer braucht es nicht... "- Frau Timme schien nicht sonderlich interessiert zu sein, sie sah erschöpft aus. - Ich werde darüber nachdenken, später...

Alois kam am nächsten Tag wieder und hoffte, er werde Frau Timme nicht treffen, und er traf sie nicht. Er brachte seine Geige mit, Max führte vorsichtig die Finger über die Saiten und zuckte zusammen, als ein Ton erklang. Alois sagte ihm nicht, dass die Geige Hunderttausende Euros wert war und es war ihm auch nicht wichtig... Aber ein Lächeln auf dem Gesicht dieses Jungen als er dem verklingenden, verschwindenden „A-Ton“ nachsann - das hatte für Alois eine Bedeutung. Das ließ einen Gedanken in ihm entstehen, den er nie herbei gerufen hatte. Und doch war der Gedanke da, schon fertig geformt und bereit, zu Wort zu werden.
"Willst Du, dass ich Dir Unterricht gebe? Ich meine, ich bringe Dir bei, wie man Geige spielt," - fragte er.
"Aber Du kannst doch nicht mehr spielen, hast Du doch selbst gesagt!" - erwiderte Max. - "Ich weiß, das ist alles meine Schuld!"
„Wie oft redet er von der Schuld!“ - wunderte sich Alois. - „Von wem hat er das?“
"Ich weiß aber, wie man spielt und ich kann Dir alles zeigen! Ich war einst sehr berühmt und habe viele Konzerte gegeben," - Alois dachte erbittert, dass er von sich selbst in der Vergangenheit redet, er sei vergangen, Asche, nur ein Häufchen Asche, verbrannt... Alles vergangen - und doch: es geht weiter. Es kann weiter gehen, wenn das Kind „Ja!“ sagt.
"Wie gibt man Konzerte?" - fragte Max. - "Und überhaupt - Du kannst mir gerne Unterricht geben, ich gehe sowieso erst im nächsten Jahr in die Schule, ich habe ja Zeit!"
"Versuchst Du schon etwas zu laufen?"
"Ne-e, das darf ich noch lange nicht, aber Geige spielen darf ich bestimmt - komm, zeig‘s mir!"
"Ich muss noch Deine Mutter fragen, ob ich es darf."
"Musst Du nicht, sie kommt heute gar nicht, und morgen auch nicht. Sie sitzt zu Hause und guckt aus dem Fenster. Und denkt, dass alles schwarz ist. Wenn es wieder heller wird, dann kommt sie!"
"Ist Deine Mutter depressiv?" - wunderte sich Alois.
"Ist sie - was?" - wunderte sich Max.
"Ist sie oft so - dass sie alles in schwarz sieht?"
"Oft? Manchmal! Manchmal ist sie aber ganz lustig! Lass uns lieber Geige machen!" - und Max griff nach dem Instrument, wobei die Geige ihm fast entglitten wäre. Doch er hielt sie fest, ganz fest.

Im Krankenhaus war doch kein Unterricht möglich, aber Alois erzählte Max, wie die Saiten heißen, nämlich wie lustige Tiere - eine dicke Gans, ein munterer Dackel, ein kluger Affe und ein Esel mit der hohen Stimme. Max hat gelacht.

Frau Timme hat Alois nur selten gesehen - anscheinend mied sie ihn, warum auch immer. Das Thema Geld kam nicht mehr vor, Alois wusste auch nicht, ob er es nochmals ansprechen sollte und entschied sich dagegen.

Als Max entlassen wurde, musste Alois doch Frau Timme abpassen, um sie zu fragen, wie und und wann der Unterricht am liebsten statt finden sollte, doch sie war abweisend und zuckte nur mit den Schultern: „Eigentlich brauchen wir Ihren Unterricht nicht, doch mir ist es egal, machen sie es, wie Sie wollen...“
Und er machte es: ließ Max von zuhause mit dem Taxi abholen, denn Alois traute sich seit dem Unfall noch nicht ans Lenkrad, obwohl die Ärzte es ihm schon erlaubt haben, und wartete ungeduldig und etwas aufgeregt auf seinen Schüler.
"Wow, hast du aber eine coole Bude! "- sagte Max und lief sofort zur Glaswand und blieb dort stehen und schaute auf die unruhige und graue Wasseroberfläche. - "Hier will ich üben!" - sprach er entschieden, und die Stunde ging los.
"Ist das dein Freund, der gestorben ist?" - fragte Max danach und zeigte auf das Ölgemälde, das Andreas in voller Größe zeigte. Alois gefiel das Bild nicht und er fand es protzig, Andreas gab nach und so war das Bild im Abstellraum gelandet. Nach dem Unfall holte Alois es heraus und sprach manchmal mit ihm.
"Ja, das ist er..."
"Hast du auch eine Freundin?" - fragte der Junge.
"Nein, aber ich habe eine Mutter, wie du auch".
"Und wo ist sie?"
"Sie lebt nicht auf dem Land, sie mag keine Städte", - antwortete Alois.
"Komisch, ich finde Hamburg toll", - wunderte sich Max. Damit war das Thema beendet.

Anfangs ging der Unterricht ziemlich zäh, Alois fragte sich, ob es eine so gute Idee war, dem Jungen das Geigen bei zu bringen, vielleicht hatte er keinerlei Begabung. Dann erinnerte er sich an seine frühen Geigenstunden und dachte: „Wenn meine Mutter damals mich nicht hin geschleppt hätte, wäre aus mir auch nichts geworden. Doch was heißt nichts? Ich wäre bloß ein anderer Mensch, ein anderes Ich, ob ich besser oder schlechter wäre - wer weiß... Doch ich bin froh, dass ich so bin, wie ich bin - und dass ich hier und jetzt bin. Und dass ich diesen Unterricht gebe!“
Er gab Unterricht, zuerst einmal in der Woche, dann zweimal, dann dreimal. Alois fand auch andere Schüler, obwohl er keine Geldsorgen hatte. Mit keinem fühlte er sich aber wohler als mit Max. Max war ruhig und zurückhaltend wie es selbst und dazu noch ausserordentlich arbeitsfähig und fleißig. Vermutlich übte er stundenlang, und das wohl ohne den Druck vonseiten seiner Mutter. Seine Hausaufgaben waren immer bestens gemacht.
Bald merkte Alois, dass Max oft hungrig zu ihm kam.
„Mama hat vergessen einzukaufen, und wo sie das Geld hat - das sagt sie nicht!“
Alois kochte schon immer gerne, doch seit Andreas‘ Tod gab es niemanden, für den er es tun konnte - jetzt bereitete er jedes Mal fantasievolle Mahlzeiten, erfand neue Gerichte - und Max aß alles mit gleichem Appetit, vermutlich war ihm nicht die Qualität, sondern die Quantität am wichtigsten.

Einmal kam die Mutter von Alois zu Besuch, sie hatte einen breitkrempigen Hund und an jedem Finger einen Ring mit funkelnden Steinen - Max starrte sie an und wurde langsam rot. Er war kein kleiner Junge mehr, sondern schon zehn und ihm war sein Verhalten etwas peinlich, doch er hatte solch eine Dame noch nie gesehen. Die Dame nahm Max‘ Verwunderung als etwas Selbstverständliches an und wunderte sich ihrerseits nicht wenig, als sie sein Geigenspiel hörte.
"In seinem Alter hast Du nicht so toll gespielt", - meinte sie zu Alois, der nur schmunzelte.

Sie wollte Max in einen Zoo mit nehmen und telefonierte mit seiner Mutter:
"Sie ist ja seltsam. Zuerst meint sie, ich soll ihren Sohn sofort nach Hause schicken und als ich ihr gesagt habe, sie kann doch ja auch mit kommen in den Zoo, ist ein so guter alter berühmter Zoo, und so lernen wir uns kennen und quasseln ein bisschen .... Na, dann sagt sie gleich, nein, sie habe keine Zeit, aber Max darf mit und dann sagt sie, sie will schlafen. Jetzt schlafen? Was ist es für eine Frau, Alois, kennst du sie überhaupt?" - Alois‘ Mutter war sichtlich verwirrt.
"Nein, oder ja, ich kenne sie, aber ich sehe sie so gut wie nie".
"Na ja, diese Frau würde ich auch nicht gerne sehen", - flüsterte die alte Dame laut, denn Max kam herein.

"Schau, ich habe einen Diamanten gefunden!" - schrie Max, als er aus dem Zoo zurück war. Er stürmte in die Wohnung, lief zu Alois und hielt einen kleinen Stein in der offenen Hand, dessen Facetten nach allen Regenbogenfarben funkelten.
"Das ist doch kein Diamant, das ist nur ein Strass, er sieht aber hübsch aus", - meinte Alois.
"Ein - was?"
"Ein Strass, eine Imitation von einem Diamanten."
"Eine - was? Na ja, klar, ist nicht echt, schade...", - in den Augen von Max standen Tränen.
"Warum nicht echt?" - fragte Alois‘ Mutter und zwinkerte Alois zu. - "Ich glaube, er ist ganz schön echt. - Gib mal her!" - Sie betrachtete den Stein mit einem Kenner-Blick. - "Der ist echt! Weiß Du - ich gehe morgen zum Juwelier und lasse Dir einen Anhänger mit diesem Stein machen und du wirst ihn an einer Kette tragen und dich an uns erinnern, auch wenn wir nicht da sind".
Max schaute sie mit großen Augen an, er war so begeistert, dass er nicht ein Wort sprechen konnte.

In drei Tagen bekam er tatsächlich eine Kette mit einem winzigen Anhänger, in dem ein Diamant glänzte - dieses Mal ein echter Edelstein, rein, wie eine Kinderseele.
Den kleinen Strass aber hat Alois bemerkt, als seine Mutter ihren Geldbeutel aufmachte, um etwas zu bezahlen...

Es war eine kalte und windige Winternacht und Alois konnte nicht schlafen, er wälzte sich im Bett, seine Hand tat weh, wie oft bei einem Wetterumschwung. Er ging zu seinem Lieblingsplatz an der Glaswand, doch im Dunkeln konnte er das Wasser nicht sehen. Plötzlich läutete die Türsprechanlage, ein und dann gleich noch einmal. Alois dachte, vielleicht ein Betrunkener, oder eine Störung, doch als es das dritte Mal schellte, ging er doch ran und hörte eine bekannte Stimme: „Mach bitte auf, Alois, es ist so kalt hier!“
Max hatte einen Pyjama an und gar keine Jacke, er zitterte, er war durcheinander und konnte zuerst kein Wort sagen. Alois machte ihm einen Kakao und gab ihm seinen wärmsten Pullover. Sie saßen in der Küche und schwiegen, draußen stürmte es jetzt richtig und irgendwo hörten sie Glas zerbrechen.
Max fuhr zusammen. „Sie kommt nicht hierher, stimmt‘s?“
"Wer?" - Alois verstand zuerst nicht.
"Na, sie doch, meine Mutter!"
"Habt ihr gestritten?"
"Sie hat - das gemacht", - Max krempelte einen Ärmel hoch und zeigte einen großen blauen Fleck auf seinem Oberarm. Und hier - er zog das Pyjama-Jäckchen bis zur Brust. Auf seinem Bauch waren mehrere blaue Flecken zu sehen, die in einander verschwammen.
"O Gott, warum?"- fragte Alois und umarmte den Jungen. So verweilten sie lange und rührten sich nicht, Max schluchzte und sagte: „Ich habe keine Ahnung, warum sie so wütend war, ich wollte nur schlafen und ich wollte mich nicht duschen, und mich vor ihr ausziehen, und...ich weiß es einfach nicht...“ - und dann heulte er los. Alois trug ihn ins Wohnzimmer und wunderte sich, wie leicht sich sein Körper anfühlte. Er saß bei ihm, bis das Kind eingeschlafen war - und dann legte er sich hin, doch es kam zu ihm kein Schlaf in dieser Nacht. Aber es kam jemand, Der ihn liebte und sagte: „Beschützte den Diamanten“. Und verschwand.

"Wir müssen zurück, zu deiner Mutter", - meinte Alois am nächsten Morgen.
"Ich will nicht zurück".
"Doch, ich kann dich nicht einfach so hier behalten".
"Ich will nicht zu ihr, ich habe Angst".

Doch sie fuhren zurück - und sie wartete vor dem schäbigen Hochhaus, als ob wie wusste, wann sie kommen. Oder stand sie die ganze Nacht hier? Ihre Augen strahlten Hass aus:
"Na endlich bis du da, du sollst sofort nach Hause kommen!" - sie redete Max an und schien Alois nicht zu bemerken. -"Komm, wir gehen heim!" - sie griff den Jungen am Arm, er versuchte sich zu befreien, doch sie war zu stark.
"Max ist zu mir gekommen, weil sie ihn geschlagen haben, ich werde das Jugendamt informieren müssen", - sagte Alois und wusste nicht, ob ihm jemand in ihm diesem eigentlich unbekannten Amt zuhören würde.
"Sie lassen ab sofort meinen Sohn in Ruhe, sonst werde ich anzeigen", - jetzt schrie Max‘ Mutter regelrecht.
"Ich... Ich habe Max nichts getan, ich..." - Plötzlich war es Alois, der sich rechtfertigen musste.
"Sie? Sie haben ihm wohl etwas getan! Sie, Schwuler, Sie wollen ihn auch zu solch einem machen - und jetzt läuft er schon nachts zu Ihnen - ich weiß nicht, was sie beide da gemacht haben, als angeblich „gegeigt“ wurde - ab jetzt ist Schluss mit Geigen und ich verbiete Ihnen jeden Kontakt zu meinem Sohn!"

Ein Mann, der in dieser Morgenstunde seinen Hund Gassi führte, blieb stehen und hörte interessiert zu.
"Mama, lass mich! Alois hat mir nichts angetan, er ist ein Freund, lass doch meinen Arm los!" - Max schaffte es nicht, sich zu befreien. Seine Mutter zerrte ihn ins Haus und Alois dachte: „Asche, es ist nur Asche geblieben“.
„Schwuler“ - zischte die Frau wieder und verschwand hinter der Glastür und knallte sie hinter sich zu. Das Letzte, was Alois sah, waren die Augen des Kindes, weit aufgerissen, voll Leid und Tränen.

Alois blieb eine Weile stehen, dann ging er zurück zu seinem Auto, fuhr mit der Hand über die Motorhaube, warm, silbrig glänzend. Zwei Jugendliche verlangsamten ihren Schritt, schielten zum teuren Auto. Alois stieg ein und startete den Motor und wusste nicht, wohin er fahren sollte. Nur nicht nach Hause, er würde das Alleinsein nicht aushalten. Nun, dann war die Entscheidung gefallen: es musste seine Mutter sehen, vielleicht hatte sie einen guten Rat für ihn. Ein weiter Weg, doch heute Nachmittag würde er da sein. Und er fuhr los, aus der Stadt, über die Autobahne, dann - über schattige Alleen, durch einen Eichenwald...

Sein Smartphone klingelte und die Nummer war unbekannt. „Alois, wo bist du, komm schnell, ich bin von zuhause ausgerissen, ich habe ihr Handy geklaut und ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Sie sucht mich bestimmt, sie hat die Polizei gerufen, ich habe Angst! Nach Hause gehe ich nicht, nie wieder, egal, was du sagst, aber ich gehe nicht! Hilf mir!“

Noch nie ist Alois so gerast, noch nie hat er so viel Spaß an über 500 PS, die in seinem Auto steckten. Er hielt Max in seinen Armen und sagte ihm: „Ich werde dich immer beschützen und egal, was kommen mag, werde ich mit dir sein!“

***
Der Anwalt blickte die beiden skeptisch an: „Nun, wie ich hörte, wollen Sie diesen Jungen adoptieren oder in irgendeiner Form ihn in Ihre Obhut nehmen. Hm, so einfach ist es nicht...“
- Es ist einfach! - sagte Max, - Er muss mich nicht adoptieren, denn er ist schon längst - mein Vater.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2012

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