Cover


Siehst du den Stern dort? - fragte die Mutter.
Meinst du den Großen Gelben? - Lotte zeigte mit dem Finger.
Nein, den daneben, den Kleinen Blauen,... - sprach die Mutter.
Und was ist mit ihm, Mama?
Das ist ein Katzenstern, dort leben ganz viele Katzen, große und kleine, weiße und schwarze und natürlich auch alle anderen...
Da würde ich gerne hin reisen, ich mag Katzen so gerne! Aber auf einem Stern kann man doch nicht leben, da verbrennt man ja! - sagte Lotte nachdenklich und fügte hinzu: - Noah schreit schon wieder, geh du zu ihm und ich schlafe jetzt! Gute Nacht, Mama!

***
Lotte legte sich ins Bett und schaute aus dem Fenster, hoch zum Himmel, dorthin, wo der Katzenstern funkelte. Lotte liebte Katzen und träumte von einem Kätzchen, doch wenn man einen Baby-Bruder hat und einen viel beschäftigen Papa und dazu noch eine gestresste Mutter - dann ist kein Platz im Haus für eine Katze. Für einen Hund auch nicht. Kaninchen wollte Lotte so wie so nie haben.

Und wenn es wirklich einen Ort irgendwo im weiten Universum gibt, wo nur Katzen leben? Das wäre ja toll! Wenn ich nur dorthin fliege könnte und dort Katzen ohne Ende streicheln! Alle Katzen hätten so toll geschnurrt, und ein kleines Kätzchen hätte ich gerne mit genommen. Kann sein, dass Mama es mir doch erlaubt hätte, es zu behalten...

Lotte drehte sich zur Wand, zog die Decke über dem Kopf und wollte bereits einschlafen - aber gerade in diesem Augenblick schien es ihr, als ob sie ein leises Miauen hörte. Ein ganz leises und ein ganz trauriges. Das war eher ein Weinen als ein Miauen.
Lotte wartete ab, doch es kam kein Ton mehr, nur die Bäume rauschten im Wind und dann trommelten schon die ersten Regen-Tropfen auf das Dach. Beim Regen schlief Lotte besonders gut und so segelte sie in das Land der Träume und im Traum sah sie eine weiße Katze, und die Katze hatte weiches langes Fell und in ihrem Ohr glänzte ein kleiner goldener Ohrring. Dadurch sah diese weiße Katze etwas nach einem Piraten aus. Das war so lustig, dass Lotte im Schlaf lachte. Als sie aber der Katze in die Augen sah, erblickte sie Tränen, die größer waren, als die smaragd-grünen Augen der schönen Katze.
Was ist mit dir los? - rief Lotte - und wachte auf. Die Sonne schien und auf jedem Blatt funkelten Tropfen in allen Regenbogen-Farben, es war frisch und leicht nach dem Sommer-Regen. Lotte machte das Fenster auf und atmete die Morgenluft ein. Ihre Mutter kam fröstelnd aus dem Schlafzimmer und sagte, Noah habe wieder nicht durch geschlafen und sie sei jetzt tod-müde. Lotte machte ihre Milch warm, tat Flocken dazu und schon radelte sie zur Schule.

Am Nachmittag hatte sie Hausaufgaben zu erledigen, danach war noch eine Tennis-Stunde und noch sollte sie Querflöte üben. Die Mutter war mit Noah spazieren, danach musste sie noch kochen, danach die Wäsche auf hängen und danach noch zum Arzt, weil eine regelmäßige Untersuchung dran war. Papa kam heim, als Lotte schon im Bett war.

Lotte schlief ein, aber mitten in der Nacht wachte sie mit einem Ruck wieder auf. Draußen war es windstill, und in dieser Stille hörte sie ganz deutlich ein Miauen. Es kam eindeutig aus dem Garten der alten Nachbarin. Diese Frau mit wuscheligem Haar und einer Sonnen-Brille, die sie bei jedem Wetter trug, war finster und unfreundlich. Lottes Eltern haben sich immer wieder gefragt, warum Frau Xenov nie grüßt und sich immer abwendet, wann man sie anspricht. Doch es war so und anscheinend war es nicht zu ändern.

Jetzt hörte Lotte im Nachbarhaus eine Katze miauen, obwohl Frau Xenov keine Haustiere hatte. Lotte hat schon mal gesehen, wie diese Frau nach einer Katze, die sich durch ihren Garten schlich, einen Stein warf.
Lotte konnte nicht mehr einschlafen und stiegt aus ihrem Bett, drückte ihr Gesicht ans Fenster, doch es war kaum etwas zu sehen: nur die vagen Umrisse des Nachbarhauses, in dem alle Fenster dunkel waren. Plötzlich schien es Lotte, dass im Keller-Fenster etwas gelb funkelte - und schon wieder hörte sie eine Katzen-Stimme. Lotte machte ihr Fenster auf, stieg auf die Fensterbank und hüpfte so wie sie war - in der Pyjama - auf den Rasen. Bis zum Nachbarhaus waren es nur einige Meter, doch entlang der Grundstücksgrenze lief ein Gitter-Zaun. Unentschlossen stand Lotte davon, ihre Füße waren schon feucht und froren. Hoffentlich merkt Mama es nicht, dass Lotte mit dreckigen Füßen im Bett war! Die Luft war lauwarm, die Sterne verschwanden immer wieder hinter einer leichten Wolke und kamen dann erfrischt wieder zum Schein.

Hast du keine Leiter? - hörte Lotte plötzlich jemanden flüstern. - Und überhaupt, kannst Du bitte etwas schneller kommen, ich miaue hier schon seit Stunden, mein liebes Kind!
Lotte fuhr vor Schreck zusammen und schaute umher, erst auf den zweiten Blick entdeckte sie im Keller-Fenster einen weißen Fleck.
Wer bist du? - fragte sie mit bebender Stimme.
Nicht so laut! Du weckst die halbe Welt mit deinem Geschrei! - zischte die Stimme. - Hol doch gleich eine Leiter aus dem Schuppen und steige herüber. Mach schnell!

Lotte gehorchte. Um den Schuppenschlüssel zu holen, musste sie zurück in ihr Haus, in die Diele, dann wieder nach draußen. Und schon lehnte sie eine Leiter an den Zaun, und schon hockte sie vor dem kleinen vergittertem Fenster. Wer sprach denn mit ihr vorhin? Sie sah eine weiße Katze hinterm Glas, eine richtig große Katze, solche hat Lotte noch nie gesehen. Die Katze hatte wunderliche grüne Augen und in ihrem Ohr glänzte ein goldener Ohrring. Nein, das kann doch nicht wahr sein! Von genau so einer Katze hat sie doch letzte Nacht geträumt!

Hör zu, Kind, und unterbreche mich bitte nicht und sei leise! Bitte! - als die Katze angefangen hat zu sprechen, verlor Lotte ihr Gleichgewicht und landete mit dem Po im Gras - „Na toll, jetzt ist auch meine Pyjama voll besudelt!“ - dachte sie, sagte aber kein Wort.
Also, ich versuche mich kurz zu fassen: ich bin der Berühmte Tapfere Unbesiegbare Captain Kitty! - Die Katze wartete offensichtlich auf eine Reaktion, deswegen flüsterte Lotte höflich:
Schön, dich kennen zu lernen, Captain Kitty. Ich heiße Lotte. Du bist eine sehr schöne Katze!
Ich? Eine Katze? Ich bin doch ein Kater, mein Kind! Sag bloß nicht, dass du noch nie von mir gehört hast! - sprach Captain Kitty etwas unzufrieden.
Ich sage es nicht, aber es ist leider so, - antwortete Lotte.
Oh, diese Menschen, sie wissen ganz und gar nichts, - die Stimme von Captain Kitty klang bitter. Dann setzt er fort:
Wenn wir mehr Zeit haben, dann erzähle ich dir ausführlich über mich und über meinen herrlichen Planeten Fellinias. Ja, ich bin der Katzen-Herrscher vom Katzenplaneten Fellinias. Mein schöner Planet liegt ungefähr dort - der Kater zeigte mit seiner Pfote in den Himmel.
Was, dann gibt es ihn also doch, den Katzenstern? - Lotte rief diese Worte unvorsichtig laut hervor, und im Haus von Frau Xenov entstand eine Bewegung, ein Licht ging an, ein Fenster wurde aufgemacht.
Flieh sofort - und komm morgen wieder! Bitte! - rief Captain Kitty, und Lotte floh. So schnell ist sie noch nie gelaufen, auch beim Volkslauf nicht. Zügig über den Zaun, die Leiter im Busch verstecken und ins Bett. Schlafen konnte sie nicht, am nächsten Tag war sie in der Schule unaufmerksam und hat sicher viele Fehler beim Diktat gemacht. Lottes Mutter schimpfte wegen der schlechten Noten immer, daher war es Lotte mulmig zumute, als sie nach Hause kam.
Zum ersten Mal freute sie sich, dass die Mutter kaum Zeit für sie hatte: Noah bekam seinen ersten Zahn und sabberte und weinte ununterbrochen. Lotte dachte an den Captain Kitty und wunderte sich, was der brave Captain im Keller der Nachbarin mache.

***

Als es endlich mal dunkel wurde, stieg Lotte durch das Fenster in den Garten, blitz-schnell über den Zaun - und schon hockte sie wie gestern vor dem dunklen Keller-Fenster. Captain Kitty sprang auf die Fensterbank und flüsterte: „Hör zu, Kind, diese Deine Nachbarin ist keine andere als eine der Hexen von Mergent, und zwar eine der mächtigsten. Sie hat mich überlistet und auf die Erde entführt. Ohne mein Welt-Raum-Boot kann ich nie zurück kehren, es sei denn, ich erfahre den geheimen Spruch, der im Hexen-Buch steht! Und ohne mich geht meine Fellinias zugrunde! Hilfst du mir?“ - der weiße Kater schaute Lotte so flehend und so süß an, dass nur nur eifrig nicken konnte.
Dann tue Folgendes: geh in das Schlafzimmer der Hexe, hole ihr Zauberbuch - du wirst es gleich finden, da sie keine anderen Bücher besitzt - und suche einen Rückkehr-Spruch. Den Spruch lerne auswendig und sage mir vor Wort für Wort, doch vergiss nicht, die Luft zwischen den Wörtern zu holen, sonst wird der Spruch auch dich betreffen.
Leichter gesagt als getan, - meinte Lotte. - Den Spruch kann ich jedenfalls abschreiben und dir ans Fenster halten.
Das wird nicht klappen, - seufzte der Captain Kitty, - denn Lesen und Schreiben - das können wir Katzen von Fellinias nicht. Und wir haben es auch nicht nötig! - fügte es verächtlich hinzu.
„Jetzt hättest du es doch gebraucht,“ - dachte Lotte.
Noch eins, bevor du gehst: die Hexen schlafen nie, also findest du im Schlafzimmer kein Bett, dafür aber einen großen Ohrensessel - und das Buch. Warte nur ab, wenn die alte Hexe einkaufen fährt - sie holt ja ihre Lebensmittel in einem geheimen Hexen-Laden in der Kreisstadt, denn sie isst keine gewöhnlichen Lebensmittel. Wenn sie mit ihrem roten Wagen weg fährt - dann geh direkt ins Schlafzimmer! Frage nicht, wie du ins Haus kommst - nichts ist einfacher als das, sprich nur: „Öffnet euch, Türen, öffnet euch breit, Lotte will kommen, sie ist schon soweit!“
Man darf doch nicht in ein fremdes Haus einbrechen... - sprach Lotte schüchtern.
Was meinst du hier mit „einbrechen“! Was du machst, ist kein Einbruch, sondern eine Rettungs-Mission! - der weiße Kater funkelte sie mit seinen smaragd-grünen Augen an.
Schon Okay, ich tue es. Ich werde es versuchen... - sagte Lotte verhalten, - doch jetzt gehe ich lieber.

Erst gegen morgen schlief Lotte ein und freute sich, dass es Samstag war und sie ausschlafen durfte. Ihre Mutter ließ sie gerne in Ruhe, und als Lotte aufwachte, strahle die Sonne direkt auf ihr Gesicht und es war heiß im Zimmer. Lotte streckte sich, machte ihre Augen auf - und erinnerte sich auf einmal an ihre „Rettungs-Mission“: Sie muss ja das Haus der bösen Hexe scharf beobachten und vielleicht heute noch dort eindringen. „Vielleicht mache ich es doch lieber nicht!“ - sagte sie zu sich selbst. - „Aber das passiert mit dem Captain Kitty?“ - dachte sie weiter. - „Vermutlich war es doch nur ein Traum!“ - wollte sie sich beruhigen und da bemerkte sie zwei smaragd-grüne Augen hinter dem staubigen kleinen Fenster und wusste sofort - sie wird es tun. Weil sie es tun muss. Weil man Freunde nicht im Stich lässt. Weil - weil es nicht anders geht!

Ihre Mutter machte vorsichtig die Tür auf und lächelte, als sie Lotte wach sah. „Komm, es gibt Frühstück!“ Lotte ließ sich nicht wie sonst lange überreden. Noah lachte als sie in die Küche kam, Papa war leider nicht da, denn das große Kaufhaus, wo es arbeitete, auch samstags auf hatte.

- Na, schau mal, diese Frau Xenov hat wohl ein neues Auto gekauft, wo hat sie nur ihr Geld her? - sprach die Mutter und bemerkte nicht, wie Lotte zusammen fuhr.
- Fährt...fährt sie gerade weg? - fragte sie.
- Ja, rast unsere Straße herunter, als ob es eine Autobahn ist. Da sieht man gleich, was für eine unfreundliche Dame es ist! - regte sich die Mutter auf.
Lotte konnte jetzt kaum ein Bissen essen und es kam ihr sehr gelegen, als ihre Mutter mit Noah zu einer Freundin fahren wollte. „Nein, ich bleibe lieber daheim!“ - meinte Lotte und schon sah sie den kleinen Wagen ihrer Mutter hinter der Kurve verschwinden.

Lottes Herz hämmerte so laut, dass sie dachte, es hören alle in der Umgebung. Sie stieg über den Zaun, jetzt, bei Tag, hatte sie mehr Angst, entdeckt zu werden. Das Gras im Hexen-Garten wuchs hoch, auch Brennnesseln waren dazwischen und Lottes nackte Beine brannten. Aber die hohen Stockrosen , die an der Hauswand Wache standen, waren so schön, dass sie ihren Schmerz beinahe vergass. Und es war so herrlich wohlig warm, dass sie ihre Angst auch fast vergass. Captain Kitty saß auf der Fensterbank und zwinkerte ihr zu.
Sie ging durch die Terrasse zur Hintertür und sprach „Öffnet euch, Türen, öffnet euch breit, Lotte will kommen, sie ist schon soweit!“. Es wurde ihr wieder ängstlich, als sich die Terrassen-Tür mit einem leisen Knarren tatsächlich öffnete und es aus dem Haus nach unbekannten Kräutern und nach Duftölen roch - das war ein angenehmer, doch sehr intensiver und fremder Geruch, der Lotte kurz betäubte. Doch sie machte einen Schritt über die Schwelle und war in einem Wohnzimmer gelandet, das mit schweren alten Möbeln voll gestellt war. Das Zimmer war groß, seltsam groß, mit einem spitzen Glas-Dach, durch das Sterne und Mond zu sehen waren, nein, zwei Monde. „Wie kann es sein? Jetzt ist doch Tag? Und wo kommen diese zwei Monde her? Und überhaupt: das Haus hat doch ein flaches Dach ohne Fenster!“ - Lotte zitterte und sie wollte schon weg laufen, doch irgendwo aus dem Haus-Inneren hörte sie feine Katzenstimme: „Lotte, schau nicht hoch, schau direkt vor dir, dann passiert dir nichts. Siehst du diese Tür? Das ist das Schlafzimmer!“
Captain Kitty, wo bist du? - fragte Lotte.
Ich sehe dich, doch du siehst mich nicht, denk nicht an mich, denk lieber nicht - geh nur!
Und Lotte ging: Sie starrte die schwere schwarze Holztür mit Schnitzereien an: Bäume und Sonnen, Berge und Tiere, alles so lebendig, als ob es sich gleich bewegt. Und da bewegt schon ein Hirsch seinen Kopf mit dem prächtigen Geweih. Lotte schloss die Augen ganz fest, riss die Tür auf und ging ins Zimmer.

Das Schlafzimmer des Hexe war überraschend gewöhnlich: ein Ohrensessel mit verschlissenem Bezug war sein einziger Schmuck. Sonst war eigentlich gar nichts in diesem kahlen Raum mit weißen Wänden. Auch kein Buch.

Lotte stand verloren und wusste nicht weiter, doch dann hörte sie wieder Captain Kitty sprechen: „Das Buch musst du erst rufen. Sag: „Komm, du Zauberbuch, diene mir, zeig, was ich befehle dir!“
Lotte sprach diese Worte - und schon hielt sie ein dünnes Heftchen in ihren Händen. „Ist das ein Zauberbuch?“ - wunderte sie sich, doch niemand gab ihr eine Antwort.
Sie begann das Buch durch zu blättern und sah Kochrezepte und Tagebuch-Notizen, Einkaufszettel zwischen den Blättern geschoben - aber nichts, was nach einem Spruch aussah. Sie fing an sich zu ärgern und schimpfte: „Dummes Buch, zeig mir doch den Spruch, wie Captain Kitty nach hause kommt!“ Und da fing das Buch an sich zu verwandeln: es wurde dicker und bekam ein festes Einband, das mit bunten Edelsteinen geschmückt war. Jetzt sah es eher nach einem Zauberbuch auf, doch wo blieb denn der Spruch? Lotte öffnete das Buch, der Deckel war schwer als ob er aus Stein gemeißelt wurde, die Seiten waren dicht mit einer kleinen Schrift beschrieben! Wie findet man hier den nötigen Spruch? Lotte blätterte Seite für Seite, die Seiten ließen sich kaum heben, es schien, als ob sie sich sperren als ob sie von Fremden nicht gelesen werden wollte.
Draußen wurde es auf einmal windig und die roten und gelben Stockrosen klopften ans Fenster. „Schnell, schnell!“ - rief Captains Kitty Stimme. Lotte blätterte weiter - und da sah sie es: schwarz auf weiß stand es: „Spruch für die Rückkehr nach Hause, von überall nach überall, bitte in die Lücken die Ortsnamen einfügen! - „Wir wollen nun reisen, wir brechen jetzt auf, von ... nach ... führt unser Weg, nichts soll uns stören, nichts aufhalten, wir fahren und fliegen und rennen und kriechen, wir werden es schaffen, viel Glück!“
„Das ist aber ein langer Spruch, wie soll ich ihn nur lernen?“ - dachte Lotte entgeistert. Jetzt bereute sie es, nichts zum Schreiben mit genommen zu haben und so las sie den Spruch Wort für Wort und versuchte jedes Wort sich zu merken.

Draußen stürmte es jetzt, ein gewaltiges Gewitter zog auf. Es donnerte und blitzte, und durch den Sturm hörte Lotte Captain Kitty schreien: „Die Hexe kommt! Es ist zu spät, diese Blumen haben Alarm geschlagen!“
„Was? Welche Blumen? Wieso Alarm?“ - doch Lotte hatte keine Zeit mehr, sich richtig zu wundern. Und auch keine Zeit mehr, den Spruch zu lernen. Ihre Entscheidung fiel schnell: „Kannst du mich hören, mein Captain?“ - rief sie.
Ja, - kam die Antwort.
Dann höre und sprich mir nach: Wir wollen nun reisen, wir brechen jetzt auf, von der Erde nach Fellinias führt unser Weg, nichts soll uns stören, nichts aufhalten, wir fahren und fliegen und rennen und kriechen, wir werden es schaffen, viel Glück!“ Lotte brüllte laut, damit der weiße Kater sie hört. Seine Warnung, dass sie zwischen der Wörtern Luft holen soll, vergass sie völlig. Sie hörte schon die Hexe ächzend durch das große Wohnzimmer laufen, und als Lotte das letzte Wort gesprochen hatte, flog die Holztür auf und an der Schwelle erschien Frau Xenov mit einem roten vor Wut Gesicht und, o Schreck, mit einer krummen und langen Hexen-Nase.

***
„A-a-a!“ - schrie Lotte und ihr Schrei vermischte sich mit dem Wind-Sausen draußen, und mit dem Katzen-Miauen und mit Hunderten anderer Töne, deren Herkunft sie nicht erklären konnte, und plötzlich flog Captain Kitty an ihr vorbei und drehte sich wie in einem Strudel, und seine Augen waren geschlossen. Lotte hielt sich an seinem Schwanz fest und wunderte sich, dass der Kater so groß wurde. Er war schon vorher ein ziemlich großes Tier, doch jetzt war er größer als sie. Lotte zog sich langsam am Schwanz hoch zum Rücken des Katers und schon ritt sie auf einer Katze und dieses Gefühl war atemberaubend. Sie flogen an Sternen vorbei, an grünen, blauen und braunen Planeten. Von einigen Planeten wehte es mit eisiger Kälte, von anderen - mit glühender Hitze, aber von grünen und blauen Planeten kam Frische. Von diesen Planeten stiegen riesige Raumschiffe hoch und verschwanden zwischen den Galaxien, aus den Schiffen winkten fröhliche Lebewesen, manche - wie Menschen, manche - wie Hunde oder Katzen, und noch andere sahen eher wie Frösche aus.
Wir auf Fellinias haben keine so großen Raumschiffe, wir nehmen lieber doch unsere kleinen wendigen Welt-Raum-Boote, - sagte der Kater.

Erst jetzt wurde es Lotte bewusst, dass sie unterwegs nach Fellinias war, was sie gar nicht geplant hatte. Bei dem Gedanken, welche Sorgen sich ihre Eltern machen werden, fing sie an zu weinen.
Du hättest an meinen Rat denken sollen: zwischen Wörtern Luft zu holen! - sagte Captain Kitty streng.
Dann heulte Lotte los.
Nicht weinen, Kind! Wenn wir da sind, werde ich mein schnellstes Welt-Raum-Boot nehmen und dich im Nu nach hause bringen. Aber zuerst müssen wir Ordnung auf Fellinias schaffen, denn ich befürchte, dass es dort nicht so gut aussieht.
Was ist denn mit eurem Katzenplaneten passiert? - Lotte hörte auf zu weinen.
Nichts gutes, liebe Lotte. Nichts Gutes: unsere arme Fellinias wurde von den Hexen von Mergent überfallen.
Was? Auch dort sind diese Hexen?
Sie lebten früher auf ihrem Planeten Mergent, das ist da drüben - siehst du den roten Stern? - zeigte Captain Kitty mit seiner Pfote.
Der rote mit einem gelben Gürtel? - fragte Lotte.
Nein doch, dieser dunkel-rote mit schwarzen Flecken!
Ja, ich sehe ihn.
Na also... Dieser Stern war einmal gelb und leuchtete ganz schön und warm, so wie unser Katzenstern, wie du ihn nennst. Rund um den Stern drehte sich der Hexen-Planet Mergent, ein ganz grüner und gemütlicher Himmelskörper. Die Hexen betrieben ihre Hexen-Künste und waren sogar als gute Ärzte berühmt - mein Vater Captain Chris war einmal bei den Hexen zur Behandlung. Aber wie Hexen so sind - und sie sind nämlich nicht besonders klug, im Unterschied zu uns, Katzen! - haben sie einen Krieg angefangen: fette Hexen gegen dürre Hexen.
Warum? - wollte Lotte wissen.
Warum führt man Kriege, das denkst du, Lotte? Selbstverständlich ohne jeden Grund und aus purer Dummheit. Der Krieg der dürren Hexen gegen die fetten Hexen dauerte mehrere Jahre und nahm kein Ende. Die dürren Hexen spieen grünes Gift und die fetten - gelbes Gift. Sie beschossen einander mit Giftbomben solange, bis sie das ganze Gift ausgeschöpft haben. Danach bewarfen sie einander mit Feuerbomben und als auch das Feuer zu Ende ging, entdeckten sie, dass sie ihren Planeten und sogar ihren Stern zugrunde vergiftet und verbrannt haben: alle Flüsse und Meere waren tot, alle Wälder wurden braun und alle Blumen wurden schwarz. Bis in die tiefsten Tiefen des armen Planeten ist das Gift ein gedrungen und hat alles Lebende umgebracht. So konnten die Hexen auf ihrem Mergent auch nicht weiter aushalten, denn sie brauchen ja ihre Kräuter und Mäusedreck zum Essen und ihren Essig zu trinken - aber woher sollen sie das bekommen, wenn alle Mäuse und alle Kräuter und sogar alle Bakterien tot waren? Ohne Bakterien wirst du keinen Essig nämlich herstellen können! - sagte Captain Kitty belehrend. Und fragte: „Hörst du noch zu, Lotte?“
Ja, - meldete sich Lotte, obwohl es nicht ganz stimmte: sie hatte gerade einen Riesen entdeckt, der ganz aus leuchtendem bunten Nebel bestand - lila, grün, rosa und gelb. Der Riese winkte ihr zu und nickte mit dem Kopf und schien sie willkommen zu heißen.
Von den Gestalten sollst du dich immer fern halten, sie haben ein schwarzes Loch in ihrem Inneren und verschlingen ganze Raumschiffe, uns werden sie ja sofort schlucken, - sprach Captain Kitty und setzte seine Erzählung fort: „Als die Hexen verstanden haben, was sie mit ihrem Planeten gemacht haben, haben sie beschlossen, sich einen neuen Planeten zu finden. Sie haben sich mit einander versöhnt und gingen gemeinsam auf die Suche. Leider lag unsere Fellinias auf ihrem Weg - und wurde grausam überfallen. Das Gemeine bei den Hexen ist, dass sie unsere Gestalt an annehmen können: und wir können sie nicht erschnüffeln. Sie sehen uns gleich aus, sie betragen sich gleich und riechen sogar gleich wie wir - aber in den warmen Nachmittagstunden, als unser Stern brennt und als wir Schatten suchen und schlafen müssen - dann überfallen sie uns und töten uns. Und wir können uns nicht wehren! Bald gibt es keine echten Katzen mehr - und dann nehmen die Hexen ihre wahre Gestalt wieder an und Fellinias wird ihnen gehören. - Lotte hörte, dass Captain Kitty schluchzte und begann selbst zu weinen. Sie dachte an die bösen Hexen, an ihre Eltern und an den kleinen süßen Noah, und Tränen flossen über ihre Backen und sie sah ihre Tränen neben ihr schweben und funkeln - denn man ist ja schwerelos im Weltraum!

***
Doch da hörte sie: „Fellinias in Sicht! Wir landen!“ - Captain Kitty balancierte mit dem Schwanz und landete ganz sanft auf dem feinen Katzengras. Ach, wie schön war dieser Katzenplanet: so weit das Auge reicht, wuchsen hohe Kratz- und Kletterbäume mit schattigen Kronen. Die Bäume sahen den irdischen Palmen ein bisschen ähnlich aus, ihre gelben Blüten dufteten herrlich. In breiten Bächen plätscherte klares Wasser, dort wimmelte es nur so von Fischen. Und schon sah Lotte Katzen Fische fangen und andere, die ihre Krallen an den Kratz-Bäumen schärften und noch weitere, die ganz hoch oben auf den Kletterbäumen saßen.
Alle Katzen aber, als sie Captain Kitty entdeckt haben, rannten alle auf ihn zu und begrüßten ihn überschwänglich - und natürlich Lotte. Lotte hat noch nie so viele Katzen gesehen: es waren Tausende und Abertausende Tiere in allen Farben, die es auf der Erde gibt, aber es gab darunter auch lilafarbene, feuerrote und sogar grüne Katzen. „Sind es vielleicht die Hexen?“ - dachte Lotte und schauderte bei dieser unheimlichen Vorstellung. Alle Katzen schienen glücklich zu sein, dass ihr Herrscher befreit wurde! Mit großen Ehren wurde auch Lotte empfangen, denn sie war es, die den tapferen Captain gerettet und sich dabei vor keinen Gefahren gescheut hatte.

***
Wenig später saßen Captain Kitty und Lotte beim Festmahl im großen Herrscher-Palast, zu dem der weiße Kater mit den smaragd-grünen Augen seine treuesten Freunde eingeladen hat. Da Lotte keinen rohen Fisch mochte, wurde für sie eine Fischboulette gemacht und ein Salat mit köstlichen süßen Blumen. Trotz leckerer Speisen war die Stimmung am Tisch bedrückt: Captain Kitty musste erfahren, dass sein jüngerer Bruder von den Hexen ermordet wurde: gestern wurde er im Schlaf von messer-scharfen Krallen erstochen! Captain Kitty musste erfahren, dass auch viele anderen mutigen Kämpfer auf diese gemeine Weise umgebracht wurden.
- Wir Katzen müssen nachmittags schlafen - keine Katze wird es ohne Schlaf aus halten, - sagte der weiße Kater.
Und wenn ich wache und euch wecke, wenn die Hexen kommen? - schlug Lotte vor.
Das wird auch nicht gehen, denn wir sind dann schlaftrunken und werden uns nicht wehren können - deine Kraft aber ist nicht genug, um auch gegen eine Hexe an zu treten. Trotzdem - danke dir! - antwortete Captain Kitty. Lotte war ja kleiner als ein Kätzchen geworden, und ihre Kraft war entsprechend gering.

Danach saßen sie weiter und schwiegen und aßen nur wenig...

Nach einiger Zeit meldete sich ein Berater von Captain Kitty: „Und wenn wir Persy fragen? Es ist zwar ein weiter Weg bis dorthin, doch Persy weiß viel!“
Ja, das ist eine gute Idee! Wenn Persy uns nicht helfen kann, dann kann uns niemand mehr helfen! Wir müssen sofort starten! - Captain Kitty sprang auf seine Pfoten. Er war wieder voller Tatendrang, ein wahrer Herrscher und ein mutiger Captain.
Komm, Lotte! Während wir zu Persy fliegen, erzähle ich dir kurz, wie ich ihn einmal gerettet habe: das war nämlich auf eurer Erde passiert.

Lotte und der weiße Kater eilten durch viele geheimen Gänge des Katzenpalastes, Lotte kam bald aus der Puste, traute sich aber nicht, den Katzen-Herrscher zu bitten, eine Pause zu machen oder auf seinem Rücken reiten zu dürfen. Der Captain war aber unermüdlich; na ja, auf vier Pfoten läuft es sich ja leichter und schneller. Sie liefen zuerst durch breite Gänge mit schönen alten Katzenbildern, danach liefen sie durch schmale Gänge, wo nur hier und da ein Notlicht brannte. Die Gänge führten immer weiter in die Tiefe, es wurde dunkler und dunkler. Doch unerwartet kamen die beiden in einen runden Raum, der hell beleuchtet war. In der Mitte befanden sich einige blinkende und summende Geräte, zwischen denen eine Art U-Boot auf unsichtbaren Seilen hing und pendelte. An beiden Enden spitz, in der Mitte rund, ohne Fenster und ohne Türen glänzte das geheimnisvolle Fahrzeug metallisch und es entstand der Eindruck - es wollte los fliegen, jetzt, sofort!
Das ist mein Welt-Raum-Boot! Das habe ich selbst entworfen und mit meinem Bruder - Captain Kitty wurde wieder traurig - zusammen gebaut. - Das war unser Schiff und wir waren stolze Captains - er und ich. Jetzt blieb nur ich... Doch los, wir dürfen keine Zeit verlieren!

Captain drückte einige Tasten und Knöpfe auf seinen Geräten und schon wurde eine Öffnung im Boot sichtbar, durch die Lotte und der Kater in das Innere des Weltraumbootes gelangten. Im Boot war es dunkel und etwas stickig, aber bald leuchteten Bildschirme auf und das Fahrzeug kam in Bewegung. Es schoss hoch in eine Schacht, die aus dem Raum nach oben führte - und schon flog das wendige Boot durch die Luft, und stieg immer höher. Bereits war Fellinias als Ganzes zu sehen und Lotta dachte, wie klein und zerbrechlich dieser blau-grüne Katzenplanet doch ist!
Wo fliegen wir denn hin? - fragte sie schüchtern.
Zu Persy, ich habe es doch schon gesagt! Dieser aussergewöhnliche Kater wollte nicht auf Fellinias bleiben, sondern ist nach Leonia umgezogen, - Captain Kitty schaute auf seine Pulte und Geräte, danach blickte er zum Fenster, hinter dem die Fellinias immer kleiner wurde und immer ungeschützter wirkte. - Als ich den Ruf von Persy empfangen habe - und das sind schon viele Jahre her - habe ich keine Sekunde gezögert ihn ab zu holen.
Wo wollte er abgeholt werden? - fragte Lotte.
Von eurer Erde wollte er weg, wo die meisten Katzen des Universums leben - und wo ihr Menschen unsere Artgenossen oft so verächtlich und grausam behandelt!
Ich.. Ich mag Katzen sehr gerne! - meinte Lotte.
Von dir und von den Menschen, die Katzen mögen, rede ich nicht! - entgegnete Captain Kitty. - Aber weißt du, wie viele Katzen kein Zuhause haben und auf den Straßen streunen müssen? Wie viele verhungern und werden von euren Autos überfahren? Wie viele sterben an schlimmen Krankheiten und keiner nimmt sie an? Wen interessiert schon irgend eine kleine und schutzlose Katze? Weiß du, wie viele Katzen gequält und gefoltert werden?
Nein, das wusste ich alles nicht, - antwortete Lotte und erinnerte sich an eine Katze, die sie einst im Urlaub gesehen hatte. Die Katze hinkte, ihr fehlte ein Stück Schwanz und das Fell hing in Fetzen von ihrem mageren Leib herunter. Lotta hat ihre Eltern gebeten, die Katze auf zu nehmen, zum Tierarzt zu bringen und musste hören, dass die Katze sicher eine ansteckende Krankheit habe und dass man sie nicht anrühren dürfe, auf gar keinen Fall! Die Katze war bestimmt krank - und niemand hat ihr geholfen. Lottes Eltern auch nicht... - Das tut mir leid für euch, Katzen, wir Menschen sind oft sehr böse... - sagte das Mädchen.
Nun, Persy war in eine Notlage geraten, - erzählte Captain Kitty - er ist eigentlich ein reinrassiger Perser-Kater, seine Besitzer haben ihn oft zu einem Show mitgenommen, wo er nichts tun musste, sondern nur im seinem Käfig sitzen. Menschen gingen an ihm vorbei und bewunderten ihn und dann bekam er ein Diplom und ein Leckerchen. Kein besonders spannendes Leben, doch Persy war zufrieden, denn auf diese Weise hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Er wurde mit den Jahren immer weiser und war unter anderen Katzen durch seine Ratschläge und kluge Sprüche bekannt.
Es lief alles gut, doch einmal traf ihn ein großes Unglück: er hat am offenen Fenster geträumt und fiel aus dem fünften Stock heraus. Er war so erschrocken, dass er rannte und rannte - und als er nicht mehr rennen konnte, blieb er erschöpft stehen und schaute sich um: er wusste nicht mehr, wo er war. Jedenfalls erkannte er die Umgebung nicht mehr und als es sich etwas erholt hatte, versuchte er, auf eigenen Spuren zurück zu laufen. Aber er verlor seine Spuren. Doch das war nicht das größte Unglück. Am Abend wurde er gefunden - aber leider nicht von seinen Menschen, sondern von anderen. Sie lockten ihn mit einem Stückchen Wurst und da Persy hungrig war, nahm er die Wurst - und wurde von starken Menschen-Händen geschnappt - und es begann sein Leidens-Weg. Ich werde dir nicht alles berichten, was er erlebt hatte - das ist nichts für Kinder-Ohren. Er hat mir auch nicht alles erzählt. Doch er hatte bei diesen Menschen ein Auge verloren, und sein Körper trug offene Wunden. Aus seiner Not rief er nach mir, nach Captain Kitty: denn jede Katze weiß, wenn sie ihr Leben nicht mehr ertragen kann, dann genügt es, nach Captain Kitty laut zu rufen und ich steige in dieses mein Welt-Raum-Boot und fliege gleich sie ab zu holen, egal, in welcher entfernter Galaxie sie ist. Diese Katze darf dann auf unserem Fellinias weiter leben und glaube mir, hier leben wir Katzen friedlich und liebend viele Jahrhunderte.
So lange können Katzen leben? - wunderte sich Lotte.
Auf der Erde ist es natürlich nicht möglich, doch bei uns hier ist Frieden: wenn Frieden herrscht, dann macht es Spaß, lange zu leben. Aber wir sind schon da, auf Leonia!

Das Welt-Raum-Boot landete auf dem ziemlich düsteren felsigen Planeten, den nur eine kleine Oase mit einem Teich und einigen hoch-gewachsenen Kratz-Bäumen zierte. Der Landeplatz lag dicht an der Oase und als Lotte und Captain Kitty das Fahrzeug verließen, fiel ihnen eine seltsame Stille auf. Nichts regte sich: die Bäume standen still und das Wasser im Teich war ganz ruhig, nicht einmal ein Fisch plätscherte dort. Das kleine Häuschen von Persy stand offen, doch der Perser-Kater war nirgendwo zu entdecken.
Das gefällt mir nicht! - sagte Captain Kitty und fügte hinzu: „Ich gehe voran, bleibe am Schiff, dort kannst du dich in Sicherheit bringen.
Lotte wollte sich nicht in Sicherheit bringen und ging hinter dem weißen Kater in einiger Entfernung her. Als Captain Kitty die Hütte erreicht hat, schaute er in die Tür-Öffnung hinein und miaute jämmerlich. Und dann fauchte er und kratzte mit seinen spitzen Krallen die Erde. Die Krallen hinterließen tiefe Furchen und Captain Kitty kratzte so wild, dass sein Pfoten bluteten.
Lotte blieb eine Sekunde stehen, dann überwand sie sich und machte noch einen Schritt, und dann noch einen... Und dann sah sie ihn auch: der arme Persy lag auf dem Boden, mit dem Rücken zur Tür. Er lag still und friedlich, doch dieser Frieden täuschte: das war kein Frieden des Lebens, das war die ewige Frieden des Todes...

Sie waren hier vor uns! - Captain Kitty senkte seinen stolzen Kopf, es sah wie eine alte kranke Katze aus und gar nicht wie ein mutiger Captain mit Welterfahrung. - Jetzt ist alles verloren und es gibt keine Hoffnung mehr. Bald wird unsere Fellinias von den Hexen erobert und wir müssen alle sterben!Leb wohl, der weiseste Kater des Universums, mein Freund! Komm, Lotte, wir fliegen zurück!
Warte, Captain, soll Persy nicht begraben werden - oder wie macht ihr Katzen das? - wunderte sich Lotte.
Persy wollte allein leben und allein sterben und eins mit seinem Leonia werden! Komm!
Lotte aber wollte nur einen einzigen Blick auf das Gesicht von Persy werfen, sie wusste selbst nicht, was sie so anzog. Außer einem toten Eichhörnchen im Wald hat sie noch keine Leichen gesehen und hatte eine furchtbare Angst davor. Aber auch Neugier mischte sich dazu und noch etwas, was sie nicht benennen konnte - sie musste einfach näher kommen. Sie ging um den toten Kater herum, er lag zusammen gerollt, sein Gesicht war nicht zu sehen. Lotte kam noch näher und hockte sich hin: der Kater war groß, noch größer als Captain Kitty, und vollkommen schwarz. Lotte fühlte sich so winzig neben ihm. Sie berührte sein weiches Fell, streichelte sein Gesicht und hoffte ein bisschen, dass Persy zu schnurren beginnt. Doch er schwieg, aber eine leichtes Zucken ging durch seinen Körper - und ein kleiner Würfel rollte aus seiner Pfote direkt Lotte vor die Füße. Der Würfel schien ein Eigenleben zu führen, in ihm schimmerte er gelb und grün, in seinem Inneren entstanden geheimnisvolle Zeichen und lösten sich wieder auf. Lotte nahm den Würfel in ihre Hand, er fühlte sich schwer an. Seine Farben fingen zu funkeln an und der Reigen der Zeichen wurde immer schneller. Lotte erkannte zu ihrer Verwunderung einzelne Buchstaben und versuchte sie zu Worten zu bilden.

Schau, Captain Kitty, was ich gefunden habe!
Oh, das ist eine der Spruch-Würfeln von Persy, in solchen Gefäßen hat er seine Weisheiten aufbewahrt. Er hat immer gehofft, dass jemand sie einst lesen würde, aber - du weißt schon...
Ach, lieber Captain, ich weiß: ihr Katzen könntet weder lesen noch schreiben! Aber ich! - sagte Lotte stolz und hielt den Würfel vor ihre Augen. Eins nach dem anderen bildeten sich Buchstaben in einer schönen klaren Schrift, und Lotte las: „Wenn zwei Monde scheinen und ihr Licht vereinen, dann wird das Verborgene sichtbar und du kannst die Hexen vernichten. Dafür genügt nur ein Wort - und die Feinde sind fort!“ Verstehst du das? - fragte Lotte den weißen Kater.
Ja, liebes Kind, ich glaube es zu verstehen! - die smaragd-grünen Augen des Captain leuchteten auf. - Es ist nämlich so: in unserer Welt gibt es zwei Monde, und einmal im Jahr erscheinen die beiden dicht neben einander am Himmel, und dann vermischt sich ihr Licht, blau von einem Mond und gelb von dem anderen, - und unsere Fellinias wird in einem mystischen grünen Licht erscheinen. Das passiert genau heute Nacht! Und die Nacht ist schon nahe!
Und was geschieht dann?
Ich vermute, dass wir die Hexen dann erkennen werden und sie endlich ausrotten können!
Aber Captain Kitty, hier ist noch von „einem Wort“ die Rede, das die bösen Hexen überwältigen soll, doch welches Wort das ist, steht nicht, es ist nur neblig an dieser Stelle! - sprach Lotte.
Die Buchstaben haben bestimmt die Hexen verwischt, sie hätten den ganzen Spruch gerne gelöscht, doch haben sie es auf irgendwelchen Gründen nicht geschafft! Doch wir haben immer hin etwas in den Händen! Nun los, Lotte, jetzt ist endgültig Zeit, nach Fellinias zurück zu kehren.

Es war schon Abend, als Captain Kitty seine Kämpfer zusammen gerufen hat, um den Plan aus zu klügeln, wie sie gegen die Hexen vorgehen sollen. Nach einer langen und heftigen Beratung wurde beschlossen, dass um Mitternacht, als das grüne Licht am stärksten leuchtet, die Krieger unter der Leitung von Captain Kitty auf eine Erkundungstour los gehen und scharf beobachten, was passieren wird. Lotte durfte auch mit kommen: vielleicht gäbe es wieder etwas, was dringend gelesen werden müsste.

***
Es war ruhig in der Katzenstadt, obwohl viele Tiere unterwegs waren: manche trugen ihre Beute - Fische und Mäuse - nach hause, andere gingen spazieren oder schärften ihre Krallen an den Kratzbäumen, noch andere liefen zur Arbeit. Die meisten Katzen schwiegen, kein Miauen und kein Schnurren war zu hören, denn alle Katzen hatten Angst vor Nicht-Katzen, die sie überfallen und töten könnten, und viele beweinten ihre ermordeten Freunde und Verwandten.

Captain Kitty und seine Krieger schlichen sich heimlich und unerkannt durch die eigene vertraute Stadt, an ihren Häusern und Gärten mit Springbrunnen vorbei. Sie suchten die Straßen-Seiten aus, die ganz im Schatten lagen und liefen an den Zäunen und Hecken dicht entlang.

Und als es Mitternacht schlug, dann geschah etwas Unerwartetes. Sie sahen eine kleine Gruppe von Katzen zielstrebig in eine Richtung laufen, dann - noch eine Gruppe und dann noch eine ziemlich große Katzen-Schar.
Wo laufen sie alle hin? - flüsterte Lotte dem Captain Kitty ins Ohr.
Wir müssen ihnen folgen! - flüsterte es zurück.

Und so taten sie es auch. Die Katzen liefen recht schnell, so dass Lotte doch um eine Erlaubnis bitten musste, auf einem der Krieger reiten zu dürfen. Ganze Scharen von Katzen liefen aus der Stadt heraus und versammelten sich auf einem einsamen Ort.
Captain Kitty und Lotte beobachteten sie scharf aus einiger Entfernung. Was sie sahen, füllte sie mit Schrecken und mit Grauen: die Katzen begannen sich nämlich zu verwandeln. Ihr Fell fiel ab, sie stellten sich auf die Hinterpfoten, ihre Köpfe bekamen krumme lange Nasen, ihre Hände - lange messerscharfe Krallen, viel länger als normale Katzen-Krallen, ihre Beine wurden zu Hühnerfüßen. Aus Katzen wurden Hexen; dürre und fette und allesamt bitterböse Hexen vom vergifteten Planeten Mergent! Das grüne Licht schien durch die Leiber der Hexen hindurch und machte die ganze Erscheinung noch grausiger und gespenstischer.
Sogar erfahrene Krieger, kampferprobte Gefährten von Captain Kitty erzitterten. Lotte wäre jetzt gerne unsichtbar geworden und am liebsten sofort bei ihren Eltern und bei Noah sein. Doch wie weit von daheim war sie gerade - wahrscheinlich Lichtjahre entfernt!
Hier ist ein Menschen-Kind, das fressen wir auf! - hörte Lotte eine krächzende Stimme.
Das ist das Leckerste, was es gibt - das zarte Fleisch eines Kindes! - antwortete eine ulkige Stimme.
Da ist das Kind! Schnappen wir es uns! - schrie eine schrille Stimme.

Die Hexen blickten alle in die Richtung, wo sich Captain Kitty mit Lotte versteckt haben. Die Hexen-Augen waren blut-rot, die Hexen fletschten ihre Zähne und klirrten mit ihren Krallen. Die Hexen stiegen in die Luft und stürmten los, sie waren bereits so nahe, dass Lotte den Fäulnis- Geruch aus ihren Mündern spürte.

Doch da erhob sich der Captain Kitty, er rief zu seinen treuen Kriegern: „Zum Angriff! Wir kämpfen bis zum letzten Blutstropfen!“

Und der Kampf der Katzen gegen die Hexen begann, ein erbitterter, ein verzweifelter - und leider ein ungleicher Kampf! Denn Waffen und Krallen der Katzen waren schwächer als Gift und Feuer der Hexen. Und schon wurden Captain Kitty und seine Kameraden von der Hexen-Schar umzingelt, einige Hexen aber bewegten sich in Richtung Lottes Versteck, um sie zu ergreifen. Da brüllte Captain Kitty mit einer schrillen Stimme: „Verschwindet ihr Hexen! Fort mit euch! Fort! Fort!“ Und mit jedem Mal, dass Captain Kitty „Fort!“ brüllte, wurden die Hexen immer durchsichtiger und immer langsamer, und schon waren sie kaum zu erkennen, und noch ein „Fort!“ und sie wurden zu Nebelfetzen. Ein weiteres „Fort!“ - und auch die Nebelfetzen lösten sich auf, und es war keine einzige Hexe zu sehen. Sie waren alle fort!

***
Die Befreiung von den bösen Hexen wurde von allen Katzen auf Fellinias groß gefeiert, sie tanzten und rannten um die Wette, sie bereiteten einen Festmahl vor. Besonders geehrt wurden Captain Kitty und seine Krieger und natürlich auch Lotte, die einen Ehrentitel der Katzen-Beschützerin verliehen bekam. Lotte war etwas beschämt und meinte, sie habe ja gar nicht so viel getan.
Lotte war glücklich, dass die Katzen endlich ihren Frieden und ihre Ruhe wieder erhalten haben und unter dem Katzenstern weiter glücklich leben können. Sie streichelte eine Katze nach der anderen und freute sich, wie sie schnurren und sich bei ihr einkuscheln. Sie spielte mit kleinen Kätzchen, sie sprach mit erfahrenen Alten. Schön war es auf dem grünen Katzen-Planeten!

Doch Lotte konnte nicht aufhören, an ihre Familie zu denken und dass ihre Liebsten sich um sie Sorgen machen. Sie wollte zurück auf die Erde.
Ich kann dich zurück bringen, - sagte Captain Kitty. - Ich kenne ja den Weg ganz gut! Doch bevor du uns verlässt, kannst du vielleicht eine Bitte erfüllen, die schon viele von meinen Mit-Katzen geäußert haben?
Gerne tue ich etwas für euch, - meinte Lotte.
Dann bring uns bitte Lesen und Schreiben bei! Wir haben erkannt, wie wichtig, wie sogar lebensrettend diese hohe Kunst sein könnte! Bitte!
Gut, - meinte Lotte, - dann beginnen wir gleich mit dem Unterricht! Und zwar machen wir es so: ich kann ja nicht gleichzeitig alle Tausende und Abertausende Katzen unterrichten. Deswegen bringe ich Lesen und Schreiben zuerst einigen von euch bei, und diese werden ihrerseits weitere Katzen unterrichten, und so werden nach einiger Zeit alle Katzen des Lesens und Schreibens kundig sein.

Gesagt - getan. Katzen erwiesen sich als gute Schüler, und schon sehr bald konnten sie einwandfrei lesen und (fast) fehlerfrei schreiben, nur einen Stift zu halten fiel Katzen schwer. Als Lottes Schüler fertig waren und bereit, selbst zu unterrichten, verabschiedete Lotte sich unter Tränen von dem wunderbaren Fellinias.
Am Abflugtag war sie traurig und glücklich zugleich, sie lachte und weinte abwechselnd. Als sie schon im Welt-Raum-Boot neben dem Captain Kitty saß und die automatische Tür sich langsam zu schließen begann, rannte ein winziges weißes Kätzchen hinein, sprang Lotte auf den Schoß und sagte: „Ich komme mit! Ich will bei dir bleiben, denn meine Eltern sind von der Hand der Hexen gefallen und ich bin ganz allein auf der Welt! Nimmst du mich mit?“ - „Klar, nehme ich dich mit! - sprach Lotte, - du weißt nicht einmal, wie gerne ich es mache!“
Und schon flogen sie los, und sehr bald landeten sie auf der Erde.

***
Ach, Lotti, Liebste! Endlich bist du aufgewacht! Papa und ich wachten hier rund um die Uhr, und Noah hat nur geweint! Stell dir vor, alle Tage, dass du hier im Krankenhaus lagst, hat er nicht aufgehört zu weinen! Doch jetzt wird alles wieder gut! - Lotte hörte die vertraute Stimme ihrer Mutter und versuchte zu verstehen, was sie meinte: Krankenhaus? Wieso war sie jetzt im Krankenhaus? Und wo war Captain Kitty und das kleine süße Kätzchen, das noch keinen Namen hatte?
Wo ist Captain Kitty? - fragte Lotte mit einer schwachen Stimme.
Ach, das süße weiße Kätzchen, das du so fest in Armen gehalten hattest, als wir dich auf dem Nachbargrundstück fanden? Das Tierchen ist wohlauf, spielt und frisst gut! Weißt du Lotte, was mit dir passiert ist?
Ja, ich war auf dem Katzenplaneten Fellinias und habe zusammen mit Captain Kitty gegen böse Hexen gekämpft.
Vielleicht warst du auch dort, das mag ja sein. Papa hat dich jedenfalls im Garten der Nachbarin gefunden, es stürmte und regnete in Strömen. Du lagst im Gras und hieltest das weiße Kätzchen umarmt. Vermutlich hast du versucht, alle diese armen Katzen zu befreien, die diese Nachbarin wie eine böse Hexe im Keller eingesperrt hielt. Es mussten Tierschützer mit der Polizei kommen, um alle Katzen zu erlösen! Jetzt sind sie alle in Sicherheit. Du bist aber ein mutiges Mädchen, meine Lotte! Ich bin stolz auf dich! - und die Mutter küsste Lotte auf die Stirn.
Mama, ich will so schnell wie möglich wieder gesund werden und nach hause kommen! - sprach Lotte und fügte nachdenklich hinzu: - Weißt du, wenn ich älter werde und noch besser lesen und schreiben kann, dann werde unbedingt das aufschreiben, was mit mir in dieser Zeit wirklich geschehen ist. Und ich weiß genau, wer all die Katzen aus dem Keller gerettet hat - kein anderer als Captain Kitty!

Impressum

Texte: alle Rechte liegen bei mir
Bildmaterialien: Wikimedia
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /