Alexis schlug ihre Augen auf. In diesem Moment fing das Radio neben ihrem Bett an zu spielen. Time catcher von den Travelers to Mars. Eine fürchterliche Ballade, die Alexis Meinung nach, eher an ein Chor aus jaulenden Hunden und sterbenden Katzen erinnerte, als an einen Nummer eins Hit. Noch ehe der Song vorbei war, flüchtete sie sich ins Bad und genoss ihre heiße Dusche.
Ihre Kleider hatte sie sich gestern schon bereit gelegt. Eine alte Angewohnheit, noch aus ihren Kindertagen. Ein hellblauer, knielanger Rock mit einem weißen Gürtel und dazu passend eine weiße Bluse. Heute musste alles perfekt sein. Seit sechs Monaten kämpfte sie mit vier anderen Bewerberninnen um den begehrten Job in der Chefetage. Hastig zog sie sich an und eilte aus dem Badezimmer.
„Au! Verdammt.“
Alexis hatte sich am Türrahmen den kleinen Zeh angeschlagen, der sogleich, wie aufs Stichwort, anfing zu bluten. Wehmütig blickte sie zu ihren neuen Sandalen, 300 Mäuse haben sie diese gekostet. Jetzt müsste sie auf geschlossene Schuhe ausweichen. Vorsichtig schlüpfte sie, nachdem ihr Zeh in Pflaster eingewickelt war, in die hellblauen Pumps, die sie damals, passen zum Rock, gekauft hatte.
„Krall` ihn Dir“, puschte sie sich selbst ihr Ego auf und wuschelt noch einmal durch ihre blonden Locken. Nach einem prüfenden Blick in ihrem Spiegel, knöpfte sie nochmals einen Knopf ihrer Blus auf. Ihr üppiger Vorbau kam dadurch besser zur Geltung und schließlich war es nicht verboten, ALLE Waffen einer Frau einzusetzen.
Endlich zufrieden mit ihrem Äußeren, verließ sie ihre Wohnung und ging zur U-Bahn.
Sebastian Cole war ein wahrer self-made-man. Schon mit sechzehn Jahren gründete er seine eigene IT-Firma. Jetzt, zwanzig Jahre später, war seine Firma allein fast 1,5 Milliarden Dollar wert. Sein Privatvermögen wird in den Medien auf gut das Doppelte geschätzt. Was ihn zu einem gefragten Junggesellen machte. Nur eines war noch größer als sein Vermögen; Sein Ego.
Heute stand nur ein Termin in seinem Kalender: Fleischbeschau.
Mit einem selbstzufriedenem Grinsen lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück, als sie es ein Thron. Seine letzte persönliche Assistentin hatte er gefeuert. Sie hatte sich plötzlich mehr Hoffnungen gemacht, als den Sex. Als ob er sich eine Tippse ans Bein binden würde. Geld zu Geld! Das war sein Motto. Alles andere diente nur seiner Befriedigung. Noch eine halbe Stunde, dann würden die Bewerberinnen vor ihm stehen. Nate, sein Finanzchef, Vertreter und derzeitiger Laufbursche für alles, hatte sie eigenhändig ausgesucht. Er wusste, worauf Sebastian stand.
Man konnte nicht behaupten, dass Nathan „Nate“ Philips, seinen Chef besonders mochte. Allerdings zahlte er einen spitzen Gehalt und ermöglichte es ihm und seinem Mann ein angenehmes Leben. Im Augenblick jedoch wünschte er sich, er hätte sich als Raubtierpfleger ausbilden lassen. Die vier Bewerberinnen saßen im Vorzimmer von Coles Büro. Fast wartete er darauf, dass sie das Knurren und Fauchen anfangen würde, wie Tigerinnen. Jede von ihnen mustere ihre Konkurrentinnen mit eiskaltem Blick. Innerlich schüttelte Nate den Kopf. Diese Frauen wussten nicht, worauf sie sich da bewarben. Sicher, der Job ‚persönliche Assistentin des Firmenpräsidenten‘ klang superwichtig. Jedoch war dieser Titel variabel auslegbar. Bei Sebastian Cole hieße das, vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche nur für ihn bereit zu stehen. Ihm alle Bedürfnisse zu befriedigen und alles absolut vertraulich zu behandeln. Teresa, seine ehemalige Assistentin hatte sich dazu hinreißen lassen, Gefühle für Sebastian zu entwickeln. Fataler Fehler. Noch am selben Tag hat er ihr die Kündigung mit einer stattlichen Abfindung in die Hand gedrückt und sie vom Sicherheitspersonal hinausführen lassen mit einem Hausverbot. Jetzt führte Nate seinem Boss wieder vier Lämmer zur Schlachtbank beziehungsweise zu Sebastians Besetzungscouch.
Ein Lämpchen der Sprechanlage leuchtete auf. Das Signal für Nate, eine Kandidatin hineinzuschicken. Er entschied sich für Elly Snyder.
„Miss Snyder, Sie sind die Erste. Bitte geben Sie mir die unterschriebene Verschwiegenheitserklärung ehe Sie eintreten.“
Alle vier haben eine solche unterschreiben müssen, die besagte, dass nichts was in diesem Büro gesprochen oder getan wird, nach außen dring. Die Folgen wären eine Klage in Höhe von einer Million Dollar, sofortige Kündigung und Streichung aller Gesundheitsleistungen und Rentenvorsorge. Miss Snyder stand auf und ging auf Nate zu, da bemerkte er den Ring an ihrem Finger. Noch bevor er fragen konnte hielt sie ihm das Papier hin und erwiderte: „Das heißt jetzt Misses Newton. Ich habe letzten Samstag geheiratet.“ Der Versuch, diese Information nicht arrogant klingen zu lassen, ging gehörig schief. Sie macht sich wohl Hoffnungen, als Verheiratete Frau bessere Chancen zu haben, denn als Single. ‚Irrtum Spätzchen, du bist jetzt schon raus‘, dachte sich Nate, nahm die Vereinbarung und trat bei Seite. Bei ihr, dass wusste er, würde es nicht lange dauern. Bereits nach zehn Minuten kam sie raus, mit zusammengekniffenem Mund und verließ den Vorraum, ohne sich zu verabschieden oder noch irgendjemanden anzusehen. Nach wenigen Minuten blinkte wieder das Lämpchen. Nate rief Pamela Keege auf. Begierig sprang diese auf, gab ihm die Vereinbarung und trat in das Büro von Cole ein.
Alexis verlagerte leicht ihr Gewicht auf dem Stuhl. Sie war nervös und ihr Zeh tat ihr weh. Innerlich jubelte sie aber auch, eine Konkurrentin war raus. Nichts anderes konnte der Gesichtsausdruck von Misses Newton bedeuten. Das Gespräch mit dieser Keege dauerte schon gute dreißig Minuten. Sie schwor sich, alles für diesen Job zu tun, und wenn das hieße, über den Ruf der Anderen. Je langer diese Pamela im Büro war, desto unruhiger wurde Alexis. Ihre Konkurrentinnen waren alle sehr hübsch. Pamela hatte einen dunkleren Teint, glatte schwarze Haare, die sie offen trug und ein leicht asiatisch geschnittenes Gesicht. Das pflaumenfarbene Kostüm mit der blass rosa Bluse schmiegte sich an ihr, wie eine zweite Haut und die High heel-Sandalen mit goldenen Riemchen, passte perfekt dazu. Auch ihre andere Mitbewerberin war hübsch, aber hatte gegen sie selbst oder Pamela wohl wenig Chancen. Ich Gesicht war sehr spitz, passend dazu hatte sie eine Nase, die aussah wie der Schnabel von einem Vogel. Ihre blonden Haare waren streng zu einem Knoten gebunden und sie trug ein rotes Kleid, dass ihre Blässe so stark unterstrich, dass man fast meinen könnte, sie wäre krank. Alexis fiel auf, dass Mr. Philips sie immer wieder mit dem Foto der Bewerbung zu vergleichen schien. ‚Tja Schätzchen, Du kannst den Posten wohl auch vergessen‘, dachte sich Alexis hämisch.
Endlich, nach über einer Stunde kam Pamela aus dem Büro heraus. Ihr Blick sprach Bände. Sie fühlte sich offenbar siegessicher und lächelte. Als sie an Alexis vorbei ging, tupfte sie sich unauffällig den rechten Mundwinkel ab und sah sie bemitleidenden an.
Diesmal dauerte es über zehn Minuten, bis das Licht wieder aufleuchtete. Alexis war es inzwischen mehr als bewusst, dass sie sich hergeben musste für diesen Posten. Sie hatte Gerüchte über Sebastian Cole gehört, aber immer nur sehr gedämpft. Jeder wusste, wer etwas gegen den Boss sagt, säße am selben Tag noch auf der Straße. Ihr war das aber egal. Er wäre nicht der erste, bei dem sie sich hoch schliefe und er sah auch noch gut aus. Nate rief Alexis´ Namen auf. Mit festem Schritt überreichte Sie im Vorbeigehen ihm die Erklärung und schloss hinter sich die Bürotür. Sebastian Cole saß hinter seinem Schreibtisch. Sein Grinsen verbarg kaum seine Gier. Alexis schon deshalb kaum merklich ihre Brüste weiter nach vorne, in dem sie ihren Rücken durchdrückte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er sah nun mehr aus wie ein Vielfraß, bereit seiner Beute in die Kehle zu beißen.
Nach über eineinhalb Stunden kam Alexis aus dem Büro. Keck lächelte sie den beidem im Vorraum zu und wünschte ihnen noch einen schönen Tag. Sie bemühte sich, ungezwungen und normal zu gehen, auch wenn sie wundgescheuert war. Sie war sich sicher, dass sie Cole überzeugt hatte. Zufrieden ging sie an ihren Arbeitsplatz.
Das Büro war fast ganz leer. Nur Alexis, Pamela und Miss Vogelnase waren noch da. Fast zeitgleich ertönte ein ping vom Bildschirm, das den Eingang einer E-Mail verkündete. Rasch öffnete Alexis diese. Sie kam von Cole, der ihr zu einer hervorragenden Bewerbung gratulierte und sich auf eine künftige Zusammenarbeit freue. Vogelnase war nicht mehr zu hören. Pamela hingegen konnte es sich nicht verkneifen ständig ‚Schlampe‘ und derer ähnlichen Titel in Richtung zu Alexis laut zu murmeln. Im Gegenzug konnte sie es sich nicht verkneifen, sich genüsslich auf ihrem Bürostuhl zu räkeln und stöhnen als Pamela maulend an ihr vorbei ging. Danach packte auch sie ihre Sachen und machte sich auf den Heimweg.
Heute schien ihr Glückstag zu sein. Sie erwischte die U-Bahn und war schon nach einer Stunde zuhause. Endlich kam sie aus den Schuhen raus. Sie schleuderte sie in Richtung des Sofas, legte ihre Handtasche auf die Ablage neben der Garderobe und griff nach dem Telefon. Sie musste unbedingt ihre Freundin anrufen und ihr die gute Neuigkeit erzählen. Zuerst jedoch, rief sie einen Lieferdienst an, sie kochte nicht, wäre ja schade um die zehntausend Dollar Küche, wenn man sie benutzen würde. Sie bestellte Hummer, Champagner und Austern. Danach rief sie Zoe an, ihre Freundin. Zumindest dachte Zoe dies. Alexis genoss es nur, wie sie sie vor Bewunderung ansah, was sie nicht alles geschafft hatte in so kurzer Zeit. Ihre Freundin hingegen hatte zwei Kinder, lebte mit ihrem kranken Mann in einem Apartment und träumte von Geld. Sie freute sich schon regelrecht darauf, ihrer Freundin jede noch so delikate Einzelheit über das Gespräch zu erzählen und ihr triumphierend mitzuteilen, dass sie den Job hätte.
Es kam jedoch anders. Statt die erwarteten Oh´s und wow´s zu hören, warf ihr Zoe vor, sich zu Prostituieren. Sich als Ventil missbrauchen zu lassen für einen Kerl, der nur sein Ego verhätschelt haben möchte. Der einen Dreck auf seine Angestellten gäbe und seine Assistentin nur danach aussuche, welche die Beine für ihn breit mache.
„Ich hoffe Alex, Du kannst dir selbst rückblickend irgendwann vergeben, Dich so billig verkauft zu haben.“ Zoe legte nach diesem Satz einfach auf und lies eine verwirrte Alexis zurück. Sie fing sich nach kurzer Zeit wieder und brüllte dem bereits leblosen Telefon zu, dass sie die Moralpredigt für die Kirche sparen könne, in die sie ja jeden Sonntag lieber ginge und um Vergebung bitte, als mit ihr zum Brunch. In diesem Moment klingelte es an der Türe. Alexis fischte im Vorbeigehen ihre Geldbörse aus der Handtasche und öffnete. Doch statt dem Boten stand Cole vor ihr, mit ihrem Essen und sein Gesichtsausdruck machte ihr klar, dass sie es nicht um sonst bekommen würde.
Alexis schlug die Augen auf. Sie war müde und ihr taten so manche Körperstellen weh. Sebastian war bis weit nach Mitternacht geblieben. Ihr Radio begann pünktlich mit seinem musikalischem Weckdienst: Time catcher von den Travelers to Mars. Sie hasste nun offiziell diesen Moderator, der sie schon wieder mit dieser Jammermusik quälte. Sie floh vor ihrem Radio ins Bad, ließ heißes Wasser über ihren Körper fließen und war völlig aufgeregt, heute ihren neuen Job anzufangen. Als sie aus der Kabine trat viel ihr ein, dass sie sich gestern gar keine Kleider bereit gelegt hatte, als ihr Blick auf den Hocker fiel, auf dem sie sich die Sachen immer hinlegte. Es lagen dort ein blauer Rock mit einem weißen Gürtel und eine weiße Bluse. Vage hörte sie noch den Radiomoderator „Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer, es ist Dienstag, der fünfzehnte Juni, heute wird es heiß!“, bevor ihr eine andere Stimme in ihrem Kopf sagt „Ich hoffe Alex, Du kannst dir selbst rückblickend irgendwann vergeben, Dich so billig verkauft zu haben.“
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2018
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