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1.

"Alex, kannst du bitte noch einmal alle Unterlagen durchgucken? Alles muss für den Termin später perfekt sein! Das ist ein riesen großer Fisch den wir für die Kanzlei an Land zeihen werden, wenn wir von der Thomson GmbH das Mandat übernehmen können!", rief Andy aus seinem Büro. Durch die Glaswände hindurch, welche sein Arbeitszimmer von meinem Schreibtisch trennten, nickte ich ihm zu und sortierte die Unterlagen noch einmal neu in der Akte. Auch wenn er sagte, dass der Auftrag sehr wichtig für die Kanzlei sei, so war er doch noch wichtiger für ihn selbst. Ihm wurde vom Vorstand, vor ein paar Wochen, die Aussicht auf einen Platz als Hauptteilhaber der Kanzlei gestellt, die wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen. Verständlich, wenn man bedenkt, dass Andy erst vor einigen Jahren in die Kanzlei gewechselt war.

"Andy, ich denke ich habe soweit alles vorbereitet.", rief ich ihm nach kurzer Zeit zu und schaute von meinem Werk auf. Die zuvor auf meinem Schreibtisch geworfenen Dokumente lagen nun vorbildlich geordnet in der dazugehörigen Akte. Kaum eine Minute später hörte ich das Geräusch der Klinke von meiner Tür. Herein kam ein hochgewachsener junger Mann. Er steckte in einem maß gefertigten Designeranzug, der bestimmt mehr kostete als mein Monatsgehalt. Man konnte nur erahnen, dass unter diesem Anzug ein makelloser Körper stecken musste. Seine, für meinen Geschmack etwas zu langen Haare hatte er Model mäßig nach hinten gegelt und lagen in einer perfekten Kurve bis in seinen Nacken. Das musste wahrscheinlich der neue Modetrend dieses Sommers sein. Sein markantes Gesicht wurde verfeinert durch wunderschön geschwungenen Wangenknochen, die den letzten Hauch von Jugendlichkeit aus seinem Gesicht nahmen. Er war ein Mann, dem bestimmt viele Frauen ihr Herz schenkten, in der Hoffnung etwas Längeres als einen One-Night-Stand mit ihm zu haben. Jedoch vergeblich, Andy würde immer ein Junggeselle bleiben, meiner Meinung nach bestimmt bis er nicht mehr arbeiten könnte. Denn das war es wofür sein Herz wirklich schlug. Mit seinen großen, schlanken Fingern griff er nach der Akte und blätterte sie durch.

"Danke dass du das macht, Alex. Du bist wirklich die beste Angestellte die man haben kann!" lobte er mich. "Du bist doch sonst nicht so, Andy. Was willst du von mir?" ich zog argwöhnisch eine Augenbraue hoch.

Andy war ein typisches Beispiel dafür, dass Frauen auf ihn abfuhren, die einen gewissen Vaterkomplex hatten. Er war kein Romantiker, sondern eher einer von der härteren Sorte. Aber damit kam er auch durch, deshalb kam es äußerst selten vor, dass er so freundlich zu jemand war. Außer natürlich er wollte etwas haben, dass man ihm nicht so einfach geben wollte.

"Denk doch nicht immer so negativ von mir. Ich wollte dir nur vorschlagen, dass du ausnahmsweise heute mal zu dem Termin mitkommst. Du weißt ja, wir müssen alles dafür tun dass das heute funktioniert und ich bin der Meinung mit einer weiblichen Begleitung an meiner Seite, kommt es schneller zu einem Vertragsabschluss." Er grinste mich an.

"Oh nein, nein dass kannst du sofort wieder vergessen! Ich muss hier arbeiten, ich habe keine Zeit mich um so etwas zu kümmern, Andy. Ich weiß wie wichtig dir das ist und ich tue wirklich alles dafür, dass du das Mandat bekommst und somit auch die neue Stelle, aber du musst auch verstehen, dass ich mich hier um deine anderen Akten kümmern muss, das ist mein Job und nicht mit dir neue Mandanten zu bezirzen." Ich wand mich wieder meinem Computer zu und tippte unaufhörlich darauf rum, in der Hoffnung, dass Andy den Wink verstehen würde und sich mit meiner Antwort zufrieden gab. Natürlich wäre Andy nicht Andy, wenn er sich so einfach abwimmeln ließe.

"Och komm schon Alex, wie du schon sagtest, du würdest alles dafür tun, dass ich den Fall bekomme. Dann tue doch auch alles! Sei eine gute Freundin und tue mir den gefallen und komm mit mir dahin." Er setzte sich mit einem Bein auf meinen Schreibtisch, unbeirrt davon, dass er meine Unterlagen dabei zerknickte. "Man Andy pass doch auf!" motze ich und zog die Schriftstück unter ihm hervor. Ich versuchte so gut es ging die Blätter wieder gerade zu bügeln und scheiterte natürlich dabei die Falten heraus zu bekommen. Das kann doch nicht wahr sein, jetzt konnte ich alles noch einmal kopieren und ausdrucken!

"Stell dich doch nicht so an Alex. Die paar Blätter..."

"Das sind nicht nur ein paar Blätter Andy! Daran saß ich den ganzen Vormittag!" Jetzt würde ich ganz sicher nicht mitkommen, nicht nur, dass ich nicht wollte, sondern auch, dass ich nun gar nicht konnte. Ich musste das in Ordnung bringen bis heute Nachmittag dafür hatte ich jetzt nur noch ein paar Stunden Zeit und das hieß, dass ich meine Pause durchmachen musste.

"Mein letztes Wort ist nein! Ruf doch diese nette junge Frau an von gestern Abend, die würde eh viel besser zu so einem Treffen passen. Wie hieß sie noch gleich? Melissa, Melinda?"

"Du meinst Melanie? Hm.. . Ja vielleicht hast du Recht. Hübsch, redet nicht so viel und ihr Lächeln war ganz ansehnlich."

"Perfekt, dann hast du doch eine Verabredung, soll ich sie für dich anrufen? Dann kannst du noch mal alle Unterlagen durchschauen. Ich denke das ist das Beste, es scheint etwas zu sein, was auf langfristiger Basis hin laufen soll, da musst du alle Einzelheiten des Vertrages kennen." schlug ich vor.

"Ja, da hast du wahrscheinlich recht. Ich schicke dir gleich die Nummer von ihr rüber." Damit stand er auf, klemmte sich die Akte unter den Arm und verließ mein Büro. Ich guckte ihm hinterher, wie er sich elegant auf seinen Chefsessel platz nahm und die Füße auf den Tisch übereinander schlug. Er schmiss die Akte unsachte neben seine Beine und holte sein Handy raus. Ein Pipton holte mich aus meinen Träumereien heraus. Auf meinem Handy erschien der Hinweis auf eine neue Nachricht. Ich öffnete sie und bekam prompt den Kontakt auf meinem Bildschirm angezeigt, um den es sich sicherlich um diese Melanie handeln musste. Ich tippte kurzerhand die Nummer in das Bürotelefon ein und klemmte mir den Hörer zwischen Ohr und Schulter ein. Während der Wahlton läutete, spielte ich mit der einen Hand an dem Telefonkabel herum und mit der anderen rief ich auf meinem Computer die Akte des Quinsen Falls auf, um die Dokumente, die durch Andys Unachtsamkeit zerstört wurden noch einmal auszudrucken. Nach dem vierten Klingeln ging jemand dran.

"Melinda hier, wer spricht?" trällerte eine piepsige Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

"Hallo Melinda hier spricht Alex, ich..."

"Oh, die Alex von gestern? Die Tipse von Andy?" Lachte Meldina in den Hörer.

"Ja genau die Tipse von Andy" grummelte ich in mich hinein. Noch so eine blöde Ziege die meinte, dass sie etwas Besseres wäre, weil sie mit Andy ausging und nicht für ihn arbeiten musste.

Ohne mich etwas sagen zu lassen trällerte sie weiter:

"Das ist aber eine Freude! Hat Andy sie geschickt um mich anzurufen? Ja ganz sicher, dass hat er bestimmt, wieso sonst sollten sie mich anrufen." Ich konnte mir schon fast förmlich ausmalen, wie sie jetzt bestimmt ihr Haar über ihre Schultern werfen würde.

"Ja, so ist es. Andy würde sie gerne zu einem Geschäftsessen mitnehmen. Heute um 16 Uhr, man wird sie abholen und seien sie dann bitte auch pünktlich fertig. Ziehen sie sich was Elegantes an, was nicht zu aufreizend ist.", sagte ich in einem fachmännischen Tonfall.

"Geben sie mir nur noch schnell ihre Adresse durch." Nachdem ich den Straßennamen und die Hausnummer unordentlich auf ein Papier gekritzelt hatte hängte ich den Hörer auf. Da würde Andy sicherlich noch Spaß haben, die heute Abend wieder loszuwerden. Nach so langer Zeit, wo ich immer wieder Dates für ihn organisierte, hatte ich langsam ein Gefühl entwickelt dafür, wie die Mädels auf Abschied reagierte und diese Frau würde ganz sicher nicht so schnell von ihm wegkommen wollen. Ganz sicher nicht, nach dem was letzte Nacht bei den beiden gelaufen sein musste. Naja war ja auch nicht meine Sache wie Andy mit den Frauen fertig würde.

Ich scrollte nun die digitale Akte des Quinsen Falls herab und suchten nach dem Schreiben, was ich benötigte. Als ich es gefunden hatte, druckte ich es aus und hörte so gleich, wie der Drucker hinter mir ansprang. Das würde sicherlich etwas dauern, sodass ich mir kurz einen Kaffee und ein Brötchen holen könnte. Ich schnappte mir mein Portemonnaie, zog meinen neuen schwarzen Blazer über meine Bluse und klopfte an die Scheibe zu Andys Büro. Er schaute von der Akte hoch und winkte mich rein.

"Ich hole mir kurz was von unten, möchtest du auch was haben?" fragte ich in und wedelte mit meinem Portemonnaie.

"Nein ich möchte nichts, aber danke." lächelnd winkte er mich wieder aus seinem Büro heraus. Sofort machte ich auf dem Absatz kehrt und steuerte die Treppe an, die mittig in dem Großraumbüro gelegen war.

Die Kanzlei hatte insgesamt vier Etagen auf der untersten war die Empfangshalle, mit einem schönen großen Tresen und im hinteren Bereich mit vielen Sofas und Sesseln ausgestattet. Außerdem gab es so etwas wie eine Bar und einen kleinen Essensshop. Auf den Etagen zwei und drei lagen Großraumbüros, mit an den Wänden abgetrennten gläsernen Büros, in denen die Anwälte ihren Platz hatten. Die Vorzimmerdamen, zu denen ich auch gehörte hatten immer einen Schreibtisch dazwischen oder davor. Auf der obersten Etage lagen die Büros der Inhaber und der hochgestellteren Anwälten, zu denen auch bald Andy gehören wollte. Jede Etage hatte einen abgetrennten Bereich, in denen die Mandantengespräche geführt wurden. Diese konnten mit einem speziellen Fahrstuhl angefahren werden, sodass die Mandanten niemals durch die eigentlichen Büros laufen mussten.

Als ich die Treppe erreicht hatte, stieg ich sie bis in die Erste Etage hinab und ging bis zu dem Essensshop. Davor hatte sich schon eine große Schlange gebildet, da die meisten wahrscheinlich schon Mittagspause hatten. Ich stellte mich hinten an und schaute auf meine Uhr. Okay wir hatten halb drei, ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit um die Schriftsachen fertig zu stellen. Wenn das hier zu lange dauern würde müsste ich ohne Essen wieder hoch zu meinem Platz gehen. Noch einmal hier nach unten zu kommen um mir Essen zu holen, konnte ich mir nicht leisten, dafür war heute nicht genug Zeit. Ich musste noch den Anzug von Andy holen fahren lassen und mich um den Chauffeur kümmern, der Melanie abholen sollte. Wieso Andy nicht einfach den Anzug anließ, den er anhatte verstand ich zwar nicht, aber das war seine Sache. Auch wenn ich dadurch deutlich mehr Arbeit hatte, stellte ich seine Macken nicht in Frage.

"Hallo Alex! Komm nach vorne. Siehst du mich? Hier bin ich!" hörte ich eine Stimme aus einer der vordersten Reihen rufen. Als ich in die Richtung schaute, konnte ich einen schlanken Arm zwischen all den Menschen ausmachen, der in meine Richtung winkte. Ohne groß darüber nachzudenken, machte ich mich auf den Weg darauf zu und schritt an der Schlange vorbei. Unbeirrt von den mürrischen Blicken der Wartenden fand ich endlich die Frau, die mir half mich vorzudrängeln. Sie war ein Stück größer als ich und hatte wunderschöne haselnussbraune Haare, die ihr in Wellen über die Schultern fielen. Wie jeden Tag war sie top gestylt mit ihrem  schwarzen, kurzen Kleid, welches ihrem Model gleichen Körper schmeichelte, der großen Kette, die genau an die Form des etwas zu tiefen Ausschnittes, für den sonst so gewünschten konservativen Stil der Kanzlei, angepasst war und ihren schwarzen Silettos.  Auch ihr Gesicht war perfekt geschminkt. Ich bewunderte sie für ihre perfekt gemachten Nägel die sie jede Woche neu machen ließ, ich hatte nie genug Zeit und Lust, in den streng riechenden Nagelstudios meinen Abend zu verbringen, obwohl sie mich schon mehrmals gefragt hatte, ob ich mitkommen wollte.

"Na Tammy, wie geht es dir?" fragte ich und umarmte sie zur Begrüßung.

"Du weißt schon, ziemlich viel zu tun, aber ich hab mir den Job ausgesucht. Jetzt darf ich auch nicht jammern. Ich habe es ja schon vorher gewusst, dass es hier stressiger wird als in meiner alten Kanzlei." zwinkerte sie mir zu und nahm von der Bedienung zwei Brötchentüten und zwei Kaffeebecher entgegen. Sie drückte mit jeweils eins davon in die Hände.

"Habe dich die Treppe runtergehen sehn, da dachte ich mir, dass du sicher nicht so viel Zeit hast hier zu warten." teilte mit Tammy mit und machte sich auf den Weg zurück zur Treppe. Ich folge ihr.

"Hey, Ist dein süßer Anwalt eigentlich immer noch Single?" fragte sie, so direkt wie immer.

"Ja, so viel ich einschätzen kann, vergnügt er sich jeden Abend mit einer Neuen. Frag mich bloß nicht wie er das immer anstellt. Das kann ich mir selber nicht erklären."

"Ach komm schon Alex, wenn wir so ein Gesicht und so einen Body wie er hätten würden wir auch jeden bekommen." lachte sie.

"Du hast anscheinend seinen unverwechselbaren Charakter vergessen meine Liebe"

"Ach komm schon Alex, wieso bist du denn immer so kleinlich?" sie tätschelte mir den Arm. Wir hatten inzwischen die zweite Etage erreicht, wo sich ihr Arbeitsplatz befand.

"Wir sehen uns noch. Süße." zwitscherte sie und verschwand mit einem Winken um die nächste Ecke. Ich nahm die nächste Treppe und stieg noch ein Stockwerk höher. Als ich wieder an meinem Platz kam, stellte ich die Brötchentüte und den dampfenden Kaffeebecher auf meinen Schreibtisch und zog meinen Blazer wieder aus und hing in zurück auf den Garderobenständer hinter meinem Schreibtisch. Dann setzte ich mich auf meinen sehr unbequemen Bürostuhl und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck von dem heißen Kaffee. Jetzt ging es also wieder ans Arbeiten.

 

Als ich auf die Uhr guckte schlugen die Zeiger gerade auf halb zehn. Also hatte ich schon wieder drei Stunden gut auf meinem Überstundenkonto. Diese abzufeiern konnte ich mir aber leider in der nächsten Zeit abschminken, denn das würde Andy in so einer heißen Phase in seiner Karriere niemals gut heißen. Aber jetzt hatte ich erst einmal genug. Länger würde ich auf keinen Fall machen. Ich war zwar keine, die sich weigerte länger zu machen, aber auch ich hatte meine Grenzen. Ich räumte meinen ganzen Kram in meine Umhängetasche und stand auf. Als ich mich auf den Weg nach draußen machte, traf ich wieder auf Tammy, die anscheinend genauso wie ich mal wieder Überstunden machte.

"Na Alex, Lust noch ein bisschen was trinken zu gehen mit mir? Da gibt es anscheinend so eine neue noble Bar ganz hier in der Nähe, so viel ich weiß heißt es "La Nuit". Alle in meinem Büro sprechen schon seit Wochen darüber. Jetzt möchte ich endlich auch mal dort hin. Kommst du mit?" fragte sie mich.

"Hm ich weiß nicht ich bin schon ziemlich fertig. War ja wieder ein langer Tag und morgen muss ich auch schon wieder früh raus." versuchte ich mich herauszureden.

"Alex, es gelten jetzt keine Ausreden mehr. Vorhin war ich noch nett und habe dich gefragt, damit du noch eine gewisse Entscheidungsfreiraum hast, aber jetzt kommst du auf jeden Fall mit." bestimmte sie und hakte sich bei mir unter. Tammy zog mich regelrecht die Treppe hinunter, so dass ich aufpassen musste, dass ich mit ihr Schritt hielt und nicht stolperte.

"Okay, okay Tammy ich komme doch schon mit." lachte ich und zog meinen Arm aus dem Griff von ihr. Jetzt konnte ich auch endlich wieder normal laufen, ohne die Angst zu haben zu fallen.

"Vielleicht hast du recht und es ist auch gut, wenn ich mal wieder rauskomme." überlegte ich laut und Tammy grinste mich direkt über beide Ohren an.

"Oh ja das glaube ich auch. Wann ist es das letzte Mal gewesen, wo wir zusammen ausgegangen sind?" Sie fasste sich mit ihrem Zeigefinger und dem Daumen an ihr Kinn und tat so als ob sie ernsthaft darüber nachgrübeln musste.

Als wir aus dem Gebäude traten, schlug uns die schwüle Juniluft entgegen und ließ mich schon jetzt, die immer schön auf 24 Grad heruntergekühlte Klimaanlage des Büros, vermissen. Die Nacht hatte sich schon über die Stadt gelegt und ließ sie, mit ihren vielen Lampen und Lichtern anmutig funkeln. Es war eine Wolkenlose Nacht, die nicht versprach, dass diese Hitze bald vorbei sein würde. Hoffentlich gab es in der Bar eine Klimaanlage, sonst würde ich das auf keinen Fall dort länger aushalten können.

"Am besten laufen wir bis dahin. Es wird bestimmt nur ein paar Minuten dauern bis wir da sind und geht bestimmt schneller, als wenn wir jetzt noch ein Taxi suchen müssten." schlug meine Freundin vor und setzte sich in Bewegung, ohne auf meine Antwort zu warten. Ich warf mir meine Umhängetasche über die recht Schulter und beeilte mich, Tammy hinterher zu kommen. Ja das war bestimmt sinnvoller und ich könnte mir auch ein wenig die Beine vertreten. Nachdem ich fast den ganzen Tag gesessen hatte, war gefühlt mein kompletter Rücken verspannt. Vielleicht könnte ich das mit ein wenig Bewegung wieder wett machen.

"Habe ich eigentlich richtig gehört? Es geht das Gerücht rum, dass Andy vielleicht bald eine Beförderung bekommt. Stimmt das?"

"Ja das stimmt, aber Tammy du musst mir versprechen, dass du das nicht überall in der Kanzlei rum posaunst. Es wird sicher nicht gerne von der Geschäftsführung gesehen, dass schon vorher darüber geredet wird, bevor überhaupt die Beförderung ausgesprochen wurde. Und das wird ganz sicher alles auf Andy zurück fallen. Er hat sich im letzten Jahr so in die Arbeit rein gehangen, da möchte ich jetzt auch nicht, dass durch so ein doofes Gerücht, das irgendjemand meinte in die Welt setzten zu müssen, die ganze Mühe komplett umsonst gewesen sein soll." weihte ich Tammy ein und hielt neben ihr an einer roten Ampel an.

"Ach komm schon Alex, du weißt genau, dass das nicht sein Verdienst war, sondern deiner. Auch wenn du der Meinung bist, dass er sich in seine Arbeit rein gehangen hat, so warst immer nur du diejenige, die Überstunden gemacht hat und ihm die wichtigen Fälle organisiert hast. Er hätte doch niemals den Quinsen oder den Thomson Fall ohne dich bekommen, Alex. Und mal ganz davon abgesehen, wäre er ohne dich überhaupt nicht vor zwei Jahren in die Kanzlei gekommen. Hättest du nicht mit unserem Chef gesprochen, hätte er Andy Bewerbung doch einfach zur Seite gelegt, wie die hundert Anderen auch." bemerkte Tammy und lief, als die Ampel wieder auf grün sprang, weiter.

"Ach quatsch, er hätte das alles auch ohne meine Hilfe geschafft und dass er jetzt bei uns ist, bietet mir ja auch viele Vorteile." widersprach ich Tammy und musste mich beeilen, mit ihr Schritt zu halten. Tammy schnalzte mit der Zunge und guckte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Das glaubst du doch selber nicht, Alex. Ja ich kann mir vorstellen, dass du mit einem Freund lieber zusammenarbeitest, als mit irgendeinem anderen schmierigen Typen, aber du musst doch mal einsehen, dass Andy manchmal unmöglich zu dir ist. Du bist nicht sein Hausmädchen und doch lässt er dich alles machen, was einfach nicht zu deinem Job gehört und dafür musst du dann Überstunden machen oder besser noch andere, wichtigere Dinge aufschieben." tadelte sie weiter.

"Das stimmt schon, aber ich mache es ja auch gerne für ihn und auch nicht ohne Hintergedanken, Tammy. Ich habe doch auch die Möglichkeit, dass ich durch die Beförderung von Andy auch befördert werde. Dann säße ich auch in der Chefetage." teilte ich ihr mit, ohne mir die Mühe zu machen meine Freude darüber zu verbergen. Das war auch einer der Gründe, wieso ich mich so reinhängte und versuchte, so viel Arbeit wie möglich Andy abzunehmen, damit er nicht so viel Stress hatte und nichts falsch machte.

"Das ist doch nicht dein Ernst, Alex! Da oben wird sich nichts ändern, du musst trotzdem hinter Andy herräumen und dass du mehr Geld bekommst, kannst du dir direkt abschminken. Es bietet dir überhaupt keine Vorteile in der Chefetage zu sitzen, außer dass du noch mehr Arbeit hat, von mehr Mistsäcken umgeben bist und wahrscheinlich noch länger arbeiten musst, als wie du jetzt eh schon tust. Das wird dich auf Dauer definitiv nicht glücklich machen, glaub mir!"

"Wir werden sehen. Vielleicht klappt das alles auch gar nicht." sagte ich zwar, aber trotz Tammy`s Misstrauen, wäre ich überglücklich, wenn alles so ablaufen würde, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Inzwischen hatten wir den Eingang der Bar erreicht. Unübersehbar waren in großen verschnörkelten Leuchtbuchstaben die Worte "La Nuit" über der Tür befestigt worden, die den kompletten Straßenabschnitt vor dem Geschäft in einem leuchtenden dunkelblau erhellten. 

Es hatte sich schon eine lange Schlange von Menschen am Eingang gebildet, die von einer roten Abtrennschnur, welches vor dem Eingang an zwei goldenen Haltern befestigt war, davon abgehalten wurden ins Innere zu kommen. Aus der Bar drang sogar jetzt schon bis auf die Straße die Musik, die drinnen gespielt wurde. Okay so was hatte ich mir nicht unter einer neuen „noblen“ Bar inmitten von New York vorgestellt. Dort konnte man sich sicher nicht gut unterhalten und war sicher eher zum feiern gedacht, als zum gemütlichen Cocktail schlürfen.

Die Leute die ungeduldig warten mussten, bis sie an der Reihe waren um Eintritt zu erlangen, sahen dahingegen aus, als ob sie gerade von einer der angesagtesten  Modeschauen kommen würden. Haare und Make-up saßen, wie gerade von einer Visagistin gestylt. Die Klamotten waren kurz und eng und saßen perfekt an dem jeweiligen Körper der Trägerinnen. Sie sahen keinesfalls so aus, als seien sie von der Stange, nicht so welche, die zum Beispiel meinen gesamten Kleiderschrank einnahmen. Hier war Tammy komplett richtig aufgehoben, sie passte hier perfekt rein, im Gegensatz zu mir. Ich sah an mir hinunter. Ich hatte schwarze Pumps an, einen engen schwarzen Rock  der bis kurz unter meine Knie endete und eine weiße Bluse an, die ich locker in diesen gesteckt hatte. Den Blazer von heute Mittag hatte ich wieder drüber geworfen, was meinen Sekretärinnenlook perfekt machte. Dazu hatte ich auch noch meine Haare zu einen  Dutt gesteckt und meine schwarze Brille auf der Nase. Na klasse das würde was geben. So würde ich definitiv nicht in einen Laden wie diesen hereingelassen.

“Tammy kannst du mir mal verraten, wie genau du dir das vorstellst mich hier rein zuschleusen?“ fragte ich Tammy unsicher. Ich guckte sie ungläubig an und zeigte nachdrücklich auf meinen Körper um sie darauf aufmerksam zu machen, dass ich bestimmt die letzte Person in der ganzen Stadt war, die  die Türsteher in diese Bar lassen würden.

„Ach quatsch. Ich kenne die Türsteher gut. Die standen früher immer vor dem „Shadow“. Weißt du noch, wir waren mal vor ein paar Monaten dort, da wo der hübsche Kerl dir einen ausgeben wollte.“ Lachte sie und zog mich zu den anderen wartenden Personen und steckte sich eine Zigarette an. Elegant blies sie den inhalierten Rauch wieder aus und guckte auf ihr schmales Handgelenk, wo eine grazile Uhr befestigt war.

„Ich hoffe wir müssen nicht zu lange warten, sonst verpassen wir noch unsere Dates.“ Sagte sie so unbeteiligt, als wäre das sonnenklar gewesen, dass wir uns mit jemandem treffen würden.

„Was?! Oh nein. Nein Tammy, sag mir jetzt nicht dass du schon wieder versuchst mich mit dem Nächstbesten zu verkuppeln. Du weißt doch, dass ich nichts von so was halte!“ erwiderte ich etwas genervt. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Ich hasste es wenn Tammy Blindedates für mich organisierte.

Man konnte schon fast behaupten, dass ich so langsam eine Phobie gegen so etwas entwickelt hatte. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie mich schon mehrere Male, genau wie heute auch, ausgetrickst hatte und mir so Männer vorstellen konnte die entweder nur von ihren Müttern sprachen, oder komplett von sich selbst überzeugt waren und mir dies auch unübersehbar zeigten. Beides fand ich nicht gerade ansprechend.

„Dieses Mal ist es anders Alex. Das sind wirklich zwei super tolle Typen. Dieses Mal kenne ich sie auch schon. Beide sind unglaublich hübsch und wirklich sehr charmant, glaub es mir, oder auch nicht. Du wirst sie ja eh gleich selber kennen lernen und dir dein eigenen Meinung bilden können.“ Sagte sie und zog noch einmal an ihrer Zigarette.

„Ich weiß nicht. Ich habe eigentlich überhaupt keine Lust mit irgendwelchen Typen heute meinen Abend zu verbringen.“ Motze ich weiter und streckte meine Hand nach der Zigarette aus, die Tammy elegant zwischen ihren schlanken Fingern hielt. Ohne auch nur einmal zu zögern, übergab sie mir diese.

„Von wegen Nichtraucher.“ Lachte sie und entblößte dabei zwei strahlend weiße Reihen Zähnen. Ich zog einmal einen tiefen Zug und ließ den kalten Rauch in meine Lungen strömen.

„Wie heißen die Kerle überhaupt?“ fragte ich und atmete wieder aus, sodass auch meinem Mund eine Wolke aus weißem Qualm entstieg.

Ich war zwar kein Dauerraucher, aber ab und zu gab ich mich der Versuchung hin und tat das, was mir von meiner Mutter früher verboten wurde, als ich noch Zuhause gewohnt hatte.

“Der eine heißt Crux und der andere heißt Santiago. Ich würde die beiden auf Ende zwanzig bis Anfang dreißig schätzen, also perfekt für uns zwei.“ Sagte sie und klatschte wie ein aufgeregtes Kind in die Hände.

„Was sind das denn für Namen?“ lachte ich und verschluckte dabei den Rauch den ich gerade eingezogen hatte und musste anfangen zu husten. Wer nannte seine Kinder seine Kinder heutzutage noch so. Ich musste zugeben, dass erregte nun doch meine Aufmerksamkeit. Ich war jetzt gespannt darauf, wer wohl hinter so welchen Namen steckten würden. Vielleicht würde der Abend doch nicht so ein Reinfall werden, wie ich bis jetzt angenommen hätte. Immerhin hätten wir sicher jetzt auch ein Anfangsgesprächsthema.  

„So ungewöhnlich sind die Namen jetzt nun auch nicht Alex. Wir haben doch jeden Tag mit kuriosen Namensgebungen zu tun. Die beiden springen da nicht so sehr hervor.“ Sagte Tammy, aber ich konnte sehen, dass auch sie sich ein lachen verkneifen musste.

„Und wo hast du die Zwei kennen gelernt?“ erkundigte ich mich bei ihr.

„Das sind Freunde von den beiden Türstehern, ich habe sie letzte Woche beim feiern kennen gelernt. Du weißt doch noch, die Party bei der du mich einfach sitzen gelassen hast, weil du Zuhause mit Pyjama und einer Dose Eiscreme einen Schnulzenfilm gucken wolltest. Fällt es dir wieder ein?“ antwortete sie mir und ich konnte einen leichten vorwurfsvollen Unterton ausmachen.

„Du weißt doch, im Gegensatz zu dir bin ich halt nicht so die Partygängerin. Ich zieh da einen gemütlichen Abend schon vor.“ Sagte ich entschuldigend und schmiss den letzten Stummel der Zigarette auf die Straße, wo ich sie sogleich mit meinem Absatz austrat. Die Schlange hatte sich inzwischen schon soweit gelichtet, dass jetzt nur noch zwei Mädchen vor uns standen, die sicher erst vor wenigen  Monaten 21 geworden waren, denn älter sahen sie auf keinen Fall aus. Das wurde nur noch mehr von ihren Outfits unterstrichen. Beide hatten hautenge Röcke an, die gerade mal so lang waren, dass sie unter ihren Pos endeten. Die kleinere der beiden hatte wunderschöne blonde Haare. Sie flossen ihr in Wellenform bis zur Mitte ihres Rückens. Sie hatte ein Top an, welches viel Einblick in ihr Dekollete bot und auch knapp darunter endete, sodass man einen guten Blick auf ihren perfekt trainierten Bauch werfen konnte. Das andere Mädchen hatte ein Oberteil an, was  am Hals geschlossen war, aber auch die gleiche Länge hatte wie das des anderen.  Auch sie hatte Haare bis zur Mitte ihres Rückens, jedoch in hellbraun und geglättet. Beide kicherten gerade wie Schulmädchen und störten sich nicht daran, in welcher Lautstärke sie dies taten. Ich drehte mich zu Tammy um und verdrehte die Augen. Sie wusste direkt, wieso ich dies tat und machte mir die Geste gleich und warf währenddessen ihre Hand in einer abfälligen Bewegung nach hinten.

„Ich weiß noch genau als wäre es gestern gewesen, als wir auch mal so kindisch waren und uns angezogen haben wie irgendwelche dahergelaufene Nutten Alex.“ Lachte sie so laut, dass wir darauf böse Blicke ernteten. Ich merkte direkt wie mir das Blut in den Kopfstieg.

„Tammy!“ zischte ich. Mir war sicher anzusehen, wie peinlich mir das ganze war. Daraufhin lachte Tammy jedoch einfach nur lauter und schlug mir kumpelhaft auf den Rücken. Währenddessen war das Duo vor uns hereingelassen worden und wir waren die nächsten. Nun hatte ich auch kompletten Einblick auf den Bereich vor der Eingangstür. Sie lag bestimmt zwei Meter in das Gebäude hineinversetzt, sodass die Türsteher überdacht in dem Durchgang davor stehen konnten.

„Die kennst du?“ fragte ich Tammy etwas ängstlich. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass das keine einfachen Typen wahren, die einen nach dem Ausweis fragten und hinein ließen. Sie waren reisengroße Schränke. Sie waren bestimmt ein Meter neunzig groß und hatten so breite Schultern, dass sie in dem Durchgang schon Oberarm an Oberarm standen. Man konnte kaum die Tür dahinter erblicken. Sie hatten beide schwarze T-Shirts an, die sich eng an ihren Oberkörper spannten und erkennen ließen, dass die zwei sicher mehr als einmal die Woche trainieren gingen. So wie das aussah bestimmt jeden Tag! Ihre Beine waren genauso muskulös und steckten in teuer aussehenden perfekt geschnittenen Anzughosen. Beide hatten ein markantes Gesicht mit hoch geschnittenen  Wangenknochen, die ihren Gesichtern noch mehr Härte verlieh. Sie hätten sicher Brüder sein können, denn man konnte oberflächlich behaupten, dass sie gleich aussahen außer die kurzgeschorenen Haare unterschien sie. Einer hatte eine hellbraune und der andere schwarze Frisur. Tammy schritt schnurstracks auf die beiden Riesen zu und sog mich an der Hand mit sich.

„Na ihr zwei Süßen. Wie läuft der Abend?“ begrüßte sie die beiden.

„Die kleine Tammy mal wieder. Dich sieht man ja auch nur am laufenden Band.“ Lachte der mit den hellbraunen Haaren und zog meine Freundin in seine kräftigen Arme.

„Stellst du uns deine niedliche Freundin vor?“

Der mit den schwarzen Haaren trat einen Schritt auf mich zu und streckte mir seine Pranke hin. Schüchtern ergriff ich sie und war verwundert von der weichen und ebenen Haut, die ich berührte. Vorsichtiger als er aussah schüttelte er sie mir und ließ meine Hand danach wieder los.

„Das ist Alex. Sie ist auch in der Kanzlei angestellt wo ich arbeite.“ Lächelte Tammy mich an.

„Sie sieht aber nicht so aus, als ob sie hier reinpassen würde.“ Sagte der andere Türsteher, bevor mir jemand ihre Namen verraten konnte und beäugte mich skeptisch.

„Habe ich doch gesagt Tammy. Lass uns wieder gehen.“ Flüsterte ich unsicher in ihre Richtung. Ich wollte lieber freiwillig gehen, als von so zwei Muskelprotzen weggeschickt zu werden.

„Seid doch nicht so unhöflich Jungs! Sie passt hier genau so gut ein, wie ich.“ Beharrte Tammy und zog mich bei meinem Versuch der Szene zu entkommen, wieder an sich.
Beide Türsteher lachten und das krängte mich noch mehr als ich gedacht hätte. Offensichtlicher konnte man mir nicht zeigen, dass ich nicht willkommen war.

„Weil du es bist könnt ihr reingehen Tammy. Aber das ist eine Ausnahme, ist das klar Süße? Hier gibt es einen gewissen Kleidungsstil, der gewünscht ist. Da sollte sich deine Freundin nächstes Mal dran halten.“ Streng sah der Mann mit den hellbraunen Haaren Tammy an. Er war definitiv der unsympathischere von den Beiden. Wieder wurde ich weiter gezogen, an den beiden Männern vorbei und durch die Eingangstür.Warme Luft schlug mir entgegen, die nach viel Alkohol, niedrigen Hemmungsschwellen und vom ganzen aufreizenden Tanzen in der Masse, schwitzenden Körpern roch. Das war definitiv keine Bar. Es gab eine große Tanzfläche, die voll von aufreizend tanzenden Menschen befüllt war, sodass man kaum den Boden erkennen konnte. Es war nur spärlich beleuchtet, sodass man nie genau die Gesichter erkennen konnten, die sich in diesem Raum tummelten. Es gab eine lange Theke, von der unaufhörlich alkoholische Getränke an die Feierlustigen verteilt wurde. Wir standen gerade erst im Eingang und schon hier wurde unaufhörlich geschubst, was anscheinend nur mich störte.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.03.2016

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