Er erinnert mich an Strandgut.
An gezeichnetes, zerfressenes Strandgut.
Strandgut, das das Meer einem an jedem Strand der Erde vor die Füße spuckt; das dann auf den ersten Blick nichts Besonderes ist, eher hässlich und wertlos, dann aber auf den zweiten Blick tausende und abertausende kleine, liebenswerte Facetten und Seiten aufzeigt. Facetten und Seiten, die einen verzaubern und fesseln, immer wieder aufs Neue.
Ihm das gesagt habe ich nie, er weiß auch so, dass er anders ist. Dass ich ihn gerade deswegen so sehr mag. Trotz der Krankheit.
„Ich will in keine Selbsthilfegruppe“, murmelt er, wendet sich von meinem Laptop ab, auf dessen Bildschirm ein Chatprogramm flimmert, rollt sich auf meinem Bett zusammen und guckt mich groß und traurig an.
„Ich will in keine Selbsthilfegruppe“, wiederholt er.
Ich streiche ihm über den Rücken. Wenn es um seine Krankheit geht, werde ich immer sprachlos.
Nicht Betroffene können so schwer wirklich verstehen und begreifen.
Seine Hände krallen sich in die Ketten meines Gürtels, er zieht sich zu mir herüber und legt seinen Kopf auf mein Bein.
Er zieht die Nase hoch, ich raufe ihm durchs Haar.
Es ist so schwer vorstellbar, dass er krank ist. Die Narben auf seinen Armen sieht man kaum.
Er schaut zu mir hoch, in seinen Augen glitzert es und der Anflug eines traurigen Lächelns huscht über sein Gesicht.
Er erinnert mich an Strandgut.
An gezeichnetes, zerfressenes Strandgut.
An Strandgut mit tausend und abertausend kleinen, liebenswerten Facetten.
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2009
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